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BESCHLUSS DES GERICHTS (Sechste Kammer)

5. März 2024(*)

„Nichtigkeitsklage – Weigerung der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten – Vertretung durch einen Anwalt, der kein vom Kläger unabhängiger Dritter ist – Keine unmittelbare Betroffenheit – Offensichtliche Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑1073/23,

AG, vertreten durch AG, Hochschullehrerin,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. J. Costeira (Berichterstatterin) sowie der Richterinnen M. Kancheva und E. Tichy-Fisslberger,

Kanzler: V. Di Bucci,

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrer auf Art. 263 AEUV gestützten Klage beantragt die Klägerin im Wesentlichen die Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 13. September 2023, mit dem sich diese geweigert hat, der Beschwerde der Klägerin nachzugehen und ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten.

2        Nach Art. 126 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn eine Klage offensichtlich unzulässig ist, die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.

3        Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht auf der Grundlage des Akteninhalts für ausreichend unterrichtet und beschließt in Anwendung von Art. 126 der Verfahrensordnung, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

4        Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Gericht anwendbar ist, andere Parteien als die Mitgliedstaaten, die Organe der Europäischen Union, die Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und die Überwachungsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) durch einen Anwalt vertreten sein müssen, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des EWR-Abkommens aufzutreten. Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensordnung stellt klar, dass die Parteien nach Maßgabe dieses Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in einem Verfahren vor dem Gericht durch einen Bevollmächtigten oder einen Anwalt vertreten sein müssen.

5        Aus diesen Bestimmungen und insbesondere aus der Verwendung des Wortes „vertreten“ in Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union geht hervor, dass eine „Partei“ im Sinne dieser Vorschrift unabhängig von ihrer Eigenschaft nicht selbst zum Zweck der Erhebung einer Klage beim Gericht auftreten darf, sondern sich eines Dritten bedienen muss, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines Vertragsstaats des EWR-Abkommens aufzutreten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

6        Es ist daher ausgeschlossen, dass eine Partei und ihr Vertreter ein und dieselbe Person sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 58, und Beschluss vom 30. April 2020, De la Riva Bosch/Kommission, T‑87/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:178, Rn. 7).

7        Diese einer Partei – auch wenn sie selbst Anwalt ist – auferlegte Verpflichtung, sich zur Vertretung vor den Unionsgerichten eines Dritten zu bedienen, stellt die Parteien unabhängig von ihrer beruflichen Stellung hinsichtlich der Bedingungen für die Verteidigung ihrer Rechte vor den Unionsgerichten gleich und ist daher geeignet, den Gleichheitssatz zu gewährleisten (vgl. Beschluss vom 3. September 2015, Lambauer/Rat, C‑52/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:549, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

8        Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Akteninhalt, dass die Klägerin Hochschullehrerin ist und in dieser Eigenschaft die vorliegende Klage erhoben hat. Die Klageschrift ist somit nur von der Klägerin unterzeichnet worden.

9        Eine solche Vertretung der Klägerin durch sich selbst erfüllt aber offensichtlich nicht die Voraussetzungen von Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und von Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensordnung.

10      Folglich zählt der Verstoß gegen die Anforderungen von Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensordnung nicht zu den Mängeln, die nach Art. 21 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 78 Abs. 6 der Verfahrensordnung geheilt werden können (vgl. Beschluss vom 30. April 2020, De la Riva Bosch/Kommission, T‑87/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:178, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung), so dass die vorliegende Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen ist.

11      Im Übrigen ist nach ständiger Rechtsprechung eine Klage unzulässig, mit der Einzelne die Weigerung der Kommission, gegen einen Mitgliedstaat ein Verletzungsverfahren einzuleiten, angreifen (Beschlüsse vom 12. Juni 1992, Asia Motor France/Kommission, C‑29/92, EU:C:1992:264, Rn. 21, vom 13. November 1995, Dumez/Kommission, T‑126/95, EU:T:1995:189, Rn. 33, und Urteil vom 22. Mai 1996, AITEC/Kommission, T‑277/94, EU:T:1996:66, Rn. 55).

12      Eine ablehnende Entscheidung der Kommission wie die im vorliegenden Fall ergangene ist nämlich nach der Art des Antrags zu beurteilen, der durch sie beschieden wird (Urteil vom 8. März 1972, Nordgetreide/Kommission, 42/71, EU:C:1972:16, Rn. 5, Beschluss vom 13. November 1995, Dumez/Kommission, T‑126/95, EU:T:1995:189, Rn. 34, und Urteil vom 22. Oktober 1996, Salt Union/Kommission, T‑330/94, EU:T:1996:154, Rn. 32).

13      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen nach den Abs. 1 und 2 dieses Artikels gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Nichtigkeitsklage erheben.

14      Im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV kann die Kommission jedoch nur Akte erlassen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind (Beschlüsse vom 29. November 1994, Bernardi/Kommission, T‑479/93 und T‑559/93, EU:T:1994:277, Rn. 31, sowie vom 19. Februar 1997, Intertronic/Kommission, T‑117/96, EU:T:1997:16, Rn. 32). Darüber hinaus ergibt sich aus dem System von Art. 258 AEUV, dass weder die mit Gründen versehene Stellungnahme, die nur eine Vorstufe zu einer etwaigen Vertragsverletzungsklage vor dem Gerichtshof darstellt, noch die Anrufung des Gerichtshofs durch die tatsächliche Erhebung einer solchen Klage Handlungen darstellen, die eine natürliche oder juristische Person unmittelbar betreffen.

15      Daraus folgt, dass der Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission vom 13. September 2023, mit dem die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV gegen die Bundesrepublik Deutschland abgelehnt wurde, als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen ist.

16      Demnach ist die Klage wegen offensichtlicher Unzulässigkeit abzuweisen, ohne dass sie der Beklagten zugestellt werden müsste.

17      Da der vorliegende Beschluss ergeht, bevor die Klageschrift der Beklagten zugestellt wurde und ihr Kosten entstehen konnten, genügt es, der Klägerin gemäß Art. 133 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      AG trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 5. März 2024

Der Kanzler

 

Die Präsidentin

V. Di Bucci

 

M. J. Costeira


*      Verfahrenssprache: Deutsch.