Language of document : ECLI:EU:T:2011:367

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

13. Juli 2011(*)

„Gemeinschaftsmarke – Anmeldung einer Gemeinschaftsbildmarke, die ein auf einer Seite nach außen gewölbtes Rechteck in Purpur darstellt – Absolutes Eintragungshindernis – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009“

In der Rechtssache T‑499/09

Evonik Industries AG mit Sitz in Essen (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Albrecht,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten zunächst durch S. Stürmann, dann durch S. Stürmann und G. Schneider und schließlich durch S. Stürmann und R. Manea als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 2. Oktober 2009 (Sache R 491/2009‑4) über die Anmeldung eines auf einer Seite nach außen gewölbten Rechtecks in Purpur als Gemeinschaftsmarke

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten E. Moavero Milanesi (Berichterstatter) sowie der Richter N. Wahl und S. Soldevila Fragoso,

Kanzlerin: T. Weiler, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 14. Dezember 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 22. März 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2011, an der das HABM nicht teilgenommen hat,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 15. September 2008 meldete die Klägerin, die Evonik Industries AG, nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EG] Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. L 78, S. 1]) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

2        Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um die nachstehend wiedergegebene Bildmarke in der Farbe „Purpur Pantone 513 C“:

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3        Die Waren und Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wurde, gehören zu den Klassen 1 bis 45 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in der revidierten und geänderten Fassung.

4        Mit Entscheidung vom 10. März 2009 wies der Prüfer die Anmeldung für alle beanspruchten Waren und Dienstleistungen gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009) zurück.

5        Am 30. April 2009 legte die Klägerin gegen die Entscheidung des Prüfers beim HABM Beschwerde ein.

6        Mit Entscheidung vom 2. Oktober 2009 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Vierte Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass die angemeldete Marke keine Unterscheidungskraft habe. Zunächst stellte sie fest, dass die Klassen 1 bis 45 alle nur denkbaren Waren und Dienstleistungen abdeckten, die häufig in der beantragten Purpurfarbe, die einfach und gängig sei, aufträten. Zudem bestehe das angesprochene Publikum im Allgemeinen aus Durchschnittsverbrauchern, die im täglichen Leben mit Waren und Dienstleistungen jeglicher Art konfrontiert würden und deren Aufmerksamkeitsgrad, was Farben angehe, nicht hoch sei. Es erscheine unwahrscheinlich, dass ein und dieselbe Farbe für eine breite Palette verschiedenster Waren oder Dienstleistungen ein und demselben Unternehmen zugerechnet werden könne. Bei der geometrischen Form hingegen handle es sich um ein lang gestrecktes Rechteck, und die rechte, nach außen gewölbte Begrenzungslinie stelle eine im Vergleich zur Grundform eines Rechtecks geringe Abweichung dar. Insgesamt betrachtet wirke das angemeldete Zeichen, das in der einfachen Form eines Etiketts oder eines Hintergrunds für Aufschriften auftrete, nicht als Bildmarke, deren erfasste Waren und Dienstleistungen mit einem bestimmten Unternehmen in Verbindung gebracht werden könnten, sondern allenfalls als farbliche Dekoration ohne betrieblichen Herkunftshinweis. Schließlich gäben die von der Beschwerdeführerin zum Beweis ihrer Teilnahme an der Kampagne „Print wirkt“ vorgelegten Unterlagen weder über den etwaigen Umfang der Benutzung der Anmeldemarke noch über die Wahrnehmung des relevanten Publikums Aufschluss.

 Vorbringen der Parteien

7        Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

8        Das HABM beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

9        Die Klägerin macht im Wesentlichen als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 geltend. Sie macht u. a. zum einen geltend, dass die Beschwerdekammer die angemeldete Marke nicht in ihrer Gesamtheit betrachtet habe, da sie die Schutzfähigkeit einer geometrischen Form und die Schutzfähigkeit des Purpurfarbtons getrennt voneinander geprüft habe. Zum anderen sei Purpur ein spezifischer, überaus seltener Farbton, der auf den Gebieten der Chemieindustrie und der Wärmekraftwerkstechnik nicht verwendet werde, und selbst abgesehen von der Farbe weise die spezielle flächige Figur das geforderte Mindestmaß an Unterscheidungskraft auf. Außerdem bedeute die Einfachheit einer Marke nicht fehlende Unterscheidungskraft, da einfache grafische Darstellungen die Funktion eines betrieblichen Herkunftshinweises erfüllen könnten, sofern sie nicht allgemein verwendet würden.

10      Das HABM tritt dem gesamten Vorbringen der Klägerin entgegen.

11      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 sind „Marken, die keine Unterscheidungskraft haben“, von der Eintragung ausgeschlossen. Ferner bestimmt Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung, dass die „Vorschriften des Absatzes 1 … auch dann Anwendung [finden], wenn die Eintragungshindernisse nur in einem Teil der Gemeinschaft vorliegen“.

12      Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 bedeutet, dass die Marke geeignet ist, die Ware oder Dienstleistung, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware oder Dienstleistung somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, Slg. 2004, I‑5089, Randnr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

13      Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung diese Unterscheidungskraft zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder Dienstleistungen zusammensetzen (Urteile des Gerichtshofs vom 29. April 2004, Procter & Gamble/HABM, C‑473/01 P und C‑474/01 P, Slg. 2004, I‑5173, Randnr. 33, und vom 22. Juni 2006, Storck/HABM, C‑25/05 P, Slg. 2006, I‑5719, Randnr. 25). Die Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers, der als normal informiert und angemessen aufmerksam und verständig anzusehen ist, kann je nach Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein (Urteile des Gerichtshofs vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer, C‑342/97, Slg. 1999, I‑3819, Randnr. 26, und des Gerichts vom 10. Oktober 2007, Bang & Olufsen/HABM [Form eines Lautsprechers], T‑460/05, Slg. 2007, II‑4207, Randnr. 32).

14      Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob das betreffende Bildzeichen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ohne Unterscheidungskraft ist.

15      Im vorliegenden Fall besteht das angemeldete Zeichen aus einem auf der rechten Seite nach außen gewölbten Rechteck im Purpurfarbton, d. h. aus einem grafischen Element und einem Farbelement.

16      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass für die Beurteilung, ob einer Marke Unterscheidungskraft fehlt, auf den von ihr hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht zunächst die einzelnen Gestaltungselemente der Marke nacheinander geprüft werden dürften. Es kann sich nämlich als zweckmäßig erweisen, bei der Gesamtbeurteilung jeden einzelnen Bestandteil der betreffenden Marke zu untersuchen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2007, Henkel/HABM, C‑144/06 P, Slg. 2007, I‑8109, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      In der vorliegenden Rechtssache geht aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Beschwerdekammer zwar zunächst den Purpurfarbton und die betreffende geometrische Form getrennt voneinander untersuchte. Daraufhin nahm sie jedoch insbesondere in Randnr. 30 dieser Entscheidung eine Gesamtbeurteilung des als Bildmarke angemeldeten Zeichens vor. Insbesondere führte die Beschwerdekammer aus, dass das angemeldete Zeichen lediglich als ein Etikett oder ein Hintergrund ohne irgendwelche auffälligen Farb- oder Formmerkmale erscheine, dem der Verbraucher alltäglich begegne, und dass dieses Zeichen als solches nicht wie eine für sich stehende Bildmarke wirke, sondern allenfalls wie eine farbliche Dekoration.

18      Die Beschwerdekammer leitete somit die fehlende Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke nicht von den Bestandteilen ab, aus denen sie sich zusammensetzt, sondern berücksichtigte ihren Gesamteindruck. Das Vorbringen der Klägerin, wonach die Beschwerdekammer die angemeldete Marke nicht als Bildmarke gewürdigt und sie nicht in ihrer Gesamtheit berücksichtigt habe, ist daher zurückzuweisen.

19      Was erstens den Purpurfarbton als solchen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Farben zwar bestimmte gedankliche Verbindungen vermitteln und Gefühle hervorrufen können, dass sie aber ihrer Natur nach kaum geeignet sind, eindeutige Informationen zu übermitteln. Sie sind dies umso weniger, als sie in der Werbung und bei der Vermarktung von Waren und Dienstleistungen wegen ihrer Anziehungskraft gewöhnlich in großem Umfang ohne eindeutigen Inhalt verwendet werden (vgl. Urteil des Gerichts vom 12. November 2008, GretagMacbeth/HABM [Kombination von 24 Farbkästchen], T‑400/07, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Somit lässt sich eine Unterscheidungskraft vor jeder Benutzung bei einer Farbe als solcher nur unter außergewöhnlichen Umständen vorstellen, insbesondere wenn die Zahl der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet wird, sehr gering und der maßgebliche Markt sehr spezifisch ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2004, KWS Saat/HABM, C‑447/02 P, Slg. 2004, I‑10107, Randnr. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ist zunächst festzuhalten, dass die Klassen 1 bis 45 alle erdenklichen Waren und Dienstleistungen umfassen, ohne dass eine Unterteilung möglich wäre.

21      Überdies erscheint der Purpurfarbton nicht als ein spezifischer überaus seltener Farbton. Selbst wenn man mit der Klägerin annimmt, dass diese Farbe, die als „Purpur Pantone 513 C“ beansprucht wird, in den von ihr angeführten Branchen nicht verwendet wird, kann nach der Aktenlage im Hinblick auf das umfassende Waren- und Dienstleistungsverzeichnis keine Feststellung zur Ungewöhnlichkeit oder Auffälligkeit dieser Farbe getroffen werden, weshalb die Beschwerdekammer zutreffend der Ansicht war, dass Purpur eine „einfache und gängige“ Farbe sei. Auch wenn diese Farbe somit beim Verbraucher einen Gedanken oder ein positives Gefühl erweckt, ist sie mangels besonderer Elemente, die ihr einen kennzeichnenden Charakter verleihen könnten, im vorliegenden Fall nicht als geeignet anzusehen, als betrieblicher Herkunftshinweis zu dienen.

22      Daher ist davon auszugehen, dass der Purpurfarbton als solcher nicht geeignet ist, die Waren und Dienstleistungen der Klägerin von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die Tatsache, dass es sich um „Purpur Pantone 513 C“ handelt, das sich auf den ersten Blick nicht vom gemeinhin bekannten Purpurfarbton unterscheidet, ändert an dieser Beurteilung nichts.

23      Schließlich kann dem Vorbringen der Klägerin, wonach die Beschwerdekammer die Schutzfähigkeit des Purpurfarbtons als Warenfärbung ausschließlich abstrakt geprüft habe, indem sie die Rechtsprechung zu reinen Farbmarken herangezogen und aus dieser ihre Beurteilung hergeleitet habe, kein Erfolg beschieden sein. Zwar handelt es sich bei der angemeldeten Marke, wie die Klägerin geltend macht, weder um eine Farbmarke noch um eine Marke, deren Wiedergabe mit dem äußeren Erscheinungsbild einer Ware zusammenfällt. Dennoch darf sich die Beschwerdekammer im Fall einer Bildmarke wie der hier fraglichen, deren Farbe einen wichtigen Bestandteil ausmacht, insbesondere auf bestimmte in der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze zu Farbmarken beziehen, soweit sie diese im Rahmen ihrer vorab und getrennt vorgenommenen Prüfung der Farbe heranzieht. Unter diesen Umständen ist es der Beschwerdekammer nicht darum zu tun, ausschließlich auf der Grundlage dieser Kriterien über die Unterscheidungskraft der angemeldeten Bildmarke zu entscheiden, sondern nur darum, sie bei dieser Prüfung zu berücksichtigen, bevor sie im Wege einer umfassenden Beurteilung feststellt, ob das angemeldete Bildzeichen in seiner Gesamtheit geeignet ist, auf die betriebliche Herkunft der Waren hinzuweisen und sie von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden. Aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung geht jedoch hervor, dass es sich hier so verhielt.

24      Was zweitens die geometrische Form des angemeldeten Zeichens angeht, so besteht dieses aus einem Rechteck, dessen rechte Seite nach außen gewölbt ist.

25      Nach der Rechtsprechung ist ein Zeichen, das äußerst einfach ist und aus einer geometrischen Grundfigur wie einem Kreis, einer Linie, einem Rechteck oder einem üblichen Fünfeck besteht, als solches nicht geeignet, eine Aussage zu vermitteln, an die sich die Verbraucher erinnern können, so dass sie es nicht als eine Marke ansehen werden, sofern es nicht Unterscheidungskraft durch Benutzung erlangt hat (Urteil des Gerichts vom 12. September 2007, Cain Cellars/HABM [Darstellung eines Pentagons], T‑304/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 22).

26      Im vorliegenden Fall besteht die Eigenheit der geometrischen Form des angemeldeten Zeichens, wie die Beschwerdekammer zutreffend festgestellt hat, in einer unauffälligen Abweichung von der geometrischen Grundform eines Rechtecks, und nur ein genauer und aufmerksamer Beobachter wird die nach außen gewölbte rechte Seite bemerken. Selbst wenn den betroffenen Verkehrskreisen die Eigenheiten dieses Rechtecks auffallen, enthält seine Darstellung keine nennenswerte Abweichung von der üblichen Darstellung von Vierecken, so dass es tatsächlich als eine einfache geometrische Form wahrgenommen wird.

27      Auch wenn nach ständiger Rechtsprechung, wie die Klägerin vorträgt, sich die fehlende Unterscheidungskraft eines Zeichens nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nicht schon allein aus der Feststellung ergeben kann, dass es weder ungewöhnlich noch auffallend ist (Urteil des Gerichts vom 5. April 2001, Bank für Arbeit und Wirtschaft/HABM [EASYBANK], T‑87/00, Slg. 2001, II‑1259, Randnr. 39), und die Eintragung eines Zeichens als Gemeinschaftsmarke nicht von der Feststellung eines bestimmten Niveaus der Kreativität oder Einbildungskraft des Markeninhabers abhängt (Urteil des Gerichtshofs vom 16. September 2004, SAT.1/HABM, C‑329/02 P, Slg. 2004, I‑8317, Randnr. 41), muss ein Zeichen dennoch geeignet sein, die Waren oder Dienstleistungen des Markenanmelders von den Waren oder Dienstleistungen zu unterscheiden, die seine Wettbewerber anbieten (Urteil des Gerichts vom 27. Februar 2002, Rewe-Zentral/HABM [LITE], T‑79/00, Slg. 2002, II‑705, Randnr. 30). Ein Zeichen, das aus einer einfachen geometrischen Form wie der im vorliegenden Fall streitigen besteht, kann eine solche Unterscheidungsfunktion jedoch nicht erfüllen.

28      Wegen seiner Einfachheit wird die rechteckige Form den angesprochenen Verkehrskreisen keine eindeutige Aussage vermitteln, und diese werden annehmen, dass es sich um ein mit den Waren oder Dienstleistungen imZusammenhang stehendes Etikett, eine Dekoration oder eine ästhetischen Zwecken dienende Verzierung handele, nicht aber um einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft der beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Somit fehlt es der Darstellung, die aus einem auf einer Seite nach außen gewölbten Rechteck besteht, als solcher an Unterscheidungskraft.

29      Die Klägerin kann gleichfalls nicht geltend machen, dass eine grafische Grundform, bei der vom Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft auszugehen sei, da sie in der grafischen Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen üblich sei, zu unterscheiden sei von einer grafischen Gestaltung wie der vorliegenden, für die der Beweis ihrer Üblichkeit im Verkehr erbracht werden müsse, um ihre fehlende Unterscheidungskraft nachzuweisen.

30      Wie das HABM zutreffend dargelegt hat, ergibt sich die Tatsache, dass das angemeldete Zeichen nicht die Funktion eines betrieblichen Herkunftshinweises erfüllt, aus der Einfachheit der betreffenden geometrischen Form selbst, die keine Unterscheidung der Waren der Klägerin von den Waren anderer Unternehmen ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteil Darstellung eines Pentagons, Randnr. 33). Daher braucht entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht nachgewiesen zu werden, dass diese Form im Verkehr üblich ist, um die fehlende Unterscheidungskraft des angemeldeten Zeichens zu belegen. Die von der Klägerin hierzu entwickelten oder ihre hiermit im Zusammenhang stehenden Argumente sind demnach zurückzuweisen.

31      Insoweit ist das von der Klägerin geltend gemachte Urteil des Gerichts vom 13. Juni 2007, IVG Immobilien/HABM (I) (T‑441/05, Slg. 2007, II‑1937), zur Unterscheidungskraft eines Zeichens, das den Buchstaben „i“ als Großbuchstaben in der Farbe Königsblau darstellt, nicht relevant. In diesem Urteil hat das Gericht nämlich nicht ausgeführt, dass ein solches Zeichen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 Unterscheidungskraft hat, sondern nur die Erwägungen beanstandet, die die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis geführt hatten, dass diesem Zeichen die Unterscheidungskraft fehle. Im Wesentlichen bemängelte das Gericht, dass die Beschwerdekammer die Zurückweisung des angemeldeten Zeichens auf das Fehlen einer deutlichen grafischen Eigenart und eines Aussagegehalts gestützt hatte, ohne zuvor unter Berücksichtigung aller einschlägigen Umstände des Einzelfalls geprüft zu haben, ob dieses Zeichen aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise konkret geeignet war, die von dem Markenanmelder erbrachten Dienstleistungen von denen seiner Wettbewerber zu unterscheiden (Urteil I, Randnr. 60).

32      Im vorliegenden Fall geht aber aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass sich die Beschwerdekammer nicht darauf beschränkt hat, das Fehlen einer grafischen Eigenart des angemeldeten Zeichens festzustellen, sondern ihre Würdigung darauf gestützt hat, dass ein Zeichen, das ein auf der rechten Seite nach außen gewölbtes Rechteck im Purpurfarbton darstellt, nicht fähig sei, die betriebliche Herkunft sämtlicher Waren und Dienstleistungen der Klassen 1 bis 45 zu kennzeichnen.

33      Im Übrigen hat das HABM, ohne dass die Klägerin dem widersprochen hätte, darauf verwiesen, dass die Anmeldung des Großbuchstaben „I“ in Königsblau nach dem vorgenannten Urteil von der Beschwerdekammer bestandskräftig zurückgewiesen worden sei.

34      Was drittens die angemeldete Bildmarke in ihrer Gesamtheit betrifft, so vermag die Kombination von zwei als solchen nicht unterscheidungskräftigen Bestandteilen die Wahrnehmung durch die angesprochenen Verkehrskreise nicht zu ändern. Die Verbraucher sind es nicht gewohnt, die Herkunft von Waren aus einer einfachen geometrischen Form in gängiger Farbe abzuleiten. Insoweit wird das angemeldete Zeichen als solches nicht wie eine eigenständige Bildmarke wirken, sondern allenfalls wie ein dekoratives Farbelement, ein farbiges Etikett oder ein einfaches Farbmuster. Im Fall von Dienstleistungen wird das angemeldete Zeichen auch als Etikett für eine vorzunehmende Beschriftung oder einfach als ein banales Gestaltungselement in der Werbung für diese Dienstleistungen in Form von Anzeigen, Plakaten und Informationsbroschüren oder auch als Blickfang wahrgenommen werden. Die Klägerin hat auch nicht erläutert, für welche Waren und Dienstleistungen sie das Zeichen konkret zu benutzen gedenkt, und keine Beispiele für eine mögliche Benutzung des angemeldeten Zeichens angeführt, die geeignet wäre, auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kombination von 24 Farbkästchen, Randnr. 57).

35      Daher werden die angesprochenen Verkehrskreise die angemeldete Marke nicht in der Weise wahrnehmen können, dass mit ihr die Waren und Dienstleistungen der Klägerin von denjenigen anderer Unternehmen unterschieden werden. Dies gilt umso mehr, als diese Marke im vorliegenden Fall alle erdenklichen Waren und Dienstleistungen abdeckt. Das von der Klägerin beanspruchte ausgedehnte Waren- und Dienstleistungsverzeichnis bildet einen Gesichtspunkt, der gegen eine Unterscheidungskraft der benutzten Farbe spricht (vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 15. Dezember 2009, Media-Saturn/HABM [BEST BUY], T‑476/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 26). Es erscheint nämlich, wie die Beschwerdekammer ausgeführt hat, als unwahrscheinlich, dass ein Zeichen wie das im vorliegenden Fall streitige, das überdies für unterschiedlichste Waren und Dienstleistungen eingetragen werden soll, ein und demselben Unternehmen zugeordnet werden könnte.

36      Insoweit kann die Klägerin nicht geltend machen, dass die Beschwerdekammer das Vorliegen von Eintragungshindernissen unabhängig von den betreffenden Waren und Dienstleistungen bejaht habe, da eine solche Prüfung für Waren und Dienstleistungen, die 45 Klassen des Nizzaer Abkommens umfassen, kaum durchführbar erscheint, nachdem die Klägerin keinerlei Beschränkung dieses Verzeichnisses vorgenommen hat.

37      Überdies ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, wonach im Fall einer Marke, deren Eintragung nicht das Schutzhindernis des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 entgegenstehe, ein Allgemeininteresse, das ihre Eintragung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b unzulässig mache, dann vorliege, wenn die Benutzung dieser Marke durch mehrere oder sogar viele Wirtschaftsteilnehmer üblich sei.

38      Nach der Rechtsprechung ist nämlich jedes absolute Eintragungshindernis im Licht des ihm zugrunde liegenden Allgemeininteresses auszulegen. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 untersagt die Eintragung als Gemeinschaftsmarke von Zeichen oder Angaben, die im Verkehr zur Bezeichnung von Merkmalen der Waren oder Dienstleistungen dienen können, für die die Eintragung beantragt wurde, da er das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, dass solche Zeichen oder Angaben von allen frei verwendet werden können und somit verfügbar bleiben. Hingegen ist dieses Kriterium, wonach Marken, die im geschäftlichen Verkehr gewöhnlich für die Präsentation der betreffenden Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können, nicht eintragungsfähig sind, zwar im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c relevant, aber nicht dasjenige, das für die Auslegung des Buchst. b dieses Absatzes gilt (Urteil des Gerichtshofs vom 12. Januar 2006, Deutsche SiSi-Werke/HABM, C‑173/04 P, Slg. 2006, I‑551, Randnrn. 62 und 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Was den Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde liegenden Begriff des Allgemeininteresses betrifft, so ist er offensichtlich nicht zu trennen von der Hauptfunktion der Marke, dem Verbraucher die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung dadurch zu garantieren, dass sie ihm die Unterscheidung dieser Ware oder Dienstleistung ohne etwaige Verwechslung mit denjenigen anderer Herkunft ermöglicht (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 8. Mai 2008, Eurohypo/HABM, C‑304/06 P, Slg. 2008, I‑3297, Randnrn. 55 und 56 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin der Nachweis, dass die Anmeldemarke von den angesprochenen Verkehrskreisen nicht als betrieblicher Herkunftshinweis wahrgenommen werden wird, genügend für die Feststellung, dass sie keine Unterscheidungskraft besitzt.

40      Die Klägerin macht weiter geltend, es werde durch den im Rahmen der Kampagne „Print wirkt“ erschienenen Presseartikel belegt, dass die Anmeldemarke in den Köpfen des Zielpublikums in der Weise „verankert“ sei, dass sie die Klägerin von anderen Unternehmen unterscheide, und dass diese Marke aufweisende Werbekampagnen ihr richtig zugeordnet würden, obwohl sie keine Markennamen, Firmenlogos oder Produkte abbildeten. Aber selbst wenn man annähme, dass diese Umstände klar aus diesem Presseartikel hervorgehen, kann dieser als solcher dennoch nicht beweisen, dass die Anmeldemarke Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 besitzt, und jedenfalls könnte seine Berücksichtigung für den Nachweis der Unterscheidungskraft der Marke nur im Rahmen der Anwendung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 erfolgen, der die Erlangung von Unterscheidungskraft durch Benutzung betrifft. Wie jedoch das HABM geltend gemacht hat, hat sich die Klägerin im vorliegenden Fall nicht auf die Anwendbarkeit dieser Bestimmung berufen und hierauf nicht einmal ihr Vorbringen erstreckt.

41      Schließlich ist die von der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argumentation zurückzuweisen, mit der sie sich auf einen Beschluss des Bundespatentgerichts vom 29. Oktober 2010 bezogen hat, in dessen Folge das Deutsche Patent- und Markenamt die Anmeldemarke am 16. November 2010 auf nationaler Ebene eingetragen haben soll.

42      Auch wenn weder die Verfahrensbeteiligten noch das Gericht selbst daran gehindert sind, in ihre Auslegung des Gemeinschaftsrechts Elemente einzubeziehen, die sich aus der nationalen Rechtsprechung ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2006, Vitakraft-Werke Wührmann/HABM – Johnson’s Veterinary Products [VITACOAT], T‑277/04, Slg. 2006, II‑2211, Randnr. 71), vermag nämlich im Licht der vorstehenden Würdigung des Gerichts der Beschluss des Bundespatentgerichts vom 29. Oktober 2010, der, wie den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen ist, ein anderes Zeichen als das Anmeldezeichen betrifft, als solcher nicht die Beurteilung des letztgenannten Zeichens durch das Gericht in Frage zu stellen.

43      Zur Eintragung der Anmeldemarke auf nationaler Ebene ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Klage beim Gericht auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der von den Beschwerdekammern des HABM erlassenen Entscheidungen im Sinne von Art. 65 der Verordnung Nr. 207/2009 gerichtet ist, so dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, im Licht erstmals bei ihm eingereichter Unterlagen den Sachverhalt zu überprüfen, und solche Unterlagen zurückzuweisen sind, ohne dass ihre Beweiskraft geprüft zu werden braucht (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 24. November 2005, Sadas/HABM – LTJ Diffusion [ARTHUR ET FELICIE], T‑346/04, Slg. 2005, II‑4891, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ein Vorbringen, mit dem die Eintragung des angemeldeten Zeichens in Deutschland geltend gemacht wird, ist somit zurückzuweisen, da ein solches nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung liegendes Sachverhaltselement im Rahmen der Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung nicht berücksichtigt werden kann. Es ist auch hinzuzufügen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Eintragungsfähigkeit eines Zeichens als Gemeinschaftsmarke nur auf der Grundlage der einschlägigen Unionsregelung beurteilt werden darf. Weder das HABM noch gegebenenfalls der Unionsrichter sind durch eine Entscheidung gebunden, die in einem Mitgliedstaat oder einem Drittland ergangen ist und die das betreffende Zeichen zur Eintragung als nationale Marke zulässt (Urteile des Gerichts vom 27. Februar 2002, Streamserve/HABM [STREAMSERVE], T‑106/00, Slg. 2002, II‑723, Randnr. 47, und vom 22. Juni 2005, Metso Paper Automation/HABM [PAPERLAB], T‑19/04, Slg. 2005, II‑2383, Randnr. 37).

44      Somit ist der einzige Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zurückzuweisen. Die Klage ist folglich als unbegründet abzuweisen.

 Kosten

45      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des HABM die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Evonik Industries AG trägt die Kosten.

Moavero Milanesi

Wahl

Soldevila Fragoso

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Juli 2011.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.