Language of document : ECLI:EU:T:2015:638

Rechtssache T‑346/12

Ungarn

gegen

Europäische Kommission

„Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Sektor Obst und Gemüse – Einzelstaatliche finanzielle Beihilfe für Erzeugerorganisationen – Durchführungsbeschluss der Kommission über die Erstattung der einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe, die Ungarn seinen Erzeugerorganisationen gewährt hat, durch die Union – Art. 103e der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 – Art. 97 der Verordnung (EG) Nr. 1580/2007“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Zweite Kammer) vom 15. September 2015

1.      Recht der Europäischen Union – Auslegung – Vorschriften in mehreren Sprachen – Abweichungen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen – Berücksichtigung der allgemeinen Systematik und des Zwecks der fraglichen Regelung

(Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission, Art. 94)

2.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Obst und Gemüse – Erzeugerorganisationen – Erstattung der von einem Mitgliedstaat gewährten finanziellen Beihilfe – Begrenzung der erstatteten Beträge durch die Kommission – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 1234/2007 des Rates, Art. 103e und Art. 180; Verordnung Nr. 72/2009 des Rates, 20. Erwägungsgrund; Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission, Art. 94 und Art. 97)

3.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Obst und Gemüse – Erzeugerorganisationen – Erstattung der von einem Mitgliedstaat gewährten finanziellen Beihilfe – Rückwirkende Anwendung der Verordnung Nr. 543/2011 auf Anträge, die aus der Zeit der Geltung der Verordnung Nr. 1580/2007 stammen – Ausschluss

(Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission, Art. 94; Verordnung Nr. 543/2011 der Kommission, Art. 95)

4.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Obst und Gemüse – Erzeugerorganisationen – Erstattung der von einem Mitgliedstaat gewährten finanziellen Beihilfe – Anwendbarkeit der Art. 67 und 94a der Verordnung Nr. 1580/2007 – Ausschluss

(Verordnung Nr. 1234/2007 des Rates, Art. 103e; Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission, Art. 67 und Art. 94a)

5.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Obst und Gemüse – Erzeugerorganisationen – Erstattung der von einem Mitgliedstaat gewährten finanziellen Beihilfe – Auslegung der Bestimmungen über die einzelstaatliche finanzielle Beihilfe im Licht der Bestimmungen über die finanzielle Beihilfe der Union – Unzulässigkeit

(Verordnung Nr. 1234/2007 des Rates, Art. 103d und Art. 103e; Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission, Art. 97 Abs. 1)

6.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Obst und Gemüse – Erzeugerorganisationen – Erstattung der von einem Mitgliedstaat gewährten finanziellen Beihilfe – Verpflichtung der Kommission, in ihrer Entscheidung über die Ermächtigung zur Gewährung einer Beihilfe den Betrag der beabsichtigten Beihilfe zu nennen – Fehlen

(Verordnung Nr. 1234/2007 des Rates, Art. 103h; Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission, Art. 94 Abs. 1)

7.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Obst und Gemüse – Erzeugerorganisationen – Erstattung der von einem Mitgliedstaat gewährten finanziellen Beihilfe – Schätzungsweiser Charakter der der Kommission für eine vorherige Ermächtigung mitgeteilten Beträge – Verwendung als Grundlage für die Ermächtigungsentscheidung – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 1234/2007 des Rates, Art. 103e; Verordnung Nr. 1580/2007 der Kommission, Art. 94)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 58, 73, 74)

2.      Die Kommission verfügt über eine Rechtsgrundlage für die Begrenzung der Erstattung durch die Union auf die im Rahmen des Ermächtigungsverfahrens von Art. 94 der Verordnung Nr. 1580/2007 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen Nr. 2200/96, Nr. 2201/96 und Nr. 1182/2007 im Sektor Obst und Gemüse mitgeteilten Beträge der Beihilfe, und zwar sowohl auf der Grundlage von Art. 103e der Verordnung Nr. 1234/2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse als auch auf der Grundlage von Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1580/2007. Nach Art. 103e der Verordnung Nr. 1234/2007 darf nämlich die Beihilfe 80% der Finanzbeiträge der betreffenden Erzeugerorganisation nicht übersteigen, was bedeutet, dass gemäß Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1580/2007 der Betrag der Beihilfe und die Beachtung der 80%-Grenze für jede einzelne Erzeugerorganisation zu prüfen sind und dass sich daher die Ermächtigung der Kommission auf die nach Erzeugerorganisationen aufgeschlüsselten mitgeteilten Beihilfebeträge bezieht.

Eine Auslegung, wonach die Kommission verpflichtet sein soll, jede Beihilfe zu erstatten, die unabhängig von ihrem Betrag die Obergrenze von 80 % unterschritte, ohne dass sie im Rahmen der Ermächtigung von dem ihr nach Art. 103e der Verordnung Nr. 1234/2007 eingeräumten Beurteilungsspielraum Gebrauch machen könnte, nähme dem Verfahren der Ermächtigung zur Gewährung einer einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe seine praktische Wirksamkeit und ließe es ins Leere gehen und nähme auch Art. 180 der Verordnung Nr. 1234/2007, im Licht des 20. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 72/2009 zur Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik durch Änderung der Verordnungen Nr. 247/2006, Nr. 320/2006, Nr. 1405/2006, Nr. 1234/2007, Nr. 3/2008 und Nr. 479/2008 und zur Aufhebung der Verordnungen Nr. 1883/78, Nr. 1254/89, Nr. 2247/89, Nr. 2055/93, Nr. 1868/94, Nr. 2596/97, Nr. 1182/2005 und Nr. 315/2007 gesehen, und den mit ihm im Bereich der Wettbewerbspolitik und insbesondere der Kontrolle der staatlichen Beihilfen verfolgten Zielen die praktische Wirksamkeit.

(vgl. Rn. 66, 67, 70, 72)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 82, 83, 85)

4.      Art. 67 der Verordnung Nr. 1580/2007 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen Nr. 2200/96, Nr. 2201/96 und Nr. 1182/2007 im Sektor Obst und Gemüse, der insbesondere den Erzeugerorganisationen die Möglichkeit eröffnet, die Höhe des Betriebsfonds um bis zu 25 % des ursprünglich gebilligten Betrags anzuheben, ist auf die einzelstaatliche finanzielle Beihilfe im Sinne von Art. 103e der Verordnung Nr. 1234/2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse nicht anwendbar. Dieser Art. 103e bestimmt nämlich, dass die einzelstaatliche finanzielle Beihilfe zum Betriebsfonds hinzukommt, was bedeutet, dass eine spätere Erhöhung des Betriebsfonds im Sinne von Art. 67 der Verordnung Nr. 1580/2007 nicht zu einer korrespondierenden Erhöhung der einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe führen soll.

Ebenso ist auch Art. 94a der Verordnung Nr. 1580/2007 in diesem Zusammenhang nicht anwendbar, da diese Bestimmung nicht den Fall eines von der Kommission genehmigten und später erhöhten Betrags einer einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe betrifft, sondern den Inhalt eines operationellen Programms, das vor seiner Billigung durch die nationale Behörde geändert wird.

(vgl. Rn. 88, 89, 92, 93)

5.      Die Bestimmungen über die Erstattung der einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe, die den Erzeugerorganisationen nach Art. 103e der Verordnung Nr. 1234/2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse gewährt wurde, sind nicht im Licht der Bestimmungen zur finanziellen Beihilfe der Union auszulegen, die eine Anpassung der Beihilfe je nach dem Wert der vermarkteten Erzeugung erlauben. Zum einen sieht nämlich Art. 103d der Verordnung Nr. 1234/2007 im Unterschied zum genannten Art. 103e kein Verfahren der Ermächtigung zur Gewährung der finanziellen Beihilfe der Union vor der Kommission vor. Zum anderen bestimmt Art. 103d der Verordnung Nr. 1234/2007, dass die finanzielle Beihilfe der Union gleich der Höhe der tatsächlich entrichteten Finanzbeiträge ist, während Art. 97 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1580/2007 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen Nr. 2200/96, Nr. 2201/96 und Nr. 1182/2007 im Sektor Obst und Gemüse die Erstattung durch die Union auf die genehmigte und tatsächlich gezahlte einzelstaatliche finanzielle Beihilfe stützt.

(vgl. Rn. 95-97)

6.      Keine Bestimmung in der Verordnung Nr. 1234/2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse oder in der Verordnung Nr. 1580/2007 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen Nr. 2200/96, Nr. 2201/96 und Nr. 1182/2007 im Sektor Obst und Gemüse verpflichtet die Kommission, den mitgeteilten Betrag der Beihilfe in ihrer Ermächtigungsentscheidung zur Zahlung der einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe besonders anzugeben. Im Übrigen folgt aus Art. 103h der Verordnung Nr. 1234/2007, dass die Kommission uneingeschränkt befugt ist, die Durchführungsbestimmungen für die Erstattung der einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe festzulegen. Da eine entsprechende Vorschrift fehlt, ist sie folglich nach keiner Bestimmung ausdrücklich verpflichtet, die mitgeteilten Beihilfebeträge in dem Ermächtigungsschreiben anzugeben.

Da der Begriff der genehmigten einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe zwingend beinhaltet, dass deren zum Zweck der Ermächtigung zur Gewährung der Beihilfe nach Art. 94 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1580/2007 mitgeteilter Betrag nach Erzeugerorganisation aufgeschlüsselt ist, kann ferner das Fehlen einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die mitgeteilten Beträge der Beihilfe in der Ermächtigungsentscheidung nicht zur Folge haben, dass es keine Begrenzung der Beihilfebeträge gäbe, deren Zahlung bis zur Obergrenze von 80 % zulässig ist, da die Ermächtigung zur Zahlung der Beihilfe nach Art. 94 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1580/2007 auf der Berücksichtigung dieser Beträge beruht.

(vgl. Rn. 109, 110)

7.      Was die geschätzten Beträge anbetrifft, die von einem Mitgliedstaat im Rahmen des Verfahrens der Ermächtigung zur Gewährung einer einzelstaatlichen finanziellen Beihilfe nach Art. 94 der Verordnung Nr. 1580/2007 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen Nr. 2200/96, Nr. 2201/96 und Nr. 1182/2007 im Sektor Obst und Gemüse vorgelegt werden, so liegt die Mitteilung von Schätzungen in der Natur dieses Verfahrens selbst, da die einzelstaatliche finanzielle Beihilfe von dem Beitrag der Mitglieder zum Betriebsfonds abhängt. Dieser Beitrag ist wiederum abhängig von deren landwirtschaftlicher Produktion, die erst am Ende des Wirtschaftsjahres bekannt ist. Daher steht die Tatsache, dass es sich bei den mitgeteilten Beträgen um Schätzungen handelt, der Weigerung der Kommission, die über die mitgeteilten Beträge hinaus gezahlten Beträge zu erstatten, nicht entgegen, zumal diese Schätzungen gemäß Art. 103e der Verordnung Nr. 1234/2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse hinreichend begründet werden müssen. Die Mitteilung der geschätzten Beträge hindert die Kommission also nicht daran, diese Beträge als Grundlage für die Ermächtigung zur Gewährung der mitgeteilten Beihilfe und als konstitutives Element für ihre Zustimmung zu dieser Ermächtigung zu betrachten.

(vgl. Rn. 117)