Language of document : ECLI:EU:T:2011:218

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

17. Mai 2011(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Natriumchlorat – Entscheidung der Kommission: Verstoß gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Zurechenbarkeit des Verstoßes – Geldbußen – Erschwerender Umstand – Wiederholungsfall – Mildernder Umstand – Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens – Erheblicher Mehrwert“

In der Rechtssache T‑343/08

Arkema France mit Sitz in Colombes (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: zunächst A. Winckler, S. Sorinas und H. Kanellopoulos, dann S. Sorinas, E. Jégou und M. Sabeva, avocats,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch X. Lewis, É. Gippini Fournier und R. Sauer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2008) 2626 endg. der Kommission vom 11. Juni 2008 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38.695 – Natriumchlorat), soweit diese Entscheidung Arkema France betrifft, hilfsweise Nichtigerklärung oder Ermäßigung der Geldbußen, die in der Entscheidung gegen diese verhängt worden sind,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová sowie der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatter) und des Richters S. Soldevila Fragoso,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juni 2010

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Mit der Entscheidung K(2008) 2626 endg. vom 11. Juni 2008 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR (Sache COMP/38.695 –Natriumchlorat) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften neben anderen Unternehmen die Klägerin Arkema France (früher Elf Atochem SA, dann Atofina SA und Arkema SA) und deren Muttergesellschaft bis 2006, Elf Aquitaine SA, wegen ihrer Beteiligung an einer Reihe von Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Natriumchlorat im Europäischen Wirtschaftsraum für den Zeitraum vom 11. Mai 1995 bis zum 9. Februar 2000, soweit es die Klägerin und Elf Aquitaine betrifft, mit einer Geldbuße belegt (Erwägungsgründe 12 bis 15 und Art. 1 der angefochtenen Entscheidung).

2        Natriumchlorat ist ein hoch wirksames Oxydationsmittel, das durch Elektrolyse einer Natriumchlorid-Wasserlösung in einer membranlosen Zelle hergestellt wird. Natriumchlorat kann in Form von Kristallen oder als Lösung hergestellt werden. Seine Hauptanwendung besteht in der Herstellung von Chlordioxid, das in der Zellstoff- und Papierindustrie zum Bleichen von Zellstoff benötigt wird. Daneben wird Natriumchlorat in weit geringerem Umfang zur Trinkwasseraufbereitung, zum Bleichen von Textilien, bei der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln und in der Uranraffination eingesetzt (zweiter Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

3        Die wichtigsten Wettbewerber auf dem Markt für Natriumchlorat des EWR waren 1999 folgende Unternehmen: EKA Chemicals AB (im Folgenden: EKA), deren Gesellschaftskapital insgesamt der Gruppe Akzo Nobel gehörte und die 49 % dieses Marktes innehatte; Finnish Chemicals Oy, deren Gesellschaftskapital insgesamt und mittelbar der Erikem Luxembourg SA (im Folgenden: ELSA) gehörte und die 30 % dieses Marktes innehatte; die Klägerin, deren Gesellschaftskapital von 1992 bis 2000 zu 97,55 % Elf Aquitaine gehörte und die einen Marktanteil von 9 % innehatte; Aragonesas Industrias y Energia SAU (im Folgenden: Aragonesas), deren Gesellschaftskapital insgesamt der Uralita SA gehörte und die wie Solvay SA/NV einen Marktanteil von 5 % innehatte, während die übrigen Hersteller zusammen nur einen Marktanteil von 2 % aufwiesen (Erwägungsgründe 13, 14, 25, 42 und 46 der angefochtenen Entscheidung).

4        Am 28. März 2003 reichte EKA bei der Kommission einen Antrag auf Kronzeugenbehandlung nach der Mitteilung der Kommission vom 19. Februar 2002 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung von 2002) wegen des Vorliegens eines Kartells auf dem Markt für Natriumchlorat (im Folgenden: Kartell) ein. EKA hat diesen Antrag durch schriftliche Beweisangebote und eine mündliche Aussage untermauert (Erwägungsgrund 54 der angefochtenen Entscheidung).

5        Am 30. September 2003 erließ die Kommission eine Entscheidung, in der EKA ein bedingter Erlass der Geldbuße gemäß Randnr. 15 der Kronzeugenregelung von 2002 gewährt wurde (Erwägungsgrund 55 der angefochtenen Entscheidung).

6        Am 10. September 2004 richtete die Kommission Auskunftsverlangen an Finnish Chemicals, an die Klägerin und an Aragonesas gemäß Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1) (Erwägungsgrund 56 der angefochtenen Entscheidung).

7        Am 18. Oktober 2004 reichte die Klägerin in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, einen Antrag nach der Kronzeugenregelung von 2002 ein (Erwägungsgrund 57 der angefochtenen Entscheidung).

8        Am 29. Oktober 2004 reichte Finnish Chemicals bei der Kommission einen Erlass- und Ermäßigungsantrag nach der Kronzeugenregelung von 2002 ein und übermittelte ihr mündlich Angaben zu dem Kartell. Finnish Chemicals bestätigte diesen Antrag mit Schreiben vom 2. November 2004 und übergab zugleich schriftliche Beweisstücke über ihre Beteiligung an dieser Zuwiderhandlung (Erwägungsgrund 58 der angefochtenen Entscheidung).

9        Zwischen dem 4. November 2004 und dem 11. April 2008 richtete die Kommission Auskunftsverlangen gemäß Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 insbesondere an Elf Aquitaine, Aragonesas, EKA und Finnish Chemicals. Außerdem traf sie sich mit den beiden letztgenannten Unternehmen (Erwägungsgründe 59 bis 65 der angefochtenen Entscheidung).

10      Mit Schreiben vom 11. Juli 2007 teilte die Kommission der Klägerin ihre Absicht mit, deren Antrag auf Kronzeugenbehandlung nach der Kronzeugenregelung von 2002 abzulehnen (Erwägungsgrund 563 der angefochtenen Entscheidung).

11      Mit Schreiben vom gleichen Tag teilte die Kommission zugleich Finnish Chemicals ihre Absicht mit, ihr nach der Kronzeugenregelung von 2002 einen Erlass von 30 bis 50 % der ihr drohenden Geldbuße zuzubilligen (Erwägungsgrund 563 der angefochtenen Entscheidung).

12      Am 27. Juli 2007 erließ die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die neben der Klägerin an EKA, Akzo Nobel NV, Finnish Chemicals, ELSA, Elf Aquitaine, Aragonesas und Uralita gerichtet war. Diese nahmen fristgerecht dazu Stellung (Erwägungsgründe 66 und 67 der Entscheidung).

13      Am 20. November 2007 nahmen die Klägerin und Elf Aquitaine ihr Recht auf mündliche Anhörung in einer Sitzung beim Anhörungsbeauftragten wahr (Erwägungsgrund 68 der angefochtenen Entscheidung).

14      Am 11. Juni 2008 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung, die der Klägerin am übernächsten Tag zugestellt wurde.

15      In der angefochtenen Entscheidung legte die Kommission im Wesentlichen dar, die Klägerin, EKA, Finnish Chemicals und Aragonesas hätten eine auf die Stabilisierung des Natriumchloratmarkts gerichtete Strategie verfolgt, die letztlich darauf abgezielt habe, Liefermengen untereinander aufzuteilen, die Preispolitik gegenüber den Kunden abzustimmen und auf diese Weise die Gewinne zu maximieren. Die Arbeitsweise des Kartells habe auf häufigen Kontakten zwischen den Wettbewerbern in der Form bi- oder multilateraler Sitzungen und telefonischer Unterredungen beruht, ohne allerdings einem vorgefertigten Schema zu folgen. Der Kommission zufolge haben diese abgesprochenen Verhaltensweisen ab dem 21. September 1994 (für EKA und Finnish Chemicals), ab dem 17. Mai 1995 für die Klägerin, ab dem 16. Dezember 1996 für Aragonesas und ab dem 13. Februar 1997 für ELSA stattgefunden. Diese Praktiken seien bis zum 9. Februar 2000 zumindest von der Klägerin, EKA, Finnish Chemicals und Aragonesas fortgesetzt worden.

16      Was insbesondere das beanstandete Verhalten der Klägerin angeht, verweist die Kommission darauf, dass die in der angefochtenen Entscheidung verlautbarten Tatsachen zeigten, dass diese unmittelbar an diesen wettbewerbswidrigen Praktiken teilgenommen habe. Während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung habe außerdem Elf Aquitaine mehr als 97 % des Gesellschaftskapitals der Klägerin gehalten. Aus diesem Grund müsse vernünftigerweise angenommen werden, dass die Klägerin sich an die von ihrer Muttergesellschaft festgelegte Politik zu halten hatte und daher nicht selbständig handeln konnte. Mithin könne vermutet werden, dass Elf Aquitaine einen bestimmenden Einfluss auf die Klägerin ausgeübt habe, was durch zusätzliche, von ihr aufgezählte Indizien bekräftigt werde (Erwägungsgründe 384 und 386 der angefochtenen Entscheidung).

17      Bei der Bemessung der insbesondere gegen die Klägerin und Elf Aquitaine verhängten Geldbuße hat sich die Kommission auf die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien) gestützt (Erwägungsgrund 498 der angefochtenen Entscheidung).

18      Zunächst verweist die Kommission darauf, dass bei der Festsetzung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße ein Betrag in Höhe von 19 % der Umsätze mit den kartellbetroffenen Produkten berücksichtigt werden müsse. Zum einen ist die Kommission, da die Klägerin mindestens vier Jahre und acht Monate an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei, der Auffassung, dass dieser Betrag verfünffacht werden müsse, um der Dauer der Zuwiderhandlung Rechnung zu tragen. Zum anderen hält es die Kommission für notwendig, um die betreffenden Unternehmen und insbesondere die Klägerin von der Beteiligung an horizontalen Preisabsprachen abzuhalten, einen zusätzlichen Betrag von 19 % dieser Umsätze festzulegen. Sie kommt damit zu dem Ergebnis, dass der Klägerin und Elf Aquitaine als Gesamtschuldnern eine Geldbuße von 22 700 000 Euro aufzuerlegen sei (Erwägungsgründe 510 und 521 bis 523 der angefochtenen Entscheidung).

19      Soweit es ferner um die Anpassungen des Grundbetrags der Geldbuße geht, verweist die Kommission wegen der erschwerenden Umstände darauf, dass sie bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung die Klägerin in drei Entscheidungen geahndet habe, in denen diese als verantwortlich für abgesprochene Verhaltensweisen behandelt worden sei. Es handele sich um die Entscheidungen 85/74/EWG vom 23. November 1984 in einem Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/30.907 – Peroxygen) (ABl. 1985, L 35, S. 1, im Folgenden: Peroxygen-Entscheidung), 86/398/EWG vom 23. April 1986 in einem Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.149 – Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1, im Folgenden: Polypropylen-Entscheidung) und 94/599/EG vom 27. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel [81 EG], (IV/31.865 – PVC) (ABl. L 239, S. 14, im Folgenden: PVC‑Entscheidung). Zum einen ist die Kommission alles in allem der Auffassung, dass das Verhalten der Klägerin als Wiederholungstäter es rechtfertige, eine Erhöhung von 90 % des Grundbetrags gegen sie zu verhängen. Zum anderen habe sie keinen mildernden Umstand zugunsten der Klägerin anführen können, der eine Ermäßigung der Geldbuße ermöglicht hätte. Insbesondere vertritt die Kommission die Auffassung, dass bei Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen „kein außergewöhnlicher Umstand“ es rechtfertigen könne, der Klägerin eine Ermäßigung der Geldbuße außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 zuzugestehen (Erwägungsgründe 525, 526, 538 und 544 der angefochtenen Entscheidung).

20      Sodann stellt die Kommission im Wesentlichen fest, dass zur Sicherstellung einer hinreichend abschreckenden Wirkung der Geldbußen und bei Berücksichtigung des Umstands, dass Elf Aquitaine, abgesehen von den Umsätzen an Gütern, auf die sich die Zuwiderhandlung beziehe, einen besonders umfangreichen Umsatz aufweise, der in absoluten Zahlen den Umsatz der anderen beteiligten Unternehmen bei Weitem übertreffe, eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße gegen Elf Aquitaine festgesetzt werden müsse (Erwägungsgründe 545, 548 und 559 der angefochtenen Entscheidung).

21      Ferner stellt die Kommission fest, dass die Geldbußen, die u. a. gegen die Klägerin und Elf Aquitaine zu verhängen seien, niedriger als 10 % des jeweiligen Gesamtjahresumsatzes für 2007 seien und dass die Geldbußen, die vor Anwendung der Kronzeugenregelung von 2002 verhängt werden könnten, sich zum einen für die Klägerin auf 43 130 000 Euro und zum anderen für Elf Aquitaine auf 38 590 000 Euro beliefen (Randnrn. 551 und 552 der angefochtenen Entscheidung).

22      Schließlich steht die Kommission auf dem Standpunkt, dass die Klägerin keine Ermäßigung nach der Kronzeugenregelung von 2002 erhalten sollte, weil die Angaben, die sie gemacht habe, keinen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 dieser Regelung gehabt hätten. Demgegenüber ist die Kommission der Meinung, dass Finnish Chemicals ihr Beweismittel mit erheblichem Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 dieser Regelung geliefert habe. Sie billigt ihr daher eine Ermäßigung von 50 % des Betrags der Geldbuße zu, die sonst gegen sie verhängt worden wäre (Erwägungsgründe 580, 588 und 591 der angefochtenen Entscheidung).

23      Art. 1 und 2 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung lauten wie folgt:

„Artikel 1

Die folgenden Unternehmen haben gegen Artikel 81 EG-Vertrag und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie sich in den jeweils angegebenen Zeiträumen an Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligten, deren Gegenstand die Aufteilung von Liefermengen, die Festsetzung von Preisen, der Austausch sensibler Geschäftsinformationen über Preise und Liefermengen und die Überwachung der Durchführung wettbewerbswidriger Absprachen in Verbindung mit Natriumchlorat im EWR waren:

(a)       EKA ..., vom 21. September 1994 bis zum 9. Februar 2000;

(b)       Akzo ..., vom 21. September 1994 bis zum 9. Februar 2000;

(c)       Finnish ..., vom 21. September 1994 bis zum 9. Februar 2000;

(d)       [ELSA], vom 13. Februar 1997 bis zum 9. Februar 2000;

(e)       [die Klägerin], vom 17. Mai 1995 bis zum 9. Februar 2000;

(f)       Elf Aquitaine ..., vom 17. Mai 1995 bis zum 9. Februar 2000;

(g)       Aragonesas ..., vom 16. Dezember 1996 bis zum 9. Februar 2000;

(h)       Uralita ..., vom 16. Dezember 1996 bis zum 9. Februar 2000.

Artikel 2

Wegen der in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlung werden folgende Geldbußen verhängt:

(a)       Akzo ... und EKA ..., gesamtschuldnerisch: 0 EUR

(b)       Finnish Chemicals ...: 10 150 000 EUR, davon gesamtschuldnerisch mit [ELSA] (in Liquidation befindlich): 50 900 EUR;

(c)       [die Klägerin] und Elf Aquitaine ..., gesamtschuldnerisch: 22 700 000 EUR;

(d)       [die Klägerin]: 20 430 000 EUR;

(e)       Elf Aquitaine ...: 15 890 000 EUR;

(f)       Uralita ... und Aragonesas ..., gesamtschuldnerisch: 9 900 000 EUR

…“

24      In Art. 3 des verfügenden Teils gibt die Kommission den in Art. 1 genannten Unternehmen auf, die in jenem Artikel genannte Zuwiderhandlung unverzüglich einzustellen, soweit dies nicht bereits geschehen ist, und künftig von der Wiederholung der in Art. 1 genannten Handlungen oder Verhaltensweisen sowie von allen Handlungen oder Verhaltensweisen abzusehen, die denselben oder einen ähnlichen Zweck bzw. dieselbe oder eine ähnliche Wirkung haben.

25      Art. 4 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung zählt die Adressaten der angefochtenen Entscheidung auf; es sind die in Art. 1 dieser Entscheidung angeführten Unternehmen.

 Verfahren und Anträge der Parteien

26      Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 19. August 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

27      Das Gericht (Zweite Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Das Gericht hat außerdem bestimmte Fragen an die Kommission gerichtet und sie um Vorlage bestimmter Dokumente ersucht. Die Kommission hat fristgerecht geantwortet, sich allerdings geweigert, die Niederschrift des mündlichen Antrags von EKA auf Kronzeugenbehandlung vorzulegen.

28      Die Parteien haben in der Sitzung vom 2. Juni 2010 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

29      Mit Beschluss vom 11. Juni 2010, Arkema France/Kommission (T‑343/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), hat das Gericht einerseits der Kommission aufgegeben, die Niederschrift des mündlichen Antrags auf Kronzeugenbehandlung von EKA vorzulegen, und andererseits gestattet, dass dieses Dokument von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der Kanzlei des Gerichts eingesehen werden kann. Die Kommission hat dieses Dokument vorgelegt, das die Prozessbevollmächtigten in der Kanzlei des Gerichts eingesehen haben. Demgegenüber hat die Klägerin die schriftliche Frage des Gerichts, ob dieses Dokument dem entspreche, zu dem ihm im Verwaltungsverfahren bei der Kommission Zugang gewährt worden sei, nicht fristgerecht beantwortet.

30      Die mündliche Verhandlung ist am 27. Juli 2010 geschlossen worden.

31      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung, soweit diese sie betrifft, gemäß Art. 230 EG für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, die gegen sie mit der angefochtenen Entscheidung verhängten Geldbußen gemäß Art. 229 EG aufzuheben oder herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

32      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

A –  Zum Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung

33      Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Klagegründe. Der erste Klagegrund betrifft rechtliche und tatsächliche Fehler bei der Zurechnung des beanstandeten Verhaltens der Klägerin an Elf Aquitaine. Der zweite Klagegrund gilt rechtlichen und tatsächlichen Fehlern bei der Erhöhung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wegen Tatwiederholung. Der dritte Klagegrund beruht darauf, dass die Kommission zu Unrecht davon ausgegangen sein soll, dass die Klägerin keine Ermäßigung der Geldbuße nach der Kronzeugenregelung von 2002 beanspruchen könne. Der vierte Klagegrund betrifft angebliche rechtliche und tatsächliche Fehler der Kommission, weil diese ihr keine Ermäßigung der Geldbuße außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 zugestanden habe.

1.     Zur Zulässigkeit

34      Die Kommission erhebt zwei Unzulässigkeitseinreden: erstens gegen den ersten Antrag der Klägerin und zweitens gegen ihren ersten Klagegrund.

a)     Zum ersten Unzulässigkeitsgrund: Unzulässigkeit des ersten Antrags der Klägerin

35      Nach Auffassung der Kommission ist der erste Antrag der Klägerin unzulässig. Keiner der geltend gemachten, oben in Randnr. 33 angeführten Klagegründe sei geeignet, die Nichtigerklärung der gesamten angefochtenen Entscheidung herbeizuführen.

36      Zwar hat die Klägerin in ihren Schriftsätzen nichts vorgebracht, was dem ersten von der Kommission geltend gemachten Unzulässigkeitsgrund entgegengehalten werden könnte, es bleibt jedoch festzuhalten, dass sie in ihrer Antwort auf Fragen des Gerichtshofs in der Sitzung klargestellt hat, dass sie mit ihrem ersten Antrag die Nichtigerklärung von Art. 2 Buchst. c und d der angefochtenen Entscheidung begehre, was im Sitzungsprotokoll festgehalten wurde.

37      Das Gericht stellt fest, dass die Klägerin mit ihrem zweiten, dritten und vierten Klagegrund im Kern den Betrag der Geldbußen angreift, die die Kommission in Art. 2 Buchst. c und d der angefochtenen Entscheidung gegen sie verhängt hat. Diese Klagegründe stützen somit, wie in Art. 44 § 1 der Verfahrensordnung vorgesehen, ihren Antrag auf teilweise Nichtigerklärung dieses Artikels.

38      Es zeigt sich mithin, dass der erste Antragspunkt der Klägerin zulässig ist, soweit er ausschließlich auf die Nichtigerklärung von Art. 2 Buchst. c und d der angefochtenen Entscheidung gerichtet ist. Somit ist die erste Unzulässigkeitseinrede der Kommission als unbegründet zurückzuweisen.

b)      Zum zweiten Unzulässigkeitsgrund: Unzulässigkeit des ersten Klagegrundes der Klägerin

39      Die Kommission macht geltend, der erste Klagegrund der Klägerin, wonach die Kommission die Verantwortung für die von ihr begangene Zuwiderhandlung zu Unrecht Elf Aquitaine angelastet habe, sei unzulässig, weil diese Zurechnung die Klägerin selbst nicht belaste. Insbesondere sei diese Zurechnung ohne jede Auswirkung auf den Betrag der Geldbußen, die die Kommission gegen die Klägerin verhängt habe. Auf die Fragen des Gerichts in der Sitzung hat die Kommission zum einen darauf hingewiesen, dass die etwaige Nichtigerklärung dieser Zurechnung durch das Gericht der Klägerin keinen Vorteil verschaffe, da diese dann alleinige Schuldnerin der in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung verhängten Geldbuße bleibe. Zum anderen sei das Vorbringen der Klägerin, dass die gegen sie verhängte Geldbuße in der angefochtenen Entscheidung im Anschluss an die Wiederaufnahme der Tätigkeit von Elf Aquitaine auf dem Polypropylen-Markt nach dem Erlass der Entscheidung Polypropylen wegen Wiederholung erhöht worden sei, nicht begründet.

40      Die Klägerin bringt in ihren Schriftsätzen nichts vor, was gegen den zweiten von der Kommission geltend gemachten Unzulässigkeitsgrund gerichtet wäre. In ihrer Antwort auf Fragen des Gerichts in der Sitzung hat sie erklärt, dass ihrer Meinung nach die Zurechnung ihres beanstandeten Verhaltens an Elf Aquitaine sich auf den Betrag der Geldbuße, die in der angefochtenen Entscheidung wegen Wiederholung gegen sie verhängt worden sei, ausgewirkt habe, weil Elf Aquitaine nach dem Erlass der Polypropylen-Entscheidung ihre alte Tätigkeit auf dem Polypropylen-Markt wieder aufgenommen habe.

41      Zunächst ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person nur zulässig ist, wenn diese ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung hat. Ein solches Rechtsschutzinteresse setzt voraus, dass die Nichtigerklärung der Handlung der Partei, die sie anstrebt, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 13. Juli 2000, Parlament/Richard, C‑174/99 P, Slg. 2000, I‑6189, Randnr. 33, und vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237, Randnr. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. Urteil des Gerichts vom 28. September 2004, MCI/Kommission, T‑310/00, Slg. 2004, II‑3253, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Das Gericht hat daher zu prüfen, ob der erste Klagegrund, den die Klägerin geltend macht, geeignet ist, ihr einen Vorteil im Sinne der oben in Randnr. 41 angeführten Rechtsprechung zu verschaffen.

43      Erstens ist, soweit es den Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung verhängten Geldbuße betrifft, zunächst darauf hinzuweisen, dass diese Geldbuße sich auf 22 700 000 Euro beläuft und der Klägerin und Elf Aquitaine als Gesamtschuldnern auferlegt worden ist. Sodann ist der Betrag dieser Geldbuße, wie sich aus den Erwägungsgründen 510 und 521 bis 523 der angefochtenen Entscheidung ergibt, deren Inhalt oben in Randnr. 18 zusammengefasst wurde, nach den Vorschriften der Leitlinien festgesetzt worden und entspricht 19 % des Jahresumsatzes der Klägerin, der wegen der Dauer ihrer Beteiligung an dieser Zuwiderhandlung verfünffacht wurde; er wurde wegen der abschreckenden Wirkung um einen Zusatzbetrag von 19 % des Jahresumsatzes der Klägerin erhöht. Diese Geldbuße wurde, worauf die Kommission in ihren Schriftsätzen hinweist, ohne übrigens Widerspruch seitens der Klägerin zu erfahren, aufgrund des für diese gültigen Zahlenmaterials ermittelt, ohne dass die Kommission bei der Festsetzung des Betrags das Zahlenmaterial für Elf Aquitaine einbezogen hätte.

44      Selbst wenn also das Gericht zu der Feststellung gelangen sollte, dass die Kommission die Haftung für das beanstandete Verhalten des betreffenden Unternehmens zu Unrecht Elf Aquitaine angelastet hätte, hätte zum einen diese Feststellung Auswirkungen weder für die grundsätzliche Auferlegung der in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen die Klägerin wegen ihrer Beteiligung am Kartell verhängten Geldbuße noch für die Bemessung dieser Geldbuße. Zum anderen hätte eine solche Feststellung, wie die Kommission in ihrer Antwort auf Fragen des Gerichts zu Recht bemerkt hat, selbst wenn sie das Gericht dazu führen sollte, die in der angefochtenen Entscheidung gegen Elf Aquitaine verhängten Geldbußen für nichtig zu erklären, lediglich zur Folge, dass die Klägerin alleinige Schuldnerin und nicht Mitschuldnerin der in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung verhängten Geldbuße bliebe.

45      Zweitens ist, soweit es die in Art. 2 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung verhängte Geldbuße betrifft, zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie sich aus den Erwägungsgründen 525 und 526 der angefochtenen Entscheidung ergibt, deren Inhalt oben in Randnr. 19 zusammengefasst wurde, davon ausgegangen ist, dass gemäß Ziff. 28 der Leitlinien der Grundbetrag der gegen die Klägerin und Elf Aquitaine gesamtschuldnerisch verhängten Geldbuße von 22 700 000 Euro um 90 % zu erhöhen sei. Außerdem hat die Kommission aufgrund der Peroxygen-, Polypropylen- und PVC‑Entscheidungen, deren Adressat die Klägerin war, ihr die in Art. 2 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung verhängte Geldbuße von 20 430 000 Euro auferlegt.

46      Selbst wenn also das Gericht zu der Feststellung gelangen sollte, dass die Kommission die Haftung für das beanstandete Verhalten des betreffenden Unternehmens zu Unrecht Elf Aquitaine angelastet hätte, hätte diese Feststellung keine Auswirkungen zum einen für die grundsätzliche Verhängung der Geldbuße von 20 430 000 Euro gegen die Klägerin wegen des Wiederholungsfalls und zum anderen für die Bemessung dieser Geldbuße. Dieser Betrag entspricht nämlich 90 % des Betrags der in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung verhängten Geldbuße, der, wie in Randnr. 43 dieses Urteils festgestellt, ausschließlich aufgrund des für die Klägerin gültigen Zahlenmaterials berechnet worden ist.

47      In dieser Hinsicht ist auch das Vorbringen der Klägerin in ihrer Antwort auf die Fragen des Gerichts in der Sitzung (vgl. Randnr. 40 dieses Urteils) als unerheblich zurückzuweisen. Da nämlich die Klägerin, wie sich aus Art. 1 der Polypropylen-Entscheidung ergibt, Adressat dieser Entscheidung war, auf die die Kommission sich insbesondere gestützt hat, um deren Verhalten als Wiederholungstäter in der angefochtenen Entscheidung festzuhalten, kann eine etwaige Feststellung des Gerichts, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung Elf Aquitaine zu Unrecht geahndet habe, keinerlei Auswirkung auf die grundsätzliche Verhängung der in Art. 2 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung festgelegten Geldbuße gegen die Klägerin oder auf deren Bemessung haben.

48      Demgemäß ist davon auszugehen, dass der erste von der Klägerin geltend gemachte Klagegrund ihr keinen Vorteil im Sinne der oben in Randnr. 41 angeführten Rechtsprechung verschaffen kann.

49      Somit ist dem zweiten Unzulässigkeitsgrund, den die Kommission geltend gemacht hat, stattzugeben und der erste von der Klägerin vorgebrachte Klagegrund als unzulässig zurückzuweisen.

2.     Zur Begründetheit

a)     Zum zweiten Klagegrund: Rechtsfehler bei der Erhöhung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wegen Tatwiederholung

50      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe zu Unrecht den Grundbetrag der gegen sie verhängten Geldbuße wegen Tatwiederholung um 90 % erhöht. Dieser Klagegrund gliedert sich in drei Teile.

 Zum ersten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Verteidigungsrechte und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wegen der Berücksichtigung der Peroxygen-Entscheidung als Wiederholungsfall in der angefochtenen Entscheidung

–       Vorbringen der Parteien

51      Erstes bringt die Klägerin vor, die Kommission habe ihre Verteidigungsrechte verletzt, weil sie die Peroxygen-Entscheidung zur Begründung der Wiederholung herangezogen habe, obwohl sie diese in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erwähnt habe. Auch wenn sie nicht bestreite, dass nach dem Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission (T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnrn. 56 und 57, im Folgenden: Danone-Urteil des Gerichts), die Kommission die Möglichkeit habe, in der endgültigen Entscheidung den erschwerenden Umstand des Wiederholungsfalls zu berücksichtigen, ohne ihn vorher in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu nennen, sei sie doch der Meinung, dass die Kommission, wenn sie sich entschieden habe, in dieser Mitteilung Entscheidungen gegen die Klägerin anzuführen, auf die sie sich wegen des Wiederholungsfalls stützen wolle, sich in der angefochtenen Entscheidung nicht auf die Peroxygen-Entscheidung habe stützen können. Die Kommission habe nämlich, als sie in Fn. 361 der Mitteilung der Beschwerdepunkte nur die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung angeführt habe, die Klägerin im Hinblick auf die Tragweite des erschwerenden Umstands irregeführt, den sie am Ende in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt habe, und sie damit zum Zeitpunkt dieser Mitteilung gehindert, sich zu den elf Jahren zu äußern, die zwischen dem Erlass der Peroxygen-Entscheidung und dem Beginn der in der angefochtenen Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlung verflossen seien.

52      Zweitens habe die Kommission den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, weil sie in der angefochtenen Entscheidung die Peroxygen-Entscheidung als Wiederholungsfall berücksichtigt habe. Die Zeitspanne, die zwischen dem Erlass der Peroxygen-Entscheidung und dem Beginn der in der angefochtenen Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlung verstrichen sei, müsse offensichtlich als zu lang angesehen werden. Der Entscheidungspraxis der Kommission und dem Urteil des Gerichtshofs vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission (C‑3/06 P, Slg. 2007, I‑1331, Randnr. 39, im Folgenden: Danone-Urteil des Gerichtshofs), sei zu entnehmen, dass eine Zeitspanne von mehr als zehn Jahren, die zwischen der Feststellung einer ersten und der Begehung einer zweiten Zuwiderhandlung verstrichen sei, nicht den Schluss zulasse, dass ein Unternehmen eine Neigung aufweise, sich den Wettbewerbsregeln zu entziehen. Die Berücksichtigung der Peroxygen-Entscheidung in der angefochtenen Entscheidung sei umso unverhältnismäßiger, als sie sich auf Tatsachen beziehe, die mehr als 30 Jahre zurücklägen. Im Übrigen sei darauf zu verweisen, dass zwischen dem Ende der in der PVC‑Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlung und dem Erlass dieser Entscheidung sieben Jahre verstrichen seien.

53      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

54      Erstens ist zur Rüge der Klägerin, ihre Verteidigungsrechte seien verletzt worden, weil die Kommission die Peroxygen-Entscheidung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erwähnt habe, zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Kommission, sobald sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hingewiesen hat, sie werde prüfen, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen zu verhängen seien, und auch die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte angeführt hat wie z. B. die Schwere und die Dauer der angenommenen Zuwiderhandlung sowie den Umstand, dass diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden sei, die ihr insoweit obliegenden Verpflichtungen zur Anhörung der Parteien erfüllt hat; sie hat gegenüber den Unternehmen die Angaben gemacht, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 21).

55      Der Anhörungsanspruch der betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission wird somit, was die Bemessung der Geldbuße angeht, durch die Ermöglichung ihrer Stellungnahme zu Dauer, Schwere und Erkennbarkeit der Wettbewerbswidrigkeit der Zuwiderhandlung gewahrt. Außerdem verfügen die Unternehmen bezüglich der Bemessung der Geldbußen über eine zusätzliche Garantie, weil das Gericht mit der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung entscheidet und u. a. die Geldbuße gemäß Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 aufheben oder herabsetzen kann (Danone-Urteil des Gerichts, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Was schließlich insbesondere den erschwerenden Umstand der Wiederholungstat betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass zum einen nach der Rechtsprechung allein aus dem Umstand, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis bestimmte Gesichtspunkte bei der Bemessung der Geldbuße nicht als erschwerende Umstände angesehen hat, nicht abgeleitet werden kann, dass sie verpflichtet wäre, in einer späteren Entscheidung ebenso zu verfahren. Die einem Unternehmen in einer anderen Sache eingeräumte Möglichkeit, zu der ihm gegenüber beabsichtigten Feststellung einer Tatwiederholung Stellung zu nehmen, bedeutet keineswegs, dass die Kommission verpflichtet wäre, in jedem Fall so zu verfahren, und auch nicht, dass die Klägerin in Ermangelung einer derartigen Möglichkeit daran gehindert wäre, ihr Anhörungsrecht in vollem Maße auszuüben (vgl. Danone-Urteil des Gerichts, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission, wie in ihren Schriftsätzen dargelegt, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte mitgeteilt hat, dass sie gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen verhängen wolle (vgl. Randnr. 345 dieser Mitteilung) und sie dabei nach den Leitlinien Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigen werde (vgl. Randnr. 346 dieser Mitteilung). Die Kommission hat ferner erklärt, dass sie etwaige mildernde Umstände wie die in Ziff. 28 der Leitlinien sowie etwaige erschwerende Umstände wie die in Ziff. 29 der Leitlinien genannten, die ausdrücklich den Wiederholungsfall erwähnen, berücksichtigen werde (vgl. Randnr. 350 dieser Mitteilung). Schließlich hat die Kommission erwähnt, dass gegen bestimmte der betreffenden Unternehmen „bereits Entscheidungen über eine ähnliche Zuwiderhandlung“ ergangen seien (vgl. Randnr. 351 dieser Mitteilung), was sie im Fall der Klägerin durch den Hinweis auf die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung verdeutlicht hat (vgl. Fn. 361 dieser Mitteilung).

58      Somit hat die Kommission auf der Grundlage der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeführten Angaben, die oben in Randnr. 57 wiedergegeben sind, nach Maßgabe der in den Randnrn. 54 bis 56 dieses Urteils angeführten Rechtsprechung in der angefochtenen Entscheidung den erschwerenden Umstand der Wiederholungstat festgehalten, ohne damit die Verteidigungsrechte der Klägerin zu verletzen.

59      Insoweit ist das Vorbringen der Klägerin, ihre Verteidigungsrechte seien verletzt worden, weil die Kommission sie zum einen bezüglich der Tragweite des erschwerenden Umstands, den sie in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt habe, irregeführt und sie damit zum Zeitpunkt dieser Mitteilung gehindert habe, sich zu den elf Jahren zu äußern, die zwischen dem Erlass der Peroxygen-Entscheidung und dem Beginn der Beteiligung der Klägerin an der in der angefochtenen Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlung verflossen sei, als unbegründet zurückzuweisen.

60      Zum einen konnte nämlich, da die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ihre Absicht bekannt gegeben hatte, den erschwerenden Umstand der Tatwiederholung insbesondere gegenüber der Klägerin zu berücksichtigen, und in keiner Weise angedeutet hatte, dass sie sich in dieser Richtung nur auf die in der Fn. 361 dieser Mitteilung angeführte Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung stützen werde, die Klägerin nicht ausschließen, dass die Kommission diesen erschwerenden Umstand aufgrund jeder früheren Entscheidung, die wie etwa die Peroxygen-Entscheidung eine Tatwiederholung belegen könnte, heranziehen würde.

61      Zum anderen reicht auf jeden Fall, da die Kommission nach der oben in Randnr. 56 angeführten Rechtsprechung nicht verpflichtet war, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Entscheidungen anzugeben, die gegen die Klägerin wegen ihrer Beteiligung an Kartellen ergangen waren und auf die sie sich zu stützen gedachte, um in der angefochtenen Entscheidung eine Tatwiederholung festzustellen, nur die fehlende Erwähnung der Peroxygen-Entscheidung nicht aus, um sie an der Ausübung ihres Rechts auf umfassende Anhörung gehindert und sie bezüglich der Tragweite des erschwerenden Umstands, den die Kommission in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt hat, irregeführt zu haben.

62      Mithin ist festzustellen, dass die Verteidigungsrechte der Klägerin entgegen ihrem Vorbringen nicht beeinträchtigt worden sind.

63      Zweitens ist, was die Rüge der Klägerin angeht, die Kommission habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, weil sie die Peroxygen-Entscheidung bei der Frage der Tatwiederholung herangezogen habe, zunächst darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach der Rechtsprechung verlangt, dass die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich ist. Bei der Festsetzung von Geldbußen ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand von zahlreichen Gesichtspunkten zu ermitteln, von denen keinem gegenüber den anderen Beurteilungsgesichtspunkten unverhältnismäßiges Gewicht beizumessen ist. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt in diesem Zusammenhang, dass die Kommission die Geldbuße verhältnismäßig nach den Faktoren festsetzen muss, die sie für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat, und dass sie diese Faktoren dabei schlüssig und objektiv gerechtfertigt bewerten muss (vgl. Urteile des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnrn. 226 bis 228 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 28. April 2010, Gütermann und Zwicky/Kommission, T‑456/05 und T‑457/05, Slg. 2010, II‑0000, Randnr. 264).

64      Darüber hinaus verfügt die Kommission über ein Ermessen bei der Wahl der bei der Bemessung der Geldbußen zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Sache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (vgl. Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Ferner ist zu unterstreichen, dass das Ermessen der Kommission sich auch auf die Feststellung und die Beurteilung der besonderen Merkmale einer Tatwiederholung erstreckt und die Kommission für eine solche Feststellung nicht an eine Verjährungsfrist gebunden ist (Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnr. 38, und Urteil des Gerichts vom 30. September 2009, Hoechst/Kommission, T‑161/05, Slg. 2009, II‑3555, Randnr. 141).

66      Die Wiederholung von Zuwiderhandlungen stellt nämlich einen wichtigen Gesichtspunkt dar, den die Kommission zu prüfen hat, da mit dessen Berücksichtigung der Zweck verfolgt wird, Unternehmen, die bereits eine Neigung zur Verletzung der Wettbewerbsregeln gezeigt haben, zur Änderung ihres Verhaltens zu veranlassen. Die Kommission kann daher in jedem Einzelfall die Anhaltspunkte berücksichtigen, die eine solche Neigung bestätigen, einschließlich z. B. des zwischen den betreffenden Verstößen verstrichenen Zeitraums (Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnrn. 37 bis 39, und Urteil Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnr. 141).

67      Der Gerichtshof ist etwa davon ausgegangen, dass die wiederholte Zuwiderhandlung eines Unternehmens gegen die Wettbewerbsregeln innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne von weniger als zehn Jahren von dessen Neigung zeuge, aus der Feststellung einer von ihm begangenen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln nicht die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnr. 40).

68      Aus der in den Randnrn. 63 bis 67 angeführten Rechtsprechung ergibt sich somit, dass zwar der Feststellung einer Tatwiederholung durch die Kommission keine Verjährungsfrist entgegensteht, diese jedoch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine oder mehrere frühere Entscheidungen, mit der ein Unternehmen geahndet wird, nicht zeitlich unbegrenzt berücksichtigen darf.

69      Im vorliegenden Fall ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Klägerin weder während des Verwaltungsverfahrens noch vor dem Gericht das Schlussergebnis der Kommission in Art. 1 Buchst. e der angefochtenen Entscheidung in Zweifel gezogen hat, dass sie vom 17. Mai 1995 bis zum 9. Februar 2000 an dem Kartell beteiligt gewesen sei.

70      Zum anderen bestreitet die Klägerin weder den Zeitpunkt der Entscheidungen, mit denen die Kommission früher ihre Beteiligung an Kartellen geahndet hat, noch die Zeiträume, in denen sie an Kartellen beteiligt war, die die Kommission zuvor geahndet hat. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission in der Peroxygen-Entscheidung festgestellt hat, dass die Zuwiderhandlung von 1961 bis zum 13. Dezember 1980 gedauert hat (Art. 1 dieser Entscheidung). Sodann hat die Kommission in der Polypropylen-Entscheidung festgehalten, dass die Zuwiderhandlung vom Monat November 1977 bis zum Ende des Jahres 1982 oder bis zum Beginn des Jahres 1983 gedauert habe (Art. 1 erster Gedankenstrich dieser Entscheidung). Schließlich hat die Kommission in der PVC‑Entscheidung festgestellt, dass die Zuwiderhandlung von August 1980 bis zum Monat Mai 1984 begangen worden sei (Erwägungsgründe 8 und 54 dieser Entscheidung).

71      Aus den Feststellungen in den Randnrn. 69 und 70 dieses Urteils folgt somit, dass die Klägerin mit ihrer ständigen Beteiligung an Kartellen von 1961 bis Mai 1984, für die sie zunächst 1984, dann 1986 und schließlich 1994 geahndet wurde, gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen und trotz dieser Reihe von Entscheidungen ihr beanstandetes Verhalten durch Beteiligung an einem neuen Kartell fortgesetzt hat, das für die Zeit vom 17. Mai 1995 bis zum 9. Februar 2000 mit der angefochtenen Entscheidung geahndet wurde.

72      Die Kommission hat daher zu Recht die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung einbezogen, um die Tatwiederholung der Klägerin festzustellen, da diese Reihe von Entscheidungen, die in kurzen Zwischenräumen erlassen wurden und deren letzte ein Jahr vor ihrer erneuten Beteiligung an der mit der angefochtenen Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlung erlassen wurde, für ihre Neigung zeugen, sich von den Wettbewerbsregeln zu lösen. Die Kommission hat daher, als sie diese Reihe von Entscheidungen bei der Würdigung der Tatwiederholung durch die Klägerin berücksichtigt hat, nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

73      Das Vorbringen der Klägerin schließlich, dass sich erstens aus dem Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt (Randnr. 40), ergebe, dass die Kommission bei der Frage der Tatwiederholung nicht die Peroxygen-Entscheidung berücksichtigen dürfe, weil eine zu große Zeitspanne, nämlich elf Jahre, zwischen dem Erlass dieser Entscheidung und dem Beginn der in der angefochtenen Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlung verstrichen sei, dass zweitens die Peroxygen-Entscheidung Tatsachen betreffe, die mehr als 30 Jahre zurücklägen, und dass drittens sieben Jahre seit dem Ende der mit der PVC‑Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlung und dem Erlass der vorgenannten Entscheidung vergangen seien, ist insgesamt als unerheblich zurückzuweisen. Dieses Vorbringen stellt nämlich auf jeden Fall nicht die Schlussfolgerung in Randnr. 72 dieses Urteils in Frage.

74      Daher ist die Rüge der Klägerin, die Kommission habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, indem sie bei der Frage der Tatwiederholung die Peroxygen-Entscheidung einbezogen habe, und somit der erste Teil dieses Klagegrundes insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze ne bis in idem und der Verhältnismäßigkeit, weil die Kommission bei der Frage der Tatwiederholung bereits die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung in vier anderen Entscheidungen gegen die Klägerin herangezogen habe

–       Vorbringen der Parteien

75      Die Klägerin bringt erstens vor, die Kommission habe den Grundsatz ne bis in idem verletzt, dem zufolge nach der Rechtsprechung eine verurteilte Person für die gleiche Tat nicht nochmals verfolgt oder verurteilt werden dürfe. Im vorliegenden Fall hätte die Kommission erkennen müssen, dass sie die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC-Entscheidung bereits in vier Entscheidungen berücksichtigt habe, die sie zwischen 2003 und 2006 erlassen und mit denen sie die Klägerin geahndet habe (im Folgenden: vier Entscheidungen zwischen 2003 und 2006). Diese Entscheidungen seien die Entscheidung K(2003) 4570 endg. vom 10. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR (Sache COMP/E-2/37.857 – Organische Peroxyde) samt Berichtigung K(2004) 4 (im Folgenden: Entscheidung organische Peroxyde), die Entscheidung K(2004) 4876 vom 19. Januar 2005 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR (Sache COMP/E‑1/37.773 – AMCA), die Entscheidung K(2006) 1766 vom 3. Mai 2006 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR (Sache COMP/F/C.38.620 – Hydrogen- und Perborat-Peroxyd) (im Folgenden: Hydrogen-Peroxyd-Entscheidung) und die Entscheidung K(2006) 2098 endg. vom 31. Mai 2006 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR (Sache COMP/F/38.645 – Methacrylate) (im Folgenden: Methacrylat-Entscheidung). Die Klägerin ist kurz gesagt der Meinung, dass eine Entscheidung, in der die Kommission eine frühere Zuwiderhandlung als Tatwiederholung behandelt habe, dieser verbiete, die gleiche Zuwiderhandlung in einer neuen Entscheidung als erschwerenden Umstand der Tatwiederholung zu berücksichtigen.

76      Zweitens macht die Klägerin geltend, die Kommission habe, indem sie eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung in fünf verschiedenen Sachen auf der Grundlage der gleichen Fakten vorgenommen habe, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Diese Erhöhung sei nämlich für die Zwecke der Abschreckung unnütz und unverhältnismäßig.

77      Zum einen wäre die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung in der angefochtenen Entscheidung nur sinnvoll gewesen, wenn die beanstandeten Verhaltensweisen zeitlich später gelegen hätten als die Verhaltensweisen, die Anlass für die vier Entscheidungen zwischen 2003 und 2006 gewesen seien, und diese nicht begleitet hätten. Da nämlich die in den vier Entscheidungen zwischen 2003 und 2006 geahndeten Zuwiderhandlungen mit den in der angefochtenen Entscheidung geahndeten Verhaltensweisen zeitlich zusammengetroffen seien, habe die Klägerin keine Möglichkeit gehabt, ihr Verhalten auf dem Markt für Natriumchlorat anzupassen.

78      Zum anderen hätte eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung in Höhe von 50 % des Grundbetrags der Geldbuße dem mit der angefochtenen Entscheidung verfolgten Zweck der Abschreckung vollauf genügt.

79      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

80      Erstens ist zur Rüge der Klägerin, die Kommission habe gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen, weil sie die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung zum einen in den vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 und zum anderen in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt habe, darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz ne bis in idem, bei dem es sich um einen auch in Art. 50 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1) verankerten tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt, im Bereich des Wettbewerbsrechts verbietet, dass ein Unternehmen wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens, wegen dem es in einer früheren, nicht mehr anfechtbaren Entscheidung mit einer Sanktion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, erneut verurteilt oder verfolgt wird (Urteile des Gerichtshofs vom 5. Mai 1966, Gutmann/Kommission, 18/65 und 35/65, Slg. 1966, 154, 178 f., und vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnr. 59; Danone-Urteil des Gerichts, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 184).

81      Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem hängt von der dreifachen Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004 in den Rechtssachen C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Aalborg Portland u. a./Kommission, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 338, und Danone-Urteil des Gerichts, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 185).

82      Im vorliegenden Fall ist zum einen darauf hinzuweisen, dass, weil die Berücksichtigung früherer Zuwiderhandlungen in der angefochtenen Entscheidung durch die Kommission nicht diese Zuwiderhandlungen erneut ahnden, sondern lediglich die Klägerin in der angefochtenen Entscheidung wegen ihrer Beteiligung an dem Kartell unter Berücksichtigung ihres Verhaltens als Wiederholungstäter ahnden soll, die Berücksichtigung der gleichen Zuwiderhandlungen in den vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 durch die Kommission keine Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem darstellt.

83      Zum anderen ist darauf zu verweisen, dass die kumulativen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Grundsatzes ne bis in idem, wie oben in Randnr. 81 dargestellt, nicht erfüllt sind, weil es an dem Erfordernis der Identität des Sachverhalts fehlt. In der angefochtenen Entscheidung ahndet nämlich die Kommission die Klägerin wegen ihrer Beteiligung an dem Kartell, wegen der sie zuvor weder Untersuchungen angestrengt noch Sanktionen ausgesprochen hatte, was die Klägerin im Übrigen auch nicht behauptet.

84      Die Kommission hat daher durch die Einbeziehung der Peroxygen-, der Polypropylen- und der PVC‑Entscheidung zur Feststellung der Tatwiederholung der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung nicht den Grundsatz ne bis in idem verletzt, selbst wenn sie diese drei ersten Entscheidungen in den vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 bereits berücksichtigt hatte.

85      Daher ist diese Rüge der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

86      Zweitens ist, soweit die Klägerin geltend macht, die Kommission habe dadurch, dass sie in der angefochtenen Entscheidung eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung vorgenommen habe, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, ihr Vorbringen, der Abschreckungszweck sei bereits dadurch erreicht worden, dass in den vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung berücksichtigt worden seien, als unbegründet zurückzuweisen.

87      Da nämlich ein etwaiger Wiederholungsfall zu den Gesichtspunkten zählt, die bei der Prüfung der Schwere der betreffenden Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind (Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnr. 26), hindert es zum einen die Kommission, selbst wenn sie in den vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung bereits berücksichtigt hatte, keineswegs, die drei letztgenannten Entscheidungen in der angefochtenen Entscheidung mit gutem Grund einzusetzen, um die Klägerin davon abzubringen, ihre Zuwiderhandlungen in Zukunft fortzusetzen.

88      Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass es dem Abschreckungszweck widerspräche, wenn die Kommission in Rechnung stellen würde, dass sie in einer früheren Entscheidung eine erste Zuwiderhandlung als Tatwiederholung behandelt hätte, um dann in einer späteren Entscheidung eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße auf der Grundlage der besagten Entscheidung auszuschließen. Eine solche Lösung würde nämlich dazu führen, dass ein wiederholt rückfälliges Unternehmen nicht erwarten müsste, den Betrag der ihm auferlegten Geldbuße progressiv mit der Anzahl der von ihm begangenen Zuwiderhandlungen ansteigen zu sehen, sondern im Gegenteil darauf zählen könnte, dass der marginale Wert der Geldbuße, die gegen es verhängt werden könnte, progressiv mit der Anzahl der gegen es ergehenden Entscheidungen abnähme, was unter dem Blickwinkel des Abschreckungszwecks der Geldbuße kontraproduktiv wäre.

89      Als unerheblich zurückzuweisen ist zweitens das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch verletzt, dass sie ihr eine neue Erhöhung wegen Tatwiederholung auferlegt habe, obwohl die vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 Verhaltensweisen betroffen hätten, die zeitgleich mit denen der angefochtenen Entscheidungen gewesen seien, und dass dies ihr keine Möglichkeit gelassen habe, ihr Verhalten auf dem Markt für Natriumchlorat anzupassen. Es ist nämlich im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, dass die vier Entscheidung von 2003 bis 2006 Verhaltensweisen betrafen, die zeitgleich mit denen der angefochtenen Entscheidung waren, weil sich die Kommission ausschließlich auf die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung, deren Erlass, wie die Klägerin nicht bestreitet, vor dem Beginn der in der angefochtenen Entscheidung geahndeten Verhaltensweise lag, gestützt hat, um in dieser die Tatwiederholung der Klägerin festzustellen.

90      Demzufolge ist die Rüge der Klägerin, dass die Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie oben in Randnr. 63 definiert, verstoßen habe, und damit auch der zweite Teil dieses Klagegrundes insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der ordnungemäßen Verwaltung wegen der Erhöhung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße um 90 % wegen Tatwiederholung

–       Vorbringen der Parteien

91      Die Klägerin macht hilfsweise geltend, die Kommission hätte, selbst wenn sie in der angefochtenen Entscheidung den Grundbetrag der Geldbuße wegen Wiederholung mit gutem Grund erhöht hätte, mit der Festlegung des Satzes dieser Erhöhung auf 90 % gleichwohl gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen.

92      Zuallererst rechtfertige im vorliegenden Fall nichts eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung um 90 %, zumal sich diese Erhöhung in den vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 nur auf 50 % belaufen habe. Das Gericht müsse folglich im vorliegenden Fall die Erhöhung auf 50 % herabsetzen.

93      Außerdem sei eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung um 90 % insoweit unverhältnismäßig, als Elf Aquitaine in der angefochtenen Entscheidung als Abschreckung ebenfalls eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 70 % auferlegt worden sei.

94      Schließlich bemerkt die Klägerin, dass ihr zwar der Ermessensspielraum, der der Kommission bei der Festlegung der Geldbußen zustehe, und auch die Strenge der Leitlinien nicht unbekannt seien, dass jedoch die in der Entscheidung Organische Peroxyde und Methacrylat geahndeten Zuwiderhandlungen zeitgleich mit der in der angefochtenen Entscheidung geahndeten erfolgt seien: Außerdem sei die Anwendung der Leitlinien, die eine Verschärfung der Geldbuße bei Tatwiederholung vorsähen, nur eine Folge der außergewöhnlich langen Zeitspanne, die die Kommission für die Untersuchung dieser Sache gebraucht habe. Es sei aber nicht ihre Sache, die abträglichen Folgen fehlender Umsicht zu tragen, die die Kommission bei der Untersuchung dieser Sache an den Tag gelegt habe.

95      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

96      Zur Rüge der Klägerin, die Kommission habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, weil die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung um 90 % im vorliegenden Fall unverhältnismäßig sei, ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Kommission gemäß Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die gegen Artikel 81 des Vertrags verstoßen haben, durch Entscheidung Geldbußen verhängen und dabei sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer berücksichtigen kann.

97      Außerdem ist in Ziff. 28 erster Gedankenstrich der Leitlinien Folgendes festgelegt:

„Der Grundbetrag der Geldbuße kann erhöht werden, wenn die Kommission erschwerende Umstände wie beispielsweise die nachstehend aufgeführten feststellt:

–        Fortsetzung einer Zuwiderhandlung oder erneutes Begehen einer gleichartigen oder ähnlichen Zuwiderhandlung, nachdem die Kommission oder eine einzelstaatliche Wettbewerbsbehörde festgestellt hat, dass das Unternehmen gegen Artikel 81 oder Artikel 82 verstoßen hatte; in diesem Fall wird der Grundbetrag für jeden festgestellten Verstoß um bis zu 100 % erhöht …“.

98      Sodann ist festzuhalten, dass Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung eines Wiederholungsfalls bei der Bemessung der Geldbuße darstellt (vgl. ähnlich Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnrn. 27 bis 29).

99      Außerdem schaffen die Leitlinien, die die Kommission für die Bemessung der Geldbußen aufstellt, Rechtssicherheit für die Unternehmen, da sie eine Regelung des Verfahrens enthalten, das sich die Kommission zur Festsetzung der Geldbußen auferlegt hat (vgl. in diesem Sinne Danone-Urteil des Gerichtshofs, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnr. 23). Die Verwaltung kann von ihnen im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind (Urteil des Gerichtshofs vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, C‑397/03 P, Slg. 2006, I‑4429, Randnr. 91).

100    Im Übrigen bildet nach der Rechtsprechung die frühere Entscheidungspraxis der Kommission selbst nicht den rechtlichen Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen (Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Michelin/Kommission, T‑203/01, Slg. 2003, II‑4071, Randnr. 292). Die Kommission verfügt bei der Festsetzung der Geldbuße über ein weites Ermessen und ist bei dessen Ausübung nicht an frühere eigene Beurteilungen gebunden (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 24. September 2009, Erste Group Bank u. a./Kommission, C‑125/07 P, C‑133/07 P, C‑135/07 P, Slg. 2009, I‑8681, Randnr. 122 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieses weite Ermessen soll es ihr ermöglichen, die Unternehmen dazu anzuhalten, die Wettbewerbsregeln einzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Randnr. 216). Sie muss dabei keine genauen mathematischen Formeln anwenden (Urteil Michelin/Kommission, oben in dieser Randnr. angeführt, Randnr. 292).

101    Außerdem ist die Kommission dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der durch die Verordnung Nr. 1/2003 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Vielmehr verlangt die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft, dass die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 169, und Danone-Urteil des Gerichts, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 395).

102    Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass die Kommission bei der Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung mit einem Satz von 90 % auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und im Einklang mit Ziff. 28 erster Gedankenstrich der Leitlinien vorgegangen ist, was die Klägerin nicht in Abrede stellt. Außerdem schränkt es entgegen deren Vorbringen und entsprechend der oben in den Randnrn. 100 und 101 angeführten Rechtsprechung den Ermessensspielraum der Kommission bei der Festlegung des Satzes der Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße in der angefochtenen Entscheidung nicht ein, dass sie in früheren Entscheidungen eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 50 % gegen die Klägerin verhängt hat.

103    Zum anderen bringt die Klägerin nichts vor, was geeignet wäre, zu belegen, dass die Kommission, berücksichtigt man die Umstände des Falles, die eine starke Neigung der Klägerin zur Außerachtlassung der Wettbewerbsregeln erkennen lassen, hier ihr Ermessen überschritten hätte, indem sie den Grundbetrag der Geldbuße um 90 % erhöhte.

104    Die Klägerin hat daher nicht schlüssig darlegen können, dass die Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er oben in Randnr. 63 definiert wurde, verstoßen hätte, indem sie den Grundbetrag der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wegen Tatwiederholung um 90 % erhöhte.

105    Im Übrigen ist, soweit die Klägerin geltend macht, dass eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung um 90 % insoweit unverhältnismäßig sei, als Elf Aquitaine als Abschreckung eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 70 % auferlegt worden sei, dieses Vorbringen als unwirksam zurückzuweisen.

106    Zunächst ist nämlich darauf hinzuweisen, dass, weil die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 70 %, wie feststeht, nicht gegen die Klägerin, sondern gegen Elf Aquitaine ausgesprochen wurde, mit der sie zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung kein einheitliches Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG mehr bildete, diese Erhöhung nicht bei der Prüfung berücksichtigt werden kann, ob die allein gegen die Klägerin wegen Tatwiederholung verhängte Geldbuße unverhältnismäßig ist. Da nämlich, wenn die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße, die der Klägerin in Art. 2 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung auferlegt wurde, durch das zusätzliche Bedürfnis ihrer Abschreckung wegen ihrer Neigung zur Außerachtlassung der Wettbewerbsregeln gerechtfertigt war, entspricht die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße, die in Art. 2 Buchst. e dieser Entscheidung gegen Elf Aquitaine ausgesprochen wurde, der Notwendigkeit, eine abschreckende Wirkung der gegen diese verhängten Geldbuße zu sichern, wenn man berücksichtigt, dass diese wegen ihres im Verhältnis zu den übrigen Kartellmitgliedern eindeutig höheren Gesamtumsatzes eher in der Lage war, die für die Zahlung ihrer Geldbuße erforderlichen Mittel aufzubringen.

107    Somit ist die von der Klägerin erhobene Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Teil als unbegründet und zum Teil als unerheblich zurückzuweisen.

108    Zweitens ist zur Rüge der Klägerin, die Kommission habe gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, weil sie in der angefochtenen Entscheidung für sie keinen anderen Erhöhungssatz für die Geldbuße als 50 % hätte anwenden dürfen, den sie in den vier Entscheidungen von 2003 bis 2006 gegen sie herangezogen habe, darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz nach der Rechtsprechung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C‑303/05, Slg. 2007, I‑3633, Randnr. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

109    Im vorliegenden Fall bedeutet allein der Umstand, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis einen bestimmten Erhöhungssatz für den Grundbetrag der Geldbuße herangezogen hat, nach der in den Randnrn. 100 und 101 dieses Urteils angeführten Rechtsprechung nicht, dass sie bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls daran gehindert wäre, diesen Satz in der angefochtenen Entscheidung in den von ihr selbst gezogenen Grenzen der Leitlinien anzuheben, um die Klägerin anzuhalten, ihr wettbewerbswidriges Verhalten zu ändern.

110    Somit ist die von der Klägerin erhobene Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung durch Heranziehung eines Erhöhungssatzes von 90 % für den Grundbetrag der gegen sie wegen Tatwiederholung verhängten Geldbuße als unbegründet zurückzuweisen.

111    Drittens ist zur Rüge der Klägerin, die Kommission habe mit der Heranziehung eines Erhöhungssatzes von 90 % des Grundbetrags der Geldbuße wegen Tatwiederholung den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verletzt, darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung in den Fällen, in denen die Organe der Union über einen Beurteilungsspielraum verfügen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, der Beachtung der Garantien der Gemeinschaftsrechtsordnung in den Verwaltungsverfahren eine um so grundlegendere Bedeutung zukommt. Zu diesen Garantien gehört insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (Urteile des Gerichtshofs vom 21. November 1991, Technische Universität München, C‑269/90, Slg. 1991, I‑5469, Randnr. 14, Urteile des Gerichts vom 24. Januar 1992, La Cinq/Kommission, T‑44/90, Slg. 1992, II‑1, Randnr. 86, und vom 20. März 2002, ABB Asea Brown Boveri/Kommission, T‑31/99, Slg. 2002, II‑1881, Randnr. 99).

112    Im vorliegenden Fall ist zu unterstreichen, dass, wie sich aus den Erwägungsgründen 525 bis 527 der angefochtenen Entscheidung ergibt, die Kommission, die nach der oben in Randnr. 100 angeführten Rechtsprechung nicht verpflichtet ist, bei der Festsetzung der Geldbußen genaue mathematische Formeln anzuwenden, zu Recht davon ausgegangen ist, dass ein höherer Satz für die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße anzusetzen sei, weil „die ersten [gegen die Klägerin verhängten] Geldbußen [diese] nicht zu einer Verhaltensänderung veranlasst haben“ (Erwägungsgrund 525 der angefochtenen Entscheidung). Außerdem bringt die Klägerin weder Tatsachen noch Beweise vor, die ihre Behauptung stützen könnten, die Kommission habe die Umstände des Falles nicht so sorgsam und unparteiisch geprüft, dass es gerechtfertigt wäre, ihr in Anbetracht ihrer starken Neigung zur Außerachtlassung der Wettbewerbsregeln einen Erhöhungssatz von 90 % auf den Grundbetrag der Geldbuße aufzuerlegen.

113    Somit hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die Kommission im vorliegenden Fall den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verletzt hat.

114    In dieser Hinsicht ist das Vorbringen der Klägerin, es sei nicht ihre Sache, die abträglichen Folgen fehlender Umsicht zu tragen, die die Kommission bei der Untersuchung dieser Sache an den Tag gelegt und die sie dazu gebracht habe, auf diesen Fall die Leitlinien anzuwenden, die im Kern bei Tatwiederholung eine schwere Verschärfung der Geldbuße vorsähen, als unbegründet zurückzuweisen. Zum einen nämlich bringt die Klägerin weder Tatsachen noch Beweise vor, die belegen könnten, dass die Kommission diesen Vorgang nicht mit vernünftigem Zeitaufwand untersucht hätte. Zum anderen kann der Kommission, da die wirksame Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln voraussetzt, dass sie das Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen ihrer Politik anpassen kann (vgl. Danone-Urteil des Gerichts, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung), nicht vorgeworfen werden, dass sie sich bei der Festlegung des Erhöhungssatzes für den Grundbetrag der Geldbuße bei Tatwiederholung auf die Leitlinien gestützt hat, deren Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall die Klägerin nicht in Abrede stellt.

115    Demnach ist die dritte Rüge der Klägerin und damit der zweite Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

b)     Zum dritten Klagegrund: Weigerung, der Klägerin eine Ermäßigung der Geldbuße nach der Kronzeugenregelung von 2002 zu gewähren

 Vorbringen der Parteien

116    Die Klägerin macht im Kern geltend, der Kommission sei ein Fehler unterlaufen, weil sie ihr keine Ermäßigung der Geldbuße um 30 % bis 50 % nach der Kronzeugenregelung von 2002 bewilligt habe. Zum einen sei sie das zweite Unternehmen gewesen, das der Kommission am 18. Oktober 2004 einen Antrag nach der Kronzeugenregelung eingereicht habe. Zum anderen hätten die gelieferten Hinweise einen erheblichen Mehrwert aufgewiesen, wenn man die Aktenlage der Kommission zu diesem Zeitpunkt berücksichtige. Weiterhin beantragt sie, das Gericht möge ihr aufgrund seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung eine Ermäßigung der gegen sie verhängten Geldbuße von 30 % bis 50 % zubilligen.

117    Die Klägerin weist erstens darauf hin, dass der Ansatz, den die Kommission in der angefochtenen Entscheidung gewählt habe, im Widerspruch zu der streng chronologischen Betrachtung stehe, die sie in der Entscheidung Wasserstoffperoxyd zugrunde gelegt habe. In der letztgenannten Entscheidung habe die Kommission trotz der Kargheit der gelieferten Informationen dem zweiten Unternehmen, das einen Antrag nach der Kronzeugenregelung von 2002 gestellt habe, einen Nachlass von 40 % auf die Geldbuße gewährt.

118    Zweitens bringt die Klägerin vor, die Informationen, die sie der Kommission geliefert habe, hätten es dieser ermöglicht, die Informationen zu untermauern, die nur in dem Antrag auf Kronzeugenbehandlung von EKA zu finden gewesen seien. Die Kommission sei daher in den Randnrn. 565 bis 577 der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, dass die von der Klägerin gelieferten Informationen keinen erheblichen Mehrwert aufgewiesen hätten, weil sie ihr lediglich ermöglicht hätten, Informationen zu bestätigen, die die Kommission bereits besessen habe und die ihr einerseits von EKA in deren Antrag auf Kronzeugenbehandlung und zum anderen in der Antwort von Finnish Chemicals vom 10. September 2004 auf das Auskunftsverlangen der Kommission übermittelt worden seien.

119    Die Klägerin weist erstens darauf hin, dass Finnish Chemicals sich in ihrer Antwort vom 10. September 2004 auf das Auskunftsverlangen der Kommission damit begnügt habe, Fragen zu ihrer Organisation zu beantworten und das Stattfinden der von EKA aufgezählten Sitzungen sowie den Namen der Teilnehmer an diesen Sitzungen zu bestätigen. Finnish Chemicals habe aber weder den Gegenstand dieser Sitzungen klargestellt noch die Informationen von EKA erhärtet, dass es auf dem Markt für Natriumchlorat ein Kartell gebe.

120    Sie weist zweitens darauf hin, dass sie das erste Unternehmen gewesen sei, das die Erklärungen von EKA und insbesondere die folgenden fünf Informationspunkte erhärtet habe. Zunächst habe sie bestätigt, dass zu Beginn der 90er Jahre ein System der Kunden- und Liefermengenaufteilung ins Leben gerufen und Anfang des Jahres 2000 beendet worden sei. Sodann habe sie den mündlichen Antrag auf Kronzeugenbehandlung von EKA untermauert, dem zufolge ein Ausgleichssystem bestanden habe, das bei Feststellung des positiven Abweichens der einem Kartellmitglied zugeteilten Mengen von dessen tatsächlichen Umsätzen den benachteiligten Erzeugern erlaubt hätte, ihre Umsätze im nächsten Jahr zu erhöhen. Außerdem habe sie klargestellt, dass drei Preiserhöhungen erfolgreich gewesen seien. Ferner habe sie zahlreiche Informationen zu dem Konflikt zwischen den Mitgliedern des Kartells bezüglich des Kunden MODO geliefert. Schließlich habe sie angegeben, dass das Kartell im Anschluss an die Verabschiedung von Programmen zur Beachtung des Wettbewerbsrechts im Jahr 2000 beendet worden sei.

121    Zum einen ergebe sich daraus, dass die Informationen der Klägerin der Kommission erlaubt hätten, das von EKA gelieferte Material zu Natur und Dauer des Kartells, seine Arbeitsweise und seine Auswirkung auf den betreffenden Markt, das Finnish Chemicals in ihrer Antwort vom 10. September 2004 auf das Auskunftsverlangen der Kommission nicht bestätigt habe, zu erhärten.

122    Zum anderen habe ihr Beitrag einen erheblichen Mehrwert, weil er es mit der Beschreibung der Zuwiderhandlungen in ähnlichen Worten wie EKA ermöglicht habe, die wesentlichen Züge des Kartells zu untermauern, und die Möglichkeit der Kommission, die Zuwiderhandlung nachzuweisen, verstärkt habe. Für sich genommen habe nämlich der Antrag auf Kronzeugenbehandlung von EKA nur einen beschränkten Beweiswert gehabt, weil, wie diese in ihrem mündlichen Antrag auf Kronzeugenbehandlung eingeräumt habe, das von ihr gelieferte Material nicht stets habe überprüft werden können, so dass es von anderen Mitgliedern des Kartells habe in Zweifel gezogen werden können. Wie die Kommission selbst in mehreren anderen Entscheidungen eingeräumt habe, rechtfertige die bloße Erhärtung von Material, das sich bereits im Besitz der Kommission befinde, eine Ermäßigung der Geldbuße nach der Kronzeugenregelung von 2002.

123    Drittens hätten die Informationen, die sie der Kommission geliefert habe, Licht auf gewisse neue Informationen geworfen, die zuvor nicht in deren Besitz gewesen seien und damit spürbar ihre Möglichkeiten verstärkt hätten, die betreffenden Tatsachen nachzuweisen. Außerdem ergebe sich aus der Rechtsprechung, dass die Kommission nicht bestimmte, von einem Unternehmen vorgelegte Dokumente gegenüber anderen Dokumenten, die ein anderes Unternehmen früher bereitgestellt habe, bevorzugen dürfe und dass die Einschätzung des Mehrwerts der von einem Unternehmen gelieferten Informationen nicht von der Entscheidung der Kommission abhängen dürfe, sie zu benutzen oder nicht.

124    Die Klägerin habe zunächst, worauf sie in den Nrn. 210 und 211 ihrer Stellungnahme zu der Mitteilung der Beschwerdepunkte hingewiesen habe, die Kommission auf ein Dokument aufmerksam gemacht, das in Erwägungsgrund 76 der angefochtenen Entscheidung erwähnt sei und von dem sie keine Kopie aufbewahrt habe; in diesem Dokument seien für jeden gemeinsamen Kunden die Liefermengen festgehalten worden, die jedem der beteiligten Natriumchlorat-Hersteller im Rahmen der Marktaufteilungsabsprache jeweils zugestanden worden seien. Dieses Dokument belege den Strukturierungsgrad des Kartells.

125    Die Klägerin sei sodann in ihrer Stellungnahme zu der Mitteilung der Beschwerdepunkte das erste Unternehmen gewesen, das die Kunden in Kontinentaleuropa genannt habe, die von der Aufteilung der Liefermengen auf die Natriumchlorat-Hersteller betroffen gewesen seien. Diese Information habe es folglich der Kommission ermöglichen können, die geografische Ausdehnung des Kartells zu erfassen, und somit als Grundlage für Auskunftsverlangen dienen können, um so nachzuprüfen, ob die Preiserhöhungen auch wirklich durchgesetzt worden seien. Sie müsse hierzu klarstellen, dass entgegen der Darstellung der Kommission von den neun Kunden, die ihr Vertreter M. L. namhaft gemacht habe, nur zwei zuvor von EKA genannt worden seien.

126    Die Klägerin macht viertens zunächst geltend, schon der Wortlaut der angefochtenen Entscheidung zeige, dass die Kommission sich auf mehrere von ihr gelieferte Informationen gestützt habe, um das Vorliegen der Zuwiderhandlung nachzuweisen und eine gewisse Reihe von Informationen, die aus anderen Quellen stammten, zu bestätigen. Sie verweist insoweit auf die Erwägungsgründe 76, 98, 207, 254, 273 und 284 der angefochtenen Entscheidung sowie auf deren Fn. 116, 118, 142, 259, 305, 325 und 337.

127    Sodann behandele Erwägungsgrund 254 der angefochtenen Entscheidung entgegen der Darstellung der Kommission nicht eine angebliche Sitzung vom Frühjahr 2000, deren Stattfinden nicht zu erhärten gewesen sei, sondern eine Sitzung von 1999 mit Finnish Chemicals, in deren Verlauf diese erklärt habe, „[sie sei] der alleinige Lieferant [des Kunden] MODO [im Anschluss an eine] Vereinbarung zwischen ihrem Mutterhaus und MODO, womit für ihre Kunden die bestehende Vereinbarung zwischen EKA, Finnish Chemicals und [der Klägerin] aufgehoben sei“.

128    Die Kommission widerspricht dem Vorbringen der Klägerin.

 Würdigung durch das Gericht

129    In der Kronzeugenregelung von 2002 hat die Kommission die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit ihr zusammenarbeiten, entweder von der Geldbuße befreit werden können oder ihnen eine Herabsetzung der Buße gewährt werden kann, die sie sonst hätten entrichten müssen.

130    Gemäß Randnr. 20 der Kronzeugenregelung von 2002 kann „Unternehmen, die die Voraussetzungen [für einen Erlass der Geldbuße] nicht erfüllen, … eine Ermäßigung der Geldbuße gewährt werden, die andernfalls verhängt worden wäre.“

131    Randnr. 21 der Kronzeugenregelung von 2002 bestimmt, dass ein Unternehmen, „um für eine Ermäßigung in Frage zu kommen, ... der Kommission Beweismittel für die Zuwiderhandlung vorlegen muss, die gegenüber den bereits im Besitz der Kommission befindlichen Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert darstellen, und seine Beteiligung an dem Kartellverstoß spätestens zum Zeitpunkt der Beweisvorlage einstellen [muss]“.

132    In Randnr. 23 Buchst. b Unterabs. 1 der Kronzeugenregelung von 2002 sind für die Ermäßigung der Geldbuße drei Bandbreiten vorgesehen: für das erste Unternehmen, das die Voraussetzungen unter Randnr. 21 erfüllt, eine Ermäßigung zwischen 30 % und 50 %, für das zweite Unternehmen, das die Voraussetzungen unter Randnr. 21 erfüllt, eine Ermäßigung zwischen 20 % und 30 % und für jedes weitere Unternehmen, das die Voraussetzungen unter Randnr. 21 erfüllt, eine Ermäßigung bis zu 20 %.

133    In Randnr. 23 Buchst. b Unterabs. 2 der Kronzeugenregelung von 2002 heißt es: „Um den Umfang der Ermäßigung der Geldbuße innerhalb dieser Bandbreiten zu bestimmen, wird die Kommission den Zeitpunkt berücksichtigen, zu dem das Beweismittel, das die Voraussetzungen unter Randnummer 21 erfüllt, vorgelegt wurde, sowie den Umfang des mit dem Beweismittel verbundenen Mehrwerts“, und weiter: „Sie kann ebenfalls berücksichtigen, ob das Unternehmen seit der Vorlage des Beweismittels kontinuierlich mit ihr zusammengearbeitet hat.“

134    Im Übrigen steht der Kommission nach der Rechtsprechung hinsichtlich der Methode für die Bemessung von Geldbußen ein weites Ermessen zu; sie kann insoweit eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, zu denen auch die Kooperationsbeiträge der betroffenen Unternehmen während der von den Dienststellen der Kommission durchgeführten Untersuchungen gehören. In diesem Rahmen muss die Kommission komplexe Tatsachenwürdigungen, wie die Würdigung der jeweiligen Kooperationsbeiträge dieser Unternehmen, vornehmen (Urteil des Gerichtshofs vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission, C‑328/05 P, Slg. 2007, I‑3921, Randnr. 81, und Urteil Gütermann und Zwicky/Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 219).

135    Überdies kann im Rahmen der Beurteilung der Zusammenarbeit der an einem Kartell Beteiligten nur ein offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission beanstandet werden, da diese bei der Beurteilung der Qualität und der Nützlichkeit des Kooperationsbeitrags eines Unternehmens, insbesondere im Vergleich zu den Beiträgen anderer Unternehmen, über ein weites Ermessen verfügt (Urteil SGL Carbon/Kommission, oben in Randnr. 134 angeführt, Randnr. 88). Außerdem ist zwar die Kommission verpflichtet, anzugeben, aus welchen Gründen sie der Ansicht ist, dass die von den Unternehmen im Rahmen der Mitteilung über Zusammenarbeit gemachten Angaben einen Beitrag darstellen, der eine Herabsetzung der festgesetzten Geldbuße rechtfertigt oder auch nicht, indessen haben aber die Unternehmen, die die Entscheidung der Kommission insoweit anfechten wollen, nachzuweisen, dass diese in Ermangelung derartiger, von diesen Unternehmen freiwillig gelieferter Angaben nicht in der Lage gewesen wäre, die wesentlichen Punkte der Zuwiderhandlung zu beweisen und somit eine Entscheidung über die Festsetzung von Geldbußen zu erlassen (Urteil Erste Group Bank u. a./Kommission, oben in Randnr. 100 angeführt, Randnr. 297).

136    Außerdem findet die Ermäßigung von Geldbußen im Fall einer Zusammenarbeit von Unternehmen, die an Zuwiderhandlungen gegen das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht beteiligt sind, ihre Begründung in der Erwägung, dass eine solche Zusammenarbeit die Aufgabe der Kommission erleichtert, eine Zuwiderhandlung festzustellen und ihr gegebenenfalls ein Ende zu setzen (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 101 angeführt, Randnr. 399, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Finnboard/Kommission, T‑338/94, Slg. 1998, II‑1617, Randnr. 363). Wegen dieses Geltungsgrundes der Ermäßigung kann die Kommission nicht die Nützlichkeit der vorgelegten Information unberücksichtigt lassen, die sich zwangsläufig nach dem Beweismaterial richtet, das sich bereits in ihrem Besitz befindet (Urteil Gütermann und Zwicky/Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 220).

137    Bestätigt ein Unternehmen – so die Rechtsprechung – bei der Kooperation nur bestimmte Aufschlüsse, die ein anderes Unternehmen bei der Kooperation bereits gegeben hat, und geschieht dies zudem weniger genau und weniger explizit, so kann der Mitwirkungsumfang dieses Unternehmens, selbst wenn er nicht eines gewissen Nutzens für die Kommission entbehren mag, nicht als dem Ausmaß der Mitarbeit des Unternehmens vergleichbar angesehen werden, das die betreffenden Aufschlüsse als Erstes gegeben hat. Eine Erklärung, die in gewissem Umfang die der Kommission bereits vorliegenden Erklärungen erhärtet, erleichtert nämlich die Aufgabe der Kommission nicht nennenswert. Sie genügt deshalb nicht, um eine Herabsetzung der Geldbuße wegen Zusammenarbeit zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 8. Juli 2004, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, T‑44/00, Slg. 2004, II‑2223, Randnr. 301; Danone, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 455, sowie Gütermann und Zwicky/Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 222).

138    Die Mitwirkung eines Unternehmens an der Untersuchung verleiht zum anderen dann kein Recht auf eine Herabsetzung der Geldbuße, wenn diese Mitwirkung nicht über das hinausgegangen ist, wozu das Unternehmen nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 verpflichtet war (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 10. März 1992, Solvay/Kommission, T‑12/89, Slg. 1992, II‑907, Randnrn. 341 und 342, und Danone, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 451).

139    Im vorliegenden Fall ist vorab darauf hinzuweisen, dass feststeht, dass zum einen die Klägerin, wie sich aus Erwägungsgrund 561 der angefochtenen Entscheidung ergibt, nach EKA das zweite Unternehmen war, das einen Antrag auf Kronzeugenbehandlung nach der Kronzeugenregelung von 2002 eingereicht hatte. Zum anderen stellen, wie die Kommission in Erwägungsgrund 565 der angefochtenen Entscheidung festgehalten hat, ohne Widerspruch seitens der Klägerin zu erfahren, lediglich die Informationen in Nr. 3 der Antwort vom 18. Oktober 2004 auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 10. September 2004 (im Folgenden: Antwort der Klägerin) Informationen dar, die über deren einfache Verpflichtung zur Beantwortung des Auskunftsverlangens hinausgingen, das die Kommission gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 an sie gerichtet hatte. Die Informationen in Nr. 3 der Antwort der Klägerin über ihre Unterredung vom 24. September 2004 mit ihrem Angestellten M. L. haben nämlich unmittelbaren Bezug zu den Fakten der betreffenden Zuwiderhandlung.

140    Mithin sind allein für die Informationen in Nr. 3 der Antwort der Klägerin die vier Rügen zu prüfen, mit denen sie nachweisen will, dass der Kommission mit ihrer Annahme, dass das von der Klägerin gelieferte Informationsmaterial keinen erheblichen Mehrwert gehabt habe und nicht die Zubilligung einer Ermäßigung von 30 % bis 50 % des Betrags der gegen sie verhängten Geldbuße rechtfertige, ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei.

141    An erster Stelle ist die Rüge der Klägerin, dass die Kommission ihr in der angefochtenen Entscheidung eine Ermäßigung der Geldbuße habe zubilligen müssen, wie sie dies in der Hydrogenperoxyd-Entscheidung trotz der Kargheit der in dieser Sache gelieferten Informationen über das betreffende Kartell getan habe, als unbegründet zurückzuweisen. Abgesehen davon, dass die Kommission nicht anhand ihrer eigenen früheren Entscheidungspraxis, sondern nach der Kronzeugenregelung von 2002 zu prüfen hat, ob die von einem Unternehmen angebotene Zusammenarbeit die Zubilligung einer Ermäßigung der Geldbuße rechtfertigt, lässt das Vorbringen der Klägerin auch nicht die Feststellung zu, dass die von ihr gelieferten Informationen unter den Umständen des Falles einen erheblichen Mehrwert besaßen, wenn man die Beweise berücksichtigt, die die Kommission zum Zeitpunkt des Antrags der Klägerin nach der Kronzeugenregelung bereits besaß.

142    An zweiter Stelle sind aufgrund der Rüge der Klägerin, sie sei das erste Unternehmen gewesen, das die Erklärungen von EKA in deren mündlichem Antrag auf Kronzeugenbehandlung erhärtet habe, die folgenden fünf Informationen zu untersuchen, die ihrer Meinung nach für die Kommission einen erheblichen Mehrwert hatten.

143    Zunächst hat, soweit die Klägerin der Kommission mitgeteilt hat, dass „von einigen Natriumchlorat-Herstellern ein System zur Aufteilung von Liefermengen und Kunden Ende 1993 ins Leben gerufen wurde“, die Kommission in Erwägungsgrund 569 der angefochtenen Entscheidung erklärt, dass „die Klägerin zwar das Vorliegen eines Systems ganz allgemein bestätigt [hat], aber keinen schriftlichen Beweis aus der Zeit, auf die sich die Ereignisse beziehen, vorgelegt [hat], der die Möglichkeit verstärkt hätte, die betreffenden Fakten nachzuweisen“. Insoweit ist festzustellen, dass der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie ausschloss, dass diese Information einen erheblichen Mehrwert haben könnte. Abgesehen davon, dass aus dem mündlichen Antrag auf Kronzeugenbehandlung von EKA hervorgeht, dass diese die Kommission bereits über ein solches System unterrichtet hatte, hat nämlich die Klägerin diese Information weder durch schriftliche Beweise gestützt noch ergänzendes Material bezüglich der Zeitpunkte, Orte, Modalitäten oder Beträge im Hinblick auf die Aufteilung von Liefermengen und Kunden beigebracht: Nach der oben in Randnr. 137 angeführten Rechtsprechung kann die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung abgegebene bloße Bestätigung des Vorliegens einer Aufteilung von Liefermengen und Kunden nicht als erheblicher Mehrwert angesehen werden.

144    Zu der von der Klägerin gelieferten Information, es bestehe ein Ausgleichssystem zwischen den benachteiligten Herstellern, die ihre Liefermengen im folgenden Jahr erhöhen könnten, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie oben in Randnr. 143 dargelegt, in Erwägungsgrund 569 der angefochtenen Entscheidung erklärt hat, dass „[sie] bezüglich des Mechanismus der Aufteilung der Natriumchlorat-Märkte diese Informationen bereits im Rahmen der mündlichen Erklärung von EKA erhalten [hat]“, und dass „[die Klägerin] zwar das Vorliegen eines Systems ganz allgemein bestätigt [hat], aber keinen schriftlichen Beweis aus der Zeit, auf die sich die Ereignisse beziehen, vorgelegt [hat], der die Möglichkeit verstärkt hätte, die betreffenden Fakten nachzuweisen“. Insoweit ist festzustellen, dass der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie ausschloss, dass diese Information einen erheblichen Mehrwert haben könnte. Abgesehen davon, dass sich aus dem mündlichen Antrag auf Kronzeugenbehandlung von EKA ergibt, das diese die Kommission bereits über das Ausgleichssystem unterrichtet hatte, das in bestimmten Mitgliedstaaten eingerichtet worden war, hat nämlich die Klägerin in ihrer mündlichen Erklärung weder schriftliche Beweise für die Einrichtung dieses Systems noch Einzelheiten zu Zeitpunkten, Orten und Modalitäten des besagten Systems geliefert.

145    Zu der Mitteilung der Klägerin an die Kommission, dass drei Preiserhöhungen durchgesetzt worden seien, hat die Kommission in Erwägungsgrund 572 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass „bezüglich der Preiserhöhungen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 [M. L.] recht allgemein die bereits von EKA gelieferten Informationen bestätigt [hat], ohne von sich aus andere Einzelheiten zu den besagten Verhaltensweisen preiszugeben“. Hierzu ist festzustellen, dass der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie ausschloss, dass diese Information einen erheblichen Mehrwert haben könnte. Abgesehen davon, dass sich aus dem mündlichen Antrag von EKA auf Kronzeugenbehandlung ergibt, dass diese der Kommission bereits eingehende Informationen über Periodizität, Beträge und Modalitäten dieser Preiserhöhungen geliefert hatte, und das Ausgleichssystem unterrichtet hatte, das in bestimmten Mitgliedstaaten eingerichtet worden war, hat nämlich die Klägerin zur Stützung ihrer Behauptungen weder Beweise noch ergänzende Einzelheiten über diejenigen hinaus geliefert, die die Kommission bereits besaß, so dass sie die Möglichkeit der Kommission, diese Fakten zu beweisen, im Sinne der oben in Randnr. 137 angeführten Rechtsprechung nicht erheblich verstärkt hat.

146    Zu den „zahlreichen Informationen über den Konflikt zwischen den Kartellmitgliedern“ im Anschluss an die Entscheidung des Kunden MODO, sich ab Mitte 1998 nicht mehr von der Klägerin beliefern zu lassen, und die verschiedenen Zusammenkünfte, die sich im Laufe des Jahres 1999 und im Frühjahr 2000 anschlossen, die die Klägerin der Kommission übermittelt hat, ist darauf hinzuweisen, dass Letztere insbesondere in Erwägungsgrund 573 der angefochtenen Entscheidung angegeben hat, dass „die Erklärungen [von M. L.] die wesentlichen Einzelheiten der Erklärungen von EKA und Finnish Chemicals bestätigt, aber keine neuen Einzelheiten oder Beweise an den Tag gebracht [haben], die die Möglichkeit der Kommission, diese Fakten nachzuweisen, erheblich verstärkt hätten“. Hierzu ist festzustellen, dass der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie ausschloss, dass diese Information einen erheblichen Mehrwert haben könnte. Abgesehen davon, dass sich aus dem mündlichen Antrag von EKA auf Kronzeugenbehandlung ergibt, dass diese die Kommission in ihrem mündlichen Antrag auf Kronzeugenbehandlung über die Entstehung des Konflikts zwischen den Kartellmitgliedern wegen des Kunden MODO unterrichtet hatte, muss festgestellt werden, dass die Klägerin weder Beweise noch weitere Einzelheiten zur Stützung ihrer Behauptungen geliefert hat, die der Kommission erlaubt hätten, den Sachverhalt der Zuwiderhandlung nachzuweisen, den Letztere daher, wie sich aus den Erwägungsgründen 215 und 216 der angefochtenen Entscheidung ergibt, mit Hilfe der von Finnish Chemicals vorgelegten Dokumente feststellen musste.

147    Zu der Information der Klägerin, dass das Kartell im Anschluss an die Verabschiedung von Programmen zur Beachtung des Wettbewerbsrechts zur Jahresmitte 2000 beendet worden sei, hat die Kommission im Übrigen in Erwägungsgrund 575 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass „[M. L.] sich damit begnügt hat, die Erklärung von EKA zur Verabschiedung von Anpassungsprogrammen zu bestätigen, ohne insoweit neue Beweisstücke beizubringen“. Hierzu ist festzustellen, dass der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie ausschloss, dass diese Information einen erheblichen Mehrwert haben könnte. Abgesehen davon, dass diese einzige Information im Hinblick auf das von der Kommission festgehaltene Datum der Beendigung des Kartells, nämlich der 9. Februar 2000 (vgl. Art. 1 Buchst. e der angefochtenen Entscheidung), nicht genau ist, hat die bloße mündliche Bestätigung dieser Information, die die Kommission bereits besaß, durch die Klägerin die Aufgabe der Kommission nicht im Sinne der oben in Randnr. 137 angeführten Rechtsprechung erheblich erleichtert.

148    Demgemäß ist die Rüge der Klägerin, dass die von ihr der Kommission gelieferten Informationen zur Untermauerung der Informationen, über die diese bereits verfügt habe, einen erheblichen Mehrwert gehabt hätten, zurückzuweisen.

149    Drittens sind zu dem Vorbringen der Klägerin, sie habe der Kommission bestimmte Informationen geliefert, die neue Einzelheiten an den Tag gebracht hätten, die diese vorher nicht gekannt habe und die daher deren Möglichkeit, die betreffenden Fakten nachzuweisen, erheblich verstärkt hätten, die beiden Informationen zu prüfen, auf die die Klägerin zur Stützung dieser Rügen verweist.

150    Zur Information der Kommission durch die Klägerin von der Existenz einer Liste, die sie nicht aufbewahrt habe und die für jeden gemeinsamen Kunden der Kartellmitglieder die zugestandenen Liefermengen enthalten habe, ist zunächst festzustellen, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie dafür keine Ermäßigung der Geldbuße zugestanden hat. Da nämlich die Klägerin der Kommission, wie diese in Erwägungsgrund 76 der angefochtenen Entscheidung festgehalten hat, diese Liste nicht vorgelegt hat, erlaubte ihr diese Information nicht, die Tatsachen nachzuweisen, die der Zuwiderhandlung zugrunde lagen.

151    Was ferner den Umstand betrifft, dass die Klägerin das erste Unternehmen gewesen sein will, das die Kunden in Kontinentaleuropa namhaft gemacht hat, bei denen eine Aufteilung von Liefermengen stattgefunden hatte, was die Kommission in die Lage versetzt haben soll, die geografische Ausdehnung des Kartells einzuschätzen, und als Grundlage für Auskunftsverlangen hätte dienen können, ist festzustellen, dass die Kommission sich zwar zu diesem Vorbringen in der angefochtenen Entscheidung nicht gesondert geäußert hat, wohl aber in Erwägungsgrund 576 der angefochtenen Entscheidung insbesondere erklärt hat, dass „ganz allgemein Qualität und Quantität der [von der Klägerin] gelieferten Informationen als sehr begrenzt angesehen werden [müssen]“ und dass „zwar die Klägerin bestimmte Aspekte der Arbeitsweise des Kartells ganz allgemein hat bestätigen können, jedoch nicht so, dass dadurch die Möglichkeit, die Zuwiderhandlung zu beweisen, für die Kommission spürbar verstärkt worden wäre“. Damit ist festzustellen, dass der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist. Obzwar nämlich die Liste mit den Namen der Unternehmen, die vom Kartell erfasst waren, die von EKA der Kommission gelieferte Liste ergänzte, ist doch diese Information, da sie keine Einzelheiten über die Durchführung, die Zeitpunkte und die Zahlen des Systems der Aufteilung von Liefermengen für die besagten Unternehmen enthielt, für die Kommission nicht von erheblichem Mehrwert gewesen. Das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass die Kommission die von ihr gelieferten Informationen durch Auskunftsverlangen an die am Kartell beteiligten Unternehmen hätte ergänzen können, vermag daran nichts zu ändern. Da nämlich die Klägerin diese eingehenden Informationen, die ihr notwendig bekannt sein mussten, weil sie an diesem Aufteilungssystem beteiligt war, nicht selbst geliefert hat, ändert der Umstand, dass die Kommission diese Informationen möglicherweise durch Rückgriff auf ihre eigenen Untersuchungsbefugnisse hätte bestätigen oder vervollständigen können, nichts an der Feststellung, dass die Information der Klägerin die Aufgabe der Kommission, die die Zuwiderhandlung begründenden Tatsachen festzustellen, nicht wesentlich erleichtert hat.

152    Somit ist die dritte Rüge der Klägerin, die von ihr der Kommission gelieferten Informationen, die dieser vorher nicht bekannt gewesen seien, hätten einen erheblichen Mehrwert gehabt, als unbegründet zurückzuweisen.

153    Viertens ist nunmehr, soweit die Klägerin rügt, dass schon der Wortlaut der angefochtenen Entscheidung zeige, dass die Kommission sich auf mehrere von ihr gelieferte Informationen gestützt habe, um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen und eine gewisse Reihe von Punkten, die aus anderen Quellen stammten, zu bestätigen, zu prüfen, ob sich den Erwägungsgründen der angefochtenen Entscheidung, auf die sich die Klägerin beruft und die oben in Randnr. 126 dargestellt sind, entnehmen lässt, dass diese die Möglichkeit der Kommission, die die Zuwiderhandlung begründenden Tatsachen festzustellen, tatsächlich erheblich gefördert hat.

154    In Erwägungsgrund 78 der angefochtenen Entscheidung und der hierauf bezüglichen Fn. 116 beschreibt die Kommission zunächst die allgemeine Arbeitsweise des Kartells, die gekennzeichnet war von „häufige[n] Kontakte[n] durch zwei- und mehrseitige Zusammenkünfte sowie durch Telefonate, [ohne dass] eine bestimmte Vorgehensweise … vereinbart war“. Die Kommission ergänzt, dass „[n]ach Auskunft [der Klägerin] in der Anfangszeit des Kartells eine Liste aller belieferten Kunden und der Liefermengen erstellt [wurde], die den beteiligten Natriumchlorat-Herstellern für die einzelnen Kunden jeweils zugestanden wurden“ und dass „[die Klägerin] diese Liste jedoch nicht vorgelegt [hat]“. Somit ist hierzu festzustellen, dass diese Information, zu der die Kommission ausdrücklich erklärt hat, dass die Klägerin dafür keinen greifbaren Beweis beigebracht habe, aus den gleichen wie den in den Randnrn. 144 und 150 dieses Urteils wiedergegebenen Gründen keinen erheblichen Mehrwert aufwies. Der Kommission ist daher kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie ausschloss, dass dieser Information ein solcher Wert zukomme.

155    Außerdem bestätigt die Kommission in Fn. 118 der angefochtenen Entscheidung, dass die Klägerin „[die mündlichen Erklärungen von EKA bezüglich des] [von EKA beschriebenen] Marktaufteilungsmechanismus und [der] Ausgleichsregelung bestätigt hat“. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass die Klägerin zwar das Vorliegen einer solchen wettbewerbswidrigen Praxis untermauert hat, diese Information jedoch für sich genommen nicht ausreichend war, um der Kommission den Nachweis der die Zuwiderhandlung begründenden Tatsachen zu ermöglichen. Mithin kann aus den gleichen wie den in Randnr. 144 dieses Urteils wiedergegebenen Gründen nicht davon ausgegangen werden, dass allein diese Information, die der Kommission bereits bekannt war, einen erheblichen Mehrwert aufwies.

156    Sodann führt die Kommission in Erwägungsgrund 98 der angefochtenen Entscheidung und der hierauf bezüglichen Fn. 142 an, dass „EKA [auch] berichtet, dass um 1995 mit Finnish Chemicals und [der Klägerin] beschlossen wurde, ‚eine bedeutende Preiserhöhung vorzunehmen‘, die in Portugal wegen der Entwertung des Escudo erfolgreich gewesen ist“, dass „die von EKA vorgelegten Beweismittel zeigen, dass das Unternehmen 1995 die Tarife für ihre portugiesischen Kunden um 31 % und 44 % im Vergleich zu den 1993 angewandten Preisen erhöht hat“, und dass „[die Klägerin] für 1995 ebenfalls von einer geglückten Preiserhöhung berichtet“. Dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung lässt sich somit entnehmen, dass diese Preiserhöhung 1995 aufgrund mündlicher Informationen und Dokumente nachgewiesen wurde, die EKA geliefert hatte, was die Klägerin auch nicht bestreitet. Daher kann dieser mündlichen Information, selbst wenn sie die von EKA bestätigt, nach der oben in Randnr. 137 angeführten Rechtsprechung kein erheblicher Mehrwert beigemessen werden, weil sie bereits von EKA preisgegeben worden war und die Klägerin keine zusätzlichen Einzelheiten zu dieser Preiserhöhung weitergegeben hat.

157    Ferner stellt die Kommission in Erwägungsgrund 207 der angefochtenen Entscheidung und der hierauf bezüglichen Fn. 259 fest, dass „festzuhalten [ist], dass während der Erörterungen zwischen Finnish Chemicals und [der Klägerin] über [den Kunden] MODO M. [L.] M. [B.] (den Vertreter von Quadrimex, des Importeurs von Finnish Chemicals in Frankreich) angerufen hat, um über die [der Klägerin] entgangenen Liefermengen zu sprechen“, und dass „bei diesen Anrufen am 2. und 5. Oktober 1998 M. [L.] die skandinavische Aggressivität beklagt und einen Ausgleich der Liefermenge für [die Klägerin] verlangt [hat]“. Hierzu ergibt sich aus den in Fn. 257 der angefochtenen Entscheidung angeführten Dokumenten und aus Nr. 4.3.1.20 dieser Entscheidung mit der Überschrift „1998 – Konflikt in Verbindung mit dem Kunden MODO“, dass die Kommission sich für die Ermittlung der genauen Natur der Fühlungnahmen zwischen den Wettbewerbern wegen der Belieferung des Kunden MODO, der Zeitpunkte dieser Kontakte und der aufgeteilten Liefermengen ausschließlich auf die genauen Angaben gestützt hat, die Finnish Chemicals geliefert hatte. Der Kommission ist somit kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie einen erheblichen Mehrwert dieser Information ausgeschlossen hat.

158    Außerdem stellt die Kommission in Erwägungsgrund 254 der angefochtenen Entscheidung und der hierauf bezüglichen Fn. 305 fest, die Klägerin habe erklärt, dass „[M. L.] sich an eine Sitzung zu erinnern [glaubt], in der es darum gegangen sei, weshalb die für MODO geltenden Aufteilungsregeln nicht mehr eingehalten würden“, und dass „im Verlauf dieser Sitzung, die nach der Erinnerung von [M. L.] im ersten Vierteljahr 1999 in Finnland stattgefunden hat, Finnish Chemicals erklärt hat, sie sei der ausschließliche Lieferant von [MODO] aufgrund einer Vereinbarung ihres Mutterhauses mit MODO, womit die Absprache zwischen EKA, Finnish Chemicals und [der Klägerin] wegen dieses Kunden gebrochen worden sei“. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in Erwägungsgrund 255 der angefochtenen Entscheidung ergänzt: „Die Kommission geht, weil der Vertrag zwischen MODO und Finnish Chemicals erst im September 1999 geschlossen wurde, davon aus, dass [M. L.] Zeitpunkte und Orte verwechselt hat und in Wirklichkeit die Sitzung vom 9. November 1999 in Kopenhagen meint.“ Daher ist, abgesehen davon, dass die mündliche Information der Klägerin nach deren eigenem Eingeständnis unsicher („nach der Erinnerung von [M. L.]“), aber auch ungenau ist, auf jeden Fall festzustellen, dass die Kommission diese keineswegs benutzt, um den Nachweis für die die Zuwiderhandlung begründenden Tatsachen zu führen, sondern in Erwägungsgrund 255 der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich festhält, dass diese Informationen unzutreffend sind, was die Klägerin übrigens nicht bestreitet. Der Kommission ist daher mit ihrer Annahme, dass diese Information, die nicht bestätigt worden war, keinen erheblichen Mehrwert aufwies, kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen.

159    Außerdem stellt die Fn. 325 der angefochtenen Entscheidung eine Verweisung auf Erwägungsgrund 273 dieser Entscheidung dar, in der die Kommission insbesondere darauf verweist, dass „[d]ie Klägerin eine Sitzung zwischen EKA, Finnish Chemicals und [ihr selbst] ‚im Frühjahr 2000‘ erwähnt, von der anzunehmen ist, dass es sich um die in Erwägungsgrund 283 [der angefochtenen Entscheidung] genannte Sitzung vom 9. Februar 2000 handelt“. In der zuletzt genannten Randnummer stellt die Kommission klar, dass am Rande der Sitzung vom 9. Februar 2000 EKA „erklärt [hat], sie weigere sich, an jeder weiteren Erörterung mit den Wettbewerbern teilzunehmen“. In Erwägungsgrund 284 der angefochtenen Entscheidung und der auf diese bezüglichen Fn. 337 weist die Kommission darauf hin, dass „die Veränderungen, die auf dem Natriumchlorat-Markt der Gemeinschaft 1999 (insbesondere in Verbindung mit dem Abschluss des Liefervertrags zwischen Finnish Chemicals und MODO) erfolgt sind, … zur Beendigung der Kontakte zwischen den Natriumchlorat-Herstellern geführt [haben], und auch wenn einige Telefonanrufe und Sitzungen im Januar und Februar 2000 stattgefunden haben … ist das übliche Niveau der Zusammenarbeit, zu dem im Wesentlichen Bemühungen um die Aufteilung von Liefermengen gehörten, nicht wieder hergestellt worden.“ In Fn. 337 der angefochtenen Entscheidung stellt die Kommission klar, dass „EKA und [die Klägerin] auf ihre internen Programme für die Einhaltung der entsprechenden Wettbewerbsregeln, die 1999 und 2000 eingeführt wurden, [verweisen]“, während „Finnish Chemicals angibt, dass die Kontakte zu Wettbewerbern obsolet wurden, als erst der Vertrag mit [dem Kunden] abgeschlossen war“. Demnach ist der Kommission mit ihrer Annahme, die von der Klägerin gelieferten Informationen hätten keinen erheblichen Mehrwert, kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen. Abgesehen davon, dass es der von dieser gelieferten Information, dass das Kartell nach Einführung der Compliance-Programme beendet worden sei, im Vergleich zu dem von der Kommission festgehaltenen genauen Zeitpunkt für die Beendigung der Zuwiderhandlung an Genauigkeit fehlt, hat die Kommission aufgrund der Angaben von EKA, wie Erwägungsgrund 290 der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen ist, nachweisen können, dass die Zuwiderhandlung mit der Sitzung des Berufsverbands CEFIC, die am 9. Februar 2000 stattgefunden hatte, beendet worden war.

160    Mithin ist die vierte Rüge der Klägerin, nach der sich schon aus dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung ergebe, dass sie eine Information mit einem erheblichen Mehrwert geliefert habe, und damit der dritte Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

c)     Zum vierten Klagegrund: Versagung der Herabsetzung der Geldbuße außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 zulasten der Klägerin

161    Die Klägerin macht im Kern geltend, der Kommission seien, als sie ihr eine Ermäßigung der Geldbuße außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 versagt habe, rechtliche und tatsächliche Fehler unterlaufen. Das Gericht hält es für angebracht, die drei Teile dieses Klagegrundes in einer Reihenfolge zu prüfen, die teilweise von der abweicht, in der die Klägerin diese eingeführt hat.

 Zum zweiten Teil dieses Klagegrundes: Rechtliche und tatsächliche Fehler bei der Annahme der Kommission, die Zusammenarbeit der Klägerin rechtfertige keine Ermäßigung der Geldbuße wegen mildernder Umstände aufgrund der Leitlinien

–       Vorbringen der Parteien

162    Die Klägerin bringt vor, der Kommission seien insoweit rechtliche und tatsächliche Fehler unterlaufen, als sie ihr keine Ermäßigung der Geldbuße wegen mildernder Umstände gewährt habe, obwohl Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien eine solche Ermäßigung vorsehe. Ihres Erachtens sehe diese Randnummer, die die Kommission nicht durch Beschränkung der Anwendung auf außergewöhnliche Umstände einengend auslegen könne, nämlich vor, dass ein Unternehmen, das nach der Kronzeugenregelung von 2002 unzureichend zusammengearbeitet habe, eine Ermäßigung der Geldbuße erhalten könne, wenn es zum einen eine wirksame Zusammenarbeit geleistet und diese Zusammenarbeit zum anderen über ihre rechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinausgegangen sei.

163    Die Klägerin weist erstens darauf hin, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 385 bis 398 ihrer Entscheidung vom 20. Oktober 2005 in einem Verfahren nach Artikel 81 Absatz 1 EG-Vertrag (Sache COMP/C.38.281/B.2 – Rohtabak Italien) Randnr. 29 vierter Gedankenstrich  der Leitlinien angewandt und einem Unternehmen, dem die bedingte Immunität nach der Kronzeugenregelung von 2002 entzogen worden war, eine Ermäßigung der Geldbuße von 50 % aufgrund mildernder Umstände zugebilligt hatte. Bei Berücksichtigung insbesondere dieser und anderer Entscheidungen der Kommission sei es unverständlich, dass die Klägerin, die den Sachverhalt nicht bestritten und während des Verfahrens zusammengearbeitet habe, keine Ermäßigung der Geldbuße aufgrund mildernder Umstände erhalte.

164    Zweitens weist die Klägerin zum einen darauf hin, dass sie mit der Kommission zusammengearbeitet habe. Nicht nur habe sie ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung von Beginn der Untersuchung an eingeräumt, wie sich insbesondere daraus ergebe, dass sie das zweite Unternehmen gewesen sei, das mit der Kommission zusammengearbeitet habe, sondern zugleich eine große Anzahl ausführlicher Daten geliefert, die die Feststellung von Natur und Dauer des Kartells, seiner Mitglieder und seiner Arbeitsweise erlaubt hätten, wie sich aus ihren Angaben in der Antwort vom 18. Oktober 2004 auf das Auskunftsverlangen der Kommission ergebe.

165    Zum anderen habe sie eine Zusammenarbeit angeboten, die diejenige, die sich aus ihrer rechtlichen Verpflichtung zur Zusammenarbeit ergebe, weit überschritten habe. Sie habe nämlich seit ihrem Antrag nach der Kronzeugenregelung von 2002 eng und ständig mit der Kommission zusammengearbeitet, wie sich aus ihren Antworten auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 16. Februar 2007 ergebe. Nicht nur habe sie auf ihr Recht verzichtet, sich nicht selbst zu bezichtigen, sondern zugleich aktiv an der Feststellung des Vorliegens der Zuwiderhandlung teilgenommen.

166    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

167    Die Klägerin macht im Kern geltend, dass der Kommission, wenn man die Zusammenarbeit berücksichtige, die sie dieser während des Verwaltungsverfahrens geboten habe, rechtliche und tatsächliche Fehler unterlaufen seien, als sie ihr keine Ermäßigung der Geldbuße nach Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien zugebilligt habe.

168    Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich die Kommission in Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien im Rahmen ihrer Befugnis zur Würdigung mildernder Umstände, die sie bei der Festlegung des Betrags von Geldbußen zu berücksichtigen hat, verpflichtet hat, die Geldbuße bei „aktive[r] Zusammenarbeit des Unternehmens mit der Kommission außerhalb des Anwendungsbereichs der [Kronzeugenregelung] und über seine rechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit hinaus“ zu verringern.

169    Die Anwendung von Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien kann aber nicht die Folge haben, dass die Kronzeugenregelung von 2002 um ihre nützliche Wirkung gebracht wird. Randnr. 1 der Kronzeugenregelung von 2002 bestimmt nämlich, dass diese Regelung „einen Rahmen festlegt, der es erlaubt, Unternehmen, die Mitglieder von geheimen Kartellen, die die Gemeinschaft beeinträchtigen, sind oder waren, für ihre [Zusammenarbeit] bei der Untersuchung der Kommission zu belohnen“. Aus der Fassung und dem Aufbau dieser Regelung ergibt sich mithin, dass die Unternehmen grundsätzlich eine Geldbußenermäßigung für ihre Zusammenarbeit nur erhalten können, wenn sie die engen Voraussetzungen dieser Regelung erfüllen.

170    Um die nützliche Wirkung der Kronzeugenregelung von 2002 aufrechtzuerhalten, kann die Kommission nur in Ausnahmesituationen verpflichtet sein, einem Unternehmen eine Geldbußenermäßigung auf der Grundlage von Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien zuzubilligen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Zusammenarbeit, selbst wenn sie über dessen gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit hinausgeht, ohne ihm jedoch Anrecht auf eine Geldbußenermäßigung nach der Kronzeugenregelung von 2002 zu geben, der Kommission objektiv nutzt. Eine solche Nützlichkeit ist festzustellen, wenn sich die Kommission in ihrer Schlussentscheidung auf Beweismittel stützt, die ein Unternehmen ihr im Rahmen seiner Zusammenarbeit geliefert hat und ohne die die Kommission nicht in der Lage gewesen wäre, die betreffende Zuwiderhandlung ganz oder teilweise zu ahnden.

171    Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, dass die Klägerin keine Tatsachen oder Beweismittel vorbringt, die belegen würden, dass ohne ihre Zusammenarbeit die Kommission die in der angefochtenen Entscheidung festgestellte Zuwiderhandlung nicht teilweise oder ganz hätte nachweisen können. Zum anderen ergibt sich auf jeden Fall aus der angefochtenen Entscheidung, dass angesichts der Ungewissheit, Ungenauigkeit und fehlenden Abstützung der Informationen der Klägerin (vgl. Randnrn. 141 bis 159 dieses Urteils) diese der Kommission nicht genützt haben, um die die Zuwiderhandlung begründenden Tatsachen nachzuweisen, die die Kommission aufgrund von Beweisstücken geahndet hat, die sie anderweit besaß.

172    Die Klägerin hat daher nicht belegt, dass der Kommission mit der Versagung einer Geldbußenermäßigung aufgrund von Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien ein Rechtsfehler oder offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen wäre.

173    Das Vorbringen der Klägerin zu diesem Punkt ändert nichts an dieser Schlussfolgerung.

174    Erstens ist das Vorbringen der Klägerin, sie hätte eine Ermäßigung der Geldbuße erhalten müssen, weil sie auf ihr grundlegendes Recht verzichtet habe, sich nicht selbst zu bezichtigen, als unbegründet zurückzuweisen. Abgesehen davon, dass es der Klägerin freistand, entweder mit der Kommission zusammenzuarbeiten oder ihre Beteiligung an der betreffenden Zuwiderhandlung zu leugnen, wäre die Kommission nur verpflichtet gewesen, ihr eine Geldbußenermäßigung nach Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien zuzubilligen, wenn die Voraussetzungen erfüllt gewesen wären, die oben in Randnr. 170 dargestellt wurden.

175    Zweitens ist das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe in anderen Sachen Unternehmen für ihre Zusammenarbeit gemäß Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien eine Geldbußenermäßigung zugestanden, als unbegründet zurückzuweisen. Da nämlich nach den Umständen jedes Einzelfalls zu prüfen ist, ob die Kommission ohne die Zusammenarbeit eines Unternehmens ein Kartell ganz oder teilweise hätte ahnden können, kann sich ein solches Vorbringen nicht auf die Schlussfolgerung oben in Randnr. 172 auswirken, dass die Klägerin im vorliegenden Fall nicht belegt hat, dass die Kommission ihr außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 eine Geldbußenermäßigung hätte zubilligen müssen.

176    Somit ist der zweite Teil des vierten Klagegrundes zum Teil als unbegründet und zum Teil als unerheblich zurückzuweisen.

 Zum ersten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit trotz fehlenden Bestreitens des Sachverhalts und wegen der Zusammenarbeit der Klägerin

–       Vorbringen der Parteien

177    Die Klägerin macht geltend, dass die Kommission die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit verletzt habe. Sie ist insoweit der Meinung, dass sie bei Berücksichtigung des Umstands, dass sie ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung vom Beginn der Untersuchung an anerkannt und den Sachverhalt nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht bestritten habe, eine Herabsetzung der Geldbuße außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 hätte erhalten müssen.

178    Die Klägerin ist erstens der Auffassung, dass das unterlassene Bestreiten des Sachverhalts aus drei Gründen eine Ermäßigung der Geldbuße rechtfertige. Zunächst bedeute sie für das betreffende Unternehmen den Verzicht auf sein grundlegendes Recht, sich nicht selbst zu bezichtigen und die Erklärungen der anderen Unternehmen anzuzweifeln, die die Gnadenregelung beansprucht hätten. Sodann gehe sie über die gesetzliche Pflicht hinaus, mit der Kommission zusammenzuarbeiten. Schließlich erleichtere sie die Arbeit der Kommission erheblich.

179    Die Klägerin weist zweitens darauf hin, dass die Nützlichkeit des unterlassenen Bestreitens des Sachverhalts in der Rechtsprechung anerkannt worden sei. Zum einen sei das Gericht in seinem Urteil vom 12. September 2007, Prym und Prym Consumer/Kommission (T‑30/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 251), davon ausgegangen, dass die Herabsetzung einer Geldbuße wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts und wegen Zusammenarbeit dann gerechtfertigt sei, wenn das Verhalten des fraglichen Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen. In der mündlichen Verhandlung hat sie sich insoweit auch auf die Urteile Hoechst/Kommission, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnrn. 95 bis 97, und Gütermann und Zwicky/Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 221, gestützt. Zum anderen ergebe sich die Erheblichkeit einer Anerkennung des Sachverhalts durch ein Unternehmen ebenfalls implizit aus dem Urteil Tokai Carbon u. a./Kommission, oben in Randnr. 100 angeführt, Randnrn. 112, 418 und 457.

180    Die Klägerin verweist drittens darauf, dass der Wert eines Nichtbestreitens auch von der Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis anerkannt worden sei. Zum einen sei die eigentliche Nützlichkeit der Anerkennung einer Zuwiderhandlung in der Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren bei dem Erlass von Entscheidungen nach Artikel 7 und Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in Kartellfällen (ABl. 2008, C 167, S. 1, Randnrn. 32 und 33, im Folgenden: Mitteilung über Vergleichsverfahren) anerkannt worden, die eine Ermäßigung von 10 % des Betrags der zu verhängenden Geldbuße für ein Unternehmen vorsehe, falls dieses seine Beteiligung an einer Zuwiderhandlung einräume. Zum anderen füge sich das Verfahren nach der Mitteilung über Vergleichsverfahren in die kontinuierliche Entscheidungspraxis der Kommission ein, gemäß Abschnitt D Nr. 2 der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996) eine Ermäßigung von 10 % des Betrags der Geldbuße zuzugestehen, wenn ein Unternehmen „den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt, nicht bestreitet“. Dass die Kronzeugenregelung von 2002 im Unterschied zur Mitteilung über Zusammenarbeit von 1996 weder vorsehe noch ausschließe, dass eine Ermäßigung der Geldbuße ausgesprochen werde, wenn ein Unternehmen den Sachverhalt nicht bestreite, könne die Tragweite der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung nicht einschränken.

181    Die Klägerin weist viertens darauf hin, dass nach den deutschen und französischen Gesetzen sowie denen des Vereinigten Königreichs dem Unternehmen, das im Grunde entweder den Sachverhalt nicht bestreitet oder ihn einräumt, eine Ermäßigung der Geldbuße zugebilligt werden könne.

182    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

–       Würdigung durch das Gericht

183    Erstens ist zu der Rüge der Klägerin, die Kommission habe gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen, als sie ihr keine Ermäßigung der Geldbuße außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 zugebilligt habe, darauf hinzuweisen, dass nach der oben in Randnr. 111 angeführten Rechtsprechung die zuständige Verwaltung nach dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet ist, alle erheblichen Punkte des einzelnen Falles sorgfältig und unparteiisch zu prüfen.

184    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Erwägungsgrund 544 der angefochtenen Entscheidung zum einen, dass die Kommission davon ausgegangen ist, dass „[n]ach Berücksichtigung sämtlicher Fakten dieses Falls in dieser Sache keine außergewöhnlichen Umstände vor[liegen], die eine Ermäßigung [für die Klägerin] wegen aktiver Zusammenarbeit außerhalb der Kronzeugenregelung von 2002 rechtfertigen würde“. Zum anderen weist die Kommission in dieser Randnummer darauf hin, dass „in der Kronzeugenregelung von 2002, im Gegensatz zu jener von 1996, nicht länger eine Ermäßigung der Geldbuße für Nichtanfechtung der Fakten vorgesehen ist und die Kommission im vorliegenden Fall keinerlei Anlass zu der Hoffnung auf eine Ermäßigung ‚außerhalb’ der Kronzeugenregelung gegeben hat“.

185    Somit ist festzustellen, dass die Klägerin, die keine Tatsachen oder Beweismittel vorbringt, die belegen würden, dass die Kommission es versäumt hätte, die Zusammenarbeit der Klägerin während des Verwaltungsverfahrens sorgfältig und unparteiisch zu untersuchen, nicht nachgewiesen hat, dass die Kommission den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verletzt hätte.

186    Diese Rüge ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

187    Zweitens ist zu der Rüge, die Kommission habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, weil sie der Klägerin keine Ermäßigung des Geldbuße wegen des Nichtbestreitens des Sachverhalts und wegen ihrer Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren zugebilligt habe, zunächst darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie sich aus der oben in Randnr. 63 angeführten Rechtsprechung ergibt, verlangt, dass die Kommission die Geldbuße verhältnismäßig nach den Faktoren festsetzen muss, die sie für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat, und dass sie diese Faktoren dabei schlüssig und objektiv gerechtfertigt bewerten muss.

188    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Klägerin nicht belegt, dass die Kommission, als sie ausschloss, dass das Nichtbestreiten des Sachverhalts durch die Klägerin und deren Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens ihr ein Recht auf Ermäßigung der Geldbuße verschafft hätte, damit ihre Befugnis zur Bewertung der Faktoren, die bei der Festlegung der Geldbuße zu berücksichtigen waren, überschritten hätte.

189    Soweit nämlich erstens die Klägerin geltend macht, der früheren Entscheidungspraxis der Kommission lasse sich entnehmen, dass diese Unternehmen, die den Sachverhalt nicht bestritten und mit ihr zusammengearbeitet hätten, Ermäßigungen der Geldbußen zugebilligt habe, ist dieses Vorbringen als unerheblich zurückzuweisen. Zum einen ist, auch wenn feststeht, dass Punkt D Abs. 2 der Mitteilung über die Zusammenarbeit von 1996, die die Kommission im Rahmen früherer Entscheidungen zur Ahndung von Kartellen angewandt hat und auf die die Klägerin verweist, eine Herabsetzung des Betrags der Geldbuße um 10 % bis 50 % vorsah, wenn ein Unternehmen nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte „das Vorliegen des Sachverhalts, auf den die Kommission ihre Beanstandungen gestützt hatte, [nicht bestritt]“, festzustellen, dass diese Mitteilung, die durch die Kronzeugenregelung von 2002 ersetzt worden ist, auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden ist. Zum anderen hat die Kommission entsprechend ihrem Hinweis und entgegen dem Vorbringen der Klägerin mit der Ersetzung der Mitteilung über die Zusammenarbeit von 1996 durch die Kronzeugenregelung von 2002, die bei bloßem Nichtbestreiten des Sachverhalts keine Herabsetzung der Geldbuße vorsieht, unzweideutig ausgeschlossen, dass aus diesem Grund im Rahmen der Kronzeugenregelung von 2002 oder gemäß Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien eine Herabsetzung der Geldbuße gewährt werden könne. Nur dann nämlich, wenn ein Unternehmen, wie insbesondere in Randnr. 131 dieses Urteils ausgeführt, Beweisstücke mit einem erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 der Kronzeugenregelung beibringt oder, wie in Randnr. 170 dieses Urteils festgestellt, Informationen preisgibt, ohne die die Kommission nicht in der Lage gewesen wäre, die betreffende Zuwiderhandlung ganz oder teilweise zu ahnden, ist die Kommission verpflichtet, ihm eine Herabsetzung der Geldbuße zukommen zu lassen.

190    Zweitens ist das Vorbringen der Klägerin, der oben in Randnr. 179 angeführten Rechtsprechung sei zu entnehmen, dass die Kommission einem Unternehmen, das die Feststellung einer Zuwiderhandlung erleichtert habe, eine Ermäßigung der Geldbuße zugestehen müsse, insbesondere wenn dieses Unternehmen ausdrücklich erklärt habe, den Sachverhalt nicht zu bestreiten, als unbegründet zurückzuweisen. Diese Rechtsprechung ändert nämlich nichts an der Feststellung in Randnr. 175 dieses Urteils, dass die Klägerin nicht belegt hat, dass die Kommission ohne ihre Zusammenarbeit die betreffende Zuwiderhandlung ganz oder teilweise nicht hätte feststellen können. Das Vorbringen der Klägerin, dass eine Ermäßigung der Geldbuße wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts gerechtfertigt sei, weil Letzteres über die gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit mit der Kommission hinausgehe und deren Arbeit erheblich erleichtert habe, ist ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen, weil die Zubilligung einer Ermäßigung der Geldbuße, wie in Randnr. 170 dieses Urteils ausgeführt, von dem objektiven Nutzen abhängt, den die Kommission aus der Zusammenarbeit eines Unternehmens zieht.

191    Drittens ist das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe in ihrer Mitteilung über Vergleichsverfahren ausdrücklich anerkannt, dass die Zusammenarbeit eines Unternehmens belohnt werden müsse, als unerheblich zurückzuweisen. Zum einen nämlich ist die Mitteilung, wie die Kommission zu Recht geltend macht, ohne Widerspruch seitens der Klägerin zu erfahren, auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar, weil sie nahezu einen Monat nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung beschlossen wurde. Zum anderen ist auf jeden Fall darauf hinzuweisen, dass gemäß Randnr. 3 dieser Mitteilung die Kommission über „einen Ermessensspielraum [verfügt], ob sie in Kartellfällen das Vergleichsverfahren ausloten will“, und dass nur dann, wenn die daran beteiligten Unternehmen die Voraussetzungen nach dieser Mitteilung erfüllen, ihnen eine Ermäßigung der Geldbuße von 10 % zugestanden wird. Mithin ist es aufgrund dieser Mitteilung nur allein Sache der Kommission, nicht aber der Unternehmen, zu entscheiden, ob unter den Umständen jedes einzelnen Falles der Rückgriff auf dieses Verfahren eine Ahndung der betreffenden Zuwiderhandlung erleichtern und einem Unternehmen, das dessen Voraussetzungen erfüllt, eine Ermäßigung der Geldbuße von 10 % zugestanden werden kann.

192    Viertens ist das Vorbringen der Klägerin, nach dem nationalen Wettbewerbsrecht mehrerer Mitgliedstaaten der Europäischen Union begründe das Nichtbestreiten des Sachverhalts ein Anrecht auf eine Ermäßigung der Geldbuße, als unerheblich zurückzuweisen, weil diese für die Kommission nicht verbindlichen Vorschriften nicht den maßgebenden rechtlichen Rahmen für die Prüfung bilden, ob die Kommission den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch verletzt hat, dass sie der Klägerin für ihre Zusammenarbeit keine Ermäßigung der Geldbuße zugestanden hat.

193    Demgemäß ist das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, zum Teil als unerheblich und zum Teil als unbegründet und damit der erste Teil dieses Klagegrundes insgesamt zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Gleichbehandlung, weil Aragonesas und die Klägerin zu Unrecht gleichbehandelt worden seien

–       Vorbringen der Parteien

194    Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung verletzt, weil ein Unternehmen, dass eine Zuwiderhandlung einräume und mit der Kommission zusammenarbeite, anders behandelt werden müsse als ein Unternehmen, dass diese Zuwiderhandlung abstreite.

195    Die Klägerin beanstandet insoweit, dass sie wie Aragonesas keine Ermäßigung der Geldbuße erfahren habe, obwohl Aragonesas den Sachverhalt abgestritten und in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte angegeben habe, sie sei nicht an den Absprachen für den gesamten Gemeinsamen Markt beteiligt gewesen, dass die von der Kommission vorgelegten Beweismittel unzureichend seien, um das Vorliegen der Zuwiderhandlung zu beweisen, weil sie im Rahmen der von anderen Unternehmen eingereichten Anträge nach der Kronzeugenregelung von 2002 beigebracht worden seien, und dass kein Beweismittel belege, dass sie mit anderen Mitgliedern des Kartells systematisch zusammengearbeitet habe.

–       Würdigung durch das Gericht

196    Erstens ist zu den Rügen der Klägerin, die Kommission habe die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit verletzt, weil sie ihr keine Ermäßigung der Geldbuße wegen ihrer Zusammenarbeit außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 zugestanden habe, festzustellen, dass sie mit diesem Teil ihres vierten Klagegrundes nichts zur Stützung ihrer Rügen vorbringt, die überdies mit denen übereinstimmen, die sie in Verbindung mit dem ersten Teil desselben Klagegrundes vorgebracht hat. Sie sind daher aus den in den Randnrn. 183 bis 193 dieses Urteils dargelegten Gründen als unbegründet zurückzuweisen.

197    Zweitens ist zur Rüge der Klägerin, die Kommission habe den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, weil ihre Lage eine andere gewesen sei als die von Aragonesas, die den Sachverhalt während des Verwaltungsverfahrens bestritten habe, darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz nach der oben in Randnr. 108 angeführten Rechtsprechung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt ist.

198    Im vorliegenden Fall steht zwar fest, dass Aragonesas den Sachverhalt während des Verwaltungsverfahrens bestritten hat (vgl. Erwägungsgründe 341 bis 346 der angefochtenen Entscheidung), während die Klägerin ihn nicht bestritten und mit der Kommission zusammengearbeitet hat (vgl. Erwägungsgrund 340 der angefochtenen Entscheidung). Gleichwohl befinden sich diese Unternehmen in vergleichbaren Lagen, weil keines von ihnen die Voraussetzungen der Kronzeugenregelung von 2002 oder von Ziff. 29 vierter Gedankenstrich der Leitlinien dafür erfüllt, dass ihnen eine Ermäßigung der Geldbuße zugestanden werden könnte. Die Kommission hat diese beiden Unternehmen daher zu Recht gleichbehandelt.

199    Folglich ist die Rüge der Klägerin, dass die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt habe, und damit der dritte Teil des vierten Klagegrundes und zugleich der vierte Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

200    Nach alledem ist daher der erste Antrag als unbegründet zurückzuweisen.

B –  Zum Hilfsantrag auf Abänderung des Betrags der Geldbuße

1.     Vorbringen der Parteien

201    Mit ihrem zweiten Antrag und in ihren Schriftsätzen beantragt die Klägerin die Abänderung des Betrags der gegen sie verhängten Geldbuße durch das Gericht. Sie möchte insbesondere, dass das Gericht zunächst den Erhöhungssatz für den Grundbetrag der Geldbuße wegen Tatwiederholung von 90 % auf 50 % herabsetzt und ihr sodann eine Ermäßigung der Geldbuße von 30 % bis 50 % wegen ihrer engen Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens und wegen des Nichtbestreitens des Sachverhalts zugesteht.

202    Die Kommission tritt diesem Antrag der Klägerin entgegen.

2.     Würdigung durch das Gericht

203    Was die Nachprüfung wettbewerbsrechtlicher Entscheidungen der Kommission durch den Gemeinschaftsrichter betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit hinaus, die nur die Zurückweisung der Nichtigkeitsklage oder die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts ermöglicht, die auf der Grundlage von Art. 229 EG dem Gericht durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 erteilte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung dieses ermächtigt, den angefochtenen Rechtsakt, auch ohne ihn für nichtig zu erklären, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände abzuändern und z. B. die Höhe der Geldbuße anders festzusetzen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission, C‑534/07 P, Slg. 2009, I‑7415, Randnr. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

204    Erstens ist das Gericht zu dem Antrag auf Abänderung des Erhöhungssatzes von 90 % auf den Grundbetrag der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße angesichts von deren starker Neigung, sich den Wettbewerbsregeln zu entziehen, im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht der Auffassung, dass dieser Satz abgeändert werden sollte.

205    Zweitens ist das Gericht zu dem Antrag auf Abänderung des Betrags der Geldbuße, der gegen die Klägerin verhängt wurde, obwohl sie den Sachverhalt nicht bestritten und im Verwaltungsverfahren zusammengearbeitet haben will, der Auffassung, dass im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung eine Herabsetzung der Geldbuße nicht erfolgen kann, weil diese Zusammenarbeit die Kommission nicht in die Lage versetzt hat, das Kartell ganz oder teilweise zu ahnden.

206    Somit ist, da weitere Gesichtspunkte fehlen, die im vorliegenden Fall zu einer Abänderung des Betrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße führen könnten, ihr zweiter Antrag als unbegründet abzuweisen.

207    Demgemäß ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

 Kosten

208    Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Arkema France trägt die Kosten.

Pelikánová

Jürimäe

Soldevila Fragoso

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Mai 2011.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Vorgeschichte des Rechtsstreits

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

A –  Zum Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung

1.  Zur Zulässigkeit

a)  Zum ersten Unzulässigkeitsgrund: Unzulässigkeit des ersten Antrags der Klägerin

b)  Zum zweiten Unzulässigkeitsgrund: Unzulässigkeit des ersten Klagegrundes der Klägerin

2.  Zur Begründetheit

a)  Zum zweiten Klagegrund: Rechtsfehler bei der Erhöhung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wegen Tatwiederholung

Zum ersten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Verteidigungsrechte und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wegen der Berücksichtigung der Peroxygen-Entscheidung als Wiederholungsfall in der angefochtenen Entscheidung

–  Vorbringen der Parteien

–  Würdigung durch das Gericht

Zum zweiten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze ne bis in idem und der Verhältnismäßigkeit, weil die Kommission bei der Frage der Tatwiederholung bereits die Peroxygen-, die Polypropylen- und die PVC‑Entscheidung in vier anderen Entscheidungen gegen die Klägerin herangezogen habe

–  Vorbringen der Parteien

–  Würdigung durch das Gericht

Zum dritten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der ordnungemäßen Verwaltung wegen der Erhöhung des Grundbetrags der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße um 90 % wegen Tatwiederholung

–  Vorbringen der Parteien

–  Würdigung durch das Gericht

b)  Zum dritten Klagegrund: Weigerung, der Klägerin eine Ermäßigung der Geldbuße nach der Kronzeugenregelung von 2002 zu gewähren

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

c)  Zum vierten Klagegrund: Versagung der Herabsetzung der Geldbuße außerhalb des Anwendungsbereichs der Kronzeugenregelung von 2002 zulasten der Klägerin

Zum zweiten Teil dieses Klagegrundes: Rechtliche und tatsächliche Fehler bei der Annahme der Kommission, die Zusammenarbeit der Klägerin rechtfertige keine Ermäßigung der Geldbuße wegen mildernder Umstände aufgrund der Leitlinien

–  Vorbringen der Parteien

–  Würdigung durch das Gericht

Zum ersten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit trotz fehlenden Bestreitens des Sachverhalts und wegen der Zusammenarbeit der Klägerin

–  Vorbringen der Parteien

–  Würdigung durch das Gericht

Zum dritten Teil dieses Klagegrundes: Verletzung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Gleichbehandlung, weil Argonesas und die Klägerin zu Unrecht gleichbehandelt worden seien

–  Vorbringen der Parteien

–  Würdigung durch das Gericht

B –  Zum Hilfsantrag auf Abänderung des Betrags der Geldbuße

1.  Vorbringen der Parteien

2.  Würdigung durch das Gericht

Kosten


* Verfahrenssprache: Französisch.