Language of document : ECLI:EU:T:2012:503

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

27. September 2012(*)

„Petitionsrecht – Petition an das Europäische Parlament – Entscheidung, die Petition ohne weitere Bearbeitung abzulegen – Nichtigkeitsklage – Begründungspflicht – Petition, die nicht den Tätigkeitsbereich der Union betrifft“

In der Rechtssache T‑160/10

J, wohnhaft in Marchtrenk (Österreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Auer,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch N. Lorenz und N. Görlitz als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend einen Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom 2. März 2010, die Petition des Klägers vom 19. November 2009 (Petition Nr. 1673/2009) ohne weitere Bearbeitung abzulegen,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen sowie der Richter N. Wahl und S. Soldevila Fragoso (Berichterstatter),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2012

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

1        Der Kläger, Herr J, der die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, trägt vor, die österreichischen Behörden hätten in den 80er-Jahren ohne Begründung Unterlagen sowie Werke beschlagnahmt, deren Autor er sei. Er habe sich daraufhin an die Finanzprokuratur gewandt, die schriftlich seine Eigenschaft als Autor der beschlagnahmten Werke sowie sein Recht auf Entschädigung, deren Betrag von den österreichischen Gerichten festzusetzen sei, bestätigt habe. Da weiter nichts geschah, erhob der Kläger am 2. November 2007 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diese Beschwerde, die unter der Beschwerde-Nr. 49 440/07 geführt wurde, wurde mit Beschluss vom 10. April 2009 für unzulässig erklärt und abgewiesen.

2        Am 19. November 2009 richtete der Kläger gemäß Art. 227 AEUV eine Petition an das Europäische Parlament, in der er geltend macht, dass sein Eigentumsrecht von den österreichischen Behörden verletzt worden sei und er keine Entschädigung erhalten habe. Diese Petition wurde unter der Nr. 1673/2009 in das Register eingetragen.

3        Mit Schreiben vom 28. Januar 2010 ersuchte der Kläger das Parlament außerdem, die Europäische Kommission oder eine andere zuständige Einrichtung um Aufklärung zu bitten, weshalb seine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unzulässig abgewiesen worden sei und wie die Republik Österreich in Bezug auf seine Beschwerde zu verfahren beabsichtige.

4        Mit Schreiben vom 2. März 2010 informierte der Vorsitzende des Petitionsausschusses des Parlaments den Kläger darüber, dass seine Petition Nr. 1673/2009 ohne weitere Bearbeitung abgelegt worden sei, weil ihre Überprüfung ergeben habe, dass die mit ihr aufgeworfenen Fragen nicht dem Tätigkeitsbereich der Europäischen Union zuzuordnen seien (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). In diesem Schreiben wurde auch darauf hingewiesen, dass das Parlament die Entscheidung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht außer Kraft setzen könne und, da es keine Justizbehörde sei, weder ein Urteil zu den von den Gerichten der Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen abgeben noch sie aufheben könne.

 Verfahren und Anträge der Parteien

5        Mit Schriftsatz, der am 14. April 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, ihm zur Erhebung einer insbesondere auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung gerichteten Klage gemäß den Art. 94 und 95 der Verfahrensordnung des Gerichts Prozesskostenhilfe zu gewähren.

6        Mit Beschluss vom 17. März 2011 hat der Präsident der Sechsten Kammer des Gerichts dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt.

7        Mit Klageschrift, die am 19. April 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

8        Mit Schriftsatz, der am 11. August 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat das Parlament eine Einrede der Unzulässigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 263 Abs. 1 AEUV erhoben.

9        Am 16. September 2011 hat der Kläger seine Stellungnahme zu dieser Unzulässigkeitseinrede vorgelegt.

10      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

11      Das Parlament beantragt,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        hilfsweise, sie als unbegründet abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

12      Das Gericht (Sechste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die mündliche Verhandlung eröffnet und den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 64 seiner Verfahrensordnung eine schriftliche Frage gestellt.

13      In Beantwortung dieser Frage, die die sich aus dem Urteil des Gerichts vom 14. September 2011, Tegebauer/Parlament (T‑308/07, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), ergebenden Konsequenzen betraf, hat das Parlament in der mündlichen Verhandlung seinen Antrag, die Klage als unzulässig abzuweisen, zurückgenommen, was das Gericht zur Kenntnis genommen hat.

 Rechtliche Würdigung

14      Der Kläger macht im Wesentlichen zwei Klagegründe geltend: Mit dem ersten rügt er eine unzureichende Begründung und mit dem zweiten einen Rechtsfehler.

 Zum ersten Klagegrund, mit dem ein Begründungsmangel gerügt wird

 Zur Zulässigkeit

15      Der Kläger hat erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass die angefochtene Entscheidung unzureichend begründet sei.

16      Nach Ansicht des Parlaments ist dieser Klagegrund, da er verspätet geltend gemacht worden sei, als unzulässig zurückzuweisen.

17      Dazu ist darauf hinzuweisen, dass eine fehlende oder unzureichende Begründung eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne von Art. 263 EG darstellt und ein Gesichtspunkt zwingenden Rechts ist, den der Unionsrichter von Amts wegen prüfen kann und muss. Prüft der Unionsrichter einen solchen Gesichtspunkt von Amts wegen, geht er nicht über die Grenzen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits hinaus und verstößt in keiner Weise gegen die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Darstellung des Streitgegenstands und der Klagegründe in der Klageschrift (Urteil des Gerichtshofs vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a., C‑89/08 P, Slg. 2009, I‑11245, Randnrn. 34 und 35).

18      Nachdem das Gericht die Parteien in der mündlichen Verhandlung zur Frage der Begründung der angefochtenen Entscheidung gehört hat, ist die vom Parlament gegenüber dem ersten Klagegrund erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen und dessen Begründetheit zu prüfen.

 Zur Begründetheit

19      Gemäß Art. 227 AEUV kann „[j]eder Bürger der Union sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnort oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat … allein oder zusammen mit anderen Bürgern oder Personen in Angelegenheiten, die in die Tätigkeitsbereiche der Union fallen und die ihn oder sie unmittelbar betreffen, eine Petition an das Europäische Parlament richten“.

20      Nach ständiger Rechtsprechung liegt der Zweck der nach Art. 296 AEUV vorgesehenen Pflicht zur Begründung einer Einzelfallentscheidung darin, dem Betroffenen ausreichende Angaben an die Hand zu geben, um festzustellen, ob die Entscheidung stichhaltig begründet ist oder ob sie an einem Mangel leidet, der sie anfechtbar macht, und dem Unionsrichter zu ermöglichen, seine Kontrolle über die Rechtmäßigkeit der geprüften Entscheidung auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 18. September 1995, Tiercé Ladbroke/Kommission, T‑471/93, Slg. 1995, II‑2537, Randnr. 29).

21      Der Umstand, dass die Petition des Klägers im vorliegenden Fall für unzulässig erklärt und aufgrund dessen inhaltlich nicht geprüft worden ist, kann die Wirksamkeit des in Art. 227 AEUV verankerten Petitionsrechts selbst beeinträchtigen. Deshalb muss eine Entscheidung, mit der eine Petition für unzulässig erklärt wird, die Gründe für diese Unzulässigkeit eindeutig erkennen lassen (in diesem Sinne Urteil Tegebauer/Parlament, Randnr. 24).

22      Ein Bürger, der eine Petition eingereicht hat, muss nämlich in die Lage versetzt werden, die Gründe zu verstehen, aus denen das Parlament diese als unzulässig ansieht und deshalb ohne weitere Bearbeitung ablegt. Es ist Aufgabe des mit einer Petition befassten Parlaments, diese zu würdigen, darüber hinaus aber auch, seine ablehnende Entscheidung unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf die tatsächliche Ausübung des im Vertrag verankerten Rechts zu begründen. Dies ergibt sich aus der Natur dieses Rechts, das den Bürgern die Möglichkeit gibt, sich ausdrücklich und unmittelbar an das Parlament zu wenden, und auf diese Weise dazu beiträgt, die Tätigkeit der Organe zu legitimieren (Urteil Tegebauer/Parlament, Randnr. 29).

23      Die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Petition, die der mit der Prüfung dieser Zulässigkeit betraute Petitionsausschuss berücksichtigen muss, sind in Art. 227 AEUV aufgeführt. Vorliegend wird nicht bestritten, dass der Kläger eine natürliche Person mit Wohnort in einem Mitgliedstaat ist und sich seine Petition auf Angelegenheiten bezieht, die ihn unmittelbar betreffen.

24      Der Petitionsausschuss des Parlaments hat jedoch festgestellt, dass die Petition nicht den Tätigkeitsbereich der Union betreffe. Er hat dem Kläger hierzu in der angefochtenen Entscheidung folgendermaßen geantwortet:

„[Ihre Petition] wurde daraufhin untersucht, ob die darin angesprochenen Fragen eindeutig den Tätigkeitsbereich der … Union, für den wir zuständig sind, betreffen. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass dies nicht der Fall war. Bitte beachten Sie, dass der Petitionsausschuss des … [P]arlaments die Entscheidungen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht außer Kraft setzen kann. Da das … Parlament keine Justizbehörde ist, kann es weder ein Urteil zu den von den Gerichten der Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen abgeben noch diese aufheben. Petitionen, mit denen solche Abläufe angestrebt werden, sind unzulässig.“

25      Somit hat das Parlament in der angefochtenen Entscheidung mehrere Gründe vorgetragen, um die Unzulässigkeit der Petition des Klägers zu belegen, wobei es insbesondere auf dessen Hauptargument eingegangen ist, das sich auf gerichtliche Entscheidungen eines Mitgliedstaats bezog.

26      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen abhängt, unter denen er erlassen wurde (Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Enso Española/Kommission, T‑348/94, Slg. 1998, II‑1875, Randnr. 109).

27      Im vorliegenden Fall ist die Petition des Klägers hinsichtlich der Bezugnahme auf nationale gerichtliche Entscheidungen, die seiner Ansicht nach sein Eigentumsrecht verletzen, unklar und ungenau. Deshalb kann dem Parlament kein Vorwurf gemacht werden, dass es zur Begründung, dass die Petition des Klägers unzulässig und deshalb ohne weitere Bearbeitung abgelegt worden sei, sich in der angefochtenen Entscheidung auf die Feststellung beschränkt hat, der Petitionsausschuss des Parlaments könne die Entscheidungen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht außer Kraft setzen und es selbst könne weder ein Urteil zu den von den Gerichten der Mitgliedstaaten getroffenen Entscheidungen abgeben noch diese aufheben.

28      Die Gesichtspunkte in der angefochtenen Entscheidung sind unter Berücksichtigung des Zusammenhangs hinreichend, um den Kläger in die Lage zu versetzen, die Gründe für die Ablage seiner Petition ohne weitere Bearbeitung zu erkennen, und dem Unionsrichter die Ausübung seiner Kontrolle zu ermöglichen. Daher ist festzustellen, dass das Parlament seiner Pflicht zur Begründung seiner Entscheidung, die Petition des Klägers ohne weitere Bearbeitung abzulegen, nachgekommen ist.

29      Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund, mit dem ein Rechtsfehler gerügt wird

30      Der Kläger hat zu der Frage, ob der Gegenstand seiner Petition in den Tätigkeitsbereich der Union fällt oder nicht, im Wesentlichen vorgetragen, dass die österreichischen Behörden sein nach Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2010, C 83, S. 389) geschütztes Eigentumsrecht verletzt hätten. Da sich seine Petition auf diese Frage beziehe, falle sie in einen der Tätigkeitsbereiche der Union, d. h. in den des Schutzes der Grundrechte.

31      Dazu ist festzustellen, dass Art. 51 der Charta der Grundrechte zu deren Anwendungsbereich Folgendes bestimmt:

„(1)      Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.

(2)      Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.“

32      Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch weder in seiner Petition noch in seinen Schriftsätzen und nicht einmal in der mündlichen Verhandlung – insbesondere nicht auf die vom Gericht gestellten Fragen hin – dargelegt, in welcher Weise die österreichischen Behörden in Anwendung des Unionsrechts sein Eigentumsrecht verletzt haben könnten. Die geltend gemachte Verletzung des Eigentumsrechts des Klägers soll, wie das Parlament vom Kläger unbestritten vorträgt, aus einem Handeln der österreichischen Behörden resultieren, das „in keinerlei Zusammenhang mit der Durchführung des Unionsrechts stand“. Da es an einem derartigen engen Zusammenhang mit dem Unionsrecht fehlt, fällt eine etwaige Verletzung des Eigentumsrechts nicht in den Tätigkeitsbereich der Union, so dass das Parlament zu Recht entschieden hat, die Petition ohne weitere Bearbeitung abzulegen und den Kläger darüber in einer mit Gründen versehenen Entscheidung zu informieren.

33      Somit ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen und die Klage daher insgesamt abzuweisen.

 Kosten

34      Nach Art. 87 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Parlaments die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Herr J trägt die Kosten.

Kanninen

Wahl

Soldevila Fragoso

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. September 2012.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.