Language of document : ECLI:EU:T:2023:702

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

8. November 2023(*)

„Unionsmarke – Anmeldung einer dreidimensionalen Unionsmarke – Form einer Tragetasche – Absolutes Eintragungshindernis – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001“

In der Rechtssache T‑113/23,

Papier-Mettler KG mit Sitz in Morbach (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwälte D. Graetsch und M. Bergermann,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch T. Klee als Bevollmächtigten,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann sowie der Richter I. Gâlea (Berichterstatter) und T. Tóth,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die Papier-Mettler KG, die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 19. Dezember 2022 (Sache R 764/2022‑2) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) aufzuheben.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 19. Oktober 2021 meldete die Klägerin beim EUIPO eine Unionsmarke für folgendes dreidimensionales Zeichen an:

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3        Die Marke wurde für folgende Waren der Klassen 16, 17, 18 und 22 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 16: „Verpackungsmaterial aus Papier oder Kunststoff, einschließlich Tragetaschen aus Papier oder Kunststoff, soweit in Klasse 16 enthalten“;

–        Klasse 17: „Waren aus Kunststoffen (Halbfabrikate), einschließlich Halbfabrikate für die Herstellung von Kunststofftragetaschen, soweit in Klasse 17 enthalten; Packungsmaterial, soweit in Klasse 17 enthalten“;

–        Klasse 18: „Tragetaschen aus Kunststoff oder textilem Material, soweit in Klasse 18 enthalten“;

–        Klasse 22: „Verpackungsbeutel, -taschen und -hüllen aus textilem Material“.

4        Mit Entscheidung vom 4. April 2022 wies die Prüferin die Markenanmeldung gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) zurück, weil sie keine Unterscheidungskraft habe.

5        Am 5. Mai 2022 legte die Klägerin beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüferin ein.

6        Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass die angemeldete Marke keine Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 habe. Sie stellte fest, dass sich die Waren der Klassen 16, 18 und 22 an das allgemeine Publikum in der Europäischen Union richteten und die Waren der Klasse 17 an Hersteller von Kunststoffwaren, also ein Fachpublikum. Die Branche zeichne sich durch eine Formenvielfalt von Tragetaschen aus, die auch auf der Grundlage funktioneller Anforderungen gestaltet seien. Die angemeldete Taschenform weiche nicht im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 erheblich von der Norm und den Gepflogenheiten der Branche ab, unabhängig davon, ob es sich um Taschen aus Papier, Kunststoff oder textilem Material oder um die anderen von der angemeldeten Marke beanspruchten Waren handele.

 Anträge der Parteien

7        Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten einschließlich der im Verfahren vor der Beschwerdekammer angefallenen Kosten aufzuerlegen.

8        Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        die Klägerin im Fall der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

 Rechtliche Würdigung

9        Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 geltend. Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, die angemeldete Marke verfüge über die für die Eintragung erforderliche Unterscheidungskraft.

10      Die Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 bedeutet, dass die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (Urteile vom 21. Januar 2010, Audi/HABM, C‑398/08 P, EU:C:2010:29, Rn. 33, und vom 5. Februar 2020, Hickies/EUIPO [Form eines Schnürsenkels], T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 24 [nicht veröffentlicht]).

11      Der Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 zugrunde liegende Begriff des Allgemeininteresses und die Hauptfunktion der Marke, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, diese Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft zu unterscheiden, gehen offensichtlich ineinander über (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 48, und vom 5. Februar 2020, Form eines Schnürsenkels, T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 25 [nicht veröffentlicht]).

12      Die Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen (Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 35, und vom 5. Februar 2020, Form eines Schnürsenkels, T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 26 [nicht veröffentlicht]).

13      Für die Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken, die in der Form der Ware selbst bestehen, gelten keine anderen Kriterien als für die übrigen Markenkategorien. Im Rahmen der Anwendung dieser Kriterien ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine dreidimensionale Marke, die im Erscheinungsbild der Ware selbst besteht, vom Durchschnittsverbraucher nicht notwendig in der gleichen Weise wahrgenommen wird wie eine Wort- oder Bildmarke, die aus einem Zeichen besteht, das vom Erscheinungsbild der mit der Marke bezeichneten Waren unabhängig ist. Die Durchschnittsverbraucher schließen nämlich aus der Form der Waren oder der ihrer Verpackung, wenn grafische oder Wortelemente fehlen, gewöhnlich nicht auf die Herkunft dieser Waren; daher kann es schwieriger sein, die Unterscheidungskraft einer dreidimensionalen Marke nachzuweisen als diejenige einer Wort- oder Bildmarke (Urteile vom 7. Oktober 2004, Mag Instrument/HABM, C‑136/02 P, EU:C:2004:592, Rn. 30, sowie vom 20. Oktober 2011, Freixenet/HABM, C‑344/10 P und C‑345/10 P, EU:C:2011:680, Rn. 45 und 46).

14      Je mehr sich die als Marke angemeldete Form der Form annähert, in der die betreffende Ware am wahrscheinlichsten in Erscheinung tritt, umso eher ist zu erwarten, dass dieser Form die Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 fehlt. Daher besitzt nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion erfüllen kann, auch Unterscheidungskraft im Sinne dieser Bestimmung (Urteile vom 7. Oktober 2004, Mag Instrument/HABM, C‑136/02 P, EU:C:2004:592, Rn. 31, und vom 5. Februar 2020, Form eines Schnürsenkels, T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 29 [nicht veröffentlicht]).

15      Ferner hängt die Eintragung eines Zeichens als Unionsmarke nicht von der Feststellung eines bestimmten Niveaus der sprachlichen oder künstlerischen Kreativität oder Einbildungskraft des Markeninhabers ab. Es genügt, dass die Marke es den maßgeblichen Verkehrskreisen ermöglicht, die Herkunft der durch diese Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu erkennen und diese von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (Urteile vom 16. September 2004, SAT.1/HABM, C‑329/02 P, EU:C:2004:532, Rn. 41, und vom 14. Juli 2021, Guerlain/EUIPO [Form eines länglichen, kegelförmigen und zylindrischen Lippenstifts], T‑488/20, EU:T:2021:443‚ Rn. 20 [nicht veröffentlicht]).

16      Unter Berücksichtigung der Ausführungen in den vorstehenden Rn. 10 bis 15 ist zu prüfen, ob die Beschwerdekammer mit ihrer Feststellung, dass die angemeldete Marke für die von ihr beanspruchten Waren keine Unterscheidungskraft habe, gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 verstoßen hat, wie die Klägerin geltend macht.

17      Zunächst ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer, von der Klägerin unbeanstandet, in Bezug auf die maßgeblichen Verkehrskreise, deren Wahrnehmung zu berücksichtigen war, davon ausging, dass sich „Tragetaschen“ und „Verpackungsbeutel, -taschen und -hüllen“ der Klassen 16, 18 und 22 an das allgemeine Publikum in der Union richteten und Halbfabrikate für Kunststofftragetaschen der Klasse 17 an Hersteller von Kunststoffwaren.

18      Die Klägerin stützt ihren einzigen Klagegrund auf zwei Argumentationsstränge, nämlich zum einen, dass die Feststellungen der Beschwerdekammer zu den Normen und Gepflogenheiten der in Rede stehenden Branche unzureichend seien, und zum anderen, dass die Beurteilung der Abweichung der angemeldeten Marke von diesen Normen und Gepflogenheiten unzutreffend sei.

 Zu den Feststellungen der Beschwerdekammer zur Norm und zur Branchenüblichkeit

19      Die Klägerin rügt, die Beschwerdekammer habe die Normen und die Gepflogenheiten der in Rede stehenden Branche nicht hinreichend untersucht. Die Beschwerdekammer sei allgemein und ohne Nachweise davon ausgegangen, dass aufgrund unterschiedlicher funktioneller Anforderungen eine gewisse Formenvielfalt bestehe und das allgemeine Publikum in der Union Tragetaschen stets nur im Hinblick auf funktionell-praktische Aspekte beurteile.

20      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

21      In Rn. 16 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass die Prüferin in ihrer Beanstandung vom 18. November 2021 Rechercheergebnisse vorgelegt habe, die verschiedene Tragetaschenmodelle zeigten. Die Beschwerdekammer bildete acht Tragetaschenmodelle ab, die diesen Rechercheergebnissen und von der Klägerin im Anhang zu ihrem Schriftsatz vom 28. Januar 2022 vorgelegten Beispielen entnommen waren, und kam in Rn. 18 ihrer Entscheidung zu dem Ergebnis, dass sich die in Rede stehende Branche aufgrund unterschiedlicher funktioneller Bedürfnisse, denen Taschen entsprechen könnten, durch eine Vielfalt an Taschenformen auszeichne.

22      Auf der Grundlage dieser Beispiele gelangte die Beschwerdekammer zu der Auffassung, dass Tragetaschen im Wesentlichen aus einem quaderähnlichen Körper bestünden, der Transportgut aufnehmen könne, und aus daran angebrachten Henkeln, die das Tragen erleichterten, und dass es aufgrund verschiedener funktioneller Bedürfnisse im Zusammenhang u. a. mit dem Volumen des zu befördernden Füllguts oder der Möglichkeit, die Tasche zusammenzufalten, unterschiedliche Tragetaschenformen gebe. So könnten Tragetaschen breit oder schmal geschnitten sein, eine trapezförmige Front- und Rückseite aufweisen, einen rechteckigen oder ovalen Boden haben und im Bodenbereich mit Ecken versehen oder gerundet sein.

23      Überdies hat die Beschwerdekammer in Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass es eine allgemein bekannte Tatsache sei, dass Tragetaschen häufig mittig in den beiden Seitenwänden eine Falte aufwiesen; durch diese Seitenfalten könne die Tasche zusammengefaltet oder ihr Volumen an das beförderte Füllgut angepasst werden. Als Beleg für diese Ausführungen bildete sie zwei Taschenbeispiele ab, die dem Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2022 entnommen waren.

24      Den vorstehenden Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage zahlreicher in der Verfahrensakte des EUIPO enthaltener objektiver Faktoren klar dargelegt hat, dass sich die in Rede stehende Branche – unabhängig von den Gründen hierfür – durch eine Vielfalt an Taschenformen auszeichne. Diese Faktoren bildeten jedenfalls eine ausreichende Grundlage, damit die Beschwerdekammer die Vielfalt der Taschenformen in der betreffenden Branche u. a. mit den verschiedenen funktionellen Anforderungen erklären konnte.

25      Somit hat die Beschwerdekammer nach hinreichender Prüfung festgestellt, dass bei Taschen eine gewisse Formenvielfalt bestehe, bevor sie geprüft hat, ob die angemeldete Marke von den genannten Normen und Gepflogenheiten abweicht.

 Zur Frage, ob die Form der angemeldeten Marke erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht

26      Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, dass die Form der angemeldeten Marke unterscheidungskräftig sei und sich grundlegend von anderen auf dem Markt vertretenen Taschenformen unterscheide, auch soweit es sich um Spielarten handele, an die die Verbraucher gewöhnt seien.

27      Sie rügt, die Beschwerdekammer habe zum einen in Bezug auf die Merkmale der Form der angemeldeten Marke Beurteilungsfehler begangen und zum anderen zu Unrecht festgestellt, dass die angemeldete Marke nicht hinreichend von den Normen und der Branchenüblichkeit abweiche.

 Zur Beurteilung der Merkmale der Form der angemeldeten Marke

28      Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer habe in Bezug auf die Merkmale der Form der angemeldeten Marke Beurteilungsfehler begangen.

29      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

30      Erstens rügt die Klägerin, die Beschwerdekammer sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Form der angemeldeten Marke mit ähnlichen Seitenfalten gestaltet sei, wie sie auch die Formen herkömmlicher Taschen hätten. Herkömmliche Taschen seien mit normalerweise nach innen gerichteten Seitenfalten gestaltet, die einen funktionellen Vorteil hätten, während die Form der angemeldeten Marke keine solche Falte aufweise.

31      Die Beschwerdekammer hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass Taschen üblicherweise Seitenfalten mit einer Faltung der Seitenwände der Tasche in zwei Teile hätten, wobei diese Seitenfalten selbst durch Falten mit den Ecken des Taschenbodens verknüpft seien, so dass der Eindruck einer dreieckigen Anbindung an die Ecken entstehe. Die Form der angemeldeten Marke vermittle den Eindruck nach außen gerichteter Seitenfalten, wobei die Verbindung zwischen dem unteren Faltenende und den Bodenecken abgeschrägt nach oben gerichtet verlaufe und diese Form dadurch, so wie gängige Taschenformen mit nach innen gerichteten Seitenfalten, eine dreieckige Verbindung zwischen den Seitenteilen und den Bodenecken der Tasche bilde, auch wenn es sich bei dieser Verbindung um umgekehrte Dreiecke handele, bei denen der Eindruck entstehe, sie seien abgeschnitten.

32      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die angemeldete Marke aus einem Taschenkörper mit zwei Henkeln besteht. Wie den Abbildungen der angemeldeten Marke oben in Rn. 2 zu entnehmen ist, weist der Taschenkörper im unteren Bereich abgeschnittene Ecken auf, so dass er in der Vorderansicht ein Sechseck bildet. In der Seitenansicht ergibt sich ein gleichschenkliges Trapez, bei dem unten ein Dreieck ausgenommen wurde. Bei einer schräg-seitlichen Ansicht treten die Seitenbereiche im senkrechten Achsenbereich des Taschenkörpers nach außen hervor.

33      Außerdem ist festzustellen, dass die Seitenteile der Form der angemeldeten Marke aus jeweils zwei symmetrischen Trapezen bestehen, die durch eine vertikale gerade Linie getrennt werden, wodurch der Eindruck entsteht, dass die Seitenteile mittig eine nach außen weisende Falte haben.

34      Daher ist mit der Beschwerdekammer festzustellen, dass diese Seitenteile optisch an nach außen gerichtete Seitenfalten erinnern und es sich um ein Merkmal handelt, durch das das Fassungsvermögen der Tasche im mittleren und oberen Bereich erweitert wird, selbst wenn diese Seitenteile nicht als Seitenfalten angesehen werden sollten, die einem funktionellen und praktischen Bedürfnis dienen.

35      Infolgedessen ist die Beschwerdekammer in Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung beurteilungsfehlerfrei zu dem Schluss gelangt, dass die seitlichen Falten der Taschenform, die die angemeldete Marke bildet, nach außen gerichteten Seitenfalten gleichgesetzt werden können.

36      Zweitens rügt die Klägerin, die Beschwerdekammer sei davon ausgegangen, dass die Form der angemeldeten Marke einen rechteckigen Boden habe und den Eindruck erwecke, dass die unteren Ecken abgeschnitten seien. Zum einen habe die Form der angemeldeten Marke einen sechseckigen Boden. Zum anderen seien die unteren Ecken der Tasche tatsächlich abgeschnitten, d. h., es handele sich nicht nur um einen entsprechenden Eindruck. Durch diese beiden Merkmale unterscheide sich die Form der angemeldeten Marke von anderen auf dem Markt vertretenen Taschenformen.

37      Was die Ecken der die angemeldete Marke bildenden Taschenform betrifft, so geht aus den in Rn. 15 der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Beurteilungen der Beschwerdekammer hervor, dass die Prüferin in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Klägerin festgestellt hatte, dass der Taschenkörper abgeschnittene Ecken habe, die sowohl in der Vorderansicht als auch in der Seitenansicht erkennbar seien. Sollte die Klägerin die in Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung verwendete Formulierung „Eindruck eines ‚abgeschnittenen Dreiecks‘“ in Frage stellen, so ist darauf hinzuweisen, dass ein ausgenommener oder abgeschnittener Teil eines dreidimensionalen Zeichens nur durch die Vorstellung der mit diesem Zeichen konfrontierten Verkehrskreise wahrgenommen werden kann. Die Beschwerdekammer hat daher mit der Feststellung, dass die als Marke angemeldete Form den „Eindruck eines ‚abgeschnittenen Dreiecks‘“ erwecke, keinen Fehler begangen.

38      In Bezug auf den Boden der die angemeldete Marke bildenden Taschenform ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, dass dieser nicht rechteckig, sondern sechseckig sei. Zum einen lässt der Seitenteil der Tasche ein Dreieck erkennen, das vom unteren Teil ausgenommen wurde, wodurch die unteren Ecken nach oben gerichtet werden. Zum anderen wird dieses Merkmal dadurch bestätigt, dass die Tasche in der Vorderansicht eine sechseckige Form hat.

39      Diese Feststellungen zeigen folglich, dass die Tasche, deren Form die angemeldete Marke bildet, so gestaltet wurde, dass sie mit einer rechteckigen Grundfläche auf dem Boden steht.

40      Jedenfalls hat sich die Beschwerdekammer auf eine allgemeine Feststellung beschränkt, als sie darauf hinwies, dass eine Tasche mit rechteckigem Boden in der Regel einfacher und raumsparender abgestellt werden kann, etwa in einem Fahrradkorb, als eine Tasche mit sechseckigem Boden.

41      Die Beschwerdekammer hat somit in Bezug auf die Ecken und den Boden der die angemeldete Marke bildenden Taschenform keinen Beurteilungsfehler begangen.

42      Drittens rügt die Klägerin, die Beschwerdekammer habe übersehen, dass die Taschenform, die die angemeldete Marke bilde, keinen funktionellen Bedürfnissen folge, sondern eine davon losgelöste eigenständige Gestaltung aufweise, was sie von den üblichen Gestaltungen deutlich abhebe.

43      Insoweit ist mit der Beschwerdekammer darauf hinzuweisen, dass die verschiedenen Taschenformen auf dem Markt im Allgemeinen bestimmten funktionellen und praktischen Anforderungen gerecht werden, etwa im Hinblick darauf, was in der Tasche befördert werden soll, oder im Hinblick auf die Möglichkeiten, die Tasche abzustellen, und dass die maßgeblichen Verkehrskreise im vorliegenden Fall die Form der angemeldeten Marke als Ausprägung bestimmter sachlicher Bedürfnisse verstehen werden, denen eine Tasche entsprechen soll. Somit genügen die Merkmale der Form der angemeldeten Marke, etwa der Umstand, dass diese Form keine nach innen gerichteten Seitenfalten hat, nicht aus, um zu beweisen, dass sie derart unabhängig von funktionellen Anforderungen gestaltet wurde, dass sie erheblich von den Normen und der Branchenüblichkeit abweicht.

44      Die Beschwerdekammer hat demnach in Bezug auf den Zusammenhang zwischen der Gestaltung der die angemeldete Marke bildenden Taschenform und den funktionellen Bedürfnissen, denen eine Tasche entsprechen soll, keinen Fehler begangen.

45      Folglich kann das Vorbringen der Klägerin, dass die angefochtene Entscheidung sich auf eine fehlerhafte Beurteilung der Merkmale der angemeldeten Marke stütze, keinen Erfolg haben.

 Zu den Unterschieden zwischen der angemeldeten Marke und den in der fraglichen Branche üblichen Taschenformen

46      Nach Auffassung der Klägerin ist die angemeldete Marke grundlegend anders gestaltet als die in der Branche üblichen Taschenformen. Die verschiedenen Taschenformen auf dem Markt hätten eine quaderförmige Grundgestalt mit Seitenfalten, und die einzigen Spielarten, die vertreten seien, beschränkten sich auf die unterschiedliche Größe. Die angemeldete Marke unterscheide sich daher erheblich von den Normen und der Branchenüblichkeit und springe sofort ins Auge, so dass sie geeignet sei, auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen.

47      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

48      Nach der Rechtsprechung reicht, wenn eine dreidimensionale Marke in der Form der Ware besteht, für die sie angemeldet wird, der bloße Umstand, dass diese Form eine „Variante“ der üblichen Formen dieser Warengattung ist, nicht aus, um zu beweisen, dass die genannte Marke Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 besitzt. Es ist stets zu prüfen, ob diese Marke es dem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der fraglichen Ware erlaubt, diese – ohne eine Prüfung vorzunehmen und ohne besondere Aufmerksamkeit – von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2019, EUIPO/Wajos, C‑783/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1073, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Es genügt nicht, dass die Form, die die angemeldete Marke bildet, sich in Bezug auf bestimmte physische Merkmale der Ware von anderen auf dem Markt erhältlichen Formen der gleichen Ware unterscheidet, sondern diese Merkmale müssen zudem hinreichend ausgeprägt sein, damit die Verbraucher die mit dem in Betracht gezogenen Zeichen ausgestattete Ware allein anhand ihrer Form von den Waren anderer Unternehmen unterscheiden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2019, Brita/EUIPO [Form eines Getränkeausgabehahns], T‑213/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:435, Rn. 63).

50      Die Beschwerdekammer hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass Tragetaschen sich nicht nur durch Aufschrift und Farbwahl unterscheiden könnten, sondern auch durch ihre Form, und dass folglich auch aufgrund der funktionellen Anforderungen eine gewisse Formenvielfalt bestehe. Für die angemeldete Marke ging sie davon aus, dass die hier maßgeblichen Verkehrskreise die Merkmale der Form dieser Marke einzeln und auch in der Verbindung als Ausprägungen bestimmter typischer sachlicher Bedürfnisse, denen eine Tasche entsprechen solle, verstehen würden. Daher habe die Prüferin zu Recht angenommen, dass die angemeldete Marke nicht erheblich von den Normen und den Gepflogenheiten der Branche abweiche.

51      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass entgegen den Ausführungen der Klägerin das Fehlen von Seitenfalten und die spezifische Form der den Boden mit den Seitenteilen verbindenden Ecken keine hinreichenden Merkmale darstellen, um den maßgeblichen Verkehrskreisen aufzufallen und ihnen zu ermöglichen, auf die betriebliche Herkunft der in Rede stehenden Waren zu schließen.

52      Wie oben in den Rn. 33 und 34 festgestellt, vermittelt die Form der angemeldeten Marke den Eindruck, sie habe an den Seitenteilen mittig nach außen weisende Falten, die an umgekehrte, nach außen gerichtete Seitenfalten erinnern, durch die das Fassungsvermögen im mittleren und oberen Bereich der Tasche erweitert werden kann. Da diese seitlichen Falten am unteren Ende mit den beiden seitlichen Ecken des Taschenbodens verbunden sind, lässt die Form außerdem dreieckige Verbindungen erkennen, wie dies bei den gängigen Formen von Taschen mit nach innen gerichteten Seitenfalten der Fall ist, auch wenn die Dreiecke im vorliegenden Fall umgekehrt sind. Dieses Merkmal unterscheidet sich nicht erheblich von herkömmlichen Seitenfalten, sondern vermittelt lediglich den Eindruck, dass die Falten nach außen gerichtet wurden. Daher werden die maßgeblichen Verkehrskreise dieses Merkmal nicht als Abweichung von der Branchenüblichkeit wahrnehmen, da Seitenfalten ein übliches Merkmal der Taschen sind, mit denen sie regelmäßig konfrontiert sind.

53      Zweitens vermag die Klägerin nicht darzulegen, inwiefern die Tatsache, dass die Merkmale der angemeldeten Marke durch andere als funktionelle Bedürfnisse bedingt wären, bedeuten würde, dass sie Unterscheidungskraft hat. Wie oben in Rn. 43 festgestellt, werden die maßgeblichen Verkehrskreise die Form der angemeldeten Marke dahin verstehen, dass sie auch grundlegenden funktionellen Anforderungen gerecht wird. Anhand der Merkmale dieser Form, u. a. dem Umstand, dass sie – anders als die anderen Taschenmodelle, mit denen diese Verkehrskreise üblicherweise konfrontiert werden – keine nach innen gerichteten Seitenfalten hat, kann deshalb nicht belegt werden, dass es sich um eine von den Normen und der Branchenüblichkeit erheblich abweichende Form handelt.

54      Selbst wenn die Form der angemeldeten Marke unabhängig von grundlegenden funktionellen Anforderungen gestaltet worden sein sollte, würde dies zudem nicht bereits bedeuten, dass diese Form erheblich von den Normen und der Branchenüblichkeit abweicht. Wie oben in den Rn. 48 und 49 ausgeführt, müssen für die Annahme, dass ein aus der Form der fraglichen Ware bestehendes dreidimensionales Zeichen Unterscheidungskraft hat, seine Merkmale hinreichend ausgeprägt sein, damit die Verbraucher die mit dem in Betracht gezogenen Zeichen ausgestattete Ware allein anhand ihrer Form von den Waren anderer Unternehmen unterscheiden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2019, Form eines Getränkeausgabehahns, T‑213/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:435, Rn. 63).

55      Drittens hat die Beschwerdekammer in Bezug auf den Boden und die unteren Ecken der die angemeldete Marke bildenden Taschenform auf einer ausreichenden Grundlage (siehe oben, Rn. 24) festgestellt, dass die gängigen Taschenformen einen rechteckigen oder ovalen Boden haben und im Bodenbereich mit Ecken versehen oder gerundet sein können, und hat damit hervorgehoben, dass es eine Vielzahl von Formen für Taschenböden und -ecken in der betreffenden Branche gibt. Zudem bilden die unteren Ecken der Tasche, aus deren Form die angemeldete Marke besteht, Dreiecke, die den Taschenboden mit den Seitenteilen verbinden, wie dies gewöhnlich der Fall ist.

56      Die Beschwerdekammer hat somit zutreffend festgestellt, dass die Taschenform, die die angemeldete Marke bildet, der einer herkömmlichen Tasche mit nach außen gerichteten Seitenfalten ähnlich ist.

57      Nach alledem bleibt die Taschenform, die die angemeldete Marke bildet, nahe bei der Form, in der die von der angemeldeten Marke beanspruchten Waren am wahrscheinlichsten in Erscheinung treten könnten, da sie erhebliche Ähnlichkeit mit den gängigsten Taschenformen aufweist. Die wenigen von der Klägerin angeführten Besonderheiten, etwa die Form der unteren Ecken, des Taschenbodens oder der Seitenteile, sind keine hinreichend ausgeprägten Merkmale, um anzunehmen, dass die angemeldete Marke erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit abweicht. Vielmehr handelt es sich dabei nur um Spielarten der Formen von unteren Ecken, Taschenböden oder Seitenteilen, die in dieser Branche zu finden sind. Der angemeldeten Marke fehlt es infolgedessen an Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001.

58      Dieses Ergebnis wird durch das übrige Vorbringen der Klägerin nicht in Frage gestellt.

59      Was die geltend gemachte Unmöglichkeit angeht, den Hersteller der Tasche auf andere Weise als anhand ihrer Form zu erkennen, ist mit der Beschwerdekammer darauf hinzuweisen, dass es zum einen den Taschenherstellern unbenommen bleibt, für die Angabe der betrieblichen Herkunft ihrer Waren Aufdrucke oder Etiketten an den Taschen anzubringen. Somit sind die Hersteller nicht daran gehindert, ihre Waren statt durch Formmarken durch andere Markenarten zu kennzeichnen. Zum anderen hat das Bedürfnis, den Hersteller einer Tragetasche anhand der Taschenform zu erkennen, keinen Niederschlag in der Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise gefunden.

60      Schließlich kann auch dem Vorbringen, dass für die Mitbewerber kein Bedürfnis bestehe, über die Möglichkeit zur Benutzung der angemeldeten Taschenform zu verfügen, nicht gefolgt werden. Da festgestellt wurde, dass die betreffende Form nicht von der Norm und der Branchenüblichkeit abweicht, kommt es auf die Frage des Freihaltebedürfnisses nicht an.

61      Die Klage ist daher in vollem Umfang abzuweisen.

 Kosten

62      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

63      Zwar ist die Klägerin unterlegen, doch das EUIPO hat nur für den Fall der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt, sie zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, ist zu entscheiden, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Spielmann

Gâlea

Tóth

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. November 2023.

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.