Language of document : ECLI:EU:C:2020:234

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

26. März 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Rechtsstaatlichkeit – Wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen – Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit – Disziplinarordnung für die nationalen Richter – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Art. 267 AEUV – Zulässigkeit – Auslegung, die für den Erlass des Urteils durch das vorlegende Gericht erforderlich ist – Begriff“

In den verbundenen Rechtssachen C‑558/18 und C‑563/18

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz, Polen) (C‑558/18) und vom Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) (C‑563/18) mit Entscheidungen vom 31. August 2018 und 4. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 3. September 2018 und am 5. September 2018, in den Verfahren

Miasto Łowicz

gegen

Skarb Państwa – Wojewoda Łódzki,

Beteiligte:

Prokurator Generalny, vertreten durch die Prokuratura Krajowa,  vormals Prokuratura Regionalna w Łodzi,

Rzecznik Praw Obywatelskich (C‑558/18),

und

Prokurator Generalny, vertreten durch die Prokuratura Krajowa,  vormals Prokuratura Okręgowa w Płocku,

gegen

VX,

WW,

XV (C‑563/18)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, der Richter M. Ilešič, J. Malenovský, L. Bay Larsen und T. von Danwitz, der Richterinnen C. Toader und K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos und N. Piçarra,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Skarb Państwa – Wojewoda Łódzki, vertreten durch J. Zasada und L. Jurek als Bevollmächtigte,

–        des Prokurator Generalny, vertreten durch die Prokuratura Krajowa, diese vertreten durch A. Reczka, S. Bańko, B. Górecka, J. Szubert und P. Tarczyński,

–        des Rzecznik Praw Obywatelskich, vertreten durch M. Taborowski und M. Wróblewski als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und P. Zwolak als Bevollmächtigte im Beistand von W. Gontarski, adwokat,

–        der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und V. Soņeca als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und H. Krämer als Bevollmächtigte,

–        der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch I. O. Vilhjálmsdóttir und C. Howdle als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. September 2019

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 EUV.

2        Sie ergehen zum einen in einem Rechtsstreit zwischen dem Miasto Łowicz (Stadt Łowicz, Polen) und dem Skarb Państwa – Wojewoda Łódzki (Fiskus – Woiwode der Woiwodschaft Lodz, Polen, im Folgenden: Fiskus) über einen Antrag auf Zahlung öffentlicher Zulagen (Rechtssache C‑558/18) und zum anderen in einem Strafverfahren gegen VX, WW und XV wegen Beteiligung an Entführungen in Bereicherungsabsicht (Rechtssache C‑563/18).

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

3        Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑558/18 ergibt, erhob die Stadt Łowicz beim Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz, Polen) eine Klage gegen den Fiskus, um gemäß der Ustawa o dochodach jednostek samorządu terytorialnego (Gesetz über die Einnahmen der Gebietskörperschaften) vom 13. November 2003 (Dz. U. 2018, Pos. 317) eine Zahlung von 2 357 148 polnischen Zloty (PLN) (ungefähr 547 612 Euro) als Zulage zur Deckung der Kosten zu erwirken, die dieser Stadt bei der Durchführung bestimmter ihr übertragener Aufgaben im Bereich der hoheitlichen Verwaltung im Zeitraum 2005 bis 2015 entstanden sind.

4        Auf Widerspruch des Fiskus wurde der in der ersten Phase des Ausgangsverfahrens erlassene Zahlungsbefehl für nicht vollstreckbar erklärt, und die Sache wird nun im ordentlichen Verfahren verhandelt. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist es in Anbetracht der in diesem Verfahren zusammengetragenen Beweise sehr wahrscheinlich, dass die Entscheidung, die es zu treffen habe, für den Fiskus ungünstig ausfallen werde.

5        Was die Rechtssache C‑563/18 anbelangt, ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen), dass VX, WW und XV vor diesem Gericht wegen Beteiligung an zwei Entführungen in Bereicherungsabsicht mit Freiheitsberaubung, die in den Jahren 2002 und 2003 begangen worden seien, angeklagt werden. VX, WW und XV, die die ihnen zur Last gelegten Taten gestanden und mit den Strafbehörden zusammengearbeitet haben sollen, haben um Anwendung der „kleinen Kronzeugenregelung“ („mały świadek koronny“) ersucht, weswegen das vorlegende Gericht für sie die Gewährung einer außerordentlichen Strafmilderung nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs zu erwägen haben wird.

6        In den Vorabentscheidungsersuchen wird die Befürchtung geäußert, dass Disziplinarverfahren gegen den Einzelrichter des jeweiligen Ausgangsverfahrens eingeleitet werden könnten, wenn dieser in dem in den Rn. 4 und 5 des vorliegenden Urteils skizzierten Sinn entscheiden sollte.

7        Diese Befürchtung werde im Wesentlichen durch den Umstand genährt, dass infolge verschiedener Gesetzesreformen der letzten Zeit in Polen die Objektivität und Unparteilichkeit von Disziplinarverfahren gegen Richter nicht mehr gewährleistet sei und dadurch die Unabhängigkeit der vorlegenden Gerichte beeinträchtigt werde.

8        Insofern vertreten die vorlegenden Gerichte zunächst die Auffassung, dass die Zusammensetzung der Izba Dyscyplinarna Sądu Nawyższego (Disziplinarkammer des Obersten Gerichts, Polen) problematisch sei, die nach der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 5, 650, 771, 847, 848, 1045, 1443) an diesem Gericht neu eingerichtet worden sei und nach diesem Gesetz in Disziplinarsachen gegen Richter teils im ersten Rechtszug, teils als Rechtsmittelinstanz zu entscheiden habe.

9        Die Richter, die dieser Disziplinarkammer angehörten, seien nämlich vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) ernannt worden. Aufgrund der kürzlich erfolgten Änderungen der Ustawa o Krajowej Radzie Sądownictwa (Gesetz über den Landesjustizrat) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. 2011, Pos. 714) durch die Ustawa o zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz niektórych innych ustaw (Gesetz über die Änderungen des Gesetzes über den Landesjustizrat und bestimmter anderer Gesetze) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 3) stelle aber der Landesjustizrat, dessen 15 der Richterschaft angehörende Mitglieder nunmehr vom Sejm (Abgeordnetenkammer) und nicht mehr wie zuvor von der Richterschaft benannt würden, kein von der politischen Gewalt unabhängiges Organ mehr dar.

10      Zweitens sei der so neu zusammengesetzte Landesjustizrat nunmehr selbst gleichsam zu einem Disziplinarorgan geworden, da er dafür zuständig sei, über Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Gerichtspräsidenten zur Versetzung von Richtern in andere Spruchkörper zu befinden. Im Übrigen seien sehr viele Gerichtspräsidenten vom gegenwärtigen Justizminister ernannt und einige von ihnen in den Landesjustizrat gewählt worden.

11      Drittens hätten die neuen Bestimmungen, die in die Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 (Dz. U. 2018, Pos. 23, 3, 5, 106, 138, 771, 848, 1000, 1045, 1443) eingefügt worden seien und sich auf das Disziplinarverfahren gegen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit bezögen, dem Justizminister, der gleichzeitig das Amt des Generalstaatsanwalts ausübe, auf diesem Gebiet eine praktisch unbegrenzte Macht eingeräumt.

12      Der Justizminister sei nämlich befugt, erstens den für die Fälle der Richter der ordentlichen Gerichte zuständigen Disziplinarbeauftragten zu benennen, zweitens Untersuchungsverfahren einzuleiten und, falls der Disziplinarbeauftragte sich weigere, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, ihn zu zwingen, ein solches Verfahren einzuleiten, drittens einen Ad-hoc-Disziplinarbeauftragten für die Bearbeitung einer bestimmten Sache zu ernennen und viertens die Richter zu benennen, die als Disziplinarrichter an einem Berufungsgericht fungierten.

13      Darüber hinaus gehe die beträchtliche Einflussmöglichkeit, die dem Justizminister damit zukomme, nicht mit angemessenen Garantien einher. Erstens sei die rechtliche Definition von Verstößen, die zur Verhängung von Disziplinarstrafen gegen Richter führen könnten, ungenau. Zweitens könnten Disziplinarverfahren auch bei begründeter Abwesenheit des Richters, gegen den ermittelt werde, oder seines Bevollmächtigten durchgeführt werden. Drittens könnten regelwidrig erlangte Beweismittel nunmehr in solchen Verfahren verwendet werden. Viertens gebe es keine Garantie hinsichtlich der Dauer des Disziplinarverfahrens. Fünftens könne der Justizminister die Wiederaufnahme eines Disziplinarverfahrens bis zu fünf Jahre nach dessen Beendigung oder dem Erlass einer Entscheidung beantragen, falls neue Beweise auftauchten.

14      Die vorlegenden Gerichte sind der Auffassung, dass solche Disziplinarverfahren der Legislative und der Exekutive ein Mittel an die Hand gäben, Richter, deren Entscheidungen für sie unliebsam seien, aus dem Amt zu entfernen und durch die abschreckende Wirkung, die die Aussicht auf ein solches Verfahren damit auf sie ausübe, die gerichtlichen Entscheidungen, die sie zu treffen hätten, zu beeinflussen.

15      Diesen Gerichten zufolge ergibt sich aus alledem, dass im Hinblick auf den Erlass der gerichtlichen Entscheidung, die sie in dem jeweils anhängigen Ausgangsverfahren zu treffen hätten, zunächst zu entscheiden sei, ob die genannten nationalen Vorschriften über die Disziplinarordnung für Richter dadurch die richterliche Unabhängigkeit verletzten, dass sie den Betroffenen ihr nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gewährleistetes Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vorenthielten. Diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 2 und Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichte die Mitgliedstaaten nämlich, dafür zu sorgen, dass Einrichtungen, die wie die vorlegenden Gerichte über Fragen der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts entscheiden könnten, die dem Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen erfüllten, von denen die Unabhängigkeit dieser Einrichtungen von wesentlicher Bedeutung sei.

16      Unter diesen Umständen haben der Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz) und der Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau) jeweils beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

17      Die Vorlagefrage des Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz) lautet:

Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrags über die Europäische Union dahin auszulegen, dass die sich daraus ergebende Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, Bestimmungen entgegensteht, die das Risiko der Verletzung der Garantie eines unparteiischen Disziplinarverfahrens gegen Richter in Polen wesentlich erhöhen, indem sie

1.      politische Einflussnahme auf das Disziplinarverfahren ermöglichen,

2.      die Gefahr heraufbeschwören, dass das System der Disziplinarmaßnahmen dazu genutzt wird, die Entscheidungen der Gerichte einer politischen Kontrolle zu unterwerfen, und

3.      es ermöglichen, in Disziplinarverfahren gegen Richter Beweismittel zu verwerten, die durch eine Straftat erlangt wurden?

18      Der Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau) hat seinerseits dem Gerichtshof folgende Vorlagefrage vorgelegt:

Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass die sich daraus ergebende Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, Bestimmungen entgegensteht, die die Garantie eines unparteiischen Disziplinarverfahrens gegen Richter in Polen verletzen, indem sie politische Einflussnahme auf die Disziplinarverfahren ermöglichen und die Gefahr heraufbeschwören, dass das System der Disziplinarmaßnahmen dazu genutzt wird, die Entscheidungen der Gerichte einer politischen Kontrolle zu unterwerfen?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

19      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Oktober 2018 sind die Rechtssachen C‑558/18 und C‑563/18 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

20      Im schriftlichen Verfahren vor dem Gerichtshof haben der Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz) mit Schreiben vom 7. und vom 11. Dezember 2018 und der Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau) mit Schreiben vom 30. Oktober und vom 12. Dezember 2018 dem Gerichtshof mitgeteilt, dass die beiden Richter, die ihm in diesen Rechtssachen Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hätten, von einem für die Fälle der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständigen stellvertretenden Disziplinarbeauftragten eine Ladung erhalten hätten, als Zeugen zu einer Anhörung über die Gründe, die sie dazu veranlasst hätten, diese Fragen zu stellen, und über das mögliche Vorliegen einer Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit zu erscheinen, weil die fraglichen beiden Richter ihre jeweiligen Vorabentscheidungsersuchen womöglich nicht selbständig erlassen hätten.

21      In diesen Schreiben wiesen die beiden vorlegenden Gerichte auch darauf hin, dass den betreffenden Richtern in diesen Anhörungen Fragen gestellt worden seien, die unter das Beratungsgeheimnis fielen. Zudem hätten beide Richter von dem stellvertretenden Disziplinarbeauftragten eine Weisung erhalten, mit der sie aufgefordert worden seien, sich schriftlich dazu zu äußern, ob „die richterlichen Entscheidungsbefugnisse überschritten“ worden sein könnten, da sie die fraglichen Vorabentscheidungsersuchen unter Missachtung der Voraussetzungen von Art. 267 AEUV vorgelegt hätten.

22      Mit Schreiben, die am 24. Dezember 2019 sowie am 13. Februar und am 2. März 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht worden sind, hat der Rzecznik Praw Obywatelskich (Ombudsmann, Polen) um Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens ersucht.

23      Zur Begründung seines Ersuchens vom 24. Dezember 2019 trägt der Ombudsmann vor, dass der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen davon ausgegangen sei, dass die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen im Wesentlichen deshalb für unzulässig erklärt werden müssten, weil der Gerichtshof nicht über genügende tatsächliche und rechtliche Grundlagen verfüge, um über diese Ersuchen zu entscheiden und festzustellen, ob eine Verletzung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit vorliege. Unter diesen Umständen solle der Gerichtshof eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anordnen, um es zum einen den Parteien zu ermöglichen, sich zu einem solchen etwaigen Grund für die Unzulässigkeit dieser Ersuchen zu äußern, der, wie vom Generalanwalt ausgeführt, von den Parteien weder vorgetragen noch erörtert worden sei, und um zum anderen die Umstände der Rechtssachen erforderlichenfalls weiter zu klären.

24      Im selben Ersuchen weist der Ombudsmann auch auf neue Tatsachen hin, die seit dem Abschluss des mündlichen Verfahrens eingetreten seien und belegen könnten, dass die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen nicht hypothetischer Natur seien und daher einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung ausüben könnten, die er in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen zu treffen habe. Diese neuen Tatsachen bestünden zum einen in einer Reihe konkreter Fälle, in denen in letzter Zeit Disziplinarverfahren gegen Richter aufgrund des Inhalts ihrer Entscheidungen und insbesondere solcher Entscheidungen eingeleitet worden seien, in denen diese Richter die Absicht gehabt hätten, den aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), folgenden Erkenntnissen zu folgen.

25      Zum anderen habe der Sejm am 20. Dezember 2019 die Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über den Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht] sowie bestimmter anderer Gesetze) erlassen, deren Gegenstand darin bestehe, die Disziplinarordnung für Richter erheblich zu verschärfen und die, u. a. um diesem Urteil des Gerichtshofs seine Wirkung zu nehmen, vorsehe, dass die Gültigkeit der Ernennung eines Richters oder die Rechtmäßigkeit eines Verfassungsorgans von einem Gericht unter Androhung eines Disziplinarverfahrens gegen den oder die dort amtierenden Richter nicht in Frage gestellt werden dürfe. Mit der gleichen Zielrichtung weise dieses Gesetz künftig jede Prüfung von Rügen der mangelnden Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts der ausschließlichen Zuständigkeit der kürzlich eingerichteten Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych Sądu Nawyższego (Kammer für die außerordentliche Kontrolle und öffentlich-rechtlichen Sachen beim Obersten Gericht, Polen) zu, die ähnliche Mängel insbesondere hinsichtlich des Verfahrens zur Ernennung ihrer Mitglieder aufweise wie diejenigen, die vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), bezüglich der Disziplinarkammer hervorgehoben worden seien.

26      In seinem Zusatzantrag vom 13. Februar 2020 weist der Ombudsmann zum einen darauf hin, dass dieses Gesetz vom 20. Dezember 2019 inzwischen am 4. Februar 2020 vom Präsidenten der Republik Polen unterzeichnet und veröffentlicht (Dz. U. 2020, Pos. 190) worden sei; als Datum seines Inkrafttretens sei der 14. Februar 2020 festgesetzt worden. Zum anderen weist er auf die Fortsetzung und Vervielfachung von Disziplinarverfahren und Verwaltungsmaßnahmen sowie auf die künftige Verhängung von disziplinarischen Sanktionen gegen Richter insbesondere aus den bereits in Rn. 24 des vorliegenden Urteils genannten Gründen hin. In seinem Zusatzantrag vom 2. März 2020 führt der Ombudsmann aus, dass die Prokuratura Krajowa (Nationale Staatsanwaltschaft, Polen) gemäß dem Gesetz vom 20. Dezember 2019 kürzlich bei der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts einen Antrag auf Aufhebung der Immunität desjenigen Richters gestellt habe, der um Vorabentscheidung in der Rechtssache C‑563/18 ersucht habe, und um Genehmigung, diesen strafrechtlich dafür verantwortlich zu machen, dass er den Medien erlaubt habe, die Verkündung einer Entscheidung aufzuzeichnen, die im Zusammenhang mit einer Rechtssache ergangen sei, die sich auf die Beanstandung der Verlegung des Sitzungsorts des Sejm beziehe, und mit der er die Staatsanwaltschaft angewiesen habe, die Ermittlungen in Bezug auf diese Verlegung wieder aufzunehmen. Die Entwicklung in Anbetracht dieser neuen Tatsachen müsse vom Gerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit und der sachlichen Prüfung der ihm in den vorliegenden Rechtssachen vorgelegten Fragen berücksichtigt werden, was eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens durch den Gerichtshof rechtfertigte.

27      Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung des Gerichtshofs für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten nicht die Möglichkeit vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Zum anderen stellt der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden. Dass eine Partei nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Der Gerichtshof kann jedoch nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

30      Im vorliegenden Fall vertritt der Gerichtshof jedoch nach Anhörung des Generalanwalts die Auffassung, dass er am Ende des schriftlichen Verfahrens und der vor ihm abgehaltenen mündlichen Verhandlung über alle für die Urteilsfindung erforderlichen Informationen verfügt und dass die vom Ombudsmann angeführten neuen Tatsachen nicht geeignet sind, die Entscheidung des Gerichtshofs maßgeblich zu beeinflussen. Er stellt ferner fest, dass bei den vorliegenden verbundenen Rechtssachen auch kein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist. Das mündliche Verfahren ist daher nicht wiederzueröffnen.

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

31      Der Fiskus, der Prokurator generalny (Generalstaatsanwalt, Polen) und die polnische Regierung rügen die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen, wobei sie im Wesentlichen geltend machen, dass sowohl die Ausgangsverfahren, die bloß nationale Bezüge aufwiesen und nicht den vom Unionsrecht erfassten Bereichen unterfielen, als auch die nationalen Vorschriften über die nationale Gerichtsverfassung und über die gegen die Richter zu verhängenden Disziplinarmaßnahmen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen, vom Geltungsbereich des Unionsrechts ausgenommen seien.

32      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach der Bestimmung des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, auf deren Auslegung sich im vorliegenden Fall die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen beziehen, die erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen, damit den Einzelnen die Wahrung ihres Anspruchs auf einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet wird. Die Mitgliedstaaten müssen daher ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorsehen, mit dem in diesen Bereichen eine wirksame gerichtliche Kontrolle gewährleistet ist (Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Was den Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV anbelangt, ergibt sich zudem aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diese Bestimmung die „vom Unionsrecht erfassten Bereiche“ betrifft, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durchführen (Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 29, und vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist daher u. a. auf jede nationale Einrichtung anwendbar, die als Gericht über Fragen der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts und somit über Fragen aus den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 40, sowie vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Dies trifft auf die vorlegenden Gerichte zu, die nämlich in ihrer Eigenschaft als polnische ordentliche Gerichte zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts berufen sein können und als „Gerichte“ im Sinne dieses Rechts Bestandteil des polnischen Rechtsbehelfssystems in den „vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sind, so dass diese Gerichte den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden müssen (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 104).

36      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass zwar die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt, die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, ergeben (Urteil vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Gerichtshof für die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zuständig ist.

 Zur Zulässigkeit

38      Der Fiskus, der Prokurator generalny (Generalstaatsanwalt) und die polnische Regierung rügen aus folgenden Gründen auch die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen. Zum einen erfüllten die Vorabentscheidungsersuchen nicht die Anforderungen gemäß Art. 94 der Verfahrensordnung, weil in ihnen insbesondere nicht näher darauf eingegangen worden sei, welcher Zusammenhang zwischen der unionsrechtlichen Vorschrift, um deren Auslegung ersucht werde, und dem auf die Ausgangsverfahren anwendbaren nationalen Recht bestehe.

39      Zum anderen hätten die vorgelegten Fragen keinen Bezug zu den Verfahren und dem Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten und seien allgemeiner und hypothetischer Art, da die vorlegenden Gerichte in diesen Verfahren weder die nationalen Bestimmungen über die Disziplinarordnung für Richter noch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV anzuwenden hätten. Dieser hypothetische Charakter ergebe sich auch daraus, dass die Einleitung von Disziplinarverfahren im Anschluss an die Entscheidungen, die die vorlegenden Gerichte in den Ausgangsverfahren zu treffen hätten, in diesem Stadium bloß möglich erscheine, so dass sich die Fragen mithin nicht auf die Ausgangsverfahren, sondern auf etwaige künftige Rechtsstreitigkeiten bezögen, in denen die betreffenden Richter den nationalen Disziplinarbehörden gegenüberstehen könnten. Eine Beantwortung der genannten Fragen könne weder die Pflicht der vorlegenden Gerichte, über die Ausgangsverfahren auf der Grundlage der geltenden materiell- und verfahrensrechtlichen Bestimmungen des nationalen Rechts zu entscheiden, beeinflussen noch den Umfang dieser Verpflichtung ändern. Sie sei daher für die Urteilsfindung in diesen Rechtssachen nicht erforderlich.

40      Auch die Europäische Kommission hält die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, da die unionsrechtliche Regelung, auf die sich die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen bezögen, keinen Bezug zum Gegenstand der Ausgangsverfahren habe, bei denen es zum einen um die Erstattung von Kosten gehe, die einer polnischen Stadt bei der Erfüllung bestimmter ihr übertragener Aufgaben im Bereich der hoheitlichen Verwaltung entstanden seien, und zum anderen um die strafrechtliche Verfolgung bestimmter Personen wegen ihrer Beteiligung an Entführungen, in deren Rahmen u. a. eine außerordentliche Strafmilderung in Betracht komme. Im Übrigen sei die Antwort, die der Gerichtshof auf die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen geben könne, nicht geeignet, einer vorab zu treffenden Entscheidung die Richtung zu weisen, die die vorlegenden Gerichte in verfahrensrechtlicher Hinsicht oder bezüglich ihrer eigenen Zuständigkeit zu treffen hätten, bevor sie gegebenenfalls über die Ausgangsverfahren in der Sache entschieden. Für eine solche Antwort bestehe somit kein Bedarf für die Entscheidung in den Ausgangsverfahren, sondern sie liefe für den Gerichtshof auf die Erstattung eines Gutachtens zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen hinaus.

41      Zu diesen verschiedenen Gesichtspunkten ist zunächst festzustellen, dass die vorlegenden Gerichte in ihren Vorabentscheidungsersuchen erstens die Umstände der Ausgangsverfahren hinreichend genau dargelegt und zweitens die Bestimmungen, die den neuen nationalen Rechtsrahmen der Disziplinarordnung für Richter bilden, im Einzelnen angegeben haben. Drittens haben diese Gerichte sowohl dargelegt, warum sie als nationale Gerichte, die über die Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts entscheiden können, Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV haben, als auch angegeben, warum sie eine Antwort auf die dem Gerichtshof vorgelegten Auslegungsfragen für die Urteilsfindung in den anhängigen Ausgangsverfahren angesichts der in den diesen Verfahren jeweils eigenen besonderen Zusammenhängen gehegten Befürchtungen für erforderlich halten, dass gegen die betreffenden Richter ein Disziplinarverfahren durchgeführt werde, wenn sie sich dazu veranlasst sähen, in diesen Verfahren in der in den Rn. 4 und 5 des vorliegenden Urteils skizzierten Weise zu entscheiden.

42      Die genannten Gerichte haben damit die Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung, insbesondere die des Buchst. c dieses Artikels, erfüllt, indem sie die Gründe, aus denen sie im vorliegenden Fall Zweifel bezüglich der Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV hegen, und insbesondere den Zusammenhang dargelegt haben, den sie zwischen dieser Vorschrift des Vertrags und den nationalen Bestimmungen herstellen, die ihrer Ansicht nach geeignet sind, das gerichtliche Verfahren, an dessen Ende sie ihre Urteile verkünden werden, und folglich den Ausgang der bei ihnen anhängigen Ausgangsverfahren zu beeinflussen.

43      Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat (Urteile vom 15. Mai 2003, Salzmann, C‑300/01, EU:C:2003:283, Rn. 31, und vom 29. Juni 2017, Popławski, C‑579/15, EU:C:2017:503, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Es entspricht jedoch auch einer ständigen Rechtsprechung, dass das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 33, sowie vom 19. Dezember 2013, Fish Legal und Shirley, C‑279/12, EU:C:2013:853, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens liegt nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass dessen Antwort für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (Urteile vom 15. Juni 1995, Zabala Erasun u. a., C‑422/93 bis C‑424/93, EU:C:1995:183, Rn. 29, und vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 267 AEUV ergibt, muss die beantragte Vorabentscheidung „erforderlich“ sein, um dem vorlegenden Gericht den „Erlass seines Urteils“ in der bei ihm anhängigen Rechtssache zu ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Februar 2011, Weryński, C‑283/09, EU:C:2011:85, Rn. 35).

46      Der Gerichtshof hat daher wiederholt darauf hingewiesen, dass sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Aufbau von Art. 267 AEUV folgt, dass das Vorabentscheidungsverfahren insbesondere voraussetzt, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das Urteil des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren berücksichtigt werden kann (Urteile vom 21. April 1988, Pardini, 338/85, EU:C:1988:194, Rn. 11, vom 4. Oktober 1991, Society for the Protection of Unborn Children Ireland, C‑159/90, EU:C:1991:378, Rn. 12 und 13, und vom 27. Februar 2014, Pohotovosť, C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Die Aufgabe des Gerichtshofs muss in diesem Zusammenhang danach unterschieden werden, ob er mit einem Vorabentscheidungsersuchen oder einer Vertragsverletzungsklage befasst ist. Während der Gerichtshof nämlich im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage prüfen muss, ob die von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat beanstandete nationale Maßnahme oder Praxis allgemein und ohne dass diesbezüglich ein Rechtsstreit vor die nationalen Gerichte gebracht zu werden braucht, dem Unionsrecht zuwiderläuft, besteht die Aufgabe des Gerichtshofs in einem Vorabentscheidungsverfahren dagegen darin, das vorlegende Gericht bei der Entscheidung des konkret bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu unterstützen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 49).

48      In einem solchen Verfahren muss daher ein Bezug zwischen dem fraglichen Rechtsstreit und den Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung ersucht wird, bestehen, so dass diese Auslegung einem objektiven Erfordernis für die Entscheidung entspricht, die das nationale Gericht zu treffen hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 25. Mai 1998, Nour, C‑361/97, EU:C:1998:250, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass in der Sache die Ausgangsverfahren keinen Bezug zum Unionsrecht, insbesondere nicht zu dem in den Vorlagefragen herangezogenen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, aufweisen und dass die vorlegenden Gerichte daher das Unionsrecht oder diese Vorschrift nicht anwenden müssen, um daraus die in diesen Verfahren zu treffende Entscheidung in der Sache herzuleiten. Insoweit unterscheiden sich die vorliegenden verbundenen Rechtssachen u. a. von der dem Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), zugrunde liegenden Rechtssache, in der beim vorlegenden Gericht eine Klage auf Aufhebung von Verwaltungsakten anhängig war, mit denen die Bezüge der Mitglieder des Tribunal de Contas (Rechnungshof, Portugal) in Anwendung eines nationalen Gesetzes gekürzt wurden, das eine solche Kürzung vorsah und dessen Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vor diesem vorlegenden Gericht gerügt wurde.

50      Zweitens hat der Gerichtshof zwar bereits zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen für zulässig erklärt, die sich auf die Auslegung von Verfahrensvorschriften des Unionsrechts beziehen, die das betreffende vorlegende Gericht zum Erlass seines Urteils anwenden muss (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 17. Februar 2011, Weryński, C‑283/09, EU:C:2011:85, Rn. 41 und 42); um dergleichen geht es jedoch nicht in den Fragen, die im Rahmen der vorliegenden verbundenen Rechtssachen gestellt worden sind.

51      Drittens erscheint eine Antwort des Gerichtshofs auf diese Fragen auch nicht geeignet, den nationalen Gerichten eine Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglicht, über Verfahrensfragen des nationalen Rechts zu entscheiden, bevor sie in den bei ihnen anhängigen Verfahren in der Sache entscheiden können. Darin unterscheiden sich die vorliegenden Rechtssachen beispielsweise auch von den Rechtssachen, die dem Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), zugrunde liegen, in denen die Auslegung im Rahmen der Vorabentscheidung, um die der Gerichtshof ersucht wurde, wie insbesondere den Rn. 100, 112 und 113 dieses Urteils zu entnehmen ist, geeignet war, die Frage der Bestimmung des für die Sachentscheidung von Rechtsstreitigkeiten, die das Unionsrecht betrafen, zuständigen Gerichts zu beeinflussen.

52      Unter diesen Umständen ergibt sich aus den Vorabentscheidungsersuchen nicht, dass zwischen der unionsrechtlichen Vorschrift, auf die sich die vorliegenden zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen beziehen, und den Ausgangsverfahren ein Bezug bestünde, aufgrund dessen die Auslegung, um die ersucht wird, erforderlich werden könnte, damit die vorlegenden Gerichte entsprechend den aus einer solchen Auslegung zu ziehenden Erkenntnissen Entscheidungen treffen könnten, deren es bedürfte, um über diese Rechtssachen zu befinden.

53      Die genannten Fragen betreffen daher keine Auslegung des Unionsrechts, die für die Entscheidungsfindung in den genannten Rechtssachen objektiv erforderlich wäre, sondern sind allgemeiner Natur.

54      In Bezug auf den Umstand, auf den die vorlegenden Gerichte in ihren in den Rn. 20 und 21 des vorliegenden Urteils genannten Schreiben hinweisen, wonach gegen die beiden Richter, die vorliegend um Vorabentscheidung ersucht haben, aufgrund dieser Vorabentscheidungsersuchen eine Voruntersuchung vor einem möglichen Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei, ist festzustellen, dass ein solcher Umstand nicht Gegenstand der Ausgangsverfahren ist, in deren Rahmen der Gerichtshof in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen um Vorabentscheidung ersucht wird. Im Übrigen ist zur Kenntnis zu nehmen, dass, wie die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof dargelegt hat, diese Untersuchungsverfahren inzwischen mit der Begründung abgeschlossen wurden, dass kein in einer Verletzung der Würde des Amtes aufgrund der Formulierung der Vorabentscheidungsersuchen bestehender Disziplinarverstoß festgestellt worden sei.

55      In diesem Zusammenhang ist jedoch daran zu erinnern, dass, wie aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, das Schlüsselelement des durch die Verträge geschaffenen Gerichtssystems in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren besteht, das durch die Einrichtung eines Dialogs von Gericht zu Gericht zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht (Gutachten 2/13 vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 176, und Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 41).

56      Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verleiht Art. 267 AEUV den nationalen Gerichten ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an diesen, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, deren Beantwortung für die Entscheidung des ihnen unterbreiteten Rechtsstreits erforderlich ist. Den nationalen Gerichten steht es zudem frei, diese Möglichkeit in jedem Moment des Verfahrens, den sie für geeignet halten, wahrzunehmen (vgl. Urteile vom 5. Oktober 2010, Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 26, und vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Eine nationale Vorschrift kann daher ein nationales Gericht nicht daran hindern, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen, die nämlich dem durch Art. 267 AEUV errichteten System der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof und den mit dieser Bestimmung den nationalen Gerichten zugewiesenen Aufgaben des zur Anwendung des Unionsrechts berufenen Richters inhärent ist (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Nationale Bestimmungen, nach denen gegen nationale Richter ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden kann, weil sie ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof gerichtet haben, können daher nicht zugelassen werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Oktober 2018, Miasto Łowicz und Prokuratura Okręgowa w Płocku, C‑558/18 und C‑563/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:923, Rn. 21). Die bloße Aussicht darauf, dass aufgrund eines solchen Ersuchens oder der Entscheidung, dieses nach seiner Vorlage aufrechtzuerhalten, gegebenenfalls ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden könnte, ist nämlich geeignet, die tatsächliche Ausübung der in vorstehender Randnummer genannten Befugnisse und Funktionen durch die betreffenden nationalen Richter zu beeinträchtigen.

59      Der Umstand, dass die Richter keinen Disziplinarverfahren oder -strafen für die Ausübung einer solchen in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs ausgesetzt sind, stellt zudem eine wesentliche Garantie für ihre Unabhängigkeit dar (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 12. Februar 2019, RH, C‑8/19 PPU, EU:C:2019:110, Rn. 47), die insbesondere für das reibungslose Funktionieren des Systems der justiziellen Zusammenarbeit von wesentlicher Bedeutung ist, das durch den in Art. 267 AEUV vorgesehenen Mechanismus des Vorabentscheidungsersuchens verkörpert wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Nach alledem sind die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären.

 Kosten

61      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die vom Sąd Okręgowy w Łodzi (Bezirksgericht Lodz, Polen) und vom Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) mit Entscheidungen vom 31. August 2018 und 4. September 2018 eingereichten Vorabentscheidungsersuchen sind unzulässig.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Polnisch.