Language of document : ECLI:EU:C:2016:77

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 4. Februar 2016(1)

Rechtssache C‑465/14

Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank

gegen

F. Wieland,

H. Rothwangl

(Vorabentscheidungsersuchen des Centrale Raad van Beroep [Zentrales Berufungsgericht, Niederlande])

„Soziale Sicherheit – Art. 18 AEUV und 45 AEUV – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Art. 2, 3 und 94 Abs. 1 bis 3 – Verordnung (EG) Nr. 859/2003 – Art. 2 Abs. 1 bis 3 – Leistungen der Altersrentenversicherung – Nationale Rechtsvorschriften, die ehemalige Seeleute von der Versicherung ausschließen – Feststellung von Ansprüchen aus der Zeit vor dem Beitritt des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Antragsteller besitzt, zur Europäischen Union“





1.         Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen betreffend die Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71(2) und der Verordnung Nr. 859/2003(3) möchte der Centrale Raad van Beroep (Zentrales Berufungsgericht, Niederlande) wissen, ob diese Verordnungen niederländischen Vorschriften entgegenstehen, die in den 1960er Jahren Drittstaatsangehörige von der Altersrentenversicherung ausschlossen. Das Ausgangsverfahren betrifft zwei ehemalige Seeleute, die in jener Zeit an Bord eines Seeschiffs mit Heimathafen in den Niederlanden gewohnt und gearbeitet haben. Beide Kläger waren in der maßgeblichen Zeit(4) österreichische Staatsangehörige (und damit Drittstaatsangehörige). Als sie jedoch 2008 jeweils ihre Rentenansprüche bei den niederländischen Stellen geltend machten, war Österreich der Europäischen Union beigetreten. Herr Wieland war in der Zwischenzeit amerikanischer Staatsbürger geworden, während Herr Rothwangl weiterhin die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die beiden ehemaligen Seeleute in den Geltungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften über die Soziale Sicherheit fallen, ob die Übergangsbestimmungen in diesen Vorschriften die von ihnen geltend gemachten Ansprüche auf Altersrente erfassen und ob das in Art. 18 AEUV festgelegte Verbot der Diskriminierung sowie die durch Art. 45 AEUV garantierte Freizügigkeit der Arbeitnehmer den nationalen Regelungen, die sie von der Altersrentenversicherung in den 1960er Jahren ausschlossen, entgegenstehen.

 Unionsvorschriften

 Verordnung Nr. 1408/71

2.        Vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 war die Gemeinschaftsregelung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Verordnung Nr. 3/58 enthalten(5). Diese Verordnung fand jedoch auf Seeleute keine Anwendung(6). Die Verordnung Nr. 47/67(7) führte dann mit Wirkung vom 1. April 1967 besondere Bestimmungen für Seeleute ein. Sie regelte unter anderem die Bestimmung des anwendbaren Rechts und die Berechnung der Leistungen im Rahmen der Altersrente. Diese Bestimmungen wurden in die Verordnung Nr. 1408/71 aufgenommen, so dass Seeleute in den Geltungsbereich dieser Verordnung einbezogen wurden.

3.        Im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1408/71 heißt es, dass die Vorschriften über die Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften für die soziale Sicherheit sich in den Rahmen der Vorschriften des Vertrags betreffend die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, einfügen.

4.        Die folgenden Definitionen in Art. 1 sind hier relevant: „Arbeitnehmer“ ist u. a. jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist(8). „Rechtsvorschriften“ sind in jedem Mitgliedstaat die bestehenden und künftigen Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit(9). „Versicherungszeiten“ sind die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind(10). „Wohnzeiten“ sind die Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind oder unter denen sie als zurückgelegt gelten, als solche bestimmt oder anerkannt sind(11).

5.        Nach Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für „Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene“.

6.        Art. 3 Abs. 1 sieht vor, dass Personen, für die die Verordnung Nr. 1408/71 gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben.

7.        Leistungen bei Invalidität und Alter gehören zu den Zweigen der sozialen Sicherheit, die unter die Verordnung Nr. 1408/71 fallen (vgl. jeweils Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und c).

8.        Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. c unterliegt eine Person, die ihre Berufstätigkeit an Bord eines Schiffes ausübt, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, den Rechtsvorschriften dieses Staates(12).

9.        Die besonderen Bestimmungen zur Berechnung der Altersrente finden sich in Titel III Kapitel 3. Nach Art. 44 werden die Ansprüche auf Altersrente in Fällen, in denen für die Person die Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten galten, unter Berücksichtigung der Rechtsvorschriften jedes dieser Staaten berechnet. Art. 45 sieht vor, dass der zuständige Träger des Mitgliedstaats des Antragstellers die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten berücksichtigt. Ist der zuständige Träger verpflichtet, nach den in Art. 45 festgelegten Bestimmungen die Leistungen unter Berücksichtigung der zusammengerechneten Versicherungs- oder Wohnzeiten zu berechnen, wird die festzustellende Altersrente gemäß Art. 46 Abs. 2 berechnet.

10.      Art. 94 trägt den Titel „Übergangsvorschriften für die Arbeitnehmer“. Er legt insbesondere Folgendes fest:

„(1)      Diese Verordnung begründet keinen Anspruch für einen Zeitraum vor dem 1. Oktober 1972 oder vor ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats oder in einem Teil davon.

(2)      Für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach dieser Verordnung werden sämtliche Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls auch alle Beschäftigungs- und Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem 1. Oktober 1972 oder vor Anwendung dieser Verordnung im Gebiet dieses Mitgliedstaats oder in einem Teil davon zurückgelegt worden sind.

(3)      Ein Leistungsanspruch wird auch für Ereignisse begründet, die vor dem 1. Oktober 1972 oder vor Anwendung dieser Verordnung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats oder in einem Teil davon liegen, soweit Absatz 1 nicht etwas anderes bestimmt.

…“

 Verordnung Nr. 859/2003

11.      Nach Art. 1 finden die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 „auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen, sowie auf ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen Anwendung, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben und ihre Situation mit einem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist“.

12.      Art. 2 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung begründet keinen Anspruch für den Zeitraum vor dem 1. Juni 2003.

(2)      Für die Feststellung der Ansprüche auf Leistungen nach dieser Verordnung werden sämtliche Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls auch alle Beschäftigungszeiten, Zeiten einer Selbstständigentätigkeit und Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem 1. Juni 2003 zurückgelegt worden sind.

(3)      Vorbehaltlich des Absatzes 1 wird ein Leistungsanspruch nach dieser Verordnung auch für Ereignisse begründet, die vor dem 1. Juni 2003 liegen.

…“

 Nationale Rechtsvorschriften

13.      Das Gesetz über die allgemeine Altersversicherung (Algemene Ouderdomswet, im Folgenden: AOW) schafft ein Altersversicherungssystem für Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben. Um nach diesem System versichert zu sein, muss eine Person zwischen 15 und 65 Jahre alt sein und ihren Wohnsitz in den Niederlanden haben.

14.      Gemäß der während des Referenzzeitraums geltenden Fassung der AOW galten Schiffe, deren Heimathafen in den Niederlanden lag, als Teil des Hoheitsgebiets dieses Landes(13). Die Besatzungsmitglieder, für die an Land kein Wohnsitz auszumachen war, wurden als an Bord des Schiffs wohnend angesehen. Unter solchen Umständen galten Besatzungsmitglieder als in den Niederlanden wohnhaft.

15.      Dagegen galten Drittstaatsangehörige, die zur Besatzung eines Seefahrzeugs gehörten, das seinen Heimathafen in den Niederlanden hatte, für die Zwecke der AOW als nicht versichert, sofern sie an Bord dieses Fahrzeugs wohnten(14).

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

16.      Herr Wieland wurde am 20. März 1943 in Österreich geboren. Vom 11. Oktober 1962 bis zum 7. März 1966 war er bei der Holland-Amerika Lijn (im Folgenden: HAL) beschäftigt. Im Mai 1966 verlegte er seinen Wohnsitz in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er am 29. August 1969 die amerikanische Staatsangehörigkeit erhielt; in diesem Zusammenhang verlor er die österreichische Staatsangehörigkeit. Im April 2008 beantragte Herr Wieland eine Altersrente. Mit Bescheid vom 15. April 2008 lehnte der Verwaltungsrat der Sozialversicherungsanstalt (Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank, im Folgenden: RSvb) seinen Antrag ab. Am 3. Oktober 2008 teilte Herr Wieland dem RSvb mit, dass er seinen Hauptwohnsitz in Österreich habe.

17.      Herr Rothwangl wurde am 7. Dezember 1943 geboren. Er ist österreichischer Staatsangehöriger. In der Zeit vom 6. November 1962 bis zum 23. April 1963 war er bei HAL beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. März 1998 bezog er eine österreichische Erwerbsunfähigkeitspension und mit Wirkung vom 1. September 1998 eine schweizerische Invalidenrente. Darüber hinaus bezog Herr Rothwangl vom 29. November 1998 bis zum 1. Dezember 2008 Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit nach dem Gesetz über die Arbeitsunfähigkeitsversicherung (Wet op de arbeidsongeschiktheidsverzekering) von den niederländischen Stellen. Am 12. Januar 2009 beantragte er eine Altersrente mit Wirkung vom 1. Dezember 2008. Mit Bescheid vom 26. Mai 2009 lehnte der RSvb diesen Antrag ab.

18.      Sowohl Herr Wieland als auch Herr Rothwangl fochten die Entscheidungen des RSvb vor der Rechtbank (Bezirksgericht) Amsterdam erfolgreich an. Gegen diese Entscheidungen legte der RSvb Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

19.      Der Centrale Raad van Beroep (Zentrales Berufungsgericht) führt in seiner Vorlageentscheidung zunächst aus, er habe das Urteil Wessels-Bergervoet gegen Niederlande des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) berücksichtigt(15). Dieser Fall betraf eine Klage nach Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK), der Diskriminierung verbietet, in Verbindung mit Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK (der das Recht auf Eigentum schützt). Die Klägerin, die Anspruch auf Leistungen bei Alter nach dem AOW hatte, machte in jener Rechtssache geltend, dass die Entscheidung der zuständigen niederländischen Stelle, ihre Rente herabzusetzen, sie insoweit wegen ihres Geschlechts diskriminiere, als der Grund für die Herabsetzung sei, dass eine verheiratete Frau zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt lediglich für die Zeiten versichert gewesen sei, in denen ihr Ehemann versichert gewesen sei, während eine entsprechende Beschränkung für verheiratete Männer nicht vorgesehen sei. Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Argumentation des EGMR in jener Rechtssache von den niederländischen Gerichten auf andere Fälle angewandt worden sei, die Rentenansprüche von Seeleuten zum Gegenstand hatten. Es ist der Auffassung, dass sich die Lage von Herrn Wieland und Herrn Rothwangl von diesen Fällen unterscheide und für die Zwecke des Art. 14 EMRK eine ausreichende Rechtfertigung für die hier vorgenommene Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit bestehe. Es wirft jedoch die Frage auf, ob sich die Betroffenen auf die Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung mit der Verordnung Nr. 859/2003 und/oder Art. 18 AEUV und 45 AEUV stützen können.

20.      Dementsprechend hat der Centrale Raad van Beroep (Zentrales Berufungsgericht) die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind die Art. 3 sowie 94 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass einem ehemaligen Seemann, der zur Besatzung eines Seeschiffs mit einem Heimathafen in einem Mitgliedstaat gehörte, keinen Wohnsitz an Land hatte und nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besaß, nach dem Beitritt des Staates, dessen Staatsangehörigkeit dieser Seemann besitzt, zur Union oder nach Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 für diesen Staat nicht allein deshalb eine Altersrente (teilweise) verweigert werden darf, weil der genannte ehemalige Seemann zur Zeit einer (beanspruchten) Versicherung nicht im Besitz der Staatsangehörigkeit des (erstgenannten) Mitgliedstaats war?

2.      Sind die Art. 18 AEUV und 45 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wonach ein Seemann, der zur Besatzung eines Seeschiffs mit einem Heimathafen in diesem Mitgliedstaat gehörte, keinen Wohnsitz an Land hatte und nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besaß, von der Altersrentenversicherung ausgeschlossen war, während nach dieser Regelung ein Seemann als versichert gilt, der Staatsangehöriger des Mitgliedstaats ist, in dem das Seeschiff seinen Heimathafen hat, und sich im Übrigen in der gleichen Situation befindet, wenn der Staat, dessen Staatsangehöriger der erstgenannte Seemann ist, inzwischen – zum Zeitpunkt der Feststellung der Rente – der Union beigetreten oder die Verordnung Nr. 1408/71 inzwischen für diesen Staat in Kraft getreten ist?

3.      Sind die Fragen 1 und 2 im Fall eines (ehemaligen) Seemanns, der zur Zeit seiner Tätigkeiten die Staatsangehörigkeit eines Staates besaß, der zu einem späteren Zeitpunkt der Union beitritt, zur Zeit dieses Beitritts oder des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1408/71 für den erwähnten Staat und zur Zeit der Geltendmachung seines Anspruchs auf eine Altersrente jedoch nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, auf den die letztgenannte Verordnung gemäß Art. 1 der Verordnung Nr. 859/2003 aber dennoch Anwendung findet, genauso zu beantworten?

21.      Der RSvb, die niederländische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Alle drei Verfahrensbeteiligten sowie das Königreich Spanien haben in der Sitzung vom 16. September 2015 mündliche Ausführungen gemacht. Herr Wieland und Herr Rothwangl haben im vorliegenden Verfahren weder schriftliche noch mündliche Erklärungen abgegeben.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

22.      Zu der Zeit, als Herr Wieland und Herr Rothwangl bei der HAL in den Niederlanden beschäftigt waren, waren Seeleute vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 3/58 ausgeschlossen(16). Dies verstieß nicht gegen die damals geltenden internationalen Regelungen über die Renten von Seeleuten(17). Der Anschluss von Seeleuten an Systeme der sozialen Sicherheit war daher ausschließlich durch nationale Vorschriften geregelt.

23.      Im Jahr 2008, als Herr Wieland und Herr Rothwangl jeweils ihre Anträge auf eine Altersrente stellten, galt die Verordnung Nr. 1408/71. Diese Verordnung zielt nicht darauf ab, die einzelnen mitgliedstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit abzulösen(18). Vielmehr ist ihr Hauptzweck, die innerstaatlichen Systeme zu koordinieren, um den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Gebiet der jetzigen Europäischen Union umzusetzen(19). Nach dieser Regelung ist der zuständige österreichische Träger verpflichtet, sich mit dem entsprechenden niederländischen Träger zu koordinieren, um festzustellen, ob die Rentenansprüche des Antragstellers nach Titel III Kapitel 3 der Verordnung zusammenzurechnen sind.

24.      Es ist zwar richtig, dass die Mitgliedstaaten weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig sind, sie müssen aber gleichwohl das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beachten. Daher darf diese Ausgestaltung nicht bewirken, dass vom Anwendungsbereich einer nationalen Regelung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, Personen ausgeschlossen werden, auf die diese Regelung nach der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar ist; zudem müssen die Systeme der Pflichtversicherung mit Art. 18 AEUV und 45 AEUV vereinbar sein(20). Die Vorlagefragen sind vor diesem Hintergrund zu prüfen.

 Zur ersten Frage

25.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob einem österreichischen Seemann im Ruhestand, der zur Zeit seiner Beschäftigung auf einem Schiff mit niederländischem Heimathafen Drittstaatsangehöriger war, eine Rente verweigert werden darf, nachdem der Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, der Europäischen Union beigetreten ist. Steht die Verordnung Nr. 1408/71 der niederländischen Regelung entgegen, die Herrn Rothwangl wegen seiner Staatsangehörigkeit zur Zeit seiner Beschäftigung von der Altersrentenversicherung nach dem niederländischen System der sozialen Sicherheit ausschloss?

26.      Der RSvb macht geltend, dass Herr Rothwangls Fall nicht unter die Verordnung Nr. 1408/71 falle. Die niederländische Regierung trägt vor, Art. 3 der Verordnung Nr. 1408/71 finde keine Anwendung, da Herr Rothwangl die Voraussetzungen des Art. 2 nicht erfülle. Dagegen trägt die spanische Regierung vor, maßgeblich für die Beurteilung der Situation von Herrn Rothwangl sei der 1. Dezember 2008, als er seinen Rentenantrag stellte. Zu diesem Zeitpunkt sei er vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 erfasst gewesen, und Art. 3 stehe daher der in Rede stehenden nationalen Regelung entgegen.

27.      Die Kommission trägt vor, die entscheidende Frage sei, ob Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 auf den Zeitraum Anwendung finde, als Herr Rothwangl bei der HAL beschäftigt war. Ob er eine Versicherungszeit zurückgelegt habe oder nicht, müsse nach nationalem Recht beurteilt werden. Als Herr Rothwangl bei der HAL beschäftigt war, sei er nach der nationalen Regelung als in den Niederlanden wohnhaft angesehen worden. Hierdurch sei für den fraglichen Zeitraum eine hinreichende Verbindung zu den Niederlanden gegeben, so dass dieser Zeitraum nach der in Rede stehenden nationalen Regelung als Versicherungszeit einzustufen sei. Ferner regelten die Vorschriften über Seeleute in Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 nicht nur die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, sondern auch, ob eine Person, die in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 falle, Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit habe.

28.      Ich stimme der vom RSvb und der niederländischen Regierung vertretenen Auslegung des Art. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht zu.

29.      Es ist klar, dass Herr Rothwangl bei Stellung seines Antrags am 1. Dezember 2008 Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats war. Er war nach dem österreichischen Altersrentensystem versichert, was in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt(21). Er bezieht anteilig bemessene Leistungen von dem zuständigen niederländischen Träger auf der Grundlage des Zeitraums, in dem er bei der HAL beschäftigt war und in den Niederlanden den in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften unterlag. Er fällt somit unter Art. 2 Abs. 1.

30.      Tatsächlich verwundert mich die Auffassung des RSvb und der niederländischen Regierung, denn Herr Rothwangl bezog eine Arbeitsunfähigkeitsrente von den niederländischen Stellen. Diese Leistung fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71(22). Meines Erachtens passt es nicht zusammen, ihn im Hinblick auf seinen Anspruch auf Arbeitsunfähigkeitsrente als vom persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfasst, für die Zwecke seines Anspruchs auf Altersrente jedoch von diesem ausgeschlossen anzusehen.

31.      Das vorlegende Gericht möchte konkret wissen, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 2 der Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere das Urteil Belbouab(23), zur Klärung der Angelegenheit beiträgt.

32.      Herr Belbouab war ein 1924 in Algerien geborener französischer Staatsangehöriger. Er arbeitete als Bergmann in Frankreich und übersiedelte später nach Deutschland, wo er ebenfalls als Bergmann beschäftigt war. Während seiner Beschäftigung leistete er durchgehend die erforderlichen Beiträge in beiden Ländern. Als Algerien 1962 unabhängig wurde, verlor er seine französische Staatsangehörigkeit. Der von ihm 1964 gestellte Antrag auf Bergmannsrente wurde von den deutschen Stellen abgelehnt. Der Gerichtshof führte aus, die Grundüberlegung des nationalen Gerichts zu den Vorlagefragen betreffend die Auslegung von Art. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 sei gewesen, dass Herr Belbouab zur Zeit der Antragstellung Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats habe sein müssen. Diese Grundannahme laufe dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider. Der Gerichtshof entschied, dass die Eigenschaft eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats zur Zeit der Ausübung der Tätigkeit, der Zahlung der den Zeiten der Mitgliedschaft entsprechenden Beiträge und des Erwerbs der entsprechenden Ansprüche vorliegen müsse(24).

33.      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass Herr Rothwangl zwar am 1. Dezember 2008, als er die Altersrente bei den niederländischen Stellen beantragte, Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats war, nicht jedoch während des Referenzzeitraums. Hat er dennoch während des Referenzzeitraums Ansprüche erworben? Diese Frage wurde in der Rechtssache Belbouab nicht angesprochen. Herr Belbouab hatte die erforderlichen Beiträge gezahlt und während des maßgeblichen Zeitraums Anwartschaften erworben. Daher kann das Urteil Belbouab meines Erachtens nicht zur Klärung der vorliegenden Rechtssache beitragen.

34.      Das vorlegende Gericht möchte außerdem wissen, ob das Urteil Buhari Haji(25) relevant ist. Diese Rechtssache betraf einen nigerianischen Staatsangehörigen, der bis zur Unabhängigkeit Nigerias im Jahr 1960 die britische Staatsangehörigkeit besaß. Von 1937 bis 1986 hatte Herr Buhari Haji in Belgisch-Kongo (seit dem 1. Juli 1960 Zaire) gearbeitet und vor Zaires Unabhängigkeit Beiträge in das belgische Sozialversicherungssystem eingezahlt. Der Gerichtshof entschied, dass die Situation von Erwerbstätigen, die die Staatsangehörigkeit eines später der (damaligen) Europäischen Gemeinschaft beigetretenen Staates besaßen, diese aber vor dem Beitritt verloren hatten, in keinem Zusammenhang mit der Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Selbständigen innerhalb der Gemeinschaft stehe. Etwas anderes gelte nur für diejenigen unter ihnen, die die Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates behalten hätten, nachdem dieser Staat der Gemeinschaft beigetreten sei, und deren Rechte im Rahmen der Gemeinschaftsregelung über die soziale Sicherheit durch die in den Art. 94 und 95 der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Übergangsbestimmungen anerkannt und geschützt würden; nach diesen Vorschriften würden für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach dieser Verordnung sämtliche Versicherungs-, Beschäftigungs- und Wohnzeiten berücksichtigt, die vor dem Beitritt zurückgelegt worden seien.

35.      Herrn Rothwangls Situation unterscheidet sich erheblich von der von Herrn Buhari Haji. Er hat keine Beiträge eingezahlt und war nicht nach der im Referenzzeitraum geltenden niederländischen Regelung versichert. Hat er dennoch Ansprüche nach Art. 94 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 erworben, die mit der ihm in Österreich zustehenden Altersrente zusammenzurechnen sind?

36.      Art. 94 Abs. 1 bestimmt, dass die Verordnung Nr. 1408/71 keinen Anspruch begründet, bevor sie in dem betreffenden Mitgliedstaat in Kraft tritt(26).

37.      Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung sieht zu dem Zweck, eine Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 auf künftige Wirkungen von in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten zu ermöglichen, die Verpflichtung vor, bei der Feststellung von Leistungsansprüchen alle Versicherungs-, Beschäftigungs- und Wohnzeiten zu berücksichtigen, die unter der Geltung der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem 1. Oktober 1972 oder vor Anwendung der Verordnung im Gebiet dieses Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind. Nach dieser Bestimmung kann ein Mitgliedstaat mithin die Anrechnung von im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten für die Altersrente des Antragstellers nicht schon deshalb ablehnen, weil diese Zeiten zurückgelegt worden sind, bevor die Verordnung für ihn in Kraft getreten ist(27).

38.      Ein Antragsteller muss Versicherungszeiten und gegebenenfalls Beschäftigungs- und Wohnzeiten nachweisen können, die er nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem 1. Oktober 1972(28) zurückgelegt hat, um sich erfolgreich auf Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 berufen zu können.

39.      Meines Erachtens sind diese Voraussetzungen nicht unbedingt kumulativ. Die Formulierung „gegebenenfalls“ legt nahe, dass es nicht zwingend erforderlich ist, das Vorliegen aller drei Voraussetzungen nachzuweisen. Zu beachten ist, dass Art. 94 Abs. 2 für alle Leistungen der sozialen Sicherheit gilt, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen. Die vom Antragsteller zu erfüllenden Voraussetzungen können je nach Mitgliedstaat und/oder Art der fraglichen Leistung variieren. Die niederländische Regelung verlangt (nach meinem Verständnis) nicht, dass der Antragsteller außerdem nachweisen muss, dass er Wohn- oder Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, wenngleich auch nicht streitig ist, dass Herr Rothwangl beide Voraussetzungen erfüllt. Der Antragsteller muss jedoch eine Versicherungszeit nachweisen können, die gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegt wurde.

40.      Erfüllt Herr Rothwangl diese Voraussetzung?

41.      Bei der in Rede stehenden nationalen Regelung handelt es sich um „Rechtsvorschriften“ im Sinne des Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 1408/71. Nach Art. 1 Buchst. r bezeichnet „Versicherungszeiten“ die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind. Diese spezifische Verweisung auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zeigt deutlich, dass die Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere für die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, auf die Voraussetzungen verweist, die nach innerstaatlichem Recht erfüllt sein müssen, damit eine bestimmte Zeit als den eigentlichen Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt werden kann(29).

42.      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Herr Rothwangl nach der im Referenzzeitraum geltenden nationalen Regelung nicht versichert gewesen sei, da Drittstaatsangehörige, die als Mitglieder der Besatzung eines seetüchtigen Schiffes an Bord wohnten, von Leistungen der Altersrentenversicherung ausgeschlossen gewesen seien. Es stellt außerdem klar, dass die in Rede stehende nationale Regelung nach der Staatsangehörigkeit diskriminiere(30). Ist eine solche Diskriminierung nach Art. 3 der Verordnung Nr. 1408/71 verboten? Falls ja, könnte Herr Rothwangl geltend machen, dass er so zu behandeln ist, als habe er eine Versicherungszeit in den Niederlanden zurückgelegt, obwohl er diese zwingende Voraussetzung des Art. 94 Abs. 2 tatsächlich nicht erfüllt.

43.      Ähnliche Fragen hat der Gerichtshof in den Urteilen Kauer und Duchon geprüft.

44.      Frau Kauer, eine österreichische Staatsangehörige, beantragte in Österreich eine Altersrente. Sie war dort erwerbstätig gewesen und hatte Versicherungszeiten in der Pflichtversicherung nach österreichischem Recht zurückgelegt. Bei der Zusammenrechnung der Versicherungszeiten für die Altersrente erkannte der zuständige Träger die Zeit in Österreich, in der sie nicht erwerbstätig, sondern mit der Kindererziehung befasst war, an. Solche Zeiten wurden als „Ersatzzeiten“ gezählt. Gleichwertige Zeiten, in denen Frau Kauer ihre Kinder in Belgien erzog, wurden nicht anerkannt. Die Kindererziehungszeiten (sowohl in Österreich als auch in Belgien) lagen zeitlich vor dem Beitritt Österreichs zur (damaligen) Europäischen Gemeinschaft. Das vorlegende Gericht ersuchte um Aufschluss darüber, ob Art. 94 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach Kindererziehungszeiten in Belgien nicht als Ersatzzeiten für die Berechnung der Leistungen für Frau Kauers Altersrente gelten.

45.      Herr Duchon war ein österreichischer Staatsbürger, der vor dem Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft in Deutschland erwerbstätig gewesen war. Während dieser Zeit hatte er einen Arbeitsunfall erlitten. Daher erhielt er von den zuständigen deutschen Stellen eine Arbeitsunfallrente. Sein Antrag bei den österreichischen Stellen auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab dem 1. Januar 1994 wurde mit der Begründung abgelehnt, er habe erstens die Wartezeiten nicht erfüllt und könne sich zweitens nicht auf den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer berufen, da sich der Unfallsachverhalt in Deutschland vor dem Beitritt Österreichs ereignet habe.

46.      In beiden Fällen entschied der Gerichtshof, dass sich die Kläger jeweils auf die Übergangsbestimmungen des Art. 94 der Verordnung Nr. 1408/71 berufen konnten und dass die österreichische Regelung, die für Frau Kauer und Herrn Duchon galt, gegen das Diskriminierungsverbot verstieß. Aus beiden Urteilen können allgemeine Grundsätze abgeleitet werden.

47.      Der Gerichtshof entschied, dass die Versicherungszeiten, die vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 zurückgelegt wurden, zu berücksichtigen sind, um den Übergangsbestimmungen der Art. 94 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung Wirkung zu verleihen(31). In beiden Fällen waren die Kläger nach der maßgeblichen nationalen Regelung versichert. Die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen waren dann am Maßstab des Gemeinschaftsrechts zu prüfen, das nach dem Beitritt Österreichs galt(32). Daher hatte die zuständige Stelle die Grundsätze der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie die Übergangsbestimmungen des Art. 94 Abs. 1 bis 3 anzuwenden(33).

48.      Aus den Urteilen Kauer und Duchon ergibt sich, dass Herr Rothwangls Fall am Maßstab des Unionsrechts nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zu prüfen ist. Was folgt aus einer solchen Analyse?

49.      Meines Erachtens unterscheidet sich die Stellung von Herrn Rothwangl (leider) in zwei wichtigen Punkten von derjenigen der Kläger in diesen beiden Rechtssachen.

50.      Erstens verlangt das Diskriminierungsverbot, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist(34). Im Urteil Kauer hat der Gerichtshof befunden, dass die in Rede stehende nationale Regelung eine Ungleichbehandlung eingeführt habe, da die in Österreich zurückgelegten Erziehungszeiten ohne Weiteres angerechnet, die Anrechnung von in einem anderen EWR-Vertragsstaat zurückgelegten Erziehungszeiten jedoch vom Anspruch auf Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach österreichischem Bundesrecht abhängig gemacht worden seien. Werde eine solche differenzierende Regelung auf die nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union in Österreich und in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Kindererziehungszeiten angewandt, benachteilige sie diejenigen Gemeinschaftsbürger, die in Österreich gewohnt oder gearbeitet und sodann von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht hätten(35). Im Urteil Duchon hat der Gerichtshof eine klare Ungleichbehandlung festgestellt, die österreichische Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, gegenüber solchen Arbeitnehmern, die in Österreich geblieben seien, benachteilige, da Personen der erstgenannten Gruppe die in Rede stehenden nationalen Bedingungen und Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen weniger leicht erfüllen könnten(36).

51.      Entscheidend ist, dass der Gerichtshof in beiden Fällen implizit bereit war, anzuerkennen, dass die Kläger vom Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Unionsrecht Gebrauch gemacht hatten, obwohl diese „Freizügigkeit“ vor dem Beitritt Österreichs zur Union ausgeübt worden war. Obwohl Belgien Frau Kauer aus unionsrechtlicher Sicht zu Recht für den Zeitraum von 1970 bis 1975, als sie Kindererziehungszeiten zurücklegte, als Drittstaatsangehörige betrachten konnte, und obwohl Deutschland ebenfalls zu Recht Herrn Duchon als Drittstaatsangehörigen betrachten konnte, als er im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit im Jahr 1968 einen Arbeitsunfall erlitt, musste Österreich nach seinem Beitritt zur Union diese „im Ausland“ zurückgelegten Zeiten somit als Zeiten betrachten, die in einem anderen Mitgliedstaat der Union im Rahmen der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zurückgelegt wurden.

52.      Daher muss Österreich Herrn Rothwangl in der vorliegenden Rechtssache so ansehen, als habe er von seinem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht, und zwar schon vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, als er für die HAL auf Schiffen arbeitete, deren Heimathafen in den Niederlanden lag. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um Herrn Rothwangl einen Anspruch auf einen „niederländischen“ Zuschlag zu seiner Altersrente einzuräumen. Im Gegensatz zu Frau Kauer und Herrn Duchon liegt die Schwierigkeit für Herrn Rothwangl nicht ausschließlich (oder überhaupt) in der österreichischen Regelung. Sie liegt vielmehr in der niederländischen Regelung, die ihn von der Versicherung ausschloss, während er bei der HAL beschäftigt war, weil er ein Drittstaatsangehöriger war. Und dieser Ausschluss war – obwohl dies eindeutig eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellte – zum damaligen Zeitpunkt nach dem Unionsrecht auch ohne Weiteres zulässig, da Österreich noch kein Mitgliedstaat der Europäischen Union war.

53.      Zweitens war in den Urteilen Kauer und Duchon nicht streitig, dass die Kläger dem in Rede stehenden nationalen System der sozialen Sicherheit angeschlossen waren (beide Fälle betrafen die österreichische Regelung). Die Frage war im Wesentlichen, ob außerhalb Österreichs zurückgelegte Zeiten zu berücksichtigen waren, als die zuständigen Stellen in Österreich die Leistungen berechneten, auf die die Kläger Anspruch hatten(37). Dagegen liegen dem Gerichtshof keine Informationen darüber vor, ob Herr Rothwangl während des Referenzzeitraums dem österreichischen System der sozialen Sicherheit angeschlossen war; klar ist jedoch, dass er nach der niederländischen Regelung, die während des Referenzzeitraums galt, als er bei der HAL beschäftigt war, keine Ansprüche erworben hat. Einfach ausgedrückt bestehen daher keine Ansprüche, an die die Übergangsbestimmung des Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 anknüpfen könnte. Solche Ansprüche rückwirkend einzuräumen, wäre im Übrigen mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 94 Abs. 1 unvereinbar.

54.      Entgegen der Kommission bin ich nicht der Auffassung, dass die Frage, ob zwischen Herrn Rothwangl und den Niederlanden während des Referenzzeitraums eine hinreichend enge Verbindung bestand, ein relevantes Kriterium darstellt. Eine solche Voraussetzung lässt sich dem Wortlaut des Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht entnehmen. Auch bin ich nicht der Ansicht, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. c einschlägig ist. Die Vorschrift soll nur festlegen, welche nationalen Rechtsvorschriften auf Personen anzuwenden sind, die einer Beschäftigung an Bord eines Schiffes nachgehen, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt. Art. 13 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71 legt als solcher nicht die Voraussetzungen fest, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit oder einem bestimmten Zweig eines solchen Systems beitreten kann oder muss. Es ist Sache des Rechts jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen festzulegen(38). Vorliegend ist unstreitig, dass Herr Rothwangl der niederländischen Regelung unterlag, als er bei der HAL beschäftigt war, und dass er nach dieser Regelung nicht versichert war. Er hat somit keine Versicherungszeit im Sinne des Art. 94 Abs. 2 zurückgelegt.

55.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass eine Person, die Leistungen der Altersrente beantragt und die während des für ihren Anspruch maßgeblichen Berechnungszeitraums kein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats war, keine Ansprüche im Sinne der Übergangsbestimmungen des Art. 94 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 erwirbt, wenn sie vor dem Beitritt ihres Mitgliedstaats zur Europäischen Union keine Versicherungszeit nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegt hat, da der fragliche Zeitraum keine Versicherungszeit nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats darstellt. Dies ist auch dann der Fall, wenn sie während dieser Zeit in dem Mitgliedstaat gewohnt und gearbeitet hat, der ihre Ansprüche auf Leistungen nach der Verordnung Nr. 1408/71 festzustellen hat. Nationale Regelungen, die solche Personen während ihrer Wohn- und Beschäftigungszeiten vom System der sozialen Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats ausschlossen, sind durch Art. 3 dieser Verordnung nicht verboten.

 Zur zweiten Frage

56.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die niederländischen Stellen nach Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer) verpflichtet sind, bei der Berechnung der Altersrente für Herrn Rothwangl die in Rede stehende nationale Regelung außer Anwendung zu lassen, wonach Seeleute, die Drittstaatsangehörige waren, während des Referenzzeitraums von der Altersrentenversicherung ausgeschlossen waren.

57.      Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen.

58.      Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (im Folgenden: Beitrittsakte) bestimmt, dass die Vorschriften der ursprünglichen Verträge für die neuen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt des Beitritts an bindend sind und in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und der Beitrittsakte gelten. Die Beitrittsakte enthält keine Übergangsbestimmungen zur Anwendung der jetzigen Art. 18 AEUV und 45 AEUV. Diese Bestimmungen sind daher als für Österreich bindend und unmittelbar ab dem Zeitpunkt des Beitritts Österreichs, nämlich dem 1. Januar 1995, anwendbar anzusehen. Die logische Folge dessen ist, dass andere Mitgliedstaaten österreichische Staatsangehörige ab diesem Zeitpunkt als Unionsbürger behandeln müssen.

59.      Die Beitrittsakte verpflichtet die bestehenden Mitgliedstaaten jedoch nicht, österreichische Staatsangehörige so zu behandeln, wie sie die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten vor dem Beitritt behandelt haben(39). Herr Rothwangl konnte nur verlangen, dass die Niederlande ihn so behandeln, als sei er altersrentenversichert gewesen, wenn er während des Referenzzeitraums Anspruch nach den Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit gehabt hätte. Derartige Ansprüche hatte er jedoch nicht(40). Vor dem Beitritt können unionsrechtliche Ansprüche nicht erworben und daher auch nach dem Beitritt nicht anerkannt werden, wenn die Voraussetzungen für ihren Erwerb oder ihr Bestehen nicht erfüllt sind(41).

60.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass die Art. 18 AEUV und 45 AEUV im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union einer nationalen Regelung, wie sie in Herrn Rothwangls Fall in Rede steht, nicht entgegenstehen.

 Zur dritten Frage

61.      Die dritte Frage betrifft im Wesentlichen Herrn Wieland. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob ein Antragsteller, der zum Zeitpunkt der Geltendmachung seiner Altersrente Angehöriger eines Drittstaats ist, während des Referenzzeitraums jedoch die Staatsangehörigkeit eines Staates besaß, der der Europäischen Union beigetreten ist, nachdem der Antragsteller eine Wohn- und Beschäftigungszeit in einem Mitgliedstaat zurückgelegt hat, sich auf die Verordnung Nr. 1408/71 mit der Begründung berufen kann, dass er unter Art. 1 der Verordnung Nr. 859/2003 fällt und die Voraussetzungen der Übergangsbestimmungen des Art. 2 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung erfüllt.

62.      Aus meinen Überlegungen zu Herrn Rothwangls Fall ergibt sich, dass er dies meines Erachtens nicht kann.

63.      Herr Wieland erfüllt die Voraussetzungen des Art. 1 der Verordnung Nr. 859/2003, denn er ist ein US-amerikanischer Staatsbürger, der sich rechtmäßig in Österreich aufhält, der seiner Klage zugrunde liegende Sachverhalt weist über die Grenzen eines einzelnen Mitgliedstaaten hinaus und er fällt ausschließlich aufgrund seiner Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen. Daher fällt er unter diese Regelung.

64.      Art. 2 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 859/2003 gleicht in seinem Wortlaut Art. 94 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71. Zwar war Herr Wieland während des Referenzzeitraums in den Niederlanden wohnhaft, jedoch war er – wie Herr Rothwangl – nicht nach der niederländischen Regelung altersrentenversichert. Daher erfüllte er die erste Voraussetzung des Art. 2 Abs. 2 nicht und erwarb keine Ansprüche im Sinne dieser Vorschrift. Seine Klage kann daher aus den gleichen Gründen, die ich oben in den Nrn. 35 bis 55 in Bezug auf Herrn Rothwangl dargelegt habe, keinen Erfolg haben.

65.      Daher ist die dritte Frage dahin zu beantworten, dass eine Person, die unter Art. 1 der Verordnung Nr. 859/2003 fällt und die eine Altersrente auf der Grundlage eines Zeitraums vor dem 1. Juni 2003 geltend macht, sich nicht auf die Übergangsbestimmungen des Art. 2 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung berufen kann, wenn der fragliche Zeitraum keine Versicherungszeit nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats darstellt, auch wenn sie während dieses Zeitraums in dem Mitgliedstaat gewohnt und gearbeitet hat, der gemäß den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 ihre Ansprüche auf Leistungen festzustellen hat.

 Ergebnis

66.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Centrale Raad van Beroep (Zentrales Berufungsgericht, Niederlande) aufgeworfenen Fragen wie folgt zu beantworten:

–        Eine Person, die Leistungen der Altersrente beantragt und die während des für ihren Anspruch maßgeblichen Berechnungszeitraums kein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats war, erwirbt keine Ansprüche im Sinne der Übergangsbestimmungen des Art. 94 Abs. 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, wenn sie vor dem Beitritt ihres Mitgliedstaats zur Europäischen Union keine Versicherungszeit nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegt hat, da der fragliche Zeitraum keine Versicherungszeit nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats darstellt. Dies ist auch dann der Fall, wenn sie während dieses Zeitraums in dem Mitgliedstaat gewohnt und gearbeitet hat, der ihre Ansprüche auf Leistungen nach der Verordnung Nr. 1408/71 festzustellen hat. Nationale Regelungen, die solche Personen während ihrer Wohn- und Beschäftigungszeiten vom System der sozialen Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats ausschlossen, sind durch Art. 3 dieser Verordnung nicht verboten.

–        Die Art. 18 AEUV und 45 AEUV stehen im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegen.

–        Eine Person, die unter die Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen, fällt und die eine Altersrente auf der Grundlage eines Zeitraums vor dem 1. Juni 2003 geltend macht, kann sich nicht auf die Übergangsbestimmungen des Art. 2 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung berufen, wenn der fragliche Zeitraum keine Versicherungszeit nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats darstellt, auch wenn sie während dieses Zeitraums in dem Mitgliedstaat gewohnt und gearbeitet hat, der gemäß den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 ihre Ansprüche auf Leistungen festzustellen hat.


1 – Originalsprache: Englisch.


2–      Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (konsolidierte Fassung, ABl. 1997, L 28, S. 1). Diese Verordnung wurde mehrfach geändert; die zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch Herrn Wieland und Herrn Rothwangl maßgebliche Fassung ist die durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 geänderte Fassung (ABl. L 392, S. 1). Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde mit Wirkung vom 1. Mai 2010 durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1) aufgehoben und ersetzt.


3–      Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen (ABl. L 124, S. 1).


4–      Im Folgenden: Referenzzeitraum; siehe näher unten, Nrn. 16 und 17.


5–      Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (ABl. 30, S. 561).


6–      Art. 4 Abs. 6 der Verordnung Nr. 3/58.


7–      Verordnung Nr. 47/67/EWG des Rates vom 7. März 1967 zur Änderung und Ergänzung einiger Bestimmungen der Verordnungen Nr. 3 und Nr. 4 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (Seeleute) (ABl. 44, S. 641).


8–      Art. 1 Buchst. a Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71.


9–      Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 1408/71.


10–      Art. 1 Buchst. r der Verordnung Nr. 1408/71.


11–      Art. 1 Buchst. sa der Verordnung Nr. 1408/71.


12–      Im Jahr 1981 wurden mit Art. 14b der Verordnung Nr. 1408/71, der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1390/81 des Rates vom 12. Mai 1981 zur Ausdehnung der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen (ABl. L 143, S. 1) eingefügt worden war, besondere Bestimmungen zur Bestimmung der auf Seeleute anzuwendenden Rechtsvorschriften eingefügt. Diese Bestimmungen, die unter bestimmten Umständen Ausnahmen von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c vorsehen, sind für den vorliegenden Rechtsstreit nicht einschlägig.


13–      Für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften sind nach der Verordnung Nr. 1408/71 die Rechtsvorschriften des Flaggenstaats das maßgebliche Kriterium. Der Flaggenstaat eines Handelsschiffes ist der Staat, nach dessen Gesetzen das Schiff registriert oder lizenziert ist. Art. 3 Abs. 3 AOW spricht jedoch vom „Heimathafen des Schiffes“, was nach meinem Verständnis den Hafen bezeichnet, in dem das Schiff gewöhnlich liegt. Dieser muss nicht unbedingt mit dem Hafen identisch sein, in dem das Schiff registriert ist.


14–      Gemäß der Verordnung zur Erweiterung und Beschränkung des Kreises der Sozialversicherungspflichtigen (Besluit uitbreiding en beperking kring verzekerden volksverzekeringen, im Folgenden: BUB), die zwischen 1959 und 1968 mehrfach geändert wurde. Ich werde diese Vorschriften gemeinsam mit der während des Referenzzeitraums geltenden AOW als „die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften“ bezeichnen. Die maßgeblichen Bestimmungen des BUB wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1999 aufgehoben.


15–      EGMR, Nr. 34462/97, ECHR 2002-IV.


16–      Siehe oben, Nr. 2.


17–      An dieser Stelle ist das Übereinkommen Nr. 71 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1946 über die Altersrenten der Schiffsleute zu nennen, das am 10. Oktober 1962 in Kraft trat. Die Niederlande haben das Übereinkommen am 27. August 1957 ratifiziert. Nach Art. 1 ist jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation verpflichtet, nach seiner innerstaatlichen Gesetzgebung ein System von Altersrenten für Schiffsleute einzurichten oder die Einrichtung eines solchen Systems zu gewährleisten. Das System kann jedoch für Personen, deren Wohnsitz sich nicht im Gebiet des betreffenden Mitglieds befindet, und Personen, die nicht Staatsangehörige des Mitglieds sind, Ausnahmen vorsehen.


18–      Vgl. Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (KOM(1998) 779 endg., S. 1).


19–      Vgl. erster Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1408/71.


20–      Urteil Salemink (C‑347/10, EU:C:2012:17, Rn. 39 und 40).


21–      Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1408/71.


22–      Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71.


23 – 10/78, EU:C:1978:181.


24–      Urteil Belbouab (10/78, EU:C:1978:181, Rn. 7).


25–      Urteil Buhari Haji (C‑105/89, EU:C:1990:402).


26–      Urteil Duchon (C‑290/00, EU:C:2002:234, Rn. 22).


27–      Urteil Duchon (Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil Somova (C‑103/13, EU:C:2014:2334, Rn. 52 bis 54).


28 – Für diejenigen Mitgliedstaaten, die der Europäischen Union nach dem Erlass der Verordnung Nr. 1408/71 beigetreten sind, ist der maßgebliche Zeitpunkt nicht der 1. Oktober 1972, sondern vor Inkrafttreten der Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat. Für Österreich ist dies der 1. Januar 1995.


29–      Urteil Kauer (C‑28/00, EU:C:2002:82, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


30–      Siehe oben, Nr. 15.


31–      Urteil Duchon (Rn. 23). Im Urteil Kauer entschied der Gerichtshof, dass die Frage, ob die belgischen Kindererziehungszeiten als Versicherungszeiten für Leistungen der Altersrente zu qualifizieren sind, nach österreichischem Recht zu prüfen ist (Rn. 33 und 34 des Urteils). Die in diesen Vorschriften enthaltene Beschränkung, wonach die Zeit nicht als Versicherungszeit berücksichtigt werden konnte (anders als bei der auf gleiche Weise in Österreich zurückgelegten Zeit), sah er deshalb als Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1408/71 an (Rn. 42 bis 45 des Urteils).


32–      Urteil Duchon (Rn. 28).


33–      Urteil Duchon (Rn. 32). Vgl. auch Kauer (Rn. 45 und 50).


34–      Vgl. unter den zahlreichen Fällen der Bekräftigung dieses Grundsatzes Urteil Eman und Sevinger (C‑300/04, EU:C:2006:545, Rn. 57).


35–      Urteil Kauer (Rn. 43 und 44).


36–      Urteil Duchon (Rn. 29).


37–      Siehe oben, Nrn. 44 bis 47.


38–      Urteil Bakker (C‑106/11, EU:C:2012:328, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


39–      Vgl. entsprechend Urteile Tsiotras (C‑171/91, EU:C:1993:215, Rn. 12) und Andersson und Wåkerås-Andersson (C‑321/97, EU:C:1999:307, Rn. 46).


40–      In der Sitzung haben die niederländische Regierung und der RSvb bestätigt, dass Seeleute, die während des Referenzzeitraums die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Gemeinschaft, wie etwa Italien, besaßen, zum damaligen Zeitpunkt altersrentenversichert waren, da ihnen die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Arbeitnehmerfreizügigkeit zugutekamen.


41–      Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Österreichischer Gewerkschaftsbund (C‑195/98, EU:C:2000:50, Nrn. 148 und 149, erster Satz), wo er sich auf die Urteile Tsiotras (C‑171/91, EU:C:1993:215) und Andersson und Wåkerås-Andersson (C‑321/97, EU:C:1999:307) bezieht.