Language of document : ECLI:EU:T:2019:669

Rechtssachen T760/15 und T636/16

Königreich der Niederlande u. a.

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Siebte erweiterte Kammer) vom 24. September 2019

„Staatliche Beihilfen – Beihilfe der Niederlande – Beschluss, mit dem die Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und rechtswidrig erklärt und ihre Rückforderung angeordnet wird – Steuervorbescheid (tax ruling) – Verrechnungspreis – Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage – Fremdvergleichsgrundsatz – Vorteil – Bezugssystem – Steuer- und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten“

1.      Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Bestimmung des Streitgegenstands – Kurze Darstellung der Klagegründe – Der Klageschrift beigefügte Schriftstücke – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 21; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 76 Buchst. d)

(vgl. Rn. 114-117)

2.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Gewährung eines Vorteils für die Begünstigten – Steuervorbescheid zu den Verrechnungspreisen eines integrierten Unternehmens – Prüfung der steuerlichen Behandlung gruppeninterner Geschäfte anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes – Zulässigkeit – Gerichtliche Überprüfung – Umfang

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 136-156, 197-199)

3.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Maßnahme des Staates in Bereichen, die in der Europäischen Union nicht harmonisiert sind – Direkte Besteuerung – Einbeziehung – Bestimmung der Besteuerungsgrundlage und Verteilung der Steuerbelastung – Befugnisse der Mitgliedstaaten – Grenzen

(Art. 107 AEUV)

(vgl. Rn. 158-160)

4.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Gewährung eines Vorteils für die Begünstigten – Steuervorbescheid zu den Verrechnungspreisen eines integrierten Unternehmens – Prüfung der in diesem Bescheid gebilligten Methode zur Ermittlung der Verrechnungspreise anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes – Von der Kommission festgestellte methodische Fehler – Fehler, die nicht zwangsläufig zu einer steuerlichen Vergünstigung führen

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 186-193, 200-203, 206-216)

5.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Gewährung eines Vorteils für die Begünstigten – Steuervorbescheid zu den Verrechnungspreisen eines integrierten Unternehmens – Steuerliche Vergünstigung – Der Kommission obliegende Beweislast – Fehlender Nachweis für eine steuerliche Vergünstigung

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 194-196, 359, 371-373, 403, 501, 548, 549)

6.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Gewährung eines Vorteils für die Begünstigten – Steuervorbescheid zu den Verrechnungspreisen eines integrierten Unternehmens – Steuerliche Vergünstigung – Beurteilung anhand der zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheids verfügbaren oder vernünftigerweise vorhersehbaren Informationen

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 241-251, 271, 288, 396)

7.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beschluss der Kommission über staatliche Beihilfen – Prüfung des Vorliegens eines Vorteils

(Art. 107 Abs. 1 und 296 Abs. 2 AEUV)

(vgl. Rn. 420-432)

Zusammenfassung

Im Urteil vom 24. September 2019, Niederlande u. a./Kommission (T‑760/15 und T‑636/16), hat die Siebte erweiterte Kammer des Gerichts den Beschluss der Europäischen Kommission, mit dem sie eine Vorabverständigung über die Verrechnungspreisgestaltung zwischen den niederländischen Steuerbehörden und dem Unternehmen Starbucks Manufacturing Emea BV (im Folgenden: SMBV) als staatliche Beihilfe eingestuft hatte(1), für nichtig erklärt.

SMBV ist eine Tochtergesellschaft der Starbucks-Gruppe, die mit bestimmten Produktions- und Vertriebstätigkeiten innerhalb dieser Gruppe betraut ist. Am 28. April 2008 vereinbarten die niederländischen Steuerbehörden mit SMBV eine Vorabverständigung über die Verrechnungspreisgestaltung (im Folgenden: Vorabverständigung), mit der die Vergütung von SMBV für ihre Tätigkeiten innerhalb der Starbucks-Gruppe festgelegt wurde. Diese Vergütung diente in der Folge zur jährlichen Ermittlung des in den Niederlanden körperschaftsteuerpflichtigen Gewinns von SMBV. Am 21. Oktober 2015 erließ die Kommission ihren Beschluss, mit dem sie die Vorabverständigung als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe einstufte und die Rückforderung dieser Beihilfe anordnete. Das Königreich der Niederlande auf der einen Seite und die Starbucks Corp. und SMBV auf der anderen Seite erhoben jeweils Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss.

Da die direkte Besteuerung in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, hat das Gericht als Erstes darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten diese Befugnis jedoch unter Wahrung des Rechts der Europäischen Union ausüben müssen. Somit sind Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der direkten Besteuerung, auch wenn sie sich auf in der Union nicht harmonisierte Fragen beziehen, nicht vom Anwendungsbereich der Regelung über die Kontrolle staatlicher Beihilfen ausgenommen. Die Kommission konnte folglich eine steuerliche Maßnahme wie die Vorabverständigung als staatliche Beihilfe einstufen, sofern die Voraussetzungen für eine solche Einstufung erfüllt waren.

Als Zweites hat das Gericht ausgeführt, dass die Kommission, wenn das nationale Steuerrecht den Gewinn aus der wirtschaftlichen Tätigkeit eines integrierten Unternehmens so besteuern will, als ob er aus Geschäften unter Marktbedingungen stammt, den Fremdvergleichsgrundsatz anwenden kann, um zu überprüfen, ob die gruppeninternen Geschäfte so vergütet wurden, als wären sie zwischen unabhängigen Unternehmen ausgehandelt worden, und daher ein Steuervorbescheid dem Begünstigten im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einen Vorteil gewährt. Der Fremdvergleichsgrundsatz, wie er von der Kommission in ihrem Beschluss festgestellt wurde, ist ein Werkzeug, das es ihr erlaubt, zu überprüfen, ob die gruppeninternen Geschäfte so vergütet wurden, als wären sie zwischen unabhängigen Unternehmen ausgehandelt worden. Dieses Werkzeug fällt somit in Anbetracht des niederländischen Steuerrechts in die Ausübung der Befugnisse der Kommission nach Art. 107 AEUV. Die Kommission durfte daher im vorliegenden Fall prüfen, ob das mit der Vorabverständigung gebilligte Preisniveau für gruppeninterne Geschäfte dem Preis entsprach, der unter Marktbedingungen ausgehandelt worden wäre.

Als Drittes hat das Gericht in Bezug auf den Nachweis des Vorliegens eines Vorteils jedoch entschieden, dass es der Kommission nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass die Vorabverständigung durch die Verringerung der Steuerbelastung von SMBV einen Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt hat. Das Gericht hat im Einzelnen die verschiedenen Argumentationslinien der Kommission zurückgewiesen, mit denen dargetan werden sollte, dass die Vorabverständigung SMBV einen Vorteil gewährt habe, indem mit ihr eine Methode zur Ermittlung der Verrechnungspreise gebilligt worden sei, die es nicht ermöglicht habe, ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu erzielen.

So hat das Gericht in einem ersten Schritt die Argumentationslinie zurückgewiesen, die Vorabverständigung habe SMBV einen Vorteil gewährt, weil die Wahl der Methode zur Ermittlung der Preise für gruppeninterne Geschäfte nicht zu einer verlässlichen Annäherung an ein fremdvergleichskonformes marktbasiertes Ergebnis geführt habe. Da nämlich die bloße Nichterfüllung methodischer Anforderungen nicht zwangsläufig zu einer Verringerung der Steuerbelastung führt, hätte die Kommission noch nachweisen müssen, dass die von ihr festgestellten methodischen Fehler in der Vorabverständigung es nicht erlaubt haben, zu einer verlässlichen Annäherung an ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu kommen, und dass diese Fehler eine Verringerung des steuerpflichtigen Gewinns im Vergleich zu der steuerlichen Belastung zur Folge hatten, die sich aus der Anwendung der normalen Steuervorschriften des nationalen Rechts auf ein Unternehmen ergäbe, das sich in einer mit der von SMBV vergleichbaren tatsächlichen Situation befindet und seine Tätigkeit unter Marktbedingungen ausübt. Diesen Nachweis hat die Kommission aber nicht erbracht.

Insoweit hat das Gericht u. a. festgestellt, dass die Kommission nichts vorgetragen hat, was den Schluss zuließe, dass die Methode, die in der Vorabverständigung zur Ermittlung der Verrechnungspreise herangezogen wurde – die  geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode  (transactional net margin method, im Folgenden: TNMM) – zwangsläufig zu einem zu niedrigen Ergebnis geführt hat, was SMBV einen Vorteil verschafft hätte. Das Gericht hat ferner ausgeführt, dass die bloße Feststellung der Kommission, in der Vorabverständigung sei die von SMBV an ein Unternehmen der Starbucks-Gruppe gezahlte Lizenzgebühr für die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums, zu denen u. a. Röstmethoden und anderes Know-how im Zusammenhang mit dem Rösten gehörten, nicht geprüft worden, nicht für den Nachweis genügt, dass die Gebühr tatsächlich nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang stand. Zur Höhe der von SMBV gezahlten Gebühr hat das Gericht nach einer Analyse der Funktionen von SMBV im Zusammenhang mit der Gebühr und einer Prüfung vergleichbarer von der Kommission geprüfter Röstvereinbarungen außerdem festgestellt, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass sich daraus ein Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ergeben hat.

In einem zweiten Schritt hat das Gericht die Hilfsbegründung der Kommission geprüft, wonach die Vorabverständigung, selbst wenn die TNMM im vorliegenden Fall zur Ermittlung der Verrechnungspreise hätte herangezogen werden können, SMBV einen Vorteil gewährt hätte, da die Modalitäten der Anwendung dieser mit der Vorabverständigung gebilligten Methode falsch gewesen seien. Das Gericht hat insoweit festgestellt, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die verschiedenen Fehler, die sie bei den Modalitäten der TNMM festgestellt hat, SMBV einen Vorteil verschafft haben, sei es dadurch, dass mit der Vorabverständigung die Bestimmung von SMBV als das für die Anwendung der TNMM geprüfte Unternehmen, die Wahl des Indikators für die Höhe der Gewinne bei der Anwendung der TNMM oder bestimmte Korrekturen dieses Indikators anerkannt wurden.


1      Beschluss (EU) 2017/502 der Kommission vom 21. Oktober 2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks (ABl. 2017, L 83, S. 38).