Language of document : ECLI:EU:T:1997:108

URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)

10. Juli 1997(1)

„Wettbewerb — Folgen einer teilweisen Aufhebung einer Entscheidung betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag durch den Gerichtshof — Wirkungen des Urteils für Adressaten der Entscheidung, die diese nicht angefochten haben — Artikel 176 EG-Vertrag — Klage auf teilweise Erstattung gezahlter Geldbußen“

In der Rechtssache T-227/95

AssiDomän Kraft Products AB, Gesellschaft schwedischen Rechts, Stockholm,
AB Iggesunds Bruk, Gesellschaft schwedischen Rechts, Örnsköldsvik (Schweden),
Korsnäs AB, Gesellschaft schwedischen Rechts, Gävle (Schweden),
MoDo Paper AB, Gesellschaft schwedischen Rechts, Örnsköldsvik (Schweden),
Södra Cell AB, Gesellschaft schwedischen Rechts, Växjö (Schweden),
Stora Kopparbergs Bergslags AB, Gesellschaft schwedischen Rechts, Falun (Schweden),
Svenska Cellulosa AB, Gesellschaft schwedischen Rechts, Sundsvall (Schweden),
vertreten durch Solicitor John E. Pheasant, London, und Rechtsanwalt Christophe Raux, Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Loesch & Wolter, 11, rue Goethe, Luxemburg,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Wouter Wils, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 4. Oktober 1995, mit der der Antrag der Klägerinnen abgelehnt wurde, ihnen im Anschluß an das Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307) die Geldbußen zu erstatten, die ihnen mit der Entscheidung 85/202/EWG der Kommission vom 19. Dezember 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/29.725 — Zellstoff) (ABl. 1985, L 85, S. 1) auferlegt worden waren,

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)



unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter C. W. Bellamy und A. Kalogeropoulos,

Kanzler: H. Jung

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 1996,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

  1. Der vorliegenden Rechtssache liegt dieselbe Sach- und Rechtslage wie dem Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307; nachstehend: Urteil vom 31. März 1993) zugrunde, mit dem der Gerichtshof die Entscheidung 85/202/EWG der Kommission vom 19. Dezember 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/29.725 — Zellstoff) (ABl. 1985, L 85, S. 1; nachstehend: Zellstoffentscheidung) teilweise aufgehoben hat. Der Sachverhalt ist in dieser Entscheidung und im Urteil vom 31. März 1993 dargelegt.

  2. Die sieben Klägerinnen sind Unternehmen aus Schweden, deren Wirtschaftstätigkeit mit Zellstoff zu tun hat. Sie sind zehn der elf schwedischen Adressaten (Nrn. 30 bis 39) der Zellstoffentscheidung oder deren Rechtsnachfolger (schwedische Adressaten).

  3. In der Zellstoffentscheidung stellte die Kommission fest, daß ein Teil von deren 43 Adressaten in bestimmten festgestellten Zeiträumen gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag (nunmehr EG-Vertrag) u. a. dadurch verstoßen hat, daß er die Preise für gebleichten Sulfatzellstoff abgestimmt hat.

  4. Artikel 1 der Zellstoffentscheidung führt die Verstöße gegen Artikel 85 auf, die die Kommission festgestellt hatte, weiter die betroffenen Adressaten und die fraglichen Zeiträume. Für die schwedischen Adressaten wurden folgende für das vorliegende Verfahren erheblichen Verstöße festgestellt:

  5. In Artikel 1 Absatz 1 der Zellstoffentscheidung stellte die Kommission fest, daß die schwedischen Adressaten mit Ausnahme von Billerud-Uddeholm und Uddeholm AB sowie finnische, amerikanische, kanadische und norwegische Erzeuger sich über die „für Lieferungen in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft angekündigten Preise für gebleichten Sulfatzellstoff“ während des gesamten Zeitraums von 1975 bis 1981 oder während eines Teils dieses Zeitraums abgestimmt hatten.

  6. Nach Artikel 1 Absatz 2 hatten alle schwedischen Adressaten gegen Artikel 85 EG-Vertrag verstoßen, indem sie sich über die in der Gemeinschaft jedenfalls Abnehmern von gebleichtem Sulfatzellstoff in Belgien, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich in Rechnung gestellten tatsächlichen Verkaufspreise abgestimmt hatten.

  7. In Artikel 3 der Zellstoffentscheidung hat die Kommission Geldbußen von 50 000 bis 500 000 ECU nahezu allen Adressaten der Entscheidung auferlegt. Neun der schwedischen Adressaten wurden Geldbußen auferlegt. Sie klagten nicht gegen diese Entscheidung, sondern entrichteten ihre Geldbußen.

  8. Sechsundzwanzig andere der ursprünglich dreiundvierzig Adressaten der Zellstoffentscheidung oder ihre Rechtsnachfolger erhoben gegen diese Entscheidung nach Artikel 173 EG-Vertrag Anfechtungsklage zum Gerichtshof. Dieser hat mit Urteil vom 31. März 1993 u. a. Artikel 1 Nummern 1 und 2 der Zellstoffentscheidung aufgehoben, mit denen Verstöße gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag festgestellt worden waren. Der Gerichtshof hat weiter die Geldbußen aufgehoben oder herabgesetzt, die den klägerischen Unternehmen auferlegt worden waren.

  9. Der erhebliche Teil des Tenors des Urteils vom 31. März 1993 lautet wie folgt:

    „1) Artikel 1 Nr. 1 der Entscheidung 85/202/EWG der Kommission vom 19. Dezember 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag wird aufgehoben.

    2) Artikel 1 Nr. 2 der genannten Entscheidung wird aufgehoben.

    ...

    7) Die gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbußen mit Ausnahme derjenigen, die die Finncell betrifft, und derjenigen, die gegen Canfor, MacMillan, St Anne und Westar festgesetzt worden sind, werden aufgehoben; letztere werden auf 20 000 ECU herabgesetzt.

    ...“

  10. Im Anschluß an dieses Urteil haben die Klägerinnen mit Schreiben vom 24. November 1993 bei der Kommission beantragt, ihre Rechtslage im Lichte des Urteils zu überprüfen und die gezahlten Geldbußen zu erstatten, soweit sie jeweils über 20 000 ECU hinausgingen; diesen Betrag hatte der Gerichtshof bei bestimmten Klägerinnen für Verstöße aufrechterhalten, deren Feststellung nicht aufgehoben worden war.

  11. Das Schreiben vom 24. November 1993 hat folgenden Wortlaut:

    „... The Swedish respondents contend that the Commission may not retain the fines they paid for infringements of Article 85(1) by concertation on announced and transaction prices once the ECJ has annulled the Commission's relevant finding.

    ...

    The Swedish undertakings who paid fines in respect of infringements of Article 85(1) which have now been annulled by the Court are entitled to recover those fines. It is clear from the caselaw (see, for example, the two Snupat cases — [1959] ECR 127 and [1961] ECR 53) that there is an obligation on the relevant Community institution (in this case, the Commission), to review the position of undertakings in a similar position, where the ECJ makes a ruling which is not addressed to those undertakings.

    In this case, the Swedish respondents are in an identical position to the wood pulp producers who appealed the Commission's decision. The Court has annulled the Commission's findings in relations to concertation on announced and transaction prices. The Commission therefore has a duty to review the position of the Swedish respondents and to return that part of the fines paid by them which relates to the two infringements of Articel 85(1) which have been annulled.“

    [... Die schwedischen Adressaten bringen vor, daß die Kommission die Geldbußen nicht aufrechterhalten kann, die sie für Verstöße gegen Artikel 85 Absatz 1 durch Abstimmung der angekündigten und der tatsächlichen Verkaufspreise entrichtet hatten, nachdem der Gerichtshof die entsprechenden Feststellungen der Kommission aufgehoben hat.

    ...

    Die schwedischen Unternehmen, die Geldbußen für Verstöße gegen Artikel 85 Absatz 1 gezahlt haben, die der Gerichtshof nunmehr aufgehoben hat, haben Anspruch auf Erstattung dieser Geldbußen. Nach der Rechtsprechung (vgl. etwa die beiden Urteile in der Rechtssache Snupat — Slg. 1959, 287, und Slg. 1961, 109) ist die zuständige Gemeinschaftsbehörde (im vorliegenden Fall die Kommission) verpflichtet, die Stellung von Unternehmen in einer solchen Lage zu überprüfen, wenn der Gerichtshof ein Urteil erläßt, das diese Unternehmen nicht betrifft.

    Im vorliegenden Fall befinden sich die schwedischen Adressaten in derselben Position wie die Zellstofferzeuger, die Klage gegen die Entscheidung der Kommission erhoben hatten. Der Gerichtshof hat die Feststellungen der Kommission über die Abstimmung für angekündigte und tatsächliche Verkaufspreise aufgehoben. Die Kommission ist daher verpflichtet, die Lage der schwedischen Adressaten zu überprüfen und den Teil der Geldbußen zu erstatten, der sich auf die beiden aufgehobenen Verstöße gegen Artikel 85 Absatz 1 bezieht.]

  12. Die Kommission hat den Klägerinnen zunächst mit Schreiben vom 6. Dezember 1993 mitgeteilt, ihr Schreiben vom 24. November 1993 sei der Generaldirektion Haushalt (GD XIX) zur Prüfung übermittelt worden.

  13. Später teilte der Generaldirektor für Wettbewerb (GD IV) den Klägerinnen mit Schreiben vom 4. Februar 1994 mit, die Kommission beabsichtigte, ihren Antrag abzulehnen; er räumte ihnen eine Frist zur Stellungnahme ein.

  14. Auf dieses Schreiben haben die Klägerinnen mit Schreiben vom 8. April 1994 verlangt, daß die Kommission eine abschließende Entscheidung über die aus dem Urteil vom 31. März 1993 zu ziehenden Rechtsfolgen erlasse. Dieses Verlangen wurde mit Schreiben vom 24. Oktober 1994 und vom 21. Dezember 1994 wiederholt.

  15. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1995 lehnte es das für Wettbewerbssachen zuständige Mitglied der Kommission ab, dem Antrag der Klägerinnen auf Erstattung nachzukommen. Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut:

    „In your letter of 24 November 1993 you asked the Commission to review the position of your clients (.the Swedish respondents') in light of the Court's judgment of 31 March 1993. More specifically, you requested the Commission to return the fines relating to the infringements found in the parts of its decision which had been annulled by the aforesaid judgment. Having received a preliminary reaction of my services (letter of 4 February 1994 signed by the Director General for Competition), you reiterated your request in your letters of 8 April, 24 October and 21 December 1994.

    I do not see any possibility to accept your request. Article 3 of the decision imposed a fine on each of the producers on an individual basis. Consequently, in point 7 of the operative part of its judgment, the Court annulled or reduced the fines imposed on each of the undertakings who were applicants before it. In the absence of an application of annulment on behalf of your clients, the Court did not and indeed could not annul the parts of Article 3 imposing a fine on them. It follows that the obligation of the Commission to comply with the judgment of the Court has been fulfilled in its entirety by the Commission reimbursing the fines paid by the successful applicants. As the judgment does not affect the decision with regard to your clients, the Commission was neither obliged nor indeed entitled to reimburse the fines paid by your clients.

    As your clients' payment is based on a decision which still stands with regard to them, and which is binding not only on your clients but also on the Commission, your request for reimbursement cannot be granted.“

    [In Ihrem Schreiben vom 24. November 1993 fordern Sie die Kommission auf, die Stellung Ihrer Mandanten (die schwedischen Adressaten) im Lichte des Urteils des Gerichtshofes vom 31. März 1993 zu überprüfen. Insbesondere verlangen Sie, die Kommission solle die Geldbußen erstatten, die sich auf die Verstöße beziehen, die in dem Teil der Entscheidung genannt sind, der durch dieses Urteil aufgehoben wurde. Sie haben auf eine vorläufige Reaktion meiner Dienste hin (Schreiben vom 4. Februar 1994 mit der Unterschrift des Generaldirektors Wettbewerb) Ihr Verlangen mit Schreiben vom 8. April, 24. Oktober und 21. Dezember 1994 wiederholt.

    Ich kann Ihrem Verlangen nicht Folge leisten. Artikel 3 der Entscheidung legte den Erzeugern jeweils für sich eine Geldbuße auf. Demgemäß hat der Gerichtshof in Nummer 7 des Tenors die Geldbußen aufgehoben oder herabgesetzt, die den Unternehmen auferlegt worden waren, die vor ihm Klage erhoben hatten. Da Ihre Mandanten keine Anfechtungsklage erhoben hatten, hob der Gerichtshof die Teile des Artikels 3 nicht auf, die ihnen Geldbußen auferlegt hatten; er konnte dies auch nicht tun. Die Kommission ist ihrer Verpflichtung, dem Urteil des Gerichtshofes nachzukommen, somit in vollem Umfang dadurch gerecht geworden, daß sie die von den erfolgreichen Klägerinnen gezahlten Geldbußen erstattet hat. Da das Urteil die Entscheidung insoweit nicht berührt, als sie Ihre Mandanten betrifft, war die Kommission weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, die von Ihren Mandanten gezahlten Geldbußen zu erstatten.

    Da die Zahlung durch Ihre Mandanten auf einer Entscheidung beruht, die Ihnen gegenüber nach wie vor Bestand hat und nicht nur ihre Mandanten, sondern auch die Kommission bindet, kann Ihrem Erstattungsersuchen nicht stattgegeben werden.]

    Verfahren und Anträge der Parteien

    16.     Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 15. Dezember 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

    17.     Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und die Kommission aufgefordert, sich in der Sitzung zur möglichen Bedeutung des Urteil des Gerichtshofes vom 22. März 1961 in den Rechtssachen 42/59 und 49/59 (Snupat/Hohe Behörde, Slg. 1961, 109) zu äußern.

    18.     In der Sitzung vom 11. September 1996 wurden die Parteien gehört und die Fragen des Gerichts beantwortet, das aus dem Präsidenten H. Kirschner sowie den Richtern B. Vesterdorf, C. W. Bellamy, A. Kalogeropoulos und A. Potockizusammengesetzt war.

    19.     Nach dem Ableben des Richters Kirschner am 6. Februar 1997 wurde das vorliegenden Urteil gemäß Artikel 32 der Verfahrensordnung von den drei unterzeichneten Richtern beraten.

    20.     Die Klägerinnen beantragen,

    —    die Entscheidung vom 4. Oktober 1995 aufzuheben;

    —    der Kommission aufzugeben, alles zur Durchführung des Urteils des Gerichtshofes vom 31. März 1993 Erforderliche zu unternehmen, insbesondere die jeweils von ihnen oder ihren Rechtsvorgängern gezahlten Geldbußen in Höhe der im Anhang 6 zur Klageschrift genannten Beträge zu erstatten;

    —    der Kommission aufzugeben, vom Tage der Zahlung der Geldbußen durch die schwedischen Adressaten bis zur Erstattung der geforderten Beträge durch die Kommission folgende Zinsen in der in Anhang 9 zur Klageschrift angegebenen Höhe aus diesen Beträgen zu zahlen:

        —    den jeweiligen Satz des Europäischen Fonds zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Währungswesens und des Europäischen Währungsinstituts zuzüglich 1,5 % oder

        —    den jeweiligen Grundausleihsatz der Banque Nationale de Belgique zuzüglich 1 %;

    —    der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

    21.     Die Kommission beantragt,

    —    die Klage als unzulässig abzuweisen;

    —    hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

    —    den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

    Der Antrag auf Aufhebung der Entscheidung, die sich im Schreiben vom 4. Oktober 1995 finden soll

    Zulässigkeit

    Parteivorbringen

    22.     Die Kommission hält den Anfechtungsantrag für unzulässig, weil das Schreiben vom 4. Oktober 1995 die Zellstoffentscheidung, soweit diese die Klägerinnen betreffe, nur wiederhole. Das Schreiben sei daher keine anfechtbare Handlung.

    23.     Das Schreiben vom 4. Oktober 1995 enthalte gegenüber der Zellstoffentscheidung keine neuen Gesichtspunkte, die die Rechtslage der Klägerinnen ändern würden. Es bestätige nur, daß die Zellstoffentscheidung bezüglich der Klägerinnen Bestand habe und daher keiner Überprüfung bedürfe.

    24.     Wenn die Klage auch auf Aufhebung einer neuen Entscheidung gerichtet sei, die sich angeblich im Schreiben vom 4. Oktober 1995 finde, so betreffe sie in Wirklichkeit doch die Zellstoffentscheidung. Da die Frist für die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen die Zellstoffentscheidung seit langem abgelaufen sei, sei die vorliegende Klage unzulässig.

    25.     Die Klägerinnen machen geltend, das Schreiben vom 4. Oktober 1995 stelle eine anfechtbare Handlung im Sinne des Artikels 173 EG-Vertrag dar.

    26.     Dieses Schreiben enthalte gegenüber der Zellstoffentscheidung eine neue Entscheidung. Hier werde zum ersten Mal die Auffassung der Kommission zu ihren Verpflichtungen aus dem Urteil vom 31. März 1993 festgelegt; hierauf gestützt enthalte das Schreiben die Entscheidung, die von den Klägerinnen und ihren Rechtsvorgängern gezahlten Geldbußen nicht zu erstatten.

    27.     Es treffe deshalb nicht zu, daß das Schreiben vom 4. Oktober 1995 keine Gesichtspunkte enthalte, die sich nicht bereits in der Zellstoffentscheidung fänden. In dieser Entscheidung habe die Kommission behauptet, daß die Klägerinnen verschiedene Wettbewerbsverstöße begangen hätten, ihnen aufgegeben, diese zu beenden, und ihnen Geldbußen auferlegt. Im Schreiben vom 4. Oktober 1995 habe die Kommission es hingegen zum ersten Mal eindeutig und abschließend abgelehnt, die Geldbußen zu erstatten.

    28.     Dabei handele es sich um eine Handlung, die die Rechtslage der betroffenen Unternehmen unmittelbar irreversibel berühre (Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639; Urteil des Gerichts vom 18. Dezember 1992 in den Rechtssachen T-10/92, T-11/92, T-12/92 und T-15/92, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2667).

    Rechtliche Würdigung

    29.     Nach ständiger Rechtsprechung sind Klagen gegen wiederholende Verfügungen früherer Entscheidungen, die nicht fristgerecht angefochten worden waren, unzulässig (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1988 in den Rechtssachen 166/86 und 220/86, Irish Cement/Kommission, Slg. 1988, 6473, Randnr. 16; Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1995 in der Rechtssache T-275/94, Croupement des cartes bancaires CB/Kommission, Slg. 1995, II-2169, Randnr. 27). Eine Rechtshandlung nämlich, mit der lediglich eine frühere Rechtshandlung bestätigt wird, eröffnet den Beteiligten nicht die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des bestätigten Aktes erneut in Frage zu stellen (Urteil vom 22. März 1961, Snupat/Hohe Behörde, Slg. 1961, 158).

    30.     Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen die Kommission mit Schreiben vom 24. November 1993 aufgefordert, im Lichte der Begründung des Urteils vom 31. März 1993 die Rechtswirkungen der Zellstoffentscheidung ihnen gegenüber zu überprüfen. Insbesondere haben sie die Kommission aufgefordert, ihnen die Geldbußen zu erstatten, die sich auf Verstöße bezogen, die in den Teilen der Zellstoffentscheidung festgestellt worden waren, die mit dem Urteil vom 31. März 1995 aufgehoben wurden.

    31.     Diese Aufforderung zur Überprüfung wurde mit Schreiben vom 4. Oktober 1995 mit der Begründung zurückgewiesen, die Kommission sei ihrer Verpflichtung, dem Urteil vom 31. März 1993 nachzukommen, durch die Erstattung der gezahlten Geldbußen gerecht geworden, die durch das Urteil aufgehoben worden waren.

    32.     Die Frage, ob die Weigerung der Kommission, die Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung zu überprüfen, soweit sie die Klägerinnen betrifft, eine wiederholende Verfügung darstellt, läßt sich nur nach einer Prüfung der Frage beantworten, ob Artikel 176 EG-Vertrag ihr eine solche Überprüfung auferlegte.

    33.     Nur in diesem Falle nämlich könnte das Schreiben der Kommission vom 4. Oktober 1995, mit dem sie sich stillschweigend über die Grenzen der Verpflichtungen äußerte, die ihr Artikel 176 EG-Vertrag infolge des Urteils vom 31. März 1993 auferlegte, eine neue Entscheidung darstellen, die mit einer Anfechtungsklage angefochten werden könnte (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 26. April 1988 in den Rechtssachen 97/86, 193/86, 99/86 und 215/86, Asteris u. a./Kommission, Slg. 1988, 2181, Randnrn. 8, 32 und 33), weil diese letzte Entscheidung dann in einer anderen rechtlichen Zusammensetzung ergangen wäre als die Zellstoffentscheidung.

    34.     Da die Frage, ob das Urteil vom 31. März 1993 eine Verpflichtung zur Folge hatte, die Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung zu überprüfen, soweit sie die Klägerinnen betraf, zur Begründetheit gehört, ist die Frage der Zulässigkeit zusammen mit der Begründetheit zu prüfen.

    Begründetheit

    Parteivorbringen

    35.     Die Klägerinnen bringen einen einzigen Klagegrund vor: Die Kommission habe mit ihrer Weigerung, die Zellstoffentscheidung insoweit, als sie sie betreffe, im Lichte des Urteils vom 31. März 1993 zu überprüfen und die gezahlten Geldbußen zu erstatten, die Rechtsfolgen verkannt, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 ergäben. Dieser Klagegrund hat zwei Teile.

    36.     Zunächst machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe das gemeinschaftsrechtliche Prinzip verkannt, daß ein Aufhebungsurteil die angefochtene Entscheidung, im vorliegenden Fall die Zellstoffentscheidung, erga omnes und ex tunc vernichte.

    37.     Aus Artikel 174 Absatz 1 EG-Vertrag ergebe sich, daß ein Urteil über die Aufhebung einer Entscheidung wie der Zellstoffentscheidung ebenso erga omnes wirke wie ein Urteil über die Nichtigerklärung einer Verordnung, da diese Bestimmung zwischen den Rechtsfolgen der Nichtigkeit nicht nach Maßgabe der Rechtsform der Handlung unterscheide.

    38.     Entgegen dem Vorbringen der Kommission sei die Zellstoffentscheidung nicht als Bündel von Einzelfallentscheidungen zu betrachten, sondern als eine Entscheidung, die an zahlreiche Unternehmen adressiert sei. Das entspreche den Feststellungen des Gerichtshofes im Urteil vom 31. März 1993, die Kommission habe nicht versucht, darzulegen, inwieweit die in Artikel 1 Nummern 1 und 2 des verfügenden Teils der Entscheidung angeführten Verstöße die Adressaten jeweils beträfen, indem sie angegeben hätte, zwischen welchen Adressaten die Abstimmung während welcher Zeiträume stattgefunden habe.

    39.     Daß ein Aufhebungsurteil erga omnes wirke, entspreche im übrigen ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 21. Dezember 1954 in der Rechtssache 2/54, Italien/Hohe Behörde, Slg. 1954/55, 78; vom 11. Februar 1955 in den Rechtssachen 3/54, Assider/Hohe Behörde, Slg. 1954/55, 131, und 4/54, ISA/Hohe Behörde, Slg. 1954/55, 189; vom 28. Juni 1955 in der Rechtssache 5/55, Assider/Hohe Behörde, Slg. 1954/55, 275; vom 22. März 1961, Snupat/Hohe Behörde; die Schlußanträge der Generalanwälte Lagrange in den Rechtssachen 28/62, 29/62 und 30/62, Da Costa en Schaake u. a., Slg. 1963, 85; Gand in der Rechtssache 50/69 R, Deutschland/Kommission, Slg. 1969, 454; Dutheillet de Lamothe in den Rechtssachen 9/71 und 11/71, Compagnie d'approvisionnement et des Grands moulins de Paris/Kommission, Slg. 1972, 411; das Urteil des Gerichtshofes vom 25. November 1976 in der Rechtssache 30/76, Küster/Parlament, Slg. 1976, 1719; sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Reischl in dieser Rechtssache, Slg. 1976, 1730; die Urteile des Gerichtshofes vom 5. März 1980 in der Rechtssache 76/79, Könecke/Kommission, Slg. 1980, 665; vom 13. Mai 1981 in der Rechtssache 66/80, Internationale Chemical Corporation, Slg. 1981, 1191; Asteris u. a./Kommission, a. a. O.; vom 2. März 1989 in der Rechtssache 359/87, Pinna, Slg. 1989, 585; sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Lenz in dieser Rechtssache, Nrn. 13 bis 16 und 29).

    40.     Auch wenn der Gemeinschaftsrichter die Erga-omnes-Wirkungen seiner Urteile begrenzen könne (vgl. beispielsweise Urteile des Gerichts vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-30/91, Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1775, und in der Rechtssache T-36/91, ICI/Kommission, Slg. 1995, II-1847), so habe der Gerichtshof doch von dieser Befugnis im Urteil vom 31. März 1993 keinen Gebrauch gemacht. Anders als Artikel 1 Nummer 4 der Zellstoffentscheidung sei Artikel 1 Nummern 1 und 2 ohne Einschränkung hinsichtlich der Folgen aufgehoben worden, so daß die in diesen Bestimmungen enthaltenen Feststellungen auch hinsichtlich der Klägerinnen aufgehoben worden seien.

    41.     Nummer 7 des Tenors jenes Urteils, wonach „die gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbußen ... aufgehoben [würden]“, ändere daran nichts. Auf die „Klägerinnen“ werde nur Bezug genommen, um die Unternehmen, deren Geldbußen der Gerichtshof insgesamt aufgehoben habe, von denjenigen zu unterscheiden, bei denen er die Geldbußen ganz oder teilweise bestätigt habe.

    42.     Daher verpflichte das Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 die Kommission, die Zellstoffentscheidung zurückzunehmen, soweit sie den schwedischen Adressaten Geldbußen für Verstöße auferlege, die in Artikel 1 Nummern 1 und 2 festgestellt seien, und diese Geldbuße teilweise zuzüglich von Zinsen zu erstatten, deren Satz dem wirtschaftlichen Nutzen der Verfügungsgewalt über diese Beträge entspreche, solle es nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung kommen.

    43.     Zum anderen machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe gegen Artikel 176 EG-Vertrag verstoßen.

    44.     Dieser verpflichte das betroffene Organ, die sich aus dem Aufhebungsurteil ergebenden Maßnahmen nicht nur im Hinblick auf die Prozeßparteien, sondern auch im Hinblick auf andere Parteien zu ergreifen. Die Verpflichtung, dem Urteil nachzukommen, beinhalte insbesondere die Pflicht des beklagten Organs, ähnliche Sachverhalte im Lichte des Urteils zu überprüfen. Im vorliegenden Fall sei die Kommission insbesondere gehalten gewesen, dafür zu sorgen, daß die schwedischen Adressaten, die sich in einer ähnlichen Situation befunden hätten wie die Klägerinnen vor dem Gerichtshof, mit diesen gleichbehandelt würden (Urteil vom 22. März 1961, Snupat/Hohe Behörde; auch Urteile des Gerichtshofes vom 6. März 1979 in der Rechtssache 92/78, Simmenthal/Kommission, Slg. 1979, 777; und vom 5. März 1980 in der Rechtssache 76/79, Könecke/Kommission, a. a. O.).

    45.     Dabei hätte die Kommission nicht nur den Tenor des Urteils, sondern auch dessen Gründe beachten müssen (Urteil Asteris u. a./Kommission). Das Urteil vom 31. März 1993 enthalte allgemeine Erwägungen, die auch für die Feststellungen von Verstößen gälten, die den Klägerinnen zur Last gelegt würden.

    46.     Insbesondere habe der Gerichtshof Artikel 1 Nummer 1 der Zellstoffentscheidung mit der Begründung aufgehoben, die Kommission habe den Beweiswert bestimmter Unterlagen nicht erklärt und nicht nachgewiesen, daß eine Preisabstimmung die einzige einleuchtende Erklärung für das von ihr angeführte Parallelverhalten sei. Entsprechend sei Artikel 1 Nummer 2 mit der Begründung aufgehoben worden, daß der fragliche Verstoß in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht aufgeführt worden sei, was einen Verstoß gegen die Verfahrensrechte und damit einen von der Kommission verursachten Mangel des Verfahrens im Hinblick auf sämtliche Adressaten dieser Mitteilung der Beschwerdepunkte dargestellt habe, denen später vorgeworfen worden sei, an diesem Verstoß teilgenommen zu haben. Daher hätten alle Geldbußen, die wegen dieser Verstöße gezahlt worden seien, erstattet werden müssen.

    47.     Die Kommission führt aus, die entscheidende Frage im vorliegenden Fall sei es, ob ein Unternehmen, dem die Kommission wegen eines Wettbewerbsverstoßes eine Geldbuße auferlegt habe und das diese Geldbuße gezahlt habe, ohne die Entscheidung im Klagewege anzufechten, später die Erstattung der Geldbuße mit der Begründung verlangen könne, der Gemeinschaftsrichter habe Geldbußen aufgehoben, die anderen Unternehmen auferlegt worden seien, die fristgerecht Anfechtungsklage erhoben und mit dieser Klage obsiegt hätten.

    48.     Diese Frage sei zu verneinen, weil Entscheidungen über GeldbußenEinzelfallentscheidungen seien, die an einzelne Adressaten gerichtet seien. Nur der Adressat selbst könne Anfechtungsklage gegen diese Entscheidung erheben. Erhebe ein Adressat nicht fristgerecht Anfechtungsklage, so habe die Entscheidung gemäß Artikel 189 EG-Vertrag ihm gegenüber Bestand und bleibe in all ihren Teilen verbindlich. Es gebe somit keinen Grund, der die Kommission verpflichte — oder es ihr auch nur gestatte —, die fraglichen Geldbußen auch nur teilweise zu erstatten. Dem Verlangen der Klägerinnen stattzugeben, liefe auf eine Umgehung der Klagefristen des Artikels 173 EG-Vertrag hinaus.

    49.     Die Auffassung der Klägerinnen, die Aufhebung des Artikels 1 Nummern 1 und 2 der Zellstoffentscheidung durch den Gerichtshof habe Wirkung erga omnes, so daß die Kommission verpflichtet sei, die wegen der Feststellungen in diesen Nummern gezahlten Geldbußen zu erstatten, treffe nicht zu.

    50.     Die Klägerinnen verwechselten Entscheidungen und Verordnungen. Verordnungen hätten Wirkungen für Personengruppen, die allgemein und abstrakt bestimmt seien. Entscheidungen seien individuelle Verwaltungsakte, die die Rechtslage individueller Adressaten berührten. Der Umstand allein, daß die Entscheidungen, mit denen den Klägerinnen Geldbußen auferlegt worden seien, gleichzeitig mit Entscheidungen erlassen worden seien, die andere Unternehmen beträfen, ändere nichts daran, daß die Entscheidungen Einzelfallentscheidungen seien. Die Nichtigerklärung einer Verordnung könne allgemeine Wirkungen zeitigen. Die Aufhebung einer Entscheidung berühre hingegen nur die Rechtslage des obsiegenden Klägers.

    51.     Die Zellstoffentscheidung stelle in Wirklichkeit ein Bündel von Einzelfallentscheidungen dar, die an eine Mehrzahl von Adressaten gerichtet seien und individuelle Geldbußen auferlegt hätten. Daher habe das Urteil vom 31. März 1993 keine Wirkung erga omnes in dem Sinne, den die Klägerinnen verträten. Dem entspreche der Wortlaut des Tenors des Urteils, mit dem der Gerichtshof „die gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbußen“ aufgehoben oder herabgesetzt habe, also die Geldbußen, die denjenigen Unternehmen auferlegt worden seien, die Klage erhoben hätten. Der Gerichtshof hätte die Geldbußen, die den schwedischen Adressaten auferlegt worden seien, nicht aufheben können.

    52.     Die Behauptung, die Kommission habe Artikel 176 EG-Vertrag verletzt, treffe nicht zu. Sie habe ihrer Verpflichtung, dem Urteil vom 31. März 1993 nachzukommen, vollinhaltlich entsprochen, indem sie die von den Klägerinnen, die vor dem Gerichtshof obsiegt hätten, gezahlten Geldbußen erstattet habe. Den Klägerinnen der vorliegenden Rechtssache, also den schwedischen Adressaten, die Geldbußen zu erstatten, sei sie weder verpflichtet noch auch nur berechtigt.

    53.     Die Behauptungen der Klägerinnen, die Kommission habe dafür zu sorgen, daß die schwedischen Adressaten, die sich in einer ähnlichen Lage wie die Klägerinnen vor dem Gerichtshof befänden, mit diesen gleichbehandelt würden, sei offenkundig irrig. Die schwedischen Adressaten seien nämlich nicht in der gleichen Lage wie die anderen Adressaten der Zellstoffentscheidung, da sie in den Fristen des Artikels 173 EG-Vertrag gerade keine Anfechtungsklage erhoben hätten.

    54.     In der Sitzung hat die Kommission auf eine Frage des Gerichts ausgeführt, die Entscheidung in der Rechtssache Snupat/Hohe Behörde lasse sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Es gebe erhebliche Unterschiede zwischen dem Kontext der vorliegenden Rechtssache und demjenigen der Rechtssache Snupat (vgl. neben dem Urteil vom 22. März 1961, Snupat/Hohe Behörde, die Urteile des Gerichtshofes vom 17. Juli 1959 in den Rechtssachen 32/58 und 33/58, Snupat/Hohe Behörde, Slg. 1959, 287, und vom 12. Juli 1962 in der Rechtssache 14/61, Hoogovens/Hohe Behörde, Slg. 1962, 511). Zunächst habe Snupat anders als die schwedischen Adressaten rechtzeitig alle Klagewege bestritten, um die beschwerenden Entscheidungen der Hohen Behörde anzufechten. Dann habe die Rechtssache Snupat eine Ausgleichsregelung betroffen, die ihrer Natur nach eine Verbindung zwischen den Behandlungen schaffe, die die Hohe Behörde mehreren Unternehmen zuteil werden lasse. Die bestimmten Unternehmen gewährten Entlastungen hätten nämlich automatisch höhere Abgaben für andere Unternehmen, darunter die Klägerin Snupat, zur Folge gehabt. Ein solcher Zusammenhang zwischen den Adressaten bestehe im vorliegenden Fall nicht.

    Rechtliche Würdigung

    55.     Nach Auffassung der Klägerinnen hatte das Urteil vom 31. März 1993 Wirkungen erga omnes. Mit dem Urteil sei Artikel 1 Nummern 1 und 2 der Zellstoffentscheidung uneingeschränkt aufgehoben worden, so daß die Feststellungen der Kommission bezüglich der in diesen Bestimmungen festgestellten Verstöße auch mit Wirkung gegen die Klägerinnen aufgehoben worden seien.

    56.     Dem ist nicht zu folgen. Zwar steht es der Kommission frei, über mehrere Verstöße in einer einzigen Entscheidung zu entscheiden, selbst wenn nicht allen Adressaten alle Verstöße vorgeworfen werden, sofern die Entscheidung es jedem Adressaten erlaubt, festzustellen, welche Vorwürfe ihm gemacht werden (Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 111). Die Zellstoffentscheidung ist zwar in Form nur einer Entscheidung abgefaßt und veröffentlicht, stellt aber ein Bündel von Einzelfallentscheidungen dar, mit denen festgestellt wird, welcher Verstoß oder welche Verstöße den jeweiligen Adressaten zur Last gelegt werden, und mit denen diesen gegebenenfalls eine Geldbuße auferlegt wird. Somit hätte die Kommission, wenn sie es gewollt hätte, auch formell mehrere getrennte Einzelfallentscheidungen erlassen können, mit denen sie Verstöße gegen Artikel 85 EG-Vertrag festgestellt hätte.

    57.     Diese Einschätzung entspricht auch dem Wortlaut des verfügenden Teils der Zellstoffentscheidung, welche für jedes Unternehmen gesondert feststellt, welche Verstöße ihm vorgeworfen werden, und folglich den Adressaten der Entscheidung jeweils für sich Geldbußen auferlegt (siehe namentlich die Artikel 1 und 3 der Zellstoffentscheidung).

    58.     Nach Artikel 189 EG-Vertrag ist jede dieser Einzelentscheidungen, die Teil der Zellstoffentscheidung sind, in allen Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet. Soweit ein Adressat gegen die Zellstoffentscheidung für sich keine Anfechtungsklage nach Artikel 173 eingereicht hat, hat diese Entscheidung somit Bestand und bleibt bindend (ebenso Urteil des Gerichtshofes vom 9. März 1994 in der Rechtssache C-188/92, TWD Textilwerke Deggendorf, Slg. 1994, I-833, Randnr. 13).

    59.     Soweit also ein Adressat Anfechtungsklage erhebt, ist der Gemeinschaftsrichter nur mit den Teilen der Entscheidung befaßt, die diesen Adressaten betreffen. Die übrigen, nicht angefochtenen Teile der Entscheidung werden hingegen nicht Streitgegenstand.

    60.     Der Gemeinschaftsrichter kann im Rahmen einer Anfechtungsklage nur über den Streitgegenstand entscheiden, der ihm von den Parteien vorgelegt wird. Eine Entscheidung wie die Zellstoffentscheidung kann daher nur insoweit aufgehoben werden, als ihre Adressaten mit ihrer Klage vor dem Gemeinschaftsrichter obsiegt haben.

    61.     Daher sind die Punkte 1 und 2 des Tenors des Urteils des Gerichtshofes dahin zu verstehen, daß Artikel 1 Nummern 1 und 2 der Zellstoffentscheidung nur insoweit aufgehoben wurde, als er die vor dem Gerichtshof obsiegenden Parteien betrifft. Das wird durch Nummer 7 des Tenors des Urteils bestätigt, der „die gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbußen“ aufhebt oder herabsetzt.

    62.     Die Rechtsprechung, auf die sich die Klägerinnen zur Stützung ihrer These einer Wirkung erga omnes berufen, ist im vorliegenden Fall, wie die Kommission zu Recht geltend macht, nicht einschlägig, da sämtliche angeführten Urteile andere Rechtsfragen betreffen, die sich auf besonders gelagerte Sachverhalte beziehen.

    63.     Nach alledem ist der erste Teil des Klagegrundes unbegründet.

    64.     Somit ist der zweite Teil des Klagegrundes zu untersuchen. Danach stellt es einen Verstoß gegen Artikel 176 EG-Vertrag dar, daß die Kommission ihre Verpflichtung, die Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung insoweit zu überprüfen, als sie die schwedischen Adressaten betrifft, mißachtet hat.

    65.     Artikel 176 Absatz 1 EG-Vertrag lautet: „Das oder die Organe, denen das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt ..., haben die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.“

  16. In ihrem Schreiben vom 4. Oktober 1995 hat die Kommission es abgelehnt, im Lichte des Urteils vom 31. März 1993 die Rechtslage der schwedischen Adressaten im Hinblick auf die Zellstoffentscheidung zu überprüfen, insbesondere zu prüfen, ob sich aus dem Urteil des Gerichtshofes die völlige oder teilweise Erstattung der den Adressaten, die keine Anfechtungsklage erhoben hatten, in der Zellstoffentscheidung auferlegten Geldbußen ergebe. Zur Begründung ihrer Weigerung hat die Kommission ausgeführt, sie sei in keinem Falle verpflichtet oder auch nur berechtigt, die von den schwedischen Adressaten gezahlten Geldbußen zu erstatten.

  17. Zu prüfen ist zunächst, ob die Kommission nach Artikel 176 EG-Vertrag verpflichtet war, die Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung im Lichte des Urteils vom 31. März 1993 insoweit zu überprüfen, als sie Adressaten betrifft, die nicht fristgerecht Anfechtungsklage erhoben haben. Bejahendenfalls ist zu prüfen, ob die Kommission im vorliegenden Fall berechtigt war, eine Überprüfung mit der Begründung zu verweigern, sie sei weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, die gezahlten Geldbußen zu erstatten.

  18. Um die Grenzen der Verpflichtungen zu ermitteln, die Artikel 176 EG-Vertrag im vorliegenden Fall der Kommission auferlegt, ist der Inhalt der Verpflichtung zu untersuchen, „die sich aus dem Urteil ... ergebenden Maßnahmen zu ergreifen“. Zu untersuchen ist namentlich, ob diese Verpflichtung auch Maßnahmen umfaßt, die die Adressaten der Zellstoffentscheidung betreffen, die in der Frist des Artikels 173 EG-Vertrag keine Anfechtungsklage erhoben haben.

  19. Der Wortlaut des Artikels 176 EG-Vertrag erlaubt nicht den Schluß, die dort statuierte Verpflichtung beschränke sich ausschließlich auf die rechtliche Lage der Parteien des durch das Urteil entschiedenen Rechtsstreits. Es läßt sich somit nicht von vornherein ausschließen, daß die von dem Organ zu ergreifenden Maßnahmen ausnahmsweise auch über den Rahmen des Rechtsstreits hinausgehen können, der zu dem Aufhebungsurteil führte, um die Wirkungen der in dem Urteil festgestellten Rechtsverstöße zu beseitigen (so Urteil Asteris u. a./Kommission, Randnrn. 28 bis 31).

  20. So ist der Gerichtshof im Rahmen des Artikels 34 EGKS-Vertrag vorgegangen, der dem Organ ähnliche Verpflichtungen auferlegt wie Artikel 176 EG-Vertrag (Urteil vom 22. März 1961, Snupat/Hohe Behörde). In diesem Urteil hat der Gerichtshof angeführt, die Hohe Behörde sei auf ein Urteil hin, mit dem die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt worden sei, der dem Kläger Vorteile in Form von Befreiungen gewährt habe, gehalten, ihre frühere Auffassung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Befreiungen zu überprüfen und zu untersuchen, ob ähnliche Entscheidung, die früher zugunsten anderer Unternehmen getroffen worden seien, angesichts der in diesem Urteil aufgestellten Grundsätze aufrechterhalten werden könnten. Sie könnte nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch verpflichtet sein, diese früheren Entscheidungen aufzuheben (Slg. 1961, 160 und 172 ff.).

  21. Für die Frage, ob dieses Urteil auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann, sind drei Feststellungen von Bedeutung. Zum einen hebt das Urteil vom 31. März 1993 einen Teil einer Handlung auf, die aus mehreren Einzelfallentscheidungen besteht, die am Ende desselben Verwaltungsverfahrens getroffen wurden. Zum anderen waren die Klägerinnen in der vorliegenden Rechtssache nicht nur Adressaten dieser Handlung, sondern ihnen wurden auch Geldbußen wegen Verstößen gegen Artikel 85 EG-Vertrag auferlegt, deren Feststellung im Hinblick auf die Adressaten der Handlung, die Klage gemäß Artikel 173 EG-Vertrag erhoben hatten, mit dem Urteil vom 31. März 1993 aufgehoben wurde. Zum dritten stützen sich die Einzelfallentscheidungen gegen die Klägerinnen in der vorliegenden Rechtssache nach deren Ausführungen auf eben die Sachverhaltsfeststellungen und wirtschaftlichen und rechtlichen Erörterungen, die mit dem Urteil aufgehoben wurden.

  22. Damit kann das betroffene Organ gemäß Artikel 176 EG-Vertrag gehalten sein, auf einen Antrag hin, der binnen vernünftiger Frist gestellt wurde, zu prüfen, ob es Maßnahmen nicht nur im Hinblick auf die obsiegenden Parteien, sondern auch im Hinblick auf die Adressaten der Handlung treffen müsse, die keine Anfechtungsklage erhoben haben. Bewirkt ein Urteil des Gerichtshofes nämlich, daß die Feststellung eines Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag hinfällig wird, weil die vorgeworfene abgestimmte Verhaltensweise nicht nachgewiesen sei, so wäre es mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vereinbar, wenn die Kommission nicht verpflichtet wäre, ihre ursprüngliche Entscheidung im Hinblick auf eine andere Partei derselben abgestimmten Verhaltensweise zu überprüfen, die auf denselben Fakten beruhte.

  23. Nunmehr sind die Verpflichtungen zu erörtern, die sich aus dem Urteil vom 31. März 1993 ergeben. Insbesondere ist im Lichte der genannten Grundsätze zu ermitteln, inwieweit dieses Urteil die Kommission verpflichtet, die Rechtslage der schwedischen Adressaten im Hinblick auf die Zellstoffentscheidung zu überprüfen. Dabei sind sowohl der Tenor wie die Begründung zu erörtern.

  24. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, daß das Organ einem solchen Urteil nur dann nachkomme und es nur dann voll durchführe, wenn es nicht nur den Tenor des Urteils beachte, sondern auch die Gründe, die zu diesem geführt hätten, und die ihn in dem Sinne trügen, daß sie zur Bestimmung der genauen Bedeutung des Tenors unerläßlich seien. Diese Gründe benennten zum einen exakt die Bestimmung, die als rechtswidrig angesehen werde, und ließen zum anderen die spezifischen Gründe der im Tenor festgestellten Rechtswidrigkeit erkennen, die das betroffene Organ bei der Ersetzung des für nichtig erklärten Aktes zu beachtenhabe (Urteil Asteris u. a./Kommission, Randnr. 27).

  25. Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß der Gerichtshof Artikel 1 Nummer 1 der Zellstoffentscheidung mit Erwägungen aufgehoben hat, die sich allgemein auf die Untersuchung des Zellstoffmarktes beziehen, die die Kommission durchgeführt hat, nicht aber auf eine Untersuchung des Verhaltens oder der Praktiken stützen, die jeweils die einzelnen Adressaten der Zellstoffentscheidung betrafen.

  26. In Artikel 1 Nummer 1 der Zellstoffentscheidung hatte die Kommission eine Abstimmung unter den Zellstofferzeugern — zu denen sämtliche schwedische Adressaten gehören, die in der vorliegenden Rechtssache klagen — der für Lieferungen in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft angekündigten Preise für gebleichten Sulfatzellstoff während des Zeitraums 1975—1981 oder eines Teils dieses Zeitraums festgestellt.Diese Abstimmung habe sich in einem System der quartalsweisen Preisankündigungen ausgedrückt.

  27. Der Gerichtshof hat jedoch zum einen entschieden, daß das System der vierteljährlichen Preisankündigungen als solches keinen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag darstelle (Randnrn. 64 und 65 des Urteils) und zum andern die Auffassung der Kommission als unbegründet erklärt, das System der Preisankündigungen stelle ein Indiz für eine schon zuvor erfolgte Abstimmung dar (Randnrn. 66 bis 127 des Urteils).

  28. Mit Bezug auf die letztere Auffassung hat der Gerichtshof zunächst die in den Abschnitten 61 ff. der Zellstoffentscheidung angeführten Fernschreiben als Beweismittel für den den Klägerinnen vorgeworfenen Verstoß abgelehnt, da die Kommission deren Beweiswert nicht darzulegen vermocht habe.

  29. Hinsichtlich der anderen von der Kommission angeführten Beweise stellte der Gerichtshof fest, es sei nicht nachgewiesen, daß eine Preisabstimmung die einzige einleuchtende Erklärung für ein Parallelverhalten auf dem Markt darstelle.

  30. Auf der Grundlage von Sachverständigengutachten konnte der Gerichtshof nämlich feststellen, daß das System der Preisankündigungen als eine vernünftige Reaktion darauf angesehen werden könne, daß der Zellstoffmarkt ein langfristiger Markt sei und daß sowohl die Abnehmer als auch die Lieferanten ein Interesse daran hätten, die geschäftlichen Risiken zu verringern. Die Übereinstimmung der Zeitpunkte der Preisankündigungen lasse sich als unmittelbare Folge der ausgeprägten Transparenz des Marktes ansehen, die nicht als eine künstliche qualifiziert werden könne. Schließlich stellten die oligopolitischen Tendenzen des Marktes sowie die besonderen Umstände der einzelnen Zeiträume eine befriedigende Erklärung für die Parallelität und die Entwicklung der Preise dar (Randnr. 126 des Urteils).

  31. Mangels eines Bündels von ernsthaften, genauen und übereinstimmenden Indizien für eine abgestimmte Verhaltensweise entschied der Gerichtshof folglich, daß die Kommission nicht den Nachweis für eine Abstimmung der angekündigten Preise erbracht habe (Randnr. 127 des Urteils).

  32. Diese Erwägungen des Gerichtshofes, die sich allgemein auf die Richtigkeit der wirtschaftlichen und rechtlichen Würdigung des auf dem Markt beobachteten Parallelverhaltens durch die Kommission beziehen, können ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung wecken, soweit in Artikel 1 Nummer 1 festgestellt wird, daß auch die schwedischen Adressaten gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstießen, indem sie sich während der dort genannten Zeiträume über die Preise von Lieferungen gebleichten Sulfatzellstoffs in die Gemeinschaft abgesprochen hätten.

  33. In Abschnitt 82 der Zellstoffentscheidung führt die Kommission nämlich aus, sie habe sich bei der Feststellung der Abstimmung sowohl auf die verschiedenen Formen des unmittelbaren oder mittelbaren Austauschs von Daten als auch auf das festgestellte Parallelverhalten gestützt (vgl. auch Randnr. 66 des Urteils vom 31. März 1993). Aus den Antworten der Kommission auf Fragen des Gerichtshofes geht jedoch hervor, daß der Hauptbeweis für den festgestellten Verstoß in dem auf dem Markt beobachteten Parallelverhalten gesehen wurde. Der Schluß auf eine Abstimmung über die angekündigten oder die tatsächlichen Verkaufspreise wurde nach Ausführungen der Kommission in keinem Fall ausschließlich auf die Fernschreiben oder andere in den Abschnitten 61 bis 70 der Zellstoffentscheidung genannten Papiere gestützt (siehe Punkt VII.F des Sitzungsberichts in der mit Urteil vom 31. März 1993 entschiedenen Rechtssache, Slg. 1993, I-1416).

  34. Selbst wenn also diese Unterlagen es erlaubten, gegenüber bestimmten schwedischen Adressaten die Feststellungen des verfügenden Teils der Zellstoffentscheidung ganz oder teilweise aufrechtzuerhalten (siehe hierzu die Schlußanträge des Generalanwalts Darmon in der mit Urteil vom 31. März 1993 entschiedenen Rechtssache, Nrn. 464 bis 476), so änderte dies doch nichts daran, daß der Gerichtshof den Hauptbeweis nicht anerkannt hat, den die Kommission gegen sämtliche Adressaten der Zellstoffentscheidung herangezogen hatte, um eine Preisabstimmung und damit einen Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag zu belegen. Das Urteil vom 31. März 1993 kann daher insoweit die Feststellungen betreffend die schwedischen Adressaten offenkundig beeinflussen.

  35. Es ist daher nicht mehr erforderlich, zu untersuchen, wie sich die Feststellungen des Gerichtshofes in den Randnummern 40 ff. des Urteils vom 31. März 1993 über die Formfehler bei der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf die Feststellung des den schwedischen Adressaten vorgeworfenen Verstoßes durch Abstimmung über die Verkaufspreise ausgewirkt haben. Vielmehr war die Kommission auf den Antrag der Klägerinnen nach Maßgabe des Artikels 176 EG-Vertrag und des Grundsatzes der ordnungsmäßigen Verwaltung gehalten, im Lichte der Begründung des Urteils vom 31. März 1993 die Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung insoweit zu überprüfen, als diese die schwedischen Adressaten betraf, und auf der Grundlage einer solchen Überprüfung zu entscheiden, ob die gezahlten Geldbußen zu erstatten seien.

  36. Das Schreiben vom 4. Oktober 1995 stellt somit keine schlichte Wiederholung der Würdigung dar, die bei dem Erlaß der Zellstoffentscheidung erfolgte. Es enthält unweigerlich eine Entscheidung der Kommission, die nach Artikel 176 EG-Vertrag getroffen wurde und dahin ging, daß die Begründung des Urteils vom 31. März 1993 sie nicht zu einer Überprüfung ihrer früheren Auffassung verpflichte. Dabei handelte es sich um eine neue Entscheidung, die die Klägerinnen anfechten konnten, was sie mit der vorliegenden Klage fristgerecht getan haben. Die Klage ist daher zulässig.

  37. Dieser Würdigung steht das Urteil TWD Textilwerke Deggendorf nicht entgegen, da sie die Klägerinnen nicht in die Lage versetzt, die Klagefristen und damit die Bestandskraft der Zellstoffentscheidung ihnen gegenüber zu umgehen. In der Rechtssache Textilwerke Deggendorf versuchte das klägerische Unternehmen, im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung geltend zu machen, die es nicht in der Frist des Artikels 173 angefochten hatte. Im vorliegenden Fall betrifft die gerichtliche Kontrolle hingegen nicht die ursprüngliche Entscheidung, also die Zellstoffentscheidung, sondern eine neue, gemäß Artikel 176 EG-Vertrag getroffene Entscheidung.

  38. Für den Fall, daß die Kommission auf der Grundlage einer Überprüfung der Zellstoffentscheidung gemäß Artikel 176 EG-Vertrag zu dem Ergebnis kommen sollte, daß bestimmte Feststellungen von Verstößen der schwedischen Adressaten gegen Artikel 85 EG-Vertrag rechtswidrig waren, ist nunmehr das Vorbringen der Kommission zu erörtern, sie sei weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, die Geldbußen zu erstatten.

  39. Zur Frage, ob die Kommission eine Erstattung vornehmen kann, gibt es keine spezifischen Bestimmungen, die den Widerruf oder die Rücknahme von Entscheidungen beträfen, die die Kommission nach den Artikeln 3 und 15 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 — Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) getroffen und mit denen sie Verstöße gegen diese Artikel festgestellt und deshalb Geldbußen auferlegt hat. Andererseits untersagt diese Verordnung der Kommission auch nicht, eine rechtswidrige Entscheidung zugunsten des Bürgers zu überprüfen.

  40. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung zur Rücknahme von Verwaltungsakten, die dem Adressaten subjektive Rechte oder ähnliche Vorteile gewähren. Der Gerichtshof hat den Gemeinschaftsorganen vorbehaltlich des Vertrauensschutzes und des Grundsatzes der Rechtssicherheit das Recht zuerkannt, eine begünstigende Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit zurückzunehmen (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1957 in den Rechtssachen 7/56 und 3/57 bis 7/57, Algera u. a./Gemeinsame Versammlung, Slg. 1957, 83; vom 3. März 1982 in der Rechtssache 14/81, Alpha Steel/Kommission, Slg. 1982, 749; und vom 26. Februar 1987 in der Rechtssache 15/85, Consorzio Cooperative d'Abruzzo/Kommission, Slg. 1987, 1005).

  41. Das muß erst recht in dem Fall gelten, daß eine Entscheidung — wie im vorliegenden Fall — dem Bürger Lasten auferlegt oder Sanktionen gegen ihn verhängt. Bei dieser Fallgestaltung stehen nämlich Erwägungen des Vertrauensschutzes und der wohlerworbenen Rechte des Adressaten der Entscheidung deren Rücknahme durch die Kommission nicht entgegen.

  42. Daher ist die Kommission, sollte sie auf der Grundlage einer Überprüfung der Zellstoffentscheidung im Lichte der Begründung des Urteils vom 31. März 1993 zu dem Ergebnis kommen, daß bestimmte Feststellungen von Verstößen der schwedischen Adressaten gegen Artikel 85 rechtswidrig seien, berechtigt, die im Zusammenhang mit diesen Feststellungen gezahlten Geldbußen zu erstatten. Bei dieser Fallgestaltung ist die Kommission auch nach den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der ordnungsmäßigen Verwaltung gehalten, diese Geldbußen, für die es keine Rechtsgrundlage gibt, zu erstatten, soll Artikel 176 nicht jede praktische Wirksamkeit verlieren.

  43. Die Kommission kann dem nicht entgegenhalten, daß eine Erstattung der Geldbußen gegen Haushaltsrecht verstieße. Haushaltsrecht soll das ordnungsmäßige Finanzgebaren innerhalb der Organe sichern; es beschränkt den Rechtsschutz der Bürger nicht und kann die Gemeinschaftsorgane nicht daran hindern, einem Aufhebungsurteil nachzukommen.

  44. Damit ist die Entscheidung der Kommission insofern rechtsfehlerhaft, als sie davon ausgeht, daß die Kommission weder verpflichtet noch berechtigt sei, die von den Klägerinnen gezahlten Geldbußen zu erstatten.

  45. Somit ist die Entscheidung der Kommission im Schreiben vom 4. Oktober 1995 aufzuheben, mit der der Antrag der Klägerinnen auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung insoweit, als sie sie betraf, abgelehnt wurde.

    Die Anträge, der Kommission aufzugeben, den Klägerinnen einen Teil der gezahlten Geldbuße zuzüglich Zinsen zu erstatten

  46. Die letzten beiden Anträge der Klägerinnen gehen dahin, der Kommission aufzugeben, alle sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere einen Teil der von ihnen gezahlten Geldbußen zuzüglich Zinsen zu erstatten.

  47. Bei diesen Anträgen handelt es sich um Verpflichtungsanträge. Sie sind unzulässig, da der Gemeinschaftsrichter im Rahmen der Aufhebungskompetenz, die er nach Artikel 173 EG-Vertrag hat, nicht befugt ist, den Gemeinschaftsorganen Weisungen zu erteilen (vgl. etwa das Urteil Consorzio Cooperative d'Abruzzo/Kommission, Randnr. 18).

  48. Artikel 176 EG-Vertrag bewirkt nämlich eine Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Justiz und Verwaltung. Danach obliegt es dem Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, die Maßnahmen zu bestimmen, die sich aus dem Aufhebungsurteil — hier: dem Urteil vom 31. März 1993 — ergeben, indem es unter der Kontrolle des Gemeinschaftsrichters das ihm zukommende Ermessen bei der Beachtung des Tenors und der Begründung des Urteils, das es durchzuführen hat, sowie des Gemeinschaftsrechts ausübt (Urteil Asteris u. a./Kommission).

  49. Die Entscheidung, die Zellstoffentscheidung ganz oder teilweise zurückzunehmen oder nicht zurückzunehmen, fällt in erster Linie in die Zuständigkeit der Kommission. Sie hat diese Abwägung gemäß Artikel 176 EG-Vertrag vorzunehmen. Das Gericht kann sich nicht an ihre Stelle setzen.

  50. Nach alledem sind der zweite und der dritte Antrag unzulässig.

    Kosten

  51. Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag in die Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist und die Klägerinnen einen entsprechenden Antrag gestellt haben, ist die Kommission in die Kosten zu verurteilen.

    Aus diesen Gründen

    hat

    DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)



    für Recht erkannt und entschieden:

    1. Die Entscheidung der Kommission im Schreiben vom 4. Oktober 1995, mit der der Antrag der Klägerinnen abgelehnt wurde, im Lichte des Urteils des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission) die Rechtmäßigkeit der Entscheidung 85/202/EWG der Kommission vom 19. Dezember 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/29.725 — Zellstoff) zu überprüfen, soweit diese Entscheidung die Klägerinnen betrifft, wird aufgehoben.

    2. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit sie darauf gerichtet ist, daß der Kommission Weisungen zu erteilen seien.

    3. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.



Vesterdorf                Bellamy                Kalogeropoulos

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Juli 1997.

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

B. Vesterdorf


1: Verfahrenssprache: Englisch.