Language of document : ECLI:EU:T:2018:755

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

8. November 2018(*)

„Öffentliche Aufträge – Ausschreibungsverfahren – Ermittlungen eines privaten Prüfers – Ermittlungen des OLAF – Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten – Beschluss der Kommission, mit dem eine Verwaltungssanktion gegen den Kläger verhängt wird – Ausschluss von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Gewährung von Finanzbeihilfen aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union für die Dauer von sechs Monaten – Aufnahme in die Datenbank des Früherkennungs- und Ausschlusssystems – Neues Vorbringen – Verteidigungsrechte“

In der Rechtssache T‑454/17

Pro NGO!“ (Non-Governmental-Organisations/Nicht-Regierungs-Organisationen) e. V. mit Sitz in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Scheid,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Dintilhac und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission vom 16. Mai 2017, mit dem gegen den Kläger eine Verwaltungssanktion in Form des Ausschlusses, für die Dauer von sechs Monaten, von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Gewährung von Finanzbeihilfen aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union nach der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) sowie von der Gewährung von Finanzmitteln nach der Verordnung (EU) 2015/323 des Rates vom 2. März 2015 über die Finanzregelung für den 11. Europäischen Entwicklungsfonds (ABl. 2015, L 58, S. 17) verhängt wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni sowie der Richter L. Madise und R. da Silva Passos (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Der Kläger, der „Pro NGO!“ (Non-Governmental-Organisations/Nicht-Regierungs-Organisationen) e. V., ist ein in Deutschland eingetragener Verein, der Nichtregierungsorganisationen bei der Beantragung von Finanzhilfen für ihre Projekte und bei deren Durchführung berät und unterstützt.

2        Am 15. Juli 2011 unterzeichnete der Kläger eine „Partnerschaftserklärung“ in Bezug auf ein von der Europäischen Kommission finanziell unterstütztes Projekt, mit der er den Hauptantragsteller ermächtigte, einen „Zuschussvertrag mit der Kommission“ zu unterzeichnen und ihn gegenüber der Kommission in allen mit der Umsetzung dieses Projekts zusammenhängenden Angelegenheiten zu vertreten.

3        Am 29. Dezember 2011 schloss die Europäische Union, vertreten durch ihre Delegation in der Republik Moldawien, mit der Organisation „International Society for Human Rights – Moldavian Section“ (im Folgenden: ISHR‑MS) einen Zuschussvertrag (im Folgenden: Zuschussvertrag) für das Projekt „Stärkung der moldawischen zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Vorbeugung von HIV/AIDS und der Betreuung weiblicher und jugendlicher Häftlinge“ (im Folgenden: Projekt). Die förderfähigen Gesamtkosten des Projekts wurden mit 517 531 Euro veranschlagt. Für die finanzielle Förderung durch die Union wurde ein Höchstbetrag von 414 025 Euro festgelegt.

4        Nach Art. 5.3 des Anhangs IV des Zuschussvertrags mussten Lieferverträge mit einem Wert von mehr als 10 000 Euro und weniger als 60 000 Euro im Anschluss an ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung geschlossen werden, wobei die ISHR‑MS verpflichtet war, mindestens drei Lieferanten zu konsultieren und mit einem oder mehreren von ihnen über die Vertragsbedingungen zu verhandeln.

5        Am 17. Januar 2012 schlossen die ISHR‑MS und der Kläger eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der Durchführung des Projekts (im Folgenden: Kooperationsvereinbarung).

6        Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: Prüfer) führte im Auftrag der Kommission eine Prüfung des Projekts (im Folgenden: Prüfung) durch. Sie fand in zwei Phasen statt: Die erste Phase, die sich vom 8. bis zum 12. April 2013 erstreckte, betraf den Zeitraum vom 30. Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2012, und die zweite Phase, die sich vom 21. bis zum 23. Juli 2014 erstreckte, betraf den Folgezeitraum bis zum 26. April 2013.

7        Im Anschluss an die erste Prüfungsphase teilte der Prüfer der Kommission mit Schreiben vom 3. Mai 2013 mit, dass er bei einer Besprechung am 9. April 2013 zusätzliche Informationen über das Vergabeverfahren verlangt habe, anhand dessen das mit Verlagsarbeiten für das Projekt betraute Unternehmen ausgewählt worden sei. In diesem Schreiben führt der Prüfer aus, ihm sei vom Kläger und von der ISHR‑MS zunächst mitgeteilt worden, dass kein spezielles Verfahren durchgeführt worden sei, weil die fraglichen Beträge in Höhe von insgesamt 42 424,44 Euro unterschiedlichen Haushaltslinien zugeordnet worden seien. Außerdem habe ihm ein Vertreter des Klägers am Folgetag bei einer Besprechung drei Angebote verschiedener Verlagsgesellschaften vorgelegt und erklärt, dass er die gestellte Frage falsch verstanden habe und dass diese drei Angebote vor der Auswahl des Lieferanten berücksichtigt worden seien.

8        Sodann legte die ISHR‑MS dem Prüfer ihre Stellungnahme zu einem Berichtsentwurf vom 17. Oktober 2013 über die erste Prüfungsphase vor. Sie machte dabei u. a. Folgendes geltend: „Der Prüfer fragte uns [bei der Besprechung am 9. April 2013], ob ein Vergabeverfahren [zur Auswahl des Erbringers der Verlagsarbeiten] durchgeführt worden sei. Unsere Antwort war, dass kein Vergabeverfahren stattgefunden hatte, weil die Durchführung eines solchen Verfahrens nach unserem Vertrag nicht erforderlich war. Es gab ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung. … Gleich am nächsten Morgen legten wir dem Prüfer drei Angebote von drei verschiedenen Verlagen sowie einen Vertrag mit dem ausgewählten Anbieter vor und erläuterten das von uns durchgeführte Verhandlungsverfahren. Es wurde kein weiterer Nachweis verlangt.“

9        Am 23. Januar 2015 verfasste das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) einen Bericht über eine Untersuchung möglicher Unregelmäßigkeiten im Rahmen des Projekts (im Folgenden: OLAF‑Bericht).

10      Am 8. September 2015 erstellte der Prüfer seinen endgültigen Prüfbericht (im Folgenden: endgültiger Prüfbericht).

11      Mit Schreiben vom 16. Januar 2017 teilte das gemäß Art. 108 Abs. 5 bis 10 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) zur Erkennung von Risiken für die finanziellen Interessen der Union und zur Verhängung von Verwaltungssanktionen eingerichtete Gremium (im Folgenden: Gremium) dem Kläger mit, dass es von der Kommission ersucht worden sei, eine Empfehlung abzugeben, bevor eine Entscheidung über den Ausschluss des Klägers von der Teilnahme an Vergabe- und Finanzhilfeverfahren getroffen werde. In Ziff. 3.2 dieses Schreibens heißt es, bei der Prüfung sei festgestellt worden, dass die ISHR‑MS kein Vergabeverfahren gemäß Anhang IV des Zuschussvertrags durchgeführt habe. Außerdem wird dort ausgeführt, dass der Kläger dem Prüfer gefälschte Dokumente vorgelegt habe, um den Eindruck zu erwecken, dass die Vergabeverfahren durchgeführt worden seien.

12      Der Kläger nahm hierzu mit Schreiben vom 30. Januar 2017 Stellung.

13      Mit Schreiben vom 9. Februar und vom 6. März 2017 übermittelte das Gremium dem Kläger weitere Dokumente. Dieser nahm zu ihnen mit Schreiben vom 15. Februar und vom 8. März 2017 Stellung.

14      Am 24. März 2017 gab das Gremium eine Empfehlung ab, in der es der Kommission vorschlug, den Kläger wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit für die Dauer von sechs Monaten von der Teilnahme an Vergabe- und Finanzhilfeverfahren auszuschließen.

15      Mit Beschluss vom 24. März 2017 schloss die Kommission die ISHR‑MS für die Dauer von zwei Jahren von der Teilnahme an Vergabe- und Finanzhilfeverfahren aus.

16      Der oben in Rn. 14 erwähnten Empfehlung folgend erließ die Kommission den Beschluss vom 16. Mai 2017 über die Verhängung einer Verwaltungssanktion gegen den Kläger, mit der dieser wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit für die Dauer von sechs Monaten von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Gewährung von Finanzbeihilfen aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union nach der Verordnung Nr. 966/2012 sowie von der Gewährung von Finanzmitteln nach der Verordnung (EU) 2015/323 des Rates vom 2. März 2015 über die Finanzregelung für den 11. Europäischen Entwicklungsfonds (ABl. 2015, L 58, S. 17) ausgeschlossen wurde (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

17      Im 39. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses führte die Kommission aus, die Tatsache, dass die fraglichen Dokumente auf Betreiben der ISHR‑MS angefertigt worden seien, stehe nicht im Widerspruch dazu, dass der Kläger sie dem Prüfer vorgelegt habe, um ihn von der ordnungsgemäßen Durchführung der Vergabeverfahren zu überzeugen. Weiter heißt es dort, bereits die Tatsache, dass der Kläger diese Dokumente vorgelegt habe, nachdem er während der Prüfung eingeräumt habe, dass kein Vergabeverfahren durchgeführt worden sei, stelle seine berufliche Integrität in hohem Maß in Frage, auch wenn er die Dokumente nicht selbst erstellt habe.

18      Im 45. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fügte die Kommission hinzu, dass das Gremium „bei der Eröffnung des kontradiktorischen Verfahrens gegenüber [dem Kläger] auf einen möglichen Ausschluss für ein Jahr hingewiesen [hat], unter Berücksichtigung … des vorsätzlichen Verhaltens [des Klägers], da der erwiesenen Vorlage von Dokumenten über Vergabeverfahren an den privaten Prüfer offensichtlich die Absicht zugrunde gelegen habe, ihn zu täuschen“.

 Verfahren und Anträge der Parteien

19      Mit Klageschrift, die am 14. Juli 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

20      Der Kläger beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

21      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

22      Der Kläger macht in seiner Klageschrift vier Klagegründe zur Stützung des Antrags auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses geltend. Erstens habe die Kommission den Sachverhalt, auf dem die gegen ihn verhängte Sanktion beruhe, unvollständig erhoben. Zweitens habe sie den Sachverhalt im Widerspruch zum endgültigen Prüfbericht bewertet. Drittens habe sie den Sachverhalt im Widerspruch zum OLAF‑Bericht bewertet. Viertens habe sie gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen. In der Erwiderung bestreitet der Kläger außerdem, dass die verhängte Sanktion verhältnismäßig sei.

23      Zunächst sind die ersten drei Klagegründe zusammen zu prüfen, mit denen der Kläger sinngemäß geltend macht, dass die Kommission den Sachverhalt, auf dem die verhängte Sanktion beruhe, unvollständig und im Widerspruch zu den ihr zur Verfügung stehenden Dokumenten, insbesondere dem endgültigen Prüfbericht und dem OLAF‑Bericht, festgestellt habe.

 Zu den ersten drei Klagegründen: unvollständige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, Bewertung des Sachverhalts im Widerspruch zum endgültigen Prüfbericht und Bewertung des Sachverhalts im Widerspruch zum OLAFBericht

24      Der Kläger beanstandet in erster Linie, dass die Kommission den angefochtenen Beschluss ausschließlich mit dem Schreiben des Prüfers vom 3. Mai 2013 rechtfertige. Er trägt vor, sie hätte nicht allein auf dieses vorläufige Ergebnis abstellen dürfen, sondern ihren Beschluss auf der Grundlage einer Gesamtschau aller verfügbaren Beweise, insbesondere der Beweise im endgültigen Prüfbericht, fassen und somit erkennen müssen, dass die Sachverhaltsdarstellung, die dieses Schreiben enthalte, im endgültigen Prüfbericht nicht aufrechterhalten worden sei.

25      Sodann macht der Kläger geltend, die Kommission sei bei ihrer Wertung seines Verhaltens als schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit von der unzutreffenden Annahme ausgegangen, dass er dem Prüfer gefälschte Dokumente vorgelegt habe, um ihn davon zu überzeugen, dass die Vergabeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden seien, obwohl er die betreffenden Dokumente nicht selbst erstellt habe. Außerdem werde die Behauptung, sein Vertreter habe die Dokumente übergeben, im endgültigen Prüfbericht nicht aufrechterhalten. Demzufolge hätte die Kommission bei einer Gesamtschau aller verfügbaren Beweise erkennen müssen, dass er dem Prüfer die fraglichen Dokumente nicht übergeben habe und somit kein rechtswidriges Verhalten vorgelegen habe.

26      Schließlich macht der Kläger geltend, die Kommission hätte ihren Beschluss unter Berücksichtigung des Berichts des OLAF erlassen und dabei erkennen müssen, dass er die fraglichen Dokumente nicht übergeben habe und ihm demzufolge kein rechtswidriges Verhalten zur Last gelegt werden könne. Die Ermittler des OLAF seien nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass sein Vertreter dem Prüfer die drei fraglichen Angebote übergeben habe.

27      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.


28      Hierzu ist erstens festzustellen, dass der Prüfer in seinem Schreiben vom 3. Mai 2013 ausgeführt hat, ihm sei vom Kläger und von der ISHR‑MS zunächst mitgeteilt worden, dass kein spezielles Verfahren durchgeführt worden sei. Außerdem hat er in diesem Schreiben angegeben, ein Vertreter des Klägers habe ihm am Folgetag bei einer Besprechung drei Angebote verschiedener Verlage vorgelegt und erklärt, dass er die vom Prüfer gestellte Frage falsch verstanden habe und dass diese drei Angebote vor der Auswahl des Lieferanten berücksichtigt worden seien.

29      Zweitens handelte es sich dem OLAF‑Bericht zufolge bei den Dokumenten, die dem Prüfer im Rahmen der Prüfung übergeben wurden, um Fälschungen, die auf Betreiben des Vertreters der ISHR‑MS für die Prüfung angefertigt worden waren, um den Eindruck zu erwecken, dass der Vertrag eingehalten worden sei. In seinem Bericht führt das OLAF aus, es habe eine Untersuchung in Moldawien durchgeführt und dabei bestätigt gefunden, dass der Zuschussempfänger betrügerisch vorgegangen sei.

30      Drittens geht aus dem endgültigen Prüfbericht hervor, dass die Projektkoordinatorin dem Prüfer ursprünglich erklärt hatte, dass kein Verhandlungsverfahren durchgeführt worden sei. Dem endgültigen Prüfbericht zufolge wurden dem Prüfer jedoch am Folgetag drei verschiedene Angebote von Erbringern von Verlagsleistungen vorgelegt, und eine Woche nach der Prüfung sandte ihm der Zuschussempfänger gescannte Kopien der fehlenden Dokumente zu. Die einzige Person, die alle Dokumente unterzeichnete, ist nach den Angaben des Prüfers Frau N., die Projektkoordinatorin.

31      Viertens geht aus der Stellungnahme des Klägers vom 30. Januar 2017 sowie aus Rn. 19 der Klageschrift und den Rn. 11 und 12 der Erwiderung hervor, dass der Kläger selbst dem Prüfer bei der Besprechung am 9. April 2013 mitgeteilt hatte, dass er keine „Ausschreibung“ durchgeführt habe. Bei derselben Gelegenheit habe auch die ISHR‑MS verneint, eine „Ausschreibung“ durchgeführt zu haben.

32      Fünftens führt der Kläger in den Rn. 13 und 14 der Erwiderung aus, als der Prüfer sodann bei der Besprechung am 9. April 2013 nach Unterlagen zu einem „Verhandlungsverfahren“ gefragt habe, habe er erklärt, dass er keine „Ausschreibung“ durchgeführt habe, so dass er auch keine Dokumente zu einem „Verhandlungsverfahren“ vorlegen könne. Weiter führt er dort aus, die Vertreterin der ISHR‑MS habe allerdings bei der gleichen Gelegenheit erklärt, dass sie drei Angebote erhalten habe. Die Unterlagen zu diesen drei Angeboten seien dem Prüfer am Folgetag, d. h. am 10. April 2013, von der Vertreterin der ISHR‑MS in Anwesenheit des Vertreters des Klägers vorgelegt worden. Der Kläger gibt an, ihm sei nicht bekannt gewesen, ob die ISHR‑MS Ausschreibungen durchgeführt oder Angebote eingeholt habe.


33      Aus dem Vorstehenden ergibt sich zum einen, dass der Kläger einräumt, dem Prüfer erklärt zu haben, dass er zur Auswahl des Anbieters der Verlagsarbeiten im Rahmen des Projekts weder ein „Ausschreibungsverfahren“ noch ein „Verhandlungsverfahren“ durchgeführt hatte. Zum anderen ergibt sich daraus, dass die Vertreterin der ISHR‑MS dagegen behauptet haben soll, drei Angebote erhalten zu haben, und dass sie die Unterlagen darüber sodann bei der Besprechung mit dem Prüfer am 10. April 2013, bei der der Kläger anwesend war, vorgelegt haben soll.

34      Der Kläger räumt zwar die in der vorstehenden Randnummer wiedergegebene Sachverhaltsdarstellung ein, stellt aber in Abrede, für die Erstellung der dort genannten Dokumente verantwortlich zu sein, und bestreitet, bei der Besprechung am 10. April 2013 persönlich solche Dokumente dem Prüfer übergeben zu haben. In diesem Kontext wendet er sich gegen den angefochtenen Beschluss.

35      Hierzu ist festzustellen, dass der Kläger erstens zusammen mit der ISHR‑MS bei der Besprechung am 10. April 2013 anwesend war. Zweitens wurden dem Prüfer – wie aus seinem Schreiben vom 3. Mai 2013 hervorgeht, das aus dem gleichen Zeitraum stammt und von einem von der Kommission unabhängigen Prüfer verfasst wurde – vom Kläger bei dieser Besprechung drei Angebote verschiedener Verlage vorgelegt. Drittens geht, selbst wenn – wie der Kläger in der Erwiderung vorträgt – dem Prüfer die fraglichen Dokumente von der ISHR‑MS übergeben worden sein sollten, aus den Akten nicht hervor, dass sich der Kläger von ihrer Übergabe an den Prüfer durch die ISHR‑MS distanzierte, obschon er diese Unregelmäßigkeit hätte beanstanden oder zumindest von einer Teilnahme an der fraglichen Besprechung hätte Abstand nehmen können. Viertens ergibt sich die Verantwortlichkeit des Klägers für die Durchführung des Zuschussvertrags aus der „Partnerschaftserklärung“, aus Art. 16 des Zuschussvertrags und aus der Kooperationsvereinbarung.

36      Zudem wird – entgegen dem Vorbringen des Klägers – dem Schreiben des Prüfers vom 3. Mai 2013, wonach der Kläger ihm drei Angebote verschiedener Verlage vorgelegt habe, weder im OLAF‑Bericht noch im endgültigen Prüfbericht widersprochen. Denn zum einen wird im OLAF‑Bericht nicht angegeben, wer dem Prüfer die fraglichen Dokumente übergab, sondern lediglich festgestellt, dass diese Dokumente gefälscht seien und auf Betreiben der ISHR‑MS für die Prüfung angefertigt worden seien, um den Eindruck zu erwecken, dass der Vertrag eingehalten worden sei. Zum anderen heißt es im endgültigen Prüfbericht, dass der Prüfer die drei fraglichen Angebote bei einer Besprechung erhalten habe, bei der sowohl der Kläger als auch die ISHR‑MS anwesend gewesen seien, ohne dass aber angegeben wird, wer dem Prüfer diese Dokumente übergab.

37      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission zu der Annahme berechtigt war, dass der Kläger den Prüfer vorsätzlich getäuscht hatte.

38      Dieses vorsätzliche Verhalten kann im Übrigen nicht durch die von Herrn B., dem Vorstandsvorsitzenden des Klägers, unterzeichnete und der Klageschrift als Anlage beigefügte eidesstattliche Versicherung vom 10. Juli 2017 in Frage gestellt werden.

39      Nach der Rechtsprechung kann eine eidesstattliche Versicherung zwar Beweiskraft haben, doch müssen bei deren Beurteilung die Wahrscheinlichkeit und die Glaubhaftigkeit der in der eidesstattlichen Versicherung enthaltenen Informationen geprüft werden, wobei insbesondere die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung und sein Adressat zu berücksichtigen sind, und es muss geklärt werden, ob dieses Dokument seinem Inhalt nach vernünftig und verlässlich erscheint (vgl. Urteil vom 3. Juli 2014, Alchaar/Rat, T‑203/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:602, Rn. 164 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Die in Rede stehende eidesstattliche Versicherung stammt aber vom Kläger selbst, dessen Vorstandsvorsitzender sie unterzeichnet hat, und ihr widerspricht die Sachverhaltsdarstellung im Schreiben des Prüfers vom 3. Mai 2013, das von einem unabhängigen Prüfer erstellt und zeitnah verfasst wurde. Dieses Schreiben ist im Übrigen weder im endgültigen Prüfbericht noch im OLAF‑Bericht in Frage gestellt worden.

41      Überdies ist, um über die Begründetheit des angefochtenen Beschlusses und insbesondere seines oben in Rn. 17 erwähnten 39. Erwägungsgrundes entscheiden zu können, im Einzelnen zu prüfen, wofür der Kläger im Rahmen des Projekts verantwortlich war.

42      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger mit der von ihm am 15. Juli 2011 unterzeichneten „Partnerschaftserklärung“ die Mitverantwortung für das Projekt übernahm. Mit dieser Erklärung, in der eine Partnerschaft definiert wird als „ein … Verhältnis zwischen zwei oder mehr Organisationen, bei dem die Verantwortung für die Durchführung des von der Kommission subventionierten Projekts geteilt wird“, erlangte der Kläger Kenntnis von allen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Zuschussvertrag und ermächtigte außerdem die ISHR‑MS, „ihn gegenüber der Kommission in allen mit der Umsetzung des [von der Kommission finanzierten] Projekts zusammenhängenden Angelegenheiten zu vertreten“. Die Erklärung sieht außerdem vor, dass die ISHR‑MS „regelmäßig ihre Partner konsultieren und sie vollständig über den Fortgang des Projekts auf dem Laufenden halten [muss]“.

43      Zweitens sieht Art. 16.2 Abs. 3 des Anhangs II des Zuschussvertrags zum einen vor, dass die ISHR‑MS sich verpflichtet, „zu … allen Dokumenten …, die die technische und finanzielle Verwaltung des Projekts betreffen, angemessenen Zugang zu gewähren“. In Art. 16.3 dieses Anhangs heißt es ferner, dass „die in Art. 16.2 [dieses Anhangs] genannten Dokumente … den Nachweis für Vergabeverfahren wie Ausschreibungsunterlagen, Bieterangebote und Bewertungsberichte [einschließen]“. Zum anderen ist in Art. 5.3 des Anhangs IV des Zuschussvertrags vorgesehen, dass „Lieferverträge mit einem Wert von weniger als 60 000 Euro … im Anschluss an ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben werden [müssen], bei dem [die ISHR‑MS] mindestens drei Lieferanten ihrer Wahl konsultiert“, und dass die ISHR‑MS „[b]ei Lieferungen mit einem Wert von 10 000 Euro oder weniger … die Aufträge auf der Grundlage eines einzigen Angebots vergeben [kann]“.

44      Drittens bestimmt die Kooperationsvereinbarung, dass „die ISHR‑MS und [der Kläger] [überein]kommen …, bei der Durchführung des … Projekts … zusammenzuarbeiten“. Sie sieht vor, dass „[d]ie ISHR‑MS … für die Verwaltung des Projekts als Ganzes die Letztverantwortung [trägt]; hierzu gehören die Vorbereitung und die Durchführung aller Projekttätigkeiten …, die Buchführung und die Überwachung des Projekts sowie die Berichterstattung an die [Delegation der Europäischen Union in der Republik Moldawien]“. Sie sieht ferner vor, dass „[d]ie ISHR‑MS … den Rat [des Klägers] einholen [wird], wann immer dies erforderlich ist“, und dass „Personalfragen und Fragen der Projektdurchführung von wesentlicher Bedeutung … zwischen den Parteien erörtert [werden], bevor Entscheidungen getroffen werden“. Schließlich sieht die Kooperationsvereinbarung vor, dass „[der Kläger] … u. a. … verantwortlich [ist für] die Zurverfügungstellung erfahrenen Personals, das [die ISHR‑MS] in allen Fragen der Projektverwaltung (Durchführung, Berichterstattung, Buchführung) unterstützt und schult“.

45      Nach alledem wendet sich der Kläger zu Unrecht gegen die von der Kommission im angefochtenen Beschluss vorgenommene Tatsachenwürdigung und stellt zu Unrecht seine Verantwortung für die Übergabe der oben in Rn. 33 genannten drei Angebote für Verlagsarbeiten an den Prüfer in Abrede. Denn die Kommission ist, auch wenn im angefochtenen Beschluss nicht in Zweifel gezogen wird, dass die ISHR‑MS für die Erstellung dieser Dokumente verantwortlich ist, zu Recht davon ausgegangen, dass dies die Verantwortung des Klägers für die Übermittlung dieser Dokumente an den Prüfer nicht ausschließt.

46      Aus den oben in den Rn. 42 bis 44 angeführten Gesichtspunkten geht hervor, dass die ISHR‑MS die Letztverantwortung für die Verwaltung des Projekts trug, einschließlich der Vorbereitung und Durchführung aller Projekttätigkeiten. Speziell aufgrund von Art. 16 des Anhangs II des Zuschussvertrags in Verbindung mit Art. 5.3 seines Anhangs IV musste das in der vorliegenden Rechtssache streitige Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung durchgeführt werden. Aus den genannten Gesichtspunkten geht außerdem hervor, dass der Vertrag über die Erbringung von Verlagsarbeiten im Rahmen des Projekts, da er einen Wert von 42 424,44 Euro hatte, im Anschluss an ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung unter Konsultierung von mindestens drei Anbietern hätte vergeben werden müssen.

47      Wie sich aus den oben in den Rn. 42 bis 44 angeführten Gesichtspunkten ergibt, musste die ISHR‑MS jedoch den Rat des Klägers einholen, wenn sie es für erforderlich hielt, und in jedem Fall mussten u. a. die wesentlichen die Projektdurchführung betreffenden Fragen zwischen den Parteien erörtert werden, bevor Entscheidungen getroffen wurden. Insbesondere ergibt sich aus der Kooperationsvereinbarung, dass der Kläger für die Zurverfügungstellung erfahrenen Personals verantwortlich war, das die ISHR‑MS in allen Fragen der Projektverwaltung, und zwar der Durchführung, der Berichterstattung und der Buchführung, unterstützen und schulen sollte.

48      In Anbetracht seiner Unterstützungsaufgaben für die ISHR‑MS, u. a. bei der Durchführung des Projekts, und unter Berücksichtigung auch des Werts des Vertrags über die Erbringung von Verlagsarbeiten – nämlich 42 424,44 Euro und damit mehr als 10 % des Höchstbetrags der finanziellen Förderung durch die Union (414 025 Euro) – war der Kläger dafür verantwortlich, sich bereits bei der Übergabe der oben in Rn. 33 genannten Dokumente an den Prüfer, auch wenn er sie nicht selbst erstellt hatte, zu vergewissern, dass die Verpflichtung, drei Lieferanten zu konsultieren, eingehalten worden war und dass die Dokumente echt waren.

49      Erstens ist nämlich der Umstand, dass der Kläger selbst dem Prüfer zunächst mitgeteilt hatte, dass er in Bezug auf die Auswahl des Erbringers der Verlagsarbeiten im Rahmen des Projekts kein „Ausschreibungsverfahren“ und auch kein „Verhandlungsverfahren“ durchgeführt habe, für sich genommen ein wichtiger Gesichtspunkt, der im Rahmen seiner Verantwortung für die anschließende Übergabe der Dokumente an den Prüfer zu berücksichtigen ist. De facto steht die bloße Existenz dieser oben in Rn. 33 genannten Dokumente im Widerspruch zu den Angaben, die der Kläger als Projektpartner gegenüber dem Prüfer machte.

50      Zweitens ist hervorzuheben, dass die oben in Rn. 33 genannten Dokumente dem Prüfer bei einer Besprechung übergeben wurden, bei der der Kläger anwesend war. Angesichts der Verantwortlichkeiten des Klägers gemäß der „Partnerschaftserklärung“, Art. 16 des Zuschussvertrags und der Kooperationsvereinbarung begründet seine bloße Anwesenheit bei dieser Besprechung seine Verantwortung für ihre Übergabe. Der Kläger musste sich nämlich im Rahmen seiner Unterstützungsaufgaben zugunsten der ISHR‑MS bei der Umsetzung des Projekts zum Zeitpunkt der Übergabe der fraglichen Dokumente vergewissern, dass das Verhandlungsverfahren eingehalten worden war und dass diese Dokumente Angeboten entsprachen, die tatsächlich bei der ISHR‑MS eingegangen waren. Wie oben in Rn. 35 ausgeführt, geht aus den Akten nicht hervor, dass sich der Kläger von ihrer Übergabe an den Prüfer durch die ISHR‑MS bei der Besprechung vom 10. April 2013 distanzierte, obschon er insbesondere im Anschluss an die am 9. April 2013 gegenüber dem Prüfer gemachten Angaben, dass weder ein „Ausschreibungsverfahren“ noch ein „Verhandlungsverfahren“ durchgeführt worden sei, wusste, dass die übergebenen Dokumente nicht den Tatsachen entsprachen.

51      Der Kläger macht somit zu Unrecht geltend, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss den Sachverhalt, auf dem die verhängte Sanktion beruhe, unvollständig und im Widerspruch zu den ihr vorliegenden Dokumenten, insbesondere dem endgültigen Prüfbericht und dem OLAF‑Bericht, ermittelt habe.

52      Der erste, der zweite und der dritte Klagegrund sind folglich als unbegründet zurückzuweisen. Es ist daher nicht erforderlich, die vom Kläger in den Rn. 18 und 31 der Klageschrift gestellten Anträge zu prüfen, dass Zeugen gehört werden.

 Zum vierten Klagegrund: Verletzung des rechtlichen Gehörs

53      Mit dem ersten Teil dieses Klagegrundes rügt der Kläger, dass ihm erst nachdem er die Verletzung seines rechtlichen Gehörs beanstandet habe, die Möglichkeit eingeräumt worden sei, das Schreiben des Prüfers vom 3. Mai 2013 und den OLAF‑Bericht einzusehen. Ihm sei ferner die Möglichkeit genommen worden, zu den möglicherweise entscheidungserheblichen Punkten in diesen Dokumenten Stellung zu nehmen, da in der ihm vorgelegten Fassung zahlreiche Passagen geschwärzt gewesen seien. Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes macht er geltend, er sei nur vom Gremium angehört worden und habe nur von ihm Akteneinsicht erhalten; die Kommission habe ihn vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht mehr eigens angehört.

54      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. Ferner wendet sie, gestützt auf Art. 84 der Verfahrensordnung des Gerichts, ein, das erstmals im Stadium der Erwiderung vom Kläger angeführte Vorbringen, dass er nur vom Gremium angehört worden sei und nur von ihm Akteneinsicht erhalten habe und dass ihn die Kommission vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht mehr angehört habe, sei unzulässig.

55      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Nach Art. 41 Abs. 2 umfasst dieses Recht u. a. das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird.

56      Die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, zu der alle Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unmittelbar verpflichtet sind, gewährleistet jeder Person, die von einem Vorgehen dieser Stellen unmittelbar betroffen ist, die Möglichkeit, in einem Verwaltungsverfahren, in dem eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen werden kann, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen (vgl. Urteil vom 19. Oktober 2017, Bernaldo de Quirós/Kommission, T‑649/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:736, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Hinsichtlich des ersten Teils des vierten Klagegrundes ist festzustellen, dass – wie die Kommission zutreffend geltend macht – die bloße Tatsache, dass bestimmte Passagen der dem Kläger zur Verfügung gestellten Dokumente geschwärzt waren, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht beeinträchtigt hat.

58      Was erstens das Schreiben des Prüfers vom 3. Mai 2013 betrifft, handelt es sich bei den Tatsachen, die dort beschrieben werden und die dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegt wurden, um die oben in Rn. 7 genannten. In diesem Schreiben teilte der Prüfer der Kommission mit, dass er bei einer Besprechung zusätzliche Informationen über das Vergabeverfahren in Bezug auf die Auswahl des Erbringers der Verlagsarbeiten für das Projekt verlangt habe. Darin führte der Prüfer aus, ihm sei vom Kläger und von der ISHR‑MS zunächst mitgeteilt worden, dass kein spezielles Verfahren durchgeführt worden sei, weil die fraglichen Beträge in Höhe von insgesamt 42 424,44 Euro unterschiedlichen Haushaltslinien zugeordnet worden seien. Außerdem gab er an, ein Vertreter des Klägers habe ihm am Folgetag drei Angebote verschiedener Verlagsgesellschaften vorgelegt und erklärt, dass er die gestellte Frage falsch verstanden habe und dass diese drei Angebote vor der Auswahl des Lieferanten berücksichtigt worden seien.

59      Diese Sachverhaltsdarstellung ist im Wesentlichen in den angefochtenen Beschluss, insbesondere in dessen Erwägungsgründe 19 und 20, übernommen worden, und der angefochtene Beschluss stützt sich nicht auf die Passagen des Schreibens des Prüfers vom 3. Mai 2013, die in dessen dem Kläger übermittelter Fassung geschwärzt waren, und nimmt nicht einmal auf sie Bezug.

60      Was zweitens den OLAF‑Bericht betrifft, handelt es sich bei den Tatsachen, die dort beschrieben werden und dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegt wurden, um die oben in Rn. 29 genannten. Aus dem OLAF‑Bericht geht hervor, dass die Dokumente, die dem Prüfer im Rahmen der Prüfung übergeben wurden, gefälscht waren und auf Betreiben des Vertreters der ISHR‑MS für diese Prüfung angefertigt worden waren, um den Eindruck zu erwecken, dass der Vertrag eingehalten worden sei. In diesem Bericht gibt das OLAF an, es habe bestätigt gefunden, dass der Zuschussempfänger betrügerisch vorgegangen sei.

61      Die Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Beschluss, insbesondere in den Erwägungsgründen 19 und 20, stimmt ebenfalls mit den oben in den Rn. 29 und 60 erwähnten Feststellungen im OLAF‑Bericht überein. Zwar beschäftigt sich das OLAF in diesem Bericht nur mit der Rolle der ISHR‑MS und geht nicht auf die speziell den Kläger betreffenden Tatsachen ein, auf die sich die Kommission beim Erlass des angefochtenen Beschlusses gestützt hat, doch stützt sie sich darin nicht auf die Passagen dieses Berichts, die in dessen dem Kläger übermittelter Fassung geschwärzt waren, und nimmt nicht einmal auf sie Bezug.

62      Somit ist hinsichtlich der fraglichen Dokumente festzustellen, dass sich der angefochtene Beschluss allein auf Tatsachen stützt, die den Kläger betrafen und die in den nicht geschwärzten Passagen erwähnt werden, von denen der Kläger Kenntnis erlangt hat und zu denen er Stellung nehmen konnte.

63      Der erste Teil des vierten Klagegrundes ist demnach als unbegründet zurückzuweisen.

64      Hinsichtlich des zweiten Teils des vierten Klagegrundes ist zunächst die hier einschlägige Unionsregelung zu analysieren.

65      Der angefochtene Beschluss wurde auf der Grundlage von Art. 105a Abs. 2 der Verordnung Nr. 966/2012 erlassen, in dem es heißt:

„Die Entscheidung über den Ausschluss und/oder die Verhängung einer finanziellen Sanktion wird vom öffentlichen Auftraggeber getroffen. Eine derartige Entscheidung stützt sich auf eine rechtskräftige Gerichts- oder eine endgültige Verwaltungsentscheidung.

Unter den in Artikel 106 Absatz 2 genannten Umständen verweist der öffentliche Auftraggeber den Fall jedoch an das in Artikel 108 genannte Gremium, um eine zentrale Bewertung der Situation zu gewährleisten. In derartigen Fällen trifft der öffentliche Auftraggeber seine Entscheidung aufgrund einer vorläufigen rechtlichen Bewertung und unter Berücksichtigung einer Empfehlung des Gremiums.

…“

66      Art. 106 der Verordnung Nr. 966/2012 bestimmt:

„(1)      Der öffentliche Auftraggeber schließt einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an Vergabeverfahren, die dieser Verordnung unterliegen, in den folgenden Fällen aus:

c)      Durch eine rechtskräftige Gerichts- oder eine endgültige Verwaltungsentscheidung wurde festgestellt, dass der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat aufgrund eines Verstoßes gegen geltende Gesetze, Bestimmungen oder ethische Normen seines Berufsstandes oder aufgrund jeglicher Form von rechtswidrigem Handeln, das sich auf seine berufliche Glaubwürdigkeit auswirkt, wenn es vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt; dazu zählen insbesondere folgende Verhaltensweisen:

(2)      In Ermangelung einer rechtskräftigen Gerichts- bzw. endgültigen Verwaltungsentscheidung in den Fällen nach Absatz 1 Buchstaben c, d und f … legt der öffentliche Auftraggeber bei entsprechendem Verhalten eines Wirtschaftsteilnehmers eine vorläufige rechtliche Bewertung für seinen Ausschluss zugrunde, wobei er sich auf die festgestellten Sachverhalte oder sonstigen Erkenntnisse aus der Empfehlung des in Artikel 108 genannten Gremiums stützt.

…“

67      In Art. 108 der Verordnung Nr. 966/2012 heißt es:

„(5)      Der öffentliche Auftraggeber darf eine Entscheidung zum Ausschluss und/oder zur Verhängung einer finanziellen Sanktion sowie eine Entscheidung zur Veröffentlichung der damit in Zusammenhang stehenden Informationen erst nach Erhalt einer Empfehlung des Gremiums treffen, wenn eine solche Entscheidung auf einer vorläufigen rechtlichen Bewertung nach Artikel 106 Absatz 2 gründet.

(8)      Für das Gremium gilt folgendes Verfahren:

a)      Der antragstellende öffentliche Auftraggeber verweist den Fall mit den nötigen, in Absatz 3 dieses Artikels genannten Informationen, den in Artikel 106 Absatz 2 genannten Sachverhalten und Erkenntnissen und der mutmaßlichen Ausschlusssituation an das Gremium;

b)      das Gremium unterrichtet den Wirtschaftsteilnehmer unverzüglich über die betreffenden Sachverhalte und ihre vorläufige rechtliche Bewertung, die möglicherweise als eine in Artikel 106 Absatz 1 Buchstaben c, d, e und f genannte Ausschlusssituation gelten und/oder zur Verhängung einer finanziellen Sanktion führen können. Das Gremium unterrichtet gleichzeitig die anderen öffentlichen Auftraggeber;

c)      bevor das Gremium eine Empfehlung abgibt, gibt es dem Wirtschaftsteilnehmer und den unterrichteten öffentlichen Auftraggebern Gelegenheit zur Stellungnahme. …

(9)      …

Erwägt der öffentliche Auftraggeber eine strengere Entscheidung als die von dem Gremium empfohlene, stellt er sicher, dass diese Entscheidung unter gebührender Berücksichtigung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten getroffen wird.“

68      Im vorliegenden Fall bestreitet der Kläger nicht, vom Gremium angehört worden zu sein. Er hat im Übrigen zu den drei vom Gremium am 16. Januar, 9. Februar und 6. März 2017 versandten Schreiben mit seinen Schreiben vom 30. Januar, 15. Februar und 8. März 2017 Stellung genommen. Er macht geltend, er sei vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht von der Kommission selbst angehört worden, obwohl dies seiner Ansicht nach geboten gewesen wäre.

69      Insoweit wendet die Kommission zunächst zu Unrecht ein (siehe oben, Rn. 54), das Vorbringen des Klägers, vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses von ihr selbst nicht angehört worden zu sein, sei unzulässig, weil es sich um neues Vorbringen handele, das der Kläger erstmals im Stadium der Erwiderung geltend gemacht habe.

70      Nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens unzulässig, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Außerdem ist ein Angriffsmittel, das eine Erweiterung eines bereits zuvor – unmittelbar oder implizit – in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und einen engen Zusammenhang mit diesem aufweist, für zulässig zu erklären. Auch können Argumente, die inhaltlich in engem Zusammenhang mit einem in der Klageschrift geltend gemachten Klagegrund stehen, nicht als neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel angesehen werden, so dass sie in der Erwiderung oder in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden können (vgl. Urteil vom 12. September 2012, Italien/Kommission, T‑394/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:417, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Im vorliegenden Fall führt der Kläger zum einen in Rn. 32 der Klageschrift aus: „Erst auf entsprechende klägerische Beanstandungen war dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt worden, das … Schreiben [des Prüfers vom 3. Mai 2013] und den … Bericht von OLAF einzusehen, um dazu Stellung nehmen zu können.“ Zum anderen macht er in den Rn. 27 und 28 der Erwiderung geltend: „Die [Kommission] vermischt das Verfahren [des Gremiums nach Art. 108 der Verordnung Nr. 966/2012] mit dem Verfahren, das zu ihrer eigenen Entscheidung nach Art. 106 Abs. 2 führte. … [Die Anhörung des Klägers und die Gewährung von Akteneinsicht] geschah[en] durch das … Gremium. Vor ihrer eigenen Entscheidung hat die [Kommission] den Kläger nicht mehr eigens angehört. Auch hierin liegt eine Gehörsverletzung.“

72      Auch wenn der Kläger diese Rüge in der Klageschrift nur ganz summarisch vorbringt, macht er doch geltend, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei, da er die fraglichen Dokumente erst auf seine Beanstandung hin habe einsehen und zu ihnen habe Stellung nehmen können. In den Rn. 43 und 44 der Klagebeantwortung hat die Kommission aber vorgetragen, dass der Zugang zu diesen Dokumenten im Stadium des Verfahrens vor dem Gremium gewährt worden sei, woraufhin der Kläger in der Erwiderung ausgeführt hat, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt worden sei, dass er vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht mehr von der Kommission selbst angehört worden sei.

73      Folglich hat der Kläger – entgegen der von der Kommission vertretenen Auffassung – in der Erwiderung insoweit keinen neuen Klagegrund vorgebracht, sondern den vierten in der Klageschrift angeführten Klagegrund ergänzt, indem er auf das in der Klagebeantwortung enthaltene Vorbringen der Kommission zu diesem Klagegrund geantwortet hat.

74      Somit ist das in den Rn. 27 und 28 der Erwiderung enthaltene, in engem Zusammenhang mit einem in der Klageschrift angeführten Klagegrund stehende Vorbringen des Klägers, die Kommission selbst habe ihn vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht angehört, zulässig.

75      Dieses Vorbringen ist jedoch als unbegründet zurückzuweisen.

76      Das Gremium hat nämlich, wie oben in Rn. 14 erwähnt, eine Empfehlung abgegeben und der Kommission vorgeschlagen, den Kläger wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit für die Dauer von sechs Monaten von der Teilnahme an Vergabe- und Finanzhilfeverfahren auszuschließen. Dieser Empfehlung ist die Kommission im angefochtenen Beschluss gefolgt.

77      Da die Kommission somit keine strengere als die vom Gremium empfohlene Entscheidung erwogen hat und dieser Empfehlung im angefochtenen Beschluss tatsächlich gefolgt ist, war keine erneute Anhörung des Klägers erforderlich.

78      Insoweit wäre, wie die Kommission zu Recht geltend macht, eine erneute Anhörung des Klägers im Anschluss an dessen Anhörung durch das Gremium im Rahmen des Verfahrens nach Art. 108 Abs. 8 und 9 der Verordnung Nr. 966/2012 nur – wie in ihrem Art. 108 Abs. 9 vorgesehen – erforderlich gewesen, wenn die Kommission eine strengere Entscheidung als die vom Gremium empfohlene erwogen hätte, was vorliegend nicht der Fall war.

79      Demnach ist der zweite Teil des vierten Klagegrundes und damit der Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum geltend gemachten Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

80      Der Kläger rügt in der Erwiderung, dass die ihm auferlegte Sanktion in Anbetracht seiner langjährigen beanstandungsfreien Mitwirkung, auch als Vertragspartner, an mehreren durch die Kommission mitfinanzierten Projekten, des Fehlens von Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen gegen ihn, der Singularität des behaupteten Verstoßes und des Nichtvorliegens eines finanziellen Schadens für die Kommission unverhältnismäßig sei.

81      Die Kommission macht geltend, dass es sich um eine neue, erstmals im Stadium der Erwiderung vorgebrachte Rüge handele, die nach Art. 84 der Verfahrensordnung unzulässig oder jedenfalls unbegründet sei.

82      Nach Art. 108 Abs. 11 der Verordnung Nr. 966/2012 in der Fassung der Verordnung (EU, Euratom) 2015/1929 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Oktober 2015 zur Änderung der Verordnung Nr. 966/2012 (ABl. 2015, L 286, S. 1) hat das Gericht „die unbeschränkte Befugnis zur Überprüfung einer Entscheidung, durch die der öffentliche Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer ausschließt und/oder eine finanzielle Sanktion gegen ihn verhängt; [es] kann z. B. die Ausschlussdauer verkürzen oder verlängern und/oder die finanzielle Sanktion aufheben, senken oder erhöhen“.

83      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kommt die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung jedoch nicht einer Prüfung von Amts wegen gleich, und das Verfahren vor den Gerichten der Union ist ein streitiges Verfahren. Mit Ausnahme der vom Richter von Amts wegen zu berücksichtigenden Gründe zwingenden Rechts wie dem Fehlen einer Begründung des angefochtenen Beschlusses ist es Sache des Klägers, gegen ihn Klagegründe vorzubringen und sie durch Beweise zu untermauern. Das Fehlen einer Verpflichtung, den gesamten angefochtenen Beschluss von Amts wegen zu prüfen, verstößt nicht gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Für die Wahrung dieses Grundsatzes ist es nicht unerlässlich, dass das Gericht, auch wenn es die angeführten Klagegründe prüfen und sowohl in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle vornehmen muss, gehalten ist, den gesamten Vorgang von Amts wegen erneut zu prüfen (vgl. entsprechend Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 64 und 66).

84      Im vorliegenden Fall hat der Kläger, wie oben in Rn. 22 ausgeführt, in seiner Klageschrift vier Klagegründe gegen den angefochtenen Beschluss angeführt. Erstens habe die Kommission den Sachverhalt, auf dem die gegen ihn verhängte Sanktion beruhe, unvollständig erhoben. Zweitens habe sie den Sachverhalt im Widerspruch zum endgültigen Prüfbericht bewertet. Drittens habe sie den Sachverhalt im Widerspruch zum OLAF‑Bericht bewertet. Viertens habe sie gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen.

85      Dazu ist festzustellen, dass der Kläger in der Klageschrift die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses beantragt hat, ohne jedoch die Rechtmäßigkeit der gegen ihn verhängten Sanktion oder gar deren Verhältnismäßigkeit in Frage zu stellen.

86      Die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die erstmals in der Erwiderung erhoben wurde, stellt somit keine Erweiterung eines bereits zuvor – unmittelbar oder implizit – in der Klageschrift vorgetragenen und einen engen Zusammenhang mit ihm aufweisenden Angriffsmittels dar.

87      Zudem wird die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf Gesichtspunkte gestützt, die dem Kläger zum Zeitpunkt der Erhebung seiner Klage bekannt waren. Nach Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung können aber neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, sie werden auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Daher ist diese im Stadium der Erwiderung erhobene Rüge unzulässig.

88      Folglich ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

89      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

90      Da der Kläger mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Der „Pro NGO!“ (Non-Governmental-Organisations/Nicht-Regierungs-Organisationen) e. V. trägt die Kosten.

Gervasoni

Madise

Da Silva Passos

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. November 2018.

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      S. Gervasoni


*      Verfahrenssprache: Deutsch.