Language of document : ECLI:EU:T:2011:345

Rechtssache T‑133/07

Mitsubishi Electric Corp.

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Projekte im Bereich gasisolierter Schaltanlagen – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen festgestellt wird – Aufteilung des Marktes – Verteidigungsrechte – Nachweis der Zuwiderhandlung – Dauer der Zuwiderhandlung – Geldbußen – Ausgangsbetrag – Referenzjahr – Gleichbehandlung“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Akteneinsicht – Umfang – Nichtübermittlung eines Schriftstücks – Folgen

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Übermittlung der Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte – Voraussetzungen – Grenzen

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

3.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Nachweis der Zuwiderhandlung – Schriftliche Aussagen der Mitarbeiter einer an dieser Zuwiderhandlung beteiligten Gesellschaft – Beweiswert – Beurteilung

(Art. 81 Abs. 1 EG)

4.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Vorläufiger Charakter – Notwendiger Inhalt – Grenzen

(Art. 81 EG)

5.      Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Unschuldsvermutung – Verfahren in Wettbewerbssachen

(Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 81 Abs. 1 EG, EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

6.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Art des Nachweises – Heranziehung eines Indizienbündels

(Art. 81 Abs. 1 EG)

7.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Nachweis der Zuwiderhandlung – Beurteilung des Beweiswerts der verschiedenen Beweisstücke – Kriterien

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

8.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

9.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Wettbewerbswidriger Zweck – Hinreichende Feststellung

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

10.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Umfang der Beweislast

(Art. 81 Abs. 1 EG; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Ermessen der Kommission

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Wahrung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

1.      Als Ausfluss des Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte bedeutet in einem Verwaltungsverfahren zur Anwendung von Wettbewerbsregeln das Recht auf Akteneinsicht, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit geben muss, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind. Zu ihnen gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen.

Die Nichtübermittlung eines Schriftstücks, auf das sich die Kommission zur Untermauerung ihres Vorwurfs gegen ein Unternehmen gestützt hat, stellt nur dann eine Verletzung der Verteidigungsrechte dar, wenn das betroffene Unternehmen nachweist, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gelangt ist, anders ausgefallen wäre, wenn das nicht übermittelte Schriftstück als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste.

Wurde ein entlastendes Schriftstück nicht übermittelt, so muss das betroffene Unternehmen nur nachweisen, dass seine Nichtoffenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte. Es genügt, dass das Unternehmen dartut, dass es die fraglichen entlastenden Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können, und zwar in dem Sinne, dass es, wenn es sich im Verwaltungsverfahren auf diese Schriftstücke hätte berufen können, Gesichtspunkte hätte geltend machen können, die nicht mit den in diesem Stadium von der Kommission gezogenen Schlüssen übereinstimmten und daher, in welcher Weise auch immer, die von der Kommission in ihrer Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen zumindest in Bezug auf die Schwere und die Dauer des ihm zur Last gelegten Verhaltens und damit die Höhe der Geldbuße hätten beeinflussen können.

(vgl. Randnrn. 40, 45-46)

2.      In einem wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln eingeleiteten Verfahren wird das betroffene Unternehmen erst zu Beginn des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, und verfügt zur Sicherstellung der wirksamen Ausübung seiner Verteidigungsrechte über ein Recht auf Zugang zu den Akten. Folglich gehört die Antwort anderer Beteiligter auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte grundsätzlich nicht zu den Unterlagen der Ermittlungsakte, die die Beteiligten einsehen können.

Wenn sich allerdings die Kommission auf eine Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine dieser Antwort beigefügte Anlage stützen will, um in einem Verfahren nach Art. 81 Abs. 1 EG das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, muss den anderen Beteiligten dieses Verfahrens Gelegenheit gegeben werden, sich zu einem solchen Beweismittel zu äußern. Unter solchen Umständen stellt nämlich die fragliche Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder die Anlage zu dieser Antwort Material dar, das die verschiedenen an der Zuwiderhandlung angeblich Beteiligten belastet.

Entsprechend stellt eine Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder eine Anlage zu dieser Antwort, wenn sie für die Verteidigung eines Unternehmens von Bedeutung sein kann, da sie es diesem Unternehmen ermöglicht, sich auf Beweisstücke zu berufen, die nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Kommission in diesem Verfahrensstadium stehen, ein entlastendes Beweismittel dar. In diesem Fall muss dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben werden, die fragliche Passage oder das fragliche Dokument zu prüfen und sich zu ihm zu äußern.

(vgl. Randnrn. 41-43)

3.      Die schriftlichen Aussagen der Mitarbeiter einer Gesellschaft, die unter deren Kontrolle verfasst wurden und zu deren Verteidigung im Rahmen des von der Kommission geführten Verwaltungsverfahrens wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln vorgelegt werden, können grundsätzlich nicht als von den eigenen Erklärungen dieser Gesellschaft verschiedene und unabhängige Beweisstücke angesehen werden. Im Allgemeinen beruht nämlich der Standpunkt einer Gesellschaft in Bezug auf das Vorliegen des ihr von der Kommission vorgeworfenen Sachverhalts in erster Linie auf den Kenntnissen und Ansichten ihrer Mitarbeiter und Geschäftsleiter.

(vgl. Randnr. 59)

4.      In einem Verwaltungsverfahren in Wettbewerbssachen müssen der Mitteilung der Beschwerdepunkte alle wesentlichen Tatsachen, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, klar angeführt werden. Diese Darstellung kann jedoch in gedrängter Form erfolgen, und die Entscheidung braucht nicht notwendig ein Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu sein, da es sich bei dieser um ein vorbereitendes Schriftstück handelt, dessen tatsächliche und rechtliche Wertungen lediglich vorläufiger Natur sind. So darf die Kommission den Betroffenen zwar keine Zuwiderhandlungen zur Last legen, die sich von den Zuwiderhandlungen unterscheiden, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeführt sind, und sie darf nur die Tatsachen zugrunde legen, zu denen sich die Betroffenen äußern konnten, doch muss sie die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens berücksichtigen, sei es, um bestimmte Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die sich als nicht ausreichend begründet erwiesen haben, sei es, um ihre Argumente, auf die sie die aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte stützt, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen oder zu ergänzen.

(vgl. Randnr. 66)

5.      Hat das Gericht Zweifel, so muss dies dem Unternehmen zugutekommen, an das sich die Entscheidung richtet, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG festgestellt wird. Das Gericht kann daher nicht davon ausgehen, dass die Kommission das Vorliegen der betreffenden Zuwiderhandlung rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, wenn bei ihm noch Zweifel in dieser Hinsicht bestehen, insbesondere dann, wenn es sich um eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung zur Verhängung einer Geldbuße handelt.

Unter den genannten Umständen ist nämlich die Unschuldsvermutung insbesondere nach Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten, die zu den Grundrechten gehört, die allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstellen. Angesichts der Art der betreffenden Zuwiderhandlungen sowie der Art und der Schwere der ihretwegen verhängten Sanktionen gilt die Unschuldsvermutung insbesondere in Verfahren wegen Verletzung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können.

(vgl. Randnrn. 73-74)

6.      Im Wettbewerbsbereich ist es erforderlich, dass die Kommission aussagekräftige und übereinstimmende Beweise beibringt, um das Vorliegen der Zuwiderhandlung nachzuweisen. Jedoch muss nicht jeder von der Kommission erbrachte Beweis notwendigerweise für jeden Teil der Zuwiderhandlung diesen Kriterien entsprechen. Es genügt, wenn ein von der Kommission angeführtes Bündel von Indizien im Ganzen betrachtet dem genannten Erfordernis entspricht.

Außerdem kann in Anbetracht der Bekanntheit des Verbots wettbewerbswidriger Vereinbarungen von der Kommission nicht verlangt werden, dass sie Beweisstücke vorlegt, die eine Kontaktaufnahme zwischen den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern explizit bestätigen. Die lückenhaften und vereinzelten Beweise, über die die Kommission gegebenenfalls verfügt, müssen jedenfalls durch Schlussfolgerungen ergänzt werden können, die die Rekonstruktion der relevanten Umstände ermöglichen. Das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung kann folglich aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können.

Stützt sich die Kommission für ihre Feststellung des Vorliegens einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG ausschließlich auf das Marktverhalten der Unternehmen, genügt es für diese, das Vorliegen von Umständen nachzuweisen, die den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lassen und damit eine andere plausible Erklärung der Tatsachen ermöglichen, aus denen die Kommission auf die Begehung einer Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln geschlossen hat.

Dies gilt nicht für alle Fälle, in denen eine Zuwiderhandlung nur aufgrund nichtschriftlicher Nachweise festgestellt wird. Hinsichtlich der Beweismittel, die zum Nachweis einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG herangezogen werden dürfen, gilt im Gemeinschaftsrecht nämlich der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.

Selbst wenn sich somit das Fehlen schriftlicher Nachweise im Rahmen der Gesamtbeurteilung des von der Kommission angeführten Bündels von Indizien als relevant erweisen kann, kann das betroffene Unternehmen nicht allein seinetwegen die Behauptungen der Kommission durch eine andere Erklärung des Sachverhalts in Frage stellen. Dies ist nur dann der Fall, wenn aufgrund der von der Kommission beigebrachten Beweise das Vorliegen der Zuwiderhandlung nicht eindeutig und nur durch Auslegung dieser Beweise nachgewiesen werden kann.

(vgl. Randnrn. 75-76, 79-82)

7.      In einem Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG ist das alleinige Kriterium für die Beurteilung des Beweiswerts der verschiedenen Beweisstücke ihre Glaubhaftigkeit. Nach den allgemeinen Beweisgrundsätzen hängt die Glaubhaftigkeit eines Schriftstücks und damit sein Beweiswert von seiner Herkunft, den Umständen seiner Entstehung, seinem Adressaten und seinem Inhalt ab.

Zudem kann Erklärungen von Unternehmen ein besonders hoher Beweiswert beigemessen werden, wenn sie verlässlich sind, im Namen eines Unternehmens abgegeben wurden, von einer Person stammen, die beruflich verpflichtet ist, im Interesse dieses Unternehmens zu handeln, den Interessen des Erklärenden zuwiderlaufen, von einem unmittelbaren Zeugen der Vorgänge stammen, auf die sie sich beziehen, und bedacht sowie nach reiflicher Überlegung schriftlich abgegeben werden.

Hingegen kann eine Erklärung, die ein der Beteiligung an einem Kartell beschuldigtes Unternehmen abgibt und deren Richtigkeit von mehreren anderen betroffenen Unternehmen bestritten wird, nicht als hinreichender Beweis für die Begehung einer Zuwiderhandlung durch diese anderen Unternehmen angesehen werden, wenn sie nicht durch andere Beweise untermauert wird, wobei jedoch der erforderliche Grad der Erhärtung aufgrund der Glaubhaftigkeit der fraglichen Erklärungen geringer ist.

(vgl. Randnrn. 84-87)

8.      Auch wenn gegenüber den freiwilligen Angaben der Hauptteilnehmer an einem rechtswidrigen Kartell im Allgemeinen ein gewisses Misstrauen angebracht ist, da die Möglichkeit besteht, dass diese Teilnehmer die Neigung haben, möglichst viel Belastungsmaterial zur Tätigkeit ihrer Wettbewerber zu liefern, so ändert dies nichts daran, dass ein Antrag auf Anwendung der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, um einen Erlass oder eine Herabsetzung der Geldbuße zu erreichen, nicht zwangsläufig einen Anreiz schafft, verfälschte Beweise für die Beteiligung der übrigen Mitglieder des Kartells vorzulegen. Jeder Versuch einer Irreführung der Kommission könnte nämlich die Aufrichtigkeit und Vollständigkeit der Kooperation des Antragstellers in Frage stellen und damit die Möglichkeit gefährden, dass er in den vollen Genuss der Kronzeugenregelung gelangt.

Was den besonderen Fall der Zeugenaussagen betrifft, ist zwar möglich, dass auch die Mitarbeiter eines Unternehmens, das einen Antrag auf Geldbußenerlass gestellt hat und in dessen Interesse zu handeln sie gehalten sind, so viele belastende Umstände wie möglich anführen wollen, da sich ihre Mitarbeit im Rahmen des Verfahrens auch positiv auf ihre berufliche Zukunft auswirken kann. Ist dies der Fall, werden den fraglichen Mitarbeitern jedoch auch die möglichen negativen Folgen unrichtiger Angaben bewusst sein, die durch die Notwendigkeit ihrer Erhärtung durch andere Beweise deutlicher spürbar sind.

(vgl. Randnrn. 88,107)

9.      Eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung brauchen nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt. Das Bestehen einer gegenseitigen Verpflichtung bedeutet zwangsläufig das Vorliegen eines gemeinsamen Willens, selbst wenn für die genaue Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem dieser Wille zum Ausdruck gebracht wurde, oder für eine Formalisierung dieses Ausdrucks keine Anhaltspunkte vorliegen.

(vgl. Randnrn. 230-231)

10.    Bei einem Streit über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln bedeutet das Erfordernis der Rechtssicherheit, auf die die Wirtschaftsteilnehmer Anspruch haben, dass die Kommission, der die Beweislast für die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen obliegt, Beweismaterial beibringen muss, mit dem sie rechtlich hinreichend das Vorliegen eines Sachverhalts belegen kann, der eine Zuwiderhandlung darstellt. Für die behauptete Dauer der Zuwiderhandlung verlangt dieser Grundsatz der Rechtssicherheit, dass die Kommission, soweit es an Beweismaterial fehlt, mit dem die Dauer der Zuwiderhandlung direkt belegt werden kann, zumindest Beweismaterial beibringt, das sich auf Fakten bezieht, die zeitlich so nahe beieinander liegen, dass sie vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass die Zuwiderhandlung zwischen zwei konkreten Zeitpunkten ohne Unterbrechung erfolgt ist.

Auch wenn der Beweis für die Existenz einer fortgesetzten Zuwiderhandlung für bestimmte Zeiträume nicht erbracht wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Zuwiderhandlung während eines längeren Gesamtzeitraums fortbestand, sofern eine solche Feststellung auf objektiven und übereinstimmenden Indizien beruht. Im Rahmen einer Zuwiderhandlung, die sich über mehrere Jahre erstreckt, bleibt die Tatsache, dass sich das Kartell während verschiedener Zeitabschnitte manifestiert, die durch mehr oder weniger lange Zwischenräume voneinander getrennt sein können, ohne Einfluss auf den Bestand dieses Kartells, sofern mit den verschiedenen Maßnahmen, die Teil dieser Zuwiderhandlung sind, im Rahmen einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung das gleiche Ziel verfolgt wird.

(vgl. Randnrn. 241-242)

11.    In einem Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verfügt die Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen über ein Ermessen, damit sie die Unternehmen dazu anhalten kann, die Wettbewerbsregeln einzuhalten.

Die Kommission setzt den Geldbußenbetrag anhand der Schwere und gegebenenfalls der Dauer der Zuwiderhandlung fest. Die Schwere der Zuwiderhandlung ist anhand von Kriterien wie den besonderen Umständen der Sache, ihrem Kontext und der Abschreckungswirkung der Geldbußen zu ermitteln. Objektive Gesichtspunkte wie Inhalt und Dauer der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, deren Zahl und Intensität, der Umfang des betroffenen Markts und die Schädigung der öffentlichen Wirtschaftsordnung sind einzubeziehen. Bei der Analyse sind auch die relative Bedeutung und der Marktanteil der verantwortlichen Unternehmen sowie ein etwaiger Wiederholungsfall zu berücksichtigen.

(vgl. Randnrn. 264-265)

12.    Die Kommission muss in jedem Einzelfall, wenn sie die Festsetzung von Geldbußen nach dem Wettbewerbsrecht beschließt, die allgemeinen Rechtsgrundsätze einhalten, zu denen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit in ihrer Auslegung durch die Gemeinschaftsgerichte gehören.

Der Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. das Diskriminierungsverbot verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt.

Der relevante Zeitraum muss daher so abgegrenzt werden, dass die ermittelten Umsatzzahlen so weit wie möglich miteinander vergleichbar sind, wenn es erforderlich ist, auf den Umsatz der an ein und derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zurückzugreifen, um das Verhältnis zwischen den festzusetzenden Geldbußen zu bestimmen.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist; dabei ist von mehreren geeigneten Maßnahmen die am wenigsten belastende zu wählen, und die verursachten Nachteile müssen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.

Wenn sich die Kommission in diesem Zusammenhang bei der Ermittlung der weltweiten Umsätze bestimmter Unternehmen auf verschiedene Jahre stützt und die Berechnung des Grundbetrags der gegen diese für den Zeitraum ihrer Kartellbeteiligung in der Eigenschaft als Einzelunternehmen zu verhängenden Geldbußen auf ihren in verschiedenen Jahren erzielten Umsätzen basiert, behandelt sie diese Unternehmen folglich nicht gleich. Das von der Kommission angeführte Ziel, den Vergleich zu ermöglichen, inwieweit die Anteilsinhaber eines Gemeinschaftsunternehmens während des Zeitraums vor Gründung des Gemeinschaftsunternehmens in der Lage waren, den Wettbewerb zu beeinträchtigen, ist zwar zulässig, eine solche ungleiche Behandlung kann jedoch nicht gerechtfertigt sein, wenn die Kommission offensichtlich andere Methoden hätte verwenden können, um das von ihr verfolgte Ziel zu erreichen, ohne die Unternehmen bei der Wahl des Referenzjahrs unterschiedlich zu behandeln.

(vgl. Randnrn. 266-269, 271-272, 275-276)