Language of document : ECLI:EU:T:2005:78

Rechtssache T‑289/03

British United Provident Association Ltd (BUPA) u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Streithilfe – Vertraulichkeit“

Leitsätze des Beschlusses

1.      Verfahren – Streithilfe – Übermittlung der Schriftstücke an die Streithelfer – Ausnahme – Vertrauliche Behandlung – Voraussetzungen – Antrag auf vertrauliche Behandlung – Begründung – Prüfung durch den Präsidenten – Prüfung des geheimen oder vertraulichen Charakters – Interessenabwägung

(Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 116 § 2; Dienstanweisung für den Kanzler des Gerichts, Artikel 5 Absatz 4 Unterabsatz 1)

2.      Verfahren – Streithilfe – Übermittlung der Schriftstücke an die Streithelfer – Ausnahme – Vertrauliche Behandlung – Informationen, die einer öffentlichen Stelle, die der nationale Gesetzgeber mit bestimmten Befugnissen zur Überwachung und Durchführung der nationalen Bestimmungen über die private Krankenversicherung betraut hat und die der Regierung Bericht erstatten muss, von einem Versicherer erteilt werden – Informationen, die gegenüber dem betroffenen Mitgliedstaat nicht als vertraulich angesehen werden können

(Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 116 § 2)

3.      Verfahren – Streithilfe – Übermittlung der Schriftstücke an die Streithelfer – Ausnahme – Vertrauliche Behandlung – Antrag auf vertrauliche Behandlung gegenüber einem Mitgliedstaat, der mit der Gefahr gerechtfertigt wird, dass dieser Staat einem anderen, von ihm abhängigen Streithelfer Informationen übermittelt, deren Vertraulichkeit dieser nicht bestritten hat – Im Hinblick auf die Unzulässigkeit eines solchen Verhaltens des Mitgliedstaats nicht erwiesene Gefahr

(Artikel 10 EG; Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 116 § 2)

4.      Verfahren – Streithilfe – Übermittlung der Schriftstücke an die Streithelfer – Ausnahme – Vertrauliche Behandlung – Antrag auf vertrauliche Behandlung, der sich auf in den Medien u. a. auf Veranlassung der Klägerin selbst bereits weit verbreitete Informationen bezieht – Zurückweisung

(Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 116 § 2)

5.      Verfahren – Streithilfe – Übermittlung der Schriftstücke an die Streithelfer – Ausnahme – Vertrauliche Behandlung – Antrag auf vertrauliche Behandlung, der sich auf Daten bezieht, die keinen Zugang zu konkreten wirtschaftlichen und für die Klägerinnen schädlichen Informationen geben können – Zurückweisung

(Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 116 § 2)

1.      Satz 1 des Artikels 116 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts stellt den Grundsatz auf, dass alle den Parteien zugestellten Schriftstücke den Streithelfern übermittelt werden müssen. Nur ausnahmsweise erlaubt daher Satz 2 dieser Vorschrift, bestimmte Unterlagen vertraulich zu behandeln und deshalb von der Verpflichtung zur Übermittlung an die Streithelfer auszunehmen.

Um die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht werden kann, muss für jedes Aktenstück oder jede Passage eines Aktenstücks, dessen oder deren vertrauliche Behandlung beantragt wird, das berechtigte Anliegen des Klägers, zu verhindern, dass seine geschäftlichen Interessen wesentlich beeinträchtigt werden, und das ebenso berechtigte Anliegen der Streithelfer, über die notwendigen Informationen zu verfügen, um vollständig in der Lage zu sein, vor dem Gericht ihre Rechte geltend zu machen und ihre Auffassung zu vertreten, miteinander in Einklang gebracht werden.

Einem Antrag auf vertrauliche Behandlung von Informationen, die Geschäftsgeheimnisse enthalten, ist in der Regel stattzugeben. Außerdem kann von dem in Artikel 116 § 2 Satz 1 der Verfahrensordnung niedergelegten Grundsatz nur abgewichen werden, nachdem geprüft worden ist, ob das Aktenstück, für das ein ordnungsgemäß begründeter Antrag auf vertrauliche Behandlung gestellt wurde, vertraulichen Charakter hat. Insbesondere um eine solche Prüfung zu ermöglichen, sieht Artikel 5 Absatz 4 Unterabsatz 1 der Dienstanweisung für den Kanzler des Gerichts vor, dass der Antrag einer Partei auf Anordnung der vertraulichen Behandlung bestimmter Angaben in den Akten die vertraulichen Angaben oder Passagen genau zu bezeichnen hat und eine Begründung ihres vertraulichen Charakters enthalten muss.

Demnach hat der Präsident bei einem Antrag auf vertrauliche Behandlung zunächst die Frage zu prüfen, ob die Angaben, für die eine vertrauliche Behandlung beantragt worden ist, als Geschäftsgeheimnisse oder vertrauliche Informationen gegenüber dem Streithelfer bezeichnet werden können, der gegen den ihm bestimmte Angaben der Akte vorenthaltenden Ausschluss vorgeht. Nur wenn dies der Fall ist, hat er die berechtigten Interessen der Verfahrensbeteiligten nach den oben genannten Grundsätzen miteinander in Einklang zu bringen.

(vgl. Randnrn. 22-26)

2.      Gegenüber einem als Streithelfer einem Verfahren beim Gericht beigetretenen Mitgliedstaat können Informationen nicht als vertraulich angesehen werden, die sich auf die möglicherweise die Klägerin treffenden Folgen der Durchführung eines Risikoausgleichsprogramms für den nationalen Krankenversicherungsmarkt beziehen und die die auf diesem Markt tätige genannte Partei anlässlich dessen einer staatlichen Stelle dieses Staates erteilt hat, die vom nationalen Gesetzgeber mit bestimmten Befugnissen zur Überwachung und Durchführung der nationalen Bestimmungen über die private Krankenversicherung sowie mit der Funktion eines Beraters der Regierung auf diesem Gebiet betraut worden ist und alle wesentlichen tatsächlichen Angaben über das Funktionieren des privaten Krankenversicherungsmarktes zu sammeln, zu bewerten und an den zuständigen Minister weiterzuleiten hat, damit die Relevanz der Einführung des genannten Risikoausgleichsprogramms beurteilt werden kann.

(vgl. Randnrn. 28-29)

3.      Die Tatsache, dass ein Mitgliedstaat und eine unter bestimmten Gesichtspunkten von ihm abhängige Stelle zu einer bestimmten Frage übereinstimmende allgemeine Positionen vertreten, erlaubt nicht den Schluss, dass ihre jeweiligen Beitritte im Rahmen eines Verfahrens beim Gericht zwangsläufig vollständig miteinander übereinstimmen, dass sie wahrscheinlich insoweit alle Informationen, auch vertraulicher Natur, über die laufende Rechtssache untereinander austauschen oder dass dem Mitgliedstaat übermittelte Informationen, hinsichtlich deren die genannte Stelle nicht bestritten hat, dass sie ihr gegenüber vertraulichen Charakter haben, ihr dennoch vom Mitgliedstaat zugänglich gemacht werden.

Die Gefahr einer solchen Übermittlung kann daher nicht zugrunde gelegt werden, um diesen Informationen gegenüber dem Mitgliedstaat vertraulichen Charakter zu verleihen, zumal es jedenfalls unzulässig wäre und einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege und, soweit ein Mitgliedstaat involviert wäre, der Loyalitätspflicht aus Artikel 10 EG gleichkäme, wenn die Streithelfer bestimmte Informationen untereinander austauschen würden, die ihnen nach Einwänden der Gegenseite vom Gericht auf individueller Basis und nur zum Zweck der Wahrnehmung ihrer eigenen berechtigten Interessen im vorliegenden Verfahren übermittelt worden sind.

(vgl. Randnrn. 31-32)

4.      Die Anträge auf vertrauliche Behandlung gegenüber einem Streithelfer in Bezug auf Informationen, die bereits in den Medien weit verbreitet worden sind, sind zurückzuweisen, weil diese Informationen ihren vertraulichen Charakter eingebüßt haben und daher keinen besonderen Schutz durch das Gericht mehr verdienen.

(vgl. Randnrn. 34-35)

5.      Da nicht schlüssig dargelegt worden ist, wie es auf der Grundlage aggregierter Daten, die darüber hinaus schon ein gewisses Alter aufweisen, denkbar wäre, dass ein Dritter daraus konkrete, für die geschäftlichen Interessen der Klägerinnen schädliche Informationen über den Umsatz, die Buchhaltung und schließlich ihre aktuelle Ertragslage herleiten könnte, muss ihr Antrag, solche Daten von den einem Streithelfer zu übermittelnden Unterlagen auszunehmen, zurückgewiesen werden.

(vgl. Randnr. 38)