Language of document : ECLI:EU:T:2017:461

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

4. Juli 2017(*)

„Siebtes Rahmenprogramm für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007–2013) – Finanzhilfevereinbarungen für die Projekte PlayMancer, Mobiserv und PowerUp – Art. 299 AEUV – Beschluss, der einen vollstreckbaren Titel darstellt – Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlung – Zulässigkeit – Verhältnismäßigkeit – Sorgfaltspflicht – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑234/15

Systema Teknolotzis AE – Efarmogon Ilektronikis kai Pliroforikis mit Sitz in Athen (Griechenland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt E. Georgilas,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch J. Estrada de Solà und L. Di Paolo als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt E. Politis,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2015) 1677 final der Kommission vom 10. März 2015, der einen vollstreckbaren Titel für die Zwangsbeitreibung des Betrags von 716 334,05 Euro zuzüglich Zinsen von der Klägerin darstellt,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen sowie der Richter V. Kreuschitz (Berichterstatter) und N. Półtorak,

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil(1)

[nicht wiedergegeben]

 Rechtliche Würdigung

[nicht wiedergegeben]

 Zur Zulässigkeit

 Einleitung

[nicht wiedergegeben]

80      Vor der Prüfung der von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 299 AEUV die Rechtsakte der Kommission, die eine Zahlung auferlegen, vollstreckbare Titel sind; dies gilt nicht gegenüber Staaten. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach den Vorschriften des Zivilprozessrechts des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie stattfindet. Die Vollstreckungsklausel wird nach einer Prüfung, die sich lediglich auf die Echtheit des Titels erstrecken darf, von der staatlichen Behörde erteilt, welche die Regierung jedes Mitgliedstaats zu diesem Zweck bestimmt und der Kommission und dem Gerichtshof der Europäischen Union benennt. Sind diese Formvorschriften auf Antrag der die Vollstreckung betreibenden Partei erfüllt, so kann diese die Zwangsvollstreckung nach innerstaatlichem Recht betreiben, indem sie die zuständige Stelle unmittelbar anruft. Die Zwangsvollstreckung kann nur durch eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt werden. Für die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen sind jedoch die einzelstaatlichen Rechtsprechungsorgane zuständig.

81      Darüber hinaus sieht Art. 79 Abs. 2 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung) vor, dass das Organ die Feststellung einer Forderung gegenüber anderen Schuldnern als Mitgliedstaaten durch einen Beschluss formalisieren kann, der ein vollstreckbarer Titel gemäß Art. 299 AEUV ist.

 Zum bestätigenden Charakter des angefochtenen Beschlusses

82      Die Kommission trägt im Wesentlichen vor, der angefochtene Beschluss stelle nur einen Beschluss dar, der lediglich die früheren Beschlüsse bestätige, mit denen die von der Klägerin beantragten Zahlungserleichterungen abgelehnt worden seien.

83      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Nichtigkeitsklage gegen alle Handlungen der Organe der Union gegeben ist, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen, unabhängig von Rechtsnatur oder Form dieser Handlungen (vgl. Urteil vom 6. April 2000, Spanien/Kommission, C‑443/97, EU:C:2000:190, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung), die also die vor ihrer Vornahme bestehende Rechtslage ändern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 1995, Spanien/Kommission, C‑135/93, EU:C:1995:201, Rn. 21).

84      Eine Handlung, die sich darauf beschränkt, den ursprünglichen Beschluss zu bestätigen, ändert nicht die Rechtsstellung des Betroffenen und stellt daher keinen mit einer Nichtigkeitsklage anfechtbaren Beschluss dar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Mai 1993, Foyer culturel du Sart-Tilman/Kommission, C‑199/91, EU:C:1993:205, Rn. 23, vom 9. Dezember 2004, Kommission/Greencore, C‑123/03 P, EU:C:2004:783, Rn. 39, und Beschluss vom 27. November 2015, Italien/Kommission, T‑809/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:970, Rn. 29). Nach gefestigter Rechtsprechung ist eine Klage gegen eine Maßnahme, mit der ein anderer bestandskräftig gewordener Beschluss lediglich bestätigt wird, unzulässig. Eine Maßnahme ist dann als bloße Bestätigung eines früheren Beschlusses anzusehen, wenn sie gegenüber dem früheren Beschluss keine neuen Gesichtspunkte enthält und nicht auf einer Überprüfung der Rechtslage des Adressaten dieses Beschlusses beruht (Urteile vom 7. Februar 2001, Inpesca/Kommission, T‑186/98, EU:T:2001:42, Rn. 44, vom 22. Mai 2012, Sviluppo Globale/Kommission, T‑6/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:245, Rn. 22, und vom 2. Juni 2016, Moreda-Riviere Trefilerías u. a./Kommission, T‑426/10 bis T‑429/10 und T‑438/12 bis T‑441/12, EU:T:2016:335, Rn. 545). Die Frage, ob eine Maßnahme lediglich bestätigenden Charakter hat, lässt sich somit nicht allein durch einen Vergleich ihres Inhalts mit dem des früheren Beschlusses beantworten, der durch sie bestätigt wird. Der Charakter der angefochtenen Maßnahme ist vielmehr auch anhand der Art des Antrags zu beurteilen, der durch sie beschieden wird (vgl. Urteil vom 7. Februar 2001, Inpesca/Kommission, T‑186/98, EU:T:2001:42, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85      Die Systematik und der Zweck der Rechtsprechung zu den rein bestätigenden Handlungen zielen darauf ab, die Einhaltung der Klagefristen und die Rechtskraft sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 2007, Weißenfels/Parlament, C‑135/06 P, EU:C:2007:812, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. Februar 2009, Gorostiaga Atxalandabaso/Parlament, C‑308/07 P, EU:C:2009:103, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung) und somit den Grundsatz der Rechtssicherheit zu schützen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Januar 2007, PKK und KNK/Rat, C‑229/05 P, EU:C:2007:32, Rn. 101, vom 18. Oktober 2007, Kommission/Parlament und Rat, C‑299/05, EU:C:2007:608, Rn. 29, und Beschluss vom 29. Juni 2009, Cofra/Kommission, C‑295/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:407, Rn. 53 und 54). So ist entschieden worden, dass mit der Rechtsprechung, wonach eine Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss, durch den ein früherer, nicht fristgerecht angefochtener Beschluss nur bestätigt wird, unzulässig ist, vermieden werden soll, dass ein Kläger mittelbar die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses in Frage stellen kann, den er nicht rechtzeitig angefochten hat und der daher bestandskräftig geworden ist (Urteil vom 4. März 2015, Vereinigtes Königreich/EZB, T‑496/11, EU:T:2015:133, Rn. 59).

86      Zudem ist festzustellen, dass die Zuständigkeit des Unionsrichters zur Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Vertrags bei einer nach Art. 263 AEUV erhobenen Nichtigkeitsklage keine Anwendung findet, wenn die Rechtsstellung des Klägers im Rahmen vertraglicher Beziehungen festgelegt wird, für die das von den Vertragsparteien gewählte nationale Recht gilt (Urteil vom 9. September 2015, Lito Maieftiko Gynaikologiko kai Cheirourgiko Kentro/Kommission, C‑506/13 P, EU:C:2015:562, Rn. 18).

87      Wenn sich nämlich der Unionsrichter für Klagen zuständig erklärte, mit denen die Nichtigerklärung von Rechtshandlungen beantragt wird, die in einem rein vertraglichen Rahmen stehen, liefe er nicht nur Gefahr, Art. 272 AEUV überflüssig zu machen, der die Übertragung der gerichtlichen Zuständigkeit aufgrund einer Schiedsklausel ermöglicht, sondern außerdem, falls der Vertrag keine solche Klausel enthält, seine Zuständigkeit über die Grenzen hinaus auszudehnen, die in Art. 274 AEUV gezogen worden sind, der den nationalen Gerichten die allgemeine Zuständigkeit für die Entscheidung von Streitsachen überträgt, in denen die Union Partei ist (vgl. Urteil vom 9. September 2015, Lito Maieftiko Gynaikologiko kai Cheirourgiko Kentro/Kommission, C‑506/13 P, EU:C:2015:562, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Folglich kann bei Vorliegen eines Vertrags, der den Kläger an ein Organ der Union bindet, eine Klage nach Art. 263 AEUV nur dann bei den Unionsgerichten anhängig gemacht werden, wenn die angefochtene Handlung verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll, die außerhalb der vertraglichen Beziehung, die die Parteien bindet, angesiedelt sind und die Ausübung hoheitlicher Befugnisse voraussetzen, die dem vertragschließenden Organ als Verwaltungsbehörde übertragen worden sind (Urteil vom 9. September 2015, Lito Maieftiko Gynaikologiko kai Cheirourgiko Kentro/Kommission, C‑506/13 P, EU:C:2015:562, Rn. 20).

89      So ist entschieden worden, dass eine Nichtigkeitsklage unzulässig ist, wenn sie gegen eine Belastungsanzeige oder eine Zahlungsaufforderung erhoben wird, die mit einer Vereinbarung zwischen der Kommission und dem Kläger im Zusammenhang steht und die Beitreibung einer Forderung betrifft, die ihre Grundlage in den Bestimmungen dieser Vereinbarung findet (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 6. Januar 2015, St’art u. a./Kommission, T‑93/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:11, Rn. 31 bis 33).

90      Hingegen stellt ein Beschluss, der ein vollstreckbarer Titel im Sinne von Art. 299 AEUV ist, eine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV dar, weil ein solcher Beschluss, sofern nicht im AEU-Vertrag anders bestimmt, zu den Beschlüssen im Sinne des Art. 288 AEUV gehört. Also kann die Begründetheit eines solchen vollstreckbaren Beschlusses auf der Grundlage von Art. 263 AEUV nur vor dem für die Nichtigerklärung zuständigen Richter in Frage gestellt werden (Beschluss vom 13. September 2011, CEVA/Kommission, T‑224/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:462, Rn. 59, und Urteil vom 27. September 2012, Applied Microengineering/Kommission, T‑387/09, EU:T:2012:501, Rn. 38).

91      Das Gericht hat ferner entschieden, dass dies insbesondere gilt, wenn ein vollstreckbarer Beschluss erlassen wird, um eine Forderung aus einem von einem Organ geschlossenen Vertrag einzuziehen. Selbst wenn in einem derartigen Vertrag der Erlass solcher Beschlüsse ausdrücklich gestattet wäre, bliebe nämlich für ihre Rechtsnatur weiterhin nicht der Vertrag oder das nationale Recht, dem er unterliegt, sondern Art. 299 AEUV maßgeblich. Dieser sieht aber für vollstreckbare Beschlüsse, die zwecks Einziehung einer vertraglichen Forderung erlassen werden, keine abweichende rechtliche Regelung vor (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2012, Applied Microengineering/Kommission, T‑387/09, EU:T:2012:501, Rn. 39). Da die Rechtswirkungen eines vollstreckbaren Beschlusses ihren Ursprung in der Ausübung hoheitlicher Befugnisse finden, ist der Erlass eines solchen Beschlusses durch die Kommission Ausdruck der Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass eine von der Kommission erlassene Handlung, die ein vollstreckbarer Titel im Sinne von Art. 299 Abs. 1 AEUV ist, ihren Willen zur Beitreibung ihrer Forderungen endgültig festlegt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 8. Mai 2013, Talanton/Kommission, T‑165/13 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:235, Rn. 18).

92      Damit im vorliegenden Fall der angefochtene Beschluss als nur bestätigender Beschluss eingestuft werden kann, kommt es insbesondere darauf an, dass die früheren Handlungen der Kommission als mit der Nichtigkeitsklage anfechtbare Beschlüsse qualifiziert werden können (vgl. oben, Rn. 84 und 85). Um als solche Beschlüsse angesehen werden zu können, müssen die dem angefochtenen Beschluss vorausgegangenen Handlungen verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die außerhalb der vertraglichen Beziehung, die die Parteien bindet, angesiedelt sind, und mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden sein, die dem Organ als Verwaltungsbehörde übertragen worden sind (vgl. oben, Rn. 88).

93      Die dem angefochtenen Beschluss vorausgegangenen Handlungen bestehen für das Projekt PlayMancer in der im Schreiben der Kommission vom 31. Juli 2013 zum Ausdruck gebrachten Weigerung, für die Verbindlichkeit der Klägerin eine Ratenzahlung über einen Zeitraum von sieben Jahren zu gewähren, und in ihrer stillschweigenden Weigerung, die Zahlungsfrist für die Verbindlichkeit der Klägerin nach ihrem Antrag vom 2. Juni 2014 zu verlängern, für das Projekt Mobiserv in der Weigerung der Kommission vom 6. März 2013, der Klägerin eine Verlängerung der Zahlungsfrist für ihre Verbindlichkeit zu gewähren, und für das Projekt PowerUp in der Weigerung der Kommission vom 19. August 2014, der Klägerin eine zusätzliche Frist für die Zahlung ihrer Verbindlichkeit einzuräumen.

94      Diese Weigerungen der Kommission, der Klägerin Zahlungserleichterungen zu gewähren, erzeugen jedoch keine verbindlichen Rechtswirkungen, die außerhalb der vertraglichen Beziehungen angesiedelt sind, die die Kommission und die Klägerin im Zusammenhang mit den Projekten PlayMancer, Mobiserv und PowerUp binden. Zudem beinhalten diese Weigerungen keine Ausübung hoheitlicher Befugnisse, die der Kommission als Verwaltungsbehörde übertragen worden sind. Schließlich kann nicht von einer Umgehung der Frist für die Nichtigkeitsklage die Rede sein, da die betreffenden Weigerungen unter die vertraglichen Beziehungen zwischen der Kommission und der Klägerin fallen und Streitigkeiten über vertragliche Rechte und Pflichten vor dem Unionsrichter nach Art. 272 AEUV nicht derselben Klagefrist unterliegen.

95      Somit macht die Kommission zu Unrecht geltend, die Klage der Klägerin sei unzulässig, weil der angefochtene Beschluss einen im Hinblick auf die früheren Weigerungen der Kommission, der Klägerin Zahlungserleichterungen zu gewähren, bestätigenden Beschluss darstelle.

[nicht wiedergegeben]

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Systema Teknolotzis AE – Efarmogon Ilektronikis kai Pliroforikis trägt die Kosten.

Frimodt Nielsen

Kreuschitz

Półtorak

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Juli 2017.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Griechisch.


1      Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.