Language of document : ECLI:EU:T:2014:630

Rechtssache T‑540/08

Esso Société anonyme française u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Paraffinwachse – Markt für Paraffingatsch – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Festsetzung der Preise und Aufteilung der Märkte – Leitlinien von 2006 für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Dauer der Zuwiderhandlung – Gleichbehandlung – Verhältnismäßigkeit – Unbeschränkte Nachprüfung“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 11. Juli 2014

1.      Kartelle – Teilnahme eines Unternehmens an wettbewerbswidrigen Initiativen – Stillschweigende Billigung ohne offene Distanzierung oder Anzeige bei den zuständigen Behörden ausreichend für die Verantwortlichkeit des Unternehmens – Dem Unternehmen obliegende Gegenbeweislast

(Art. 81 Abs. 1 EG)

2.      Gerichtliches Verfahren – Prozessleitende Maßnahmen – Schriftliche Fragen an die Schriftliche Fragen an die Parteien – Keine automatischen Folgen für die Entscheidung des Rechtsstreits – Freie Beurteilung des den verschiedenen Sachverhaltselementen und Beweismitteln beizumessenden Wertes durch das Gericht

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 49 und 64)

3.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Berücksichtigter Umsatz – Referenzjahr – Letztes vollständiges Jahr der Zuwiderhandlung – Charakter derselben im Hinblick auf bestimmte Teilnehmer – Gleichartige Berücksichtigung eines längeren Zeitraums bei allen Teilnehmern – Unternehmen, das sich in einer anderen Lage befindet als die anderen am Kartell beteiligten Unternehmen– Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 6 und 13)

4.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – In den Leitlinien der Kommission festgelegte Berechnungsmethode – Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße – Ermittlung des Umsatzes – Kriterien – Referenzzeitraum für die Berechnung des Umsatzes – Während der Dauer des Kartells erfolgte Fusion – Keine Repräsentativität des Umsatzes während des Referenzzeitraums – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23. Abs. 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission)

5.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Unbeschränkte Nachprüfung des Unionsrichters – Umfang

(Art. 261 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 38-46, 54)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn 56-62)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 93-103)

4.      Im Bereich des Wettbewerbs stellt der nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 festgesetzt werden, anhand des Umsatzes im Referenzzeitraum berechnete Grundbetrag der Geldbuße, der mit dem Koeffizienten für die Dauer multipliziert wird, nur dann eine Formel dar, die die tatsächliche wirtschaftliche Lage während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung angemessen wiedergibt, wenn der Bestandteil, der ihren Ausgangspunkt bildet – der Umsatz –, zumindest annähernd repräsentativ für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung ist.

Zwar erlaubt der Ermessensspielraum, über den die Kommission bei der Berechnung der Geldbuße verfügt, ihr unter gewöhnlichen Umständen, das letzte Jahr der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Referenzzeitraum zu berücksichtigen. Eine solche allgemeine Lösung ist nämlich gerechtfertigt, da dieses Ermessen der Kommission erlaubt, nicht jede Umsatzschwankung in den Jahren der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen, und eine Erhöhung des Umsatzes das Ergebnis des Kartells selbst sein kann.

Dagegen kann für den Fall, dass eine Fusion während der Dauer des Kartells erfolgt ist, an dem vor der Fusion nur eine der Gesellschaften beteiligt war, der Umsatz der aus der Fusion hervorgehenden Einheit während des letzten vollständigen Geschäftsjahrs, der mit der Zahl der Jahre der Beteiligung nicht nur der aus der Fusion hervorgehenden Einheit, sondern auch der Gesellschaft multipliziert wird, die vor der Fusion allein am Kartell beteiligt war, keine „Formel dar[stellen], die die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht des einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmens“ für die gesamte Dauer der Beteiligung „angemessen wiedergibt“. Indem die Kommission nämlich den Umsatz der aus der Fusion hervorgehenden Einheit auch mit der Zahl der Jahre multipliziert, in denen nur eine der fusionierten Gesellschaften an der Zuwiderhandlung teilgenommen hat, erhöht sie künstlich den Grundbetrag der Geldbuße auf eine unverhältnismäßige Weise, die die tatsächliche wirtschaftliche Lage in den Jahren vor der Fusion nicht wiedergibt. Aus diesem Grund verstößt die Kommission gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

(vgl. Rn. 110-114)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 132, 133)