Language of document : ECLI:EU:C:2024:218

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 7. März 2024(1)

Verbundene Rechtssachen C771/22 und C45/23

Bundesarbeitskammer

gegen

HDI Global SE

(Vorabentscheidungsersuchen des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien, Österreich)

und

A,

B,

C und

D

gegen

MS Amlin Insurance SE

(Vorabentscheidungsersuchen der Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel [niederländischsprachigesUnternehmensgericht von Brüssel], Belgien)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen – Richtlinie (EU) 2015/2302 – Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände – Covid‑19-Pandemie – Insolvenz des Reiseveranstalters – Art. 17 Abs. 1 – Rücktritt vom Pauschalreisevertrag vor der Insolvenz – Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen – Umfang des Insolvenzschutzes“






 I. Einleitung

1.        Der Sektor „Reisen und Tourismus“ war einer der Sektoren, die von der Covid‑19-Pandemie am stärksten beeinträchtigt wurden, deren Auswirkungen auf die gesamte Reisebranche beispiellos waren(2). Der Ausbruch der Pandemie führte zu massenhaften Annullierungen von Pauschalreisen; gleichzeitig wurden keine neuen Buchungen vorgenommen. Dies führte zu ernsthaften Liquiditätsproblemen für Pauschalreiseveranstalter, die mit einer Vielzahl von Erstattungsansprüchen konfrontiert waren. In diesem Zusammenhang wirft die vorliegende Rechtssache die Frage nach dem Umfang des Schutzes von Reisenden im Fall der Insolvenz von Reiseveranstaltern im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2302 auf(3).

 II. Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2.        Die Erwägungsgründe 39 und 40 der Richtlinie 2015/2302 lauten:

„(39)      Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass Reisende, die eine Pauschalreise erwerben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters in vollem Umfang geschützt sind. Die Mitgliedstaaten, in denen Reiseveranstalter niedergelassen sind, sollten gewährleisten, dass diese Sicherheit für die Erstattung aller im Namen von Reisenden geleisteten Zahlungen und – sofern die Pauschalreise die Beförderung von Personen umfasst – für die Rückbeförderung des Reisenden im Falle der Insolvenz des Reiseveranstalters leisten. Allerdings sollte es möglich sein, dem Reisenden die Fortsetzung der Pauschalreise anzubieten. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, wie der Insolvenzschutz auszugestalten ist, sie sollten aber einen wirksamen Schutz gewährleisten. Wirksamkeit bedeutet, dass der Schutz verfügbar ist, sobald infolge der Liquiditätsprobleme des Reiseveranstalters Reiseleistungen nicht durchgeführt werden, nicht oder nur zum Teil durchgeführt werden sollen oder Leistungserbringer von Reisenden deren Bezahlung verlangen. Die Mitgliedstaaten sollten verlangen können, dass Reiseveranstalter den Reisenden eine Bescheinigung ausstellen, mit der ein direkter Anspruch gegen den Anbieter des Insolvenzschutzes dokumentiert wird.

(40)      Damit der Schutz vor Insolvenz wirksam ist, sollte er die vorhersehbaren Zahlungsbeträge, die von der Insolvenz eines Reiseveranstalters betroffen sind, und gegebenenfalls die vorsehbaren Kosten der Rückbeförderungen abdecken. Dies bedeutet, dass der Schutz ausreichen sollte, um alle vorhersehbaren Zahlungen, die von oder im Namen von Reisenden für Pauschalreisen der Hochsaison geleistet werden, unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen dem Eingang dieser Zahlungen und dem Abschluss der Reise sowie gegebenenfalls die vorhersehbaren Kosten für die Rückbeförderung abzudecken. … Ein wirksamer Insolvenzschutz sollte jedoch nicht bedeuten, dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter, wenn dies unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Kosten des Schutzes haben und somit seine Wirksamkeit beeinträchtigen würde. In solchen Fällen kann die garantierte Erstattung begrenzt sein.“

3.        Art. 12 („Beendigung des Pauschalreisevertrags und Recht zum Widerruf vor Beginn der Pauschalreise“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende vor Beginn der Pauschalreise jederzeit vom Pauschalreisevertrag zurücktreten kann. Tritt der Reisende gemäß diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr verlangen. …

(2)      Ungeachtet des Absatzes 1 hat der Reisende das Recht, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Im Fall des Rücktritts vom Pauschalreisevertrag gemäß diesem Absatz hat der Reisende Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, jedoch auf keine zusätzliche Entschädigung.

(3)      Der Reiseveranstalter kann den Pauschalreisevertrag beenden und dem Reisenden alle für die Pauschalreise getätigten Zahlungen voll erstatten, ohne jedoch eine zusätzliche Entschädigung leisten zu müssen, wenn

b)      der Reiseveranstalter aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist und er den Reisenden unverzüglich vor Beginn der Pauschalreise von der Beendigung des Vertrags in Kenntnis setzt.


(4)      Der Reiseveranstalter leistet alle Erstattungen gemäß den Absätzen 2 und 3 oder zahlt dem Reisenden gemäß Absatz 1 alle von dem Reisenden oder in seinem Namen für die Pauschalreise geleisteten Beträge abzüglich einer angemessenen Rücktrittsgebühr zurück. Der Reisende erhält diese Erstattungen oder Rückzahlungen unverzüglich und in jedem Fall innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Beendigung des Pauschalreisevertrags.

…“

4.        Art. 17 („Wirksamkeit und Umfang des Insolvenzschutzes“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassene Reiseveranstalter Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen leisten, sofern die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden. Soweit die Beförderung von Personen im Pauschalreisevertrag inbegriffen ist, leisten die Reiseveranstalter auch Sicherheit für die Rückbeförderung der Reisenden. Eine Fortsetzung der Pauschalreise kann angeboten werden.

(2)      Die Sicherheit gemäß Absatz 1 muss wirksam sein und die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Kosten abdecken. Sie muss die Beträge der Zahlungen abdecken, die von Reisenden oder in ihrem Namen in Bezug auf Pauschalreisen geleistet wurden, unter Berücksichtigung der Dauer des Zeitraums zwischen den Anzahlungen und endgültigen Zahlungen und der Beendigung der Pauschalreisen sowie der geschätzten Kosten einer Rückbeförderung im Fall der Insolvenz des Veranstalters.

(5)      Für nicht erbrachte Reiseleistungen wird die Erstattung unverzüglich nach der Beantragung durch den Reisenden vorgenommen.“

 Nationales Recht

 Österreichisches Recht

5.        § 3 der Verordnung der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen lautet:

„(1) Reiseleistungsausübungsberechtigte haben sicherzustellen, dass dem Reisenden

1.      Zahlungen (Anzahlungen und Restzahlungen), soweit infolge der Insolvenz des Reiseleistungsausübungsberechtigten die Reiseleistungen gänzlich oder teilweise nicht erbracht werden oder der Leistungserbringer vom Reisenden deren Bezahlung verlangt, … erstattet werden.

…“

 Belgisches Recht

6.        Art. 54 Satz 1 der Loi relative à la vente de voyages à forfait, de prestations de voyage liées et de services de voyage (belgisches Gesetz über den Verkauf von Pauschalreisen, verbundene Reiseleistungen und Reiseleistungen) vom 21. November 2017 (Moniteur belge Nr. 2017014061 vom 1. Dezember 2017, S. 106673, im Folgenden: Pauschalreisegesetz) bestimmt:

„In Belgien ansässige Reiseveranstalter und Reisevermittler leisten Sicherheit für die Erstattung aller bereits von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen, sofern die betreffenden Leistungen infolge ihrer Insolvenz nicht erbracht werden.“

7.        Der Arrêté Royal relatif à la protection contre l’insolvabilité lors de la vente de voyages à forfait, de prestations de voyage liées et de services de voyage (Königlicher Erlass über den Insolvenzschutz beim Verkauf von Pauschalreisen, verbundenen Reiseleistungen und Reiseleistungen) vom 29. Mai 2018 (Moniteur belge Nr. 2018012508 vom 11. Juni 2018, S. 48438, im Folgenden: Königlicher Erlass) bestimmt, wie die Sicherheit im Sinne von Art. 54 des Pauschalreisegesetzes zu leisten ist.

8.        Art. 12 Abs. 1 des Königlichen Erlasses lautet:

„Im Fall der Insolvenz des Unternehmers bietet der Versicherungsvertrag folgende Deckung an:

1      wenn möglich, Fortsetzung der Reise,

2      Erstattung der Zahlungen, die der Begünstigte bereits bei Abschluss des Vertrags mit dem Unternehmer geleistet hat,

3      Erstattung der Zahlungen für Reiseleistungen, die aufgrund der Insolvenz des Unternehmers nicht erbracht werden können,

4      Rückbeförderung der Reisenden, wenn die Erfüllung des Vertrags mit dem Unternehmer bereits begonnen hat. …“

9.        Art. 13 Satz 1 des Königlichen Erlasses bestimmt:

„Die Erstattung betrifft alle Zahlungen, die der Begünstigte dem Unternehmer für den Reisevertrag geleistet hat, wenn dieser aufgrund der Insolvenz des Unternehmers nicht erfüllt wird, oder alle Zahlungen, die für Reiseleistungen geleistet worden sind, die aufgrund seiner Insolvenz nicht erbracht werden.“

 III. Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsersuchen

 Rechtssache C771/22

10.      Ein österreichischer Verbraucher schloss am 3. März 2020 mit dem Reiseveranstalter Flamenco Sprachreisen GmbH (im Folgenden: Flamenco) einen Pauschalreisevertrag über eine Reise nach Spanien. Die Reise sollte vom 3. Mai 2020 bis 2. Juni 2020 stattfinden. Der Verbraucher zahlte den Gesamtpreis für die Reise am 9. März 2020.

11.      Der Verbraucher trat am 16. März 2020 wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände im Zusammenhang mit dem Ausbruch von Covid‑19 von dem Pauschalreisevertrag zurück. Das Rücktrittsrecht wurde im Ausgangsverfahren nicht bestritten.

12.      Am 20. Mai 2020 wurde über das Vermögen von Flamenco das Konkursverfahren beim Landesgericht Linz (Österreich) eröffnet. Flamenco wurde geschlossen. Der Konkurs wurde nach Schlussverteilung mit rechtskräftigem Beschluss vom 9. Juni 2022 aufgehoben.

13.      Der Insolvenzverwalter erklärte am 8. Juni 2020 formal den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag.

14.      Der Verbraucher trat seinen Anspruch gegen Flamenco auf Erstattung der für die Pauschalreise geleisteten Zahlungen an die Bundesarbeitskammer (Österreich), die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ab.

15.      Die Klägerin erhob Klage gegen die HDI Global SE, den Versicherer von Flamenco. HDI Global wandte ein, sie sei zur Erstattung an den Verbraucher nicht verpflichtet, da die Zahlungsunfähigkeit für die Nichterbringung der Reiseleistungen nicht ursächlich gewesen sei. Die Klägerin machte geltend, ein solcher Kausalzusammenhang sei für Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 nicht erforderlich.

16.      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist sowohl dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 als auch der nationalen Umsetzungsvorschrift zu entnehmen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Zahlungsunfähigkeit und der Nichterbringung der Reiseleistungen bestehen muss. Demzufolge seien Erstattungsansprüche im Fall eines Rücktritts vom Pauschalreisevertrag vor Eintritt der Insolvenz eines Reiseveranstalters von der Insolvenzabsicherung nicht abgedeckt. Das vorlegende Gericht stellt jedoch fest, dass dem 39. Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2302 etwas anderes zu entnehmen sei, da die Mitgliedstaaten danach vorsehen müssten, dass Sicherheit für die Erstattung „aller im Namen von Reisenden geleisteten Zahlungen“ geleistet werde. Für eine Auslegung, wonach Art. 17 Abs. 1 die Erstattung aller geleisteten Zahlungen abdecke, spreche das Ziel der Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus nach Art. 114 Abs. 3 und Art. 169 AEUV sowie nach Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

17.      Das vorlegende Gericht hält ferner für klärungsbedürftig, ob für die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 relevant sei, dass der Veranstalter zu dem Zeitpunkt, zu dem die Reise habe stattfinden sollen, zahlungsunfähig geworden sei oder dass der Grund des Rücktritts vom Vertrag, und mittelbar auch der Insolvenz, derselbe außergewöhnliche Umstand, nämlich die Covid‑19-Pandemie, sei.

18.      Da nach Auffassung des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (Österreich) die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit von der Auslegung der Richtlinie 2015/2302 abhängt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 dahin gehend auszulegen, dass Zahlungen des Reisenden, die er vor Reiseantritt an den Reiseveranstalter geleistet hat, nur dann gesichert sind, wenn die Reise infolge der Insolvenz nicht stattfindet oder sind auch Zahlungen abgesichert, die vor Insolvenzeröffnung an den Reiseveranstalter geleistet wurden, wenn der Reisende vor der Insolvenz aufgrund von außergewöhnlichen Umständen im Sinne des (in der Folge: i. S. d.) Art. 12 der genannten Richtlinie 2015/2302 zurücktritt?

2.      Ist Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 dahin gehend auszulegen, dass Zahlungen des Reisenden, die er vor Reiseantritt an den Reiseveranstalter geleistet hat, abgesichert sind, wenn der Reisende von der Reise noch vor Eintritt der Insolvenz aufgrund von außergewöhnlichen Umständen i. S. d. Art. 12 der oben genannten Richtlinie 2015/2302 zurücktritt, die Insolvenz jedoch während der gebuchten Reise eingetreten wäre?

3.      Ist Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 dahin gehend auszulegen, dass Zahlungen des Reisenden, die er vor Reiseantritt an den Reiseveranstalter geleistet hat, abgesichert sind, wenn der Reisende von der Reise noch vor Eintritt der Insolvenz aufgrund von außergewöhnlichen Umständen i. S. d. Art. 12 der oben genannten Richtlinie 2015/2302 zurücktritt und die Insolvenz des Reiseveranstalters aufgrund dieser außergewöhnlichen Umstände eingetreten ist?

19.      Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die griechische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die vorgenannten Beteiligten haben in der Sitzung vom 7. Dezember 2023 mündliche Ausführungen gemacht.

 Rechtssache C45/23

20.      Die Kläger sind Verbraucher; die Beklagte, die MS Amlin Insurance SE, ist der Insolvenzversicherer der Exclusive Destinations NV, des Reiseveranstalters.

21.      Am 13. November 2019 schloss der Kläger zu 1 über einen Reisevermittler einen Pauschalreisevertrag mit Exclusive Destinations. Die Pauschalreise sollte im März 2020 stattfinden.

22.      Die Reise wurde wegen der Covid‑19-Pandemie auf den November 2020 zu einem höheren Preis umgebucht. Der ursprüngliche Preis war bereits an den Reiseveranstalter gezahlt worden.

23.      Im Oktober 2020 teilte der Reisevermittler dem Reiseveranstalter auf Verlangen der Verbraucher mit, dass die Verbraucher sich für einen Rücktritt vom Vertrag und für eine vollständige Erstattung entschieden hätten. Der Reiseveranstalter bestätigte, das hierfür Notwendige zu unternehmen.

24.      Mit Urteil vom 8. Dezember 2020 erklärte die Ondernemingsrechtbank Gent (Unternehmensgericht Gent, Belgien) den Reiseveranstalter für insolvent.

25.      Am 9. Dezember 2020 erstattete der Reisevermittler den Anteil der Verbraucher am Preis der Pauschalreise, der noch nicht an den Reiseveranstalter weitergeleitet worden war.

26.      Am 22. Januar 2021 wurde MS Amlin Insurance zur Erstattung des gesamten Reisepreises aufgefordert. Dieses Unternehmen lehnte die Forderung ab, da der Rücktritt vom Vertrag nicht aufgrund der Insolvenz des Reiseveranstalters Exclusive Destinations erfolgt sei.

27.      Die Verbraucher beantragten beim vorlegenden Gericht die Erstattung des gezahlten Preises. Zur Begründung ihrer Klage brachten sie vor, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen des Versicherungsvertrags zwischen MS Amlin Insurance und Exclusive Destinations eindeutig die Erstattung der Beträge an den/die Reisenden abdeckten, die bei oder nach Abschluss des Vertrags an den versicherten Reiseveranstalter gezahlt worden seien.

28.      MS Amlin Insurance bestreitet, dass die Situation der Kläger von dem Versicherungsvertrag gedeckt sei, weil der Versicherungsschutz nur für Erstattungen für eine Reise gelte, die aufgrund der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht stattgefunden habe.

29.      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist die in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 geregelte Sicherheit nur für den Fall vorgeschrieben, dass die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden. Die Richtlinie 2015/2302 schreibe keine Sicherheit für den Fall vor, dass die Leistungen aus einem anderen Grund als der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht würden, wie im Fall des Rücktritts des Reisenden vom Pauschalreisevertrag aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302.

30.      Der Wortlaut von Art. 54 des Pauschalreisegesetzes, mit dem die Richtlinie 2015/2302 umgesetzt werde, stimme im Wesentlichen mit demjenigen von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie überein und sehe keinen umfassenderen Schutz vor.

31.      In Anbetracht des Wortlauts der Richtlinie 2015/2302 und ihrer nationalen Umsetzung sei der Anspruch der Verbraucher im Ausgangsverfahren kein versicherter Schadensfall, so dass er normalerweise zurückzuweisen sei.

32.      Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob dieses Ergebnis mit dem Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, vereinbar sei und ob es zu einer Ungleichbehandlung führen könne.

33.      Insbesondere weist das vorlegende Gericht zum einen darauf hin, dass der Gerichtshof zur Richtlinie 90/314/EWG(4) entschieden habe, dass das Ziel der Sicherheit für die Erstattung der von Verbrauchern gezahlten Beträge darin bestehe, sie vor den finanziellen Risiken zu schützen, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs des Reiseveranstalters ergäben(5).

34.      Zum anderen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es im Fall der Insolvenz im Wesentlichen zwei Kategorien von Reisenden gebe, die ein mit dem gezahlten Preis verbundenes finanzielles Risiko trügen. Die erste Kategorie umfasse Reisende, deren Reise infolge des Eintritts der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht stattfinden könne. Diesen Reisenden entstehe ein finanzieller Verlust, da sie den gezahlten Reisepreis verlören. Die zweite Kategorie umfasse Reisende, die wegen des Rücktritts von ihrem Pauschalreisevertrag aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände Anspruch auf volle Erstattung des Reisepreises hätten. Diesen Reisenden entstehe auch ein finanzieller Verlust, wenn der Reiseveranstalter nach dem Rücktritt vom Pauschalreisevertrag, jedoch vor Erstattung des Reisepreises an sie insolvent werde.

35.      Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass beide Kategorien von Reisenden das gleiche finanzielle Risiko trügen. Es erkennt an, dass die Situation dieser beiden Kategorien von Reisenden in anderer Hinsicht Unterschiede aufweise. So mache die Insolvenz eines Reiseveranstalters die Erfüllung des Pauschalreisevertrags endgültig unmöglich, während die unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände in der Regel vorübergehender Natur seien. Ferner liege bei der ersten Kategorie von Reisenden zum Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenz des Reiseveranstalters noch ein Pauschalreisevertrag vor, während die zweite Kategorie von Reisenden vor Eintritt der Insolvenz des Reiseveranstalters von ihrem Vertrag zurückgetreten sei. Das vorlegende Gericht wirft indes die Frage auf, inwieweit diese Elemente eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten.

36.      Da nach Auffassung der Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel (niederländischsprachiges Unternehmensgericht von Brüssel, Belgien) die Entscheidung über den bei ihr anhängigen Rechtsstreit von der Auslegung der Richtlinie 2015/2302 abhängt, hat sie beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen, dass die darin vorgeschriebene Sicherheit für die Erstattung aller bereits von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen auch gilt, wenn der Reisende vom Pauschalreisevertrag aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie zurücktritt und der Reiseveranstalter – nach Beendigung des Pauschalreisevertrags aus diesem Grund, aber vor tatsächlicher Erstattung dieser Beträge an den Reisenden – für insolvent erklärt wird, wodurch der Reisende einen finanziellen Verlust erleidet und folglich im Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters ein wirtschaftliches Risiko trägt?

37.      Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die belgische, die dänische und die griechische Regierung, der Rat der Europäischen Union, das Europäische Parlament und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der dänischen Regierung haben die vorgenannten Beteiligten in der Sitzung vom 7. Dezember 2023 mündliche Ausführungen gemacht.

38.      Mit Beschluss des Gerichtshofs vom 24. Oktober 2023 sind die Rechtssachen C‑771/22 und C‑45/23 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 IV. Rechtliche Würdigung

 Erste Vorlagefrage in der Rechtssache C771/22 und einzige Vorlagefrage in der Rechtssache C45/23

39.      Mit ihren Fragen, die zusammen zu behandeln sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen geklärt wissen, welchen Umfang der Insolvenzschutz für die Erstattung aller von Reisenden geleisteten Zahlungen nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 hat.

40.      Konkret möchten die vorlegenden Gerichte mit der ersten Frage in der Rechtssache C‑771/22 und mit der einzigen Frage in der Rechtssache C‑45/23 im Wesentlichen wissen, ob die Sicherheit für eine Erstattung die von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen nur in dem Fall abdeckt, dass die Reise infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht stattgefunden hat, oder ob sie diese auch in dem Fall abdeckt, dass der Reisende vor der Insolvenz des Reiseveranstalters aufgrund von außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 vom Vertrag zurückgetreten ist.

41.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, sowie gegebenenfalls ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen sind(6).

42.      Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung darf eine Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht dazu führen, dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit zu nehmen. Somit kann der Gerichtshof, wenn sich der Sinn einer Bestimmung des Unionsrechts eindeutig aus ihrem Wortlaut ergibt, nicht von dieser Auslegung abweichen(7).

43.      Schließlich ist, soweit das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑45/23 die Gültigkeit von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 in Frage stellt, darauf hinzuweisen, dass nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz ein Unionsrechtsakt so weit wie möglich in einer seine Gültigkeit nicht in Frage stellenden Weise und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht und insbesondere mit den Bestimmungen der Charta auszulegen ist. Lässt eine Vorschrift des abgeleiteten Unionsrechts mehr als eine Auslegung zu, ist daher die Auslegung, bei der die Bestimmung mit dem Primärrecht vereinbar ist, derjenigen vorzuziehen, die zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit diesem führt(8).

44.      Es ist daher zunächst zu prüfen, ob der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 mehr als eine Auslegung zulässt.

 a) Lässt der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 mehr als eine Auslegung zu?

45.      Nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 haben Reiseveranstalter Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen zu leisten, „sofern die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden“.

46.      Nach Auffassung der vorlegenden Gerichte in beiden Rechtssachen setzt der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 einen Kausalzusammenhang zwischen der Insolvenz und der Nichterbringung der Leistungen in dem Sinne voraus, dass die Abdeckung von Erstattungsansprüchen von der Nichterbringung aufgrund der Insolvenz abhängig ist. Dieser Kausalzusammenhang oder diese Abhängigkeit hätten offenbar die Wirkung, dass (unbestrittene) ausstehende Erstattungsansprüche, die aus einem Rücktritt vom Vertrag vor der Insolvenz entstanden sind, von der Garantie ausgeschlossen wären.

47.      Die Beteiligten sind in ihren schriftlichen Erklärungen unterschiedlicher Ansicht, ob offenstehende Ansprüche von Art. 17 Abs. 1 eindeutig ausgeschlossen sind oder ob dieser mehr als eine Auslegung zulassen könnte. Grundlegend soll nach Ansicht von HDI Global, MS Amlin Insurance, der belgischen und der dänischen Regierung sowie der Kommission der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 einen eindeutigen Kausalzusammenhang zwischen der Insolvenz und der Nichterfüllung des Vertrags (oder der Vertragswidrigkeit) voraussetzen. Die Bundesarbeitskammer, A und die griechische Regierung sind der gegenteiligen Ansicht. Nach Ansicht des Parlaments soll Art. 17 Abs. 1 im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung dahin ausgelegt werden können, dass er die Ansprüche aller Reisenden abdecke, so dass die Frage der Gültigkeit sich von vornherein nicht stelle. Der Rat hat zu diesem Gesichtspunkt nicht Stellung genommen.

48.      Festzustellen ist hierzu, dass die Formulierung „insofar as the relevant services are not performed as a consequence of the organiser’s insolvency [(sofern die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden)]“, und insbesondere die Formulierung „as a consequence of [(infolge)]“, auf den ersten Blick dahin verstanden werden könnten, dass die Garantie der Erstattung einen Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung und der Insolvenz voraussetzt. Ebenso könnten auch die französische Fassung dieser Bestimmung(9) sowie weitere Sprachfassungen(10) ausgelegt werden, da sie alle hervorheben, dass die Nichterfüllung des Vertrags eine unmittelbare Folge der Insolvenz sein muss.

49.      Die Frage der Auslegung dieser Bestimmung könnte gelöst werden, wenn dem Vorbringen der Bundesarbeitskammer zur Bedeutung des Begriffs „betreffende Leistungen“, das auch von der griechischen Regierung in der mündlichen Verhandlung unterstützt wurde, gefolgt wird. Nach dem Vorbringen der Bundesarbeitskammer und der griechischen Regierung soll der Begriff „betreffende Leistungen“ weit dahin verstanden werden, dass davon jede mit dem Reisevertrag verbundene Verpflichtung des Reiseveranstalters, einschließlich der Erstattung, umfasst sei.

50.      Ich bin nicht davon überzeugt, dass der Begriff „Leistungen“ so zu verstehen ist, dass er den Erstattungsanspruch umfasst. Erstens handelt es sich bei der Erstattung ihrer Rechtsnatur nach um einen Anspruch, den der Reisende gegen den Reiseveranstalter hat. Der Anspruch des Reisenden auf eine Erstattung kann nicht als eine zu erbringende „Leistung“ eingestuft werden.

51.      Zweitens ergibt sich aus dem Kontext, zu dem Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 gehört, eindeutig, dass mit den „betreffenden Leistungen“ „Reiseleistungen“ gemeint sind. „Reiseleistungen“ sind in Art. 3 Abs. 1 definiert als die Beförderung von Personen, die Unterbringung, die Autovermietung oder jede andere touristische Leistung, die nicht wesensmäßig Bestandteil einer Reiseleistung ist. Nach Art. 17 Abs. 5 wird für nicht erbrachte „Reiseleistungen“ die Erstattung unverzüglich vorgenommen. Im 39. Erwägungsgrund ist ebenfalls von „Reiseleistungen[, die] nicht durchgeführt [werden]“, die Rede. In Art. 19 Abs. 1, der den Insolvenzschutz bei verbundenen Reiseleistungen regelt, ist von der Nichterbringung einer „Reiseleistung“ die Rede. Allgemeiner ist in Art. 13 Abs. 1, der die Haftung für die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen regelt, von der Erbringung der in dem Pauschalreisevertrag enthaltenen „Reiseleistungen“ die Rede. Demnach sind im Kontext der Richtlinie 2015/2302 unter dem Begriff „Leistungen“ im Kontext eines Pauschalreisevertrags Reiseleistungen zu verstehen.

52.      Auch wenn der Rechtsanspruch auf eine Erstattung nicht als „betreffende Leistung“ betrachtet werden kann, ist allerdings festzustellen, dass er in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Durchführung des Reisevertrags steht. Dies könnte dafür sprechen, dass im Hinblick auf die Folgen für den Versicherungsschutz des Erstattungsanspruchs nicht danach differenziert werden kann, ob der betreffende Anspruch sich aus dem Rücktritt vom Reisevertrag oder aus der Nichterbringung der Reiseleistungen ergeben hat.

53.      Weiterhin könnte Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302, wie von der Bundesarbeitskammer im Wesentlichen vorgetragen, dahin verstanden werden, dass damit lediglich gemeint ist, dass der Preis, der für Reiseleistungen gezahlt wurde, die bereits zum Teil erbracht worden sind, im Fall einer Insolvenz nicht erstattet wird.

54.      Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie könnte auch dahin verstanden werden, dass er Versicherungsschutz in allen Fällen vorsieht, in denen die Reisenden infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters den Preis gezahlt haben, ohne Leistungen vom Reiseveranstalter erhalten zu haben.

55.      Versteht man ihn in diesem letzteren Sinne, ist Art. 17 Abs. 1 eine Bestimmung, die die Wirksamkeit des Insolvenzschutzes erhöht, indem sie alle Fälle erfasst, in denen Reiseleistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden, ohne dass jedoch (unbestrittene) ausstehende Erstattungsansprüche ausgeschlossen werden sollen.

56.      Der 39. Erwägungsgrund der Richtlinie bekräftigt dieses letztere Verständnis von Art. 17 Abs. 1. Nach diesem Erwägungsgrund müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass Reisende, die eine Pauschalreise erwerben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters „in vollem Umfang“ geschützt sind und dass Sicherheit für die Erstattung „aller“ im Namen von Reisenden geleisteten  Zahlungen“ geleistet wird. Ferner müssen die Mitgliedstaaten nach diesem Erwägungsgrund einen „wirksamen“ Schutz gewährleisten.

57.      Wichtig ist ferner der Hinweis, dass die Formulierung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 Ähnlichkeit mit Formulierungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung seiner „Vorgängerregelung“, nämlich Art. 7 der Richtlinie 90/314, aufweist. Insbesondere betraf das Urteil Verein für Konsumenteninformation(11) die Frage, ob die letztgenannte Bestimmung dahin auszulegen war, dass sie einen Sachverhalt erfasst, in dem ein Hotelier den Reisenden zur Zahlung der Unterbringungskosten zwingt, mit der Begründung, dieser Betrag werde ihm von dem zahlungsunfähig gewordenen Reiseveranstalter nicht bezahlt. Der Gerichtshof entschied, dass Art. 7 der Richtlinie 90/314 einen solchen Sachverhalt erfasste, da ihr Ziel im Schutz der Verbraucher gegen Risiken bestand, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs des Veranstalters ergeben. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Beträge, die an den Veranstalter gezahlt worden waren, erstattet werden mussten, da „infolge der Zahlungsunfähigkeit des letzteren die vereinbarten Leistungen nicht vom Veranstalter an den Reisenden erbracht worden sind“(12). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die unter Art. 7 der Richtlinie 90/314 fallenden Sachverhalte weit zu verstehen waren.

58.      Die Formulierung „infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters“, die aktuell in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 verwendet wird, könnte dahin verstanden werden, dass darin das Urteil Verein für Konsumenteninformation zum Ausdruck kommt. Anstatt in dem Sinne, dass von der Insolvenzabsicherung ausstehende Erstattungsansprüche ausgeschlossen werden sollen, könnte der Wortlaut dieses Art. 17 Abs. 1 dahin verstanden werden, dass alle Sachverhalte eingeschlossen werden sollen, in denen ein Risiko besteht, das sich aus der Insolvenz des Reiseveranstalters ergibt.

59.      Die Regierungen, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, haben unterschiedliche Ansichten zur Bedeutung des Wortlauts von Art. 17 Abs. 1 vertreten. Während nach Ansicht der belgischen Regierung ausstehende Erstattungsansprüche nicht unter diese Bestimmung fallen sollen, war die griechische Regierung(13) der gegenteiligen Ansicht. Nach Ansicht der dänischen Regierung ist das Unionsrecht in diesem Punkt nicht harmonisiert, so dass die Mitgliedstaaten dafür zuständig bleiben müssten, ein höheres Schutzniveau vorzusehen (wie dies in Dänemark der Fall sei)(14). Diese unterschiedlichen Ansichten der nationalen Regierungen belegen zumindest, dass dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 nicht entnommen werden kann, dass offenstehende Erstattungsansprüche eindeutig ausgeschlossen wären(15).

60.      Unabhängig von der Formulierung in Bezug auf den Kausalzusammenhang enthält Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 noch einen weiteren Ausdruck, der zu verschiedenen Auslegungen Anlass geben kann. Diese Bestimmung bezieht sich auf die „Insolvenz des Reiseveranstalters“. Der 39. Erwägungsgrund der Richtlinie bezieht sich jedoch allgemeiner auf „Liquiditätsprobleme“. Wäre, wie von der Bundesarbeitskammer betont, der Begriff „Insolvenz des Reiseveranstalters“ eng als formelle Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verstehen, würde dies bedeuten, dass Erstattungsansprüche für nicht erbrachte Leistungen dann, wenn sie kurz vor dem Zeitpunkt der Insolvenz aufgrund von Liquiditätsproblemen entstanden sind, von der Garantie nicht abgedeckt wären.

61.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist dem eigentlichen Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 meines Erachtens nicht völlig eindeutig zu entnehmen, dass Erstattungsansprüche von Reisenden, die vor der Insolvenz entstanden sind, vom Schutzbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen sind(16).

 b) Entstehungsgeschichte von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302: Gab es eine gesetzgeberische Absicht, den Verbraucherschutz abzusenken?

62.      Nach ständiger Rechtsprechung kann die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern(17).

63.      Die Kommission trägt in ihren schriftlichen Erklärungen und mündlichen Ausführungen Argumente zur Entstehungsgeschichte von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 vor, die darauf schließen lassen sollen, dass der Unionsgesetzgeber Erstattungsansprüche, die vor Eintritt der Insolvenz des Veranstalters entstehen, habe von der Garantie ausschließen wollen. Um den Standpunkt der Kommission ordnungsgemäß zu prüfen, erscheint eine kurze Rückverfolgung der Entstehungsgeschichte von Art. 17 Abs. 1, beginnend mit seiner Vorgängerregelung, sinnvoll.

64.      Nach Art. 7 der Richtlinie 90/314 waren Veranstalter verpflichtet, „[nachzuweisen], dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind“. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Urteil Dillenkofer(18) „bezweckt[e diese Bestimmung] den vollständigen Schutz der in dieser Vorschrift genannten Rechte der Verbraucher und damit den Schutz der Verbraucher gegen sämtliche in diesem Artikel genannten Risiken, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters ergeben“(19). Diese Risiken „[sind] mit dem Vertrag zwischen dem Verbraucher und dem Veranstalter der Pauschalreise verbunden“ und „[ergeben sich] aus der Vorauszahlung des Pauschalreisepreises“(20).

65.      Die Kommission hat vorgetragen, das übergeordnete Ziel ihres Vorschlags zur Aufhebung der Richtlinie 90/314(21) sei die Erreichung des in Art. 169 AEUV verankerten hohen Verbraucherschutzniveaus gewesen. Für den Insolvenzschutz habe mit dem Vorschlag das gleiche Schutzniveau beibehalten werden sollen. Der 34. Erwägungsgrund und Art. 15 des Kommissionsvorschlags basierten somit auf dem bestehenden Schutzniveau(22).

66.      Die Kommission hat jedoch erläutert, dass es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Hinblick auf den Umfang des Insolvenzschutzes noch eine Wendung gegeben habe.

67.      Die Kommission verweist insoweit auf die Begründung des Rates für seinen Standpunkt in erster Lesung des Legislativvorschlags(23). In Nr. 15 dieses Dokuments führte der Rat aus, dass der Text (der Richtlinie über den Insolvenzschutz) festlege, dass „der Insolvenzschutz eine allgemeine Deckung aller wahrscheinlichen Umstände vorsehen und dem Umfang des mit den Tätigkeiten des Unternehmers verbundenen finanziellen Risikos entsprechen sollte, diese Haftung jedoch nicht unbegrenzt sein sollte“. Im selben Absatz führte er weiter aus, dass „[d]ie Haftung im Rahmen einer Insolvenzschutzregelung … sich nur auf die Umstände erstrecken [sollte], die der normalen Risikobewertung entsprechen“, und dass „[e]in wirksamer Insolvenzschutz … nicht bedeuten [sollte], dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssen …“.

68.      Nach Ansicht der Kommission „weicht“ der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302, wie er letztlich vom Gesetzgeber angenommen worden sei, vom Wortlaut von Art. 7 der Richtlinie 90/314 und von Art. 15 des Kommissionsvorschlags „erheblich ab“.

69.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kommt die Kommission zu der Ansicht, dass Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie einen Kausalzusammenhang zwischen der Insolvenz und der Nichterbringung von Reiseleistungen voraussetze, der ausstehende Erstattungsansprüche ausschließe.

70.      Auf dem von der Kommission vertretenen engen Verständnis des Anwendungsbereichs von Art. 17 Abs. 1 baut die Empfehlung (EU) 2020/648 auf(24). In den Erwägungsgründen dieser Empfehlung heißt es: „Wenn Veranstalter … zahlungsunfähig werden, besteht die Gefahr, dass viele Reisende … ganz leer ausgehen, da ihre Forderungen gegen Veranstalter … nicht geschützt sind“(25). Um Reisende vor diesem Risiko zu schützen, empfahl die Kommission, Gutscheine durch einen Schutz vor Zahlungsunfähigkeit abzusichern(26).

71.      Die Darstellung der Entstehungsgeschichte von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 durch die Kommission wirft bestimmte Zweifel im Hinblick auf seine Bedeutung auf. Diese Darstellung allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass der Gesetzgeber eindeutig die Absicht gehabt habe, vom früheren Schutzniveau und von der Rechtsprechung des Gerichtshofs abzuweichen und Erstattungsansprüche von Reisenden, die vor der Insolvenz bestanden, auszuschließen.

72.      Entgegen dem Vorbringen der Kommission hat das Parlament die Ansicht vertreten, dass der Wortlaut der Richtlinie 2015/2302 die „Kontinuität“ zwischen Art. 7 der Richtlinie 90/314 und Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 wahren solle. Ziel der letztgenannten Bestimmung sei es, weiterhin ein hohes und einheitliches Schutzniveau für Reisende im Sinne einer „Erweiterung und Stärkung“ dieses Schutzes zu gewährleisten.

73.      Das Parlament verweist insbesondere darauf, dass Art. 7 der Richtlinie 90/314 in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Bestimmung dahin ausgelegt worden sei, dass sie „die Erfolgspflicht [aufstellt], den Pauschalreisenden für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Reiseveranstalters ein Recht auf die Erstattung gezahlter Beträge und auf Rückreise zu verleihen“(27). Diese Erfolgspflicht sei zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 2015/2302 bereits eindeutig gegeben gewesen, ohne dass insoweit Unklarheiten auszuräumen oder Lücken zu schließen gewesen seien(28).

74.      Das Parlament weist ferner darauf hin, dass „keiner Bestimmung und keinem Erwägungsgrund“ dieser Richtlinie ein Hinweis darauf zu entnehmen sei, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hätte, diese Erfolgspflicht zum Schutz von Reisenden zu beeinträchtigen. Es widerspreche der Logik und der ständigen Rechtsprechung, wenn der nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 gewährte Schutz nicht gelte, wenn der Reisende seine in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie verankerten Rechte auf Rücktritt vom Vertrag ausgeübt habe.

75.      In seinen mündlichen Ausführungen hat das Parlament auch zur Relevanz der Begründung des Rates Stellung genommen. Aus dieser Begründung könne lediglich abgeleitet werden, dass mit den am Vorschlag der Kommission vorgenommenen Anpassungen habe klargestellt werden sollen, in welcher Weise die Insolvenzmechanismen von den Mitgliedstaaten einzuführen gewesen seien. Diese Anpassungen hätten sich in erster Linie auf die Berechnung des Risikos auf der Grundlage von Faktoren wie Umsatz, Anzahlungen oder saisonale Schwankungen bezogen. Außerdem bestehe kein Zusammenhang zwischen der im letzten Teil des 40. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2015/2302 zum Ausdruck kommenden Absicht des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass ein wirksamer Insolvenzschutz nicht bedeuten sollte, dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssten, und einer Bestimmung, mit der der Schutz eines Reisenden im Fall des Rücktritts vom Vertrag vor der Insolvenz eingeschränkt werde.

76.      Was den Rat angeht, hat dieser in seinen schriftlichen Erklärungen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 1 oder konkret zu der Frage, ob der Unionsgesetzgeber bestimmte Ansprüche von Reisenden vom Insolvenzschutz ausschließen wollte, nicht Stellung genommen.

77.      In der mündlichen Verhandlung wurden die Kommission und der Rat vom Gerichtshof dazu befragt, welchen Grund die Änderung des Wortlauts von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gehabt haben könne. Die Kommission führte hierzu aus, dass mit Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zwar ein neues Recht des Reisenden auf Rücktritt vom Vertrag bei unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen eingeführt worden sei, der entsprechende Erstattungsanspruch jedoch nicht in den Schutzbereich von Art. 17 Abs. 2 dieser Richtlinie einbezogen sei. Das Verbraucherschutzniveau sei gegenüber demjenigen, das nach der früheren Richtlinie bestanden habe, nicht abgesenkt worden, da der Ausschluss vom Insolvenzschutz den Anspruch aus der Ausübung eines Rechts betreffe, das es früher nicht gegeben habe.

78.      Der Rat erklärte auf dieselbe Frage, dass für den Fall, dass Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 nach Auffassung des Gerichtshofs dahin auszulegen sein sollte, dass Erstattungsansprüche von Reisenden, die vor Eintritt der Insolvenz des Reiseveranstalters entständen, vom Insolvenzschutz ausgeschlossen seien, nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Gesetzgeber eine politische Entscheidung getroffen habe, eine spezifische Schutzregelung einzuführen. Der Rat hat jedoch nicht ausdrücklich bestätigt, dass es eine gesetzgeberische Absicht gegeben habe, bestimmte Kategorien von Ansprüchen auszuschließen.


79.      Nach meinem Verständnis des von der Kommission vertretenen Standpunkts soll durch einen Grundgedanken einer Art von „Gegengewicht“ erklärt werden, warum offenstehende Erstattungsansprüche ihrer Ansicht nach von Art. 17 Abs. 1 ausgeschlossen sind. Das Gegengewicht zu dem Reisenden zuerkannten neuen Anspruch auf Rücktritt vom Vertrag ist die für dieses Recht geltende Einschränkung des Insolvenzschutzes. Da das Recht auf Rücktritt vom Vertrag neu ist, so die Argumentation der Kommission, kommt es gegenüber dem bestehenden unionsrechtlichen Verbraucherschutzniveau nicht zu einer Absenkung.

80.      Problematisch an diesem Standpunkt ist, dass er auf Annahmen beruht. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie „denke“, dass dies der Grund für den zwischen ihrem Vorschlag und dem Text der Richtlinie in der letztlich angenommenen Fassung unterschiedlichen Wortlaut sei.

81.      Vor allem aber findet der Gedanke, dass der Gesetzgeber eine Art „halbes Recht“ habe schaffen wollen, nämlich den Erstattungsanspruch nach einem Rücktritt vom Vertrag gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302, jedoch ohne entsprechenden Insolvenzschutz, in den Erwägungsgründen oder in den Unterlagen, auf die die Kommission verwiesen hat, an keiner Stelle Widerhall. Wie vom Parlament im Wesentlichen vorgetragen, bezieht sich die Begründung des Rates, auf die die Kommission verwiesen hat, auf die Frage der Einschränkung der Garantie bei sehr unwahrscheinlichen Risiken, die Gegenstand einer anderen Bestimmung, nämlich Art. 17 Abs. 2, sind.

82.      Meines Erachtens besteht auch in Bezug auf das Vorbringen zum Verbraucherschutzniveau ein Widerspruch. Zwar gab es das Recht des Reisenden, bei unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen vom Vertrag zurückzutreten, nach der Richtlinie 90/314 nicht. Wäre Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 jedoch dahin auszulegen, dass davon Ansprüche von Reisenden, die vor der Insolvenz entstanden sind, ausgeschlossen sind, müsste dieser Ausschluss sich nicht nur auf Ansprüche beziehen, die sich aus der Ausübung des Rechts auf Rücktritt vom Vertrag bei unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen ergeben, sondern er müsste sich auch auf Erstattungsansprüche beziehen, die sich aus der Ausübung des Rechts auf Beendigung des Vertrags durch den Veranstalter oder den Reisenden unter anderen, in der Richtlinie 2015/2302 vorgesehenen Umständen ergeben. Beispielsweise hat der Reisende bei Vertragsbeendigung durch den Veranstalter nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2015/2302 oder im Fall des Rücktritts vom Vertrag nach Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie Anspruch auf eine Erstattung. Diesen Erstattungsanspruch gab es bereits nach der Richtlinie 90/314(29). In diesen Fällen würde der Verbraucherschutz gegenüber der früheren Regelung abgesenkt, wenn davon auszugehen wäre, dass die betreffenden Erstattungsansprüche nicht mehr vom Insolvenzschutz abgedeckt wären.

83.      Jedenfalls ist angesichts dessen, dass einer der Mitgesetzgeber, nämlich das Parlament, einen klaren Standpunkt dahin eingenommen hat, dass der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, den Umfang des Insolvenzschutzes nach Art. 17 Abs. 1 einzuschränken, keine eindeutige gegenteilige gesetzgeberische Absicht zu erkennen(30).

84.      Angesichts der vorstehenden Ausführungen sind als Nächstes der Kontext der Bestimmung und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu prüfen; anschließend ist eine Auslegung vorzunehmen, die mit dem Primärrecht der Union in seiner Gesamtheit im Einklang steht.

 c) Kontext und Ziele der Regelung, zu der Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 gehört

85.      Was den Kontext von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 angeht, betrifft nach dem ersten Teil des ersten Satzes die Sicherheit die Erstattung „aller von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen“. Nach Art. 17 Abs. 5 „[wird f]ür nicht erbrachte Reiseleistungen … die Erstattung unverzüglich nach der Beantragung durch den Reisenden vorgenommen“. Im 39. Erwägungsgrund, in dem die Gründe für den Erlass dieser Bestimmung erläutert werden, heißt es, dass Reisende „vor der Insolvenz des Reiseveranstalters in vollem Umfang geschützt sind“ und dass Reiseveranstalter zu gewährleisten haben, dass sie Sicherheit für die Erstattung „aller … geleisteten Zahlungen“ leisten. Nach demselben Erwägungsgrund „[bedeutet] Wirksamkeit …, dass der Schutz verfügbar ist, sobald infolge der Liquiditätsprobleme des Reiseveranstalters Reiseleistungen nicht durchgeführt werden …“.

86.      Wie oben ausgeführt(31), ist die „Aktivierung“ des Insolvenzschutzes, soweit die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht durchgeführt werden, mit der Wirksamkeit des Insolvenzschutzes in Verbindung zu bringen.  Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 kann daher nicht in einer Weise ausgelegt werden, die bestimmte Kategorien von Erstattungsansprüchen vom Umfang des Insolvenzschutzes ausschließt.

87.      Hinzuweisen ist ferner darauf, dass Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 einen anderen Anwendungsbereich hat als Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie und dass er die Grenzen der Garantie für Erstattungen regelt. Die betreffende Einschränkung bezieht sich auf die Abdeckung der „nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Kosten“. Im 40. Erwägungsgrund wird erläutert, dass „[e]in wirksamer Insolvenzschutz … nicht bedeuten [sollte], dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter, wenn dies unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Kosten des Schutzes haben und somit seine Wirksamkeit beeinträchtigen würde“.

88.      Dass Reisende das allein ihnen zustehende Recht auf Rücktritt vom Vertrag nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 ausüben und dass hiermit die Verpflichtung des Veranstalters zur vollen Erstattung nach Art. 12 Abs. 4 verbunden ist, kann jedoch nicht als „sehr unwahrscheinliches Risiko“ angesehen werden, so dass Anzahlungen von der Sicherheit ausgeschlossen wären.

89.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 12 Abs. 2 das Recht auf Rücktritt vom Vertrag im Fall von „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen“ anerkannt wird. Die Reisenden haben den entsprechenden Anspruch auf eine volle Erstattung. Dieses Recht ist nach Art. 23 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2015/2302 unabdingbar(32). Art. 17 Abs. 1 ist in einer Weise auszulegen, die die volle Wirksamkeit des Rechts auf Rücktritt vom Vertrag und eine volle Erstattung nach Art. 12 Abs. 2 gewährleistet, und nicht in einer Weise, die die Wirksamkeit dieses Rechts einschränkt. Wenn ein Reisender den Vorteil des Insolvenzschutzes allein deshalb verlöre, weil er vor der Insolvenz vom Vertrag zurückgetreten ist, könnte dies Reisende von vornherein davon abhalten, ihre Rechte auszuüben. Wie vom Parlament im Wesentlichen vorgetragen, würde Art. 12 Abs. 2 seine praktische Wirksamkeit genommen, wenn zugelassen würde, dass der Insolvenzschutz für diejenigen Reisenden, die ein sich aus der Richtlinie ergebendes Recht ausgeübt haben, nicht gilt.

90.      Allgemeiner betrachtet, würde eine andere Auslegung die Reisenden, die sich dafür entscheiden, nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 vor Beginn der Pauschalreise vom Vertrag zurückzutreten, sobald sie das Bestehen von Liquiditätsproblemen befürchten, schlechter stellen als Reisende, die sich nicht dafür entscheiden. In einer solchen Situation wird es nämlich möglicherweise Reisende geben, die es vorziehen werden, eine Rücktrittsgebühr zu zahlen und nach Art. 12 Abs. 4 eine Erstattung des ausstehenden Betrags zu erhalten, als das Risiko einer möglichen Rückbeförderung wegen einer während ihrer Reise eintretenden Insolvenz einzugehen.

91.      Weiter ist darauf hinzuweisen, dass die Sicherheit nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 „die Beträge der Zahlungen [abdecken muss], die von Reisenden oder in ihrem Namen in Bezug auf Pauschalreisen geleistet wurden“. Zu den Parametern für die Berechnung der Deckung gehören „[die] Dauer des Zeitraums zwischen den Anzahlungen und endgültigen Zahlungen und der Beendigung der Pauschalreisen“. Im 40. Erwägungsgrund wird klargestellt, dass „[d]er Schutz … ausreichen sollte, um alle vorhersehbaren Zahlungen, die von oder im Namen von Reisenden für Pauschalreisen der Hochsaison geleistet werden, … abzudecken“(33). Nach demselben Erwägungsgrund wird dies in der Regel bedeuten, dass die Absicherung „einen ausreichend hohen Prozentsatz des Umsatzes des Veranstalters in Bezug auf Pauschalreisen“ abdecken muss. Aus Art. 17 Abs. 2 und dem 40. Erwägungsgrund ergibt sich, dass in die Berechnung des Insolvenzschutzes, die auf den Umsatzdaten basiert, alle für Pauschalreisen geleisteten Zahlungen einbezogen sind(34). Dagegen dürfte der Rechtsgrund des Anspruchs auf eine Erstattung dieser Zahlungen für die Berechnung der erforderlichen Deckung nicht von Bedeutung sein.

92.      Schließlich würde der Ausschluss ausstehender Ansprüche vom Insolvenzschutz zu einem schwerwiegenden Widerspruch zwischen Art. 17 Abs. 1 und den vorvertraglichen Informationen, die den Reisenden unter Verwendung der entsprechenden Formulare gemäß Anhang I Teil A oder Teil B zu erteilen sind, führen. Dem Inhalt dieser Standardinformationen ist zu entnehmen, dass „[i]m Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters oder – in einigen Mitgliedstaaten – des Reisevermittlers … Zahlungen zurückerstattet [werden]“(35). Hinzuweisen ist darauf, dass dem Inhalt der dem Reisenden mitgeteilten Informationen keinerlei Einschränkungen dahin zu entnehmen sind, dass ein Ausschluss vom Insolvenzschutz bestehe. Wie von der Bundesarbeitskammer im Wesentlichen vorgetragen, kann nicht zugelassen werden, dass der Gesetzgeber den Reisenden zu einem Missverständnis der Unterlagen veranlasst hätte, indem er in dem Formular mit den Standardinformationen den falschen Eindruck vermittelt, dass alle Reisenden vor Insolvenz geschützt seien, während tatsächlich nur bestimmte Reisende geschützt sind.

93.      Was den konkreten Zweck von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 angeht, besteht das Ziel dieser Bestimmung im Schutz von Reisenden gegen Risiken, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs des Veranstalters ergeben. Zu der früheren Richtlinie 90/314 hat der Gerichtshof im Urteil Verein für Konsumenteninformation entschieden, dass die Risiken aus der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs, die mit dem Vertrag zwischen dem Reisenden und dem Veranstalter verbunden sind, sich aus der Vorauszahlung des Pauschalreisepreises ergeben(36). Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass das in Art. 7 dieser Richtlinie vorgegebene Ziel das Recht des Pauschalreisenden einschließt, dass die Erstattung der von ihm gezahlten Beträge sichergestellt wird. Das sich aus der Insolvenz ergebende Risiko hat sich im Rahmen der geltenden Richtlinie nicht geändert. Daher muss es ebenso das Ziel von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 sein, Pauschalreisenden das Recht zu gewähren, dass die Erstattung der von ihnen gezahlten Beträge, einschließlich solcher Ansprüche, die vor der Insolvenz bestanden, sichergestellt wird.

94.      Die Auslegung, wonach alle Reisenden in vollem Umfang vor einer Insolvenz geschützt werden müssen, einschließlich derjenigen, die vor der Insolvenz des Veranstalters vom Vertrag zurückgetreten sind, wird auch durch den Zweck der Richtlinie 2015/2302 bestätigt, der nach ihrem Art. 1 darin besteht, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen. Das Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, ist auch im Primärrecht verankert (Art. 169 AEUV und Art. 38 der Charta). Eine andere Auslegung würde, wie von der griechischen Regierung vorgetragen, bedeuten, dass ein Reisender das wirtschaftliche Risiko tragen würde, das mit der späteren Insolvenz des Reiseveranstalters verbunden ist.

95.      Aufgrund der vorstehenden Ausführungen sprechen der Kontext von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 und die Ziele, die mit der Regelung, zu der er gehört, verfolgt werden, dafür, dass der Insolvenzschutz auch Erstattungsansprüche von Reisenden abdeckt, die vor Eintritt der Insolvenz des Reiseveranstalters entstanden sind.

 d) Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung

96.      Wie oben bereits ausgeführt(37), ist ein Unionsrechtsakt nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz nach Möglichkeit so auszulegen, dass seine Gültigkeit nicht in Frage steht. Auch ist bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist(38).

97.      Insoweit sind alle Unionsrechtsakte im Einklang mit dem gesamten Primärrecht auszulegen, einschließlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist(39).

98.      In Anbetracht des – im Primärrecht verankerten(40) – Ziels, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, und des konkreteren Ziels von Art. 17 der Richtlinie 2015/2302, Reisende vor dem sich aus einer Insolvenz ergebenden Risiko zu schützen(41), sind die von dieser Bestimmung erfassten Sachverhalte insbesondere im Hinblick auf das von den Reisenden zu tragende wirtschaftliche Risiko miteinander zu vergleichen.

99.      Im vorliegenden Fall ist die Situation von Reisenden, die einen Erstattungsanspruch geltend machen, nachdem sie von einem Reisevertrag (wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände) zurückgetreten sind, mit derjenigen von Reisenden zu vergleichen, die einen Erstattungsanspruch geltend machen, weil die Reiseleistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden. Wie von der griechischen Regierung in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, sind beide Kategorien von Reisenden dem gleichen finanziellen Risiko in Bezug auf die Anzahlungen ausgesetzt, die sie an den Veranstalter geleistet haben, der später insolvent wird.

100. Die Kommission, der Rat, die belgische Regierung und das Parlament haben hilfsweise geltend gemacht, dass keine Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen Kategorien von Reisenden vorliege, da ihre Situation nicht vergleichbar sei. Auf der einen Seite hätten Reisende, die vor der Insolvenz von ihrem Vertrag zurückgetreten seien, keinen vertraglichen Anspruch auf die Erbringung der Reiseleistungen; sie hätten lediglich einen Anspruch auf eine Erstattung in Geld. Auf der anderen Seite hätten Reisende, die von ihrem Vertrag zum Zeitpunkt der Insolvenz nicht zurückgetreten seien, Anspruch auf Erbringung der Reiseleistungen.

101. Der von der Kommission, dem Rat, dem Parlament und der belgischen Regierung vorgebrachte Unterschied im Rechtsverhältnis der Vertragsparteien zum Zeitpunkt der Insolvenz ist jedoch kein geeigneter Vergleichsmaßstab. Trotz des Unterschieds in der Vertragsbeziehung haben die Reisenden beider Kategorien den gleichen Erstattungsanspruch für alle geleisteten Zahlungen. Wie bereits ausgeführt und wie von der griechischen Regierung vorgetragen, ist der Bezugspunkt für den Vergleich das von den Reisenden zu tragende finanzielle Risiko. Da das Risiko, tatsächlich alle Zahlungen erstattet zu bekommen, die von Reisenden, die von ihrem Vertrag zurückgetreten sind, und von Reisenden, die von ihrem Vertrag zum Zeitpunkt der Insolvenz noch nicht zurückgetreten sind, geleistet wurden, das gleiche ist, können diese Risiken nicht unterschiedlich behandelt werden, ohne dass gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen würde. Dies gilt umso mehr im Hinblick auf das mit der Richtlinie 2015/2302 verfolgte Ziel, allen Reisenden ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten(42).

102. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 in Verbindung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung meines Erachtens dahin auszulegen, dass die Sicherheit für die Erstattung den Erstattungsanspruch für alle Zahlungen einschließt, die von Reisenden oder in deren Namen, einschließlich solcher Reisenden, die vor Eintritt der Insolvenz des Reiseveranstalters vom Vertrag zurückgetreten sind, geleistet wurden.

 e) Grundsatz der Rechtssicherheit

103. In ihren mündlichen Ausführungen hat HDI Global geltend gemacht, dass sie sich bei der Festlegung der Versicherungskonditionen(43) und der von Reiseveranstaltern zu zahlenden Versicherungsbeiträge zur Berechnung des Umfangs des übernommenen Risikos auf die einschlägigen Rechtsvorschriften gestützt habe. Da der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 eindeutig einen Kausalzusammenhang zwischen der Insolvenz und der Nichterbringung von Reiseleistungen voraussetze, widerspreche eine Abweichung von dieser Auslegung dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der ein fundamentaler Grundsatz des Unionsrechts sei.

104. Insoweit wurde oben ausgeführt(44), dass dann, wenn Art. 17 Abs. 1 schon nach seinem Wortlaut absolut eindeutig einen solchen Kausalzusammenhang voraussetzen würde, der Gerichtshof von dieser Auslegung nicht abweichen könnte. Wie oben (Unterabschnitt a) dargelegt, schließt der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 jedoch Ansprüche von Reisenden, die von ihrem Vertrag wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände zurückgetreten sind, nicht eindeutig aus. Er ist daher einer Auslegung zugänglich. Nach der in den vorliegenden Schlussanträgen vertretenen Ansicht sollte diese Auslegung zu dem Ergebnis führen, dass alle geleisteten Zahlungen im Fall einer Insolvenz geschützt sein müssen.

105. Ferner wird nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung dieser zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen(45).

106. Nur ganz ausnahmsweise kann der Gerichtshof aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit beschränken, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen(46).

107. In der vorliegenden Rechtssache haben jedoch weder die am Ausgangsverfahren beteiligten Versicherungsgesellschaften noch die belgische Regierung beantragt, die Wirkungen des zu erlassenden Urteils aus Gründen der Rechtssicherheit zeitlich zu begrenzen. Selbst wenn ein solcher Antrag gestellt worden wäre, haben diese Beteiligten keine schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Art geltend gemacht, dass eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des zu erwartenden Urteils gerechtfertigt wäre, wenn der Gerichtshof der in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagenen Auslegung folgen sollte(47).

108. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge vor der Empfehlung 2020/648 der Kommission geschlossen wurden, die darauf hindeuten könnte, dass vor der Insolvenz entstandene Ansprüche von Reisenden nicht geschützt sind. Die am Ausgangsverfahren beteiligten Versicherungsgesellschaften können ihre Versicherungsverträge nicht auf der Grundlage der in dieser Empfehlung vertretenen Auslegung gestaltet haben. Außerdem bilden, wie oben bereits ausgeführt(48), die Grundlage für die Berechnung der Garantie gemäß Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 die Beträge aller Zahlungen, die von Reisenden oder in ihrem Namen in Bezug auf Pauschalreisen geleistet wurden. Diese Bestimmung liefert den Versicherungsgesellschaften einen klaren Hinweis im Hinblick auf die Grundlage für die Berechnung der erforderlichen Deckung.


109. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass bei Ausbruch der Covid‑19-Pandemie durch das Unionsrecht besondere Maßnahmen eingeführt wurden, um den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die in den Vorschriften über staatliche Beihilfen vorgesehene Flexibilität in vollem Umfang zu nutzen, um Reiseveranstalter und Versicherer zu unterstützen und Reisende vor den Folgen einer Insolvenz der Reiseveranstalter zu schützen(49).

110. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen steht der Grundsatz der Rechtssicherheit einer Auslegung nicht entgegen, wonach die Versicherungsgarantie nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 alle von Reisenden vor der Insolvenz geleisteten Zahlungen abdeckt.

111. Aufgrund sämtlicher vorstehenden Ausführungen ist Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 in Anbetracht seines Wortlauts, seines Kontexts, seines Zwecks und im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung dahin auszulegen, dass die Sicherheit für die Erstattung nicht nur die von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen in dem Fall abdeckt, dass die Reise infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht stattgefunden hat, sondern dass sie auch die von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen in dem Fall abdeckt, dass der Reisende vor der Insolvenz des Reiseveranstalters aufgrund von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 vom Vertrag zurückgetreten ist.

 Zweite und dritte Frage in der Rechtssache C771/22

112. Die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑771/22 werden vom vorlegenden Gericht für den Fall gestellt, dass seine erste Frage verneint wird. Mit diesen Fragen, die zusammen beantwortet werden können, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen ist, dass Reisende, die vor der Insolvenz des Reiseveranstalters aufgrund von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen vom Vertrag zurückgetreten sind, zumindest in den beiden folgenden Fällen abgesichert sind, nämlich erstens, wenn das Insolvenzverfahren in dem Zeitraum eröffnet wurde, in dem die Reise stattfinden sollte, und zweitens, wenn der Rücktritt vom Vertrag und die Insolvenz ursächlich auf den gleichen außergewöhnlichen Umstand zurückgehen.

113. Falls der Gerichtshof mit dem in den vorliegenden Schlussanträgen dargelegten Auslegungsansatz übereinstimmen sollte, bedürften diese Fragen keiner Beantwortung. Falls dies nicht der Fall sein sollte, sind diese Fragen meines Erachtens zu verneinen. Wenn der Umfang der Garantie nach Art. 17 Abs. 1 Erstattungsansprüche, die vor der Insolvenz entstanden sind, nicht umfasst, kann der Umfang dieser Garantie nicht in Abhängigkeit von den vom vorlegenden Gericht dargestellten Umständen unterschiedlich sein. Wie von der Kommission vorgetragen, kann der Anwendungsbereich dieser Rechtsvorschrift nicht in Abhängigkeit davon unterschiedlich weit ausfallen, zu welchem Zeitpunkt die Reise stattfinden sollte oder ob die Umstände, die den Rücktritt vom Vertrag rechtfertigen sollen, zur Insolvenz des Reiseveranstalters geführt haben.

114. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen kommt es meines Erachtens für die Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 nicht darauf an, ob die Reise während oder nach der Insolvenz stattfinden sollte oder ob die Insolvenz aufgrund der gleichen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände eintritt, die von dem Reisenden für den Rücktritt vom Vertrag nach Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie geltend gemacht wurden.

 V. Ergebnis

115. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bezirksgericht für Handelssachen Wien (Österreich) und von der Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel (niederländischsprachiges Unternehmensgericht von Brüssel, Belgien) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates ist in Anbetracht seines Wortlauts, seines Kontexts, seines Zwecks und im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung

dahin auszulegen, dass die Sicherheit für die Erstattung nicht nur die von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen in dem Fall abdeckt, dass die Reise infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht stattgefunden hat, sondern dass sie auch die von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen in dem Fall abdeckt, dass der Reisende vor der Insolvenz des Reiseveranstalters aufgrund von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 vom Vertrag zurückgetreten ist.

Hilfsweise kommt es für die Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 nicht darauf an, ob die Reise während oder nach der Insolvenz stattfinden sollte oder ob die Insolvenz aufgrund der gleichen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände eintritt, die von dem Reisenden für den Rücktritt vom Vertrag nach Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie geltend gemacht wurden.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Vgl. die entsprechenden Daten in den UN Tourism Policy Briefs (Bericht der Vereinten Nationen über die Tourismuspraxis): https://www.unwto.org/tourism-and-covid-19-unprecedented-economic-impacts.


3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1).


4      Richtlinie des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. 1990, L 158, S. 59). Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2015/2302 aufgehoben.


5      Urteil vom 14. Mai 1998, Verein für Konsumenteninformation (C‑364/96, EU:C:1998:226, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).


6      Urteil vom 12. Januar 2023, FTI Touristik (Pauschalreise auf die Kanarischen Inseln) (C‑396/21, EU:C:2023:10, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7      Urteil vom 25. Januar 2022, VYSOČINA WIND (C‑181/20, EU:C:2022:51, Rn. 39).


8      Urteil vom 14. Mai 2019, M u. a. (Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft) (C‑391/16, C‑77/17 und C‑78/17, EU:C:2019:403, Rn. 77).


9      Die betreffende Formulierung der französischen Fassung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 lautet: „dans la mesure où les services concernés ne sont pas exécutés en raison de l’insolvabilité des organisateurs“.


10      Vgl. z. B. die deutsche Fassung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 („sofern die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden“) sowie die spanische („en que los servicios correspondientes no se hayan ejecutado por causa de la insolvencia del organizador“) und die italienische Fassung („in cui i servizi pertinenti non sono eseguiti a causa dello stato di insolvenza dell’organizzatore“).


11      Urteil vom 14. Mai 1998 (C‑364/96, EU:C:1998:226, Rn. 20) (im Folgenden: Urteil Verein für Konsumenteninformation).


12      Ebd. (Rn. 22) (Hervorhebung nur hier).


13      Zumindest in Bezug auf Erstattungsansprüche, die sich aus der Ausübung des Rechts auf Rücktritt vom Vertrag nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 ergeben.


14      Dänemark hat vorgetragen, dass es einen Garantiefonds eingerichtet habe, durch den Gutscheine und ausstehende Erstattungsansprüche abgesichert seien.


15      Relevant ist auch das Beispiel der deutschen Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302. Nach § 651r Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) hat der Reiseveranstalter sicherzustellen, dass Reisenden der gezahlte Reisepreis erstattet wird, soweit „im Fall“ der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters Reiseleistungen ausfallen. § 651r Abs. 1 BGB ist weiter gefasst als seine Vorgängerregelung, § 651k Abs. 1 Nr. 1 BGB. Nach der letztgenannten früheren Bestimmung hatte der Reiseveranstalter sicherzustellen, dass Reisenden der gezahlte Reisepreis erstattet wird, soweit Reiseleistungen  infolge“ Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters ausfallen. Dieser Wortlaut von § 651k Abs. 1 Nr. 1 BGB warf Fragen nach der Vereinbarkeit mit der Richtlinie 90/314 auf, wie das Urteil vom 16. Februar 2012, Blödel-Pawlik (C‑134/11, EU:C:2012:98), zeigt. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 2015/2302 wurde im deutschen juristischen Schrifttum betont, dass „der Sündenfall eines allgemeinen Filters wie ‚infolge‘“ in der Umsetzungsgesetzgebung nicht wiederholt werden dürfe (vgl. Staudinger, A., „Erste Überlegungen zur Umsetzung der reformierten Pauschalreiserichtlinie mit Bezug auf den Insolvenzschutz“, Reise-Recht Aktuell (RRa), 2015, Bd. 6, S. 281 bis 287, auf S. 282).


16      Diese Schlussfolgerung wird durch meine Ausführungen in Nr. 61 meiner Schlussanträge in der Rechtssache UFC – Que choisir und CLCV (C‑407/21, EU:C:2022:690), auf die die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen verweist, nicht in Frage gestellt. Dort sollte nicht eingehend untersucht werden, welchen Umfang Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 hat, sondern vielmehr zum Vorbringen einiger Regierungen zur Nichtanwendbarkeit des Anspruchs auf eine vollständige Erstattung im Fall der Covid-19-Pandemie eingegangen und die sich aus den weitreichenden Stornierungen ergebenden Auswirkungen der Pandemie auf die Liquidität von Veranstaltern erörtert werden. Aus denselben Gründen ist Rn. 55 des Urteils des Gerichtshofs vom 8. Juni 2023, Kommission/Slowakei (Recht auf kostenfreien Rücktritt) (C‑540/21, EU:C:2023:450), nicht so zu verstehen, dass dort die Auffassung des Gerichtshofs zum Umfang des Insolvenzschutzes nach Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 zum Ausdruck kommt.


17      Urteil vom 16. März 2023, Towercast (C‑449/21, EU:C:2023:207, Rn. 31).


18      Urteil vom 8. Oktober 1996, Dillenkofer u. a. (C‑178/94, C‑179/94 und C‑188/94 bis C‑190/94, EU:C:1996:375, Rn. 42).


19      Urteil vom 15. Juni 1999, Rechberger u. a. (C‑140/97, EU:C:1999:306, Rn. 61).


20      Urteil vom 14. Mai 1998, Verein für Konsumenteninformation (C‑364/96, EU:C:1998:226, Rn. 18).


21      Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschal- und Bausteinreisen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (COM[2013] 512 final).


22      Dem 34. Erwägungsgrund des Kommissionsvorschlags zufolge „[sind] Reisende, die eine Pauschal[reise] erwerben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters … in vollem Umfang geschützt“ und „[sollten] die Mitgliedstaaten … für eine wirksame Regelung des Insolvenzschutzes auf nationaler Ebene sorgen und sicherstellen, dass mit dieser Regelung die umgehende Rückbeförderung aller von der Insolvenz betroffenen Reisenden und die Erstattung der von ihnen geleisteten Zahlungen gewährleistet sind“. Nach Art. 15 („Wirksamkeit und Umfang des Insolvenzschutzes“) des Kommissionsvorschlags stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Reiseveranstalter „dafür Sorge tragen, dass… die effektive, prompte Erstattung aller von Reisenden geleisteten Zahlungen … gewährleistet sind“ (Hervorhebung nur hier).


23      Begründung des Rates, vom Rat am 18. September 2015 angenommen, Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, 2013/0246 (COD), 22. September 2015 (im Folgenden: Begründung des Rates).


24      Empfehlung der Kommission vom 13. Mai 2020 zu Gutscheinen für Passagiere und Reisende als Alternative zur Rückerstattung von Zahlungen für annullierte Pauschalreisen und Beförderungsdienstleistungen im Kontext der COVID‑19-Pandemie (ABl. 2020, L 151, S. 10).


25      14. Erwägungsgrund der Empfehlung 2020/648 der Kommission.


26      Nr. 2 der Empfehlung 2020/648 der Kommission. Nach Nr. 1 handelt es sich bei den betreffenden Gutscheinen um solche, die Veranstalter Reisenden als Alternative zur Erstattung in Geld im Fall einer Vertragsbeendigung, die aus durch die Covid‑19-Pandemie bedingten Gründen erfolgt, im Zusammenhang mit Art. 12 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2015/2302 anbieten können.


27      Urteil vom 15. Juni 1999, Rechberger u. a. (C‑140/97, EU:C:1999:306, Rn. 74).


28      Das Parlament verweist auf den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2302.


29      Vgl. Art. 4 Abs. 6. Buchst. b der Richtlinie 90/314, der den Anspruch des Verbrauchers auf schnellstmögliche Erstattung aller aufgrund des Vertrags gezahlten Beträge regelt.


30      Eine Klarstellung des Anwendungsbereichs von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 durch den Gesetzgeber wäre de lege ferenda wünschenswert. Dies ist eins der Ziele des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/2302 zur wirksameren Gestaltung des Schutzes von Reisenden und zur Vereinfachung und Klarstellung bestimmter Aspekte der Richtlinie (COM[2023] 905 final). Nach der von der Kommission vorgeschlagenen neuen Formulierung dieser Bestimmung schließt die Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden geleisteten Zahlungen „im Falle der Insolvenz des Reiseveranstalters“ den Schutz geleisteter Zahlungen ein, „wenn ein Reisender Anspruch auf Erstattung hatte“.


31      Siehe oben, Nr. 55.


32      Urteil vom 8. Juni 2023, UFC – Que choisir und CLCV (C‑407/21, EU:C:2023:449, Rn. 60).


33      Hervorhebung nur hier.


34      Vgl. Keiler, S., „Agens und Folge der Insolvenz eines Reiseveranstalters“, Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz – ZIK, 2020, Bd. 6, S. 229, auf S. 231.


35      Hervorhebung nur hier.


36      Urteil vom 14. Mai 1998 (C‑364/96, EU:C:1998:226, Rn. 18).


37      Nr. 43 der vorliegenden Schlussanträge.


38      Urteil vom 19. November 2009, Sturgeon u. a. (C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 47). In diesem grundlegenden Urteil zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1) hat der Gerichtshof entschieden, dass Fluggäste verspäteter Flüge, die einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, und Fluggäste annullierter Flüge nicht unterschiedlich behandelt werden können, ohne dass gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen würde.


39      Urteil vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a. (C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


40      Siehe oben, Nr. 94 der vorliegenden Schlussanträge.


41      Siehe oben, Nr. 93 der vorliegenden Schlussanträge.


42      Vgl. entsprechend Urteil vom 19. November 2009, Sturgeon u. a. (C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 60).


43      Damit sind die Bedingungen für Auszahlungen aus dem Versicherungsschutz gemeint.


44      Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge.


45      Urteile vom 6. März 2007, Meilicke u. a. (C‑292/04, EU:C:2007:132, Rn. 34), und vom 23. April 2020, Herst (C‑401/18, EU:C:2020:295, Rn. 54). Diese Voraussetzungen betreffen z. B. die Anforderungen an die Zulässigkeit der in Rede stehenden Klage oder die Einhaltung der einschlägigen Verjährungsfristen.


46      Urteil vom 23. April 2020, Herst (C‑401/18, EU:C:2020:295, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).


47      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2014, Schulz und Egbringhoff (C‑359/11 und C‑400/11, EU:C:2014:2317, Rn. 57 ff.).


48      Nr. 91 der vorliegenden Schlussanträge.


49      Vgl. Mitteilung der Kommission Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID‑19 (C[2020] 1863) (ABl. 2020, C 91 I, S. 1) in geänderter Fassung. Sowohl die österreichische als auch die belgische Regierung haben von dem Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Coronavirus Gebrauch gemacht (vgl. mit näheren Einzelheiten Factsheet – List of Member State Measures approved under Articles 170[2]b, 107[3]b and 170[3]c TFEU and under the State Aid Temporary Framework [Factsheet – Liste der nach den Art. 170 Abs. 2 Buchst. b, Art. 107 Abs. 3 Buchst. b und Art. 170 Abs. 3 Buchst. c AEUV und nach dem Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen genehmigten Maßnahmen der Mitgliedstaaten], abrufbar unter https://competition-policy.ec.europa.eu/state-aid/coronavirus/temporary-framework_en). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 8. Juni 2023, UFC – Que choisir und CLCV (C‑407/21, EU:C:2023:449, Rn. 73).