Language of document : ECLI:EU:T:2007:295

Rechtssache T‑136/05

EARL Salvat père & fils u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Staatliche Beihilfen – Maßnahmen zur Umstellung von Rebflächen – Entscheidung, mit der Beihilfen zum Teil für vereinbar und zum Teil für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt werden – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Begründungspflicht – Beurteilung anhand von Art. 87 Abs. 1 EG“

Leitsätze des Urteils

1.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen

(Art. 230 EG)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen

(Art. 230 Abs. 4 EG)

3.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang

(Art. 87 Abs. 1 EG und 253 EG)

4.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln

(Art. 87 Abs. 1 EG)

1.      Handlungen oder Entscheidungen, gegen die eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG gegeben ist, sind nur diejenigen Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen der Kläger durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung beeinträchtigen können. Folglich befreit die bloße Tatsache, dass eine angemeldete Beihilfe durch eine Entscheidung für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird und diese somit für den Kläger grundsätzlich keine Beschwer darstellt, den Gemeinschaftsrichter nicht von der Prüfung der Frage, ob die in der Entscheidung enthaltene Beurteilung der Kommission verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen können.

(vgl. Randnrn. 34, 36)

2.      Wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, kann nur dann geltend machen, von ihr individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten dieser Entscheidung. Daher kann ein Unternehmen eine Entscheidung der Kommission, mit der eine sektorielle Beihilferegelung verboten wird, grundsätzlich nicht anfechten, wenn es von ihr nur wegen seiner Zugehörigkeit zu dem fraglichen Sektor und seiner Eigenschaft als durch diese Regelung potenziell Begünstigter betroffen ist.

Eine solche Entscheidung ist nämlich für das klagende Unternehmen eine generelle Rechtsnorm, die für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber einer allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppe erzeugt. In einer anderen Position befindet sich jedoch ein Unternehmen, das von der fraglichen Entscheidung nicht nur als Unternehmen des einschlägigen Sektors und damit als von der streitigen Beihilferegelung potenziell Begünstigter, sondern auch in seiner Eigenschaft als tatsächlich Begünstigter einer nach dieser Regelung gewährten Einzelbeihilfe betroffen ist, deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat.

Dieses Unternehmen ist auch unmittelbar betroffen, wenn die Entscheidung der Kommission den Mitgliedstaat, an den sie sich richtet, verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfen zurückzufordern, und wenn das Unternehmen eine solche Beihilfe erhalten hat und zurückzahlen muss. Die beiden Voraussetzungen für die unmittelbare Betroffenheit bestehen nämlich darin, dass die betreffende Handlung erstens unmittelbare Folgen für die Rechtsstellung des Einzelnen haben muss und zweitens denjenigen, die sie durchzuführen haben, kein Ermessen lassen darf. Die unmittelbare Betroffenheit des klagenden Unternehmens hängt davon ab, ob diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, ohne dass von Bedeutung wäre, ob sie die dem Mitgliedstaat erteilte Rückforderungsanordnung angreift.

(vgl. Randnrn. 64, 67, 69, 75-77)

3.      Die Frage, ob die Begründung einer Entscheidung den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, ist nicht nur anhand des Wortlauts der Entscheidung zu beurteilen, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Zwar braucht die Kommission in der Begründung einer Entscheidung nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte einzugehen, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgetragen worden sind; sie hat jedoch alle maßgeblichen Umstände und Faktoren des Einzelfalls zu berücksichtigen, damit der Gemeinschaftsrichter seine Aufgabe der Rechtmäßigkeitskontrolle wahrnehmen kann und sowohl die Mitgliedstaaten als auch die beteiligten Bürger sich darüber unterrichten können, unter welchen Voraussetzungen die Kommission den Vertrag angewandt hat.

In einer Entscheidung, mit der die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, muss die Kommission insbesondere die Gründe angeben, aus denen die betreffenden Maßnahmen unter Art. 87 Abs. 1 EG fallen. Es kann jedoch nicht für jede Maßnahme, die die Kommission als Beihilfe betrachtet, eine eigene Begründung in Bezug auf jede der vier Voraussetzungen des Art. 87 EG verlangt werden. Wird in der Entscheidung untersucht, inwieweit die in Art. 87 Abs. 1 EG festgelegten Voraussetzungen für die Feststellung der Unvereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt erfüllt sind, so kann es daher für sich betrachtet nicht als Verletzung der Begründungspflicht angesehen werden, wenn dies global, mittels einer alle betreffenden Maßnahmen einschließenden Prüfung, geschieht, zumal wenn diese Maßnahmen Teil desselben Aktionsplans sind.

(vgl. Randnrn. 91, 99-100, 104)

4.      Als Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG sind nur solche Vorteile anzusehen, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden. Insoweit darf nicht danach unterschieden werden, ob eine Beihilfe unmittelbar vom Staat oder über eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung gewährt wird. Die Rechtsstellung einer solchen Einrichtung ist kein Kriterium, von dem die Anwendung der Bestimmungen des Vertrags über staatliche Beihilfen abhängt. Der bloße Umstand, dass es sich um eine öffentliche Einrichtung handelt, führt nicht ohne Weiteres zur Anwendung von Art. 87 EG, die ebenso wenig dadurch ausgeschlossen wird, dass die Maßnahmen von einer privaten Einrichtung getroffen werden.

In diesem Zusammenhang sind Branchenbeiträge, die durch eine Entscheidung eines berufsübergreifenden Komitees zur Finanzierung einer Beihilfe für bestimmte Erzeuger der betreffenden Branche geschaffen wurden, als staatliche Mittel einzustufen, wenn der Staat voll und ganz in der Lage ist, durch die Ausübung seines beherrschenden Einflusses auf das genannte Komitee die Verwendung der Mittel dieser Einrichtung zu steuern, um gegebenenfalls besondere Vorteile zugunsten bestimmter Unternehmen zu finanzieren.

(vgl. Randnrn. 130, 139, 156)