Language of document :

Vorabentscheidungsersuchen des Varhoven kasatsionen sad (Bulgarien), eingereicht am 23. Januar 2024 – K. M. H./Obshtina Stara Zagora

(Rechtssache C-43/24, Shipov1 )

Verfahrenssprache: Bulgarisch

Vorlegendes Gericht

Varhoven kasatsionen sad

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kassationsbeschwerdeführer: K. M. H.

Kassationsbeschwerdegegnerin: Obshtina Stara Zagora

Vorlagefragen

Stehen die in Art. 9 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und in Art. 8 und Art. 21 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankerten und in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bekräftigten Grundsätze der Gleichheit der Unionsbürger und der Freizügigkeit einer nationalen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die jegliche Möglichkeit einer Änderung des Eintrags betreffend das Geschlecht, den Namen und die Identifikationsnummer (EGN) in den Personenstandsurkunden eines Antragstellers ausschließt, der angibt, transsexuell zu sein?

Stehen die in Art. 9 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und in Art. 8 und Art. 21 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankerten Grundsätze der Gleichheit der Unionsbürger und der Freizügigkeit sowie das in Art. 10 AEUV niedergelegte Verbot von Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, die in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bekräftigt werden, sowie der Grundsatz eines wirksamen Rechtsbehelfs einer nationalen Rechtsprechung (vorliegend der Auslegungsentscheidung Nr. 2/2023 der Obshto sabranie na grazhdanskata kolegia [Generalversammlung der Zivilkammern] des Varhoven kasatsionen sad [Oberstes Kassationsgericht]) entgegen, wonach das im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union geltende objektive materielle Recht keine Möglichkeit vorsieht, in den Personenstandsurkunden eines Antragstellers, der angibt, transsexuell zu sein, das Geschlecht, den Namen und die Identifikationsnummer zu ändern, wodurch dieser in eine andere Lage versetzt wird, als die, in der er sich in einem anderen Mitgliedstaat befände, nach dessen Rechtsprechung das Gegenteil gilt?

Ist eine nationale Rechtsprechung zulässig, die aufgrund religiöser Werte und Moralvorstellungen keine Änderung der Geschlechtsidentität erlaubt, es sei denn, diese ist aus medizinischen Gründen bei bestimmten – intersexuellen – Personen erforderlich?

Ist eine nationale Rechtsprechung zulässig, die eine Änderung des Geschlechts aufgrund religiöser Werte und Moralvorstellungen nur in bestimmten Fällen und für bestimmte (intersexuelle) Personen aus medizinischen Gründen erlaubt, jedoch nicht in anderen Fällen der Änderung der Geschlechtsidentität aus weiteren, anderen medizinischen Gründen?

Gilt die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (durch die Urteile in den Rechtssachen С-673/161 und С-490/202 ) in Bezug auf die Anwendung der Richtlinie 2004/38/ЕG3 und Art. 21 Abs. 1 AEUV anerkannte Verpflichtung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, den Personenstand einer Person anzuerkennen, der in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht festgestellt wurde, auch in Bezug auf das Geschlecht als einem wesentlichen Bestandteil des Personenstandseintrags, und erfordert die in einem anderen Mitgliedstaat festgestellte Änderung des Geschlechts einer Person, die auch die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt, den Eintrag dieser Tatsache in die entsprechenden Register der Republik Bulgarien?

Ist im Hinblick auf das aus der Charta und der EMRK herrührende Recht auf ein faires Verfahren eine verbindliche, durch ein Urteil des Konstitutsionen sad (Verfassungsgericht) erfolgte Auslegung der Verfassung zulässig, wonach der Begriff „Geschlecht“ allein im biologischen Sinne zu verstehen ist; ist diese Auslegung mit den Anforderungen des Unionsrechts vereinbar und kann sie ein rechtliches Hindernis für die Eintragung einer Änderung des Geschlechts darstellen?

____________

1 Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.

1 ECLI:EU:C:2018:385.

1 ECLI:EU:C:2021:1008.

1 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, 2004, S. 77).