Language of document : ECLI:EU:T:2023:828

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

20. Dezember 2023(*)

„Nichtigkeitsklage – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren – Verbot für nicht in Russland registrierte Luftfahrzeuge, die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen, im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen – Art. 4e des Beschlusses 2014/512/GASP – Unzuständigkeit des Gerichts – Art. 3d der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 – Fehlende Klagebefugnis – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑233/22,

Ekaterina Islentyeva, wohnhaft in Strassen (Luxemburg), vertreten durch Rechtsanwälte F. Moyse und V. Sulea,

Klägerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch V. Piessevaux und M.‑C. Cadilhac als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Europäische Kommission, vertreten durch J.‑F. Brakeland, C. Giolito, K. Simonsson, M. Carpus Carcea und B. Sasinowska als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

erlässt

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann, des Richters R. Mastroianni, der Richterin M. Brkan sowie der Richter I. Gâlea (Berichterstatter) und S. L. Kalėda,

Kanzler: H. Eriksson, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer auf Art. 263 AEUV gestützten Klage begehrt die Klägerin, Frau Ekaterina Islentyeva, zum einen die Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2022/335 des Rates vom 28. Februar 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2022, L 57, S. 4, im Folgenden: angefochtener Beschluss), und zum anderen der Verordnung (EU) 2022/334 des Rates vom 28. Februar 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2022, L 57, S. 1, im Folgenden: angefochtene Verordnung) (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Hintergrund der vorliegenden Rechtssache sind die von der Europäischen Union verabschiedeten restriktiven Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen.

3        Die Klägerin besitzt sowohl die luxemburgische als auch die russische Staatsangehörigkeit. Sie ist Inhaberin einer von der Direction de l’aviation civile du Grand-Duché de Luxembourg (Direktion für zivile Luftfahrt im Großherzogtum Luxemburg, DAC) ausgestellten privaten Pilotenlizenz. Vor dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte nutzte sie Luftfahrzeuge, die dem luxemburgischen gemeinnützigen Verein Avia Sport II mit Sitz am Flughafen Luxemburg-Findel (Luxemburg) gehörten und überflog Luxemburg, Frankreich, Deutschland, Belgien und das Vereinigte Königreich. Sie flog alleine oder mit Fluglehrer, wobei sie zu jeder Zeit die verantwortliche Pilotin im Sinne von Anhang I Nr. 108 der Verordnung (EU) Nr. 965/2012 der Kommission vom 5. Oktober 2012 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf den Flugbetrieb gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2012, L 296, S. 1) war. Im Jahr 2021 führte sie auf diese Weise 14 Flüge durch.

4        Im März 2014 annektierte die Russische Föderation rechtswidrig die Autonome Republik Krim sowie die Stadt Sewastopol und nahm seitdem kontinuierlich Handlungen vor, die die Lage im Osten der Ukraine destabilisieren. Als Reaktion führte die Union restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen der Russischen Föderation, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, sowie restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die rechtswidrige Eingliederung der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol durch Annexion seitens der Russischen Föderation ein.

5        Am 24. Februar 2022 kündigte der Präsident der Russischen Föderation eine militärische Operation in der Ukraine an, und am selben Tag griffen russische Streitkräfte die Ukraine an mehreren Stellen des Landes an.

6        Am 28. Februar 2022 erließ der Rat der Europäischen Union im Kontext einer Reihe restriktiver Maßnahmen, die u. a. die Schließung des Luftraums der Union für bestimmte Luftfahrzeugkategorien, das SWIFT‑Meldesystem für Finanztransaktionen und die Ressourcen der russischen Zentralbank betrafen, auf der Grundlage von Art. 29 EUV den angefochtenen Beschluss und auf der Grundlage von Art. 215 AEUV die angefochtene Verordnung.

7        Art. 4e des Beschlusses 2014/512/GASP des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2014, L 229, S. 13), eingefügt durch Art. 1 Nr. 2 des angefochtenen Beschlusses, sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten verweigern nach Maßgabe ihrer nationalen Vorschriften und ihres nationalen Rechts und im Einklang mit dem Völkerrecht, insbesondere den einschlägigen internationalen Übereinkünften auf dem Gebiet der Zivilluftfahrt, Luftfahrzeugen, die von russischen Luftfahrtunternehmen betrieben werden, einschließlich als Vertriebsunternehmen im Wege von Code-Sharing- oder Blocked-Space-Vereinbarungen, in Russland registrierten Luftfahrzeugen sowie nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugen, die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen, die Erlaubnis, im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten, oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen.

(2)      Absatz 1 gilt nicht für Notlandungen oder Notüberflüge.

(3)      Abweichend von Absatz 1 können die zuständigen Behörden genehmigen, dass ein Luftfahrzeug im Hoheitsgebiet der Union landet, startet oder das Hoheitsgebiet der Union überfliegt, wenn die zuständigen Behörden festgestellt haben, dass das Landen, Starten oder Überfliegen für humanitäre Zwecke oder für andere mit den Zielen dieses Beschlusses im Einklang stehende Zwecke erforderlich ist.

(4)      Der betreffende Mitgliedstaat oder die betreffenden Mitgliedstaaten unterrichtet bzw. unterrichten die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission über jede nach Absatz 3 erteilte Genehmigung innerhalb von zwei Wochen nach deren Erteilung.“

8        Art. 3d der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2014, L 229, S. 1), eingefügt durch Art. 1 Nr. 2 der angefochtenen Verordnung, bestimmt:

„(1)      Luftfahrzeugen, die von russischen Luftfahrtunternehmen betrieben werden, einschließlich als Vertriebsunternehmen im Wege von Code-Sharing- oder Blocked-Space-Vereinbarungen, in Russland registrierten Luftfahrzeugen sowie nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugen, die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen, ist es untersagt, im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten, oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen.

(2)      Absatz 1 gilt nicht für Notlandungen oder Notüberflüge.

(3)      Abweichend von Absatz 1 können die zuständigen Behörden genehmigen, dass ein Luftfahrzeug im Hoheitsgebiet der Union landet, startet oder das Hoheitsgebiet der Union überfliegt, wenn die zuständigen Behörden festgestellt haben, dass das Landen, Starten oder Überfliegen für humanitäre Zwecke oder für andere mit den Zielen dieser Verordnung im Einklang stehende Zwecke erforderlich ist.

(4)      Der betreffende Mitgliedstaat oder die betreffenden Mitgliedstaaten unterrichtet bzw. unterrichten die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission über jede nach Absatz 3 erteilte Genehmigung innerhalb von zwei Wochen nach deren Erteilung.“

9        Nach dem Erlass der angefochtenen Rechtsakte veröffentlichten die Europäische Kommission und die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) zur Beantwortung von häufig gestellten Fragen zu diesen Rechtsakten jeweils ein Dokument oder einen Abschnitt auf ihren Websites. Nach dem von der Kommission veröffentlichten Dokument vom 21. März 2022 richtet sich das mit den angefochtenen Rechtsakten eingeführte Verbot gegen Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, der russischen und der eines Mitgliedstaats, sowie gegen Privatflüge. Zudem gilt dieses Verbot nach den Antworten auf häufig gestellte Fragen, die am 15. März 2023 auf der Website der EASA veröffentlicht wurden, für Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, der russischen und der eines Mitgliedstaats. Darüber hinaus wurde angegeben, dass das Verbot auch Anwendung findet, wenn eine Person mit russischer Staatsangehörigkeit als Pilot privat fliegt und somit kontrolliert, wann und wo das Flugzeug fliegt. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass die Person als Angestellter eines nicht russischen Luftfahrtunternehmens fliegt, weil sie unter diesen Voraussetzungen das Luftfahrzeug nicht kontrolliert.

10      Die Behörden des Flughafens Luxemburg-Findel veröffentlichten eine „Notice to Airmen“ (NOTAM, Nachrichten an Luftfahrer), mit der sie Informationen zu den restriktiven Maßnahmen hinsichtlich des Luftverkehrs, die mit den angefochtenen Rechtsakten erlassen worden waren, bekannt gaben.

11      Am 21. April 2022 erklärte die DAC in Beantwortung einer Frage des Vertreters der Klägerin u. a., dass die auf der Internetseite der EASA bereitgestellten Erläuterungen auf einem gemeinsamen Ansatz innerhalb der Union und auf einer einheitlichen Auslegung durch die Stellen der Kommission beruhten. Die DAC stellte auch klar, dass der Ausdruck „Kontrolle“ weit auszulegen sei, was die tatsächliche und materielle Kontrolle über ein Luftfahrzeug einschließe und sich nicht auf die wirtschaftliche und finanzielle Kontrolle beschränke.

 Anträge der Parteien

12      Die Klägerin beantragt nach Klarstellung ihrer Anträge in Beantwortung einer in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage:

–        die Klage für zulässig zu erklären;

–        die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären, soweit mit ihr Art. 3d der Verordnung Nr. 833/2014 eingefügt wird, und den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit mit ihm Art. 4e des Beschlusses 2014/512 eingefügt wird;

–        ihr das Recht zuzuerkennen, ihre private Pilotenlizenz zu nutzen und im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

13      Der Rat, unterstützt durch die Kommission, beantragt:

–        die Klage für unzulässig zu erklären;

–        hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über die Klage, soweit sie darauf gerichtet ist, der Klägerin das Recht zuzuerkennen, ihre private Pilotenlizenz zu nutzen und im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen

14      Mit einem ihrer Anträge begehrt die Klägerin, ihr das Recht zuzuerkennen, ihre private Pilotenlizenz zu nutzen und im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen.

15      Insoweit genügt der Hinweis, dass das Gericht im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV nicht befugt ist, Feststellungs- oder Bestätigungsurteile zu fällen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 9. Dezember 2003, Italien/Kommission, C‑224/03, nicht veröffentlicht, EU:C:2003:658, Rn. 20 und 21, und Urteil vom 4. Februar 2009, Omya/Kommission, T‑145/06, EU:T:2009:27, Rn. 23).

16      Die Klage ist daher, soweit sie darauf gerichtet ist, der Klägerin das Recht zuzuerkennen, ihre private Pilotenlizenz zu nutzen und im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen, abzuweisen, weil sie vor einem Gericht erhoben worden ist, das für die Entscheidung darüber nicht zuständig ist.

 Zur Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über die Klage, soweit sie auf die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist

17      Der Rat wendet ein, dass das Gericht für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht zuständig sei. Nach Art. 275 AEUV seien die Unionsgerichte für die Entscheidung über Nichtigkeitsklagen gegen restriktive Maßnahmen, die durch einen Beschluss im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eingeführt worden seien und die Maßnahmen mit allgemeiner Geltung darstellten, nicht zuständig. Im vorliegenden Fall sei das Verbot nach Art. 4e des Beschlusses 2014/512 in der durch den angefochtenen Beschluss geänderten Fassung eine allgemeine Maßnahme, deren Anwendungsbereich unter Zugrundelegung objektiver Kriterien, insbesondere Luftfahrzeugkategorien, bestimmt werde und ziele nicht auf bestimmte natürliche oder juristische Personen ab.

18      Nach Auffassung der Kommission ist das Gericht für die Prüfung der Rechtmäßigkeit aller nach Art. 215 AEUV erlassenen Maßnahmen und für die Prüfung der Rechtmäßigkeit restriktiver Maßnahmen, die auf der Grundlage von Art. 29 EUV erlassen wurden, zuständig. Sie ist der Ansicht, dass der Rat seine Argumentation auf eine „mechanistische“ Lesart des Wortlauts von Art. 275 AEUV stütze und dass die Unzuständigkeit des Unionsrichters im Bereich der GASP Ausnahmen kenne. Darüber hinaus sei dieser auch für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von auf der Grundlage von Art. 215 Abs. 1 AEUV erlassenen Verordnungen und für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von auf der Grundlage von Art. 29 EUV erlassenen Beschlüssen im Bereich der GASP zuständig. Ferner ergebe sich die Zuständigkeit der Unionsgerichte nicht aus einer angeblichen Subjektivität des Kriteriums der Kontrolle.

19      Die Klägerin tritt dem Vorbringen des Rates entgegen. Ihrer Ansicht nach ist der Ausschluss der GASP von der Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 275 AEUV eng auszulegen. Die Geltung der fraglichen restriktiven Maßnahme werde nicht unter Zugrundelegung objektiver Kriterien bestimmt. Zum einen hätten die mit den angefochtenen Rechtsakten erlassenen Maßnahmen nicht nur auf die Russische Föderation Auswirkungen, sondern auch auf Dritte wie die russischen Staatsbürger, und zum anderen sei der Begriff „Kontrolle“ eines Luftfahrzeugs in der Auslegung durch die Unionsorgane ein subjektives Kriterium. Darüber hinaus stütze sich die Zuständigkeit des Gerichts auch auf Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der nach Maßgabe der Verträge ermögliche, die bestehenden Bestimmungen so auszulegen, dass sie die Wahrung der Grundrechte und Grundfreiheiten sicherstellen könnten. Zudem sei es unerlässlich, die in den angefochtenen Rechtsakten vorgesehenen restriktiven Maßnahmen zu prüfen, um festzustellen, ob sie die Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrten.

20      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union zwar gemäß Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 2 letzter Satz EUV und Art. 275 Abs. 1 AEUV in Bezug auf die Bestimmungen über die GASP und die auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsakte grundsätzlich nicht zuständig ist. Die Verträge sehen aber ausdrücklich zwei Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. Zum einen ist der Gerichtshof der Europäischen Union sowohl nach Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 2 letzter Satz EUV als auch nach Art. 275 Abs. 2 AEUV für die Kontrolle der Einhaltung von Art. 40 EUV zuständig und zum anderen nach Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 2 letzter Satz EUV für die Überwachung der Rechtmäßigkeit bestimmter Beschlüsse nach Art. 275 Abs. 2 AEUV. Die letztgenannte Bestimmung verleiht dem Gerichtshof der Europäischen Union die Zuständigkeit für die unter den Voraussetzungen von Art. 263 Abs. 4 AEUV erhobenen Klagen im Zusammenhang mit der Überwachung der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen über restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen, die der Rat auf der Grundlage der Bestimmungen über die GASP erlassen hat (Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 60).

21      Daher eröffnet bei Rechtsakten, die auf der Grundlage von Bestimmungen über die GASP erlassen wurden, ihr einzelfallbezogener Charakter nach Art. 275 Abs. 2 AEUV den Zugang zu den Unionsgerichten (vgl. Urteile vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 13. September 2018, Gazprom Neft/Rat, T‑735/14 und T‑799/14, EU:T:2018:548, Rn. 53).

22      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass die Art. 4 und 4a des Beschlusses 2014/512 Maßnahmen vorsehen, deren Anwendungsbereich durch objektive Kriterien, insbesondere durch Kategorien von Vorhaben der Erdölexploration und -förderung, bestimmt wird. Diese Maßnahmen richten sich hingegen nicht gegen konkrete natürliche oder juristische Personen, sondern gelten für alle Wirtschaftsteilnehmer, die an dem Verkauf, der Lieferung, der Verbringung oder der Ausfuhr beteiligt sind, für die die Verpflichtung der vorherigen Genehmigung gilt, und generell für alle Erbringer akzessorischer Dienste (Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236. Rn. 97). Folglich hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Maßnahmen keine Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen im Sinne von Art. 275 Abs. 2 AEUV darstellen, sondern Maßnahmen mit allgemeiner Geltung, und dass er für die Kontrolle ihrer Gültigkeit nicht zuständig ist (Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 98 und 99).

23      Darüber hinaus hat der Gerichtshof zu Art. 1 Abs. 2 Buchst. b bis d und Abs. 3, Art. 7 und Anhang III des Beschlusses 2014/512 festgestellt, dass der Gegenstand dieser Maßnahmen unter Bezugnahme auf bestimmte Organisationen definiert wird. Er hat entschieden, dass mit diesen Vorschriften u. a. verschiedene Geldtransaktionen gegenüber den in Anhang III des Beschlusses aufgeführten Organisationen verboten werden und dass er für die Entscheidung über ihre Gültigkeit zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 100 und 107).

24      Indem der Rat Kriterien festlegt, die die Identifizierung einer natürlichen oder juristischen Person erlauben und den Namen dieser Person im Anhang eines nach den Bestimmungen der GASP gefassten Beschlusses nennt, erlässt er demnach restriktive Maßnahmen gegenüber der betreffenden natürlichen oder juristischen Person, selbst wenn solche Maßnahmen auch individuell auf andere Organisationen abzielen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 104, und vom 13. September 2018, Gazprom Neft/Rat, T‑735/14 und T‑799/14, EU:T:2018:548, Rn. 54).

25      Im vorliegenden Fall betrifft das Verbot nach Art. 4e des Beschlusses 2014/512, der durch Art. 1 Nr. 2 des angefochtenen Beschlusses eingefügt wurde, „[Luftfahrzeuge], die von russischen Luftfahrtunternehmen betrieben werden, einschließlich als Vertriebsunternehmen im Wege von Code-Sharing- oder Blocked-Space-Sharing-Vereinbarungen [und] in Russland [registrierte Luftfahrzeuge] sowie nicht in Russland [registrierte Luftfahrzeuge], die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen“.

26      Insoweit ist festzustellen, dass der Anwendungsbereich der fraglichen Maßnahme unter Zugrundelegung objektiver Kriterien, nämlich der Luftfahrzeugkategorien, bestimmt wird. Die fraglichen Maßnahmen betreffen nämlich Luftfahrzeuge, die von russischen Luftfahrtunternehmen betrieben werden, einschließlich als Vertriebsunternehmen im Wege von Code-Sharing- oder Blocked-Space-Vereinbarungen, in Russland registrierte Luftfahrzeuge und solche, die nicht in Russland registriert sind und sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen. Die restriktiven Maßnahmen richten sich folglich nicht gegen bestimmte natürliche oder juristische Personen, sondern finden auf alle Luftfahrzeuge Anwendung, die die genannten Kriterien erfüllen.

27      Zudem ergibt sich zwar aus der Rechtsprechung, dass es sich bei restriktiven Maßnahmen zugleich um Rechtsakte mit allgemeiner Geltung handelt, die es einer allgemeinen und abstrakten Gruppe von Adressaten verbieten, den in ihren Anhängen genannten Organisationen wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, und um Einzelentscheidungen gegenüber diesen Organisationen (vgl. Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall sind die durch Art. 4e des Beschlusses 2014/512 in der durch den angefochtenen Beschluss geänderten Fassung eingeführten restriktiven Maßnahmen jedoch nicht in dieser Weise ausgestaltet, und dieser Artikel verweist nicht auf einen Anhang. Nach der oben in Rn. 21 angeführten Rechtsprechung ist es aber der einzelfallbezogene Charakter, der nach Art. 275 Abs. 2 AEUV den Zugang zu den Unionsgerichten eröffnet.

28      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die durch Art. 4e des Beschlusses 2014/512 in der durch den angefochtenen Beschluss geänderten Fassung eingeführten Maßnahmen keine restriktiven Maßnahmen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen im Sinne von Art. 275 Abs. 2 AEUV darstellen, sondern Maßnahmen mit allgemeiner Geltung.

29      Diese Schlussfolgerung kann nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt werden, mit dem sie die Zuständigkeit der Unionsgerichte mit einem angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen die Grundrechte begründet, da nach der Rechtsprechung Vorbringen, das sich ausschließlich auf die Begründetheit der Klage bezieht, nicht die Unzuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über eine Nichtigkeitsklage in Frage stellen kann, die gegen eine Bestimmung des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 3. Juli 2007, Gemeinde Champagne u. a./Rat und Kommission, T‑212/02, EU:T:2007:194, Rn. 217).

30      Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass das Gericht für die Prüfung der Gültigkeit von Art. 4e des Beschlusses 2014/512 in geänderter Fassung nicht zuständig ist. Die Klage ist deshalb, soweit sie auf die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist, abzuweisen, weil sie vor einem für die Entscheidung über die Klage unzuständigen Gericht erhoben worden ist.

 Zur Zulässigkeit der Klage, soweit sie auf die Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung gerichtet ist

31      Der Rat wendet ein, dass die Klage unzulässig sei, soweit sie auf die Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung gerichtet sei. Zwar handele es sich bei Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der die Klägerin unmittelbar betreffe, da diese Bestimmung sie daran hindere, ihre private Pilotenlizenz zu nutzen; jedoch ziehe diese Regelung Durchführungsmaßnahmen nach sich. Somit müsse die Klägerin darlegen, dass sie nicht nur unmittelbar, sondern auch individuell von der angefochtenen Verordnung betroffen sei. Nach Auffassung des Rates ist die Klägerin von der angefochtenen Verordnung nicht individuell betroffen.

32      Zu den Behauptungen der Klägerin hinsichtlich der Auswirkungen auf ihre Situation, die sich aus der Auslegung von Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung ergäben, macht der Rat darüber hinaus geltend, dass er bei Erlass dieser Regelung nicht die Absicht gehabt habe, russischen Staatsbürgern, die Inhaber einer privaten Pilotenlizenz seien, zu verbieten, diese Lizenz zum privaten Führen eines nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugs, das sich nicht in ihrem Eigentum befinde oder von ihnen gechartert worden sei, zu nutzen. Nach Ansicht des Rates ist der Ausdruck „anderweitige Kontrolle“ in Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung nur im Sinne einer wirtschaftlichen oder finanziellen Kontrolle zu verstehen. Diese Auslegung entspreche dem Ziel der angefochtenen Rechtsakte, nämlich Druck auf den Präsidenten der Russischen Föderation und auf die russische Regierung auszuüben, damit sie ihre Handlungen zur Destabilisierung der Ukraine beendeten. Ein solches Ziel lasse sich nicht mit Beschränkungen gegenüber natürlichen russischen Personen allein aus dem Grund, dass sie ein Luftfahrzeug führten, erreichen. Lasse eine Vorschrift mehr als eine Auslegung zu, sei zudem die Auslegung, nach der die Bestimmung mit dem Vertrag vereinbar sei, vorzuziehen. Er ist deshalb der Meinung, dass Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung nach der von ihm befürworteten Auslegung nicht gegen die Verträge oder gegen die Charta der Grundrechte verstoßen könne.

33      Die Kommission ist der Auffassung, dass es sich bei der angefochtenen Verordnung zwar um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter handele, sie aber Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, so dass die Klägerin ihre unmittelbare und individuelle Betroffenheit nachweisen müsse. Ebenso wie der Rat meint die Kommission, dass die Klägerin nicht individuell von der Verordnung betroffen sei.

34      Was die Auslegung von Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung betrifft, macht die Kommission geltend, dass der Begriff „Kontrolle“ weit auszulegen sei, und zwar in dem Sinne, dass eine Person das Luftfahrzeug dann „kontrolliere“, wenn sie die technische oder betriebliche Kontrolle über dieses ausübe, u. a. wenn sie privat als Pilot fliege. Nach Auffassung der Kommission bestätigt der Verweis darauf, dass die Kontrolle auch „anderweitig“ ausgeübt werden könne, dass der Begriff der Kontrolle nicht eng sei. Die Vorschriften über restriktive Maßnahmen würden im Bereich des Einfrierens von Geldern die Begriffe „Besitz, Eigentum und Kontrolle“ verwenden, um den persönlichen Anwendungsbereich einer Maßnahme zu bestimmen. In dem Zusammenhang werde der Begriff „Kontrolle“ im finanziellen Sinne verwendet. Allerdings sei diese Auslegung nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, in dem die Frage der Kontrolle ausschlaggebend für die Bestimmung des Luftfahrzeugs sei, dem die Landung im Hoheitsgebiet untersagt sei. Außerdem entspreche eine weite Auslegung dem Ziel, eine Umgehung der restriktiven Maßnahmen zu verhindern.

35      Die Klägerin trägt vor, ihre Klage sei zulässig, soweit sie auf die Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung gerichtet sei. Sie sei zwar nicht die Adressatin, aber von den Bestimmungen, die sie beanstande, unmittelbar betroffen. Indem die Kommission, die EASA und die DAC Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2014 in geänderter Fassung dahin auslegten, dass sie, die Klägerin, ein Luftfahrzeug in dem Sinne kontrolliere, dass sie entscheiden könne, wann und wo dieses Luftfahrzeug fliege, werde sie folglich in Anwendung dieser Bestimmung daran gehindert, ihre private Pilotenlizenz zu nutzen. Die Klägerin ist zudem der Ansicht, dass sie von der angefochtenen Verordnung individuell betroffen sei und dass es sich bei dieser jedenfalls um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter handele, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe.

36      Was darüber hinaus die Auslegung von Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung betreffe, müsse der Ausdruck „Kontrolle“ eine wirtschaftliche oder finanzielle Kontrolle über das Luftfahrzeug bedeuten, so dass sie von dem Verbot in dieser Regelung nicht betroffen sei und weiterhin Nutzen aus ihrer privaten Pilotenlizenz ziehen könne.

37      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 Abs. 4 AEUV jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen nach den Abs. 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben kann.

38      Da die Voraussetzung, dass der Kläger unmittelbar betroffen sein muss, mit identischem Wortlaut sowohl in der zweiten als auch in der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV enthalten ist und diese Voraussetzung nach der Rechtsprechung in beiden Varianten dieselbe Bedeutung hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2002, Nord Stream 2/Parlament und Rat, C‑348/20 P, EU:C:2022:548, Rn. 73), ist zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist.

39      Nach ständiger Rechtsprechung verlangt die Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von der klagegegenständlichen Maßnahme unmittelbar betroffen sein muss, wie es in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehen ist, dass zwei kumulative Kriterien erfüllt sind, nämlich zum einen, dass sich die beanstandete Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung dieser Person auswirkt, und zum anderen, dass sie den Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ohne Anwendung weiterer Durchführungsvorschriften ergibt (vgl. Urteil vom 22. Juni 2021, Venezuela/Rat [Beeinträchtigung eines Drittstaats], C‑872/19 P, EU:C:2021:507, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Im vorliegenden Fall ist für die Feststellung, ob die Klägerin unmittelbar von den in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen betroffen ist, zunächst zu prüfen, ob sie in den Anwendungsbereich von Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2014 in geänderter Fassung fällt.

41      Hierzu ist festzulegen, wie der Begriff der Kontrolle über ein Luftfahrzeug auszulegen ist.

42      Nach der Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteil vom 10. Juli 2014, D. und G., C‑358/13 und C‑181/14, EU:C:2014:2060, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Erstens ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung selbst, dass das Verbot in dieser Bestimmung alle Luftfahrzeuge betrifft, die von russischen Luftfahrtunternehmen betrieben werden, in Russland registrierte Luftfahrzeuge sowie nicht in Russland registrierte Luftfahrzeuge, die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen.

44      Insoweit kann eine wörtliche Auslegung des Begriffs „anderweitige Kontrolle“ eines nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugs zu der Annahme führen, dass dieser Begriff, wie der Rat geltend macht, nur eine wirtschaftliche oder finanzielle Kontrolle meint, oder, wie die Kommission vorträgt, auch eine „technische oder betriebliche Kontrolle“, so dass das Verbot Luftfahrzeuge betreffen könnte, die von einer natürlichen Person mit russischer Staatsangehörigkeit geführt werden.

45      Zweitens ist hinsichtlich der systematischen Auslegung des Begriffs eines nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugs, das „anderweitig unter Kontrolle steht“, als Erstes festzustellen, dass die angefochtene Verordnung die Verordnung Nr. 833/2014 ändert; diese sieht sektorspezifische restriktive Maßnahmen wirtschaftlicher Art auf der Grundlage von Art. 215 Abs. 1 AEUV vor. Als Zweites ist hervorzuheben, dass der Ausdruck „anderweitig unter Kontrolle stehen“ im Anschluss an die Wendungen „im Eigentum befinden“ und „gechartert werden“ aufgeführt ist, bei denen es sich um Wendungen handelt, die aus wirtschaftlicher oder finanzieller Sicht relevante Begriffe benennen. Als Drittes wird der Begriff „Kontrolle“, wie die Kommission einräumt, im Rahmen anderer Bestimmungen der Verordnung Nr. 833/2014 in einem wirtschaftlichen oder finanziellen Sinne verwendet, um den persönlichen Anwendungsbereich der sektorspezifischen restriktiven Maßnahmen zu bestimmen (vgl. z. B. Art. 2 Abs. 4 Buchst. e und f und Art. 3 Abs. 6 Buchst. b dieser Verordnung), oder im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 6), für restriktive individuelle Maßnahmen zum Einfrieren von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen (vgl. Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung).

46      Drittens ist hinsichtlich der teleologischen Auslegung des Begriffs „anderweitige Kontrolle“ eines nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugs als Erstes anzumerken, dass das mit der angefochtenen Verordnung verfolgte Ziel insbesondere darin besteht, größtmöglichen Druck auf die russischen Behörden auszuüben, damit sie ihre Aktionen und ihre Politik zur Destabilisierung der Ukraine sowie den militärischen Angriff auf dieses Land beenden (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 163).

47      Im vorliegenden Fall ist entsprechend den Ausführungen des Rates davon auszugehen, dass die Einführung von Beschränkungen gegen nicht in Russland registrierte Flugzeuge, die sich im Eigentum befinden, gechartert werden oder anderweitig wirtschaftlich oder finanziell unter Kontrolle stehen, dazu beiträgt, einen solchen Druck auf die russischen Behörden auszuüben. Da diese Beschränkungen die russische Luftfahrtindustrie wirtschaftlich beeinträchtigen, tragen sie nämlich zu dem Ziel bei, die Kosten für die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine untergrabenden Handlungen Russlands zu erhöhen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Rosneft u. a./Rat, T‑715/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:544, Rn. 157 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Was als Zweites eine möglicherweise notwendige weite Auslegung von Art. 3d Abs. 1 der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung betrifft, um jedes Risiko der Umgehung restriktiver Maßnahmen zu verhindern, das sich aus den zahlreichen Möglichkeiten ergibt, durch Verschleierung der Identität und der Staatsangehörigkeit des Dienstleistungsempfängers in den Genuss eines Lufttransports zu kommen, genügt die Feststellung, dass entgegen der Auffassung der Kommission (siehe oben, Rn. 33) die Möglichkeit, die Identität und die Staatsangehörigkeit des Dienstleistungsempfängers zu verschleiern, unter den Begriff der Kontrolle im wirtschaftlichen oder finanziellen Sinne und nicht im „technischen“ oder „betrieblichen“ Sinne fällt.

49      Als Drittes ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört und in Art. 5 Abs. 4 EUV verankert ist, verlangt, dass die von einer Bestimmung des Unionsrechts eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über das zum Erreichen dieser Ziele Erforderliche hinausgehen (Urteile vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 122, und vom 24. November 2021, Assi/Rat, T‑256/19, EU:T:2021:818, Rn. 194 [nicht veröffentlicht]).

50      Insoweit ist, wie der Rat geltend macht, darauf hinzuweisen, dass zwar die Einführung von Beschränkungen gegen russische Personen und Organisationen, die aus wirtschaftlicher oder finanzieller Sicht ein nicht in Russland registriertes Luftfahrzeug kontrollieren, dazu beiträgt, Druck auf den russischen Präsidenten und seine Regierung auszuüben, dies aber nicht für Beschränkungen gegen natürliche russische Personen gilt, die ein solches Luftfahrzeug lediglich „führen“. Folglich ist festzustellen, dass ein Verbot der Landung im Hoheitsgebiet der Union, des Starts vom Hoheitsgebiet der Union oder ein Überflug des Hoheitsgebiets der Union für Luftfahrzeuge, die „technisch oder betrieblich“ von einem russischen Staatsbürger kontrolliert werden, soweit dieses Verbot auch russische Staatsbürger umfasst, die im Besitz einer privaten Pilotenlizenz sind, offensichtlich ungeeignet hinsichtlich des Ziels wäre, einen Druck auf den russischen Präsidenten und seine Regierung auszuüben, der die Verletzungen des Völkerrechts unterbinden und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine schützen könnte.

51      Lässt eine Vorschrift des abgeleiteten Rechts mehr als eine Auslegung zu, ist nach der Rechtsprechung die Auslegung, nach der die Bestimmung mit dem Vertrag vereinbar ist, derjenigen vorzuziehen, die zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Vertrag führt (vgl. Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a., C‑547/14, EU:C:2016:325, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist festzustellen, dass Art. 3d der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung dahin auszulegen ist, dass das Verbot, im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen, das für „nicht in Russland [registrierte Luftfahrzeuge], die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen“, gilt, alle nicht in Russland registrierten Luftfahrzeuge betrifft, die von einer russischen natürlichen oder juristischen Person, Organisation oder Einrichtung aus wirtschaftlicher oder finanzieller Sicht kontrolliert werden, ohne sich auf Situationen auszuwirken, in denen wie im vorliegenden Fall ein russischer Staatsbürger, der Inhaber einer privaten Pilotenlizenz ist, diese Lizenz nutzt, um ein nicht in Russland registriertes Luftfahrzeug zu führen, das sich nicht im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen befindet oder von diesen gechartert wurde.

52      Daraus folgt, dass die Situation der Klägerin, die weder Eigentümerin eines nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugs ist noch ein solches chartert und auch über keine wirtschaftliche oder finanzielle Kontrolle über ein solches Luftfahrzeug verfügt, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 3d der Verordnung Nr. 833/2014 in geänderter Fassung fällt. Daher ist sie von dem Verbot in diesem Artikel nicht unmittelbar betroffen, so dass sie nicht befugt ist, eine Klage auf Nichtigerklärung dieser Bestimmung zu erheben (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2016, Rat/Front Polisario, C‑104/16 P, EU:C:2016:973, Rn. 132 und 133).

53      Somit ist die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit sie auf die Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung gerichtet ist.

54      Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen, und zwar teils, weil sie vor einem für die Entscheidung über die Klage unzuständigen Gericht erhoben worden ist, und teils als unzulässig.

 Kosten

55      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Jedoch kann das Gericht nach Art. 135 Abs. 1 der Verfahrensordnung aus Gründen der Billigkeit entscheiden, dass eine unterliegende Partei neben ihren eigenen Kosten nur einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt oder gar nicht zur Tragung dieser Kosten zu verurteilen ist.

56      Im vorliegenden Fall ist das Gericht der Ansicht, dass angesichts der Schwierigkeiten bei der Auslegung des Begriffs „anderweitige Kontrolle“ eines Luftfahrzeugs, die in gewissem Maß die Entstehung des vorliegenden Rechtsstreits begünstigt haben könnten, eine gerechte Abwägung aller Einzelfallumstände vorgenommen wird, indem es entscheidet, dass die Klägerin und der Rat ihre eigenen Kosten tragen, obwohl die Klägerin mit ihren Anträgen unterlegen ist.

57      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Kommission trägt daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Frau Ekaterina Islentyeva und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten.

3.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

Spielmann

Mastroianni

Brkan

Gâlea

 

      Kalėda

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. Dezember 2023.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.