URTEIL DES GERICHTSHOFES
14. September 1999 (1)
„Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG)
Gleichbehandlung Gebietsfremde Einkommensteuer Veranlagung von
Verheirateten“
In der Rechtssache C-391/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234
EG) vom Finanzgericht Köln (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen
Rechtsstreit
Frans Gschwind
gegen
Finanzamt Aachen-Außenstadt,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 48
EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn, G. Hirsch und P. Jann sowie der Richter
C. Gulmann, J. L. Murray, D. A. O. Edward, H. Ragnemalm, L. Sevón,
M. Wathelet (Berichterstatter) und R. Schintgen,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
von F. Gschwind, vertreten durch Steuerberater W. Kaefer, Aachen,
des Finanzamts Aachen-Außenstadt, vertreten durch Regierungsdirektor
J. Viehöfer vom Finanzamt Aachen-Außenstadt,
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder und
Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, beide Bundesministerium für
Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder, Verwaltungsdirektor
im Juristischen Dienst des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten,
Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
H. Michard, Juristischer Dienst, im Beistand von A. Buschmann, im
Rahmen des Austauschs mit nationalen Beamten zum Juristischen Dienst
der Kommission abgeordneter deutscher Beamter, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von F. Gschwind, vertreten durch
W. Kaefer, im Beistand von G. Saß, des Finanzamts Aachen-Außenstadt, vertreten
durch E. Marx, Leitender Regierungsdirektor im Finanzamt Aachen-Außenstadt,
der deutschen Regierung, vertreten durch C.-D. Quassowski, der niederländischen
Regierung, vertreten durch J. S. van den Oosterkamp, stellvertretender
Rechtsberater im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als
Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch A. Buschmann, in der
Sitzung vom 26. Januar 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. März
1999,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Finanzgericht Köln hat mit Beschluß vom 27. Oktober 1997, beim Gerichtshof
eingegangen am 17. November 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel
234 EG) eine Frage nach der Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 39 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frans Gschwind (Kläger) und
dem Finanzamt Aachen-Außenstadt (Finanzamt) über die Besteuerung der in
Deutschland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Der nationale rechtliche Rahmen
- 3.
- Das deutsche Einkommensteuerrecht sieht eine je nach Wohnsitz des
Steuerpflichtigen unterschiedliche Besteuerung vor. Nach § 1
Absatz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) sind natürliche Personen, die in
Deutschland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dort mit
ihrem gesamten Welteinkommen steuerpflichtig („unbeschränkte Steuerpflicht“).
Demgegenüber sind natürliche Personen, die weder ihren Wohnsitz noch ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, gemäß § 1 Absatz 4 EStG nur für
die in Deutschland erzielten Einkünfte einkommensteuerpflichtig („beschränkte
Steuerpflicht“). Diese deutschen Einkünfte umfassen gemäß § 49 Absatz 1
Nummer 4 EStG die Einkünfte aus einer in Deutschland ausgeübten
nichtselbständigen Arbeit.
- 4.
- Der deutsche Gesetzgeber hat zugunsten der verheirateten und nicht dauernd
getrennt lebenden unbeschränkt Steuerpflichtigen ein System der
Zusammenveranlagung eingeführt, bei dem unter Anwendung des „Splitting-Verfahrens“ für sie eine gemeinsame Bemessungsgrundlage ermittelt wird, um die
Steuerprogression bei der Einkommensteuer zu mildern. Hierzu werden nach § 26b
EStG „die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den
Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist,
die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt.“ Gemäß § 32a
Absatz 5 EStG beträgt die Einkommensteuer bei Ehegatten, die zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt werden, „das Zweifache des Steuerbetrags, der sich für
die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens nach den Absätzen 1
bis 3 ergibt (Splitting-Verfahren)“. Das Einkommen wird also so besteuert, als sei
es von jedem der Ehegatten zur Hälfte erzielt worden. Das bedeutet, daß das
Ehepaar bei unterschiedlich hohem Einkommen der Ehepartner steuerlich entlastet
wird. Diese steuerliche Entlastung durch das Splitting-Verfahren ist in Verbindung
mit dem progressiven deutschen Steuertarif grundsätzlich um so größer, je weiter
die Einkommen beider Ehegatten differieren.
- 5.
- Diese Steuervergünstigung war zunächst Ehegatten mit Wohnsitz in Deutschland
vorbehalten, auch wenn einer von ihnen ausländische Einkünfte hatte, wobei
letztere für die Berechnung des Steuersatzes im Rahmen des
Progressionsvorbehalts mitberücksichtigt wurden.
- 6.
- Seit der 1995 erfolgten Gesetzesänderung zur Anpassung der Regelung für die
Besteuerung der Einkünfte von Gebietsfremden an die vom Gerichtshof in seinen
Urteilen vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker,
Slg. 1995, I-225) und vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-80/94 (Wielockx,
Slg. 1995, I-2493) entwickelte Rechtsprechung kann der verheiratete
Steuerpflichtige, der im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat und der Angehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen
Gemeinschaften oder einer der Vertragsparteien des Abkommens über den
Europäischen Wirtschaftsraum ist, gemäß § 1a Absatz 1 Nummer 2 EStG die
gemeinsame Besteuerungsgrundlage für Ehegatten und den sich aus dem Splitting-Verfahren ergebenden Steuersatz in Anspruch nehmen, wenn sein Ehepartner in
einem dieser Staaten wohnt und
wenn das Gesamteinkommen der Ehegatten mindestens zu 90 % der
deutschen Einkommensteuer unterliegt
oder wenn ihre der deutschen Einkommensteuer nicht unterliegenden
Einkünfte im Kalenderjahr nicht über 24 000 DM liegen.
- 7.
- Unter diesen Voraussetzungen gelten die Ehegatten nämlich nach deutschem
Recht, auch wenn sie in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren
gewöhnlichen Aufenthalt haben, als unbeschränkt Steuerpflichtige. Als solche
können sie auch die anderen den Gebietsansässigen im Hinblick auf ihre
persönlichen Verhältnisse und ihren Familienstand (Familienlasten,
Sozialversicherungsbeiträge und andere Umstände, die einen Anspruch auf
steuerliche Abzüge und Freibeträge geben) zuerkannten Steuervergünstigungen
beanspruchen.
- 8.
- Nach §§ 26 und 26a EStG können diese Steuerpflichtigen die zusätzliche Belastung,
die sich bei Anwendung des Splittings aufgrund der Steuerprogression ergeben
würde (z. B. wenn der Ehegatte hohe ausländische Einkünfte bezieht), vermeiden,
wenn sie eine getrennte Veranlagung beantragen.
Der Ausgangsrechtsstreit
- 9.
- Der Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und wohnt mit seiner Familie in
den Niederlanden, nahe der deutschen Grenze. In den Jahren 1991 und 1992 war
er in Aachen (Deutschland) beschäftigt, während seine Ehefrau in den
Niederlanden beschäftigt war.
- 10.
- Er erzielte in jedem dieser Jahre steuerpflichtige Arbeitseinkünfte in Höhe von
rund 74 000 DM; dies entsprach etwa 58 % der gemeinsamen Einkünfte. Gemäß
Artikel 10 Absatz 1 des am 16. Juni 1959 in Den Haag unterzeichneten
Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur
Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete (im folgenden: Abkommen)
waren die Einkünfte des Klägers in Deutschland und die seiner Frau in den
Niederlanden zu versteuern. Nach Artikel 20 Absatz 3 des Abkommens waren die
niederländischen Steuerbehörden jedoch berechtigt, in die Besteuerungsgrundlage
die in Deutschland der Steuer unterliegenden Einkünfte einzubeziehen, von der so
berechneten Steuer jedoch den Teil abzuziehen, der den in Deutschland der Steuer
unterliegenden Einkünften entsprach.
- 11.
- Aufgrund der 1995 eingetretenen Änderung des Besteuerungssystems, die für die
Steuern galt, die zum Zeitpunkt der Änderung noch nicht festgesetzt worden waren,
veranlagte die deutsche Steuerverwaltung den Kläger 1997 hinsichtlich seiner
Einkünfte aus den Jahren 1991 und 1992 als unbeschränkt Steuerpflichtigen,
behandelte ihn jedoch wie einen Nichtverheirateten, da nach den §§ 1 Absatz 3 und
1a Absatz 1 Nummer 2 EStG die Einkünfte seiner Ehefrau in den Niederlanden
sowohl die absolute Bagatellgrenze von 24 000 DM pro Jahr als auch die Quote
von 10 % der kumulierten Gesamteinkünfte des Haushalts überstiegen. Diese
Veranlagung hatte für den Kläger eine zusätzliche steuerliche Belastung von
1 012 DM für 1991 und von 724 DM für 1992 im Verhältnis zu den Steuern zur
Folge, die er nach dem für Verheiratete gemäß den § 26 und 26b EStG geltenden
Splittingtarif gezahlt hätte.
- 12.
- Nachdem sein Einspruch gegen die Steuerbescheide 1991 und 1992 zurückgewiesen
worden war, klagte der Kläger beim Finanzgericht Köln und machte geltend, die
Verweigerung des Splittingtarifs für verheiratete Gemeinschaftsbürger, die in
Deutschland arbeiteten und in einem anderen Mitgliedstaat ansässig seien, verstoße
gegen Artikel 48 des Vertrages sowie gegen die Rechtsprechung des Gerichtshofes,
wie sie sich aus dem Urteil Schumacker und dem Urteil vom 27. Juni 1996 in der
Rechtssache C-107/94 (Asscher, Slg. 1996, I-3089) ergebe.
- 13.
- Um diesen Rechtsstreit entscheiden zu können, hat das Finanzgericht Köln das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Verstößt es gegen Artikel 48 EG-Vertrag, daß nach § 1 Absatz 3 Satz 2 in
Verbindung mit § 1a Absatz 1 Nummer 2 EStG ein niederländischer
Staatsangehöriger, der in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielt, ohne im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt zu haben, ebenso wie sein von ihm nicht dauernd getrennt lebender
Ehegatte, der ebenfalls im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt
hat und Einkünfte im Ausland erzielt, deswegen für die Anwendung des § 26
Absatz 1 Satz 1 EStG (hier: Zusammenveranlagung) nicht als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig behandelt werden, weil die gemeinsamen Einkünfte der
Ehegatten im Kalenderjahr nicht mindestens zu 90 % der deutschen EStG
unterliegen bzw. die nicht der deutschen EStG unterliegenden Einkünfte mehr als
24 000 DM betragen?
- 14.
- Die Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 48
Absatz 2 des Vertrages der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats
entgegensteht, die gebietsansässigen Eheleuten eine Steuervergünstigung wie
diejenige, die sich aus der Anwendung des Splitting-Verfahrens ergibt, gewährt, die
Gewährung dieser Vergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon
abhängig macht, daß mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der
Steuer unterliegen oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in
diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen
bestimmten Betrag nicht überschreiten.
- 15.
- Nach Auffassung des Finanzamts sowie der deutschen und der niederländischen
Regierung verstößt die unterschiedliche Behandlung von Gebietsansässigen und
Gebietsfremden im Hinblick auf das Splitting nicht gegen das Gemeinschaftsrecht.
Indem der deutsche Gesetzgeber die Gewährung dieses Vorteils an Gebietsfremde
davon abhängig gemacht habe, daß das Gesamteinkommen der Ehegatten
mindestens zu 90 % der deutschen Steuer unterliege oder daß ihre nicht der Steuer
unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 24 000 DM betrügen, habe er nämlich die
Konsequenzen aus dem Urteil Schumacker gezogen. Dieses Urteil gebiete die
Einräumung des Splittingvorteils an Gebietsfremde nur, wenn ihre persönliche und
familiäre Situation im Wohnsitzstaat deswegen nicht berücksichtigt werden könne,
weil sie den wesentlichen Teil ihrer Einkünfte und praktisch die Gesamtheit ihrer
Familieneinkünfte in Deutschland erzielten.
- 16.
- In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein erheblicher Teil der
Familieneinkünfte in dem Staat erzielt würde, in dem der Steuerpflichtige wohne,
sei dieser Staat jedoch in der Lage, dem Steuerpflichtigen die nach seinem Recht
vorgesehenen Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigungseiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergäben.
- 17.
- Nach Auffassung der belgischen Regierung ist es dagegen aus keinem objektiven
Grund gerechtfertigt, einem gebietsfremden Ehepaar den Splittingvorteil mit der
Begründung zu verweigern, seine im Ausland zu versteuernden Einkünfte
überstiegen eine bestimmte Obergrenze oder einen bestimmten Prozentsatz seiner
Gesamteinkünfte. Das deutsche Splittingsystem bezwecke und bewirke nämlich
nicht, daß einem Steuerpflichtigen aufgrund seiner persönlichen Lage oder seines
Familienstands eine Steuervergünstigung gewährt werde, die ihm womöglich in
seinem Wohnsitzstaat ein zweites Mal gewährt werden könnte. Es handele sich
eher um eine Methode zur Bestimmung des Steuersatzes, der sich nach der
Steuerkraft der von den Eheleuten gebildeten wirtschaftlichen Gemeinschaft richte.
- 18.
- Die Kommission schließlich vertritt die Auffassung, nachdem der Wohnsitzstaat, das
Königreich der Niederlande, aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens darauf
verzichtet habe, die Einkünfte des Klägers zu besteuern, sei allein der
Tätigkeitsstaat in der Lage, die persönliche und familiäre Situation des Klägers zu
berücksichtigen. Im übrigen werde ein Steuerpflichtiger immer nur in dem Staat für
das Splitting optieren, in dem der Ehegatte veranlagt werde, der die höheren
Einkünfte erziele, denn nur dann ergebe sich aus dem Splitting-Verfahren eine
Steuerersparnis durch Abschwächung der Progressionswirkung. Das Splitting könne
daher zu nicht einer doppelten steuerlichen Entlastung aufgrund der familiären
Situation im Wohnsitz- und im Tätigkeitsstaat führen. Im vorliegenden Fall sei die
Situation mit der eines in Deutschland wohnenden Ehepaars vergleichbar, bei dem
einer der Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erziele, die aufgrund eines
Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Steuer befreit seien, und das
Ehepaar gleichwohl nach deutschem Recht das Splitting-Verfahren in Anspruch
nehmen könne.
- 19.
- Hilfsweise stellt die Kommission in Frage, daß der deutsche Gesetzgeber in
Anbetracht des Urteils Schumacker bei der Prüfung der Einhaltung der
Einkommensgrenzen tatsächlich eine Berücksichtigung der Einkünfte beider
Ehegatten habe vorsehen können. Da die deutsche Steuer nur das Einkommen des
Klägers erfasse, dem ausschließlich für die Berücksichtigung des
Progressionsvorbehalts die Einkünfte seiner Ehefrau hinzugerechnet würden und
nicht, um diese Einkünfte ebenfalls zu besteuern, habe die Kommission Zweifel,
ob es auf einer kohärenten Erwägung beruhe, bei der Grenze von 90 % auf die
Einkünfte beider Ehegatten abzustellen.
- 20.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die direkten Steuern zwar in die
Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, daß diese ihre Befugnisse in diesem
Bereich jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben und deshalb jede
offensichtliche oder versteckte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit
unterlassen müssen (Urteile Schumacker, Randnrn. 21 und 26, sowie Wielockx,
Randnr. 16).
- 21.
- Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Diskriminierung vor, wenn
unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden oder
wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird.
- 22.
- Im Hinblick auf die direkten Steuern befinden sich in einem Mitgliedstaat ansässige
Personen und Gebietsfremde in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation,
da die Einkünfte, die ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erzielt,
meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte darstellen, deren Schwerpunkt an
seinem Wohnort liegt, und da die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden, die
sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen
Lage und seines Familienstands ergibt, am leichtesten an dem Ort beurteilt werden
kann, an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner
Vermögensinteressen liegt; dieser Ort ist in der Regel der ständige Aufenthaltsort
des Betroffenen (Urteil Schumacker, Randnrn. 31 f.).
- 23.
- Versagt ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen, die
er Gebietsansässigen gewährt, so ist dies, wie der Gerichtshof in Randnummer 34
des Urteils Schumacker festgestellt hat, in Anbetracht der objektiven Unterschiede
zwischen der Situation der Gebietsansässigen und derjenigen der Gebietsfremden
sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle wie auch hinsichtlich der persönlichen
Steuerkraft oder der persönlichen Lage und des Familienstands in der Regel nicht
diskriminierend.
- 24.
- Auch das geltende internationale Steuerrecht, und zwar insbesondere das Muster-Doppelbesteuerungsabkommen der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), knüpft für die Aufteilung der
Steuerhoheit in Fällen mit Auslandsbeziehungen grundsätzlich an den Wohnsitz an.
- 25.
- So kann im Falle eines in den Niederlanden wohnenden Ehepaars, bei dem ein
Ehepartner in Deutschland arbeitet, wenn das Recht zur Besteuerung der in diesem
Staat erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach Artikel 10 Absatz 1
des Abkommens allein diesem Staat zusteht, das Königreich der Niederlande als
Wohnsitzstaat die in Deutschland zu versteuernden Einkünfte nach Artikel 20
Absatz 3 des Abkommens in die Besteuerungsgrundlage einbeziehen, dabei aber
von der so errechneten Steuer den Teil abziehen, der den in Deutschland zu
versteuernden Einkünften entspricht. Wenn dagegen die Bundesrepublik
Deutschland der Wohnsitzstaat ist, berechnet diese die Höhe der Steuer auf die in
Deutschland zu versteuernden Einkünfte unter Ausschluß der in den Niederlanden
zu versteuernden Einkünfte von der Besteuerungsgrundlage nach Maßgabe des für
das gesamte Einkommen des Steuerpflichtigen geltenden Satzes.
- 26.
- Demnach könnte eine diskriminierende Unterscheidung zwischen Gebietsansässigen
und Gebietsfremden im Sinne des Vertrages nur vorliegen, wenn ungeachtet ihres
Wohnsitzes in verschiedenen Mitgliedstaaten nachgewiesen wäre, daß die beiden
Gruppen von Steuerpflichtigen sich in Anbetracht des Zweckes und des Inhalts der
fraglichen nationalen Vorschriften in einer vergleichbaren Lage befinden.
- 27.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist dies der Fall, wenn der
Gebietsfremde in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte hat und
sein zu versteuerndes Einkommen im wesentlichen aus einer Tätigkeit bezieht, die
er im Beschäftigungsstaat ausübt. In diesem Fall ist der Wohnsitzstaat nämlich nicht
in der Lage, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der
Berücksichtigung seiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergeben, so
daß zwischen der Situation eines solchen Gebietsfremden und der eines
Gebietsansässigen, der eine vergleichbare nichtselbständige Beschäftigung ausübt,
kein objektiver Unterschied besteht, der eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der
Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstands des
Steuerpflichtigen bei der Besteuerung rechtfertigen könnte (Urteil Schumacker,
Randnrn. 36 f.).
- 28.
- Eine Situation wie diejenige des Ausgangsverfahrens unterscheidet sich jedoch
eindeutig von derjenigen, die dem Urteil Schumacker zugrunde lag. Die Einkünfte
von Herrn Schumacker machten nämlich praktisch die Gesamtheit der Einkünfte
seines Haushalts aus, und weder er noch seine Ehefrau hatten in ihrem
Wohnsitzstaat nennenswerte Einkünfte, die eine Berücksichtigung ihrer
persönlichen Lage und ihres Familienstands erlaubt hätten. Durch die Festsetzung
einer prozentual ausgedrückten Grenze für die in Deutschland zu versteuernden
und einer in absoluten Zahlen ausgedrückten Grenze für die nicht der deutschen
Steuer unterliegenden Einkünfte eröffnet das deutsche Recht jedoch gerade die
Möglichkeit, der persönlichen Lage und dem Familienstand der Steuerpflichtigen
im Wohnsitzstaat auf einer ausreichenden Besteuerungsgrundlage Rechnung zu
tragen.
- 29.
- Da etwa 42 % des Welteinkommens des Klägers und seiner Ehefrau in seinem
Wohnsitzstaat erzielt werden, kann dieser Staat die persönliche Lage und den
Familienstand des Klägers entsprechend den nach den Rechtsvorschriften dieses
Staates vorgesehenen Modalitäten berücksichtigen, da die Besteuerungsgrundlage
dort ausreicht, um eine solche Berücksichtigung zuzulassen.
- 30.
- Somit ist nicht nachgewiesen, daß sich ein gebietsfremdes Ehepaar, bei dem ein
Ehepartner in dem fraglichen Besteuerungsstaat arbeitet und dessen persönliche
Lage und Familienstand aufgrund des Vorliegens einer ausreichenden
Besteuerungsgrundlage im Wohnsitzstaat von der Steuerverwaltung dieses Staates
berücksichtigt werden kann, im Hinblick auf die Anwendung von steuerrechtlichen
Vorschriften wie denjenigen des Ausgangsverfahrens in einer Situation befindet, die
mit derjenigen eines gebietsansässigen Ehepaars vergleichbar wäre, bei dem einer
der Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet.
- 31.
- Zum Vorbringen der Kommission, es sei für die Zwecke der Prüfung der
Einkommensgrenzen nicht kohärent, die Einkünfte beider Ehegatten zu
berücksichtigen, wenn das Splitting nur auf die Einkünfte des gebietsfremden
Steuerpflichtigen angewandt werde, genügt die Feststellung, daß ein Verfahren zur
Feststellung des Steuersatzes wie das Splitting-Verfahren auch dann, wenn im
Beschäftigungsstaat der einzelne und nicht das Ehepaar steuerpflichtig ist,
naturgemäß auf der Berücksichtigung der Einkünfte jedes Ehegatten beruht.
- 32.
- Nach alledem ist Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages dahin auszulegen, daß er der
Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die
gebietsansässigen Eheleuten eine Steuervergünstigung wie diejenige, die sich aus
der Anwendung des Splitting-Verfahrens ergibt, gewährt, die Gewährung dieser
Steuervergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon abhängig macht, daß
mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der Steuer unterliegen
oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in diesem Staat nicht
der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen bestimmten Betrag nicht
überschreiten, und damit die Möglichkeit offenhält, ihre persönliche Lage und ihren
Familienstand in ihrem Wohnsitzstaat zu berücksichtigen.
Kosten
- 33.
- Die Auslagen der deutschen, der belgischen und der niederländischen Regierung
sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben,
sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Finanzgericht Köln mit Beschluß vom 27. Oktober 1997 vorgelegte
Frage für Recht erkannt:
Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 Artikel 2 EG) ist
dahin auszulegen, daß er der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht
entgegensteht, die gebietsansässigen Eheleuten eine Steuervergünstigung wie
diejenige, die sich aus der Anwendung des Splitting-Verfahrens ergibt, gewährt, die
Gewährung dieser Steuervergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon
abhängig macht, daß mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der
Steuer unterliegen oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in
diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen
bestimmten Betrag nicht überschreiten, und damit die Möglichkeit offenhält, ihre
persönliche Lage und ihren Familienstand in ihrem Wohnsitzstaat zu
berücksichtigen.
Rodríguez IglesiasKapteyn
Hirsch
Jann Gulmann
Murray
Edward Ragnemalm
Sevón
Wathelet Schintgen
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. September 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias