Language of document : ECLI:EU:F:2016:146

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Zweite Kammer)

14. Juli 2016

Rechtssache F‑56/14

Dolores Dominguez Perez

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Versorgungsbezüge – Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts – Ruhegehaltsansprüche, die vor dem Eintritt in den Dienst der Union in einem nationalen Rentenversicherungssystem erworben wurden – Übertragung auf das Versorgungssystem der Union – Auf neue allgemeine Durchführungsbestimmungen gestützter Vorschlag zur Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren, der vom Betroffenen angenommen wurde – Nicht beschwerende Maßnahme – Rechtssicherheit – Berechtigtes Vertrauen – Gleichbehandlung – Art. 81 der Verfahrensordnung“

Gegenstand:      Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG‑Vertrag gilt, auf Aufhebung zweier Vorschläge vom 20. September 2013 zur Berechnung der Anrechnung von vor dem Eintritt in den Dienst der Union erworbenen Ruhegehaltsansprüchen der Klägerin im Versorgungssystem der Europäischen Union

Entscheidung:      Die Klage wird als teilweise offensichtlich unzulässig und teilweise offensichtlich unbegründet abgewiesen. Frau Dolores Dominguez Perez trägt ihre eigenen Kosten und wird verurteilt, die der Europäischen Kommission entstandenen Kosten zu tragen.

Leitsätze

1.      Beamtenklage – Beschwerende Maßnahme – Begriff – Vorschlag zur Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren im Hinblick auf die Übertragung der vor dem Eintritt in den Dienst der Union erworbenen Ruhegehaltsansprüche auf das System der Union – Ausschluss – Entscheidung über die Anerkennung von Ruhegehaltsansprüchen, die nach der Übertragung des Kapitalwerts der erworbenen Versorgungsansprüche erlassen wurde – Einbeziehung

(Beamtenstatut, Art. 91 Abs. 1 und Anhang VIII Art. 11 Abs. 2)

2.      Handlungen der Organe – Zeitliche Geltung – Unmittelbare Geltung der neuen Vorschrift für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist – Erlass neuer allgemeiner Vorschriften zur Durchführung der Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts – Anwendung auf die vor Erlass der neuen Regelung beantragte, jedoch nach deren Inkrafttreten vorgenommene Übertragung der erworbenen Ruhegehaltsansprüche – Verletzung der erworbenen Rechte und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes – Fehlen

(Beamtenstatut, Anhang VIII Art. 11 Abs. 2)

3.      Beamte – Versorgungsbezüge – Vor dem Eintritt in den Dienst der Union erworbene Ruhegehaltsansprüche – Übertragung auf das System der Union – Erlass neuer allgemeiner Vorschriften zur Durchführung der Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts – Unterschiedliche Behandlung von Beamten, bei denen der Kapitalwert ihrer Ruhegehaltsansprüche auf das System der Union übertragen wurde, je nachdem, ob die Übertragung vor oder nach Inkrafttreten dieser Vorschriften erfolgte – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen

(Beamtenstatut, Anhang VIII Art. 11 Abs. 2)

1.      Nach Art. 91 Abs. 1 des Statuts ist der Gerichtshof für alle Streitsachen zwischen der Union und einer Person, auf die dieses Statut Anwendung findet, über die Rechtmäßigkeit einer diese Person beschwerenden Maßnahme zuständig. Nur Handlungen, die die Rechtsstellung der Betroffenen unmittelbar und sofort beeinträchtigen, können als beschwerende Maßnahmen angesehen werden.

Ein Vorschlag zur Anrechnung von ruhegehaltsfähigen Dienstjahren entfaltet keine verbindlichen rechtlichen Wirkungen, die die Rechtsstellung seines Empfängers dadurch unmittelbar und sofort beeinträchtigen, dass sie diese in qualifizierter Weise verändern, und kann daher nicht als beschwerende Maßnahme im Sinne von Art. 91 Abs. 1 des Statuts eingestuft werden.

Unter bestimmten Umständen ist jedoch der mit der Klage beim Unionsrichter gestellte Aufhebungsantrag so zu deuten, dass er in Wirklichkeit auf die Aufhebung der gegenüber dem Betroffenen ergangenen endgültigen Entscheidung über die Anrechnung ruhegehaltsfähiger Dienstjahre, die sich aus zuvor in einem anderen System erworbenen Ruhegehaltsansprüchen ergeben, gerichtet ist. Dies wäre der Fall, wenn der Betroffene in die Fortsetzung des Verfahrens zur Übertragung seiner vor seinem Diensteintritt erworbenen Ruhegehaltsansprüche einwilligt hat, indem er dem ihm vorgelegten Vorschlag zustimmt hat, sofern dieses Verfahren vor der Erhebung der Klage tatsächlich bis zum Erlass einer endgültigen Entscheidung durchgeführt worden ist.

(vgl. Rn. 32, 34 und 37)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Beschluss vom 8. März 2007, Strack/Kommission, C‑237/06 P, EU:C:2007:156, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung

Gericht der Europäischen Union: Urteil vom 13. Oktober 2015, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P, EU:T:2015:776, Rn. 110 bis 139

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil vom 4. September 2008, Lafili/Kommission, F‑22/07, EU:F:2008:104, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung

2.      Nach einem allgemein anerkannten Grundsatz ist eine neue Vorschrift, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, unmittelbar auf einen entstehenden Sachverhalt sowie auf die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts anwendbar, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden, aber noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Etwas anderes gilt nur für unter der Geltung der früheren Vorschrift entstandene und abgeschlossene Sachverhalte, die wohlerworbene Rechte begründen. Ein Recht gilt als wohlerworben, wenn der Tatbestand, der dieses Recht begründet, vor der Gesetzesänderung erfüllt ist. Dies ist jedoch bei einem Recht, bei dem der diesem zugrunde liegende Tatbestand nicht unter der Geltung der Rechtsvorschriften, die geändert wurden, erfüllt wurde, nicht der Fall.

Die Anwendung neuer allgemeiner Durchführungsbestimmungen zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts auf eine Übertragung von in einem anderen Versorgungssystem erworbenen Ruhegehaltsansprüchen, die vor Erlass dieser Bestimmungen beantragt, jedoch erst nach ihrem Inkrafttreten vollzogen wurde, verstößt nicht gegen Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII des Statuts.

Zudem können sich selbst bei bestimmten Zusicherungen, die geeignet sind, bei den Empfängern ein berechtigtes Vertrauen zu begründen, Einzelne nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, um sich der Anwendung einer neuen Rechtsvorschrift insbesondere in einem Bereich, in dem der Gesetzgeber über ein weites Ermessen verfügt, zu widersetzen.

(vgl. Rn. 47, 52, 58 und 60)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Urteil vom 22. Dezember 2008, Centeno Mediavilla u. a./Kommission, C‑443/07 P, EU:C:2008:767, Rn. 33, 61 bis 63 und 91 und die dort angeführte Rechtsprechung

Gericht der Europäischen Union: Urteil vom 13. Oktober 2015, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P, EU:T:2015:776, Rn. 152, 154, 165 und 170

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil vom 13. Juni 2012, Guittet/Kommission, F‑31/10, EU:F:2012:80, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung

3.      Mit dem Erlass neuer allgemeiner Durchführungsvorschriften zu den Art. 11 und 12 des Anhangs VIII des Statuts, aus denen sich eine unterschiedliche Behandlung von Beamten ergibt, je nachdem, ob bei ihnen der Kapitalwert ihrer in einem anderen System erworbenen Ruhegehaltsansprüche auf das Versorgungssystem der Union vor oder nach Inkrafttreten der genannten Vorschriften übertragen wurde, verstößt ein Organ nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, da die unterschiedliche Behandlung Beamte betrifft, die nicht ein und derselben Gruppe angehören.

Beamte, bei denen der Kapitalwert ihrer in einem anderen System erworbenen Ruhegehaltsansprüche im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschriften nicht auf das Versorgungssystem der Union übertragen war, befinden sich nämlich nicht in derselben rechtlichen Lage wie Beamte, deren vor ihrem Dienstantritt erworbene Ruhegehaltsansprüche bereits vor diesem Zeitpunkt in Form von Kapital auf das Versorgungssystem der Union übertragen worden waren und in Bezug auf die im Rahmen des letztgenannten Systems bereits eine Entscheidung über die Anrechnung von Ruhegehaltsansprüchen getroffen worden war. Während die Erstgenannten noch Ruhegehaltsansprüche in einem anderen Versorgungssystem haben, ist bei den Zweitgenannten bereits ein Kapitaltransfer mit der Folge des Erlöschens dieser Rechte und der entsprechenden Anrechnung von Ruhegehaltsansprüchen im Versorgungssystem der Union erfolgt.

Außerdem beruht diese unterschiedliche Behandlung auf einem objektiven und vom Willen des betreffenden Organs unabhängigen Kriterium, nämlich auf der Schnelligkeit des externen Versorgungssystems bei der Bearbeitung des Antrags auf Übertragung des Kapitals der betreffenden Person.

(vgl. Rn. 61)

Verweisung auf:

Gericht der Europäischen Union: Urteil vom 13. Oktober 2015, Kommission/Verile und Gjergji, T‑104/14 P, EU:T:2015:776, Rn. 177 bis 179