Language of document : ECLI:EU:C:2017:721

Rechtssache C616/15

Europäische Kommission

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Steuerwesen – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 132 Abs. 1 Buchst. f – Steuerbefreiung für Dienstleistungen, die selbständige Zusammenschlüsse von Personen an ihre Mitglieder erbringen – Beschränkung auf selbständige Zusammenschlüsse, deren Mitglieder eine begrenzte Anzahl von Berufen ausüben“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 21. September 2017

Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Befreiungen – Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten – Dienstleistungen, die selbständige Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist, an ihre Mitglieder erbringen – Nationale Regelung, die die Steuerbefreiung auf selbständige Zusammenschlüsse von Personen beschränkt, deren Mitglieder eine begrenzte Anzahl von Berufen ausüben – Vertragsverletzung – Rechtfertigung – Allgemeine Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen – Nicht gegeben

(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 132 Abs. 1 Buchst. f)

Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, wenn er die Mehrwertsteuerbefreiung auf selbständige Zusammenschlüsse von Personen beschränkt, deren Mitglieder eine begrenzte Anzahl von Berufen ausüben.

Die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen erbrachten Dienstleistungen fallen nämlich unter die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112, wenn sie unmittelbar zur Ausübung von Tätigkeiten beitragen, die nach Art. 132 dieser Richtlinie dem Gemeinwohl dienen.

Außerdem ist der Anwendungsbereich der in Art. 132 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiungen eng auszulegen, da diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt.

Daraus folgt, dass Dienstleistungen, die nicht unmittelbar zur Ausübung von dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten nach Art. 132 der Richtlinie 2006/112 beitragen, sondern zur Ausübung anderer steuerbefreiter Tätigkeiten, insbesondere nach Art. 135 dieser Richtlinie, nicht unter die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie fallen können.

Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 ist demnach dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung sich nur auf selbständige Zusammenschlüsse von Personen bezieht, deren Mitglieder dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ausüben, die in dieser Bestimmung aufgeführt sind. Folglich ist die Hauptrüge der Kommission, wonach der Anwendungsbereich der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung nicht auf selbständige Zusammenschlüsse von Personen beschränkt sei, deren Mitglieder dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ausübten, zurückzuweisen.

Zum Zweck der Bestimmung, ob die Anwendung der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 auf eine bestimmte Tätigkeit zu einer Wettbewerbsverzerrung führen kann, sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, diese Voraussetzung wörtlich in ihr nationales Recht zu übernehmen. Zwar stünde es dem nationalen Gesetzgeber insoweit frei, Vorschriften vorzusehen, die von den zuständigen Behörden einfach gehandhabt und kontrolliert werden können. Nach Art. 131 der Richtlinie 2006/112 legen die Mitgliedstaaten nämlich die Voraussetzungen fest, denen diese Steuerbefreiungen unterliegen, um deren korrekte und einfache Anwendung zu gewährleisten. Jedoch können sich diese Voraussetzungen nicht auf die Bestimmung des Inhalts der von dieser Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen beziehen.

(vgl. Rn. 48-51, 64, 65, 72 und Tenor)