Language of document : ECLI:EU:T:2012:75

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

14. Februar 2012(*)

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001– Dokumente, die sich auf ein eingestelltes Vertragsverletzungsverfahren beziehen – Von einem Mitgliedstaat stammende Dokumente – Gewährung des Zugangs – Vorherige Zustimmung des Mitgliedstaats“

In der Rechtssache T‑59/09

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Lumma, B. Klein und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,

Klägerin,

unterstützt durch

Königreich Spanien, zunächst vertreten durch M. Muñoz Pérez, dann durch S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,

und durch

Republik Polen, zunächst vertreten durch M. Dowgielewicz, dann durch M. Szpunar und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B. Smulders, P. Costa de Oliveira und F. Hoffmeister als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich Dänemark, zunächst vertreten durch J. Bering Liisberg und B. Weis Fogh, dann durch S. Juul Jørgensen und C. Vang als Bevollmächtigte,

durch

Republik Finnland, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,

und durch

Königreich Schweden, vertreten durch K. Petkovska, A. Falk und S. Johannesson als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung SG.E.3/RG/mbp D (2008) 10067 der Kommission vom 5. Dezember 2008, Bürgern Zugang zu bestimmten von der Bundesrepublik Deutschland im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2005/4569 übermittelten Dokumenten zu gewähren,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters M. van der Woude (Berichterstatter),

Kanzler: T. Weiler, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2011

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften erhielt mit Schreiben vom 19. Juli 2008 einen Antrag auf Zugang zu verschiedenen Dokumenten gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43).

2        Die beantragten Dokumente wurden im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens Nr. 2005/4569 verfasst, das die Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Art. 28 EG und 30 EG durch eine deutsche Verwaltungsvorschrift über die Zulassung importierter Gebraucht-Pkws eingeleitet hatte. Nachdem die Kommission am 18. Oktober 2005 ein Mahnschreiben an die Bundesrepublik Deutschland gesandt hatte, stellte sie das Verfahren am 28. Juni 2006 ein.

3        Bei den Dokumenten, deren Freigabe beantragt wurde, handelte es sich erstens um das Antwortschreiben der Bundesrepublik Deutschland vom 16. Februar 2006 auf das Mahnschreiben der Kommission vom 18. Oktober 2005, zweitens um das Protokoll des Treffens der Vertreter der deutschen Behörden mit den Vertretern der Kommission vom 27. März 2006 und drittens um eine zum internen Gebrauch bestimmte Zusammenfassung der Kommission zum Fortgang des Verfahrens. Das zweite und das dritte Dokument enthielten Verweise auf das Schreiben der Bundesrepublik Deutschland vom 16. Februar 2006.

4        Die Kommission unterrichtete die deutschen Behörden mit E‑Mail vom 23. Juli 2008 über den Antrag auf Zugang zu den Dokumenten.

5        Die Bundesrepublik Deutschland teilte der Kommission mit E‑Mail vom 31. Juli 2008 mit, dass sie der Gewährung von Zugang zu den genannten Dokumenten auf der Grundlage der Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die internationalen Beziehungen und nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung über den Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten widerspreche. Die deutschen Behörden waren der Ansicht, dass eine Herausgabe die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens beeinträchtigen würde. Unter den Begriff der „internationalen Beziehungen“ falle nach deutschem Recht auch das Verhältnis zwischen den Organen der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland.

6        Mit Schreiben vom 5. August 2008 unterrichtete die Kommission die Antragsteller über den Widerspruch der Bundesrepublik Deutschland und die Gründe, die diese für die Ablehnung angeführt hatte. Die Kommission teilte den Antragstellern mit, dass es ihr daher nicht möglich sei, ihrem Antrag stattzugeben. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission (C‑64/05 P, Slg. 2007, I‑11389), räumte die Kommission den Antragstellern jedoch die Möglichkeit ein, die Neuprüfung des Bescheids zu beantragen.

7        Die Antragsteller stellten einen Zweitantrag und machten geltend, dass die von der Bundesrepublik Deutschland angeführten Gründe nicht stichhaltig seien.

8        Mit Schreiben vom 15. September 2008 forderte die Kommission die Bundesrepublik Deutschland auf, anhand des Urteils des Gerichtshofs vom 1. Februar 2007, Sison/Rat (C‑266/05 P, Slg. 2007, I‑1233, Randnrn. 67 bis 72), über die Ausnahme zum Schutz der internationalen Beziehungen sowie der Urteile des Gerichts vom 6. Juli 2003, Franchet und Byk/Kommission (T‑391/03 und T‑70/04, Slg. 2003, II‑2023, Randnr. 113), und vom 8. November 2007, Bavarian Lager/Kommission (T‑194/04, Slg. 2007, II‑4523, Randnrn. 148 und 149), über die Ausnahme zum Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten ihren Standpunkt zu überprüfen.

9        Die deutschen Behörden blieben mit Schreiben vom 23. September 2008 unter Angabe von Gründen bei ihrem Standpunkt, dass kein Zugang zu den betreffenden Dokumenten gewährt werden dürfe.

10      Mit der Entscheidung SG.E.3/RG/mbp D (2008) 10067 vom 5. Dezember 2008 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) beschloss die Kommission, den Antragstellern den Zugang zu den Dokumenten zu gewähren. Sie stützte ihre Entscheidung darauf, dass die Begründung, die die Bundesrepublik Deutschland vorgebracht habe, um der Herausgabe der Dokumente zu widersprechen, prima facie nicht korrekt sei, und dass daher davon ausgegangen werden müsse, dass die deutschen Behörden keine ausreichenden Gründe vorgebracht hätten, um das Vorliegen einer der angeführten Ausnahmen zu substantiieren. Die Kommission unterrichtete die deutschen Behörden gemäß Art. 5 Abs. 6 des Anhangs des Beschlusses 2001/937/EG, EGKS, Euratom der Kommission vom 5. Dezember 2001 zur Änderung ihrer Geschäftsordnung (ABl. L 345, S. 94) über ihre Absicht, die betreffenden Dokumente nach zehn Werktagen freizugeben, und verwies sie auf die Rechtsmittel, die ihnen zur Verfügung stünden, um die Freigabe zu verhindern.

11      Mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission mit, dass sie der Übermittlung der beantragten Dokumente widerspreche. Sie kündigte an, dass sie eine Nichtigkeitsklage erheben wolle, und forderte die Kommission auf, die Dokumente nicht vor Abschluss dieses Verfahrens zu übermitteln.

12      Mit Schreiben vom 30. Januar 2009 teilte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland mit, dass es ihr freistehe, beim Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu beantragen, um die Übermittlung der beantragten Dokumente zu verhindern. Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch keinen solchen Antrag gestellt.

13      Die Kommission übermittelte die betreffenden Dokumente an die Antragsteller.

 Verfahren und Anträge der Parteien

14      Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Klageschrift, die am 11. Februar 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

15      Das Königreich Spanien und die Republik Polen haben mit Schriftsätzen, die am 8. Juni und 7. Juli 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Bundesrepublik Deutschland zugelassen zu werden.

16      Das Königreich Schweden, das Königreich Dänemark und die Republik Finnland haben mit Schriftsätzen, die am 18. Juni, 29. Juni und 1. Juli 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

17      Der Präsident der Sechsten Kammer des Gerichts hat diese Streitbeitritte mit Beschluss vom 3. September 2009 zugelassen.

18      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Vierten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist.

19      Die Bundesrepublik Deutschland, unterstützt durch das Königreich Spanien und die Republik Polen, beantragt,

–      die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–      der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

20      Die Kommission, unterstützt durch das Königreich Dänemark, die Republik Finnland und das Königreich Schweden, beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

21      Die Bundesrepublik Deutschland macht einen einzigen Klagegrund geltend, nämlich einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 bis 3 und 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 in Verbindung mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 10 EG.

22      Die Bundesrepublik Deutschland trägt im Wesentlichen vor, die Kommission habe, indem sie ihren Widerspruch gegen die Herausgabe der betreffenden Dokumente nicht beachtet habe, die Grenzen ihrer Prüfungsbefugnis, wie diese vom Gerichtshof im Urteil Schweden/Kommission (oben in Randnr. 6 angeführt) definiert worden sei, überschritten und dadurch gegen Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 verstoßen.

23      Hilfsweise macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass die Begründung für ihren Widerspruch gegen die Herausgabe der betreffenden Dokumente, die auf die Ausnahmen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt sei, keinesfalls als offensichtlich unrichtig angesehen werden könne.

 Zum Verfahren nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001

24      Die Verfahrensbeteiligten sind sich nicht einig, in welchem Umfang das Organ, im vorliegenden Fall die Kommission, im Verfahren nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 die von einem Mitgliedstaat vorgebrachte Begründung zu prüfen hat, wenn dieser auf der Grundlage der Ausnahmen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung der Freigabe der beantragten Dokumente widerspricht.

25      Die Bundesrepublik Deutschland, unterstützt durch das Königreich Spanien, hält das Organ nicht für berechtigt, die Stichhaltigkeit der Begründung des betreffenden Mitgliedstaats zu prüfen. Die Republik Polen, die die Anträge der Bundesrepublik Deutschland unterstützt, erläutert, dass die Kommission allenfalls prüfen könne, ob der Mitgliedstaat, der sich auf eine Ausnahme berufe, die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1049/2001 in einer offensichtlichen und alle Zweifel ausschließenden Weise fehlerhaft anwende.

26      Die Kommission, unterstützt durch das Königreich Dänemark, die Republik Finnland und das Königreich Schweden, trägt vor, dass sie prüfen müsse, ob die vom Mitgliedstaat vorgebrachte Begründung angesichts der Umstände des Falles und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung prima facie stichhaltig sei.

27      Nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 umfasst das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe nicht nur die von diesen Organen erstellten Dokumente, sondern auch die Dokumente, die sie von Dritten erhalten haben, zu denen – wie Art. 3 Buchst. b der Verordnung ausdrücklich klarstellt – auch die Mitgliedstaaten zählen.

28      Damit hat der Unionsgesetzgeber die vor dem Erlass der Verordnung Nr. 1049/2001 geltende Urheberregel abgeschafft. Nach dieser Regel war der Antrag auf Zugang zu einem Dokument, wenn es sich im Besitz eines Organs befand und sein Urheber ein Dritter war, direkt an den Urheber dieses Dokuments zu richten.

29      Seit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen alle Dokumente der Organe, ob sie von diesen erstellt wurden oder von Mitgliedstaaten oder anderen Dritten stammen, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung und unterliegen damit deren Bestimmungen, insbesondere soweit diese die materiellen Ausnahmen vom Zugangsrecht betreffen.

30      Bezüglich der Dokumente Dritter sieht Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vor, dass das Organ diese konsultiert, um zu beurteilen, ob die Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 1 oder 2 der Verordnung anwendbar sind, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf.

31      Bezüglich der aus einem Mitgliedstaat stammenden Dokumente bestimmt Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001, dass ein Mitgliedstaat das Organ ersuchen kann, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten. Nach der Rechtsprechung eröffnet diese Vorschrift dem Mitgliedstaat somit die Möglichkeit, sich an der Entscheidung zu beteiligen, die das Organ zu erlassen hat, und sieht zu diesem Zweck einen Entscheidungsprozess vor, damit festgestellt werden kann, ob die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 aufgezählten materiellen Ausnahmen der Gewährung des Zugangs zu dem betreffenden Dokument entgegenstehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnrn. 76, 81, 83 und 93).

32      Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 überträgt nämlich die Durchführung der Bestimmungen des Unionsrechts dem Organ und dem Mitgliedstaat, der von der ihm nach diesem Abs. 5 eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, gemeinsam; beide müssen gemäß der Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit nach Art. 10 EG so handeln und zusammenarbeiten, dass die genannten Vorschriften tatsächlich zur Anwendung kommen können (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 85).

33      Daraus folgt zunächst, dass das Organ, bei dem ein Antrag auf Zugang zu einem Dokument eingeht, das von einem Mitgliedstaat stammt, mit diesem, wenn es ihm den Antrag zugestellt hat, unverzüglich in einen loyalen Dialog über die etwaige Anwendung der Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 eintreten muss. Dabei haben beide insbesondere darauf zu achten, dass dem Organ ermöglicht werden muss, innerhalb der Fristen Stellung zu nehmen, innerhalb deren es nach den Art. 7 und 8 der Verordnung über diesen Antrag entscheiden muss (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 86).

34      Sodann muss der betreffende Mitgliedstaat, der nach diesem Dialog der Verbreitung des fraglichen Dokuments widerspricht, den Widerspruch anhand dieser Ausnahmen begründen. Das Organ kann nämlich dem Widerspruch eines Mitgliedstaats gegen die Verbreitung eines von ihm stammenden Dokuments nicht stattgeben, wenn dieser Widerspruch völlig unbegründet ist oder in der vorgetragenen Begründung nicht auf die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Ausnahmen Bezug genommen wird. Wenn der Mitgliedstaat trotz einer entsprechenden ausdrücklichen Aufforderung des Organs seinen Widerspruch weiterhin nicht begründet, muss das Organ Zugang zu dem angeforderten Dokument gewähren, sofern es seinerseits der Auffassung ist, dass keine dieser Ausnahmen vorliegt (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnrn. 87 und 88).

35      In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 dem Mitgliedstaat keineswegs ein allgemeines und unbedingtes Vetorecht einräumt, aufgrund dessen er der Verbreitung eines jeden im Besitz eines Organs befindlichen Dokuments nach Belieben und ohne Begründung seiner Entscheidung allein deshalb widersprechen dürfte, weil das Dokument von ihm stammt (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 58).

36      Wie insbesondere aus den Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 1049/2001 hervorgeht, ist das Organ selbst schließlich verpflichtet, die Ablehnung gegenüber dem Antragsteller zu begründen. Gemäß dieser Verpflichtung muss das Organ in seiner Entscheidung nicht nur auf den Widerspruch des betreffenden Mitgliedstaats gegen die Verbreitung des angeforderten Dokuments hinweisen, sondern auch auf die Gründe, die der Mitgliedstaat für die Anwendung einer der Ausnahmeregelungen bezüglich des Zugangsrechts gemäß Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung angeführt hat. Solche Angaben ermöglichen nämlich dem Antragsteller, den Ursprung und die Gründe der Ablehnung in Erfahrung zu bringen, und dem zuständigen Gericht, gegebenenfalls die ihm übertragene Überprüfung durchzuführen (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 89).

37      Nach der Rechtsprechung kann somit der betreffende Mitgliedstaat gemäß Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 der Verbreitung von Dokumenten, die von ihm stammen, nur widersprechen, wenn er sich auf die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Ausnahmen stützt und seinen Standpunkt ordnungsgemäß begründet (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 99).

38      Darüber hinaus ist festzustellen, dass nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 das betreffende Organ, wenn nach seiner Ansicht klar ist, dass der Zugang zu einem von einem Mitgliedstaat stammenden Dokument gemäß den Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 1 oder 2 der Verordnung nicht gewährt werden darf, dem Antragsteller den Zugang verweigert, ohne dass der Mitgliedstaat, von dem das Dokument stammt, konsultiert werden muss; dies gilt unabhängig davon, ob der Mitgliedstaat zuvor ein Ersuchen nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung eingereicht hat. In einem solchen Fall ist also offensichtlich, dass das Organ über den Antrag auf Zugang zu dem Dokument nur auf der Grundlage der Ausnahmen entscheidet, die sich unmittelbar aus den Vorschriften des Unionsrechts ergeben (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 68).

39      Die Bundesrepublik Deutschland macht im vorliegenden Fall geltend, dass es nach dem Urteil Schweden/Kommission (oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 88) nur zwei Konstellationen gebe, in denen sich die Kommission über den Widerspruch eines Mitgliedstaats gegen die Verbreitung der Dokumente hinwegsetzen könne: erstens, wenn der Widerspruch überhaupt keine Begründung im Sinne von Art. 253 EG enthalte, und zweitens, wenn in der vorgetragenen Begründung nicht auf die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Ausnahmen Bezug genommen werde. Die Bundesrepublik Deutschland verweist in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und die klare Unterscheidung zwischen Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001, der für Dokumente anderer Dritter als Mitgliedstaaten lediglich einen Konsultationsmechanismus vorsehe, und Art. 4 Abs. 5 der Verordnung, der für die Mitgliedstaaten ein Recht vorsehe, den Dokumentenzugang von ihrer Zustimmung abhängig zu machen.

40      In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesrepublik Deutschland außerdem vorgetragen, dass sich Art. 255 Abs. 1 EG und Art. 42 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1; im Folgenden: Grundrechtecharta) auf den Zugang zu Dokumenten der Organe und nicht zu Dokumenten der Mitgliedstaaten bezögen.

41      Was erstens den Verweis der Bundesrepublik Deutschland auf Art. 255 EG und Art. 42 der Grundrechtecharta betrifft, ist zunächst festzustellen, dass Art. 255 Abs. 2 EG dem Rat die Verantwortung dafür auferlegt, die allgemeinen Grundsätze und die Einschränkungen für die Ausübung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten festzulegen. Die Verordnung Nr. 1049/2001, die vom Europäischen Parlament und vom Rat erlassen wurde und deren Rechtmäßigkeit die Bundesrepublik Deutschland nicht in Abrede stellt, erstreckt das Zugangsrecht ausdrücklich auf alle im Besitz eines Organs befindlichen Dokumente (vgl. Randnrn. 27 und 28 des vorliegenden Urteils).

42      Sodann steht fest, dass die Mitgliedstaaten sowohl aufgrund ihrer Vertretung im Rat als auch aufgrund ihrer Beteiligung in zahlreichen vom Rat eingesetzten Ausschüssen eng in den Legislativ- und den Exekutivprozess der Union einbezogen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 63). Der Ausschluss zahlreicher von den Mitgliedstaaten stammender Dokumente vom Geltungsbereich des Zugangsrechts nach Art. 255 Abs. 1 EG liefe dem mit diesem Artikel verfolgten und durch Art. 42 der Grundrechtecharta gewährleisteten Ziel der Transparenz zuwider, sofern nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen, die eng auszulegen sind (Urteile Sison/Rat, oben in Randnr. 8 angeführt, Randnr. 63, und Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 66).

43      Nach der der Schlussakte des Vertrags von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 35 zu Art. 255 Abs. 1 EG schließlich kommt die Konferenz überein, dass die in diesem Artikel genannten Grundsätze und Bedingungen es einem Mitgliedstaat gestatten, die Kommission oder den Rat zu ersuchen, ein aus dem betreffenden Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung an Dritte weiterzuleiten. Die Verfasser dieses Vertrags wollten demnach Dokumente der Mitgliedstaaten nicht vom Geltungsbereich des Art. 255 Abs. 1 EG ausschließen.

44      Dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, nach dem Primärrecht der Union sei das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Mitgliedstaaten eng auszulegen, kann somit nicht gefolgt werden.

45      Was zweitens den Umfang angeht, in dem ein Organ die von einem Mitgliedstaat zur Rechtfertigung seines Widerspruchs gegen die Verbreitung eines Dokuments angeführte Begründung prüfen darf, ist daran zu erinnern, dass Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Erreichung der Ziele dieser Verordnung dem Organ und dem Mitgliedstaat gemeinsam überträgt. Er sieht zu diesem Zweck einen Entscheidungsprozess vor, in dessen Rahmen beide gemäß den Erfordernissen nach Art. 10 EG loyal zusammenarbeiten müssen, um sicherzustellen, dass die Bestimmungen der Verordnung tatsächlich und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zur Anwendung kommen.

46      Daher ist der Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland mit der Systematik und den Zielen der Verordnung Nr. 1049/2001 unvereinbar, weil er darauf abzielt, dass das Organ im Rahmen von Art. 4 Abs. 5 der Verordnung systematisch der Weigerung des Mitgliedstaats nachgibt, sofern diese Weigerung auf irgendeine Begründung gestützt ist und in den Gründen auf die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung aufgezählten Ausnahmen Bezug genommen wird. Eine solche Situation entspricht nämlich nicht dem loyalen Dialog, den das Organ und der Mitgliedstaat aufnehmen müssen, um die tatsächliche Durchführung der Verordnung Nr. 1049/2001 sicherzustellen.

47      Sodann ist zu beachten, dass nach Art. 8 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Letztverantwortung für ihre ordnungsgemäße Durchführung bei dem Organ liegt und dass es dessen Sache ist, die Entscheidung vor den Unionsgerichten oder dem Bürgerbeauftragten zu verteidigen. Müsste das Organ automatisch der vom Mitgliedstaat angeführten Begründung folgen, wäre es gezwungen, gegenüber der Person, die den Antrag auf Zugang gestellt hat, und gegebenenfalls vor den Kontrollinstanzen Positionen zu vertreten, die es selbst nicht für vertretbar hält.

48      In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1049/2001, die vorbehaltlich der in dieser genannten Ausnahmen ein Recht auf Zugang zu allen im Besitz eines Organs befindlichen Dokumenten vorsehen, von dem Organ, bei dem der Zugangsantrag gestellt wurde, tatsächlich durchgeführt werden müssen, und zwar nicht erst nach einer Klage beim Unionsrichter. Dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass die Möglichkeit, eine solche Klage zu erheben, dem betreffenden Organ die Befugnis nehme, die vom Mitgliedstaat vorgebrachte Begründung zu prüfen, kann daher nicht gefolgt werden.

49      Wäre die Prüfung auf die rein formalen Aspekte des vom Mitgliedstaat geäußerten Widerspruchs beschränkt, könnte dieser schließlich auch dann, wenn keine tatsächlichen Gründe für eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorliegen, jede Verbreitung schlicht und einfach durch eine Begründung verhindern, in der formal auf die materiellen Ausnahmen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Bezug genommen wird. Eine solche rein formale Prüfung liefe darauf hinaus, dass in der Praxis die durch diese Verordnung abgeschaffte Urheberregel wieder eingeführt würde, und widerspräche dem Grundsatz, wonach die materiellen Ausnahmen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung die Ausübung der Befugnis, die Art. 4 Abs. 5 der Verordnung dem betreffenden Mitgliedstaat einräumt, eingrenzen (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 76).

50      Demnach macht die Bundesrepublik Deutschland zu Unrecht geltend, dass das Organ – wenn ein Mitgliedstaat im Rahmen von Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 Widerspruch geäußert habe –, bevor es gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung eine Entscheidung erlasse, in der die Gründe für seine Verweigerung des Zugangs zum angeforderten Dokument dargelegt seien, den Widerspruch des Mitgliedstaats nur einer formalen Prüfung unterziehen dürfe, die allein darin bestehe, dass geklärt werde, ob dem Widerspruch nicht jede Begründung fehle und ob in dieser auf die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Ausnahmen Bezug genommen werde.

51      Der in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 geregelte Entscheidungsprozess verlangt im Gegenteil, dass der betreffende Mitgliedstaat und das Organ sich an die materiellen Ausnahmen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung halten (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 83). Das Organ ist daher befugt, sich zu vergewissern, dass die Rechtfertigungen, auf die der Widerspruch des Mitgliedstaats gegen die Verbreitung des angeforderten Dokuments gestützt wird und die in der gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung erlassenen Entscheidung, mit der der Zugang verweigert wird, anzugeben sind, nicht einer Grundlage entbehren.

52      Anders als die Bundesrepublik Deutschland in entsprechender Heranziehung der im Urteil des Gerichtshofs vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a. (283/81, Slg. 1982, 3415, Randnr. 13), festgelegten Kriterien hilfsweise vorträgt, kann dabei nicht davon ausgegangen werden, dass eine Prüfung des Organs nur dann erfolgen darf, wenn die streitige Fallkonstellation bereits zu einem Urteil des Unionsrichters in einer gleich gelagerten oder ähnlichen Rechtssache geführt hat oder wenn die richtige Anwendung des Rechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt. Entgegen dem Vorbringen der Republik Polen geht es auch nicht darum, zu klären, ob die vom betreffenden Mitgliedstaat angeführte Begründung in einer alle Zweifel ausschließenden Weise fehlerhaft ist.

53      Die Prüfung des Organs besteht darin, dass geklärt wird, ob angesichts der Umstände des konkreten Falles und der anwendbaren Rechtsvorschriften die vom Mitgliedstaat für seinen Widerspruch angeführten Gründe eine solche Ablehnung auf den ersten Blick rechtfertigen (vgl. entsprechend Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 23. Februar 2001, Österreich/Rat, C‑445/00 R, Slg. 2001, I‑1461, Randnrn. 73 und 74) und ob sie daher dem Organ erlauben, die Verantwortung zu übernehmen, die ihm Art. 8 der Verordnung Nr. 1049/2001 überträgt.

54      Es geht für das Organ nicht darum, seine Auffassung durchzusetzen oder die Beurteilung des betreffenden Mitgliedstaats durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen, sondern darum, den Erlass einer Entscheidung zu vermeiden, die es für nicht vertretbar hält. Das Organ ist als derjenige, der die Entscheidung erlässt, mit der der Zugang gewährt oder verweigert wird, für deren Rechtmäßigkeit verantwortlich. Bevor es den Zugang zu einem von einem Mitgliedstaat stammenden Dokument verweigert, muss es daher prüfen, ob der Mitgliedstaat seinen Widerspruch auf die materiellen Ausnahmen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt und seinen Standpunkt in Bezug auf diese Ausnahmen ordnungsgemäß begründet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 99).

55      Diese Prüfung hat im Rahmen des loyalen Dialogs zu erfolgen, der den in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Entscheidungsprozess kennzeichnet; das Organ muss dem Mitgliedstaat dabei ermöglichen, seine Gründe so gut wie möglich darzulegen oder sie zu überdenken, damit sie prima facie als vertretbar angesehen werden können (vgl. Randnr. 53 des vorliegenden Urteils).

56      Diese Prüfung ist zudem unter angemessener Berücksichtigung des Grundsatzes durchzuführen, wonach die in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Ausnahmen vom Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten der Organe angesichts der mit der Verordnung verfolgten Ziele, insbesondere des in deren zweitem Erwägungsgrund genannten Umstands, dass dieses Recht mit dem demokratischem Charakter der Unionsorgane zusammenhängt, und des im vierten Erwägungsgrund und in Art. 1 genannten Zwecks der Verordnung, der Öffentlichkeit größtmöglichen Zugang zu verschaffen, eng auszulegen und anzuwenden sind (Urteil Sison/Rat, oben in Randnr. 8 angeführt, Randnr. 63, und Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 66).

57      Folglich ist das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass die Kommission, indem sie die Stichhaltigkeit der von der Klägerin für ihren Widerspruch angeführten Begründung geprüft habe, die Grenzen ihrer Befugnis im Verfahren nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 überschritten habe, als unbegründet zurückzuweisen.

 Zu den von der Bundesrepublik Deutschland zur Rechtfertigung ihres Widerspruchs gegen die Verbreitung der Dokumente angeführten Gründen

58      Aus den oben gemachten Ausführungen (vgl. Randnrn. 32, 33, 45, 46 und 55) geht hervor, dass die Durchführung von Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 zum Zweck der Klärung, ob die Verweigerung des Zugangs zu einem von einem Mitgliedstaat stammenden Dokument nach den Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 gerechtfertigt sein kann, auf der Grundlage einer loyalen Zusammenarbeit zwischen dem Organ und dem betreffenden Mitgliedstaat erfolgt. Erst nach einem offenen und konstruktiven Dialog über die Möglichkeit, die Verweigerung des Zugangs nach Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 zu rechtfertigen, kann das Organ deshalb beschließen, die Gründe abzulehnen, die der Mitgliedstaat für seinen Widerspruch anführt, wenn es zu dem Ergebnis kommt, dass diese Gründe nicht vertretbar sind.

59      Im vorliegenden Fall fanden vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung wiederholt Schriftwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission statt. Insbesondere hat die Kommission die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Schreiben vom 15. September 2008 unter Angabe von Gründen aufgefordert, ihren Standpunkt zu überprüfen. Die Bundesrepublik Deutschland blieb jedoch bei ihrer Ablehnung. Erst nach diesen Schriftwechseln hat die Kommission die angefochtene Entscheidung erlassen. Entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland hat sich die Kommission somit nicht darauf beschränkt, die Analyse der deutschen Behörden durch ihre eigene Analyse zu ersetzen. Die angefochtene Entscheidung wurde vielmehr gemäß dem in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Entscheidungsprozess aufgrund eines loyalen Dialogs erlassen.

60      Weiter ist zu klären, ob die Kommission, wie sie selbst geltend macht, zu dem Ergebnis kommen konnte, dass die Gründe, die von der Bundesrepublik Deutschland für ihren Widerspruch gegen die Verbreitung der angeforderten Dokumente angeführt worden waren, prima facie nicht stichhaltig waren.

61      Was erstens die Ausnahme des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Schutz der internationalen Beziehungen betrifft, hält die Bundesrepublik Deutschland die Argumente, die sie bei der Kommission für ihren Widerspruch vorgebracht hat, für zumindest vertretbar.

62      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Begriff der „internationalen Beziehungen“ in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 ein Begriff des Unionsrechts ist und folglich nicht davon abhängen kann, welchen Inhalt er nach den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hat. Tatsächlich enthält Art. 4 Abs. 5 der Verordnung ebenso wenig wie die Abs. 1 bis 4 dieses Artikels einen Verweis auf das nationale Recht (Urteil Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 69).

63      Sodann ist mit der Kommission darauf hinzuweisen, dass die Gründungsverträge der Union im Unterschied zu gewöhnlichen internationalen Verträgen eine über eigene Organe verfügende neue Rechtsordnung geschaffen haben, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind (Urteil des Gerichtshofs vom 5. Februar 1963, Van Gend & Loos, 26/62, Slg. 1963, 3, 5 f., und Gutachten des Gerichtshofs 1/91 vom 14. Dezember 1991, Slg. 1991, I‑6079, Randnr. 21). Damit die Ziele der Union in den von dieser erfassten Bereichen erreicht werden, fallen die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen der Union unter die Verfassung, die durch die Verträge festgelegt worden ist.

64      Das gilt insbesondere für die Kommunikation zwischen einem Mitgliedstaat und der Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens, das eingeleitet wurde, um sicherzustellen, dass ein Mitgliedstaat seine Verpflichtungen aus den Verträgen erfüllt.

65      Schließlich ist zu beachten, dass die Auffassung der Bundesrepublik Deutschland, die Kommunikation zwischen ihr und den Organen der Union falle unter den Begriff der „internationalen Beziehungen“ in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001, zur Folge hätte, dass zugelassen würde, dass ein Großteil der in den Tätigkeitsbereichen der Union verwendeten Dokumente dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten der Organe entzogen wäre. Ein solches Ergebnis würde aber die Erreichung des mit der Verordnung Nr. 1049/2001 verfolgten Ziels der Transparenz unmöglich machen und wäre unvereinbar mit dem oben angeführten Grundsatz, dass die Ausnahmen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 eng auszulegen und anzuwenden sind (vgl. Randnrn. 42 und 56 des vorliegenden Urteils).

66      Die Kommission hat daher zu Recht festgestellt, dass der von der Bundesrepublik Deutschland angeführte Grund des Schutzes der internationalen Beziehungen gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 prima facie nicht stichhaltig sei.

67      Diese Feststellung schließt nicht aus, dass nationales Recht, durch das ein öffentliches oder privates Interesse geschützt wird, als schutzwürdiges Interesse im Sinne der in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen angesehen werden kann. Die Begriffe des nationalen Rechts und die des Unionsrechts können nämlich miteinander übereinstimmen, einander ergänzen oder auch der gegenseitigen Bezugnahme dienen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame, C‑46/93 und C‑48/93, Slg. 1996, I‑1029, Randnr. 27, und Schweden/Kommission, oben in Randnr. 6 angeführt, Randnr. 84).

68      Was zweitens die in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 genannte Ausnahme zum Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten angeht, auf die sich die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls berufen hat, ist zunächst festzustellen, dass die von der Kommission nach Art. 226 EG eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren unter die Untersuchungstätigkeiten im Sinne dieser Bestimmung fallen.

69      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass das Organ, wenn es beschließt, den Zugang zu einem Dokument zu verweigern, dessen Verbreitung beantragt wurde, erläutern muss, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 genannte angeführte Interesse konkret beeinträchtigen könnte. Dabei kann sich das Organ gegebenenfalls auf allgemeine Vermutungen stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, da für Anträge auf Verbreitung von Dokumenten gleicher Art vergleichbare allgemeine Erwägungen gelten können (Urteile des Gerichtshofs vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, Slg. 2008, I‑4723, Randnrn. 49 und 50, sowie vom 29. Juni 2010, Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, C‑139/07 P, Slg. 2010, I‑5885, Randnrn. 53 und 54).

70      Schließlich ist festzustellen, dass ein Mitgliedstaat, der im Verfahren nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 der Verbreitung von Dokumenten widerspricht, die von diesem Mitgliedstaat stammen, dem Organ alle Informationen übermitteln muss, die es diesem ermöglichen, eine Entscheidung zu rechtfertigen, mit der der Zugang zu den betreffenden Dokumenten verweigert wird.

71      Im vorliegenden Fall geht aus der Verfahrensakte hervor, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Stützung ihres Widerspruchs gegen die Verbreitung der angeforderten Dokumente angeführt hat, dass deren Herausgabe an Dritte die auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit beruhenden Beziehungen zwischen ihr und der Kommission beeinträchtigen würde, die ihr Verhältnis bei der Suche nach einer mit dem Unionsrecht vereinbaren Lösung in Vertragsverletzungsverfahren kennzeichneten. Die Bundesrepublik Deutschland verweist hierzu auf die Urteile des Gerichts vom 11. Dezember 2001, Petrie u. a./Kommission (T‑191/99, Slg. 2001, II‑3677, Randnrn. 68 und 69), und vom 14. Oktober 1999, Bavarian Lager/Kommission (T‑309/97, Slg. 1999, II‑3217, Randnr. 46).

72      Die Bundesrepublik Deutschland hat vorgetragen, dass Gleiches auch nach Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens gelte, da ein solches Verfahren ein Ort der Verhandlungstaktiken, Kompromisslinien und Strategien sei, die auch in künftigen Vertragsverletzungsverfahren verwendet werden könnten. Eine solche Interessenkonstellation sei schützenswert, und zwar auch dann, wenn in einem bestimmten Vertragsverletzungsverfahren keine spezifische Gefahr bestehe. Im vorliegenden Fall enthielten die angeforderten Dokumente Tatsachendarstellungen und Angaben zu den vorangegangenen oder beabsichtigten Verfahrensschritten, die nicht offengelegt werden dürften, damit die loyale Zusammenarbeit zwischen ihr und der Kommission sichergestellt sei und die Suche nach flexiblen und raschen Lösungen nicht behindert werde.

73      Hierzu ist festzustellen, dass die in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme nach der Rechtsprechung nicht die Untersuchungstätigkeiten als solche schützen soll, sondern deren Zweck, der im Fall eines Vertragsverletzungsverfahrens darin besteht, den betreffenden Mitgliedstaat dazu zu bewegen, das Gemeinschaftsrecht zu beachten (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 12. September 2007, API/Kommission, T‑36/04, Slg. 2007, II‑3201, Randnrn. 127 und 133, sowie Bavarian Lager, oben in Randnr. 8 angeführt, Randnr. 149).

74      Aus diesem Grund können Untersuchungshandlungen, solange dieses Ziel nicht erreicht ist, auch noch unter die betreffende Ausnahme fallen, wenn die konkrete Untersuchung oder Inspektion, die Grundlage des Berichts ist, zu dem Zugang begehrt wird, beendet ist (Urteil Franchet und Byk/Kommission, oben in Randnr. 8 angeführt, Randnr. 110; vgl. entsprechend für die Anwendung des Verhaltenskodex von 1993 Urteil des Gerichts vom 13. September 2000, Denkavit Nederland/Kommission, T‑20/99, Slg. 2000, II‑3011, Randnr. 48).

75      Um die Anwendung der in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme zu rechtfertigen, muss allerdings nachgewiesen werden, dass die Freigabe der betreffenden Dokumente den Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten der Kommission bezüglich der fraglichen Vertragsverletzungen tatsächlich beeinträchtigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Franchet und Byk, oben in Randnr. 8 angeführt, Randnrn. 105 und 109, sowie API/Kommission, oben in Randnr. 73 angeführt, Randnr. 127). Die im Rahmen der Bearbeitung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten erforderliche Prüfung muss nämlich konkret sein, und die Gefahr einer Beeinträchtigung eines geschützten Interesses muss absehbar und darf nicht rein hypothetisch sein (Urteile Franchet und Byk/Kommission, oben in Randnr. 8 angeführt, Randnr. 115, Bavarian Lager, oben in Randnr. 8 angeführt, Randnr. 151, sowie Schweden und Turco/Rat, oben in Randnr. 69 angeführt, Randnrn. 43 und 63).

76      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass das Vertragsverletzungsverfahren, in dem die angeforderten Dokumente vorgelegt wurden, am 28. Juni 2006 eingestellt wurde, also mehr als zwei Jahre vor dem Antrag auf Zugang zu den Dokumenten, der am 19. Juli 2008 gestellt wurde. Die Bundesrepublik Deutschland kann sich daher nicht auf die Urteile Petrie u. a./Kommission und Bavarian Lager/Kommission (oben in Randnr. 71 angeführt) berufen, denn diese Urteile betreffen Fälle, in denen das Vertragsverletzungsverfahren zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung entweder bei der Verwaltung oder vor den Gerichten noch in Gang war.

77      Im vorliegenden Fall kann daher nicht bestritten werden, dass Untersuchungstätigkeiten, deren Zweck durch die Verbreitung der betreffenden Dokumente hätte gefährdet werden können, nicht in Gang waren, als im Juli 2008 der Antrag auf Zugang zu Dokumenten gestellt wurde.

78      Zum Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass eine Versagung des Rechts auf Zugang zu den Dokumenten wegen der Notwendigkeit geboten gewesen sei, die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen der Kommission und ihr selbst in Vertragsverletzungsverfahren zu wahren (vgl. Randnrn. 71 und 72 des vorliegenden Urteils), ist erstens festzustellen, dass anders als in laufenden Vertragsverletzungsverfahren keine allgemeine Vermutung besteht, wonach eine Verbreitung der Schriftwechsel zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat in einem eingestellten Vertragsverletzungsverfahren den nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützten Zweck von Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigen würde.

79      Zweitens ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland keine Angaben gemacht hat, die es erlauben würden, zu verstehen, inwiefern die Freigabe der angeforderten Dokumente zwei Jahre nach der Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens den Zweck der betreffenden Untersuchung oder anderer, damit zusammenhängender Untersuchungen konkret und tatsächlich hätte gefährden können. Die Bundesrepublik Deutschland hat nämlich nicht angeführt, dass die Möglichkeit bestehe, dass das von der Kommission am 28. Juni 2006 eingestellte Verfahren wieder aufgenommen werde, oder dass ein mit diesem Verfahren zusammenhängendes Vertragsverletzungsverfahren geführt werde, dessen Ablauf durch die Freigabe der angeforderten Dokumente hätte beeinträchtigt werden können.

80      In diesem Zusammenhang ist auch das Vorbringen des Königreichs Spanien zurückzuweisen, dass, da die Kommission die unbegrenzte Möglichkeit habe, Vertragsverletzungsverfahren wieder aufzunehmen, die Schriftwechsel zwischen ihr und den Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Verfahren stets unter die Ausnahme des Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten fallen müssten. Diesem Vorbringen liegt eine rein hypothetische Überlegung zugrunde, denn das Königreich Spanien hat nicht dargetan, dass eine Wiederaufnahme des Vertragsverletzungsverfahrens im vorliegenden Fall absehbar ist.

81      Demnach ist festzustellen, dass die von der Bundesrepublik Deutschland für ihren Widerspruch gegen die Freigabe der Dokumente angeführten Gründe abstrakt und rein hypothetisch waren und daher keine ausreichende Rechtsgrundlage bieten konnten, auf der die Kommission eine ablehnende Entscheidung nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 hätte rechtfertigen können.

82      Die Kommission hat folglich zu Recht die Auffassung vertreten, dass die Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland zur Rechtfertigung ihres Widerspruchs gegen die Übermittlung der angeforderten Dokumente angeführt hatte, prima facie nicht stichhaltig seien.

83      Somit ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

84      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission neben ihren eigenen Kosten auch die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

85      Nach Art. 87 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Das Königreich Dänemark, das Königreich Spanien, die Republik Finnland, die Republik Polen und das Königreich Schweden tragen daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Das Königreich Dänemark, das Königreich Spanien, die Republik Finnland, die Republik Polen und das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.

Pelikánová

Jürimäe

Van der Woude

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Februar 2012.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.