Language of document : ECLI:EU:C:2014:2145

Rechtssache C‑157/13

Nickel & Goeldner Spedition GmbH

gegen

„Kintra“ UAB

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas)

„Vorabentscheidungsersuchen – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 – Art. 3 Abs. 1 – Begriff ‚Klage, die an ein Insolvenzverfahren anknüpft und in engem Zusammenhang damit steht‘ – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 1 Abs. 2 Buchst. b – Begriff ‚Konkurs‘ – Vom Insolvenzverwalter erhobene Klage auf Erfüllung einer Forderung – Aus der internationalen Beförderung von Gütern entstandene Forderung – Verhältnis zwischen den Verordnungen Nrn. 1346/2000 und 44/2001 und dem Übereinkommen über Beförderung im internationalen Straßengüterverkehr (CMR)“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 4. September 2014 

1.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Geltungsbereich – Zivil- und Handelssachen – Begriff – Klage auf Erfüllung einer auf die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen gestützten Forderung, die von dem im Rahmen eines in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens bestimmten Verwalter eines insolventen Unternehmens erhoben wird und die sich gegen den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger dieser Dienstleistungen richtet – Einbeziehung – Nichtanwendbarkeit der Verordnung Nr. 1346/2000

(Verordnungen des Rates Nr. 1346/2000 Art. 3 Abs. 1 und Nr. 44/2001 Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b)

2.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Verhältnis zu den Übereinkommen auf einem besonderen Rechtsgebiet – Übereinkommen über Beförderung im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) – Anwendbarkeit des Übereinkommens – Beurteilung durch das nationale Gericht

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 71)

1.        Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die Klage auf Erfüllung einer auf die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen gestützten Forderung, die von dem im Rahmen eines in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens bestimmten Verwalter eines insolventen Unternehmens erhoben wird und die sich gegen den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfänger dieser Dienstleistungen richtet, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.

Das für den Gerichtshof ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, stellt nämlich nicht der prozessuale Kontext dar, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage. Nach diesem Ansatz ist zu prüfen, ob der Anspruch oder die Verpflichtung, die der Klage als Grundlage dient, den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Spezialregelungen für Insolvenzverfahren.

Eine Klage auf Erfüllung einer aus der Erbringung von Dienstleistungen in Gestalt der Durchführung eines Beförderungsvertrags entstandenen Forderung hätte vom Gläubiger selbst erhoben werden können, bevor ihm durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen die Verfügungsgewalt hierüber entzogen wurde und hätte sich dann nah den in Zivil- und Handelssachen anwendbaren Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit gerichtet. Die Tatsache, dass die Zahlungsklage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Dienstleistungserbringers von dem im Rahmen dieses Verfahrens bestimmten Insolvenzverwalter erhoben wurde und dass dieser im Interesse der Gläubiger handelt, führt nicht zu einer wesentlichen Änderung der Art der geltend gemachten Forderung, die materiell-rechtlich weiterhin unveränderten Regelungen unterworfen ist. Eine solche Klage weist somit keine direkte Verknüpfung mit dem über das Vermögen der Klägerin eröffneten Insolvenzverfahren auf. Daher ist, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob eine solche Klage in einem engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren steht, festzustellen, dass sie nicht in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 und infolgedessen auch nicht unter den Begriff des Konkurses im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 fällt.

(vgl. Rn. 27-32, Tenor 1)

2.        Art. 71 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat in dem Fall, in dem ein Rechtsstreit sowohl in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 als auch in den Anwendungsbereich des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) in der Fassung des am 5. Juli 1978 in Genf unterzeichneten Protokolls fällt, nach Art. 71 Abs. 1 dieser Verordnung die in Art. 31 Abs. 1 dieses Übereinkommens vorgesehenen Regelungen über die gerichtliche Zuständigkeit anwenden kann.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, vor dem eine Zahlungsklage aus Beförderungsdienstleistungen anhängig ist, zu prüfen, ob diese Dienstleistungen den Voraussetzungen für die Anwendung des CMR, wie sie in dessen Art. 1 aufgeführt sind, genügen.

(vgl. Rn. 36, 42, Tenor 2)