SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 22. September 2020(1)
Rechtssache C‑615/19 P
John Dalli
gegen
Europäische Kommission
„Rechtsmittel – Schadensersatzklage – Außervertragliche Haftung – Ersatz des Schadens, der dem Kläger durch das vermeintlich rechtswidrige Verhalten der Kommission und des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden aus dem Amt als Mitglied der Kommission am 16. Oktober 2012 entstanden sein soll“
I. Einleitung
1. Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr John Dalli die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 6. Juni 2019, Dalli/Kommission (T‑399/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2019:384), mit dem das Gericht seine Klage auf Ersatz des Schadens abgewiesen hat, den er durch vermeintlich rechtswidriges Verhalten der Europäischen Kommission und des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden aus dem Amt als Mitglied der Kommission erlitten haben will.
2. Das vorliegende Rechtsmittelverfahren gibt dem Gericht Gelegenheit, sich zu einer Reihe neuer Fragen im Zusammenhang mit den Untersuchungsbefugnissen des OLAF und dem Ablauf dieser Untersuchungen zu äußern. Ferner wird der Gerichtshof bestimmte Aspekte der Rechtsprechung zur Rechtskraft und zum Nachweis des Vorliegens eines immateriellen Schadens zu klären haben.
3. Auf Wunsch des Gerichtshofs werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf die Prüfung des Vorbringens der Kommission zur Unzulässigkeit der Klage vor dem Gericht und auf die Prüfung des ersten Rechtsmittelgrundes, des ersten Teils des dritten Rechtsmittelgrundes und des fünften und siebten Rechtsmittelgrundes beschränken.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Verordnung (EG) Nr. 1073/1999
4. Art. 1 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999(2), die auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar ist(3), bestimmt:
„Das Amt führt in den durch die Verträge oder auf deren Grundlage geschaffenen Organen, Einrichtungen sowie Ämtern und Agenturen (im Folgenden ‚Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen‘ genannt) administrative Untersuchungen durch, die dazu dienen,
– Betrug, Korruption und sonstige rechtswidrige Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft zu bekämpfen;
– zu diesem Zweck schwerwiegende Handlungen im Zusammenhang mit der Ausübung der beruflichen Tätigkeit aufzudecken, die eine Verletzung der Verpflichtungen der Beamten und Bediensteten der Gemeinschaften, die disziplinarisch und gegebenenfalls strafrechtlich geahndet werden kann, oder eine Verletzung der analogen Verpflichtungen der Mitglieder der Organe und Einrichtungen, der Leiter der Ämter und Agenturen und der Mitglieder des Personals der Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen, die nicht dem Statut unterliegen, darstellen können.“
5. Die Art. 3 und 4 dieser Verordnung enthalten die für die externen bzw. internen Untersuchungen des OLAF geltenden Bestimmungen.
6. Art. 5 dieser Verordnung bestimmt:
„Die Einleitung externer Untersuchungen wird vom Direktor des Amtes von sich aus oder auf Ersuchen eines betroffenen Mitgliedstaats beschlossen.
Die Einleitung interner Untersuchungen wird vom Direktor des Amtes von sich aus oder auf Ersuchen des Organs, der Einrichtung oder des Amtes oder der Agentur, bei dem bzw. der die Untersuchung durchgeführt werden soll, beschlossen.“
7. Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung stellt klar, dass der Direktor des Amtes die Untersuchungen leitet.
8. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1073/1999 lautet wie folgt:
„Der Direktor trägt dafür Sorge, dass die Bediensteten des Amtes und die anderen unter seiner Verantwortung handelnden Personen die gemeinschaftlichen und die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten einhalten; dies gilt insbesondere für die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr[(4)].“
9. In Art. 11 Abs. 1 und 7 dieser Verordnung heißt es:
„(1) Der Überwachungsausschuss stellt durch die regelmäßige Kontrolle, die er bezüglich der Ausübung der Untersuchungstätigkeit vornimmt, die Unabhängigkeit des Amtes sicher.
Der Überwachungsausschuss gibt von sich aus oder auf Ersuchen des Direktors an diesen gerichtete Stellungnahmen zu den Tätigkeiten des Amtes ab, greift jedoch nicht in den Ablauf der Untersuchungen ein.
…
(7) Der Direktor übermittelt dem Überwachungsausschuss jedes Jahr das Programm der Tätigkeiten des Amtes … Der Direktor unterrichtet den Ausschuss regelmäßig über die Tätigkeiten des Amtes, seine Untersuchungen, deren Ergebnisse und Folgemaßnahmen. Läuft eine Untersuchung seit mehr als neun Monaten, so unterrichtet der Direktor den Überwachungsausschuss von den Gründen, die es noch nicht erlauben, die Untersuchung abzuschließen, sowie von der für ihren Abschluss voraussichtlich notwendigen Frist. Der Direktor unterrichtet den Ausschuss über die Fälle, in denen das betreffende Organ, die betreffende Einrichtung oder das betreffende Amt oder die betreffende Agentur den von ihm abgegebenen Empfehlungen nicht Folge geleistet hat. Der Direktor unterrichtet den Ausschuss über die Fälle, die die Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden eines Mitgliedstaats erfordern.“
10. Art. 14 dieser Verordnung bestimmt:
„In Erwartung der Änderung des Statuts kann jeder Beamte und jeder sonstige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften beim Direktor des Amtes … Beschwerde gegen eine ihn beschwerende Maßnahme einlegen, die das Amt im Rahmen einer internen Untersuchung ergriffen hat. …
Diese Bestimmungen gelten analog für das Personal von Organen, Einrichtungen sowie Ämtern und Agenturen, das nicht dem Statut unterliegt.“
B. Geschäftsordnung des OLAF‑Überwachungsausschusses
11. Art. 13 Abs. 5 der Geschäftsordnung des OLAF‑Überwachungsausschusses(5) (im Folgenden: Geschäftsordnung) bestimmt:
„Fälle, bei denen Informationen an die Justizbehörden eines Mitgliedstaats weiterzuleiten sind, werden anhand der vom Generaldirektor des OLAF übermittelten Angaben sowie entsprechend der [Verordnung Nr. 1073/1999] geprüft. Auch die Folgemaßnahmen werden auf dieser Grundlage ergriffen.
Der Ausschuss beantragt vor der Weiterleitung der Informationen Einsichtnahme in die betreffenden Untersuchungsunterlagen, um die Einhaltung der Grundrechte und der Verfahrensgarantien zu prüfen. Nachdem dem Sekretariat innerhalb einer für die Erfüllung dieser Aufgabe angemessenen Frist Einsichtnahme in die Unterlagen gewährt wurde, bereiten die für die Prüfung der jeweiligen Fälle ernannten Berichterstatter die Vorlage für die Plenarsitzung des Ausschusses vor. Der zuständige OLAF‑Bedienstete kann zu dieser Sitzung eingeladen werden, damit er umfassend informiert ist.
Der Ausschuss ernennt Berichterstatter für die Prüfung dieser Untersuchungen und gibt gegebenenfalls eine Stellungnahme ab.“
III. Vorgeschichte des Rechtsstreites
12. Die Vorgeschichte des Rechtsstreits, wie sie in den Rn. 1 bis 16 des angefochtenen Urteils dargestellt ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen.
13. Mit Beschluss 2010/80/EU(6) wurde Herr Dalli für den Zeitraum vom 10. Februar 2010 bis zum 31. Oktober 2014 zum Mitglied der Kommission ernannt. Ihm wurde vom Präsidenten der Kommission das Ressort Gesundheit und Verbraucherschutz übertragen.
14. Nachdem bei der Kommission am 21. Mai 2012 eine Beschwerde der Gesellschaft Swedish Match eingegangen war, die Behauptungen über das Verhalten von Herrn Dalli enthielt, leitete das OLAF am 25. Mai 2012 eine Untersuchung ein.
15. Herr Dalli wurde am 16. Juli und 15. Oktober 2012 vom OLAF angehört.
16. Am 15. Oktober 2012 wurde der Bericht des OLAF der Generalsekretärin der Kommission zu Händen des Präsidenten dieses Organs übermittelt. Diesem Bericht war ein vom Direktor des OLAF unterzeichnetes Schreiben beigefügt, das die wichtigsten Schlussfolgerungen der Untersuchung zusammenfasste und mit dem der Präsident der Kommission darüber unterrichtet wurde, dass ihm die Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Erlass etwaiger Maßnahmen im Rahmen des Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder (K[2011] 2904) zur Kenntnis gebracht würden.
17. Am 16. Oktober 2012 traf sich Herr Dalli mit dem Präsidenten der Kommission. Später am selben Tag informierte dieser den Premierminister der Republik Malta sowie die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union über den Rücktritt von Herrn Dalli. Ferner veröffentlichte die Kommission eine Pressemitteilung, in der sie diesen Rücktritt bekannt gab.
18. Mit Klageschrift, die am 24. Dezember 2012 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Herr Dalli Klage auf Nichtigerklärung der „mündlichen Entscheidung des Präsidenten der Kommission vom 16. Oktober 2012 über [sein] Ausscheiden … aus dem Amt mit sofortiger Wirkung“ und auf Ersatz des ihm entstandenen immateriellen Schadens in Höhe eines symbolischen Betrags von 1 Euro sowie auf Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von vorläufig 1 913 396 Euro.
19. Diese Klage wurde mit Urteil des Gerichts vom 12. Mai 2015, Dalli/Kommission (T‑562/12, im Folgenden: Urteil Dalli/Kommission, EU:T:2015:270), abgewiesen.
20. Was zum einen den Nichtigkeitsantrag betrifft, stellte das Gericht fest, dass der Kläger seinen Rücktritt freiwillig erklärt habe, ohne vom Präsidenten der Kommission dazu im Sinne von Art. 17 Abs. 6 EUV aufgefordert worden zu sein. Da nicht erwiesen sei, dass es diese Aufforderung – die vom Kläger angefochtene Handlung – tatsächlich gegeben habe, war die Nichtigkeitsklage nach Auffassung des Gerichts als unzulässig zurückzuweisen. Das Gericht befand auch, dass selbst dann, wenn unterstellt würde, dass der Kläger im Rahmen der Klage die Rechtmäßigkeit seines Rücktritts mit der Begründung in Frage stellen könne, dass dieser mit einem Zustimmungsmangel behaftet sei, das Vorliegen eines solchen Mangels jedenfalls nicht dargetan worden sei.
21. Was zum anderen den Schadensersatzantrag betrifft, befand das Gericht, wegen seiner Feststellung, dass die im Rahmen des Nichtigkeitsantrags in Frage gestellten Handlungen der Kommission nicht erwiesen seien, lasse sich gegenüber diesem Organ insoweit keine diesbezügliche Rechtsverletzung und erst recht kein qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm feststellen. Bezüglich des im Rahmen des Nichtigkeitsantrags hilfsweise behaupteten Zustimmungsmangels stellte das Gericht fest, dieser sei nicht dargetan worden. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass das Vorbringen zu einem Fehlverhalten der Kommission oder ihres Präsidenten nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen sei. Es wies den Schadensersatzantrag daher als unbegründet ab.
22. Gegen dieses Urteil des Gerichts legte Herr Dalli am 21. Juni 2015 ein Rechtsmittel ein, das mit Beschluss vom 14. April 2016, Dalli/Kommission(7), zurückgewiesen wurde.
IV. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
23. Mit Klageschrift, die am 28. Juni 2017 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Herr Dalli eine Klage, mit der er beantragte, die Kommission zu verurteilen, an ihn einen vorläufig auf 1 000 000 Euro bezifferten Betrag als Ersatz für den erlittenen Schaden, insbesondere den immateriellen Schaden, zu zahlen, der ihm durch das rechtswidrige Verhalten der Kommission und des OLAF im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden aus dem Amt als Mitglied der Kommission am 16. Oktober 2012 entstanden sei.
24. Zur Stützung dieser Klage erhob Herr Dalli sieben die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des OLAF betreffende Rügen, mit denen er erstens die Rechtswidrigkeit der Entscheidung, die Untersuchung einzuleiten, zweitens Fehler bei der Beschreibung der Untersuchung und der Ausweitung ihres Umfangs, drittens eine Verletzung der Grundsätze der Beweiserhebung sowie eine Verfälschung und Fälschung von Beweismitteln, viertens eine Verletzung der Verteidigungsrechte sowie des Art. 4 des Beschlusses 1999/396/EG(8) und des Art. 18 der OLAF‑internen Dienstanweisungen für Untersuchungsverfahren (im Folgenden: OLAF‑interne Dienstanweisungen), fünftens einen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1073/1999 und gegen Art. 13 Abs. 5 der Geschäftsordnung, sechstens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung, gegen Art. 8 der Verordnung Nr. 1073/1999, gegen Art. 339 AEUV und gegen das Recht auf Schutz personenbezogener Daten sowie siebtens einen Verstoß gegen Art. 4 der Verordnung Nr. 1073/1999, gegen Art. 4 des Beschlusses 1999/396 und gegen das Protokoll der Vereinbarung über einen Verhaltenskodex zur Gewährleistung eines rechtzeitigen Informationsaustauschs zwischen OLAF und der Kommission bei internen Untersuchungen des OLAF innerhalb der Kommission geltend machte. Darüber hinaus erhob Herr Dalli zwei Rügen in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Kommission.
25. Mit gesondertem Schriftsatz, der am 13. September 2017 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit.
26. Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht diese Einrede der Unzulässigkeit zurück und die Klage von Herrn Dalli als unbegründet ab.
27. Das Gericht stellte zunächst fest, dass die rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem behaupteten rechtswidrigen Verhalten des OLAF und der Kommission im Urteil Dalli/Kommission nicht geprüft worden seien und dieses Urteil daher insoweit keine Rechtskraft entfalte.
28. Sodann wies es alle von Herrn Dalli gegenüber dem OLAF und der Kommission erhobenen Rügen zurück.
29. Schließlich stellte es der Vollständigkeit halber fest, dass Herr Dalli weder einen hinreichend direkten Kausalzusammenhang zwischen dem beanstandeten Verhalten und dem behaupteten Schaden noch das Vorliegen dieses Schadens nachgewiesen habe.
V. Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof
30. Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Dalli,
– das angefochtene Urteil aufzuheben;
– den Ersatz des ihm entstandenen Schadens, insbesondere des immateriellen Schadens, der vorläufig auf 1 000 000 Euro geschätzt werden könne, anzuordnen;
– der Kommission die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen.
31. Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und Herrn Dalli die Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof und dem Gericht aufzuerlegen.
32. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.
VI. Würdigung
A. Zur Unzulässigkeit der Klage vor dem Gericht
33. Die Kommission macht in ihrer Rechtsmittelbeantwortung geltend, sie hege Zweifel an der Richtigkeit der Erwägung des Gerichts, die es dazu veranlasst habe, die vor ihm von der Kommission erhobene und auf die Rechtskraft des Urteils Dalli/Kommission gestützte Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen.
34. Vorab ist klarzustellen, dass die Kommission zwar kein Anschlussrechtsmittel eingelegt hat, um die Zulässigkeit der Klage vor dem Gericht in Frage zu stellen, die auf die Rechtskraft gestützten Unzulässigkeitsgründe aber einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts darstellen, den die Gerichte der Union von Amts wegen zu berücksichtigen haben(9). Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob das Gericht zu Recht entschieden hat, dass die bei ihm eingereichte Klage zulässig gewesen sei, weil ihr die Rechtskraft des Urteils Dalli/Kommission nicht entgegenstehe.
35. Nachdem das Gericht auf die Bedeutung hingewiesen hatte, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Rechtsordnung der Union als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt(10), führte es aus, dass der Grundsatz der Rechtskraft der Zulässigkeit einer Klage entgegenstehen kann, wenn die Klage, die zu dem fraglichen Urteil geführt hat, dieselben Parteien und denselben Gegenstand betraf und auf denselben Grund gestützt war(11). Es wies darauf hin, dass der Gegenstand einer Klage den Anträgen des Betroffenen entspricht, während der Klagegrund der rechtlichen und tatsächlichen Grundlage der geltend gemachten Ansprüche entspricht(12). Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen hinsichtlich der Identität der Parteien und des Streitgegenstands zwischen der Klage, die dem Urteil Dalli/Kommission zugrunde lag, und der bei ihm eingereichten Klage erfüllt seien(13).
36. Was indes die Voraussetzung der Identität des Klagegrundes der beiden Klagen betrifft, hat das Gericht darauf hingewiesen, dass der Kläger mit seiner ersten Klage geltend gemacht hatte, dass die im Rahmen des Nichtigkeitsantrags geltend gemachten Rechtsverletzungen einen qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm darstellten, die bezwecke, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Allerdings hat das Gericht auch darauf hingewiesen, dass es im Urteil Dalli/Kommission festgestellt habe, dass die Existenz der im Rahmen des Nichtigkeitsantrags beanstandeten Handlungen nicht erwiesen sei, so dass keine Rechtsverletzung vorliege, die eine Haftung der Union auslösen könne(14). Unter diesen Umständen führte das Gericht aus, dass es im Urteil Dalli/Kommission nicht über das behauptete Fehlverhalten der Kommission und des OLAF befunden, sondern lediglich festgestellt habe, dass die angefochtene Entscheidung nicht existiere(15).
37. Das Gericht präzisierte, die Rechtskraft erstrecke sich lediglich auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gewesen seien(16). Da das Gericht das behauptete Fehlverhalten der Kommission und des OLAF im Rahmen des ersten Klageverfahrens nicht geprüft habe, stellte es fest, dass diese Tatsachen- und Rechtsfragen durch das Urteil Dalli/Kommission nicht tatsächlich oder notwendigerweise geklärt worden seien, so dass dieses Urteil insoweit keine Rechtskraft entfalte.
38. Das Gericht hielt es daher nicht für erforderlich, zu prüfen, ob der Klagegrund der beiden Klagen identisch sei.
39. In ihrer Rechtsmittelbeantwortung hat die Kommission geltend gemacht, auf den Umstand, dass das Gericht die im Zusammenhang mit dem Verhalten der Kommission und des OLAF gestellten Schadenersatzanträge nicht geprüft habe, komme es nicht an. Sie hat die Auffassung vertreten, im Urteil Dalli/Kommission sei über diese Anträge bereits tatsächlich oder notwendigerweise entschieden worden, weil sie darin mit der Begründung, das Vorbringen hierzu sei „nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen“, als „unbegründet“ zurückgewiesen worden seien(17). Die zweite vor dem Gericht erhobene Klage ziele lediglich darauf ab, eine von den Unionsgerichten bereits beigelegte Streitigkeit wieder aufleben zu lassen, was nach dem Grundsatz der Rechtskraft nicht zulässig sei.
40. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Argumentation des Gerichts im angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellt werden kann. Das Gericht hat zu Recht festgestellt, dass die Abweisung des im Rahmen der ersten Klage gestellten Schadensersatzantrags ausschließlich auf das Nichtvorhandensein der streitigen Handlungen gestützt war. Das bedeutet notwendigerweise, dass eine Prüfung des vom Kläger behaupteten Fehlverhaltens der Kommission nicht notwendig war und daher nicht stattgefunden hat. Die diesen Behauptungen zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte können daher nicht als durch das genannte Urteil tatsächlich oder notwendigerweise geklärt angesehen werden und unter diesen Umständen keine Rechtskraft entfalten.
41. Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen der Kommission in Frage gestellt, die Feststellung des Gerichts in seinem Urteil Dalli/Kommission, die Behauptungen des Klägers seien „nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen“, bedeute zugleich, dass durch dieses Urteil notwendigerweise über diese Behauptungen entschieden worden sei. Das Gericht habe mit anderen Worten über die diesen Behauptungen zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte implizit entschieden.
42. Diese Lösung würde im Unionsrecht den Weg zu einer unangemessenen Erweiterung der Rechtskraft auf implizit getroffene Entscheidungen eröffnen, was mir nicht wünschenswert erscheint(18). Darüber hinaus halte ich eine solche Erweiterung im vorliegenden Fall für nicht anwendbar, weil sich nicht vertreten lässt, dass ein Urteil eine tatsächliche oder rechtliche Frage implizit geklärt habe, obwohl aus diesem Urteil klar hervorgeht, dass diese Frage nicht einmal geprüft wurde.
43. Unter diesen Umständen kann das Urteil Dalli/Kommission in Bezug auf Behauptungen, die das Gericht in diesem Urteil nicht geprüft hat, keine Rechtskraft entfalten.
44. Meines Erachtens hat das Gericht daher keinen Rechtsfehler begangen, als es die Klage für zulässig befand.
B. Erster Rechtsmittelgrund
1. Erster Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
45. Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes wendet sich der Rechtsmittelführer gegen die Feststellung des Gerichts, dass weder Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1073/1999 noch Art. 5 der OLAF‑internen Dienstanweisungen Rechtsnormen seien, die einem Einzelnen Rechte verliehen(19).
46. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die außervertragliche Haftung der Union für rechtswidriges Verhalten ihrer Organe vom Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen abhängt, u. a. der Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des dem Organ vorgeworfenen Verhaltens(20). Diese Voraussetzung erfordert einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen(21). Es ist daher zu prüfen, ob das Gericht zu Recht festgestellt hat, dass die geltend gemachten Vorschriften dem Einzelnen keine Rechte verleihen, so dass die auf diese Vorschriften gestützte Schadensersatzklage unbegründet war.
47. In Bezug auf Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1073/1999 hat das Gericht festgestellt, dass sich diese Bestimmung darauf beschränke, die Ziele und Aufgaben des OLAF im Rahmen administrativer Untersuchungen festzulegen, und daher dem Einzelnen keine Rechte verleihe. Der Rechtsmittelführer macht geltend, diese Bestimmung beschränke die Befugnisse des OLAF und erlaube ihm die Einleitung einer Untersuchung nur, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt seien, nämlich dass „schwerwiegende Handlungen“ und „hinreichend ernsthafte Verdachtsmomente“ vorlägen. Da diese beiden Voraussetzungen der betroffenen Person die Garantie böten, dass eine erste Beurteilung des Falles vorgenommen worden sei, verleihe die betreffende Bestimmung einem Einzelnen Rechte.
48. Einem solchen Vorbringen kann meines Erachtens nicht gefolgt werden. Zum einen ergibt sich sowohl aus dem Inhalt als auch aus der Überschrift von Art. 1 der Verordnung Nr. 1073/1999, dass diese Bestimmung nur dazu dient, allgemein die vom OLAF mit der Durchführung seiner Untersuchungen verfolgten Ziele und die ihm zu diesem Zweck übertragenen Aufgaben zu nennen. Auch aus der Struktur der Verordnung Nr. 1073/1999 geht hervor, dass Art. 1 Abs. 3 dieser Verordnung weder die Modalitäten der Untersuchungen des OLAF noch die Rechtsstellung der von diesen Untersuchungen betroffenen Personen regeln soll, weil Bestimmungen dieser Art im Wesentlichen in den nachfolgenden Artikeln dieser Verordnung enthalten sind, die die Art und Weise, wie die Untersuchungen des OLAF durchzuführen sind, in praktischer Hinsicht regeln. Der Hauptzweck von Art. 1 Abs. 3 dieser Verordnung besteht nicht darin, selbst eine Form des Schutzes der Interessen Einzelner zu gewähren, sondern die Rolle des OLAF bei der Durchführung seiner Untersuchungen zu definieren.
49. Zum anderen ist dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1073/1999 entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers nichts zu entnehmen, was für die Einleitung einer Untersuchung durch das OLAF zwei kumulative Voraussetzungen erfordern würde, nämlich das Vorliegen „schwerwiegender Handlungen“ und „hinreichend ernsthafter Verdachtsmomente“, zumal Letztere in dieser Bestimmung nicht einmal erwähnt werden.
50. Abgesehen davon ergibt sich dieses Erfordernis hinreichend ernsthafter Verdachtsmomente als Vorbedingung für die Einleitung einer administrativen Untersuchung durch das OLAF zwar aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach „die Entscheidung des Direktors des OLAF über die Einleitung einer Untersuchung … nicht ohne hinreichend ernsthafte Verdachtsmomente … ergehen [kann]“(22), aber diese Voraussetzung steht nicht im Zusammenhang mit der allgemeinen Bestimmung des Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1073/1999 und den Zielen und Aufgaben des OLAF. Das Erfordernis des Vorliegens hinreichend ernsthafter Verdachtsmomente muss mit der spezifischen Bestimmung über die Einleitung von Untersuchungen durch das OLAF, d. h. mit Art. 5 der Verordnung Nr. 1073/1999, verknüpft werden(23).
51. Daher bin ich der Ansicht, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es entschied, dass Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1073/1999 keine Rechtsnorm ist, die dem Einzelnen Rechte verleihen soll.
52. In Bezug auf Art. 5 der OLAF‑internen Dienstanweisungen hat das Gericht festgestellt, dass es sich dabei um interne Vorschriften des OLAF handele, die sicherstellen sollten, dass die Untersuchungen des OLAF folgerichtig und kohärent durchgeführt werden. Nach Auffassung des Gerichts beschreibt diese Bestimmung das Verfahren für die Auswahl der Fälle und verleiht für sich allein genommen dem Einzelnen keine Rechte. Der Rechtsmittelführer macht geltend, der interne Charakter einer Vorschrift bedeute nicht, dass es sich nicht um eine Vorschrift handeln könne, die einem Einzelnen Rechte verleihe. Seiner Ansicht nach legt Art. 5 der internen Dienstanweisungen dem OLAF eine Reihe von Bedingungen auf, wenn es die Informationen im Hinblick auf die mögliche Einleitung einer Untersuchung bewertet. Diese Bedingungen, die Pflichten des OLAF begründeten, würden der von der Untersuchung betroffenen Person Rechte verleihen.
53. Das Vorbringen des Rechtsmittelführers zu Art. 5 der OLAF‑internen Dienstanweisungen überzeugt mich nicht. Entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers hat sich das Gericht nicht ausschließlich auf den organinternen Charakter der OLAF‑internen Dienstanweisungen gestützt, um auszuschließen, dass diese dem Einzelnen Rechte verleihen könnten, sondern hat auch den Inhalt der vom Rechtsmittelführer herangezogenen Regelung geprüft. Eine solche Betrachtung halte ich für rechtlich zutreffend.
54. Der organinterne Charakter einer Regelung ist meiner Ansicht nach ein Hinweis darauf, dass sie dem Einzelnen keine Rechte verleiht. Eine organinterne Regelung richtet sich nämlich in erster Linie an die Bediensteten dieses Organs, um dessen bestmögliche Tätigkeit sicherzustellen, und entfaltet daher grundsätzlich keine Wirkung außerhalb dieses Organs.
55. Meines Erachtens muss ein solcher Hinweis aber durch eine genauere Analyse des Inhalts der fraglichen Bestimmung, wie sie das Gericht im angefochtenen Urteil zu Recht vorgenommen hat, untermauert werden(24). So hat das Gericht festgestellt, dass Art. 5 der OLAF‑internen Dienstanweisungen das Verfahren zur Auswahl der einzuleitenden Untersuchungen und insbesondere die Erstellung der Stellungnahme zu der Frage betrifft, ob eine Untersuchung eingeleitet werden soll oder nicht. Diese Bestimmung legt daher die Kriterien fest, die das Gremium zu diesem Zweck berücksichtigt, sowie die Frist, in der die Stellungnahme abzugeben ist. Der Hauptzweck dieser Bestimmung besteht mit anderen Worten darin, die Bediensteten des OLAF anzuleiten, bestimmten Fällen Priorität einräumen und, wie die Kommission hervorhebt, eine effiziente Nutzung der Ressourcen des OLAF zu ermöglichen. Diese Bestimmung verfolgt daher nicht den Zweck, den betroffenen Personen Verfahrensgarantien zu bieten, und verleiht ihnen folglich meines Erachtens keine subjektiven Rechte, die Grundlage einer Schadensersatzklage sein können.
56. Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es entschied, dass weder Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1073/1999 noch Art. 5 der OLAF‑internen Dienstanweisungen Regeln sind, die dem Einzelnen Rechte verleihen sollen.
57. Folglich ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
2. Zweiter Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
58. Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer mit verschiedenen Argumenten geltend, dass das Gericht den Sachverhalt verfälscht, gegen die Begründungspflicht verstoßen und einen Rechtsfehler begangen habe, als es das Vorbringen zu einer Verletzung der Sorgfaltspflicht durch das OLAF zurückgewiesen habe.
a) Zur Verfälschung des Sachverhalts
59. Der Rechtsmittelführer macht geltend, das Gericht habe den Sachverhalt verfälscht, indem es den Zeitraum zwischen der Übermittlung der Beschwerde an den Direktor des OLAF und der Entscheidung über die Einleitung der Untersuchung als „sehr kurz“ bezeichnet habe, obwohl dazwischen nur wenige Stunden verstrichen seien.
60. Ein solches Vorbringen halte ich nicht für stichhaltig, weil ein Zeitraum von wenigen Stunden zu Recht als „sehr kurz“ bezeichnet werden kann. Insoweit kann dem Gericht daher keine Verfälschung des Sachverhalts vorgeworfen werden.
b) Zum Verstoß gegen die Begründungspflicht
61. Der Rechtsmittelführer macht geltend, entgegen den Feststellungen des Gerichts habe das Referat „Fallauswahl und Überprüfung“ keine Prüfung der Beschwerde durchgeführt und hierzu keine zusätzlichen Informationen eingeholt.
62. Dazu ist festzustellen, dass diese Behauptung vom Gericht getroffene Tatsachenfeststellungen betrifft. Die Würdigung der Tatsachen und Beweise ist aber vorbehaltlich ihrer Verfälschung keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle durch den Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren unterliegt(25). Da der Rechtsmittelführer in dieser Hinsicht keine Verfälschung des Sachverhalts durch das Gericht geltend macht, bin ich der Auffassung, dass dieses Vorbringen als unzulässig zurückzuweisen ist.
63. Zur Stützung dieses zweiten Arguments weist der Rechtsmittelführer ferner darauf hin, dass das Gericht seine Begründungspflicht verletzt habe, indem es das Vorbringen zurückgewiesen habe, dass das OLAF die erforderliche Bewertung der erhaltenen Informationen nicht vorgenommen habe, ohne zu erläutern, warum die Beurteilung des Überwachungsausschusses nicht berücksichtigt worden sei.
64. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Gericht aber nicht verpflichtet, auf jedes einzelne von den Parteien vor ihm geltend gemachte Argument erschöpfend einzugehen(26). Genauer gesagt ist das Gericht nicht verpflichtet, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln, sofern die Begründung es den Betroffenen ermöglicht, zu erfahren, warum ihrem Vorbringen nicht gefolgt worden ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben an die Hand gibt, damit er seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann(27).
65. Das ist hier jedoch der Fall. Das Gericht hat das vor ihm vorgebrachte Argument, das OLAF habe die erforderliche Bewertung der erhaltenen Informationen nicht vorgenommen, nämlich zurückgewiesen, indem es zum einen darauf hingewiesen hat, dass eine solche Bewertung nicht mit der Prüfung verwechselt werden dürfe, die nach der Einleitung der Untersuchung in deren Rahmen vorzunehmen sei, und zum anderen, dass das OLAF diese Bewertung auf der Grundlage der ihm vorgelegten tatsächlichen Gesichtspunkte sehr wohl vorgenommen habe.
66. Unter diesen Umständen kann dem Gericht nicht vorgehalten werden, seine Entscheidung nicht begründet zu haben, so dass dieses Vorbringen zurückzuweisen ist.
c) Zum Rechtsfehler
67. Der Rechtsmittelführer macht geltend, das Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass das OLAF seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt habe, weil es die in der Beschwerde enthaltenen Gesichtspunkte ordnungsgemäß und hinreichend geprüft habe, bevor es die gegen den Rechtsmittelführer gerichtete Untersuchung eingeleitet habe. In diesem Zusammenhang trägt er verschiedene Argumente vor.
68. Erstens habe das Gericht entschieden, dass das OLAF im Rahmen des Verfahrens für die Auswahl seiner Ermittlungen prüfen müsse, ob die ihm zur Verfügung stehenden Informationen ausreichend seien, ohne dass dies jedoch eine eingehende Prüfung dieser Informationen erfordere, weil diese Gesichtspunkte erst am Ende der Untersuchung untersucht oder festgestellt werden müssten(28). Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es die fraglichen Gesichtspunkte nicht genau bestimmt und nicht erläutert habe, warum sie nicht schon im Stadium des Auswahlverfahrens hätten beurteilt werden können.
69. Diesem Argument kann meines Erachtens nicht gefolgt werden. Der Rechtsmittelführer war durchaus in der Lage, die in Rede stehenden tatsächlichen Umstände zu identifizieren, weil er sein Rechtsmittelvorbringen teilweise auf die fehlerhafte Beurteilung dieser Umstände durch das Gericht stützt. Darüber hinaus bin ich mit der Kommission der Auffassung, dass das Vorbringen, das Gericht habe nicht erläutert, warum diese Gesichtspunkte nicht im Stadium des Auswahlverfahrens, sondern erst im Rahmen der Untersuchung eingehend hätten geprüft werden müssen, in Wirklichkeit darauf abzielt, die vom Gericht vorgenommenen Tatsachenwürdigungen in Frage zu stellen. Da ein solches Vorbringen – vorbehaltlich der Verfälschung des Sachverhalts – keine Rechtsfrage darstellt, die als solche der Überprüfung durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt, ist es als unzulässig zurückzuweisen.
70. Zweitens habe das Gericht rechtsfehlerhaft befunden, dass das OLAF eine Untersuchung auf der Grundlage von in einer Beschwerde enthaltenen Informationen einleiten könne, ohne Überprüfungen zur Feststellung der Glaubhaftigkeit dieser Informationen vorzunehmen, sofern diese Informationen präzise und detailliert seien. Der Rechtsmittelführer ist der Ansicht, dass das OLAF wegen des Grundsatzes der Sorgfalt die Zuverlässigkeit und Glaubhaftigkeit der Vorwürfe sorgfältig und unparteiisch prüfen müsse und dass die Tatsache, dass die Informationen präzise und detailliert gewesen seien, nicht ausreichen könne, um ihre Zuverlässigkeit und Glaubhaftigkeit zu belegen.
71. In dieser Hinsicht trifft es zwar zu, dass die Verordnung Nr. 1073/1999 keine besonderen Voraussetzungen für die Einleitung einer Untersuchung vorsieht, aber ich weise darauf hin, dass das OLAF nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Untersuchung nicht ohne hinreichend ernsthafte Verdachtsmomente einleiten darf(29). Das OLAF verfügt daher bei der Entscheidung über die Einleitung einer Untersuchung nicht über ein Ermessen, sondern vielmehr über einen Beurteilungsspielraum, der durch die Voraussetzung des Vorliegens hinreichend ernsthafter Verdachtsmomente begrenzt ist. Eine an das OLAF übermittelte Beschwerde darf mit anderen Worten nicht automatisch zur Einleitung einer Untersuchung führen, weil sich das OLAF zuvor vergewissern muss, dass die ihm vorgetragenen Vorwürfe hinreichend ernsthaft sind.
72. Es bleibt daher zu prüfen, ob ein solches Erfordernis bedeutet, dass das OLAF die in einer Beschwerde enthaltenen Informationen systematisch überprüfen muss, oder ob, wie das Gericht ausgeführt hat, die in der Beschwerde enthaltenen Informationen unter bestimmten Umständen ausreichen können, um die hinreichende Ernsthaftigkeit des Verdachts zu belegen und somit die Einleitung einer Untersuchung zu rechtfertigen.
73. Meines Erachtens ist der letztgenannten Auffassung zu folgen. Ich bin der Ansicht, dass eine auf präzise und detaillierte Informationen gestützte Beschwerde, wie sie das Gericht festgestellt hat, ausreicht, um einen hinreichend ernsthaften Verdacht zu begründen und somit die Einleitung einer Untersuchung zu erlauben. Mit anderen Worten: Wenn solche Informationen vorliegen und ihre Glaubhaftigkeit nicht offensichtlich zweifelhaft ist, sollte das OLAF eine Untersuchung einleiten dürfen.
74. Das Auswahlverfahren, das der Untersuchung vorausgeht, darf nämlich nicht mit dem Untersuchungsverfahren selbst verwechselt werden. Während der Zweck der Untersuchung darin besteht, den Wahrheitsgehalt der in einer Beschwerde enthaltenen Behauptungen festzustellen, kann das Auswahlverfahren nur in einer eher summarischen Prüfung dieser Informationen bestehen. Die in diesem Stadium vorzunehmenden Überprüfungen können daher nicht dazu führen, dass das OLAF eine vollständige Prüfung der in der Beschwerde enthaltenen Informationen vornehmen muss. Unter diesen Umständen – außer in Fällen, in denen die Informationen offenkundig unglaubhaft oder unzureichend erscheinen – bin ich der Meinung, dass der hinreichend ernsthafte Charakter der aufgezeigten Verdachtsmomente auf der Grundlage präziser und detaillierter Informationen festgestellt werden kann(30). Dieses Vorbringen sollte daher zurückgewiesen werden.
75. Drittens schließlich habe das Gericht rechtsfehlerhaft entschieden, dass das OLAF die Möglichkeit eines zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kläger bestehenden Interessenkonflikts nur dann prüfen müsse, wenn dieser Konflikt schon bei der Prüfung der dem OLAF übermittelten Informationen offensichtlich zutage trete. Die der Einleitung einer Untersuchung des OLAF vorausgehende Prüfung, ob hinreichend ernsthafte Verdachtsmomente vorliegen, setzt zwar auch voraus, sich zu vergewissern, dass sich die Person, von der die Beschwerde ausgeht, nicht in einem Interessenkonflikt befindet, verpflichtet das OLAF aber nicht, eine eingehende Prüfung dieser Hypothese vorzunehmen, wenn sie nicht offensichtlich ist. Eine solche Prüfung hat das OLAF im Stadium der Untersuchung durchzuführen, während es im Stadium des Auswahlverfahrens nur summarische Überprüfungen vornehmen muss, weil andernfalls die Phase der Untersuchung und die Phase der Auswahl miteinander vermengt würden. Dem OLAF kann daher nicht vorgeworfen werden, die Möglichkeit eines Interessenkonflikts nicht erwogen zu haben, wenn das Bestehen eines solchen Konflikts nicht offenkundig war, so dass das Gericht insoweit keinen Rechtsfehler begangen hat.
76. Aus alledem folgt, dass der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.
C. Erster Teil des dritten Rechtsmittelgrundes
77. Mit dem ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes trägt der Rechtsmittelführer verschiedene Argumente vor, die Rechtsfehler in den Erwägungen des Gerichts zur Beweisaufnahme durch das OLAF dartun sollen.
78. Mit seinen ersten beiden Argumenten macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass die objektive Unparteilichkeit des OLAF durch die Teilnahme seines Direktors sowie eines Mitglieds einer nationalen Behörde, das zugleich Mitglied des Überwachungsausschusses des OLAF war, an der Untersuchung nicht beeinträchtigt worden sei.
79. Die Kommission hält das erste Argument, das sich auf die Teilnahme des Direktors des OLAF an der Untersuchung bezieht, für nicht stichhaltig, weil es nicht alle Gründe in Frage stelle, die das Gericht angeführt habe, um eine Verletzung der Pflicht zur Unparteilichkeit aufgrund der Teilnahme des Direktors des OLAF auszuschließen.
80. Diesem Vorbringen kann meines Erachtens nicht gefolgt werden. Die anderen Aspekte der Begründung des Gerichts, auf die sich das Rechtsmittel nicht bezieht und die in Rn. 103 des angefochtenen Urteils enthalten sind, sind nämlich keine Gesichtspunkte, die es für sich allein genommen erlauben würden, das Vorbringen des Rechtsmittelführers zurückzuweisen, sondern vielmehr tatsächliche Feststellungen des Gerichts. Die Zurückweisung dieses Vorbringens durch das Gericht beruht allein darauf, dass die Rolle der Leitung einer Untersuchung die Beteiligung des Direktors des OLAF an dieser Untersuchung nicht ausschließe.
81. Davon abgesehen ist der Begründung des Gerichts zu diesem Punkt beizupflichten. Entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers kann der Umstand, dass Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1073/1999 vorsieht, dass der Direktor des OLAF die Untersuchungen leitet, mangels einer entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden, dass er jede unmittelbare Beteiligung des Direktors an der Untersuchung ausschließe. Insoweit weise ich darauf hin, dass auch die anderen Funktionen, die dem Direktor des OLAF durch die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1073/1999 übertragen wurden, ihn nicht daran hindern können, sich an einer Untersuchung zu beteiligen. Im Gegenteil weist bereits der Umstand, dass der Untersuchungsbericht unter seiner Verantwortung erstellt wird, auf eine Form der Beteiligung an der Untersuchung hin. Dasselbe gilt für seine Pflicht, zu überwachen, dass die unter seiner Verantwortung handelnden Personen die Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten einhalten, was auf eine Beteiligung an der Durchführung der Untersuchungen des OLAF schließen lässt. Außerdem kann ich mir schlecht vorstellen, wie der Direktor des OLAF eine Untersuchung sachdienlich leiten könnte, wenn er zugleich gehindert wäre, an allen Phasen dieser Untersuchung teilzunehmen.
82. Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass die objektive Unparteilichkeit des OLAF durch die Teilnahme seines Direktors an einer Untersuchung nicht in Frage gestellt werden konnte, so dass das Gericht insoweit keinen Rechtsfehler begangen hat.
83. Auch das zweite Argument, das die Beteiligung eines Mitglieds der maltesischen Anti-Fraud Coordinating Structures (AFCOS) (Koordinierungsstelle für die Betrugsbekämpfung) an der Untersuchung betrifft, kann die Unparteilichkeit des OLAF meines Erachtens nicht in Frage stellen. In der Verordnung Nr. 1073/1999 ist nämlich nirgendwo eine strikte Trennung zwischen dem OLAF und den nationalen Behörden bei der Durchführung der Untersuchungen vorgeschrieben. Diese Behörden und das OLAF sind im Gegenteil aufgerufen, bei den Untersuchungen zusammenzuwirken(31), so dass die Teilnahme eines Mitglieds einer nationalen Behörde an der Untersuchung die Unparteilichkeit des OLAF nicht in Frage stellen kann, insbesondere dann nicht, wenn dieses Mitglied, wie das Gericht festgestellt hat, in den Ablauf der Anhörung, an der es teilgenommen hat, nicht eingegriffen hat. Das Gericht kann insoweit keinen Rechtsfehler begangen haben.
84. Der Umstand, dass dieses Mitglied der AFCOS gleichzeitig Mitglied des Überwachungsausschusses war, erscheint auf den ersten Blick problematischer. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Anwesenheit eines Mitglieds des Überwachungsausschusses des OLAF bei der Vernehmung eines Zeugen „angesichts der Aufgabe, die diesem Ausschuss durch Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1073/1999 [der vorsieht, dass der Ausschuss nicht in den Ablauf der Untersuchungen eingreift] übertragen ist, bedauerlich“ sei(32). Nach Auffassung des Rechtsmittelführers belegt eine solche Beteiligung die mangelnde objektive Unparteilichkeit des OLAF.
85. Ich bin jedoch der Ansicht, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es entschied, dass das OLAF trotz der Anwesenheit eines Mitglieds des Überwachungsausschusses bei der Zeugenvernehmung nicht gegen die Pflicht zur Unparteilichkeit verstoßen habe. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1073/1999 schreibt zwar vor, dass der Überwachungsausschuss nicht in den Ablauf der Untersuchungen eingreift. Ein solches Verbot stellt sicher, dass das OLAF seine Aufgaben unabhängig wahrnimmt. Gleichwohl kann die bloße Anwesenheit eines Mitglieds des Überwachungsausschusses bei der Vernehmung eines Zeugen nicht als Einmischung dieses Mitglieds in den Ablauf der Untersuchung angesehen werden, wenn dieses Mitglied sich nicht tatsächlich an der Untersuchung beteiligt hat. Das Gericht hat indes festgestellt, dass das in Rede stehende Mitglied des Überwachungsausschusses bei der Anhörung anwesend war, um als Dolmetscherin und Übersetzerin zu fungieren. Unter diesen Umständen war nicht davon auszugehen, dass dieses Mitglied tatsächlich an Untersuchungshandlungen teilgenommen hat, so dass der Argumentation des Gerichts zuzustimmen ist.
86. Mit seinem dritten Argument macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es das Vorbringen zurückgewiesen habe, die Verwendung, Sammlung und Speicherung der Daten, die das OLAF nach seiner Anforderung von Auflistungen von Telefongesprächen von den maltesischen Behörden erlangt habe, stelle einen rechtswidrigen Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privatlebens dar. Insbesondere weist er darauf hin, dass die Rechtsgrundlage, auf die sich das OLAF berufen habe, um die maltesischen Behörden um diese Auflistungen zu ersuchen, fehlerhaft sei und einen solchen Eingriff daher nicht rechtfertigen könne.
87. Zum einen enthalten die Ersuchen um Auflistungen von Telefongesprächen zwar einen unzutreffenden Hinweis auf die Bestimmung der Verordnung Nr. 1073/1999, auf die sie sich stützen, aber aus Art. 6 Abs. 6 dieser Verordnung geht klar hervor, dass die nationalen Behörden gegenüber den Bediensteten des OLAF bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben eine allgemeinere Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit haben. Somit hat das Gericht daraus zu Recht geschlossen, dass für das Ersuchen des OLAF um diese Auflistungen in der Tat eine Rechtsgrundlage bestand.
88. Zum anderen könnte selbst dann, wenn diese Aufzeichnungen nicht im Einklang mit dem maltesischen Recht hätten vorgenommen werden können, daraus keine Haftung des OLAF für die Erhebung dieser Daten und ihre Unvereinbarkeit mit dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats abgeleitet werden, weil diese Daten von den maltesischen Behörden erhoben wurden.
89. Unter diesen Umständen hat das Gericht zu Recht befunden, dass das Ersuchen des OLAF kein rechtswidriger Eingriff in das Privatleben war, weil das OLAF berechtigt war, von den maltesischen Behörden Auflistungen von Telefongesprächen anzufordern, und dass die Unvereinbarkeit dieser Ersuchen mit dem maltesischen Recht dem OLAF nicht angelastet werden kann.
90. Mit seinem vierten Argument macht der Rechtsmittelführer schließlich geltend, das Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass sein Recht auf Achtung der Privatsphäre und auf Vertraulichkeit der Kommunikation nicht verletzt worden sei, weil er nicht zu den Personen gehört habe, deren Gespräche abgehört und aufgezeichnet worden seien.
91. Hierzu weise ich darauf hin, dass die außervertragliche Haftung der Union für ein rechtswidriges Verhalten ihrer Organe von einer Reihe von Voraussetzungen abhängt, zu denen auch die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des dem Organ vorgeworfenen Verhaltens gehört. Diese Voraussetzung erfordert einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen(33).
92. Diese Voraussetzung bedeutet, dass der Schutz, den die geltend gemachte Bestimmung verleiht, tatsächlich gegenüber der Person bestehen muss, die sich auf ihn beruft, und diese Person somit zu denen gehört, denen die in Rede stehende Bestimmung Rechte verleiht. Eine Bestimmung, die nicht den Einzelnen gegen die von ihm gerügte Rechtswidrigkeit schützt, sondern einen anderen Einzelnen, kann keinen Schadensersatzanspruch begründen(34). Daraus folgt, dass sich der Rechtsmittelführer nicht mit Erfolg auf eine Rechtswidrigkeit berufen kann, die sich aus der Verletzung des Rechts auf Privatsphäre eines Dritten ergeben soll, so dass das Gericht insoweit keinen Rechtsfehler begangen hat.
93. Daher bin ich der Auffassung, dass der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen ist.
D. Fünfter Rechtsmittelgrund
94. Mit seinem fünften Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe Rechtsfehler begangen und den Sachverhalt verfälscht, als es entschieden habe, dass das OLAF dadurch, dass es den Überwachungsausschuss am Tag vor der Übermittlung seines Berichts an die maltesischen Behörden unterrichtet habe, weder gegen seine Verpflichtungen aus Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1073/1999 verstoßen habe, der den Direktor des OLAF verpflichtet, den Überwachungsausschuss über die Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden eines Mitgliedstaats zu unterrichten, noch gegen Art. 13 Abs. 5 der Geschäftsordnung, wonach der Überwachungsausschuss Einsichtnahme in die betreffenden Untersuchungsunterlagen beantragt, um die Einhaltung der Grundrechte und der Verfahrensgarantien zu prüfen.
95. Zunächst macht der Rechtsmittelführer geltend, dass das OLAF, nachdem es den Überwachungsausschuss über die Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden eines Mitgliedstaats unterrichtet habe, den Ablauf einer Frist von fünf Werktagen habe abwarten müssen, bevor es diese Informationen übermittele. Zwar könne ausnahmsweise eine kürzere Frist zugelassen werden, aber auch dann sei jedenfalls eine entsprechende Zustimmung des Überwachungsausschusses erforderlich. Das Gericht habe daher rechtsfehlerhaft festgestellt, dass dem OLAF hinsichtlich der nach der Unterrichtung des Überwachungsausschusses einzuhaltenden Frist für die Übermittlung an die nationalen Justizbehörden ein Ermessensspielraum zustehe.
96. Ich stelle fest, dass Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1073/1999 zwar vorsieht, dass der Direktor des OLAF den Überwachungsausschuss über die Fälle unterrichtet, die die Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden erfordern, diese Bestimmung jedoch keine Mindestfrist vorsieht, die vor der tatsächlichen Übermittlung der betreffenden Informationen einzuhalten wäre. Die Frist von fünf Tagen, auf die sich der Rechtsmittelführer bezieht, ist in der vorläufigen Arbeitsvereinbarung zwischen dem OLAF und dem Überwachungsausschuss vom September 2012 vorgesehen. Diese Arbeitsvereinbarung sieht vor, dass die Dokumente, die an nationale Justizbehörden übermittelt werden sollen, dem Ausschuss „in der Regel“ fünf Tage vor der Übermittlung mitgeteilt werden müssen.
97. Somit geht sowohl aus dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1073/1999 als auch aus dem Wortlaut der vorläufigen Arbeitsvereinbarung zwischen dem OLAF und dem Überwachungsausschuss vom September 2012 klar hervor, dass dem OLAF keine verbindliche Frist für die Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden eines Mitgliedstaats gesetzt wurde. Dem Gericht kann daher kein Rechtsfehler in Bezug auf seine Feststellung vorgeworfen werden, das OLAF verfüge im Hinblick auf die Frist über einen Ermessensspielraum.
98. Daraus folgt zugleich, dass entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers keine Zustimmung des Überwachungsausschusses zu einer Verkürzung dieser Frist erforderlich war, weil eine solche Frist, wie das Gericht festgestellt hat, lediglich eine Richtfrist ist.
99. Sodann macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe den Sachverhalt verfälscht, indem es den von der Kommission angeführten Umstand berücksichtigt habe, dass der Vorsitzende des Überwachungsausschusses über die Notwendigkeit einer raschen Übermittlung der Informationen an die nationalen Justizbehörden unterrichtet worden sei und seine Zustimmung zu einer solchen Übermittlung gegeben habe, obwohl es keine Beweise gebe, die die Behauptung der Kommission stützen könnten.
100. Dieses Vorbringen ist meines Erachtens als ins Leere gehend zurückzuweisen. Da das OLAF bei der Frist für die Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden über einen Ermessensspielraum verfügt, ist es unerheblich, ob der Vorsitzende des Überwachungsausschusses der raschen Übermittlung dieser Informationen zugestimmt hat oder nicht.
101. Schließlich macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass die Informationen an die Justizbehörden übermittelt werden dürften, bevor der Überwachungsausschuss die in seiner Geschäftsordnung festgelegten Aufgaben wahrgenommen habe.
102. Art. 13 Abs. 5 der Geschäftsordnung sieht zwar vor, dass „[d]er Ausschuss … vor der Weiterleitung der Informationen Einsichtnahme in die betreffenden Untersuchungsunterlagen [beantragt], um die Einhaltung der Grundrechte und der Verfahrensgarantien zu prüfen“. Das ändert aber nichts daran, dass die Geschäftsordnung, wie das Gericht zutreffend ausführt, dem OLAF keine Verpflichtungen auferlegen kann, die der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat, insbesondere nicht in der Verordnung Nr. 1073/1999.
103. Aus Art. 11 der Verordnung Nr. 1073/1999 geht hervor, dass der Überwachungsausschuss eine regelmäßige Kontrolle der Tätigkeiten des OLAF durchführt, die dessen Unabhängigkeit stärken soll(35), ohne jedoch in die laufenden Untersuchungen einzugreifen. Die Kontrolle durch den Überwachungsausschuss ist daher als eine ganzheitliche Überwachung der Tätigkeiten des OLAF zu verstehen.
104. Unter diesen Umständen sieht Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1073/1999 zwar vor, dass der Überwachungsausschuss über Fälle unterrichtet wird, die die Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden erfordern, es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass die Übermittlung von der Prüfung dieser Informationen durch den Überwachungsausschuss abhängig sein soll, zumal eine solche aufschiebende Wirkung im Widerspruch zur Rolle des Überwachungsausschusses stünde, der eine systemische Kontrolle der Tätigkeiten des OLAF ausübt.
105. Darüber hinaus weise ich darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1073/1999 keine Bestimmung enthält, die es dem Überwachungsausschuss erlauben würde, sich der Übermittlung von Informationen an die Justizbehörden eines Mitgliedstaats zu widersetzen. Unter diesen Umständen ist die in Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1073/1999 vorgesehene Verpflichtung dahin zu verstehen, dass sie den Direktor einer bloßen Informationspflicht unterwirft, der er im vorliegenden Fall nachgekommen ist.
106. Diese Auslegung wird durch die Analyse der Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2013 bestätigt, die nunmehr die Fragen im Zusammenhang mit den Untersuchungen des OLAF regelt. So sieht Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. b dieser Verordnung vor, dass der Direktor den Überwachungsausschuss regelmäßig unterrichtet, insbesondere über die Fälle, in denen den Justizbehörden der Mitgliedstaaten Informationen übermittelt wurden. Aus dieser Bestimmung geht somit klar hervor, dass die Überwachung durch den Überwachungsausschuss nicht systematisch, sondern ganzheitlich ist, und dass der Überwachungsausschuss im Übrigen nur im Nachhinein über die übermittelten Informationen unterrichtet werden muss.
107. Unter der Geltung der Verordnung Nr. 1073/1999 und aufgrund der Bestimmungen der Geschäftsordnung halte ich es daher für schwer vorstellbar, dass die Pflicht zur Information des Überwachungsausschusses so weit ausgedehnt werden könnte, dass die Übermittlung von Informationen von der vollständigen Prüfung dieser Informationen durch den Überwachungsausschuss abhängig gemacht wird.
108. Unter diesen Umständen bin ich der Auffassung, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es entschied, dass Art. 11 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1073/1999 und die Bestimmungen der Geschäftsordnung nicht verletzt worden sind.
109. Folglich ist der fünfte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
E. Siebter Rechtsmittelgrund
110. Ich weise sogleich darauf hin, dass dieser Rechtsmittelgrund, der sich auf das Vorliegen eines dem Rechtsmittelführer entstandenen Schadens bezieht, als ins Leere gehend zurückzuweisen ist, wenn der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, dass sämtliche Rügen des Rechtsmittelführers, die sich auf Fehler in der Begründung des Gerichts hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Verhaltens des OLAF beziehen, zurückzuweisen sind.
111. Mit dem siebten Rechtsmittelgrund werden ein Rechtsfehler und eine Verfälschung des Vorbringens der Parteien geltend gemacht, weil das Gericht festgestellt habe, dass es dem Kläger nicht gelungen sei, nachzuweisen, dass das beanstandete Verhalten aufgrund seines schwerwiegenden Charakters geeignet sei, ihm einen Schaden zuzufügen.
112. Erstens kann dem Argument der Verfälschung der Klageschrift meines Erachtens nicht gefolgt werden. Entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers hat das Gericht die ihm vorgelegten Beweise nicht übergangen, sondern sie als nicht ausreichend erachtet, um nachzuweisen, dass das beanstandete Verhalten dem Kläger einen Schaden habe zufügen können.
113. Zweitens macht der Kläger einen Rechtsfehler geltend, der sich nach seiner Auffassung aus einer fehlerhaften Definition des immateriellen Schadens ergeben soll.
114. Im angefochtenen Urteil hat das Gericht festgestellt, dass der Kläger zur Erfüllung der Voraussetzung des Vorliegens eines immateriellen Schadens „zumindest … nachweisen [musste], dass das beanstandete Verhalten aufgrund seiner Schwere geeignet war, ihm einen solchen Schaden zuzufügen“(36), er diesen Nachweis aber nicht habe erbringen können.
115. Ich bin der Meinung, dass eine solche Argumentation auf einem Rechtsfehler beruht, der sich aus einer falschen Auslegung der Rechtsprechung ergibt, auf die sich das Gericht gestützt hat.
116. Hierzu weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass „die Vorlage von Beweisen oder Beweisangeboten zwar nicht notwendigerweise als eine Voraussetzung für die Anerkennung eines solchen Schadens angesehen wird, die klagende Partei aber zumindest nachzuweisen hat, dass das dem betreffenden Organ vorgeworfene Verhalten geeignet war, ihr einen derartigen Schaden zuzufügen“(37).
117. Die Voraussetzung des Vorliegens eines Schadens kann daher im Falle eines immateriellen Schadens auf zwei Arten erfüllt werden. Zum einen kann der Kläger Beweise vorlegen, die geeignet sind, die Existenz und den Umfang eines immateriellen Schadens nachzuweisen.
118. Zum anderen kann die Voraussetzung des Vorliegens eines Schadens auch ohne solche Nachweise erfüllt sein, wenn der Kläger nachweist, dass das beanstandete Verhalten notwendigerweise zu einem immateriellen Schaden führt. Die Rechtsprechung erlaubt mit anderen Worten eine erleichterte Anerkennung immaterieller Schäden als Folge eines bestimmten Verhaltens.
119. Dies ist u. a. bei unbegründeten negativen Bewertungen des Verhaltens und der beruflichen Fähigkeiten eines Beamten in einer Beurteilung der Fall(38). In ähnlicher Weise ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass einer Person ein immaterieller Schaden entstehen kann, wenn sie öffentlich mit einem Verhalten in Verbindung gebracht wird, das wegen einer rechtswidrigen Aufnahme in eine Liste von Einrichtungen, gegen die restriktive Maßnahmen verhängt werden, als verwerflich betrachtet wird, so dass dadurch Missbilligung und Misstrauen hervorgerufen werden(39).
120. Obwohl sich das Gericht scheinbar auf diese Rechtsprechung stützt, weicht es davon ab. Statt festzustellen, dass bestimmte Verhaltensweisen ihrem Wesen nach zu einem immateriellen Schaden für den Betroffenen führen, hat das Gericht nämlich befunden, dass das fragliche Verhalten aufgrund seiner Schwere geeignet sein müsse, einen solchen Schaden zu verursachen.
121. Aus der Rechtsprechung, auf die sich das Gericht stützt, geht jedoch in keiner Weise hervor, dass ihre Anwendung davon abhängt, dass der Kläger die Schwere des fraglichen Verhaltens nachweist. Indem das Gericht eine derartige zusätzliche Voraussetzung aufstellt, hat es die Aussichten einer Person, deren immaterieller Schaden notwendige Folge des beanstandeten Verhaltens ist, auf Ersatz dieses Schadens eingeschränkt. Wäre der Auffassung des Gerichts zu folgen, würde dieser Rechtsprechung, die die Anerkennung von immateriellen Schäden aufgrund bestimmter Verhaltensweisen gerade erleichtern soll, ihre praktische Wirksamkeit genommen.
122. Darüber hinaus lässt sich eine solche Auffassung nicht ohne Weiteres mit der allgemeineren Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Union vereinbaren, insbesondere was die Voraussetzung eines Verstoßes gegen eine Rechtsnorm betrifft, die dem Einzelnen Rechte verleiht, eines Verstoßes, der nach der Rechtsprechung „hinreichend qualifiziert“ sein muss. Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß gegen das Unionsrecht als hinreichend qualifiziert anzusehen ist, besteht darin, ob das betreffende Organ die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat(40).
123. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, dass die Schwere des Verhaltens des Organs bereits im Stadium der Prüfung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht, beurteilt wird. Die erneute Einführung des Kriteriums der Schwere des Verhaltens im Stadium der Prüfung des immateriellen Schadens scheint mir überflüssig zu sein, sofern man nicht davon ausgeht, dass der Schweregrad bestimmter qualifizierter Verstöße gegen eine Rechtsnorm in Wirklichkeit verhältnismäßig gering ist.
124. Daher bin ich der Ansicht, dass die Erwägungen des Gerichts zur Definition des immateriellen Schadens rechtsfehlerhaft sind, so dass dem siebten Rechtsmittelgrund, sofern er nicht ins Leere gehen sollte, stattzugeben wäre.
125. Nach Art. 61 Abs. 1 seiner Satzung kann der Gerichtshof der Europäischen Union, wenn das Rechtsmittel begründet ist, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.
126. Im vorliegenden Fall hat das Gericht festgestellt, dass kein immaterieller Schaden des Klägers vorliege, weil dieser nicht nachgewiesen habe, dass das beanstandete Verhalten aufgrund seiner Schwere geeignet gewesen sei, ihm einen Schaden zuzufügen.
127. Wie ich jedoch in Nr. 124 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, beruht eine solche Schlussfolgerung auf einem falschen Kriterium bei der Definition des immateriellen Schadens.
128. Zur Beurteilung des Klagegrundes, mit dem das Vorliegen eines immateriellen Schadens geltend gemacht wird, ist daher eine neue Beurteilung des Sachverhalts im Licht der in den vorliegenden Schlussanträgen angeführten Rechtsprechung erforderlich, um festzustellen, ob das im vorliegenden Fall beanstandete Verhalten geeignet war, dem Kläger einen immateriellen Schaden zuzufügen, ohne dass vom Kläger verlangt werden darf, dessen Schwere nachzuweisen.
129. Daraus folgt, dass der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung durch den Gerichtshof reif ist, so dass die Sache zur Prüfung der Klage des Klägers und zur Entscheidung über den Klagegrund, der das Vorliegen eines immateriellen Schadens betrifft, an das Gericht zurückzuverweisen ist.
VII. Ergebnis
130. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich der Auffassung, dass der erste Rechtsmittelgrund, der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes und der fünfte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen sind.
Unter der Voraussetzung, dass der Gerichtshof die Rechtsmittelgründe zurückweist, die die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) betreffen, bin ich der Auffassung, dass der siebte Rechtsmittelgrund als ins Leere gehend zurückzuweisen ist.
Sollte der Gerichtshof einem der die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des OLAF betreffenden Rechtsmittelgründe stattgeben, bin ich der Auffassung, dass auch dem siebten Rechtsmittelgrund stattzugeben und die Sache daher an das Gericht der Europäischen Union zurückzuverweisen ist.