Language of document : ECLI:EU:C:2024:78

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

25. Januar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Erdgasbinnenmarkt – Richtlinie 2009/73/EG – Art. 41 Abs. 17 – Erdgasfernleitungsnetz – Nationale Regulierungsbehörde – Festsetzung der Netznutzungs- und Netzanschlussentgelte – Festsetzung der Vergütung für die vom Netzbetreiber erbrachten Dienstleistungen – Begriff ‚von einer Entscheidung der Regulierungsbehörde betroffene Partei‘ – Beschwerde gegen diese Entscheidung – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“

In der Rechtssache C‑277/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 22. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2022, in dem Verfahren

Global NRG Kereskedelmi és Tanácsadó Zrt.

gegen

Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal,

Beteiligte:

FGSZ Földgázszállító Zrt.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra (Berichterstatter) sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. September 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Global NRG Kereskedelmi és Tanácsadó Zrt., vertreten durch K. Bendzsel-Zsebik, M. Kohlrusz und B. Világi, Ügyvédek,

–        der Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal, vertreten durch die Rechtsberaterinnen L. Hoschek, A. T. Kiss und F. F. Tölgyessy,

–        der FGSZ Földgázszállító Zrt., vertreten durch die Rechtsberaterinnen K. Barkasziné Takács und P. Németh,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis und M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch A. Laine als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet, T. Scharf und A. Tokár als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94) im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Global NRG Kereskedelmi és Tanácsadó Zrt. (im Folgenden: Global NRG), einer Gesellschaft, die mit Erdgas handelt, und der Magyar Energetikai és Közmű-szabályozási Hivatal (Ungarische Regulierungsbehörde der Energie- und Versorgungsunternehmen) (im Folgenden: nationale Regulierungsbehörde) über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde, mit der die Entgelte für die Nutzung und den Anschluss an das Erdgasfernleitungsnetz sowie die Vergütung für die vom Betreiber dieses Netzes erbrachten Dienstleistungen festgesetzt wurden.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2009/73

3        Im 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 heißt es:

„… Die unabhängige Stelle, bei der eine von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffene Partei Rechtsbehelfe einlegen kann, kann ein Gericht oder eine andere gerichtliche Stelle sein, die ermächtigt ist, eine gerichtliche Überprüfung durchzuführen.“

4        Art. 32 („Zugang Dritter“) Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Einführung eines System[s] für den Zugang Dritter zum Fernleitungs- und Verteilernetz und zu den [Anlagen für verflüssigtes Erdgas (LNG)] auf der Grundlage veröffentlichter Tarife; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden, einschließlich Versorgungsunternehmen, und wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung von Netzbenutzern angewandt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung gemäß Artikel 41 von einer in Artikel 39 Absatz 1 genannten Regulierungsbehörde vor deren Inkrafttreten genehmigt werden und dass die Tarife und – soweit nur die Methoden einer Genehmigung unterliegen – die Methoden vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden.“

5        In Art. 41 („Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde“) der Richtlinie 2009/73 heißt es:

„(1)      Die Regulierungsbehörde hat folgende Aufgaben:

a)      Sie ist dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen.

(6)      Den Regulierungsbehörden obliegt es, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung folgender Bedingungen mit ausreichendem Vorlauf vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen:

a)      Anschluss und Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich Fernleitungs- und Verteilungstarife, und Bedingungen und Tarife für den Zugang zu LNG-Anlagen. …

(10)      Die Regulierungsbehörden sind befugt, falls erforderlich von Betreibern von Fernleitungsnetzen, Speicheranlagen, LNG-Anlagen und Verteilernetzen zu verlangen, die in diesem Artikel genannten Bedingungen, einschließlich der Tarife, zu ändern, um sicherzustellen, dass sie angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden. …

(17)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass auf nationaler Ebene geeignete Mechanismen bestehen, in deren Rahmen eine von einer Entscheidung der Regulierungsbehörde betroffene Partei das Recht hat, bei einer von den beteiligen Parteien und Regierungen unabhängigen Stelle Beschwerde einzulegen.“

 Verordnung (EG) Nr. 715/2009

6        Art. 13 („Tarife für den Netzzugang“) Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 (ABl. 2009, L 211, S. 36) bestimmt:

„Die von den Regulierungsbehörden gemäß Artikel 41 Absatz 6 der Richtlinie [2009/73] genehmigten Tarife oder Methoden zu ihrer Berechnung, die die Fernleitungsnetzbetreiber anwenden, sowie die gemäß Artikel 32 Absatz 1 der genannten Richtlinie veröffentlichten Tarife müssen transparent sein, der Notwendigkeit der Netzintegrität und deren Verbesserung Rechnung tragen, die Ist-Kosten widerspiegeln, soweit diese Kosten denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen, transparent sind und gleichzeitig eine angemessene Kapitalrendite umfassen, sowie gegebenenfalls die Tarifvergleiche der Regulierungsbehörden berücksichtigen. Die Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung müssen auf nichtdiskriminierende Weise angewandt werden.“

 Ungarisches Recht

7        § 129/B Abs. 1 des A földgázellátásról szóló 2008. évi XL. törvény (Gesetz Nr. XL von 2008 über die Versorgung mit Erdgas) (im Folgenden: Erdgasversorgungsgesetz) bestimmt:

„In den Verfahren zur Festsetzung der Netznutzungsentgelte, der Entgelte für von einem Netzbetreiber zu einem besonderen Tarif erbringbare Dienstleistungen und der Anschlussentgelte ist ausschließlich der betroffene Netzbetreiber unmittelbar betroffen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8        Mit Entscheidung vom 10. August 2021 legte die nationale Regulierungsbehörde für den Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis 30. September 2025 den von der Erdgasfernleitungsnetzbetreiberin FGSZ Földgázszállító Zrt. anzuwendenden besonderen Tarif für die Lieferung von Erdgas und die für den Anschluss an die Erdgasfernleitung zu zahlenden Anschlussentgelte fest (im Folgenden: streitige Entscheidung). Diese Entscheidung beruhte auf einer früheren Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde vom 30. März 2021 zur Festlegung der Referenzpreismethode, die infolge einer von Global NRG eingelegten Klage von der Kúria (Oberstes Gericht, Ungarn) für rechtswidrig und rückwirkend für nichtig erklärt wurde.

9        Global NRG erhob beim Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn), dem vorlegenden Gericht, auch eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung. Diese sei rechtswidrig, da zum einen die Entscheidung vom 30. März 2021 für rechtswidrig erklärt worden sei und zum anderen die Entgelte für die Dienstleistung der Übertragung des Verfügungsrechts unter Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2017/460 der Kommission vom 16. März 2017 zur Festlegung eines Netzkodex über harmonisierte Fernleitungsentgeltstrukturen (ABl. 2017, L 72, S. 29) festgesetzt worden seien.

10      Da das nationale Recht den Nutzern des Erdgasfernleitungsnetzes einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen wie die vom 30. März 2021 zur Festlegung der Referenzpreismethode gewähre, auf deren Grundlage die Entgelte für die Nutzung dieses Netzes festgesetzt würden, verstoße es gegen das Unionsrecht, diesen Nutzern einen Rechtsbehelf gegen die nachfolgende Entscheidung, mit der die Entgelte für die Nutzung dieses Netzes festgelegt würden, zu versagen.

11      Die nationale Regulierungsbehörde beantragt hauptsächlich deswegen die Abweisung der Klage, weil Global NRG aufgrund dessen, dass sie am Verfahren zum Erlass der streitigen Entscheidung nicht beteiligt gewesen sei und zwischen ihr und dem Gegenstand dieses Verfahrens keine unmittelbare Verbindung bestehe, nicht aktivlegitimiert sei. Unter diesen Umständen sei Global NRG durch diese Entscheidung nur mittelbar betroffen, und ihr bloßes wirtschaftliches Interesse reiche nicht aus, um eine Klagebefugnis gegen diese Entscheidung zu begründen.

12      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach Ansicht von Global NRG die durch die streitige Entscheidung festgesetzten Entgelte, da sie sowohl für den Betreiber als auch für den Nutzer des Erdgasfernleitungsnetzes verbindlich seien, die Rechte und berechtigten Interessen dieses Nutzers unmittelbar berührten. Nach ungarischem Recht sei jedoch, wie das vorlegende Gericht weiter ausführt, in dem Fall, dass eine Klage von einer Person erhoben werde, die wie Global NRG prozessführungsbefugt sei, zu prüfen, ob diese Person auch aktivlegitimiert sei, d. h., ob sie durch die streitige Entscheidung unmittelbar in ihren Rechten oder in ihren berechtigten Interessen betroffen sei. Von dieser Voraussetzung hänge ab, ob dieses Gericht die Möglichkeit habe, die Begründetheit einer von einer solchen Person gegen diese Entscheidung erhobenen Klage zu prüfen.

13      Vorliegend sei vor einer Prüfung der Begründetheit der von Global NRG erhobenen Klage zu prüfen, ob Global NRG eine „von einer Entscheidung der Regulierungsbehörde betroffene Partei“ im Sinne von Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 sei. Da dieser Begriff in der Richtlinie nicht definiert werde, sei er im Licht der Urteile vom 19. März 2015, E.ON Földgáz Trade (C‑510/13, EU:C:2015:189), und vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn (Entgelte für den Zugang zu den Stromübertragungsnetzen und den Erdgasfernleitungsnetzen) (C‑771/18, EU:C:2020:584), zu prüfen.

14      Das vorlegende Gericht fragt sich erstens, ob Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 im Licht des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 der Charta einer nationalen Bestimmung wie § 129/B Abs. 1 des Erdgasversorgungsgesetzes entgegensteht, wonach im Rahmen der Verfahren zur Festsetzung der Netznutzungs‑, Fernleitungs- und Anschlussentgelte sowie der Vergütung für die vom Betreiber dieses Netzes erbrachten Dienstleistungen nur dieser Betreiber als „von einer Entscheidung der Regulierungsbehörde betroffene Partei“ im Sinne von Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 gelte, aber kein anderer Marktteilnehmer im Erdgassektor. Das vorlegende Gericht müsse somit gemäß diesem § 129/B Abs. 1 die Klage von Global NRG abweisen, ohne ihre Begründetheit zu prüfen, was eine „unverhältnismäßige Beschränkung“ des in Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Beschwerderechts darstelle.

15      Zweitens ist das vorlegende Gericht unter Berufung auf die Rn. 48 und 49 des Urteils vom 19. März 2015, E.ON Földgáz Trade (C‑510/13, EU:C:2015:189), der Auffassung, dass ein Marktteilnehmer wie Global NRG ein Beschwerderecht habe, da er von der streitigen Entscheidung unmittelbar betroffen sei. Der Betreiber des Erdgasfernleitungsnetzes sei verpflichtet, den in dieser Entscheidung festgelegten besonderen Tarif gegenüber dem Marktteilnehmer abzurechnen, der seine Tätigkeit nicht vor der Entrichtung der dafür erforderlichen Beträge ausüben könne.

16      Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 unter Berücksichtigung von Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der in den Verfahren der mitgliedstaatlichen Regulierungsbehörde zur Festsetzung der Netznutzungsentgelte, der Entgelte für von einem Netzbetreiber zu einem besonderen Tarif erbringbare Dienstleistungen und der Anschlussentgelte ausschließlich der betroffene Netzbetreiber unmittelbar betroffene Partei und damit Inhaber des Rechts ist, gegen die in diesem Verfahren getroffene Entscheidung Beschwerde einzulegen?

2.      Falls der Gerichtshof die erste Frage bejaht: Ist Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 unter Berücksichtigung von Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass bei seiner Anwendung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die von der Entscheidung der Regulierungsbehörde zur Festsetzung der Netznutzungsentgelte, der Entgelte für von einem Netzbetreiber zu einem besonderen Tarif erbringbare Dienstleistungen und der Anschlussentgelte betroffene – und damit über ein Beschwerderecht gegen die Entscheidung der mitgliedstaatlichen Regulierungsbehörde verfügende – Partei der Akteur auf dem Erdgasmarkt ist, der sich in einer ähnlichen Situation wie die Klägerin befindet und dem der Netzbetreiber aufgrund der Entscheidung das Entgelt für von ihm zu einem besonderen Tarif erbringbare Dienstleistungen in Rechnung stellt?

 Zu den Vorlagefragen

17      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 im Licht von Art. 47 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach nur der Betreiber des Erdgasfernleitungsnetzes eine von einer Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde zur Festsetzung der Anschluss- und Nutzungsentgelte für dieses Netz sowie der Vergütung für die von diesem Betreiber erbrachten Dienstleistungen „betroffene Partei“ ist, so dass nur er zur Einlegung eines „wirksamen Rechtsbehelfs“ gegen diese Entscheidung befugt ist.

18      Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 41 Abs. 17 in Verbindung mit dem 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 verpflichtet, auf nationaler Ebene geeignete Mechanismen vorzusehen, in deren Rahmen eine von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffene Partei das Recht hat, bei einer von den beteiligten Parteien und Regierungen unabhängigen Stelle, die „ein Gericht oder eine andere gerichtliche Stelle sein [kann], die ermächtigt ist, eine gerichtliche Überprüfung durchzuführen“, Beschwerde einzulegen. Ein solches Erfordernis leitet sich aus dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ab, der ein allgemeiner, in Art. 47 der Charta verankerter Grundsatz des Unionsrechts ist (Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Deutschland [Umsetzung der Richtlinien 2009/72 und 2009/73], C‑718/18, EU:C:2021:662, Rn. 128 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Erstens hat der Gerichtshof, auch wenn der Begriff „betroffene Partei“ im Sinne von Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 in dieser Richtlinie nicht definiert ist, doch bereits eine ähnliche Bestimmung ausgelegt, nämlich Art. 5a Abs. 3 der Richtlinie 90/387/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (ABl. 1990, L 192, S. 1) in der durch die Richtlinie 97/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 (ABl. 1997, L 295, S. 23) geänderten Fassung. Nach dieser Auslegung erwirbt ein Marktteilnehmer, der nicht Adressat einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde ist, die Eigenschaft einer „betroffenen Partei“, wenn seine Rechte von einer solchen Entscheidung potenziell betroffen sind, und zwar zum einen wegen ihres Inhalts und zum anderen wegen der von diesem Beteiligten ausgeübten oder beabsichtigten Tätigkeit. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass es keiner Vertragsbeziehung zwischen diesem Marktteilnehmer und dem Adressaten dieser Entscheidung bedarf, damit die Rechte eines solchen Marktteilnehmers von dieser Entscheidung potenziell betroffen sind (Urteil vom 24. April 2008, Arcor, C‑55/06, EU:C:2008:244, Rn. 176 und 177).

20      Zweitens hat der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. 2003, L 176, S. 57, berichtigt in ABl. 2004, L 16, S. 74), die anders als die ihr nachfolgende Richtlinie 2009/73 keine Bestimmung enthielt, die den Marktteilnehmern ausdrücklich einen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen die Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörde zuerkannte, für Recht erkannt, dass dann, wenn eine nationale Regulierungsbehörde auf der Grundlage einer Unionsregelung, die dem Marktteilnehmer, der über eine Genehmigung zur Fernleitung von Erdgas verfügt, bestimmte Rechte zuerkennt, eine Entscheidung über den Zugang der Marktteilnehmer zum Erdgasfernleitungsnetz erlässt, davon auszugehen ist, dass der betreffende Marktteilnehmer durch diese Entscheidung potenziell in seinen Rechten betroffen ist, selbst wenn er nicht deren Adressat ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, E.ON Földgáz Trade, C‑510/13, EU:C:2015:189, Rn. 38, 48 und 51).

21      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 41 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/73 der nationalen Regulierungsbehörde die Befugnis verleiht, „anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen.“ Art. 41 Abs. 6 Buchst. a der Richtlinie verleiht der nationalen Regulierungsbehörde zudem die Befugnis, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für den Anschluss und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der anwendbaren Fernleitungs- und Verteilungstarife, zu genehmigen. Außerdem verleiht Art. 41 Abs. 10 der Richtlinie der nationalen Regulierungsbehörde die Befugnis, falls erforderlich, von Betreibern von Übertragungsnetzen zu verlangen, die in diesem Artikel genannten Bedingungen, einschließlich der Tarife oder Methoden, zu ändern, um sicherzustellen, dass diese Tarife angemessen sind und nicht diskriminierend angewendet werden.

22      Im Übrigen geht aus Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2009 hervor, dass die Netzzugangsentgelte transparent sein und in nicht diskriminierender Weise für alle Nutzer gelten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn [Entgelte für den Zugang zu den Stromübertragungsnetzen und den Erdgasfernleitungsnetzen], C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 46).

23      Aus dem Vorstehenden folgt, dass gegenüber einem Marktteilnehmer wie Global NRG angemessene, transparente und nicht diskriminierende Entgelte und Tarife auf der Grundlage der oben genannten Bestimmungen der Richtlinie 2009/73 und der Verordnung Nr. 715/2009 angewandt werden müssen. Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen könnte ein solcher Marktteilnehmer aufgrund des Verstoßes gegen diese Rechte von der streitigen Entscheidung betroffen sein. Unter diesen Umständen sind einem solchen Marktteilnehmer die Eigenschaft der von einer solchen Entscheidung „betroffenen Partei“ und somit das Recht auf eine wirksame Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 zuzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, E.ON Földgáz Trade, C‑510/13, EU:C:2015:189, Rn. 48 und 51).

24      Mangels einer einschlägigen Unionsregelung ist es Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen; dabei darf jedoch das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigt werden (Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn [Entgelte für den Zugang zu den Stromübertragungsnetzen und den Erdgasfernleitungsnetzen], C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Was das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf angeht, muss nach ständiger Rechtsprechung ein Gericht, damit es über Streitigkeiten in Bezug auf Rechte und Pflichten aus dem Unionsrecht entscheiden kann, gemäß Art. 47 der Charta befugt sein, alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn [Entgelte für den Zugang zu den Stromübertragungsnetzen und den Erdgasfernleitungsnetzen], C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Vorliegend ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass es ihm gemäß § 129/B Abs. 1 des Erdgasversorgungsgesetzes allein deswegen versagt sei, die Begründetheit der Klage eines von der Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffenen Marktteilnehmers im Erdgassektor wie Global NRG zu prüfen, weil dieser Marktteilnehmer kein Netzbetreiber sei. Da diese Bestimmung des nationalen Rechts nicht so ausgelegt werden könne, dass sie mit Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 in der Auslegung, wie sie in Rn. 23 des vorliegenden Urteils vorgenommen wurde, zu vereinbaren sei, stelle diese nationale Bestimmung keinen „geeigneten Mechanismus“ im Sinne von Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn [Entgelte für den Zugang zu den Stromübertragungsnetzen und den Erdgasfernleitungsnetzen], C‑771/18, EU:C:2020:584, Rn. 65).

27      Ist eine solche richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich, darf das vorlegende Gericht nach dem Unionsrecht § 129/B Abs. 1 des Erdgasversorgungsgesetzes nur dann unangewandt lassen, wenn die Verpflichtung gemäß Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 so unbedingt und hinreichend genau ist, dass ihr unmittelbare Wirkung zukommen kann. Macht ein Rechtsuchender wie Global NRG gegenüber einer Behörde wie der nationalen Regulierungsbehörde eine Bestimmung einer Richtlinie geltend, die nicht so genau und unbedingt ist, dass ihr eine unmittelbare Wirkung zuzuerkennen ist, kann dies nicht allein aufgrund des Unionsrechts dazu führen, dass die Anwendung einer nationalen Vorschrift von einem Gericht eines Mitgliedstaats ausgeschlossen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Eine Unionsvorschrift ist zum einen unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf, und sie ist zum anderen hinreichend genau, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt. Außerdem kann eine Bestimmung einer Richtlinie auch dann, wenn diese Bestimmung den Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass der Durchführungsvorschriften lässt, als unbedingt und genau angesehen werden, wenn sie den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist (Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 18 und 19 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Im vorliegenden Fall ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73, dass die Mitgliedstaaten geeignete Mechanismen vorsehen müssen, in deren Rahmen jede betroffene Partei das Recht hat, eine Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde bei einer unabhängigen Stelle anzufechten. Die Mitgliedstaaten behalten zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung über Art und Ausgestaltung dieser Beschwerdemechanismen sowie über die Form der unabhängigen Stelle. Dennoch wird den Mitgliedstaaten durch diesen Art. 41 Abs. 17, der die Einrichtung solcher Mechanismen vorschreibt, unmissverständlich eine bestimmte Verpflichtung auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist und somit unbedingt und hinreichend genau eine Beschwerdegarantie zugunsten der betroffenen Parteien vorschreibt (vgl. entsprechend Urteile vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 22 bis 29, und vom 20. April 2023, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato [Gemeinde Ginosa], C‑348/22, EU:C:2023:301, Rn. 67 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Daher ist Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 unmittelbare Wirkung zuzuerkennen, so dass das vorlegende Gericht das mit dieser Bestimmung unvereinbare nationale Recht unangewandt lassen muss, falls dieses nicht im Einklang mit dieser Bestimmung ausgelegt werden kann.

31      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 im Licht von Art. 47 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach nur der Betreiber des Erdgasfernleitungsnetzes eine von einer Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde zur Festsetzung der Anschluss- und Nutzungsentgelte für dieses Netz sowie der Vergütung für die von diesem Betreiber erbrachten Dienstleistungen „betroffene Partei“ ist, so dass nur er zur Einlegung eines „wirksamen Rechtsbehelfs“ gegen diese Entscheidung befugt ist.

 Kosten

32      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach nur der Betreiber des Erdgasfernleitungsnetzes eine von einer Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde zur Festsetzung der Anschluss- und Nutzungsentgelte für dieses Netz sowie der Vergütung für die von diesem Betreiber erbrachten Dienstleistungen „betroffene Partei“ ist, so dass nur er zur Einlegung eines „wirksamen Rechtsbehelfs“ gegen diese Entscheidung befugt ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Ungarisch.