Language of document : ECLI:EU:T:2005:29

Rechtssache T-57/03

Société provençale d'achat et de gestion (SPAG) SAS

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung des Wortzeichens HOOLIGAN als Gemeinschaftsmarke – Ältere Wortmarken OLLY GAN – Sach- und Rechtsvortrag, der nicht gegenüber dem HABM vorgebracht wurde – Zulässigkeit – Verwechslungsgefahr“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage beim Gemeinschaftsrichter – Rechtmäßigkeit der Entscheidung einer Beschwerdekammer im Zusammenhang mit einem Widerspruchsverfahren – Anfechtung unter Geltendmachung neuer rechtlicher Gesichtspunkte – Zulässigkeitsvoraussetzungen

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 74 Absatz 1)

2.      Gemeinschaftsmarke – Verfahrensvorschriften – Widerspruchsverfahren – Auf das Vorbringen beschränkte Prüfung – Bekanntheit der älteren Marke – Obliegenheit der Beteiligten, die ihr Vorbringen stützenden Tatsachen und Beweismittel beizubringen – Originäre Unterscheidungskraft der älteren Marke – Prüfung von Amts wegen

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 74)

3.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Wortmarken „HOOLIGAN“ und „OLLY GAN“

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)

1.      Aus Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke ergibt sich, dass eine Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) ihre Entscheidung über eine Beschwerde, mit der eine ein Widerspruchsverfahren abschließende Entscheidung angefochten wurde, nur auf die von dem betroffenen Verfahrensbeteiligten geltend gemachten relativen Eintragungshindernisse und die von ihm hierzu vorgetragenen Tatsachen und beigebrachten Beweise stützen darf.

Da die Tatbestandsvoraussetzungen eines relativen Eintragungshindernisses oder jeder anderen Bestimmung, auf die sich die Beteiligten zur Begründung ihrer Anträge berufen, naturgemäß Bestandteil der rechtlichen Gesichtspunkte sind, die der Prüfung des Amtes unterliegen, gilt dies auch für eine Rechtsfrage, die zur Beurteilung des Parteivorbringens und für eine stattgebende oder abweisende Entscheidung notwendigerweise geprüft werden muss, selbst wenn sich die Beteiligten zu dieser Frage nicht geäußert haben oder es das Amt unterlassen hat, zu diesem Aspekt Stellung zu nehmen. Ebenso gehört, wenn ein Rechtsfehler des Amtes bei der Behandlung der Anträge der Beteiligten, etwa eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, gerügt wird, auch dieser behauptete Rechtsfehler zum rechtlichen Rahmen des Verfahrens.

Dagegen können rechtliche Gesichtspunkte, die erstmals vor dem Gericht vorgetragen werden, ohne vorher gegenüber einer Stelle des Amtes vorgebracht worden zu sein, die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Beschwerdekammer hinsichtlich der Anwendung eines relativen Eintragungshindernisses nicht berühren, soweit sie sich auf eine Rechtsfrage beziehen, die für eine fehlerfreie Anwendung der Verordnung Nr. 40/94 im Hinblick auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten nicht relevant war, da diese Gesichtspunkte nicht zu dem rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits gehören, mit dem die Beschwerdekammer befasst war. Sie sind deshalb unzulässig.

Musste hingegen zwingend eine bestimmte Rechtsvorschrift beachtet oder eine Rechtsfrage entschieden werden, um eine fehlerfreie Anwendung der Verordnung Nr. 40/94 im Hinblick auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zu gewährleisten, so kann ein mit dieser Frage zusammenhängender rechtlicher Gesichtspunkt auch noch erstmals vor dem Gericht geltend gemacht werden.

Im Einklang mit dem Grundsatz der Waffengleichheit unterliegen Streithelfer vor dem Gericht den gleichen Zulässigkeitsregeln wie Kläger.

(vgl. Randnrn. 21-23)

2.      Nach Artikel 74 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke hat das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zwar jedes Vorbringen zu prüfen, mit dem eine durch Bekanntheit erhöhte Kennzeichnungskraft einer Marke geltend gemacht wird. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein Beteiligter weder vorgetragen noch Beweismittel dafür vorgebracht hat, dass eine ältere Marke bekannt sei. Da nämlich über die Bekanntheit einer Marke a priori nur Vermutungen angestellt werden können, obliegt es den Beteiligten, ihr Vorbringen hinreichend zu substanziieren, um dem Amt eine uneingeschränkte Entscheidung über die von ihnen geltend gemachten Ansprüche zu ermöglichen. Weiterhin beruht die Beurteilung der Bekanntheit einer Marke grundsätzlich auf Tatsachen, die die Beteiligten vorzubringen haben. Wenn sich ein Widersprechender darauf berufen möchte, dass seine Marke weithin bekannt sei, so hat er die Tatsachen und gegebenenfalls die Beweismittel beizubringen, die es dem Amt ermöglichen, zu prüfen, ob diese Behauptung zutrifft.

Was hingegen die originäre Kennzeichnungskraft einer älteren Marke betrifft, so muss das Amt diesen Gesichtspunkt auf einen Widerspruch hin gegebenenfalls auch von Amts wegen prüfen. Denn anders als die Bekanntheit einer Marke hängt die Beurteilung ihrer originären Kennzeichnungskraft von keinerlei Tatsachen ab, die die Beteiligten beizubringen hätten. Diese Beurteilung setzt auch kein Parteivorbringen voraus, um eine solche originäre Kennzeichnungskraft darzutun, da diese vom Amt allein anhand der Widerspruchsmarke ermittelt und beurteilt werden kann.

(vgl. Randnrn. 30, 32)

3.      Es besteht für die französischen und portugiesischen Durchschnittsverbraucher keine Verwechslungsgefahr zwischen dem als Gemeinschaftsmarke angemeldeten Wortzeichen HOOLIGAN für „Bekleidungsstücke und Kopfbedeckungen“ in Klasse 25 des Nizzaer Abkommens und dem als internationale Marke mit Schutzwirkung u. a. für Portugal und als nationale Marke in Frankreich eingetragenen Wortzeichen OLLY GAN für u. a. Bekleidungsstücke ebenfalls in Klasse 25, da die Zeichen trotz klanglicher Ähnlichkeit visuell und begrifflich unterschiedlich sind und für die älteren Marken keine erhöhte originäre Kennzeichnungskraft geltend gemacht werden kann, womit bei den maßgeblichen Verkehrskreisen, insbesondere im Bekleidungssektor, keine Verwechslungen der Anmeldemarke mit den älteren Marken hervorgerufen werden.

(vgl. Randnrn. 56, 62, 65, 67, 69)