Language of document : ECLI:EU:T:2023:344

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

21. Juni 2023(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Form eines Schmelztiegels – Älteres Geschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Fehlende Eigenart – Kein anderer Gesamteindruck – Offenbarung des älteren Geschmacksmusters – Art. 6, 7 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – In einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache eingereichte Beweise – Art. 29 Abs. 1 und 5 und Art. 81 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 – Tatsachen oder Beweismittel, die zum ersten Mal vor der Beschwerdekammer vorgebracht werden – Art. 63 der Verordnung Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑347/22,

Rauch Furnace Technology GmbH mit Sitz in Gmunden (Österreich), vertreten durch Rechtsanwalt M. Traxler,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch E. Nicolás Gómez und D. Hanf als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin im Verfahren vor dem Gericht:

Musto et Bureau Srl mit Sitz in Osteria Grande (Italien), vertreten durch Rechtsanwalt F. De Sanzuane,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin A. Marcoulli sowie der Richter S. Frimodt Nielsen (Berichterstatter) und W. Valasidis,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und der Entscheidung gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehrt die Klägerin, die Rauch Furnace Technology GmbH, die Aufhebung der Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 29. März 2022 (Sache R 1697/2021‑3) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 8. Juni 2020 stellte die Streithelferin, die Musto et Bureau Srl, beim EUIPO einen Antrag auf Nichtigerklärung des auf eine Anmeldung vom 6. März 2020 hin eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. 7 737 143-0001, das in folgenden Ansichten wiedergegeben ist:

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3        Das Geschmacksmuster, dessen Nichtigerklärung beantragt wurde, war zur Verwendung für das Erzeugnis „Schmelztiegel“ der Klasse 15-99 des Abkommens von Locarno vom 8. Oktober 1968 zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle in geänderter Fassung bestimmt.

4        Für den Antrag auf Nichtigerklärung wurden die Nichtigkeitsgründe von Art. 25 Abs. 1 Buchst. a und b in Verbindung mit den Art. 4 bis 8 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) geltend gemacht.

5        Der Antrag wurde namentlich auf die fehlende Eigenart des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sowie darauf gestützt, dass dessen Merkmale ausschließlich technischen Funktionen entsprächen.

6        Am 2. August 2021 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung zurück.

7        Am 30. September 2021 legte die Streithelferin beim EUIPO gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde ein, die sie auf dieselben Gründe stützte wie den Antrag auf Nichtigerklärung.

8        Mit der angefochtenen Entscheidung gab die Beschwerdekammer der Beschwerde statt. Zunächst entschied sie, dass bestimmte, von der Streithelferin erstmals vor ihr eingereichte Unterlagen nicht verspätet und zu berücksichtigen seien. Ferner befand sie, die Streithelferin habe mit diesen Unterlagen die Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters nachgewiesen. Weiter war sie der Ansicht, dass das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster und das ältere Geschmacksmuster beim informierten Benutzer keinen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorriefen. Schließlich gelangte sie auf der Grundlage dieser Beurteilungen zu dem Ergebnis, dass es dem angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster an Eigenart fehle und es für nichtig zu erklären sei.

 Anträge der Parteien

9        Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung samt der Nichtigerklärung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

10      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin – im Fall der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung – die Kosten aufzuerlegen.

11      Die Streithelferin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung zu bestätigen und damit „die Nichtigkeit/Löschung“ des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters „festzustellen“;

–        der Klägerin die Kosten des vorliegenden Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und zum Antrag der Streithelferin auf Beweisaufnahme

12      Mit Schreiben, das am 13. Oktober 2022, d. h. vor Ablauf der in Art. 106 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts vorgesehenen Frist, bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden ist, hat die Streithelferin beantragt, ihre Verwaltungsratsmitglieder zu sieben Beweisen anzuhören. Die ersten fünf davon finden sich in den Anlagen zu ihrer Klagebeantwortung, der sechste besteht in einer Anlage zur Klageschrift, und beim siebten handelt es sich um eine technische Zeichnung, die in Rn. 58 ihrer Klagebeantwortung wiedergegeben ist.

13      Mit Schreiben, das am 8. November 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden ist, hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass das oben in Rn. 12 genannte Schreiben der Streithelferin vom 13. Oktober 2022 nicht den Anforderungen von Nr. 142 der Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts entspreche, und beantragt, dem Antrag der Streithelferin auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht stattzugeben.

14      Mit Schreiben, das am 30. November 2022 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat sich das EUIPO dagegen ausgesprochen, dass das oben in Rn. 12 genannte Schreiben der Streithelferin vom 13. Oktober 2022 als Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne von Art. 106 Abs. 2 der Verfahrensordnung verstanden werde. Vielmehr sei dieses Schreiben als ein Antrag auf Beweisaufnahme anzusehen. Dieser beziehe sich aber auf erstmals vor dem Gericht vorgelegte Beweise und erweitere den Streitgegenstand über das hinaus, was Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen sei. Er sei daher als unzulässig zurückzuweisen. Darüber hinaus sei er unzureichend begründet.

15      Mit Schreiben, das am 16. Dezember 2022 eingereicht worden ist, hat die Streithelferin ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, damit ihre Verwaltungsratsmitglieder als Zeugen in ihrer Muttersprache (Italienisch) gehört werden könnten.

16      Der Antrag der Streithelferin vom 13. Oktober 2022 (siehe oben, Rn. 12) besteht aus einem Absatz und einer Tabelle der Beweise, zu denen nach dem Begehren der Streithelferin ihre Verwaltungsratsmitglieder in einer mündlichen Verhandlung als Zeugen gehört werden sollen. Hingegen enthält er keine Angaben zu den Aspekten oder Argumenten, die die Streithelferin über ihren Vertreter in einer mündlichen Verhandlung vortragen oder widerlegen wollen würde. Er kann daher nicht als ein mit Gründen versehener Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne von Art. 106 Abs. 2 der Verfahrensordnung angesehen werden.

17      Da jedoch das oben in Rn. 12 genannte Schreiben, wie das EUIPO geltend macht, als Antrag auf Beweisaufnahme anzusehen ist, der darauf gerichtet ist, dass das Gericht Zeugen in ihren Erläuterungen zu bestimmten Beweisen hören möge, ist festzustellen, dass – anders als vom EUIPO vorgebracht – die betreffenden Beweise nicht erstmals vor dem Gericht vorgelegt worden sind. Die ersten fünf Beweise und der siebte werden nämlich in Rn. 13 der angefochtenen Entscheidung beschrieben. Der sechste Beweis wiederum wird in Rn. 4 dieser Entscheidung erwähnt. Gleichwohl hält das Gericht es nicht für erforderlich, dem Antrag der Streithelferin auf Vernehmung von Zeugen stattzugeben, da die Tragweite und der Beweiswert der fraglichen Beweise ohne besondere Schwierigkeit nach Aktenlage beurteilt werden können.

18      Der Antrag der Streithelferin auf Beweisaufnahme ist daher zurückzuweisen.

 Zu den Anträgen der Streithelferin

19      Zu den Anträgen der Streithelferin ist festzustellen, dass sie im Wesentlichen darauf gerichtet sind, dass das Gericht zum einen die angefochtene Entscheidung und zum anderen die Nichtigerklärung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters bestätigen möge. Insoweit genügt der Hinweis, dass das Gericht im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV nicht befugt ist, bestätigende oder feststellende Urteile zu erlassen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 9. Dezember 2003, Italien/Kommission, C‑224/03, nicht veröffentlicht, EU:C:2003:658, Rn. 20 und 21, sowie Urteile vom 4. Februar 2009, Omya/Kommission, T‑145/06, EU:T:2009:27, Rn. 23, und vom 2. März 2022, Distintiva Solutions/EUIPO – Makeblock (Makeblock), T‑86/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:107, Rn. 24 und 25).

20      In Anbetracht des Vorbringens in der Klagebeantwortung der Streithelferin ist der betreffende Antrag jedoch dahin umzudeuten, dass er auf Klageabweisung gerichtet ist.

 Zum Umfang des Rechtsstreits

21      Das EUIPO macht geltend, da der vorliegende Rechtsstreit die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zum Gegenstand habe, gingen die Ausführungen der Klägerin, die sich nicht auf die von der Beschwerdekammer zugrunde gelegten Entscheidungsgründe bezögen, ins Leere.

22      Dies gelte für das Vorbringen der Klägerin, wonach das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 erfülle, sowie für das Vorbringen zur Untermauerung des zweiten und des dritten Teils des zweiten Klagegrundes. Gleiches gelte für das Vorbringen im Rahmen des vierten Teils des ersten Klagegrundes und des ersten Teils des zweiten Klagegrundes, da damit die Neuheit des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nachgewiesen werden solle.

23      Dieses gesamte Vorbringen sei als unzulässig oder zumindest als ins Leere gehend zurückzuweisen.

24      Nach der Rechtsprechung hat die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Beschwerdekammer durch das Gericht in Anbetracht von Art. 61 der Verordnung Nr. 6/2002 im Hinblick auf die Rechtsfragen zu erfolgen, mit denen die Beschwerdekammer befasst wurde. Es ist darum nicht Sache des Gerichts, vor ihm geltend gemachte neue Gründe zu prüfen oder den Sachverhalt im Licht von erstmals vor ihm vorgelegten Beweisen erneut zu prüfen. Die Prüfung solcher neuen Gründe und die Zulassung solcher Beweise stünden nämlich im Widerspruch zu Art. 188 der Verfahrensordnung, wonach die im Rahmen des Verfahrens vor dem Gericht eingereichten Schriftsätze der Parteien den vor der Beschwerdekammer verhandelten Streitgegenstand nicht ändern können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2013, Viejo Valle/HABM – Établissements Coquet [Tasse und Untertasse mit Rillen sowie tiefer Teller mit Rillen], T‑566/11 und T‑567/11, EU:T:2013:549, Rn. 63).

25      In der angefochtenen Entscheidung gab die Beschwerdekammer der Beschwerde der Streithelferin auf der Grundlage statt, dass es dem angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster an Eigenart im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 fehle, weil zuvor das ältere Geschmacksmuster der Streithelferin im Sinne von Art. 7 dieser Verordnung offenbart worden sei.

26      Die Klägerin stützt aber den zweiten Teil des zweiten Klagegrundes darauf, dass die Formgebung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht ausschließlich durch technische Erwägungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 bedingt sei. Außerdem macht die Klägerin für den dritten Teil des zweiten Klagegrundes geltend, dass das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster bei Gebrauch sichtbar bleibe, so dass der in Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehene Ausschlussgrund nicht zur Anwendung gelange.

27      Hierzu ergibt die Lektüre der angefochtenen Entscheidung, dass die Beschwerdekammer nicht davon ausging, dass die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 6/2002 die Nichtigerklärung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters rechtfertigten. Die Beschwerdekammer war auch nicht der Ansicht, dass das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht den Anforderungen von Art. 3 dieser Verordnung genüge oder dass deren Art. 5 seiner Eintragung entgegenstehe.

28      Daraus folgt, wie das EUIPO zutreffend geltend macht, dass erstens das nicht mit einem bestimmten Klagegrund verknüpfte Vorbringen der Klägerin, das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster entspreche der Definition in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002, zweitens das im Rahmen des vierten Teils des ersten Klagegrundes und des ersten Teils des zweiten Klagegrundes ausgeführte Vorbringen, das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster sei neu im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung, und drittens der zweite und der dritte Teil des zweiten Klagegrundes insgesamt, die sich ausschließlich auf die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung beziehen, keinerlei Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben und daher als ins Leere gehend zurückzuweisen sind.

29      Aus denselben Gründen zielt das Vorbringen, mit dem die Streithelferin geltend macht, dass Art. 3 Buchst. a, Art. 5 und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 6/2002 der Eintragung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters entgegenstünden, auf eine Prüfung von Rechtsfragen durch das Gericht, über die die Beschwerdekammer nicht entschieden hat, und ändert daher den vor der Beschwerdekammer verhandelten Streitgegenstand im Sinne von Art. 188 der Verfahrensordnung. Folglich ist das betreffende Vorbringen von vornherein als unzulässig zurückzuweisen.

 Zur Begründetheit der Klage im Übrigen

30      Die Klägerin trägt im Wesentlichen zwei Klagegründe vor, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften rügt und zweitens geltend macht, dass das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster die Schutzvoraussetzungen der Art. 4 bis 8 der Verordnung Nr. 6/2002 erfülle.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Verfahrensvorschriften

–       Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen Art. 98 Abs. 4 der Verordnung Nr. 6/2002

31      Den ersten Teil des ersten Klagegrundes stützt die Klägerin darauf, dass nach Art. 98 Abs. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 Deutsch Verfahrenssprache sei. Im Antrag auf Nichtigerklärung habe die Streithelferin jedoch eine in italienischer bzw. englischer Sprache verfasste Tabelle vorgelegt. Bereits deshalb allein hätte der Antrag auf Nichtigerklärung insgesamt zurückgewiesen werden müssen. Außerdem habe die Streithelferin Beweise vorgelegt, die nicht in der Verfahrenssprache verfasst gewesen seien.

32      Das EUIPO und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

33      Nach Art. 29 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28) ist der Antrag auf Nichtigerklärung in der Verfahrenssprache gemäß Art. 98 Abs. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 zu stellen. Nach Art. 29 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2245/2002 muss der Antragsteller, wenn die zur Begründung des Antrags vorgebrachten Beweismittel nicht in der Sprache des Nichtigkeitsverfahrens eingereicht werden, eine Übersetzung der betreffenden Beweismittel in diese Sprache innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Einreichung der Beweismittel vorlegen. Schließlich können nach Art. 81 Abs. 2 dieser Verordnung, sofern sie nichts anderes vorsieht, Schriftstücke, die in Verfahren vor dem EUIPO verwendet werden sollen, in jeder Amtssprache der Union eingereicht werden, und, soweit die Schriftstücke nicht in der Verfahrenssprache abgefasst sind, kann das EUIPO verlangen, dass innerhalb einer von ihm festgelegten Frist eine Übersetzung in diese Verfahrenssprache nachgereicht wird.

34      Als Erstes ergibt sich aus der Gesamtheit dieser Bestimmungen, dass die von den Beteiligten an einem Nichtigkeitsverfahren vor dem EUIPO vorgelegten Beweise grundsätzlich in der Verfahrenssprache abgefasst sein müssen. Ist dies jedoch nicht der Fall, kann das EUIPO ihre Übersetzung verlangen. Insoweit verfügt die Beschwerdekammer nach Art. 81 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2245/2002 in der Frage, ob die Übersetzung eines Beweises in die Verfahrenssprache zu verlangen ist, über einen Beurteilungsspielraum. Somit ist das Vorbringen der Klägerin zu verwerfen, dass die Vorlage bestimmter Beweise durch die Streithelferin in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache Grund genug für die Zurückweisung des Antrags auf Nichtigerklärung gewesen sei.

35      Als Zweites beanstandet die Klägerin die Berücksichtigung eines in acht Sprachen abgefassten Katalogs durch die Beschwerdekammer. Hierzu genügt der Hinweis, dass der fragliche Katalog aus acht verschiedenen Sprachfassungen, darunter eine Fassung in der Verfahrenssprache, zu denselben Abbildungen besteht. Folglich ist das Vorbringen der Klägerin unbegründet, dass die Beschwerdekammer diesen Katalog nicht habe berücksichtigen dürfen.

36      Als Drittes rügt die Klägerin, die Beschwerdekammer habe die in Rn. 16 des Antrags auf Nichtigerklärung wiedergegebene Tabelle mit Darstellungen von Schmelztiegelformen, deren Beschreibungen zum Teil in anderen Sprachen als der Verfahrenssprache verfasst seien, nicht als unzulässig zurückgewiesen. Um was es bei den in dieser Tabelle enthaltenen Bildern und Angaben, insbesondere den Daten, geht, wird jedoch in den Rn. 16 und 17 des Antrags auf Nichtigerklärung in der Verfahrenssprache eindeutig ausgeführt. Außerdem gründen, wie das EUIPO zutreffend geltend macht, die Beurteilungen der Beschwerdekammer in Bezug auf die Offenbarung des älteren Geschmacksmusters oder hinsichtlich des Vergleichs des Gesamteindrucks des älteren Geschmacksmusters mit dem Gesamteindruck des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht auf dieser Tabelle. Folglich ist auch dieses Vorbringen zu verwerfen.

37      Als Viertes beanstandet die Klägerin, dass bestimmte Beweise nicht in der Verfahrenssprache verfasst gewesen seien. Sie bleibt jedoch die Angabe der Beweise schuldig, auf die sich die Beschwerdekammer gestützt hätte und zu denen sie nicht hätte Stellung nehmen können.

38      Nach alledem ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

–       Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes: Unzulässigkeit von Beweisen, die die Beschwerdekammer berücksichtigt habe

39      Für den zweiten Teil des ersten Klagegrundes bringt die Klägerin vor, die Beschwerdekammer habe gemäß Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 die Beweise, die die Streithelferin erstmals vor ihr vorgelegt habe (im Folgenden: zusätzliche Beweise), nicht zu berücksichtigen brauchen. Mit der Begründung, weshalb sie der Ansicht gewesen sei, die zusätzlichen Beweismittel berücksichtigen zu dürfen, habe die Beschwerdekammer gegen die Voraussetzungen verstoßen, die in Art. 27 Abs. 4 der Delegierten Verordnung (EU) 2018/625 der Kommission vom 5. März 2018 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Unionsmarke und zur Aufhebung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/1430 (ABl. 2018, L 104, S. 1) vorgesehen seien. Die zusätzlichen Beweise hätten nämlich rechtzeitig vor der Nichtigkeitsabteilung vorgelegt werden können, und für ihre Verspätung gebe es keine berechtigten Gründe.

40      Das EUIPO und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

41      Nach Art. 63 der Verordnung Nr. 6/2002 ist das EUIPO in Verfahren bezüglich einer Nichtigerklärung bei der Ermittlung des Sachverhalts auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt und braucht Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen. Somit ist es dem EUIPO als allgemeine Regel, sofern nichts anderes bestimmt ist, keineswegs untersagt, Beweise zu berücksichtigen, die nach Ablauf der in der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Fristen vorgelegt werden. Mit der Klarstellung, dass das EUIPO solche Beweise nicht zu berücksichtigen „braucht“, räumt Art. 63 der Verordnung Nr. 6/2002 dem EUIPO nämlich ein weites Ermessen ein, um unter entsprechender Begründung seiner Entscheidung darüber zu befinden, ob die Beweise zu berücksichtigen sind oder nicht (vgl. entsprechend Urteile vom 18. Juli 2013, New Yorker SHK Jeans/HABM, C‑621/11 P, EU:C:2013:484, Rn. 22 und 23, und vom 12. Dezember 2017, Hochmann Marketing/EUIPO – BitTorrent [bittorrent], T‑771/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:887, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Außerdem darf die Beschwerdekammer nach Art. 27 Abs. 4 der Verordnung 2018/625 Tatsachen oder Beweismittel, die ihr zum ersten Mal vorgelegt werden, nur dann berücksichtigen, wenn sie auf den ersten Blick für den Ausgang des Falles von Relevanz erscheinen und aus berechtigten Gründen nicht fristgemäß vorgelegt wurden, insbesondere wenn sie bereits fristgemäß vorgelegte einschlägige Tatsachen und Beweismittel lediglich ergänzen oder wenn sie der Anfechtung von Feststellungen dienen, die von der ersten Instanz in der Entscheidung, gegen die sich die Beschwerde richtet, ermittelt wurden.

43      Die Klägerin bestreitet, dass die Voraussetzungen, die es der Beschwerdekammer erlaubt hätten, die zusätzlichen Beweise zu berücksichtigen, im vorliegenden Fall erfüllt seien. Anders als sie geltend macht, waren aber diese Beweise, nämlich Screenshots sowie Rechnungen und Belege von Kunden der Streithelferin, nicht auf den ersten Blick ohne Relevanz für die Frage, ob das Geschmacksmuster der Streithelferin vor der Anmeldung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters offenbart worden war. Im Übrigen ergänzten diese Beweise weitere, von der Nichtigkeitsabteilung jedoch nicht als ausreichend erachtete Beweise, mit denen eine solche Offenbarung nachgewiesen werden sollte. Schließlich wurden die zusätzlichen Beweise in der Beschwerdebegründung vorgelegt, und die Klägerin konnte ihnen im Beschwerdeverfahren entgegentreten. Die Klägerin kann daher nicht damit durchdringen, dass der verspäteten Vorlage der zusätzlichen Beweise eine Verzögerung innegewohnt habe.

44      Folglich hat die Beschwerdekammer, als sie die zusätzlichen Beweise nicht als unzulässig zurückwies, in Ausübung ihres weiten Ermessens Art. 27 Abs. 4 der Verordnung 2018/625 korrekt angewandt. Somit ist der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

–       Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes: keine Vorlage geeigneter Beweise durch die Streithelferin

45      Im Rahmen des dritten Teils des ersten Klagegrundes beruft sich die Klägerin, wie von ihr für die beiden ersten Teile vorgetragen, darauf, dass die Beschwerdekammer weder die zusätzlichen Beweise noch die nicht in deutscher Sprache abgefassten Beweise und auch nicht die nicht genau datierten Beweise habe berücksichtigen dürfen. Somit sei zu prüfen, ob es der Streithelferin gelungen sei, die frühere Offenbarung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nachzuweisen, an der die Eintragung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters scheitern könnte. Keiner der von der Streithelferin vorgelegten Beweise sei jedoch geeignet gewesen, eine solche Offenbarung zu belegen.

46      Erstens habe die Streithelferin dem Antrag auf Nichtigerklärung einen undatierten Produktkatalog in acht Sprachen beigefügt, in dem ein „Modell Nr. 21“ dargestellt sei, das weder Größen- oder Datumsangaben noch sonstige Beschreibungen enthalte. Zudem handle es sich um ein von der Streithelferin selbst verfasstes Dokument, das daher kein Beweis für die Offenbarung sein könne.

47      Zweitens habe die Streithelferin dem Antrag auf Nichtigerklärung vier Rechnungen mit den Bezeichnungen „Invoice N. 46“, „Invoice N. 52“, „Rechnung Nr. 88“ und „Rechnung Nr. 70“ beigefügt, die alle aus dem Jahr 2010 stammten. Zwei dieser Rechnungen belegten einen Verkauf von Magnesiumtiegeln eines Modells mit der Bezeichnung MDO 250. Die beiden anderen Rechnungen seien zwar datiert, hätten aber keinen Bezug zu einem bestimmten älteren Geschmacksmuster.

48      Drittens habe die Streithelferin dem Antrag auf Nichtigerklärung eine Tabelle mit dem Titel „Musto et Bureau contestazione design“ beigefügt, in der das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster einem älteren Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit der Bezeichnung „250 Camera Fredda“ gegenübergestellt werde. Diese Tabelle sei aber ein rein internes Beweismittel, das nicht hinreichend durch andere Beweismittel bestätigt werde. Daher könnten die Fotografien von Geschmacksmustern in dieser Tabelle, die Angaben zur Erstvermarktung, die Hinweise auf Rechnungen, Seriennummern, Modellnamen sowie Referenzen zu Katalogen keine Offenbarung belegen.

49      Viertens habe die Streithelferin vor der Nichtigkeitsabteilung undatierte Abbildungen der Messe „Aluminium“, die vom 9. bis 11. Oktober 2012 in Düsseldorf (Deutschland) stattgefunden habe, vorgelegt. Die einzigen mit einem Datum versehenen Abbildungen seien von der Streithelferin selbst datiert worden, und ihre Herkunft werde nicht genannt.

50      Fünftens habe die Streithelferin vor der Nichtigkeitsabteilung undatierte Abbildungen des Kongresses der International Magnesium Association, der vom 15. bis 17. Mai 2016 in Rom (Italien) stattgefunden habe, vorgelegt. Der bloße Bezug auf frühere Messen ohne konkreten Beweis für die Offenbarung eines Geschmacksmusters anlässlich dieser Ereignisse könne aber nicht ausreichen, um eine Offenbarung zu belegen. Desgleichen könne der bloße Bezug auf einen Screenshot einer Website, ohne diesen beizufügen, nicht berücksichtigt werden.

51      Sechstens enthielten die beiden Links zur Website der Streithelferin in Rn. 21 des Antrags auf Nichtigerklärung kein Datum.

52      Wie die Nichtigkeitsabteilung zutreffend festgestellt habe, reichten die beschriebenen Beweise (siehe oben, Rn. 46 bis 51) nicht aus, um die Offenbarung eines älteren Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu belegen. Unter diesen Umständen habe die Beschwerdekammer der Klägerin nicht entgegenhalten können, dass sie nicht nachgewiesen habe, dass die fraglichen Beweise den Fachleuten des relevanten Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht hätten bekannt sein können. Vielmehr hätte die Beschwerdekammer aus der Unzulänglichkeit der von der Streithelferin vorgelegten Beweise schließen müssen, dass die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung zu Recht zurückgewiesen habe.

53      Das EUIPO und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

54      Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 gilt u. a. im Sinne von Art. 6 dieser Verordnung ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es nach der Eintragung oder auf andere Weise bekannt gemacht oder wenn es ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, und zwar vor dem Tag der Anmeldung des Geschmacksmusters, dessen Eigenart bestritten wird, zur Eintragung, es sei denn, dass dies den in der Union tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein konnte. Ein Geschmacksmuster gilt jedoch nicht als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es lediglich einem Dritten unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit offenbart wurde.

55      Es besteht eine Vermutung, dass den Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs die Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters bekannt ist, wenn die Partei, die sich auf diese Offenbarung beruft, die die Offenbarung begründenden Tatsachen bewiesen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Mai 2015, Senz Technologies/HABM – Impliva [Regenschirme], T‑22/13 und T‑23/13, EU:T:2015:310, Rn. 26).

56      Zur Widerlegung der Vermutung, wonach ein Geschmacksmuster als offenbart gilt, wenn die Partei, die sich auf die Offenbarung beruft, die die Offenbarung begründenden Tatsachen bewiesen hat, obliegt es der die Offenbarung bestreitenden Partei, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass die Umstände des konkreten Falles verhindern konnten, dass diese Tatsachen den Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sind (Urteil vom 21. Mai 2015, Regenschirme, T‑22/13 und T‑23/13, EU:T:2015:310, Rn. 26).

57      Die geltend gemachten Beweise müssen geeignet sein, rechtlich hinreichend zu belegen, dass das ältere Geschmacksmuster der Öffentlichkeit tatsächlich vor dem Tag der Anmeldung des angegriffenen Geschmacksmusters zugänglich gemacht wurde (Urteil vom 21. Juni 2018, Haverkamp IP/EUIPO – Sissel [Kieselstrand Oberflächenmuster], T‑228/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:369, Rn. 27).

58      Weder die Verordnung Nr. 6/2002 noch die Verordnung Nr. 2245/2002 legen eine verpflichtende Form für die Beweise fest, die vom Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren zum Nachweis der Offenbarung seines Geschmacksmusters vor dem Tag der Anmeldung des Geschmacksmusters, für das der Schutz beantragt wird, beizubringen sind (Urteil vom 9. März 2012, Coverpla/HABM – Heinz-Glas [Flacon], T‑450/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:117, Rn. 22).

59      Daraus ergibt sich, dass zum einen der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren in der Wahl des Beweises frei ist, dessen Vorlage beim EUIPO er für dienlich erachtet, um seinen Antrag auf Nichtigerklärung zu stützen, und dass zum anderen das EUIPO alle vorgelegten Beweise daraufhin prüfen muss, ob sie tatsächlich die Offenbarung des älteren Geschmacksmusters nachweisen (vgl. Urteil vom 27. Februar 2018, Gramberg/EUIPO – Mahdavi Sabet [Hülle für Mobiltelefon], T‑166/15, EU:T:2018:100, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Im vorliegenden Fall gelangte die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis, dass das ältere Geschmacksmuster der Streithelferin offenbart worden sei, weil sie der Ansicht war, dass diese hinreichende Beweise beigebracht habe, die den Schluss zuließen, dass das unter der Bezugsangabe Mod 250 oder MDO 250 dargestellte Geschmacksmuster der Öffentlichkeit vor dem 6. März 2020, dem Tag der Anmeldung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters durch die Klägerin, zur Kenntnis gebracht worden sei.

61      In diesem Zusammenhang nahm die Beschwerdekammer auf den Screenshot eines auf der Plattform YouTube verbreiteten Videos Bezug, auf dem das Datum des 5. Juli 2019 deutlich sichtbar ist. Auf diesem Screenshot ist in der Tat das Bild eines Schmelztiegels zu sehen. Die Beschwerdekammer hat zu Recht befunden, dass das Modell dieses Schmelztiegels mit anderen von der Streithelferin vor der Nichtigkeitsabteilung oder für ihre Beschwerde vorgelegten Unterlagen übereinstimme, nämlich insbesondere mit dem Modell Nr. 21 im Produktkatalog der Streithelferin, mit technischen Zeichnungen vom 18. Juni 1999 und 21. Oktober 2009, die die Bezugsangabe Mod 250 oder MDO 250 trügen, mit auf einer Aluminiummesse in Düsseldorf im Jahr 2012 aufgenommenen Fotografien, auf denen ein offensichtlich den vorstehend genannten technischen Zeichnungen entsprechender Schmelztiegel abgebildet sei, und mit einem Poster desselben Schmelztiegels, dessen Jahr, nämlich 2008, von einem von der Streithelferin unabhängigen Druckereiunternehmen bescheinigt werde. Ferner geht aus der Akte hervor, dass die Beschwerdekammer in Rn. 30 der angefochtenen Entscheidung zu Recht befunden hat, dass die Streithelferin Rechnungen eingereicht habe, die – vor der Anmeldung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters – den Verkauf von der Bezugsangabe MDO 250 entsprechenden Schmelztiegeln belegten.

62      Indem die Beschwerdekammer aus alledem ableitete, dass die Streithelferin bewiesen habe, dass die Offenbarung des Geschmacksmusters Mod 250 vor der Anmeldung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters erfolgt sei, hat sie keinen Beurteilungsfehler begangen. Das Einstellen ins Internet ist nämlich grundsätzlich ein Umstand, der eine Offenbarung im Sinne von Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 darstellen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2021, JMS Sports/EUIPO – Inter-Vion [Spiralhaargummi], T‑823/19, EU:T:2021:718, Rn. 32). Außerdem trifft zwar zu, dass die Vorlage einer technischen Zeichnung für sich genommen im Allgemeinen nicht belegt, dass die Zeichnung tatsächlich der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wurde, doch kann sie geeignet sein, andere Anhaltspunkte zu erhärten, die zeigen, dass Produkte in den Verkehr gebracht wurden, die den Spezifikationen dieser Zeichnung entsprechen und mit denselben Bezugsangaben versehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2019, Atos Medical/EUIPO – Andreas Fahl Medizintechnik-Vertrieb [Medizinische Pflaster], T‑560/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:767, Rn. 30, 31 und 37).

63      Keines der Argumente der Klägerin kann diese Würdigung in Frage stellen.

64      Erstens war die Beschwerdekammer nicht der Auffassung, dass der Produktkatalog der Streithelferin für sich genommen ausreiche, um die Offenbarung des älteren Geschmacksmusters zu belegen, sondern war der Ansicht, dass es sich um einen Anhaltspunkt handle, der geeignet sei, die anderen in den Rn. 29 und 30 der angefochtenen Entscheidung herangezogenen Beweise zu bekräftigen. Der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, dass es sich um ein von der Streithelferin stammendes Dokument handelt, kann diese Feststellung nicht erschüttern.

65      Zweitens bestreitet die Klägerin nicht, dass alle vier Rechnungen mit den Bezeichnungen „Invoice N. 46“, „Invoice N. 52“, „Rechnung Nr. 88“ und „Rechnung Nr. 70“ aus dem Jahr 2010 stammen. Die erste und die vierte davon nennen ausdrücklich die Bezugsangabe MDO 250. Die Klägerin macht zwar zu Recht geltend, dass die zweite und die dritte dieser Rechnungen keine Bezugnahme auf das ältere Geschmacksmuster enthielten und daher die Offenbarung des älteren Geschmacksmusters nicht belegen könnten. Wie sich jedoch aus den obigen Rn. 61 und 62 ergibt, sind die Bezugsangabe und das Datum auf der ersten und der vierten Rechnung Anhaltspunkte, die geeignet sind, das Inverkehrbringen von Schmelztiegeln zu belegen, die dem älteren Geschmacksmuster entsprechen.

66      Drittens zeigt die Lektüre der Rn. 29 und 30 der angefochtenen Entscheidung, dass sich die Beschwerdekammer weder auf die im Antrag auf Nichtigerklärung vorgelegte Tabelle noch auf die Fotografien vom Stand der Klägerin auf dem Kongress der International Magnesium Association vom 15. bis 17. Mai 2016 in Rom und auch nicht auf die beiden Links zur Website der Streithelferin in Rn. 21 des Antrags auf Nichtigerklärung gestützt hat. Das Vorbringen der Klägerin, das darauf gerichtet ist, den Beweiswert dieser Anhaltspunkte in Abrede zu stellen, ist daher als ins Leere gehend zu verwerfen.

67      Viertens erbringt die Klägerin keinen Anfangsbeweis, der das Vorbringen der Streithelferin in Frage stellen könnte, dass die in Rn. 28 der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Fotografien den Stand der Streithelferin auf der Messe „Aluminium“ vom 9. bis 11. Oktober 2012 in Düsseldorf zeigten. Auf diesen Fotografien sind aber dem älteren Geschmacksmuster entsprechende Abbildungen von Schmelztiegeln zu sehen. Zwar ist der Kontext, in dem die Fotografien aufgenommen wurden, nur durch die Aussagen der Streithelferin selbst bekannt, doch konnte die Beschwerdekammer diese Aspekte insoweit berücksichtigen, als sie ein Bündel übereinstimmender Indizien erhärten, die geeignet sind, die Offenbarung des älteren Geschmacksmusters zu belegen.

68      Fünftens beschränkt sich die Klägerin auf die unzutreffende Behauptung, dass das ältere Geschmacksmuster vor der Anmeldung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht offenbart worden sei. Hingegen trägt sie nichts vor, was belegen könnte, dass die Bedingungen der Publizität unter den Umständen des vorliegenden Falles im Sinne der oben in Rn. 56 angeführten Rechtsprechung verhindern konnten, dass die betreffenden Tatsachen den Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sind.

69      Nach alledem ist der dritte Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

–       Zum vierten Teil des ersten Klagegrundes: fehlende Identifizierung des dem Antrag auf Nichtigerklärung zugrunde liegenden älteren Geschmacksmusters

70      Für den vierten Teil des ersten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, der Antrag auf Nichtigerklärung hätte zurückgewiesen werden müssen, weil die Streithelferin keine vollständige und genaue Bezeichnung oder Darstellung des älteren Geschmacksmusters, auf das sich ihr Antrag gestützt habe, beigebracht habe.

71      Das EUIPO und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

72      Entgegen dem Vorbringen der Klägerin geht aus der Akte, namentlich aus Rn. 20 des Antrags auf Nichtigerklärung, klar hervor, dass die Streithelferin eine vollständige Beschreibung des Geschmacksmusters vorgelegt hat, von dem sie geltend machte, dass es früher offenbart worden sei. Aus dem Vorstehenden und den Feststellungen oben in Rn. 28 ergibt sich, dass der vierte Teil des ersten Klagegrundes und folglich der erste Klagegrund insgesamt als teils ins Leere gehend und teils unbegründet zurückzuweisen sind.

 Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes: Neuheit und Eigenart des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters

73      Für den ersten Teil des zweiten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, dass das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster erheblich von dem älteren Geschmacksmuster abweiche, auf das sich der Antrag auf Nichtigerklärung stützt.

74      Erstens weise das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster eine verjüngende V-Form auf. Dagegen sei das ältere Geschmacksmuster, wie in Anlage A 7 zur Klageschrift (S. 45) abgebildet, rechteckig. Zweitens sei die Bolzenanzahl beim älteren Geschmacksmuster geringer als beim angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Drittens seien die Abmessungen der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster unterschiedlich. Insbesondere sei die Auslaufrinne beim angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster viel „zarter und ästhetischer“ als beim älteren Geschmacksmuster. Viertens weise das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster zwei Verstrebungen in der Breite auf, die vor allem im hinteren Bereich der oberen Umrandung angebracht seien. Demgegenüber weise das ältere Geschmacksmuster nur eine Verstrebung auf. Fünftens seien die Abmessungen des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters und des älteren Geschmacksmusters nicht identisch; sie „weichen voneinander ab“. Dies gelte auch für die Breite der Umrandung. Sechstens sei das angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster an seinem vertikalen unteren Ende eben. Beim älteren Geschmacksmuster sei dies dagegen nicht der Fall.

75      Das EUIPO und die Streithelferin treten diesem Vorbringen entgegen.

76      Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat ein Geschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit im Fall eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung – sofern kein Prioritätstag in Anspruch genommen wird – zugänglich gemacht worden ist.

77      Bei einem Antrag auf Nichtigerklärung nach Art. 25 der Verordnung Nr. 6/2002 ergibt sich aus Art. 52 Abs. 1 und 2 sowie Art. 53 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung, dass es dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren, der sich auf den Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung beruft, obliegt, die Anhaltspunkte beizubringen, durch die das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes belegt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Daher hat der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren, wenn er sich auf den Nichtigkeitsgrund von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 beruft, darzutun, dass das angegriffene Geschmacksmuster die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung nicht erfüllt (Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 60).

79      Schließlich ist daran zu erinnern, dass der Vergleich der durch die Geschmacksmuster hervorgerufenen Gesamteindrücke synthetischer Art sein muss und sich nicht auf den analytischen Vergleich einer Aufzählung von Ähnlichkeiten und Unterschieden beschränken kann (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Budziewska/HABM – Puma [Springende Raubkatze], T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80      Festzustellen ist von vornherein, dass die Klägerin die Beurteilungen der Beschwerdekammer betreffend den Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers und die Definition des informierten Benutzers, wie sie in den Rn. 32 bis 35 der angefochtenen Entscheidung enthalten sind, nicht beanstandet. Auch stellt sie weder die Beschreibung des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters noch die des älteren Geschmacksmusters, wie sie in den Rn. 37 bis 39 der angefochtenen Entscheidung enthalten sind, in Frage. Für das Gericht besteht kein Anlass, diese Beurteilungen in Frage zu stellen.

81      Daher ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Rn. 40 der angefochtenen Entscheidung zu Recht befinden konnte, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster erstens in ihrer Form, zweitens in der Umrandung mit den regelmäßig angeordneten Bolzen, drittens in der Trennwand mit Öffnung, viertens im Vorhandensein einer Auslaufrinne an der flacheren Schmalseite und fünftens in den Ausbuchtungen im Innenbereich weitestgehend übereinstimmten. Angesichts dieser erheblichen Übereinstimmungen hat die Beschwerdekammer fehlerfrei angenommen, dass die Unterschiede bei der Anzahl der Bolzen und Querverstrebungen, bei der Breite der Umrandung und bei der Abmessung der Auslaufrinne zu geringfügig seien, als dass der von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern jeweils hervorgerufene Gesamteindruck in den Augen des informierten Benutzers unterschiedlich wäre.

82      Aus diesen Feststellungen hat die Beschwerdekammer mithin zu Recht geschlossen, dass die Streithelferin die fehlende Eigenart des angegriffenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nachgewiesen hatte. Daraus folgt, dass der erste Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen ist und – in Anbetracht der oben in Rn. 28 getroffenen Feststellungen – dass der zweite Klagegrund insgesamt als teils ins Leere gehend und teils unbegründet zurückzuweisen ist.

83      Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

84      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

85      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Streithelferin deren Kosten aufzuerlegen. Da die Klägerin bereits zur Tragung der Kosten der Streithelferin im Beschwerdeverfahren verurteilt wurde, hat das Gericht diese Verurteilung in die Kosten, die gegenüber der Klägerin im Tenor 3 der angefochtenen Entscheidung erging, nicht erneut auszusprechen.

86      Da das EUIPO die Verurteilung der Klägerin zur Tragung der Kosten nur für den Fall beantragt hat, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, ist zu entscheiden, dass es seine eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Rauch Furnace Technology GmbH trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Musto et Bureau Srl.

3.      Das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) trägt seine eigenen Kosten.

Marcoulli

Frimodt Nielsen

Valasidis

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Juni 2023.

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci

 

M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.