Language of document : ECLI:EU:T:2017:884

Rechtssache T125/16

Firma Léon Van Parys NV

gegen

Europäische Kommission

„Zollunion – Einfuhren von Bananen aus Ecuador – Nacherhebung von Einfuhrabgaben – Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben – Beschluss, der nach Nichtigerklärung eines vorangegangenen Beschlusses durch das Gericht ergeht – Angemessener Zeitraum“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 11. Dezember 2017

1.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Beurteilung dieser Wirkung nach dem Sachgehalt der Handlung

(Art. 263 AEUV)

2.      Nichtigkeitsklage – Zuständigkeit des Unionsrichters – Antrag auf Erlass eines Feststellungsurteils – Unzulässigkeit

(Art. 263 AEUV)

3.      Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Verpflichtung, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen – Umfang – Beschluss, in dem nicht zwangsläufig die in dem für nichtig erklärten Rechtsakt enthaltenen Gründe aufgeführt werden müssen

(Art. 266 AEUV)

4.      Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Erlass von Durchführungsmaßnahmen – Angemessene Frist – Beurteilungskriterien

(Art. 266 AEUV)

5.      Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Verpflichtung, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen – Wiederaufnahme des Verfahrens in dem Stadium, in dem der festgestellte Fehler begangen worden ist – Zulässigkeit

(Art. 266 AEUV)

6.      Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Teilweise Nichtigerklärung eines Beschlusses der Kommission über einen Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben – Verpflichtung, einen neuerlichen Beschluss zu erlassen – Umfang

(Art. 266 AEUV; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Art. 907)

7.      Nichtigkeitsklage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Erlass von Durchführungsmaßnahmen – Angemessene Verfahrensdauer –Teilweise Nichtigerklärung eines Beschlusses der Kommission über einen Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben – Verspäteter Erlass eines neuerlichen Beschlusses – Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer – Folgen

(Art. 266 AEUV; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Art. 907)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 41)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 44)

3.      Art. 266 AEUV verpflichtet das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, nur innerhalb der Grenzen dessen, was erforderlich ist, um das Nichtigkeitsurteil durchzuführen. Insoweit verpflichtet diese Vorschrift das betroffene Organ, anstelle der für nichtig erklärten Handlung keine Handlung zu setzen, die eben die Fehler aufweist, die in diesem Urteil festgestellt wurden. Die Organe verfügen jedoch über ein weites Ermessen bei der Wahl der einzusetzenden Mittel, um die Konsequenzen aus einem die Nichtigkeit oder Ungültigkeit aussprechenden Urteil zu ziehen, wobei diese Mittel mit dem Tenor des fraglichen Urteils und den ihn tragenden Gründen vereinbar sein müssen.

Es steht dem betroffenen Organ nämlich frei, auf den Grund abzustellen, den es für am besten geeignet hält, um seinen Beschluss zu begründen, ohne dass ein eventueller Irrtum bei der Auswahl dieses Grundes es daran hindern könnte, später auf einen Grund abzustellen, den es bereits im Zusammenhang mit der für nichtig erklärten Handlung hätte anführen können. Dass dieser Grund im Rahmen der angefochtenen Handlung nicht angeführt wurde, hindert insoweit das Organ nicht daran, ihn im Beschluss anzuführen, der diese Handlung ersetzen soll, denn das Organ, das den für nichtig erklärten Rechtsakt erlassen hat, kann in seinem erneuten Beschluss andere Gründe anführen als die, auf die es seinen ersten Beschluss gestützt hatte.

(vgl. Rn. 49, 59, 60)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 51)

5.      Außer wenn der festgestellte Fehler zur Nichtigkeit des gesamten Verfahrens geführt hat, können die betroffenen Organe zum Zweck des Erlasses einer Handlung, durch die eine zuvor für nichtig oder ungültig erklärte Handlung ersetzt werden soll, das Verfahren in dem Stadium wiederaufnehmen, in dem dieser Fehler begangen worden ist.

(vgl. Rn. 52)

6.      Nach der teilweisen Nichtigerklärung eines Beschlusses der Kommission über einen Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben ist die Kommission verpflichtet, die Umstände des Falles erneut zu prüfen und über diesen Antrag neu zu entscheiden, um die festgestellte Unregelmäßigkeit zu beseitigen. Dabei hat sie alle bei Erlass des Rechtsakts vorliegenden tatsächlichen und rechtlichen Informationen zu berücksichtigen. Die Verpflichtung der Kommission, bei der Vorbereitung eines Beschlusses mit aller erforderlichen Sorgfalt vorzugehen und den Beschluss auf der Grundlage aller Informationen zu treffen, die sich auf das Ergebnis auswirken können, ergibt sich insbesondere aus den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung. Unter diesen Umständen kann der Kommission kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie der Ansicht war, sie müsse ihre Ermittlungen wiederaufnehmen und die Informationen ergänzen.

Im Übrigen kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass die Kommission aufgrund der teilweisen Nichtigerklärung des ersten Beschlusses mit Wirkung ex tunc nur fünf Tage habe, um einen Beschluss über den Antrag auf Erlass zu fassen und so die Ausschlussfrist von neun Monaten gemäß Art. 907 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften einzuhalten. Die in dieser Bestimmung enthaltene Frist von neun Monaten findet nämlich keine Anwendung auf ein gemäß Art. 266 AEUV wieder aufgenommenes Verfahren.

(vgl. Rn. 54-56, 62)

7.      Der Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Nichtigerklärung des nach Abschluss eines Verwaltungsverfahrens erlassenen Beschlusses. Die Nichtbeachtung des Grundsatzes der angemessenen Verfahrensdauer wirkt sich nämlich nur dann auf die Rechtsgültigkeit des Verwaltungsverfahrens aus, wenn sich die übermäßig lange Verfahrensdauer auch auf den Inhalt des am Ende des Verwaltungsverfahrens erlassenen Beschlusses auswirken kann.

Insoweit ist das eingerichtete System und insbesondere die Frist von neun Monaten gemäß Art. 907 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften im Rahmen des gemäß Art. 266 AEUV eröffneten Verfahrens zwar effektiv nicht mehr auf die Kommission anwendbar. Indem sie jedoch den Beschluss, der den für nichtig erklärten Beschluss ersetzen soll, erlässt, ohne eine angemessene Frist einzuhalten, missachtet die Kommission die Garantien der Verordnung Nr. 2454/93 und nimmt dem Betroffenen die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung, nämlich die Möglichkeit, eine Entscheidung innerhalb der vorgesehenen Fristen zu erhalten, sowie die Garantie einer günstigen Entscheidung, falls innerhalb dieser Fristen keine Antwort erfolgt.

Die Kommission hat durch den Erlass des angefochtenen Beschlusses 34 Monate nach der Verkündung des Nichtigkeitsurteils gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verstoßen, was einen Grund für die Nichtigerklärung des zweiten Beschlusses darstellt.

(vgl. Rn. 82, 91-93)