Language of document : ECLI:EU:T:2021:818

Rechtssache T256/19

(auszugsweise Veröffentlichung)

Bashar Assi

gegen

Rat der Europäischen Union

 Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 24. November 2021

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren von Geldern – Beurteilungsfehler – Verhältnismäßigkeit – Eigentumsrecht – Recht auf Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit – Missbrauch von Befugnissen – Begründungspflicht – Verteidigungsrechte – Recht auf ein faires Verfahren“

1.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Verbot der Einreise und der Durchreise sowie Einfrieren der Gelder von führenden, in Syrien tätigen Geschäftsleuten – Beschluss, der in einem Kontext ergeht, der dem Betroffenen bekannt ist und der es ihm ermöglicht, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen – Zulässigkeit einer summarischen Begründung

(Art. 296 AEUV; Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2019/87, [GASP] 2019/806 und [GASP] 2020/719 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 2 Buchst. a und Art. 28 Abs. 2 Buchst. a sowie Anhang I; Verordnungen Nr. 36/2012, 2019/85, 2019/798 und 2020/716 des Rates, Anhang II)

(vgl. Rn. 40-45, 52, 56)

2.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Kriterien für den Erlass der restriktiven Maßnahmen – Führende, in Syrien tätige Geschäftsleute – Begriff

(Art. 29 EUV; Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836 und [GASP] 2020/719 geänderten Fassung, Art. 27 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 sowie Art. 28 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3; Verordnungen des Rates Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung, Art. 15 Abs. 1a Buchst. a und Abs. 1b, sowie 2020/716)

(vgl. Rn. 50, 51, 94, 171)

3.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren der Gelder von Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die mit dem syrischen Regime verbunden sind – Verpflichtung zur Angabe der einzelfallbezogenen und spezifischen Gründe für die getroffenen Entscheidungen – Umfang – Mitteilung an den Betroffenen durch Veröffentlichung im Amtsblatt – Zulässigkeit

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a und Art. 52 Abs. 1; Beschluss [GASP] 2019/87 des Rates; Verordnung 2019/85 des Rates)

(vgl. Rn. 61-70)

4.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren der Gelder von Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die mit dem syrischen Regime verbunden sind – Verteidigungsrechte – Mitteilung der zur Last gelegten Umstände – Folgebeschluss, mit dem der Name des Klägers in der Liste der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen belassen wurde – Keine neuen Gründe – Verletzung des Anhörungsrechts – Fehlen

(Beschluss [GASP] 2019/806 des Rates; Verordnung 2019/798 des Rates)

(vgl. Rn. 72-75, 77)

5.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren der Gelder von Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die mit dem syrischen Regime verbunden sind – Verteidigungsrechte – Mitteilung der zur Last gelegten Umstände – Folgebeschluss über den Verbleib des Namens einer Person in der Liste der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen – Neue Gründe – Mitteilung der neuen Umstände an die betroffene Person zwecks Stellungnahme – Verletzung des Anhörungsrechts – Fehlen

(Beschluss [GASP] 2020/719 des Rates; Verordnung 2020/716 des Rates)

(vgl. Rn. 78, 80)

6.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Umfang der Kontrolle – Beweis für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme – Pflicht der zuständigen Unionsbehörde, im Streitfall die Stichhaltigkeit der gegen die betroffenen Personen oder Organisationen angeführten Begründung nachzuweisen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2019/87, [GASP] 2019/806 und [GASP] 2020/719 geänderten Fassung, Anhang I; Verordnungen Nr. 36/2012, 2019/85, 2019/798 und 2020/716 des Rates, Anhang II)

(vgl. Rn. 87-93)

7.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Umfang der Kontrolle – Aufnahme des Klägers in die Liste im Anhang des angefochtenen Beschlusses aufgrund seiner Eigenschaft als führender, in Syrien tätiger Geschäftsmann – Öffentlich zugängliche Dokumente – Beweiswert

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2019/87, [GASP] 2019/806 und [GASP] 2020/719 geänderten Fassung, Anhang I; Verordnungen Nr. 36/2012, 2019/85, 2019/798 und 2020/716 des Rates, Anhang II)

(vgl. Rn. 96, 104, 107, 109, 114)

8.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Nichtigkeitsklage eines führenden, in Syrien tätigen Geschäftsmanns, der von einem Beschluss über das Einfrieren von Geldern betroffen ist – Beweislastverteilung – Auf ein Bündel von Indizien gestützter Beschluss – Beweiswert –Reichweite

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2019/87, [GASP] 2019/806 und [GASP] 2020/719 geänderten Fassung, Anhang I; Verordnungen Nr. 36/2012, 2019/85, 2019/798 und 2020/716 des Rates, Anhang II)

(vgl. Rn. 115, 116, 121, 127, 129, 130, 135, 140, 151, 152, 158, 159, 170)

9.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Vermutung der Unterstützung des syrischen Regimes in Bezug auf führende, in Syrien tätige Geschäftsleute – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Widerlegbare Vermutung – Gegenbeweis – Fehlen

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2019/87 und [GASP] 2019/806 geänderten Fassung, Anhang I; Verordnungen Nr. 36/2012, 2019/85 und 2019/798 des Rates, Anhang II)

(vgl. Rn. 161-164, 166, 169)

10.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2013/255/GASP und Verordnung Nr. 36/2012 – Kriterien für den Erlass der restriktiven Maßnahmen – Unterstützung des syrischen Regimes und hieraus gezogener Nutzen – Begriff – Autonomes rechtliches Kriterium – Aufnahme in die Listen aufgrund eines Bündels genauer, konkreter und übereinstimmender Indizien – Fehlen

(Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch den Beschluss [GASP] 2020/719 geänderten Fassung, Anhang I; Verordnungen Nr. 36/2012 und 2020/716 des Rates, Anhang II)

(vgl. Rn. 176, 180-182)

11.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren von Geldern und Einreisebeschränkungen gegenüber Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die mit dem syrischen Regime in Verbindung stehen – Einschränkung des Eigentumsrechts und des Rechts auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

(Art. 5 Abs. 4 EUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 15, 16 und 17; Beschluss 2013/255/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2015/1836, [GASP] 2019/87 und [GASP] 2019/806 geänderten Fassung, Art. 28 Abs. 6 und 7, Art. 34 sowie Anhang I; Verordnungen des Rates Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung, Art. 32 Abs. 4, 2019/85 und 2019/798, Anhang II)

(vgl. Rn. 192-194, 196-201)

Zusammenfassung

Herr Bashar Assi ist ein syrischer Geschäftsmann mit Beteiligungen und Tätigkeiten in zahlreichen Branchen der syrischen Wirtschaft. Im Januar 2019 wurde sein Name in die Listen der Personen und Organisationen aufgenommen, die von den vom Rat der Europäischen Union gegen die Arabische Republik Syrien ergriffenen restriktiven Maßnahmen betroffen sind(1), und wurde in der Folge im Mai 2019 und im Mai 2020 auf diesen Listen belassen. Seine Listung erfolgte erstens in seiner Eigenschaft als Mitbegründer einer Fluggesellschaft, zweitens als Vorstandsvorsitzender von Aman Dimashq, eines Unternehmens, das an der Entwicklung eines vom syrischen Regime unterstützten Bauprojekts mit Luxuswohnungen und ‑geschäften beteiligt ist, und drittens – ab dem Jahr 2020 – wegen der Gründung der Gesellschaft Aman Facilities mit und im Auftrag von Herrn Samer Foz, der ebenfalls in die Listen aufgenommen worden ist. Der Rat war der Auffassung, dass diese Tätigkeiten es Herrn Bashar Assi ermöglichten, vom syrischen Regime zu profitieren und es zu unterstützen.

Die genannten Gründe stützten sich zum einen auf das Kriterium des führenden, in Syrien tätigen Geschäftsmanns, das in Art. 27 Abs. 2 Buchst. a und in Art. 28 des Beschlusses 2013/255(2) in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie in Art. 15 Abs. 1a Buchst. a der Verordnung Nr. 36/2012(3) in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung definiert wird. Zum anderen stützten sie sich auf das Kriterium der Verbindung mit dem syrischen Regime, das in Art. 27 Abs. 1 und in Art. 28 des genannten Beschlusses sowie in Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der genannten Verordnung definiert wird.

Das Gericht hat der Klage des Klägers auf Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2020/719 und der Durchführungsverordnung (EU) 2020/716 (im Folgenden: Fortsetzungsrechtsakte von 2020) stattgegeben, da der Rat, der sich insbesondere auf frühere Tätigkeiten des Klägers gestützt hatte, namentlich im Hinblick auf die vom Kläger beigebrachten Gegenbeweise keine hinreichend konkreten, genauen und übereinstimmenden Indizien zum Nachweis der Stichhaltigkeit der genannten Aufnahmegründe vorgelegt hat.

Würdigung durch das Gericht

Was erstens den angeblichen Status eines führenden, in Syrien tätigen Geschäftsmanns betrifft, hat das Gericht die sowohl vom Rat als auch vom Kläger vorgelegten Beweise zu dessen wirtschaftlichen Tätigkeiten geprüft.

In Bezug auf die Position des Vorstandsvorsitzenden von Aman Dimashq hat das Gericht die Auffassung vertreten, dass der Rat, wenn er sich in den Fortsetzungsrechtsakten von 2020 auf frühere Tätigkeiten des Klägers hatte stützen wollen, gewichtige und übereinstimmende Indizien anführen musste, die vernünftigerweise die Annahme zuließen, dass der Kläger, nachdem er im Mai 2019 aus der genannten Organisation ausgeschieden war, weiterhin Verbindungen zu dieser unterhielt. Dies hat der Rat indessen nicht getan. Das Gericht ist außerdem der Ansicht, dass die Gesellschaft Aman Dimashq zwar aktiv an dem vom syrischen Regime unterstützten Immobilienprojekt Marota City beteiligt war, der Rat aber nicht darauf abstellen konnte, der Kläger sei in leitender Funktion bei Aman Dimashq am genannten Immobilienprojekt zu einer Zeit beteiligt gewesen, als er mit dieser Gesellschaft nicht mehr verbunden war.

Was schließlich die Eigenschaft als Mitbegründer von Aman Facilities mit und im Auftrag von Herrn Foz angeht, so hat das Gericht festgestellt, dass der Kläger zwar eingeräumt hat, diese Gesellschaft gegründet zu haben, dass sich in Anbetracht der Akten allerdings nicht sagen lässt, dass er im Auftrag von Herrn Foz gehandelt habe.

Nach alledem ist das Gericht zu dem Schluss gelangt, dass der Rat den Status des Klägers als führender, in Syrien tätiger Geschäftsmann beim Erlass der Fortsetzungsrechtsakte von 2020 nicht hinreichend nachgewiesen hat.

Was zweitens die Unterstützung des syrischen Regimes und den Vorteil betrifft, den der Kläger aufgrund seiner geschäftlichen Tätigkeiten aus diesem Regime gezogen haben soll, hat das Gericht zunächst darauf hingewiesen, dass sich die Aufnahmegründe in Bezug auf eine bestimmte Person überschneiden können. Personen können mithin als in Syrien tätige Geschäftsleute eingestuft werden und gleichzeitig und aufgrund derselben Tätigkeiten als Nutznießer des syrischen Regimes oder als dessen Unterstützer betrachtet werden.

Im vorliegenden Fall konnte der Kläger, da er zum Zeitpunkt des Erlasses der Fortsetzungsrechtsakte von 2020 nicht mehr Vorstandsvorsitzender von Aman Dimashq war, nicht aufgrund der Beteiligung dieser Gesellschaft am Immobilienprojekt Marota City als Nutznießer des syrischen Regimes oder als dessen Unterstützer angesehen werden. Da die Gesellschaft Fly Aman noch nicht in Betrieb war, gibt es auch keinen Beweis dafür, dass der Kläger als deren Mitbegründer vom syrischen Regime profitierte oder dass er es unterstützte. Was schließlich die Gesellschaft Aman Facilities betrifft, so kann der bloße Umstand der Errichtung und Eintragung einer Gesellschaft zum Zweck ihrer Gründung im Übrigen nicht für die Annahme ausreichen, dass der Kläger ein Nutznießer des syrischen Regimes sei oder es unterstütze.

Das Gericht ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der zweite Grund für die Aufnahme des Namens des Klägers wegen seiner Verbindung mit dem syrischen Regime vom Rat nicht hinreichend untermauert wird und dass die weitere Listung des Namens des Klägers in den Rechtsakten von 2020 unbegründet ist.

Demnach hat das Gericht den Beschluss (GASP) 2020/719 des Rates und die Durchführungsverordnung (EU) 2020/716 des Rates insoweit für nichtig erklärt, als sie den Kläger betreffen.


1      Durchführungsbeschluss (GASP) 2019/87 des Rates vom 21. Januar 2019 zur Durchführung des Beschlusses 2013/255/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2019, L 18 I, S. 13) und Durchführungsverordnung (EU) 2019/85 des Rates vom 21. Januar 2019 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2019, L 18 I, S. 4); Beschluss (GASP) 2020/719 des Rates vom 28. Mai 2020 zur Änderung des Beschlusses 2013/255/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2020, L 168, S. 66) und Durchführungsverordnung (EU) 2020/716 des Rates vom 28. Mai 2020 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2020, L 168, S. 1).


2      Beschluss 2013/255/GASP des Rates vom 31. Mai 2013 über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2013, L 147, S. 14) in der durch den Beschluss (GASP) 2015/1836 des Rates vom 12. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 266, S. 75) geänderten Fassung.


3      Verordnung (EU) Nr. 36/2012 des Rates vom 18. Januar 2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 (ABl. 2012, L 16, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2015/1828 des Rates vom 12. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 266, S. 1) geänderten Fassung.