Language of document : ECLI:EU:C:2016:281


SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 20. April 2016(1)

Rechtssache C‑135/15

Republik Griechenland

gegen

Grigorios Nikiforidis

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf einen Arbeitsvertrag anwendbares Recht – Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I) – Art. 28 – Zeitlicher Anwendungsbereich – Art. 9 Abs. 3 – Fremde Eingriffsnormen – Vorschrift eines Mitgliedstaats, nach der die Vergütung von Arbeitnehmern im öffentlichen Sektor wegen einer Finanzkrise herabgesetzt wird“





 Einleitung

1.        Die Problematik der fremden bzw. ausländischen Eingriffsnormen gehört zu den Fragenkomplexen, die seit vielen Jahren die Lehre auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts nahezu weltweit beschäftigen. Schon die Vielzahl der Monografien und anderer wissenschaftlicher Arbeiten, die diesem Fragenkomplex gewidmet sind, ist kaum zu überblicken. Gleichzeitig ist die Anzahl der Gerichtsverfahren – unter Einschluss der Schiedsverfahren –, in denen diese Problematik unmittelbar zum Tragen kommt, verhältnismäßig gering.

2.        Am 19. Juni 1980 unterzeichneten die Mitgliedstaaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht(2). Sein Art. 7 Abs. 1 – der zwingende Vorschriften fremden Rechts betrifft – war eine innovative Bestimmung und löste zugleich auch die größten Kontroversen aus.

3.        Das Übereinkommen trat am 1. April 1991 in Kraft. Am 1. August 2004 trat das Erste Protokoll in Kraft, auf dessen Grundlage der Gerichtshof dafür zuständig wurde, die Bestimmungen des Übereinkommens auszulegen.

4.        Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, einige der Zweifel im Zusammenhang mit der Problematik der fremden Eingriffsnormen vor dem Hintergrund der Bestimmung, die Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom abgelöst hat – nämlich Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung –, zu klären. Dieser Fragenkomplex, der seit jeher Gegenstand lebhafter Diskussion in der Lehre des internationalen Privatrechts ist, wird dem Gerichtshof erst 36 Jahre nach der Unterzeichnung des Übereinkommens von Rom zur Prüfung vorgelegt. Daher drängt sich der Gedanke an die Redensart „Besser spät als nie“ auf!

 Rechtlicher Rahmen

 Das Übereinkommen von Rom

5.        Art. 7 („Zwingende Vorschriften“) des Übereinkommens von Rom bestimmt:

„(1)      Bei Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates aufgrund dieses Übereinkommens kann den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder ihrer Nichtanwendung ergeben würden.

(2)      Dieses Übereinkommen berührt nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichtes geltenden Bestimmungen, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.“

6.        Gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom kann sich jeder Vertragsstaat bei der Unterzeichnung, der Ratifizierung, der Annahme oder der Zustimmung das Recht vorbehalten, Art. 7 Abs. 1 nicht anzuwenden.

7.        Das Übereinkommen von Rom wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)(3) abgelöst.

 Unionsrecht

8.        Art. 9 („Eingriffsnormen“) der Rom‑I-Verordnung bestimmt:

„(1)      Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.

(2)      Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts.

(3)      Den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, kann Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.“

9.        Art. 28 („Zeitliche Anwendbarkeit“) der Rom‑I-Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung wird auf Verträge angewandt, die ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen werden.“

 Deutsches Recht

10.      Der mit Wirkung zum 17. Dezember 2009 aufgehobene Art. 34 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) bestimmte:

„Dieser Unterabschnitt berührt nicht die Anwendung der Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.“

11.      Nach der deutschen Rechtsprechung und Lehre schloss diese Bestimmung die Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen nicht aus, diese Normen konnten jedenfalls als tatsächliche Umstände bei der Anwendung von Bestimmungen des einschlägigen Rechts, die unbestimmte Begriffe enthalten („ausfüllungsbedürftige Rechtsnormen“), berücksichtigt werden.

12.      § 241 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bestimmt:

„Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.“

 Ausgangsverfahren

13.      Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Grigorios Nikiforidis, ist Lehrer an einer von der Republik Griechenland getragenen Volksschule in Nürnberg in Deutschland.

14.      Anfang 2010 erließ das griechische Parlament im Zusammenhang mit der Schuldenkrise die Gesetze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010(4), die eine Verringerung der öffentlichen Ausgaben bezweckten. Durch diese Gesetze wurde die Vergütung der Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor, u. a. auch von Lehrern an öffentlichen Schulen, herabgesetzt.

15.      Unter Berufung auf diese Gesetze kürzte die Republik Griechenland das Gehalt von Herrn Nikiforidis.

16.      Herr Nikiforidis klagte vor einem deutschen Gericht gegen seinen Arbeitgeber, die Republik Griechenland, vertreten durch das Ministerium für Erziehung und Kultus, wegen der Abrechnung des Arbeitsentgelts für den Zeitraum von Oktober 2010 bis Dezember 2012.

17.      Mit Urteil vom 30. März 2012 wies das Arbeitsgericht Nürnberg die Klage unter Verweis auf die Staatenimmunität Griechenlands ab. Mit Urteil vom 25. September 2013 hob das Landesarbeitsgericht Nürnberg dieses Urteil auf und entschied zugunsten von Herrn Nikiforidis. Die Republik Griechenland legte gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Revision beim Bundesarbeitsgericht ein.

18.      Im Revisionsverfahren stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien privatrechtlicher Natur sei und deswegen eine Staatenimmunität Griechenlands insoweit zu verneinen sei. Es bestätigte zudem die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gemäß Art. 18 Abs. 1 und Art. 19 Nr. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(5).

19.      Darüber hinaus stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis deutschem Recht unterliege, das Entgeltkürzungen ohne Änderungsvertrag oder Änderungskündigung nicht zulasse. Deshalb sei entscheidungserheblich, ob das vorlegende Gericht die griechischen Gesetze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien anwenden oder ihnen in sonstiger Weise Wirkung verleihen könne.

 Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Vor diesem Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

1.      Findet die Rom‑I-Verordnung nach Art. 28 auf Arbeitsverhältnisse ausschließlich dann Anwendung, wenn das Rechtsverhältnis durch einen nach dem 16. Dezember 2009 vereinbarten Arbeitsvertrag begründet worden ist, oder führt jeder spätere Konsens der Vertragsparteien, ihr Arbeitsverhältnis verändert oder unverändert fortzusetzen, zur Anwendbarkeit der Verordnung?

2.      Schließt Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung allein die direkte Anwendung von Eingriffsnormen eines Drittstaats aus, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen nicht erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, oder auch die mittelbare Berücksichtigung im Recht des Staates, dessen Recht der Vertrag unterliegt?

3.      Kommt dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit rechtliche Bedeutung für die Entscheidung nationaler Gerichte zu, Eingriffsnormen eines anderen Mitgliedstaats unmittelbar oder mittelbar anzuwenden?

21.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 20. März 2015 beim Gerichtshof eingegangen.

22.      Die deutsche und die griechische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Neben diesen Beteiligten hat auch Herr Nikiforidis an der Verhandlung am 1. Februar 2016 teilgenommen.

 Würdigung

23.      Im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wirft das deutsche Bundesarbeitsgericht mehrere Fragen auf, die im Zusammenhang mit der Problematik der fremden Eingriffsnormen stehen. Diese Problematik ist dem internationalen Privatrecht bekannt und bildet den Gegenstand zahlreicher Kontroversen – insbesondere in der Lehre.

24.      Die Schwierigkeiten bei der Erfassung der Problematik dieser Normen ergeben sich zum großen Teil daraus, dass sie im Übereinkommen von Rom, im internationalen Privatrecht der Mitgliedstaaten und in der Rom‑I-Verordnung unterschiedlich geregelt wurden.

25.      Anders als Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom legt Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung bestimmte Voraussetzungen fest, unter denen fremden Eingriffsnormen Wirkung verliehen wird. Es muss sich um Normen des Staates handeln, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind. Zudem kann diesen Normen nur insoweit Wirkung verliehen werden, als sie die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist die erste Voraussetzung in der vorliegenden Rechtssache nicht erfüllt. Dagegen geht das vorlegende Gericht nicht auf die Frage ein, ob die zweite Voraussetzung in der vorliegenden Rechtssache erfüllt ist.

26.      Entscheidungserheblich ist nach Ansicht des vorlegenden Gerichts, ob die in den griechischen Gesetzen Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 enthaltenen Vorschriften über die Kürzung der Gehälter bei der Bestimmung der Pflichten der Parteien des Arbeitsvertrags, der deutschem Recht unterliege, zu berücksichtigen sind. Es betont zudem, dass es sich bei diesen Vorschriften – die zwingenden Charakter hätten und deren Einhaltung von wesentlicher Bedeutung für den Schutz der wirtschaftlichen Interessen Griechenlands sei – zweifelsfrei um Eingriffsnormen im Sinne des internationalen Privatrechts handele.

27.      Das vorlegende Gericht fragt aber, ob die Rom‑I-Verordnung bei der Bestimmung des Rechts, dem das Arbeitsverhältnis unterliegt, in zeitlicher Hinsicht Anwendung findet, wenn der entsprechende Arbeitsvertrag vor dem 17. Dezember 2009 geschlossenen worden ist(6) (erste Vorlagefrage).

28.      Anschließend stellt das vorlegende Gericht Überlegungen zu der Frage an, ob – wenn festgestellt wird, dass die Rom‑I-Verordnung in zeitlicher Hinsicht auf das vorliegende Verfahren Anwendung findet – Art. 9 Abs. 3 dieser Verordnung der bisherigen Praxis der deutschen Gerichte entgegensteht, wonach fremde Vorschriften nicht unmittelbar angewandt werden, sondern lediglich bei der Anwendung des Rechts, dem der Vertrag unterliegt, mittelbar Berücksichtigung finden (zweite Vorlagefrage).

29.      Darüber hinaus wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit bei der Entscheidung über die Anwendung von Eingriffsnormen eines anderen Mitgliedstaats Bedeutung zukommt (dritte Vorlagefrage).

30.      In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich im Folgenden der Reihe nach auf diese Fragen eingehen.

 Zeitliche Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung (erste Vorlagefrage)

31.      Mit der Frage nach der zeitlichen Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung bezweckt das vorlegende Gericht die Feststellung, ob auf den vorliegenden Rechtsstreit, der einen vor dem 17. Dezember 2009 geschlossenen Arbeitsvertrag betrifft, die Bestimmungen dieser Verordnung Anwendung finden oder ob er nach früheren Vorschriften, die vor ihrem Inkrafttreten galten, zu beurteilen ist.

32.      Ich möchte betonen, dass der Gesetzgeber die zeitliche Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung im Hinblick auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse ausdrücklich geregelt hat, indem er in Art. 28 festgelegt hat, dass diese Verordnung auf „Verträge angewandt [wird], die ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen werden“(7).

33.      Da der Gesetzgeber die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit ausdrücklich geregelt hat, kann insoweit nicht auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden, insbesondere nicht auf den Grundsatz der unmittelbaren Wirkung einer neuen Vorschrift für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist(8).

34.      Als eine Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz führt Art. 28 dazu, dass die für den betreffenden Vertrag im Zeitpunkt seines Abschlusses geltende rechtliche Regelung „eingefroren“ wird(9).

35.      Bei der Auslegung von Art. 28 ist vor allem zu erwägen, ob diese Vorschrift, indem sie die Anwendbarkeit der Rom‑I-Verordnung mit dem Abschluss eines Vertrags verknüpft, einen für das Unionsrecht autonomen Begriff des „Vertragsschlusses“ einführt oder ob sie auf die entsprechenden innerstaatlichen Bestimmungen verweist.

36.      Ich bin der Ansicht, dass eine systematische und teleologische Auslegung von Art. 28 klar dagegen spricht, den Begriff „Vertragsschluss“ als autonome Konzeption zu verstehen.

37.      Es ist richtig, dass die in den Rechtsakten der Union verwendeten Begriffe – grundsätzlich – autonom auszulegen sind. Dies trifft auch auf die Begriffe zu, die in den Bestimmungen des internationalen Privatrechts der Union Verwendung finden(10).

38.      Dieser Grundsatz findet aber meiner Überzeugung nach auf die Auslegung des Begriffs „Vertragsschluss“ in Art. 28 der Rom‑I-Verordnung keine Anwendung.

39.      Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission zutreffend darlegen, beurteilen sich gemäß Art. 10 der Rom‑I-Verordnung das Zustandekommen und die Wirksamkeit eines Vertrags nach dem Recht, das nach der Verordnung darauf anzuwenden wäre, wenn der Vertrag wirksam wäre.

40.      Ich bin der Auffassung, dass bei der zum Zweck der Anwendung von Art. 28 der Verordnung vorzunehmenden Feststellung des Zeitpunkts des Vertragsschlusses das Recht anzuwenden ist, das nach der Verordnung auf den betreffenden Vertrag Anwendung fände(11).

41.      Dafür sprechen vor allem praktische Gründe. Der Vertragsschluss steht in untrennbarem Zusammenhang mit dem Rechtssystem, dem der betreffende Vertrag unterliegt. Im Unionsrecht gibt es keine Bestimmungen, die die Problematik des Vertragsschlusses regeln(12). Die Ausarbeitung einer autonomen Konzeption des Vertragsschlusses wäre daher schwierig.

42.      Selbst wenn eine solche Konzeption ausgearbeitet würde, so stieße ihre Anwendung immer noch auf erhebliche praktische Schwierigkeiten. Unklar bliebe, wie zu verfahren ist, wenn im Licht der autonomen Konzeption ein Vertrag geschlossen worden wäre, während er nach dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht nicht zustande gekommen wäre. Ähnliche Zweifel würden auftauchen, wenn wir es mit dem umgekehrten Fall zu tun hätten.

43.      Man kann eventuell an eine Lösung dahin gehend denken, dass man sich erst dann auf das autonome Verständnis des Begriffs des „Zeitpunkts des Vertragsschlusses“ zu stützen hätte, wenn festgestellt worden ist, dass der Vertrag nach dem Recht, dem er unterliegt, wirksam geschlossen worden ist. Ich denke aber, dass auch diese Lösung übermäßig kompliziert und unpraktisch wäre. Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses kann nämlich nicht losgelöst vom anzuwendenden Recht bestimmt werden, das darüber entscheidet, welche Handlungen der Rechtssubjekte zu einem wirksamen Vertragsschluss führen.

44.      Für die von mir vorgeschlagene Lösung sprechen auch teleologische Gesichtspunkte. Durch die Harmonisierung der Kollisionsnormen wollte der Unionsgesetzgeber u. a. die Rechtssicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht fördern(13). Würde der Begriff „Vertragsschluss“ im Sinne von Art. 28 autonom verstanden, losgelöst vom anzuwendenden Recht, das die übrigen mit dem Vertragsschluss und der Wirksamkeit des Vertrags zusammenhängenden Aspekte regelt, würde die Vorhersehbarkeit des Rechts dadurch zweifellos gemindert.

45.      Daher habe ich keine Zweifel, dass der Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Sinne von Art. 28 der Rom‑I-Verordnung nach der lex causae zu bestimmen ist.

46.      In der vorliegenden Rechtssache ist über die Zweifel bezüglich der Frage, ob der Arbeitsvertrag zwischen den Streitparteien in der Zeit ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurde und ob deswegen die Rom‑I-Verordnung auf das Vertragsverhältnis Anwendung findet, auf der Grundlage des Rechts zu entscheiden, dem der Vertrag unterliegt. Wie aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts hervorgeht, ist das in der vorliegenden Rechtssache das deutsche Recht.

47.      Dieses Recht entscheidet u. a. darüber, ob der Arbeitsvertrag zwischen den Streitparteien in der Zeit ab dem 17. Dezember 2009 derart geändert wurde, dass man darin den Abschluss eines neuen Vertrags sehen kann. Dann nämlich unterfiele dieser Vertrag den Kollisionsnormen der Rom‑I-Verordnung(14).

48.      Unter Berücksichtigung der im Beschluss des vorlegenden Gerichts dargelegten Umstände scheint dies wenig wahrscheinlich zu sein. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wurde am 16. September 1996 geschlossen, und in der Zeit vom 17. Dezember 2009 bis zu der streitgegenständlichen einseitigen Entgeltkürzung wurde der Arbeitsvertrag nicht geändert.

49.      Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass die von mir vorgeschlagene Lösung Zweifel im Hinblick auf langfristige Vertragsverhältnisse wecken kann. Dies gilt zumindest für Mietverträge oder auch – wie im Ausgangsverfahren – Arbeitsverträge. Derartige Rechtsverhältnisse können sogar einige Jahrzehnte dauern. War es tatsächlich die Absicht des Unionsgesetzgebers, dass solche Rechtsverhältnisse auch noch so viele Jahre nach dem Inkrafttreten der Rom‑I-Verordnung weiterhin den davor geltenden Kollisionsregelungen unterliegen?

50.      Kollisionsregelungen, die bestehende Verträge vom Geltungsbereich neuer Vorschriften ausschließen und die fortwährende Anwendbarkeit alten Rechts auf diese Verträge aufrechterhalten, sind im Privatrecht relativ häufig anzutreffen; auch die Lehre beschäftigt sich mit ihnen, insbesondere im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf langfristige Schuldverhältnisse. In der polnischen Lehre zum intertemporalen Privatrecht, die vor dem Hintergrund des Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch von 1964 (Ustawa z 1964 r. – Przepisy wprowadzające kodeks cywilny)(15) entwickelt wurde, wurde die Ansicht vertreten, dass solche Regelungen nicht automatisch angewandt werden könnten und sich insbesondere nicht auf langfristige Schuldverhältnisse beziehen könnten(16). Nach der in der heutigen polnischen Lehre überwiegend vertretenen Meinung ist im Fall von langfristigen Schuldverhältnissen, d. h. solchen, die eine dauernde oder wiederkehrende Leistung zum Gegenstand haben, die Anwendung der neuen Vorschriften vorzuziehen. Mit dieser Herangehensweise lässt sich verhindern, dass eine erhebliche Anzahl von Rechtsverhältnissen allzu lange durch verschiedene Rechtsnormsysteme geregelt wird(17).

51.      Es scheint, dass angesichts des eindeutigen Wortlauts von Art. 28 der Rom‑I-Verordnung die These der Notwendigkeit einer Anwendung dieser Verordnung auf langfristige vertragliche Rechtsverhältnisse, die bis zum 17. Dezember 2009 entstanden sind, nicht zu halten ist. Die Annahme, dass derartige Rechtsverhältnisse der Rom‑I-Verordnung unterfallen, wäre nur dann möglich, wenn die nach diesem Datum eingetretenen Vertragsänderungen – im Licht des anwendbaren Rechts – als Abschluss eines neuen Vertrags angesehen werden können. Die Feststellung, ob solche Umstände in der vorliegenden Rechtssache gegeben sind, ist dem vorlegenden Gericht zu überlassen.

52.      Ausgehend von den obigen Überlegungen bin ich der Auffassung, dass der Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Sinne von Art. 28 der Rom‑I-Verordnung nach dem Recht zu beurteilen ist, dem der Vertrag unterläge, wenn diese Verordnung Anwendung fände.

 Zuständigkeit des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 7 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom

53.      Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass der streitgegenständliche Vertrag nicht in den Anwendungsbereich der Rom‑I-Verordnung fällt, unterläge er dem System der im Übereinkommen von Rom niedergelegten Kollisionsnormen(18).

54.      Daher ist zu erwägen, ob der Gerichtshof, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu erteilen, nicht eine Auslegung von Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom vornehmen sollte, der die Problematik der Anwendung fremder Eingriffsnormen regelte, bevor dieses Übereinkommen durch die Rom‑I-Verordnung ersetzt wurde.

55.      Obwohl das Übereinkommen von Rom kein Rechtsakt der Union ist, ist der Gerichtshof gemäß Art. 1 und Art. 2 Buchst. a des Ersten Protokolls zu diesem Übereinkommen für seine Auslegung zuständig, u. a. auf Antrag eines der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Deutschland).

56.      Da der Gerichtshof gemäß dem angeführten Ersten Protokoll für eine Auslegung des Übereinkommens von Rom auf Antrag des Bundesarbeitsgerichts zuständig ist, ist er meiner Auffassung nach auch dafür zuständig, das Übereinkommen auf der Grundlage des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens zur Rom‑I-Verordnung auszulegen. In seiner Rechtsprechung behält sich der Gerichtshof ausdrücklich das Recht vor, den Inhalt einer Vorlagefrage zu erweitern, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu erteilen, sofern dabei das Wesen der Vorlagefrage gewahrt bleibt(19). In der vorliegenden Rechtssache würde durch die Berücksichtigung einer Auslegung von Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom das Wesen der zweiten Vorlagefrage, die Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung betrifft, nicht geändert, da diese Bestimmungen dieselbe Problematik regeln.

57.      Zunächst muss allerdings betont werden, dass das vorlegende Gericht – im Bewusstsein der bestehenden Zweifel bezüglich des zeitlichen Anwendungsbereichs der Rom‑I-Verordnung – keine Frage nach der Auslegung des Übereinkommens von Rom stellt. Wenn die Rom‑I-Verordnung nicht zur Anwendung kommt, ist über die Frage der Anwendung fremder Eingriffsnormen auf den vorliegenden Rechtsstreit, worauf das vorlegende Gericht im Übrigen selbst hinweist, auf der Grundlage der Normen des innerstaatlichen internationalen Privatrechts zu entscheiden.

58.      Die Bundesrepublik Deutschland hat sich gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom das Recht vorbehalten, Art. 7 Abs. 1 nicht anzuwenden. Wie die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht vorträgt, kann Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom wegen dieses Vorbehalts im Ausgangsverfahren, das vor einem deutschen Gericht geführt wird, nicht angewandt werden.

59.      Man kann sich zwar, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die Frage stellen, ob allein der Umstand, dass Deutschland einen Vorbehalt im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom erklärt hat, die Möglichkeit ausgeschlossen hat, dass die Praxis der deutschen Gerichte fortgeführt wird, wonach fremde Eingriffsnormen mittelbar – auf der Grundlage des innerstaatlichen internationalen Privatrechts – berücksichtigt werden können.

60.      Die Beantwortung dieser Frage würde indessen eine Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom erfordern. Es ginge nämlich darum, die Reichweite des auf der Grundlage dieser Vorschrift erklärten Vorbehalts bezüglich der Nichtanwendung von Art. 7 Abs. 1 festzustellen. Meiner Ansicht nach sollte sich der Gerichtshof nicht mit dieser Frage befassen, da die Erweiterung der Vorlagefragen um die Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom das Wesen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ändern würde. Unabhängig davon möchte ich – womit ich meine weiteren Erwägungen etwas vorwegnehme – anmerken, dass die von mir vorgeschlagene Antwort auf die zweite Vorlagefrage auch dazu beitragen kann, die von der Kommission angesprochenen Zweifel zu klären.

61.      Aus diesen Gründen vertrete ich den Standpunkt, dass sich der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache nicht mit der Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom in Bezug auf den Ausschluss der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 dieses Übereinkommens befassen sollte.

 Auslegung von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung (zweite Vorlagefrage)

 Einleitende Erwägungen

62.      Die zweite der in der vorliegenden Rechtssache an den Gerichtshof gerichteten Vorlagefragen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung. Diese Bestimmung regelt die Frage der Anwendung von Eingriffsnormen, die zum Recht eines Drittstaats gehören. Es geht also um Vorschriften, die weder zu dem Recht gehören, das auf den Vertrag Anwendung findet (lex causae), noch zu dem Recht des Gerichts, vor dem das Verfahren anhängig ist (lex fori).

63.      Dem Vorabentscheidungsersuchen lässt sich entnehmen, dass die Beantwortung dieser Frage für das vorlegende Gericht nur dann von Bedeutung sein wird, wenn es – gestützt auf die in der Antwort auf die erste Frage aufgestellten Kriterien – feststellt, dass die Rom‑I-Verordnung im Ausgangsverfahren in zeitlicher Hinsicht Anwendung findet.

64.      Es scheint aber, dass die mit dieser Frage angesprochene Problematik in einem weiteren Kontext zu sehen ist und die diesbezüglichen Erwägungen bei der Entscheidung über die vor dem vorlegenden Gericht anhängige Rechtssache auch vor dem Hintergrund des vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung geltenden Rechts sachdienlich sein werden.

 Begriff der Eingriffsnormen

65.      Der Begriff der Eingriffsnormen taucht in vielen Staaten in der Lehre des internationalen Privatrechts und in der Rechtsprechung auf(20). Es geht hierbei um Bestimmungen, die der Verwirklichung besonderer Interessen des betreffenden Staates dienen und die wegen ihres Zwecks unabhängig davon Anwendung finden, welchem Recht das jeweilige Rechtsverhältnis unterliegt. Diese Vorschriften bestimmen mit anderen Worten selbst ihren Anwendungsbereich, der selbst dann nicht beschränkt werden darf, wenn nach den Kollisionsnormen ein anderes Recht auf das betreffende Rechtsverhältnis Anwendung findet.

66.      Das Aufkommen dieser Art von Vorschriften ergab sich aus der wachsenden Einmischung des Staates in Privatrechtsverhältnisse. Im Hinblick auf den Wunsch des Staates, seine politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen umzusetzen, konnte nicht mehr hingenommen werden, dass manche Rechtsverhältnisse vollständig fremdem Recht unterworfen waren. Staaten streben nämlich danach, die Interessen, deren Schutz diese Bestimmungen dienen, möglichst umfassend zu verwirklichen – und damit auch unabhängig davon, welchem Recht das betreffende Rechtsverhältnis kollisionsrechtlich unterliegt. Dieser Umstand wurde von Juristen schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wahrgenommen und beschrieben(21).

67.      Der Problematik der Eingriffsnormen wurde in Art. 7 des zwischen den Staaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschlossenen Übereinkommens von Rom Rechnung getragen. Diese – damals sehr innovative – Bestimmung formte die Art und Weise, in der die Eingriffsnormen in Lehre und Rechtsprechung – nicht nur in den europäischen Staaten – wahrgenommen wurden. Die klare Mehrheit der heutigen Kodifikationen des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten regelt die Problematik der Eingriffsnormen(22), wenn auch auf unterschiedliche Weise.

 Eingriffsnormen und „ordre public“

68.      Wenn man sich die Entstehungsgeschichte der Eingriffsnormen näher anschaut, wird man feststellen, dass sie sehr stark mit der Idee des Schutzes der öffentlichen Ordnung verknüpft sind. Es genügt hier, sich auf die Feststellung von Friedrich Carl von Savigny zu berufen, dass die öffentliche Ordnung des Staates – unabhängig von der allgemeinen Ordre-public-Klausel, die die Folgen der Anwendung des betreffenden anwendbaren Rechts korrigiert – auch durch besondere „Gesetze von streng positiver, zwingender Natur“(23) geschützt wird. Auf die Verknüpfung der Eingriffsnormen mit der öffentlichen Ordnung weist auch der 37. Erwägungsgrund der Rom‑I-Verordnung hin, wonach „Gründe des öffentlichen Interesses [es] rechtfertigen ..., dass die Gerichte der Mitgliedstaaten unter außergewöhnlichen Umständen die Vorbehaltsklausel (‚ordre public‘) und Eingriffsnormen anwenden können“ (Hervorhebung nur hier).

69.      Obwohl beide Rechtsinstrumente ihre Entstehung dem Schutz der öffentlichen Ordnung verdanken, ist ihre Wirkungsweise doch nicht dieselbe. Die Ordre-public-Klausel – wie sie etwa in Art. 21 der Rom‑I-Verordnung ihren Ausdruck findet – beruht auf dem Gedanken, die Anwendung fremden Rechts zu versagen, wenn sie einen offensichtlichen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts bewirken würde. Sie dient also dem Ausschluss bestimmter – im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung unerwünschter – Folgen der Anwendung fremden Rechts.

70.      Eingriffsnormen schützen die öffentliche Ordnung hingegen auf eine andere Art und Weise. Sie wirken unmittelbar auf das betreffende Rechtsverhältnis ein. Sie gestalten seinen Inhalt unabhängig von den Regelungen des fremden Rechts, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt.

 Eingriffsnormen im Unionsrecht

71.      Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 9 Abs. 1 der Rom‑I-Verordnung Eingriffsnormen definiert als „zwingende Vorschrift[en], deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden [sind], die in ihren Anwendungsbereich fallen“. Diese Definition knüpft an die Formulierung des Gerichtshofs im Urteil Arblade u. a. an, in dem der Gerichtshof zu Vorschriften des belgischen Arbeitsrechts Stellung genommen hat, die im Licht des belgischen Rechts als „lois de police et de sûreté(24) angesehen wurden.

72.      Wie bereits erwähnt, bestimmen die Eingriffsnormen ihren Anwendungsbereich selbst, unabhängig davon, welchem Recht das betreffende Rechtsverhältnis unterliegt. Zu beachten ist, dass sich der Anwendungsbereich dieser Vorschriften meistens nicht unmittelbar aus ihrem Wortlaut ergibt. Über ihre Anwendung entscheidet jedes Mal das in der jeweiligen Rechtssache angerufene Gericht. Im Rahmen der Entscheidung über ihre Anwendung muss das Gericht den konkreten Sachverhalt prüfen und dabei die Gründe und die Ziele bewerten, die die betreffende Bestimmung zum Ausdruck bringt. Dieses Gericht hat sich die Frage zu beantworten, ob es tatsächlich die Absicht des Gesetzgebers war, der diese Bestimmung erlassen hat, ihr den Charakter einer Eingriffsnorm zu verleihen. Sprechen die politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Interessen des Staates, der diese Bestimmung erlassen hat, tatsächlich dafür, dass die Bestimmung auf das betreffende Rechtsverhältnis einwirkt, obwohl die Kollisionsnormen auf das Recht eines anderen Staates – als das Recht, das auf das betreffende Rechtsverhältnis anwendbar ist – verweisen?

73.      Daher kann auch kein Katalog von a priori privilegierten Vorschriften erstellt werden. Der Unionsgesetzgeber und die Rechtslehre können lediglich das Phänomen der „Eingriffsnormen“ beschreiben; die Entscheidung darüber, ob der jeweiligen Norm „Eingriffscharakter“ zuzuerkennen ist, obliegt jedoch dem in der konkreten Rechtssache angerufenen Gericht.

74.      Meiner Ansicht nach hat die vom Gericht vorzunehmende Prüfung einen funktionellen Charakter. Das Gericht prüft, ob bei einer konkreten Sachlage der Erlass einer gerechten Entscheidung die Berücksichtigung legitimer und begründeter Interessen eines Staates erfordert, dessen Recht auf das betreffende Rechtsverhältnis keine Anwendung findet. Man kann also sagen, dass die Konzeption der Eingriffsnormen an sich dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, eine Entscheidung zu erlassen, die gerecht ist und zugleich die Notwendigkeit berücksichtigt, konkurrierende Interessen der beteiligten Staaten abzuwägen.

 Ursprung der Eingriffsnormen

75.      Die Mehrzahl der Kollisionsregelungen der einzelnen Staaten differenziert in Bezug auf die Zulässigkeit und die Voraussetzungen der Anwendung von Eingriffsnormen danach, welcher Staat sie erlassen hat.

76.      Wenn diese Normen im Recht des Staates aufgestellt wurden, dem das betreffende Rechtsverhältnis unterliegt (lex causae), stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit ihrer Anwendung erst gar nicht. Es ist dabei ohne Bedeutung, ob die lex causae mit dem Recht des angerufenen Gerichts (lex fori) übereinstimmt. Diese Bestimmungen gehören nämlich ohnehin zu dem Rechtssystem, das der Entscheidung zugrunde zu legen ist.

77.      Die Zulässigkeit der Anwendung dieser Vorschriften gibt kaum Anlass zu Kontroversen, wenn sie von dem Staat erlassen wurden, dessen Gerichte in der Sache entscheiden (lex fori), und das betreffende Rechtsverhältnis dem Recht eines anderen Staates unterliegt. Diesen Fall regeln beispielsweise Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom und Art. 9 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung. Zutreffend wird dann angenommen, dass die Gerichte des betreffenden Staates eine besondere Verantwortung für den Schutz der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Interessen dieses Staates tragen. Außerdem fällt es diesen Gerichten am leichtesten, den Schutzumfang dieser Interessen zu bestimmen und die Gründe und die Ziele abzuwägen, die die betreffende Bestimmung zum Ausdruck bringt.

78.      Äußerst umstritten ist hingegen der Fragenkomplex, der Gegenstand der zweiten Frage des Bundesarbeitsgerichts im vorliegenden Verfahren ist, nämlich der der Anwendung von Eingriffsnormen eines Drittstaats. Diese Problematik war – insbesondere nach der Annahme von Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom – Gegenstand zahlreicher Analysen in der Lehre in beinahe allen Mitgliedstaaten. Nach meinem Empfinden stand das Interesse der Lehre an diesem Thema sogar in deutlichem Missverhältnis zu seiner recht geringen praktischen Bedeutung.

79.      Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom war zum Zeitpunkt seiner Annahme eine sehr innovative Bestimmung(25). Einerseits wirkte sie inspirierend auf viele nationale Gesetzgeber, und das nicht nur in den Mitgliedstaaten. Andererseits war sie aber auch Gegenstand von Kontroversen. Unter anderem wurde der Einwand erhoben, die Anwendung von Eingriffsnormen eines Drittstaats gewähre den Rechtsanwendungsorganen einen zu großen Entscheidungsspielraum. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Abwägung der sich aus den Vorschriften der lex causae, der lex fori und des Rechts des Drittstaats ergebenden Interessen eine sehr komplizierte Aufgabe sei, auch deswegen, weil die Voraussetzungen für die Anwendung von Eingriffsnormen im Licht von Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom wenig präzise seien. Darunter litten die Sicherheit des Rechtsverkehrs und die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen. Aus diesem Grund sah Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom auch die Möglichkeit vor, dass Vertragsstaaten dieses Übereinkommens Vorbehalte dahin gehend erklären, dass sie Art. 7 Abs. 1 nicht anwenden. Von diesem Vorbehalt haben Irland, Deutschland, Litauen, Luxemburg, Portugal, Slowenien und das Vereinigte Königreich Gebrauch gemacht.

80.      Die Befürworter von Art. 7 Abs. 1 beriefen sich vor allem darauf, dass die Möglichkeit eröffnet werde, eine gerechte Entscheidung zu fällen, die die legitimen Interessen eines Drittstaats berücksichtige, wenn bestimmten zwingenden Bestimmungen des anderen Staates Wirkung verliehen werde(26). Auf diese Weise könnten eventuelle Hindernisse bei der Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung in dem anderen Staat beseitigt werden. Die Möglichkeit, die Eingriffsnormen eines Drittstaats zu berücksichtigen, stärke die internationale Rechtsprechungsharmonie, da unabhängig davon, welcher Staat derjenige sei, dessen Gerichte zur Entscheidung berufen seien, ein Instrument geschaffen werde, das eine einheitliche Entscheidung ermögliche(27). Das Phänomen des Forum-Shoppings werde dadurch eingeschränkt. Schließlich fördere die Möglichkeit der Berücksichtigung der Eingriffsnormen eines Drittstaats die internationale Zusammenarbeit und Solidarität, was im Zeitalter der gegenseitigen Abhängigkeit der Staaten unerlässlich zu sein scheine(28).

 Eingriffsnormen eines Drittstaats in der Rom‑I-Verordnung

–       Einleitende Erwägungen

81.      Die Kontroversen betreffend Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom fanden im Rechtsetzungsverfahren zur Rom‑I-Verordnung ihren Widerhall(29). Der Rat diskutierte über eine Vorschrift zur Regelung der Frage, inwieweit es zulässig ist, fremden Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen(30). Letztendlich entschied man sich für eine Fassung dieser Vorschrift, die den Eindruck vermittelt, dass es im Vergleich zu Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom nur eingeschränkt zulässig ist, den Eingriffsnormen eines Drittstaats Wirkung zu verleihen.

82.      Die wesentlichen Beschränkungen betreffen zwei Bereiche. Erstens kann den Normen desjenigen Staates Wirkung verliehen werden, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind. Zweitens ist das nur insoweit zulässig, als diese Normen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen.

83.      Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung kann auch noch andere Auslegungszweifel wecken. Sie betreffen z. B. die Frage, in welchem Umfang das Unionsrecht die Anwendung konkreter Eingriffsnormen verbieten, einschränken oder anordnen kann. Es muss nämlich bedacht werden, dass Art. 9 Abs. 1 im Gegensatz zu Art. 7 des Übereinkommens von Rom eine Definition der Eingriffsnormen enthält, was nicht ohne Einfluss auf die Befugnis des Gerichtshofs bleiben kann. Es ist auch nicht offensichtlich, welche Folgen sich daraus ergeben, dass Art. 9 Abs. 2 in Bezug auf Eingriffsnormen des Staates des angerufenen Gerichts von ihrer Anwendung spricht, wohingegen in Art. 9 Abs. 3 die Rede davon ist, dass den Eingriffsnormen eines Drittstaats Wirkung verliehen werden kann. Da diese Fragen aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, werde ich darauf nicht eingehen.

84.      Die in der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts dargelegten Zweifel betreffen im Grunde genommen eine Angelegenheit. Es geht namentlich um die Klärung der Frage, ob, wenn in einem Fall die Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 3 nicht erfüllt sind, das Gericht die Normen eines Drittstaats – bei der vorliegenden Sachlage also die griechischen Vorschriften – mittelbar berücksichtigen kann. Das vorlegende Gericht erläutert, dass seiner Überzeugung nach die durch den Vertrag begründeten und im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Verpflichtungen nicht in Griechenland, sondern in Deutschland erfüllt würden.

85.      Ich könnte sogleich dazu übergehen, diese Problematik zu erörtern, wenn zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts nicht ihre Einordnung in einen breiteren Kontext erforderlich wäre.

–       Beschränkung der Anwendbarkeit von Eingriffsnormen eines Drittstaats im Licht von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung

86.      In ihren in dem vorliegenden Verfahren abgegebenen Erklärungen schlagen die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission eine enge Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung vor. Ihrer Ansicht nach ist die Zulässigkeit einer Berücksichtigung derartiger Bestimmungen eines Drittstaats gegenwärtig im Vergleich zu Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom erheblich eingeschränkt. Dies betreffe insbesondere die Beschränkungen, die ich in Nr. 82 der vorliegenden Schlussanträge erwähnt habe. Sich dieser Auffassung anzuschließen bedeutete, dass – auf der einen Seite – die Anwendung von Eingriffsnormen des Staates des angerufenen Gerichts beinahe uneingeschränkt zulässig wäre, während – auf der anderen Seite – die Berücksichtigung solcher Normen eines Drittstaats nur unter engen Voraussetzungen möglich wäre.

87.      Meiner Ansicht nach ist eine solche Lösung weder mit dem Ziel der Rom‑I-Verordnung noch mit der Funktion, die die Möglichkeit der Berücksichtigung von Eingriffsnormen zu erfüllen hat, zu vereinbaren.

88.      Erstens hat, wie ich oben dargelegt habe(31), die Prüfung, die der Entscheidung vorausgeht, ob in einem konkreten Verfahren eine bestimmte Eingriffsnorm zu berücksichtigen ist, einen funktionellen Charakter. Das Gericht, das diese Entscheidung trifft, wägt die Gründe und die Ziele ab, die die betreffende Bestimmung zum Ausdruck bringt, und setzt sich auch mit den Folgen auseinander, die sie für das betreffende Rechtsverhältnis haben kann. Dies hat dem Erlass einer gerechten Entscheidung zu dienen, die das legitime Interesse des anderen Staates berücksichtigt. In vielen Fällen kann es sich hierbei auch um das Interesse eines anderen Mitgliedstaats handeln. Es lässt sich kaum verkennen, dass diese Möglichkeit auch dem – weit verstandenen – gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten dienlich ist(32). Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass in einigen Situationen die Berücksichtigung der Eingriffsnormen eines Drittstaats im Interesse des Staates liegen wird, dessen Gericht zur Entscheidung berufen ist(33). Dieser Staat kann ein legitimes Interesse daran haben, dass auch seine zwingenden Vorschriften durch die Gerichte anderer Staaten berücksichtigt werden.

89.      Zweitens leistet die Annahme einer so unterschiedlichen Behandlung der Eingriffsnormen des Staates des angerufenen Gerichts und des Drittstaats dem Forum-Shopping Vorschub. In Fällen, in denen der Kläger die Möglichkeit hat, das Verfahren vor den Gerichten verschiedener Staaten einzuleiten, kann er auf diese Weise darüber entscheiden, ob bestimmte Eingriffsnormen Berücksichtigung finden oder nicht. Selbst im Ausgangsverfahren in der vorliegenden Rechtssache kann man sich vorstellen, dass ein griechisches Gericht, wenn es über den gleichen Streitgegenstand zu entscheiden hätte, ohne Zweifel die eigenen Eingriffsnormen auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung anwenden würde.

90.      Drittens schließlich überzeugen mich die Argumente nicht, dass die Berücksichtigung der Eingriffsnormen eines Drittstaats die Sicherheit des Rechtsverkehrs beeinträchtige und zur Unvorhersehbarkeit der Entscheidungen führe. Diesen Vorwurf könnte man genauso gut gegen die Anwendung der Klausel der öffentlichen Ordnung (Art. 21 der Rom‑I-Verordnung) oder die Eingriffsnormen des Staates des angerufenen Gerichts (Art. 9 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung) erheben. Auch in diesen Fällen geht es um eine Form des Eingriffs in den Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts. Dieser Eingriff findet seine Rechtfertigung in der Notwendigkeit, die grundlegenden Werte der betreffenden Rechtsordnung oder die wesentlichen Interessen des betreffenden Staates zu schützen. In jedem Fall – und unabhängig davon, ob es um die Anwendung von Art. 21, Art. 9 Abs. 2 oder Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung geht – darf ein derartiger Eingriff nur ausnahmsweise erfolgen und muss auf besonders wichtige Gründe des öffentlichen Interesses gestützt sein.

91.      Aus den oben dargelegten Gründen bin ich der Auffassung, dass bei der Auslegung von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung der Begriff des „Staates, in dem die ... Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“, nicht allzu restriktiv verstanden werden darf(34). Vor allem darf die Auslegung nicht analog zu der von Art. 5 Nr. 1 der Brüssel-I-Verordnung vorgenommen werden, in dem ebenfalls vom „Erfüllungsort der Verpflichtung“ die Rede ist – als Grundlage für die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen(35). Mit beiden Bestimmungen werden völlig unterschiedliche Ziele verfolgt. Im Fall der Brüssel-I-Verordnung geht es um die Feststellung eines bestimmten Orts in einem Mitgliedstaat, um die örtliche gerichtliche Zuständigkeit zu begründen. Dieser Ort muss so stark mit dem vertraglichen Erfüllungsort verknüpft sein, dass dadurch – aus Gründen der Verfahrensökonomie – der Gerichtsstand begründet wird, und das im Übrigen in Abweichung von der allgemeinen Zuständigkeitsregelung in Art. 2 der Brüssel-I-Verordnung. Der Begriff des Erfüllungsorts der Verpflichtung im Sinne von Art. 5 Nr. 1 der Brüssel-I-Verordnung muss daher eng ausgelegt werden.

92.      Anders verhält es sich mit der Auslegung des Begriffs des „Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“, in Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung. Bei der Auslegung dieser Vorschrift(36) geht es nicht um die Bestimmung eines konkreten Orts im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit, sondern um die Bestimmung des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind. Es geht hier also nicht nur um die materielle (tatsächliche) Vornahme einer Handlung durch die Vertragspartei an einem bestimmten geografischen Ort, sondern auch um die Verbindung mit dem Hoheitsbereich des betreffenden Staates und mit seinem Rechtssystem.

93.      Des Weiteren geht es hierbei nicht nur um die Erfüllung einer Verpflichtung, die in der Erbringung der für das betreffende Vertragsverhältnis „charakteristischen Leistung“(37) besteht. Bei der Bestimmung der Anwendungsvoraussetzungen von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung kann vielmehr die Erfüllung irgendeiner vertraglichen Verpflichtung herangezogen werden.

94.      Mehr noch, es muss sich dabei noch nicht einmal um eine Verpflichtung handeln, die die Parteien unmittelbar in dem Vertrag festgelegt haben(38). Das Recht, dem der betreffende Vertrag unterliegt, kann die Verpflichtungen der Parteien anders gestalten, als die Parteien unmittelbar in dem Vertrag vereinbart haben, oder die vertraglichen Vereinbarungen ergänzen.

95.      Aus diesen Gründen steht meiner Auffassung nach nicht von vornherein völlig fest, dass im Ausgangsverfahren in der vorliegenden Rechtssache der Erfüllungsort der Verpflichtung ausschließlich Deutschland ist. Wenn wir es mit einem Arbeitsverhältnis zu tun haben, bei dem der griechische Staat Partei ist, der – im Rahmen seiner öffentlichen Aufgaben – der Verpflichtung nachkommt, aus dem Staatshaushalt finanzierte Bildungsdienstleistungen anzubieten, dann kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass auch Griechenland Erfüllungsort der Verpflichtung ist. Es spricht nichts dagegen, dass sich bei bestimmten Vertragsverhältnissen der Erfüllungsort der sich aus diesen Verhältnissen ergebenden Verpflichtungen – im Sinne von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung – in mehreren Staaten befinden kann(39).

96.      Da das vorlegende Gericht festgestellt hat, dass der Erfüllungsort des streitgegenständlichen Vertrags ausschließlich Deutschland ist, und insoweit nicht ausdrücklich um die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung ersucht hat, schlage ich vor, dass der Gerichtshof sich nur mit dem Fragenkomplex befasst, der Gegenstand der zweiten Frage ist.

–       Anwendung und materiell-rechtliche Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen

97.      Diese Frage beruht auf der Annahme, dass ein Unterschied zwischen der Anwendung von Eingriffsnormen und der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen besteht. Das vorlegende Gericht verweist dabei auf die deutsche Rechtsprechung und Lehre, nach denen es zulässig sei, dass fremde Eingriffsnormen – im Rahmen der Anwendung deutschen Rechts als lex causae – als tatsächliche Umstände Berücksichtigung finden könnten(40). Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass es im Ausgangsverfahren griechische Vorschriften auf der Grundlage von § 241 Abs. 2 BGB berücksichtigen könnte (Rn. 13)(41).

98.      Es ist nicht erforderlich, im vorliegenden Verfahren auf die verschiedenen rechtsdogmatischen Begründungen der Zulässigkeit der materiell-rechtlichen Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen einzugehen. Entscheidend dürfte eine Frage sein, deren Beantwortung für das vorlegende Gericht von Bedeutung sein kann.

99.      Die Kommission vertritt in ihren Erklärungen den Standpunkt, dass Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung die Möglichkeit der Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen unter Zuhilfenahme anderer Instrumente als dieser Bestimmung vollständig ausschließe. Auch in Bezug auf Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom ist die Kommission der Ansicht, dass ein Staat, der einen Vorbehalt gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. a dieses Übereinkommens erklärt habe, sich selbst damit die Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen entziehe.

100. Legt man diese Auffassung zugrunde, so könnte sich das vorlegende Gericht, wie die Kommission im Übrigen in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, selbst dann nicht auf die bisherige Praxis der deutschen Gerichte betreffend die materiell-rechtliche Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen berufen, wenn es annehmen würde, dass das Übereinkommen von Rom im vorliegenden Fall in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist.

101. Es stimmt, dass der praktische Unterschied zwischen der Anwendung und der materiell-rechtlichen Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen kaum wahrnehmbar ist. Der Unterschied wird nur im Rahmen der dogmatischen Begründung dieser Unterscheidung sichtbar. In diesem Sinne kann ich die Bedenken der Kommission nachvollziehen, dass die Zulassung der materiell-rechtlichen Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen dazu führen kann, dass die in Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung aufgestellten Beschränkungen oder die gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens von Rom erklärten Vorbehalte umgangen werden. Dennoch ist meiner Überzeugung nach die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung von Art. 9 Abs. 3 – wonach jede andere Möglichkeit einer Berücksichtigung von Eingriffsnormen eines Drittstaats ausgeschlossen ist – allzu restriktiv.

102. Erstens bin ich der Ansicht, dass die Rom‑I-Verordnung – als kollisionsrechtliche Regelung – dazu dient, das auf das betreffende Vertragsverhältnis anwendbare Recht (lex causae) aufzuzeigen. Wenn im Zuge der Anwendung des aufgezeigten Rechts und auf der Grundlage dieses Rechts eine fremde Eingriffsnorm Berücksichtigung findet, dann liegt ausschließlich eine Anwendung der lex causae vor. Eine solche Berücksichtigung einer Eingriffsnorm ist daher nicht Regelungsgegenstand der Rom‑I-Verordnung(42).

103. Zweck der Rom‑I-Verordnung ist es, das auf das Vertragsverhältnis anwendbare Recht aufzuzeigen, und eventuell bildet sie die Grundlage für eine „Korrektur“ des entsprechenden Ergebnisses, gestützt etwa auf die Ordre-public-Klausel oder das Institut der Eingriffsnormen. Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung kommt dann zum Tragen, wenn das Gericht eine fremde Eingriffsnorm unabhängig von der lex causae berücksichtigen möchte. Es geht hierbei mit anderen Worten um die Vornahme eines gewissen Eingriffs in den Anwendungsbereich der lex causae durch die Berücksichtigung einer Bestimmung, die aus einer anderen Rechtsordnung stammt.

104. Eine solche Situation liegt nicht vor, wenn eine fremde Eingriffsnorm im Rahmen der Anwendung der lex causae Berücksichtigung findet(43).

105. Wenn man sich dem Standpunkt der Kommission anschließt, würde dies zweitens bedeuten, dass die Rom‑I-Verordnung nicht nur dazu dient, das auf das Vertragsverhältnis anwendbare Recht aufzuzeigen, sondern auch auf die Anwendung dieses berufenen Rechts selbst Einfluss nehmen kann. Wie wäre sonst zu erklären, dass nach Ansicht der Kommission die bisherige Praxis der deutschen Gerichte, nach der fremde Eingriffsnormen im Rahmen der Anwendung deutschen Rechts materiell-rechtlich Berücksichtigung finden, gegen Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung verstoßen soll?

106. In jedem Rechtssystem finden sich Vorschriften, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Es geht hierbei um Begriffe wie „gute Sitten“, „guter Glaube“, „berechtigtes Parteiinteresse“ oder „Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens“. Sie dienen dazu, den Gerichten einen angemessenen Entscheidungsspielraum zu gewähren. Ich habe keine Zweifel, dass im Rahmen der Anwendung derartiger Bestimmungen die Rechtsnormen anderer Staaten – als tatsächliche Umstände – berücksichtigt werden können. Dies trifft insbesondere auf solche Rechtsnormen zu, die dem Schutz objektiv begründeter Interessen dienen und mit dem betreffenden Vertragsverhältnis in einem angemessenen Zusammenhang stehen. Ich habe keinerlei Zweifel, dass wir es in diesen Fällen mit einer Anwendung des Rechts zu tun haben, dem der betreffende Vertrag unterliegt. Es handelt sich mit anderen Worten nicht um eine Abweichung von der Anwendung der lex causae.

107. Aus diesen Gründen würde es zu Kompetenzproblemen führen, wenn man der Auffassung der Kommission folgte. Die Rom‑I-Verordnung wurde auf der Grundlage einer Vertragsnorm erlassen, die der „Förderung der Vereinbarkeit der … Kollisionsnormen“ dient (früherer Art. 65 EG in Verbindung mit Art. 61 Buchst. c EG). Sie darf daher nicht in die Anwendungspraxis des für anwendbar erklärten Rechts eingreifen, vor allem dann nicht, wenn es um Rechtsvorschriften – hauptsächlich des Privatrechts – geht, die den Gerichten einen gewissen Beurteilungsspielraum belassen.

108. Drittens schließlich würde der Ausschluss der Möglichkeit einer Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen bei der Anwendung der lex causae dem Forum-Shopping Vorschub leisten(44).

109. In Zusammenfassung dieses Teils der Schlussanträge möchte ich betonen, dass die Zulässigkeit der Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen – und das unabhängig davon, ob es um ihre Anwendung oder materiell-rechtliche Berücksichtigung geht – keinen Automatismus darstellt. Das angerufene Gericht verfügt über einen weiten Entscheidungsspielraum, der es ihm ermöglichen soll, eine gerechte Entscheidung zu erlassen, die die legitimen Interessen der Parteien und auch die Interessen der Staaten, deren Recht sich auf das betreffende Rechtsverhältnis auswirkt, berücksichtigt.

110. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das vorlegende Gericht die griechischen Vorschriften in der vorliegenden Rechtssache nicht in vollem Umfang berücksichtigt und nur eine teilweise Herabsetzung der Vergütung von Herrn Nikiforidis als gerechtfertigt ansieht. Das Gericht kann auch – wie das Gericht zweiter Instanz im vorliegenden Verfahren (Landesarbeitsgericht) – zu dem Ergebnis kommen, dass die grundlegenden Prinzipien des deutschen Arbeitsrechts keine Berücksichtigung der griechischen Bestimmungen erlauben.

111. Jedenfalls bewirkt Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung keine Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs und der Art der Anwendung des deutschen Rechts – als des Rechts, dem der Arbeitsvertrag unterliegt.

 Ergebnis betreffend die zweite Vorlagefrage

112. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem nationalen Gericht auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung die mittelbare materiell-rechtliche Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen nicht ausschließt, wenn das Recht des Staates, dem der Vertrag unterliegt, dies zulässt.

 Bedeutung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) bei der Berücksichtigung der Eingriffsnormen eines anderen Mitgliedstaats (dritte Vorlagefrage)

113. Im Vorabentscheidungsersuchen betont das deutsche Gericht, dass die Gesetze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 der Erfüllung der Verpflichtungen der Republik Griechenland dienten, die sich aus den Bestimmungen des AEU-Vertrags zur Wirtschaftspolitik ergäben, insbesondere der in Art. 126 Abs. 1 AEUV aufgestellten Verpflichtung, ein übermäßiges öffentliches Defizit zu vermeiden. Im Zusammenhang mit der Finanzkrise in Griechenland und der Hilfe, die die der Eurozone angehörenden Mitgliedstaaten Griechenland gewährt hätten, sei diese Verpflichtung durch den Beschluss 2010/320/EU des Rates der Europäischen Union(45) konkretisiert worden. Dieser Beschluss sehe vor, dass Griechenland eine Reihe von Maßnahmen ergreife, um das übermäßige Defizit zu beenden.

114. Im Zusammenhang damit ist zu erwägen, ob der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten es gebietet, dass den angeführten griechischen Gesetzen Wirkung verliehen wird.

115. Ich möchte betonen, dass der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ohne Zweifel einer der fundamentalen strukturellen Grundsätze des Unionsrechts ist.

116. Bei der Anwendung dieses Grundsatzes muss aber sein Anwendungsbereich beachtet werden. Dieser Grundsatz bindet die Organe eines Mitgliedstaats – darunter auch die Gerichte – nur insoweit, als diese Unionsrecht anwenden.

117. Ich möchte anmerken, dass die Anwendung der Rom‑I-Verordnung sich darin erschöpft, das Recht aufzuzeigen, dem der betreffende Vertrag unterliegt. In der Sache wird über den Streitgegenstand nicht mehr auf der Grundlage der Rom‑I-Verordnung entschieden, sondern unter Zugrundelegung des anwendbaren Rechts (lex causae).

118. In dem in Rede stehenden Kontext spielt es meiner Ansicht nach keine Rolle, ob sich das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht nach unionsrechtlichen Kollisionsnormen bestimmt. Für die Beantwortung der dritten Frage ist es mit anderen Worten grundsätzlich ohne Bedeutung, ob sich die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf diesen Vertrag aus der Rom‑I-Verordnung ergibt oder aus deutschen Kollisionsnormen, die das Übereinkommen von Rom umsetzen.

119. Das vorlegende Gericht entscheidet über einen Rechtsstreit in Bezug auf einen Arbeitsvertrag, auf den deutsches Recht Anwendung findet.

120. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass das Unionsrecht Teil der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist. Wenn also das Gericht eines Mitgliedstaats über einen Rechtsstreit entscheidet, kommen Eingriffsnormen, die ihren Ursprung im Unionsrecht haben, auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung zur Anwendung(46). Diese Normen gehören nämlich zum Rechtssystem des Orts des angerufenen Gerichts (lex fori)(47).

121. Auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Ausgangsverfahren und der Anwendung von Unionsrecht deutet vor allem die Problematik der Berücksichtigung der griechischen Gesetze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 hin.

122. In erster Linie möchte ich betonen, dass der Beschluss 2010/320 – zu dessen Umsetzung die beiden griechischen Gesetze erlassen wurden – an Griechenland gerichtet ist und nicht an Deutschland. Er kann daher keinem deutschen Gericht gegenüber anordnen – auch nicht im Licht von Art. 4 Abs. 3 EUV –, von der Anwendung deutschen Rechts, dem das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis unterliegt, abzusehen.

123. Zweitens ergibt sich, wie die Kommission zutreffend betont, eine Pflicht, die Entgelte der Arbeitnehmer des öffentlichen Sektors zu kürzen, mit Ausnahme einiger Sonderzahlungen(48) nicht unmittelbar aus dem Beschluss 2010/320.

124. Drittens stehen, wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, die Bestimmungen des deutschen Arbeitsrechts der Kürzung der Entgelte der Arbeitnehmer, die in öffentlichen griechischen Einrichtungen in Deutschland beschäftigt werden, nicht im Wege; sie erfordern lediglich, dass der Arbeitgeber gewisse Anforderungen an die Änderung des Arbeitsvertrags oder die Änderungskündigung einhält.

125. Angesichts dessen bin ich der Ansicht, dass man dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit – wie ihn Art. 4 Abs. 3 EUV aufstellt – nicht die Pflicht entnehmen kann, Bestimmungen eines anderen Mitgliedstaats Wirkung zu verleihen, selbst dann nicht, wenn sie dazu dienen, die Verpflichtungen dieses Staates gegenüber der Union zu erfüllen. Dies betrifft sowohl den Fall, in dem das Gericht die Berücksichtigung dieser Bestimmungen als tatsächliche Umstände im Rahmen der Anwendung der lex causae erwägt, als auch den Fall der Anwendung von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung durch das Gericht.

126. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 3 a. E. der Rom‑I-Verordnung ausdrücklich vorsieht, dass bei der Entscheidung, ob solchen Normen Wirkung zu verleihen ist, Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt werden, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden. Meiner Auffassung nach bedeutet dies, dass das Gericht bei der Entscheidung, ob diesen Normen gemäß Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung Wirkung zu verleihen ist, den Umstand berücksichtigen muss, dass diese Normen von einem anderen Mitgliedstaat erlassen wurden, um die Verpflichtungen zu erfüllen, die aus der Unionsmitgliedschaft erwachsen. Dies greift jedoch der abschließenden Entscheidung, die das angerufene Gericht in dieser Hinsicht zu treffen hat, nicht vor.

 Ergebnis

127. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Bundesarbeitsgerichts wie folgt zu beantworten:

1.      Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Sinne von Art. 28 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) ist nach dem Recht zu beurteilen, dem der Vertrag unterläge, wenn diese Verordnung Anwendung fände.

2.      Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung schließt die mittelbare materiell-rechtliche Berücksichtigung der Eingriffsnormen eines Drittstaats nicht aus, wenn das Recht des Staates, dem der Vertrag unterliegt, dies zulässt.

3.      Im Licht der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit muss das Gericht eines Mitgliedstaats bei der Entscheidung darüber, ob es fremden Eingriffsnormen gemäß Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung Wirkung verleiht, den Umstand berücksichtigen, dass diese Normen durch einen anderen Mitgliedstaat erlassen wurden, um die aus der Unionsmitgliedschaft erwachsenden Pflichten zu erfüllen. Dies greift jedoch der abschließenden Entscheidung, die das angerufene Gericht in dieser Hinsicht zu treffen hat, nicht vor.


1 – Originalsprache: Polnisch.


2 –       ABl. L 266, S. 1 (im Folgenden: Übereinkommen von Rom).


3 – ABl. L 177, S. 6, Berichtigung ABl. 2009, L 309, S. 87 (im Folgenden: Rom‑I-Verordnung).


4 – Gesetz Nr. 3833/2010 über dringende Maßnahmen zur Bewältigung der Krise der Staatsfinanzen (Amtsblatt der Hellenischen Republik, Teil I, Blatt Nr. 40 vom 15. März 2010) und Gesetz Nr. 3845/2010 über Maßnahmen für die Anwendung des Stützungsmechanismus für die griechische Wirtschaft von Seiten der Mitgliedsländer der Eurozone und des Internationalen Währungsfonds (Amtsblatt der Hellenischen Republik, Teil I, Blatt Nr. 65 vom 6. Mai 2010).


5 – ABl. 2001, L 12, S. 1, Berichtigungen: ABl. 2001, L 307, S. 28, und ABl. 2010, L 328, S. 36 (im Folgenden: Brüssel-I-Verordnung).


6 – Art. 28 dieser Verordnung bestimmt, dass sie auf Verträge angewandt wird, die ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen werden.


7 – Eine ähnliche Regelung enthält Art. 17 des Übereinkommens von Rom.


8 – Vgl. Urteile Licata/WSA (270/84, EU:C:1986:304, Rn. 31), Pokrzeptowicz-Meyer (C‑162/00, EU:C:2002:57, Rn. 50) sowie Bruno u. a. (C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329, Rn. 53).


9 – Nach dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung würden die neuen Vorschriften auf die künftigen rechtlichen Auswirkungen dieses Vertrags Anwendung finden. Vgl. Urteil Pokrzeptowicz-Meyer (C‑162/00, EU:C:2002:57, Rn. 52).


10 – Vgl. Ancel, M. E., „Le Règlement Rome I à l’épreuve du temps“, in: La justice civile européenne en marche, Douchy-Oudot, M., Guinchard, E. (Hrsg.), Dalloz 2012, S. 60.


11 – Vgl. Calliess, G. P., Hofmann, H., „Article 28, Application in Time“, in: Rome Regulations, Calliess, G. P. (Hrsg.), 2. Aufl., Wolters Kluwer 2015, S. 438.


12 – In diesem Kontext ist auf die Ergebnisse der Studien zum europäischen Privatrecht hinzuweisen, die in akademischen Kreisen betrieben werden. Die Problematik des Vertragsschlusses betreffen z. B. die Art. 4:101 bis 4:110 des Projekts „Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles)“, vgl. Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law(Acquis Principles), Contract II – General Provisions, Delivery of Goods, Package Travel and Payment Services, Sellier, München 2009, S. 181 bis 221. Der Begriff des Vertrags wurde im Zweiten Buch, in Art. II‑1:101 des Projekts „Draft Common Frame of Reference“, definiert, vgl. von Bar, C., Clive, E., und Schulte Nölke, H. (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR) – Outline Edition (prepared by the Study Group on a European Civil Code and the Research Group on Existing EC Private Law [Acquis Group]), Sellier, München 2009, S. 181.


13 – Vgl. den sechsten Erwägungsgrund der Rom‑I-Verordnung.


14 – Die Regierung des Vereinigten Königreichs betont etwa, dass nach englischem Recht eine gesetzliche Vermutung des Fortbestands des Arbeitsvertrags gilt, die Rechtsprechung aber die Feststellung eines erneuten Abschlusses eines solchen Vertrags zulässt, falls der Arbeitgeber einseitig wesentliche Bedingungen ändert.


15 – Dz. U. 1964, Nr. 16, Pos. 94.


16 – Vgl. Gwiazdomorski, J., „Międzyczasowe prawo prywatne“, Nowe Prawo 1962, Nrn. 6 und 7, S. 761.


17 – Vgl. Pietrzykowski, T., „Obowiązywanie i stosowanie prawa cywilnego w czasie“, in: System prawa prywatnego, Band 1, Prawo cywilne – część ogólna, Warszawa, C. H. Beck, Instytut Nauk Prawnych PAN 2012, S. 769.


18 – Gemäß Art. 17 des Übereinkommens von Rom ist dieses Übereinkommen auf Verträge anzuwenden, die geschlossen worden sind, nachdem das Übereinkommen für den betreffenden Staat in Kraft getreten ist – in Bezug auf Deutschland also nach dem 1. April 1991. Aus dem Beschluss des vorlegenden Gerichts geht hervor, dass das dem Streit zugrunde liegende Rechtsverhältnis im Jahr 1996 entstand.


19 – Die Rechtsprechung des Gerichtshofs bezüglich der Vorabentscheidungszuständigkeiten, die er sowohl auf der Grundlage von Art. 267 AEUV als auch der Protokolle zu Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten wahrnimmt, setzt der Änderung eines Vorabentscheidungsersuchens gewisse Grenzen. Eine vom Gerichtshof von Amts wegen vorgenommene Änderung der Vorlagefrage darf nicht dazu führen, dass ihr Wesen geändert wird, da dadurch das Recht der Verfahrensbeteiligten, Erklärungen abzugeben, untergraben würde. Vgl. Urteile Phytheron International (C‑352/95, EU:C:1997:170, Rn. 14) und Leathertex (C‑420/97, EU:C:1999:483, Rn. 22).


20 – In den vorliegenden Schlussanträgen, die in polnischer Sprache verfasst wurden, verwende ich grundsätzlich den Begriff „Eingriffsnormen“. Man verwendet manchmal stattdessen auch den Begriff „zwingende Vorschriften“. Der Begriff der „zwingenden Vorschriften“ darf in dieser Bedeutung aber nicht mit dem Begriff der Bestimmungen verwechselt werden, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann (z. B. Art. 3 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung).


21 – Besonders wichtig in diesem Bereich ist der Beitrag von P. Franceskakis, der den Begriff „lois d’application immédiate“ verwendete, vgl. „Quelques précisions sur les lois d’application immédiate et leurs rapports avec les règles de conflits de lois“, RCDIP 1966, S. 1 ff.


22 – Zum Beispiel Art. 8 des polnischen Gesetzes über das internationale Privatrecht von 2011, Art. 1.11 Abs. 2 des litauischen Zivilgesetzbuchs von 2000, Art. 20 des belgischen Gesetzes über das internationale Privatrecht von 2004, Art. 17 des italienischen Gesetzes über das internationale Privatrecht von 1995, Art. 7 des 10. Buchs des niederländischen Zivilgesetzbuchs von 1992 und §§ 3 und 25 des tschechischen Gesetzes über das internationale Privatrecht von 2012. Was die Staaten außerhalb der Union anbetrifft, so ist vor allem auf die Art. 18 und 19 des schweizerischen Gesetzes über das internationale Privatrecht von 1987 hinzuweisen.


23 – Vgl. von Savigny, F. C., System des heutigen Römischen Rechts. AchterBand, Berlin 1849, 36 I 276.


24 – Vgl. Urteil Arblade u. a. (C‑369/96 und C‑376/96, EU:C:1999:575, Rn. 30); Nuyts, A., „Les lois de police et dispositions impératives dans le Règlement Rome I“, Revue de droit commercial belge, Nr. 6, 2009.


25 – Zu den Arbeiten am Übereinkommen von Rom vgl. Popiołek, W., „Konwencja EWG o prawie właściwym dla zobowiązań“, Państwo i Prawo 9/1982, S. 105 bis 115; Fuchs, B., Statut kontraktowy a przepisy wymuszające swoje zastosowanie, Wydawnictwo Uniwersytetu Śląskiego 2003, S. 126 ff.


26 – Wojewoda, M., „Mandatory Rules in Private International Law“, Maastricht Journal of European and Comparative Law (7) 2000, Nr. 2, S. 212.


27 – Bonomi, A., „Le regime des règles impératives et des lois de police dans le Règlement ‚Rome I‘ sur la loi applicable aux contrats“, in: Bonomi, A., Cashin Ritaine, E. (Hrsg.), Le nouveau règlement européen „Rome I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, Genf 2008, S. 235.


28 – Vgl. Zachariasiewicz, M. A., „Przepisy wymuszające swoje zastosowanie“, in: System prawa prywatnego, Band 20A, Prawo prywatne międzynarodowe, Hrsg.: Pazdan, M., Warszawa, C. H. Beck, Instytut Nauk Prawnych PAN 2014, S. 455.


29 – Diese Kontroversen fanden keine Bestätigung in der Praxis der Anwendung von Art. 7 Abs. 1 in den Staaten, die keinen Vorbehalt gemäß Art. 22 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom erklärt hatten – vgl. Zachariasiewicz, M. A., „Rozwój nauki prawa prywatnego międzynarodowego“, in: System prawa prywatnego, Band 20A, Prawo prywatne międzynarodowe, Hrsg.: Pazdan, M., Warszawa, C. H. Beck, Instytut Nauk Prawnych PAN 2014, S. 81.


30 –      Vgl. zu diesem Thema Hellner, M., „Third Country Overriding Mandatory Rules in the Rome I Regulation: Old Wine in New Bottles?“, Journal of Private International Law, 2009, Nr. 5 (3), S. 451 bis 454; McParland, M., The Rome I Regulation on the Law applicable to contractual obligations, Oxford University Press 2015, S. 697 bis 705.


31 – Siehe Nr. 74 der vorliegenden Schlussanträge.


32 – Vgl. Bonomi, A., Cashin Ritaine, E., a. a. O. (Fn. 27), S. 235.


33 – In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung der englischen Gerichte (z. B. Urteil Foster/Driscoll [1929] 1 KB 470) hinzuweisen, die auf der Annahme beruht, dass eine fehlende Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen in manchen Fällen zu einer Verletzung der auf der „comity of nations“ gestützten öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts führen kann. Vgl. McParland, M., a. a. O. (Fn. 30), S. 711, 715 und 716; Harris, J., „Mandatory Rules and Public policy under the Rome I Regulation“, in: Ferrari, F., Leible, S. (Hrsg.), Rome I Regulation, The Law Applicable to Contractual Obligations in Europe, Sellier, München 2009, S. 298 ff.


34 – So Schmidt-Kessel, M., „Article 9“, in: Ferrari, F. (Hrsg.), Rome I Regulation, Sellier, München 2015, S. 350. Ich bin zudem der Ansicht, dass auch die andere Voraussetzung, die sich aus Art. 9 Abs. 3 ergibt, nämlich die, dass die betreffenden Normen insoweit Anwendung finden, als sie „die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen“, ähnlich weit auszulegen ist. Vgl. Schmidt-Kessel, M., a. a. O.; Harris, J., a. a. O. (Fn. 33), S. 322; Hellner, M., a. a. O. (Fn. 30), S. 461.


35 – Vgl. Nuyts, A., a. a. O. (Fn. 24), S. 563 bis 564.


36 – Ich habe keine Zweifel, dass die Auslegung dieses Begriffs autonom zu erfolgen hat – vgl. Harris, J., a. a. O. (Fn. 33), S. 315; Marazopoulou, V., „Overriding Mandatory Provisions of Article 9 § 3 of the Rome I Regulation“, Revue Hellénique de Droit International 2/2011, S. 787.


37 – Auf den Begriff der charakteristischen Leistung ist z. B. Art. 4 der Rom‑I-Verordnung gestützt, der die Bestimmung des auf den Vertrag anzuwendenden Rechts regelt, soweit die Parteien keine Rechtswahl gemäß Art. 3 dieser Verordnung getroffen haben.


38 – McParland, M., a. a. O. (Fn. 30), S. 706; Hellner, a. a. O. (Fn. 30), S. 466.


39 – So Renner, M., „Rome I Article 9, Overriding Mandatory Provisions“, in: Rome Regulations, a. a. O. (Fn. 11), S. 258, Zachariasiewicz, a. a. O. (Fn. 28), S. 459; Nuyts, A., a. a. O. (Fn. 24), S. 564.


40 – Auf die Möglichkeit der Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen im Rahmen der Anwendung der lex causae wird auch in der polnischen Lehre hingewiesen – vgl. Popiołek, W., Wykonanie zobowiązania umownego a prawo miejsca wykonania: zagadnienia kolizyjnoprawne, Katowice 1989, S. 163 ff.; Mataczyński, M., Przepisy wymuszające swoje zastosowanie w prawie prywatnym międzynarodowym, Zakamycze 2005, S. 181 ff.


41 – Auf der Grundlage der Schuldstatuttheorie. Vgl. dazu Harris, J., a. a. O. (Fn. 33), S. 302.


42 – Vgl. ähnlich Martiny, D., „Art. 9 Rom I-VO“, in: Münchener Kommentar zum BGB, C. H. Beck, 6. Aufl., München 2015, Rn. 114 bis 114b; Remien, O., „Art. 9 ROM I-VO“, in: BGB Kommentar, Prütting, H., Wegen, G., Weinreich, G. (Hrsg.), 2015, Rn. 45. Die Verfasser der angeführten Kommentare weisen allerdings darauf hin, dass in der deutschen Lehre auch eine andere Auffassung vertreten werde, nach der die materiell-rechtliche Berücksichtigung fremder Normen als „Wirkungsverleihung“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 der Rom‑I-Verordnung anzusehen sei, so dass sie auch den sich aus dieser Bestimmung ergebenden Beschränkungen unterliege.


43 – So Renner, M., a. a. O. (Fn. 39), S. 261; Schmidt-Kessel, M., a. a. O. (Fn. 34), S. 353; Marazopoulou, V., a. a. O. (Fn. 36), S. 792.


44 – Siehe Nr. 89 der vorliegenden Schlussanträge.


45 – Beschluss des Rates vom 8. Juni 2010 gerichtet an Griechenland zwecks Ausweitung und Intensivierung der haushaltspolitischen Überwachung und zur Inverzugsetzung Griechenlands mit der Maßgabe, die zur Beendigung des übermäßigen Defizits als notwendig erachteten Maßnahmen zu treffen (ABl. L 145, S. 6).


46 – Schmidt-Kessel, M., a. a. O. (Fn. 34), S. 329; Sánchez Lorenzo, S., „Choice of Law and Overriding Mandatory Rules in International Contracts after Rome I“, Yearbook of Private International Law, Band 12, 2010, S. 78.


47 – Die Rom‑I-Verordnung enthält auch eine Bestimmung, die die Anwendbarkeit des Unionsrechts für den Fall sichert, dass das Recht eines Drittstaats gewählt worden ist (Art. 3 Abs. 4).


48 – Art. 2 Buchst. f sieht vor, dass Griechenland bis Ende Juni 2010 das Oster-, Urlaubs- und Weihnachtsgeld für Beamte kürzt.