Language of document : ECLI:EU:C:2023:268

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 30. März 2023(1)

Rechtssache C134/22

MO

gegen

SM als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Massenentlassungen – Richtlinie 98/59/EG – Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter – Rolle der zuständigen Behörde – Pflicht des Arbeitgebers, dieser Behörde eine Abschrift von Bestandteilen der schriftlichen Mitteilung an die Arbeitnehmervertreter zu übermitteln – Zweck dieser Pflicht – Folgen der Missachtung dieser Pflicht“






I.      Einleitung

1.        In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) um Vorabentscheidung über die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG(2) ersucht. Die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage gibt dem Gerichtshof insbesondere Gelegenheit, den Umfang der Pflicht des Arbeitgebers, der Massenentlassungen plant, zur Information der zuständigen Behörde im Verfahren der Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter zu präzisieren.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

2.        Für die vorliegende Rechtssache sind die Art. 2 bis 4 und 6 der Richtlinie 98/59 relevant.

B.      Deutsches Recht

3.        § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sieht vor:

„Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“

4.        In § 17 des Kündigungsschutzgesetzes in der zuletzt durch das Gesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl. 2017 I S. 2509) geänderten Fassung (KSchG) heißt es:

„(1)      Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er

2.      in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,

innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden.

(2)      Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach Absatz 1 anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über

1.      die Gründe für die geplanten Entlassungen,

2.      die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,

3.      die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,

4.      den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,

5.      die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,

6.      die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

(3)      Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muss zumindest die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Anzeige nach Absatz 1 ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. Die Anzeige muss Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. In der Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten. Der Betriebsrat kann gegenüber der Agentur für Arbeit weitere Stellungnahmen abgeben. Er hat dem Arbeitgeber eine Abschrift der Stellungnahme zuzuleiten.

…“

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

5.        MO war seit 1981 bei der G GmbH beschäftigt. Mit Beschluss vom 1. Oktober 2019 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen dieser Gesellschaft. SM wurde zum Insolvenzverwalter bestellt und übte als solcher die Funktion des Arbeitgebers aus.

6.        Am 17. Januar 2020 wurde die Einstellung der Geschäftstätigkeit von G bis spätestens 30. April 2020 beschlossen, wobei geplant war, in der Zeit vom 28. bis 31. Januar 2020 mehr als 10 % der 195 dort beschäftigten Arbeitnehmer zu entlassen.

7.        Am 17. Januar 2020 wurde das Verfahren zur Konsultation des Betriebsrats, der die Arbeitnehmer vertrat, eingeleitet. In diesem Rahmen wurden dem Betriebsrat schriftlich die in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 98/59, deren Bestimmungen durch § 17 Abs. 2 KSchG umgesetzt wurden, genannten Informationen mitgeteilt.

8.        Entgegen der in § 17 Abs. 3 KSchG statuierten, aus der Umsetzung von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie resultierenden Pflicht wurde der zuständigen Behörde (Agentur für Arbeit Osnabrück, Deutschland) jedoch keine Abschrift der schriftlichen Mitteilung an den Betriebsrat zugeleitet.

9.        Mit Stellungnahme vom 22. Januar 2020 erklärte der Betriebsrat, dass er keine Möglichkeit sehe, die geplanten Entlassungen zu vermeiden.

10.      Am 23. Januar 2020 wurde der Entwurf der Massenentlassung der Agentur für Arbeit Osnabrück übersandt. Mit Schreiben vom 28. Januar 2020 wurde der Arbeitsvertrag von MO zum 30. April 2020 gekündigt.

11.      MO erhob beim Arbeitsgericht Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden sei. Er machte u. a. geltend, die Übermittlung der dem Betriebsrat schriftlich mitgeteilten Informationen an die Agentur für Arbeit stelle eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung dar.

12.      Die Klage blieb sowohl im ersten als auch im zweiten Rechtszug erfolglos; daraufhin legte MO beim Bundesarbeitsgericht Revision ein.

13.      Unter diesen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht am 27. Januar 2022 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Welchem Zweck dient Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59, wonach der Arbeitgeber der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in Unterabs. 1 Buchst. b Ziff. i bis v genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung an die Arbeitnehmervertretung zu übermitteln hat?

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof

14.      Schriftliche Erklärungen wurden von den Parteien des Ausgangsverfahrens und der Europäischen Kommission eingereicht.

V.      Rechtliche Würdigung

A.      Vorbemerkungen

15.      Mit seiner einzigen Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, welchem Zweck Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 dient, der den Arbeitgeber verpflichtet, der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b Ziff. i bis v genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung an die Arbeitnehmervertreter zu übermitteln(3).

16.      Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, mangels einer in der Richtlinie 98/59 enthaltenen besonderen Regelung für den Fall eines Verstoßes gegen ihre Vorschriften obliege den Mitgliedstaaten die Wahl der einschlägigen Sanktion. Das vorlegende Gericht könne jedoch nicht selbst feststellen, ob nach deutschem Recht der Pflichtverstoß zur Nichtigkeit der Kündigung führe. Eine solche Nichtigkeit läge vor, wenn die Bestimmungen in § 17 Abs. 3 KSchG, mit dem Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 in nationales Recht umgesetzt werde, als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB zu betrachten wären.

17.      Um zu prüfen, ob eine solche Einstufung vorgenommen werden könne, sei zu ermitteln, welcher Zweck mit § 17 Abs. 3 KSchG und folglich mit Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 verfolgt werde. Fraglich sei insbesondere, ob der letztgenannte Artikel den von Massenentlassungen betroffenen Arbeitnehmern in Anbetracht seines Zwecks Individualschutz gewähren könne.

18.      Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht anhand der Bestimmung des Zwecks dieses Artikels klären möchte, welche Rechtsfolgen das nationale Recht an die Missachtung der durch ihn auferlegten Pflicht knüpfen muss.

19.      Angesichts dieser Fragestellung halte ich es, um dem vorlegenden Gericht eine Entscheidung in voller Kenntnis aller Umstände zu ermöglichen, für erforderlich, nicht nur den Zweck von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 zu analysieren, sondern auch den unionsrechtlichen Rahmen für die Gewährleistung der Einhaltung der in diesem Artikel vorgesehenen Pflicht und damit das Ermessen, über das die nationalen Behörden bei der Festlegung der im Fall eines Verstoßes gegen diese Pflicht einschlägigen Sanktion verfügen, zu präzisieren.

B.      Zum Zweck von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59

20.      Zunächst ist festzustellen, dass die bloße Analyse des Wortlauts von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59, der lediglich vorsieht, dass der Behörde bestimmte Bestandteile der an die Arbeitnehmervertreter gerichteten schriftlichen Mitteilung übermittelt werden müssen, es für sich genommen nicht erlaubt, Gegenstand und Zweck der Bestimmung zu erfassen. Angesichts dessen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Bestimmung des Sinnes und der Tragweite einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen ist, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(4).

21.      Im Einklang mit dieser Auslegungsmethode halte ich es daher für notwendig, die mit der Richtlinie 98/59 im Wesentlichen verfolgten Ziele zu beschreiben und die dem Arbeitgeber zu ihrer Erreichung auferlegten Pflichten, darunter die in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 vorgesehene Pflicht, zu analysieren.

1.      Zu den mit der Richtlinie 98/59 verfolgten Zielen

22.      Hierzu geht aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 98/59 hervor, dass sie darauf abzielt, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken(5). Im Einzelnen müssen nach den Erwägungsgründen 3 und 7 der Richtlinie insbesondere die weiterhin bestehenden Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen hinsichtlich der Maßnahmen, die die Folgen von Massenentlassungen mildern könnten, Gegenstand einer Angleichung der Rechtsvorschriften sein(6).

23.      Überdies heißt es im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie, dass sich die Unterschiede zwischen den Schutzniveaus, die die nationalen Rechtsvorschriften im Bereich der Massenentlassung bieten, unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken können. Somit haben die in der Richtlinie 98/59 festgelegten Schutzvorschriften auch das Ziel, die für die Unternehmen in der Union mit ihnen verbundenen Belastungen anzugleichen(7). In diesem Sinne trägt die Richtlinie zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs bei, indem sie die Gefahr verringert, dass ein Arbeitgeber es ausnutzt, dass die Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten Arbeitsplätze in geringerem Maß schützen.

24.      Hervorzuheben ist allerdings, dass die Richtlinie 98/59 nur zu einer teilweisen Harmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen führt und nur das dabei anzuwendende Verfahren betrifft. Daraus folgt insbesondere, dass mit ihr kein allgemeiner finanzieller Ausgleichsmechanismus für den Fall des Verlusts von Arbeitsplätzen geschaffen werden soll(8). Infolgedessen gibt ihr Art. 5 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern(9).

25.      Das Hauptziel der Richtlinie 98/59 besteht genauer gesagt darin, dass vor Massenentlassungen die Arbeitnehmervertreter konsultiert werden müssen und die zuständige Behörde zu unterrichten ist(10). Sie sieht somit zwei einander ergänzende Gruppen von Verfahrenspflichten für den Arbeitgeber vor. Zum einen ist er nach Art. 2 der Richtlinie verpflichtet, die Arbeitnehmervertreter zu informieren und zu konsultieren. Zum anderen muss er nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzeigen und ihr die in diesen Bestimmungen genannten Angaben und Auskünfte übermitteln.

2.      Zur Pflicht, die Arbeitnehmervertreter zu informieren und zu konsultieren

26.      Hinsichtlich dieser ersten Pflicht ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 98/59, dass sich die Konsultation in erster Linie darauf erstreckt, Massenentlassungen zu vermeiden oder, falls dies nicht möglich ist, zahlenmäßig zu beschränken(11). Nur wenn Entlassungen unvermeidlich sind, sollten sich die Konsultationen auf soziale Begleitmaßnahmen erstrecken, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben.

27.      In diesem Rahmen besteht nach Art. 2 der Richtlinie 98/59 eine Pflicht zu Verhandlungen(12). Wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, müssen die Konsultationen durchgeführt werden, um zu einer Einigung zu gelangen, wobei die Arbeitnehmervertreter in die Lage versetzt werden müssen, auf der Grundlage der ihnen vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellenden Informationen konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Zu diesem Zweck wird in der Richtlinie sowohl festgelegt, wann die Arbeitnehmervertreter konsultiert werden müssen, als auch, welchen Inhalt die ihnen übermittelten Informationen haben müssen.

28.      Erstens muss das Konsultationsverfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie eingeleitet werden, sobald der Arbeitgeber beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs entsteht die Pflicht zur Konsultation der Arbeitnehmervertreter somit vor der Entscheidung, die Arbeitsverträge zu kündigen(13), wobei ihre Entstehung an die Absicht des Arbeitgebers anknüpft, Massenentlassungen vorzunehmen(14). Der Arbeitgeber darf die Verträge erst kündigen, nachdem dieses Verfahren abgeschlossen ist, d. h., nachdem er die in Art. 2 der Richtlinie genannten Pflichten erfüllt hat(15).

29.      Zweitens muss der Arbeitgeber gemäß Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 98/59 den Arbeitnehmervertretern rechtzeitig alle zweckdienlichen Auskünfte erteilen und ihnen in jedem Fall schriftlich die Gründe der geplanten Entlassung, die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Kategorien der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer mitteilen.

30.      Mit anderen Worten müssen die Lückenlosigkeit dieser Informationen sowie der Zeitpunkt, zu dem sie den Arbeitnehmervertretern zu übermitteln sind, dafür sorgen, dass diese über relevante Daten verfügen, die ihnen hinreichende Aufschlüsse verschaffen, um in sachdienlicher Weise am Dialog mit dem Arbeitgeber teilzunehmen und, wenn möglich, eine Einigung mit ihm zu erzielen.

3.      Zur Pflicht, die zuständige Behörde zu informieren

31.      Zu der nach der Richtlinie 98/59 bestehenden Pflicht, die zuständige Behörde zu informieren, ist festzustellen, dass die Richtlinie nicht nur in ihrem Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 eine Pflicht des Arbeitgebers vorsieht, der zuständigen Behörde bestimmte Bestandteile der schriftlichen Mitteilung an die Arbeitnehmervertreter zu übermitteln. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist der Arbeitgeber zudem verpflichtet, der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen(16) hervorhebt, erstrecken sich diese beiden Pflichten auf zwei Abschnitte des Verfahrens mit unterschiedlichem zeitlichen Rahmen(17). Während die in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 98/59 festgelegte Pflicht erfüllt werden muss, wenn der Arbeitgeber Massenentlassungen lediglich beabsichtigt und die Arbeitnehmervertreter dahin gehend informiert und konsultiert, kommt die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehene Pflicht erst dann zur Anwendung, wenn der Arbeitgeber einen Plan für Massenentlassungen ausgearbeitet hat, und gehört zum eigentlichen Entlassungsverfahren(18).

32.      Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 98/59 muss die Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung alle zweckdienlichen Angaben über sie und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter gemäß Art. 2 dieser Richtlinie enthalten, insbesondere die Gründe der Entlassung, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen.

33.      Der Unionsgesetzgeber wollte die Wirksamkeit dieser Anzeigepflicht sicherstellen, indem er in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 vorsah, dass die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten Massenentlassungen frühestens 30 Tage nach Eingang dieser Anzeige wirksam werden(19). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dürfen die Arbeitsverträge jedenfalls nicht vor der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung bei der Behörde gekündigt werden(20).

34.      Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 98/59 enthält nähere Angaben zur Anzeigepflicht der beabsichtigten Entlassungen; im Wesentlichen muss die Mindestfrist von 30 Tagen von der zuständigen Behörde dazu genutzt werden, nach Lösungen für die durch die Entlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen. Insoweit scheint mir, dass die Art der Recherchen, die diese Behörde durchführen muss, in Bezug auf den von der Richtlinie abgedeckten Bereich definiert werden kann, der nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die sozioökonomischen Auswirkungen betrifft, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einem bestimmten sozialen Umfeld hervorrufen können(21). Daraus folgt, dass die Pflicht, die beabsichtigte Massenentlassung der Behörde anzuzeigen, es dieser ermöglichen soll, auf der Grundlage aller ihr vom Arbeitgeber übermittelten Informationen zu eruieren, welche Möglichkeiten es gibt, durch Maßnahmen, die an die Gegebenheiten des Arbeitsmarkts und der Wirtschaftstätigkeit, in die sich die Massenentlassungen einfügen, angepasst sind, die negativen Folgen dieser Entlassungen zu begrenzen.

35.      Meines Erachtens erhellen die vorstehenden Ausführungen den Zweck der Bestimmungen in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59.

36.      Ich bin nämlich der Ansicht, dass mit der in diesem Artikel vorgesehenen Pflicht zur Weitergabe bestimmter Bestandteile der den Arbeitnehmervertretern gemachten Mitteilung an die zuständige Behörde ein ähnliches Ziel verfolgt wird wie mit der in Art. 3 der Richtlinie aufgestellten Pflicht zur Anzeige der beabsichtigten Entlassungen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die vom Arbeitgeber mitgeteilten Informationen im Wesentlichen auf die Gründe für die geplanten Entlassungen, ihren Umfang und den Zeitraum, in dem sie stattfinden sollen, beziehen. Meines Erachtens können solche Informationen über die Merkmale der Massenentlassungen es der Behörde ermöglichen, die Folgen dieser Entlassungen zu bewerten und geeignete Maßnahmen auszuarbeiten. Es ist zwar richtig, dass diese Bestandteile der Behörde zu einem Zeitpunkt mitgeteilt werden, zu dem Massenentlassungen nur geplant sind und der Arbeitgeber Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern aufnimmt. Gleichwohl können in dieser Phase Entlassungen bereits sehr wahrscheinlich oder sogar unausweichlich sein; dann versetzt die frühzeitige Information der Behörde diese in die Lage, ihr Eingreifen vor der Anzeige der geplanten Entlassungen vorzubereiten.

37.      Wie die Kommission hervorhebt, wird eine solche Auslegung zudem durch die Analyse der Vorarbeiten zur Richtlinie 75/129/EWG(22) bestätigt, deren Art. 2 Abs. 3 im Wesentlichen eine ähnliche Pflicht zur Übermittlung der an die Arbeitnehmervertreter gerichteten schriftlichen Mitteilung an die zuständige Behörde vorsah. Diese Pflicht war auf Vorschlag des Königreichs der Niederlande mit der Begründung eingeführt worden, dass sie es den zuständigen Behörden ermögliche, unverzüglich Kenntnis von einer Situation zu erlangen, die möglicherweise entscheidende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt habe, und sich gegebenenfalls auf die erforderlichen Maßnahmen vorzubereiten(23).

38.      Mir scheint allerdings, dass der Zweck von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 unter einem ergänzenden Aspekt der in diesem Artikel vorgesehenen Pflicht erörtert werden muss. Zwar sieht die Richtlinie für Arbeitgeber gesonderte Pflichten gegenüber den Arbeitnehmervertretern und der zuständigen Behörde vor. Diese Pflichten, die beide zum Schutz der Arbeitnehmer im Fall von Massenentlassungen beitragen, sind jedoch nicht strikt voneinander getrennt. Vielmehr bestehen Verbindungen zwischen ihnen(24), aus denen sich ergibt, dass die Rolle der zuständigen Behörde vom Verlauf und vom Ergebnis des Verfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter abhängt.

39.      Diese Verbindung wird insbesondere durch die Analyse der Bestimmungen der Richtlinie hergestellt, die in Art. 3 Abs. 1 vorsieht, dass die Mitteilung an die zuständige Behörde alle zweckdienlichen Angaben über die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter enthalten muss, und in Art. 3 Abs. 2, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmervertretern eine Abschrift der Anzeige über die beabsichtigten Entlassungen zu übermitteln hat und dass diese etwaige Bemerkungen an die zuständige Behörde richten können.

40.      Aus diesen Bestimmungen ergibt sich somit, dass das Tätigwerden der Behörde insbesondere auf dem Inhalt und dem Ergebnis des Verfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter und auf etwaigen Bemerkungen der Arbeitnehmervertreter am Ende der Verhandlungen mit dem Arbeitgeber beruht.

41.      Im Übrigen ist aus der Prüfung der Bestimmungen in Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 98/59 abzuleiten, dass dieser Zusammenhang auch im Vorfeld der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung, während des Verfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter, besteht. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Pflicht, der zuständigen Behörde bestimmte Bestandteile der an die Arbeitnehmervertreter gerichteten schriftlichen Mitteilung zu übermitteln, Teil des Verfahrens zu deren Information und Konsultation ist. Wie bereits dargelegt, impliziert dieses Verfahren, dass die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig über alle relevanten Daten verfügen, die es ihnen ermöglichen, in effektiver Weise am Dialog mit dem Arbeitgeber teilzunehmen.

42.      Aus diesem Blickwinkel beschränkt sich die Erfüllung der Pflicht des Arbeitgebers zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter nicht auf die Einleitung des Verfahrens, sondern ist zeitlich gestaffelt. Insoweit hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Entstehung der Pflicht des Arbeitgebers zur Aufnahme von Konsultationen über beabsichtigte Massenentlassungen nicht davon ab, ob er den Arbeitnehmervertretern bereits alle nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 98/59 erforderlichen Auskünfte zu erteilen, so dass diese Auskünfte während der Konsultationen und nicht unbedingt zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zu erteilen sind. Der Grundgedanke von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie besteht nämlich darin, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmervertretern während der gesamten Konsultationen die relevanten Informationen liefert. Da die Informationen zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Konsultationsprozesses verfügbar werden können, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit und die Pflicht, sie im Laufe dieses Prozesses zu vervollständigen, wobei alle einschlägigen Informationen bis zum Abschluss der Konsultationen erteilt werden müssen(25).

43.      Da der zuständigen Behörde die Bestandteile der schriftlichen Mitteilung an die Arbeitnehmervertreter zu übermitteln sind, wird sie während des Zeitraums der Information und Konsultation über den Inhalt und die Qualität der Informationen unterrichtet, auf deren Grundlage die Vertreter der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber verhandeln. Daraus folgt, dass die Behörde auf diesem Weg Kenntnis vom Verlauf und von der Entwicklung des Verfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter erlangt.

44.      Der reibungslose Verlauf der Verhandlungen ist ein entscheidender Faktor für eine mögliche Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern und hat daher entscheidenden Einfluss auf das Schicksal der beabsichtigten Massenentlassungen und damit auf Umfang und Art der Lösungen, mit deren Eruierung die Behörde beginnen muss, um den negativen Folgen der Entlassungen entgegenzuwirken.

45.      Aus all diesen Erwägungen ziehe ich den Schluss, dass Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59, der darauf abzielt, die zuständige Behörde über die Merkmale der vom Arbeitgeber beabsichtigten Massenentlassungen sowie über den Verlauf des Verfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter zu informieren, die Behörde in die Lage versetzen soll, schon vor der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung ihre etwaigen Folgen zu bewerten und sich gegebenenfalls auf die erforderlichen Abhilfemaßnahmen vorzubereiten.

46.      Im Anschluss daran ist die vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage zu klären, welchen Rahmen das Unionsrecht vorgibt, um die Einhaltung der in diesem Artikel vorgesehenen Pflicht und damit das Ermessen zu gewährleisten, über das die nationalen Behörden bei der Festlegung der im Fall eines Verstoßes gegen diese Pflicht einschlägigen Sanktion verfügen.

C.      Zur Festlegung der anwendbaren Maßnahmen

47.      Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 in Anbetracht seines Zwecks den Arbeitnehmern einen Individualschutz verleiht, so dass ein Verstoß gegen diese Bestimmungen nach deutschem Recht zur Nichtigkeit der Kündigung führen würde.

48.      Insoweit steht fest, dass die Mitgliedstaaten, da dem Arbeitgeber durch diesen Artikel eine Pflicht auferlegt wird, nach Art. 6 der Richtlinie dafür sorgen müssen, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung dieser Pflicht zur Verfügung stehen.

49.      Dazu geht aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zunächst hervor, dass Art. 6 der Richtlinie 98/59 den Mitgliedstaaten im Fall eines Verstoßes gegen die in dieser Richtlinie festgelegten Pflichten keine bestimmte Maßnahme vorschreibt, sondern ihnen die Freiheit lässt, unter den verschiedenen zur Verwirklichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels geeigneten Lösungen nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte zu wählen. Diese Maßnahmen müssen jedoch einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung haben(26).

50.      Sodann ist hervorzuheben, dass Art. 6 der Richtlinie 98/59 die Mitgliedstaaten keineswegs dazu verpflichtet, einen Verstoß gegen eine der in dieser Richtlinie vorgesehenen Pflichten mit der Nichtigkeit der Kündigung zu ahnden. Wie nämlich aus den Vorarbeiten zur Richtlinie 92/56 hervorgeht, hatte die Kommission den Mitgliedstaaten vorgeschlagen, ausdrücklich vorzusehen, dass zu den Maßnahmen, mit denen die Einhaltung der den Arbeitgebern auferlegten Pflichten sichergestellt werden soll, u. a. Verfahren zur Nichtigerklärung von Massenentlassungen gehören(27). Dieser Vorschlag wurde aber vom Unionsgesetzgeber abgelehnt, der in Art. 5a der Richtlinie 92/56 mit Art. 6 der Richtlinie 98/59 gleichlautende Bestimmungen aufnahm, die keine Bezugnahme auf die Nichtigerklärung von Massenentlassungen enthalten. Auch wenn der letztgenannte Artikel keine Bezugnahme auf Verfahren zur Nichtigerklärung von Massenentlassungen enthält, haben die Mitgliedstaaten allerdings gemäß Art. 5 der Richtlinie 98/59 gleichwohl die Möglichkeit, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften vorzusehen.

51.      Zur Art des den Arbeitnehmern durch Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 verliehenen Schutzes ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass die in diesem Artikel vorgesehene Pflicht es der Verwaltungsbehörde ermöglichen soll, schon vor der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung ihre etwaigen Folgen zu bewerten und sich gegebenenfalls auf die erforderlichen Abhilfemaßnahmen vorzubereiten. In einem Stadium, in dem Entlassungen vom Arbeitgeber nur beabsichtigt sind, soll sich die zuständige Behörde nicht mit der individuellen Situation jedes einzelnen Arbeitnehmers befassen, sondern die Massenentlassungen allgemein betrachten und die Mittel zur Beseitigung ihrer negativen Folgen bewerten. Daraus folgt meines Erachtens, dass der genannte Artikel den Arbeitnehmern einen kollektiven und keinen individuellen Schutz verschafft.

52.      Überdies ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Recht auf Information und Konsultation, das zugunsten der Arbeitnehmer als Gemeinschaft ausgestaltet und daher kollektiver Natur ist, über die Arbeitnehmervertreter ausgeübt wird(28). Da die Pflicht, bestimmte Bestandteile der an die Arbeitnehmervertreter gerichteten schriftlichen Mitteilung an die Behörde weiterzuleiten, Teil des Verfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter ist, erscheint es logisch, dass diese Pflicht ein Recht mit ähnlichen Merkmalen schafft.

53.      Daher dürfte der kollektive Charakter des durch Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 gewährten Schutzes implizieren, dass die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht vorrangig vorsehen, dass die Arbeitnehmervertreter die Möglichkeit haben, Maßnahmen zu ergreifen, um überprüfen zu lassen, ob der Arbeitgeber die in diesem Artikel vorgesehene Pflicht einhält. Gleichwohl lässt diese kollektive Natur die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, im Rahmen ihres Ermessens ergänzende Vorschriften zu schaffen und den Arbeitnehmern individuelle Maßnahmen mit gleichem Ziel zu gestatten und/oder sich auf die Folgen des Verstoßes gegen diesen Artikel für die Auflösung des Arbeitsvertrags zu berufen.

54.      Über diese Hinweise hinaus steht es allerdings, wie bereits ausgeführt, den Mitgliedstaaten frei, im Einzelnen festzulegen, welche Maßnahmen geeignet sind, die Einhaltung der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59 vorgesehenen Pflicht zu gewährleisten; dies hängt weitgehend von den Besonderheiten des jeweiligen nationalen Arbeitsrechts ab. Daraus folgt, dass es weder möglich noch meiner Meinung nach wünschenswert ist, die von den Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht aufzunehmenden besonderen Verfahren näher zu beschreiben. Es reicht bereits aus, dass diese Maßnahmen einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung haben.

VI.    Ergebnis

55.      Angesichts der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, die Vorlagefrage des Bundesarbeitsgerichts (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen

ist dahin auszulegen, dass

die Pflicht, der zuständigen Behörde zumindest eine Abschrift der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b Ziff. i bis v dieser Richtlinie genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln, es der Behörde ermöglichen soll, die etwaigen Folgen von Massenentlassungen für die Situation der betroffenen Arbeitnehmer zu bewerten und sich gegebenenfalls auf die erforderlichen Abhilfemaßnahmen vorzubereiten. Die Mitgliedstaaten müssen in ihrem innerstaatlichen Recht Maßnahmen vorsehen, die es den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, die Einhaltung dieser Pflicht überprüfen zu lassen. Diese Maßnahmen müssen einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung haben.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16).


3      Dies sind i) die Gründe der geplanten Entlassung, ii) die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer, iii) die Zahl und die Kategorien der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, iv) der Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, sowie v) die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, soweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken dem Arbeitgeber die Zuständigkeit dafür zuerkennen. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber gemäß Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Ziff. vi verpflichtet, den Arbeitnehmervertretern die vorgesehene Methode für die Berechnung etwaiger Abfindungen mitzuteilen, soweit sie sich nicht aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken ergeben.


4      Urteil vom 22. Dezember 2022, Les Entreprises du Médicament (C‑20/22, EU:C:2022:1028, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).


5      Es bedarf des Hinweises, dass sich der Begriff „Massenentlassungen“ nicht auf die Beendigung des Arbeitsvertrags aus wirtschaftlichen Gründen beschränkt. Gemäß Art. 1 der Richtlinie 98/59 sind „Massenentlassungen“ Entlassungen aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in  der Person der Arbeitnehmer liegen, sofern sie eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern betreffen, die davon abhängt, ob die Mitgliedstaaten einen Bezugszeitraum von 30 oder 90 Tagen wählen.


6      Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis (C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Mai 2015, Lyttle u. a. (C‑182/13, EU:C:2015:317, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis (C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 41).


8      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. März 2021, Consulmarketing (C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).


9      Urteil vom 30. April 2015, USDAW und Wilson (C‑80/14, EU:C:2015:291, Rn. 65). Klarzustellen ist allerdings, dass es den Mitgliedstaaten zwar freisteht, Maßnahmen vorzusehen, die geeignet sind, ein höheres Niveau des Schutzes der Rechte der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu gewährleisten, doch dürfen diese Maßnahmen den Bestimmungen der Richtlinie 98/59 nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Dies wäre der Fall, wenn eine nationale Regelung dem Arbeitgeber jede effektive Möglichkeit nehmen würde, Massenentlassungen vorzunehmen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis (C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 35 bis 38).


10      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. März 2021, Consulmarketing (C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2017, Ciupa u. a. (C‑429/16, EU:C:2017:711, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis (C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 35 bis 40).


13      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2017, Ciupa u. a. (C‑429/16, EU:C:2017:711, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


14      Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a. (C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 39).


15      Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a. (C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16      Rn. 23 der von der Kommission eingereichten schriftlichen Erklärungen.


17      Vgl. hierzu Rodière P., „L’influence du droit communautaire et du droit international“, Droit social, 2008, S. 895.


18      Insoweit ist hervorzuheben, dass sich Art. 3 der Richtlinie 98/59 in ihrem Teil III („Massenentlassungsverfahren“) befindet, während das Verfahren zur Anhörung der Arbeitnehmervertreter zu ihrem Teil II („Information und Konsultation“) gehört.


19      Nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 98/59 können die Mitgliedstaaten der zuständigen Behörde die Möglichkeit einräumen, diese Frist auf 60 Tage, vom Zugang der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung an gerechnet, zu verlängern, wenn, wie es dort heißt, „die Gefahr besteht, dass die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme innerhalb der ursprünglichen Frist nicht gelöst werden können“. Desgleichen haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit, die Frist von 30 Tagen zu verkürzen. In der Richtlinie wird nicht festgelegt, in welchen Fällen eine solche Verkürzung in Betracht kommt, doch scheint mir dies der Fall zu sein, wenn im Rahmen des Informations‑ und Konsultationsverfahrens zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmervertretern eine Einigung erzielt werden konnte.


20      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Januar 2005, Junk (C‑188/03, EU:C:2005:59, Rn. 53).


21      Urteil vom 13. Mai 2015, Lyttle u. a. (C‑182/13, EU:C:2015:317, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


22      Richtlinie des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1975, L 48, S. 29). Sie wurde durch die Richtlinie 92/56/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 (ABl. 1992, L 245, S. 3) geändert und durch die Richtlinie 98/59 neu gefasst.


23      Dazu hat die Kommission das Protokoll einer Ratssitzung vom 22. April 1974 über den „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen“ vorgelegt (Ratsdokument 754/74).


24      Hierzu stelle ich fest, dass die Kommission in ihrem geänderten Vorschlag, der zum Erlass der Richtlinie 75/129 führte, die Auffassung vertrat, „dass eine Gemeinschaftsregelung über Massenentlassungen ihrer doppelten Zweckmäßigkeit – soziale Schutzfunktion und ökonomisches Regulativ – am besten durch ein systematisches Zusammenwirken von Unternehmensleitung, Behörden und Arbeitnehmervertretern gerecht wird“ (KOM[73] 1980 endg.).


25      Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a. (C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 51 bis 53).


26      Urteil vom 17. März 2021, Consulmarketing (C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27      Vgl. dazu den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 75/129/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (KOM[91] 292 endg.) (ABl. 1991, C 310, S. 5).


28      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2009, Mono Car Styling (C‑12/08, EU:C:2009:466, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).