Language of document : ECLI:EU:C:2024:362

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

25. April 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Hypothekendarlehensvertrag – Klausel, wonach der Verbraucher die mit dem Vertrag verbundenen Kosten zu tragen hat – Rechtskräftige Gerichtsentscheidung, mit der die Missbräuchlichkeit dieser Klausel festgestellt und diese für nichtig erklärt wird – Klage auf Rückerstattung der aufgrund der missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträge – Beginn der Verjährungsfrist für den Erstattungsanspruch“

In der Rechtssache C‑561/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) mit Entscheidung vom 22. Juli 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 10. September 2021, in dem Verfahren

GP,

BG

gegen

Banco Santander SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Banco Santander SA, vertreten durch M. Á. Cepero Aránguez und M. García-Villarrubia Bernabé, Abogados,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch A. Ballesteros Panizo und A. Pérez-Zurita Gutiérrez als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Rocchitta, Avvocato dello Stato,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen GP und BG, zwei Verbrauchern, auf der einen und der Banco Santander SA, einem Kreditinstitut, auf der anderen Seite wegen der geforderten Rückerstattung von Beträgen, die aufgrund einer Vertragsklausel gezahlt wurden, deren Missbräuchlichkeit mit rechtskräftiger Gerichtsentscheidung festgestellt wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

4        Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

 Spanisches Recht

5        Art. 1303 des Código civil (Zivilgesetzbuch) bestimmt in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden. Zivilgesetzbuch):

„Ist eine Verpflichtung für nichtig erklärt worden, müssen die Vertragsparteien unbeschadet der folgenden Artikel einander die Sachen, die Gegenstand des Vertrags gewesen sind, mit ihren Früchten sowie den Preis mit den Zinsen rückerstatten.“

6        Art. 1896 Abs. 1 des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„Wer eine nicht geschuldete Leistung annimmt, muss, wenn er bösgläubig gehandelt hat, den gesetzlichen Zins vergüten, falls es sich um Gelder handelt, oder die Früchte, die gezogen wurden oder hätten gezogen werden müssen, falls die empfangene Sache Früchte erbringt.“

7        In Art. 1964 des Zivilgesetzbuchs in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung heißt es:

„Hypothekarklagen verjähren in 20 Jahren und persönliche Klagen, die keine Sonderfrist haben, verjähren in 15 Jahren.“

8        Art. 1969 des Zivilgesetzbuchs lautet:

„Sofern nicht in einer Sondervorschrift etwas anderes bestimmt ist, beginnt die Verjährungsfrist für jede Klageart ab dem Tag, an dem die Klage erhoben werden kann.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9        Am 29. Juni 1999 schlossen die Kläger des Ausgangsverfahrens als Verbraucher mit Banco Santander einen Vertrag über ein Hypothekendarlehen, der eine Klausel enthielt, wonach sie zur Zahlung aller durch den Vertrag verursachten Kosten verpflichtet sind (im Folgenden: Kostenklausel).

10      Am 28. Oktober 2017 erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens eine Klage auf Nichtigerklärung der Kostenklausel und Rückerstattung der aufgrund dieser Klausel gezahlten Beträge.

11      Das erstinstanzliche Gericht erklärte die Kostenklausel für nichtig und verurteilte Banco Santander, den Klägern des Ausgangsverfahrens die von diesen als Notar‑, Grundbuch- und Bearbeitungsgebühren gezahlten Beträge zuzüglich Zinsen hierauf ab dem Zeitpunkt der jeweiligen Zahlung zu erstatten.

12      Die Audiencia Provincial de Barcelona (Provinzgericht Barcelona, Spanien) gab der von Banco Santander gegen diese erstinstanzliche Entscheidung eingelegten Berufung teilweise statt und erklärte, dass der Anspruch auf Rückerstattung der aufgrund der Kostenklausel gezahlten Beträge verjährt sei. Die Verjährungsfrist für diesen Anspruch habe an dem Tag begonnen, an dem die Kläger des Ausgangsverfahrens die rechtsgrundlosen Zahlungen geleistet hätten, also zum Zeitpunkt des Abschlusses ihrer Verträge über die Hypothekendarlehen im Jahr 1999. Seither seien mehr als 15 Jahre vergangen.

13      Gegen das Urteil der Audiencia Provincial de Barcelona (Provinzgericht Barcelona) legten die Kläger des Ausgangsverfahrens Kassationsbeschwerde beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien), dem vorlegenden Gericht, ein. Sie berufen sich darin auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach als Beginn der Verjährungsfrist für den Erstattungsanspruch von aufgrund einer missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträgen nicht der Tag festgelegt werden dürfe, an dem der diese Klausel enthaltende Vertrag abgeschlossen worden sei.

14      Das vorlegende Gericht hegt Zweifel in Bezug auf die Frage, wann die Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Rückerstattung der Beträge beginnt, die aufgrund einer missbräuchlichen Klausel im Sinne der Richtlinie 93/13 gezahlt wurden.

15      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts scheint es mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar zu sein, wenn für den Fristbeginn auf die Feststellung der Missbräuchlichkeit der betreffenden Vertragsklausel und der Nichtigkeit dieser Klausel durch ein Gericht abgestellt würde, weil der Anspruch auf Erstattung bei diesem Ansatz praktisch nie verjähren würde. Da die Verjährungsfrist für diesen Anspruch theoretisch nicht beginnen könne, solange der auf Nichtigerklärung einer solchen Klausel gerichteten Klage nicht stattgegeben worden sei, wobei Letztere als solche nach dem nationalen Recht keiner Verjährung unterliege, da es sich um eine absolute Nichtigkeit handele, könnte die Verjährungsfrist für den Erstattungsanspruch nie beginnen. Außerdem würde der Grundsatz der Rechtssicherheit ernsthaft in Frage gestellt, wenn Ansprüche aus Verträgen erhoben würden, die möglicherweise seit Jahrzehnten keine Wirkung mehr entfalteten.

16      Insoweit fragt sich das vorlegende Gericht, ob als Beginn für die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Rückerstattung nicht eher der Tag festgelegt werden müsse, an dem es eine Reihe übereinstimmender Urteile erlassen habe, in denen die Missbräuchlichkeit von Klauseln festgestellt worden sei, die den Verbraucher zur Zahlung sämtlicher einen Darlehensvertrag betreffenden Kosten verpflichteten, und es entschieden habe, wie diese Kosten nach der Nichtigerklärung einer solchen Klausel aufzuteilen seien. Denkbar sei auch, als Beginn dieser Frist den Tag festzulegen, an dem der Gerichtshof Entscheidungen über die Auslegung der Richtlinie 93/13 erlassen habe, wonach diese es nicht verwehre, dass ein solcher Erstattungsanspruch einer Verjährungsfrist unterliege, solange nur der Effektivitätsgrundsatz beachtet werde. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob ein angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher ohne Weiteres die einschlägige Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) oder des Gerichtshofs kennen wird.

17      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist eine Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin, dass die Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Rückerstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträge erst dann zu laufen beginnt, wenn die Klausel durch ein rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt worden ist, mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar?

2.      Sollte eine solche Auslegung nicht mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar sein: Verstößt eine Auslegung dahin, dass die Verjährungsfrist [für einen Anspruch auf Rückerstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträge] am Tag der Urteile des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) zu laufen beginnt, mit denen eine Rechtsprechung zu den [sich aus der Nichtigerklärung einer solchen Klausel ergebenden] Restitutionswirkungen entwickelt wurde (Urteile vom 23. Januar 2019), gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13?

3.      Sollte eine solche Auslegung gegen die Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 verstoßen: Verstößt dann eine Auslegung dahin, dass die Verjährungsfrist [für einen Anspruch auf Rückerstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträge] an dem Tag der Urteile des Gerichtshofs beginnt, mit denen dieser entschieden hat, dass der Erstattungsanspruch der Verjährung unterliegen kann (insbesondere die Urteile vom 9. Juli 2020, Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale, [C‑698/18 und C‑699/18, EU:C:2020:537], oder vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, [C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578], mit dem das erstgenannte Urteil bestätigt wird), gegen diese Artikel?

 Zu den Vorlagefragen

18      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine für missbräuchlich erklärte Vertragsklausel grundsätzlich als von Anfang an nicht existent anzusehen ist, so dass sie gegenüber dem Verbraucher keine Wirkungen haben kann. Folglich muss die gerichtliche Feststellung der Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel grundsätzlich dazu führen, dass die Sach- und Rechtslage wiederhergestellt wird, in der sich der Verbraucher ohne diese Klausel befunden hätte (Urteile vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 61, sowie vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 57).

19      Demnach entfaltet die Verpflichtung des nationalen Gerichts, eine missbräuchliche Vertragsklausel, nach der Beträge zu zahlen sind, die sich als rechtsgrundlos herausstellen, für nichtig zu erklären, im Hinblick auf diese Beträge grundsätzlich Restitutionswirkung (Urteile vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 62, sowie vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 58).

20      Ohne diese Restitutionswirkung könnte nämlich der Abschreckungseffekt in Frage gestellt werden, der sich nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit deren Art. 7 Abs. 1 an die Feststellung der Missbräuchlichkeit von Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit Verbrauchern geschlossen hat, knüpfen soll (Urteile vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 63, sowie vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 58).

21      Zwar verlangt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 von den Mitgliedstaaten, vorzusehen, dass missbräuchliche Klauseln für die Verbraucher gemäß den „Bedingungen[, die sie] hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest[legen]“, unverbindlich sind (Urteile vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, C‑40/08, EU:C:2009:615, Rn. 57, und vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 64).

22      Jedoch kann durch die Einbettung des den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 gewährten Schutzes in das nationale Recht nicht die Tragweite und folglich das Wesen dieses Schutzes geändert und somit die vom Unionsgesetzgeber ausweislich des zehnten Erwägungsgrundes der Richtlinie 93/13 angestrebte Verbesserung des Schutzes durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln in Frage gestellt werden (Urteile vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 65, sowie vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 60).

23      Folglich obliegt es den Mitgliedstaaten zwar, durch ihr nationales Recht die Bedingungen festzulegen, unter denen die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel erfolgt und die konkreten Rechtswirkungen dieser Feststellung eintreten, doch ändert dies nichts daran, dass eine solche Feststellung die Wiederherstellung der Sach‑ und Rechtslage, in der sich der Verbraucher ohne die missbräuchliche Klausel befände, ermöglichen muss, und zwar insbesondere durch Begründung eines Anspruchs auf Rückgewähr der Vorteile, die der Gewerbetreibende aufgrund der missbräuchlichen Klauseln zulasten des Verbrauchers rechtsgrundlos erhalten hat (Urteile vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 66, sowie vom 15. Juni 2023, Bank M. [Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags], C‑520/21, EU:C:2023:478, Rn. 61).

 Zur ersten Frage

24      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie der Grundsatz der Rechtssicherheit dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die ein Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit nach der Zahlung dieser Kosten durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, am Tag dieser Entscheidung zu laufen beginnt.

25      Nach ständiger Rechtsprechung ist es mangels spezifischer unionsrechtlicher Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, zu regeln, wobei diese Verfahrensmodalitäten jedoch nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige, dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia, C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      In Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz, um den allein es im vorliegenden Verfahren geht, ist darauf hinzuweisen, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Außerdem hat der Gerichtshof präzisiert, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, die Effektivität der Rechte sicherzustellen, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, insbesondere für die Rechte aus der Richtlinie 93/13 das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, das auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, impliziert; dieses Erfordernis gilt u. a. für die Festlegung der Verfahrensmodalitäten für Klagen, die sich auf solche Rechte stützen (Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Was die Prüfung der Merkmale einer Verjährungsfrist wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden betrifft, hat der Gerichtshof präzisiert, dass diese Prüfung die Dauer dieser Frist und die Modalitäten ihrer Anwendung, einschließlich des Ereignisses, gemäß dem diese Frist in Lauf gesetzt wird, umfasst (Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass der Antrag eines Verbrauchers auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher enthaltenen Klausel keiner Verjährungsfrist unterliegen kann (Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung), aber er präzisiert, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 einer nationalen Regelung, die die Klage eines Verbrauchers, mit der die Restitutionswirkungen dieser Feststellung geltend gemacht werden sollen, einer Verjährungsfrist unterwirft, nicht entgegenstehen, sofern sie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität einhält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Somit ist davon auszugehen, dass es für sich genommen nicht gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt, wenn Anträgen mit Restitutionscharakter, die von Verbrauchern gestellt werden, um Rechte, die ihnen aus der Richtlinie 93/13 erwachsen, geltend zu machen, eine Verjährungsfrist entgegengehalten wird, sofern deren Anwendung die Ausübung der durch diese Richtlinie verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Hinsichtlich der Dauer der Verjährungsfrist, der ein Antrag unterliegt, den ein Verbraucher mit dem Ziel der Rückerstattung von aufgrund missbräuchlicher Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 rechtsgrundlos gezahlten Beträgen einreicht, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof u. a. in den Urteilen vom 9. Juli 2020, Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale (C‑698/18 und C‑699/18, EU:C:2020:537, Rn. 62 und 64), vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 87), sowie vom 8. September 2022, D. B. P. u. a. (Auf eine Fremdwährung lautendes Hypothekendarlehen) (C‑80/21 bis C‑82/21, EU:C:2022:646, Rn. 92), bereits Gelegenheit hatte, sich zur Vereinbarkeit von Verjährungsfristen mit dem Effektivitätsgrundsatz zu äußern. Diese Fristen betrugen drei, fünf bzw. zehn Jahre und wurden Klagen entgegengehalten, mit denen die Restitutionswirkungen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel geltend gemacht wurden, und diese Fristen waren grundsätzlich ausreichend, um dem betroffenen Verbraucher die Vorbereitung und Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs zu ermöglichen, wenn sie im Voraus festgelegt und bekannt waren.

32      Folglich dürfte eine 15‑jährige Verjährungsfrist wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die dem Antrag eines Verbrauchers auf Rückerstattung von auf der Grundlage missbräuchlicher Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 rechtsgrundlos gezahlten Beträgen entgegengehalten wird, die Ausübung der durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, sofern sie im Voraus festgelegt und bekannt ist. Eine Frist dieser Länge ist nämlich grundsätzlich tatsächlich ausreichend, um es dem Verbraucher zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzulegen, um die Rechte, die ihm aus dieser Richtlinie erwachsen, insbesondere in Form von auf die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel gestützten Restitutionsansprüchen geltend zu machen (vgl. entsprechend Urteil vom 8. September 2022, D. B. P. u. a. [Auf eine Fremdwährung lautendes Hypothekendarlehen], C‑80/21 bis C‑82/21, EU:C:2022:646, Rn. 93).

33      Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befinden und einen geringeren Informationsstand besitzen, was dazu führt, dass sie den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmen, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können. Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass es möglich ist, dass die Verbraucher die Missbräuchlichkeit einer in einem Hypothekendarlehensvertrag enthaltenen Klausel nicht kennen oder den Umfang ihrer Rechte aus der Richtlinie 93/13 nicht richtig erfassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      In diesem Kontext ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Anwendung einer Verjährungsfrist, die ab Vertragsschluss zu laufen beginnt, geeignet, die Ausübung der einem Verbraucher durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte übermäßig zu erschweren und folglich gegen den Effektivitätsgrundsatz in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstoßen, da der Verbraucher die Rückerstattung der in Vollziehung einer für missbräuchlich befundenen Klausel geleisteten Zahlungen unabhängig davon, ob er die Missbräuchlichkeit dieser Klausel kannte oder vernünftigerweise kennen konnte, nur während einer bestimmten Frist nach Unterzeichnung dieses Vertrags verlangen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 91; vgl. auch entsprechend Urteil vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia, C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 63).

35      Dagegen hat der Verbraucher unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung rechtskräftig wurde, mit der die Missbräuchlichkeit der betreffenden Vertragsklausel festgestellt und diese daher für nichtig erklärt wurde, gesicherte Kenntnis von der Rechtswidrigkeit dieser Klausel. Somit ist dieser Verbraucher grundsätzlich ab diesem Zeitpunkt in der Lage, seine ihm durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte wirksam geltend zu machen, so dass die Verjährungsfrist für den Erstattungsanspruch, dessen Hauptziel – wie aus den Rn. 18 und 23 des vorliegenden Urteils hervorgeht – darin besteht, die Sach- und Rechtslage wiederherzustellen, in der sich der Verbraucher ohne diese Klausel befunden hätte, auch ab dann zu laufen beginnen kann.

36      Denn ab diesem Zeitpunkt kann der Verbraucher, da es sich um eine an ihn gerichtete rechtskräftige Gerichtsentscheidung handelt, von der Missbräuchlichkeit der fraglichen Klausel Kenntnis haben und selbst einschätzen, ob die Erhebung einer Klage auf Rückerstattung der aufgrund dieser Klausel gezahlten Beträge binnen der im nationalen Recht vorgesehenen Frist sinnvoll wäre, oder, wenn es nach nationalem Recht vorgesehen ist, die rechtskräftige Gerichtsentscheidung über die Nichtigerklärung der missbräuchlichen Klausel ermöglicht es dem Richter, der Erstattungsklage, die eine logische Folge dieser Entscheidung ist, stattzugeben.

37      Somit ist eine Verjährungsfrist, die mit dem Tag beginnt, an dem die Entscheidung, mit der die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel festgestellt und diese daher für nichtig erklärt wird, Rechtskraft erlangt, mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar, da der Verbraucher die Möglichkeit hat, von seinen Rechten Kenntnis zu nehmen, bevor diese Frist zu laufen beginnt oder abgelaufen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 93/13, wie sich aus der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, zwar dem entgegensteht, dass die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Rückerstattung der von einem Verbraucher aufgrund einer missbräuchlichen Vertragsklausel gezahlten Beträge unabhängig von der Frage beginnen kann, ob dieser Verbraucher die Missbräuchlichkeit dieser Klausel kannte oder vernünftigerweise kennen konnte, doch sie verwehrt es nicht, dass der Gewerbetreibende die Möglichkeit hat, den Nachweis dafür zu erbringen, dass dieser Verbraucher hiervon Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben konnte, bevor ein Urteil ergeht, mit dem die Nichtigkeit dieser Klausel festgestellt wird.

39      Schließlich ist, soweit das vorlegende Gericht wissen möchte, ob durch die Tatsache, dass als Beginn dieser Verjährungsfrist ein solcher Zeitpunkt festgelegt wird, nicht der Grundsatz der Rechtssicherheit verletzen werden könnte, da der Gewerbetreibende der Unsicherheit in Bezug auf den Fristbeginn ausgesetzt wird, darauf hinzuweisen, dass die Verjährungsfristen tatsächlich der Gewährleistung der Rechtssicherheit dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale, C‑698/18 und C‑699/18, EU:C:2020:537, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Wie die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausgeführt hat, schafft jedoch der Gewerbetreibende selbst, indem er eine missbräuchliche Klausel in einen Verbrauchervertrag aufnimmt, eine Situation, die durch die Richtlinie 93/13 verboten wird und vermieden werden soll, da er seine Überlegenheit ausnutzt, um dem Verbraucher einseitig vertragliche Pflichten aufzuerlegen, die nicht mit den Anforderungen dieser Richtlinie an Treu und Glauben vereinbar sind und dadurch zulasten der Verbraucher ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den vertraglichen Rechten und Pflichten der Parteien erzeugen.

41      Wie sich aus Rn. 38 des vorliegenden Urteils ergibt, hat der Gewerbetreibende jedenfalls die Möglichkeit, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Verbraucher von der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klausel vor Erlass des die Nichtigkeit dieser Klausel feststellenden Urteils Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben konnte, indem er nach dem geltenden nationalen Beweisrecht spezifische Beweise für seine Beziehungen zu diesem Verbraucher vorlegt.

42      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie der Grundsatz der Rechtssicherheit dahin auszulegen sind, dass sie dem nicht entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die ein Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit nach der Zahlung dieser Kosten durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, am Tag dieser Entscheidung zu laufen beginnt, solange der Gewerbetreibende die Möglichkeit hat, den Nachweis dafür zu erbringen, dass dieser Verbraucher vor dieser Entscheidung von der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klausel Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben konnte.

 Zur zweiten Frage

43      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Hinblick auf die Angaben im Vorabentscheidungsersuchen im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die ein Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit nach der Zahlung dieser Kosten durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, bereits zu dem früheren Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem das oberste nationale Gericht in getrennten Rechtssachen Urteile verkündet hat, mit denen Standardklauseln, die der betreffenden Vertragsklausel entsprechen, für missbräuchlich erklärt wurden.

44      Zwar stellt das vorlegende Gericht diese Frage für den Fall, dass es nicht mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vereinbar sein sollte, den Tag, an dem die Missbräuchlichkeit der betreffenden Vertragsklausel rechtskräftig festgestellt und diese daher für nichtig erklärt wird, als Beginn dieser Verjährungsfrist festzulegen, doch ist im Hinblick auf die Beantwortung der ersten Frage gleichwohl auf die zweite Frage zu antworten. Da in der Antwort auf die erste Frage dem Gewerbetreibenden die Möglichkeit vorbehalten wird, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der Verbraucher vor dieser Entscheidung von der Missbräuchlichkeit dieser Klausel Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben konnte, sind dem vorlegenden Gericht insoweit bestimmte Auslegungshinweise an die Hand zu geben, die für den bei diesem anhängigen Rechtsstreit entscheidungserheblich sind.

45      Im Hinblick auf die einleitend und im Rahmen der Antwort des Gerichtshofs auf die erste Frage angeführte Rechtsprechung kann es grundsätzlich nicht mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar sein, als Beginn der Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Rückerstattung von Kosten, die aufgrund einer Vertragsklausel gezahlt wurden, deren Missbräuchlichkeit später gerichtlich festgestellt wurde, den Tag festzulegen, an dem das oberste nationale Gericht Urteile verkündet hat, mit denen dieser Vertragsklausel entsprechende Standardklauseln für missbräuchlich erklärt wurden.

46      Wie der in den Rn. 18 und 23 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu entnehmen ist, zielt die Richtlinie 93/13 darauf ab, die Sach- und Rechtslage, in der sich der Verbraucher ohne missbräuchliche Vertragsklausel befände, u. a. dadurch wiederherzustellen, dass sie einen Anspruch auf Rückerstattung der Vorteile begründet, die der Gewerbetreibende aufgrund dieser Klauseln zulasten des Verbrauchers rechtsgrundlos erhalten hat.

47      Als Beginn der Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Rückerstattung von Kosten, die ein Verbraucher aufgrund einer missbräuchlichen Vertragsklausel gezahlt hat, den Tag festzulegen, an dem das oberste nationale Gericht Urteile verkündet hat, die der fraglichen Vertragsklausel entsprechende Standardklauseln für missbräuchlich erklären, würde dem Gewerbetreibenden in vielen Fällen erlauben, die zum Nachteil des Verbrauchers aufgrund der missbräuchlichen Klausel zu Unrecht vereinnahmten Beträge zu behalten, was unvereinbar mit den Anforderungen der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung wäre, wonach dieser Fristbeginn nicht unabhängig von der Frage festgelegt werden darf, ob der Verbraucher Kenntnis von der Missbräuchlichkeit der den Erstattungsanspruch begründenden Klausel hatte oder vernünftigerweise haben konnte, und ohne dem Gewerbetreibenden eine Sorgfalts- und Hinweispflicht gegenüber dem Verbraucher aufzuerlegen, und die schwächere Position des Verbrauchers, die durch die Richtlinie 93/13 ausgeglichen werden soll, noch verstärken würde.

48      Da dem Gewerbetreibenden insoweit keine Informationspflicht obliegt, kann zudem nicht angenommen werden, dass der Verbraucher vernünftigerweise Kenntnis davon haben kann, dass eine Klausel in seinem Vertrag einer Standardklausel entspricht, deren Missbräuchlichkeit vom obersten nationalen Gericht festgestellt wurde.

49      Obwohl die Rechtsprechung eines obersten Gerichts eines Mitgliedstaats bei angemessener Veröffentlichung einem Durchschnittsverbraucher erlaubt, Kenntnis von der Missbräuchlichkeit einer Standardklausel zu erlangen, die in seinem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag enthalten ist, kann von diesem Verbraucher, der angesichts seiner schwächeren Position gegenüber dem Gewerbetreibenden durch die Richtlinie 93/13 geschützt werden soll, dennoch nicht erwartet werden, dass er Schritte unternimmt, die zur juristischen Recherche gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2023, Banco Santander [Bezugnahme auf einen offiziellen Index], C‑265/22, EU:C:2023:578, Rn. 60).

50      Weiter ist insoweit darauf hinzuweisen, dass eine solche nationale Rechtsprechung nicht zwangsläufig geeignet ist, ipso facto alle Klauseln dieser Art in allen Verträgen, die in diesem Mitgliedstaat zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossen wurden, für missbräuchlich zu erklären. Wurde eine Standardklausel vom obersten nationalen Gericht für missbräuchlich erklärt, ist grundsätzlich noch im Einzelfall zu prüfen, inwieweit eine Vertragsklausel speziell dieser Standardklausel entspricht und ebenso, wie diese für missbräuchlich zu erklären ist.

51      Gemäß Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sind bei der Prüfung der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag, bei der auch bestimmt wird, ob diese Klausel zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht, u. a. alle den Vertragsabschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Eine solche Einzelfallprüfung ist umso wichtiger, als sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel aus einer fehlenden Transparenz derselben ergeben kann. Daher kann die Missbräuchlichkeit einer bestimmten Vertragsklausel grundsätzlich nicht unterstellt werden, da eine solche Einstufung von spezifischen Umständen beim jeweiligen Vertragsabschluss und u. a. von den besonderen Hinweisen abhängen kann, die der jeweilige Gewerbetreibende dem jeweiligen Verbraucher gibt.

52      Aufgrund dieser Erwägungen kann von einem angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher nicht verlangt werden, dass er sich nicht nur eigenständig regelmäßig über die Rechtsprechung des obersten nationalen Gerichts zu Standardklauseln in Verträgen informiert, die denjenigen entsprechen, die er möglicherweise mit einem Gewerbetreibenden geschlossen hat, sondern auch anhand eines Urteils eines obersten nationalen Gerichts ermittelt, ob die in einem bestimmten Vertrag enthaltenen Klauseln missbräuchlich sind.

53      Überdies wäre es nicht mit der Richtlinie 93/13 vereinbar, den Gewerbetreibenden für seine Untätigkeit angesichts der vom obersten nationalen Gericht festgestellten Rechtswidrigkeit zu belohnen. Denn unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens verfügt der Gewerbetreibende als Finanzinstitut grundsätzlich über eine auf dieses Fachgebiet spezialisierte Rechtsabteilung, die den in dieser Rechtssache in Rede stehenden Vertrag formuliert hat sowie in der Lage ist, die Entwicklung der Rechtsprechung dieses Gerichts zu verfolgen und daraus Schlüsse für die vom Finanzinstitut bereits abgeschlossenen Verträge zu ziehen. Ein solches Finanzinstitut verfügt grundsätzlich auch über einen Kundenservice, der alle erforderlichen Informationen hat, um problemlos Kontakt zu den betroffenen Kunden aufzunehmen.

54      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die der Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit nach der Zahlung dieser Kosten durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, bereits zu dem früheren Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem das oberste nationale Gericht in getrennten Rechtssachen Urteile verkündet hat, mit denen Standardklauseln, die der betreffenden Vertragsklausel entsprechen, für missbräuchlich erklärt wurden.

 Zur dritten Frage

55      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die der Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, an dem Tag beginnt, an dem bestimmte Urteile des Gerichtshofs ergangen sind, mit denen die grundsätzliche Vereinbarkeit von Verjährungsfristen für Erstattungsansprüche mit dem Unionsrecht bestätigt wurde, solange diese Fristen die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachten.

56      Die dritte Frage ist ebenso wie die zweite Frage zu bejahen, da der in der dritten Frage genannte Fristbeginn mit dem in der zweiten Frage vergleichbar ist.

57      Die in den Rn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründe, wonach der Erlass von Urteilen eines obersten nationalen Gerichts, mit denen die Missbräuchlichkeit bestimmter Standardklauseln festgestellt wird, als solcher nicht bedeuten kann, dass ein Verbraucher von der Missbräuchlichkeit einer ähnlichen Klausel in einem Vertrag, den er mit einem Gewerbetreibenden geschlossen hat, Kenntnis hat oder vernünftigerweise haben kann, gelten sinngemäß für Vorabentscheidungen des Gerichtshofs über die Auslegung des Unionsrechts.

58      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Vorabentscheidungen des Gerichtshofs über die Auslegung des Unionsrechts zwar so veröffentlicht werden, dass sie auch für Verbraucher leicht zugänglich sind, dass der Gerichtshof sich darin aber nicht zur Missbräuchlichkeit bestimmter Klauseln äußert und die konkrete Prüfung dieser Klauseln systematisch dem nationalen Gericht überlässt, da für diese Prüfung grundsätzlich nicht der Gerichtshof zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59      Folglich kann ein Verbraucher, selbst wenn er unmittelbar vom Ausgangsverfahren betroffen ist, aus einer solchen Entscheidung des Gerichtshofs keine Gewissheit in Bezug auf die Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem Vertrag erlangen, den er mit einem Gewerbetreibenden geschlossen hat, so dass die vom vorlegenden Gericht angeführten Urteile für den Durchschnittsverbraucher nicht als Informationsquelle in Bezug auf die Missbräuchlichkeit einer bestimmten Vertragsklausel angesehen werden können.

60      Jedenfalls hat sich der Gerichtshof in den Urteilen vom 9. Juli 2020, Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale (C‑698/18 und C‑699/18, EU:C:2020:537), sowie vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578), auf die das vorlegende Gericht in seiner dritten Frage konkret abstellt, auf die Feststellung beschränkt, dass die Richtlinie 93/13 der Einführung einer Verjährungsfrist für die Klage zur Geltendmachung der Restitutionswirkungen der Nichtigerklärung einer missbräuchlichen Vertragsklausel grundsätzlich nicht entgegensteht, soweit diese Frist nicht weniger günstig ausgestaltet ist als die für entsprechende innerstaatliche Klagen geltende (Äquivalenzprinzip) und sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung und insbesondere durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (Effektivitätsgrundsatz). Überdies hat der Gerichtshof im ersten dieser Urteile entschieden, dass diese Richtlinie einer Verjährungsfrist von drei Jahren, die mit dem Tag der vollständigen Erfüllung eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags zu laufen beginnt, entgegensteht, wenn vermutet wird – ohne dass es hierfür einer Prüfung bedarf –, dass der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klausel Kenntnis haben musste, oder wenn der Lauf dieser Frist für entsprechende, auf bestimmte innerstaatliche Vorschriften gestützte Klagen erst ab der gerichtlichen Feststellung des Grundes beginnt, auf dem diese Klagen beruhen.

61      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die der Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, an dem Tag beginnt, an dem bestimmte Urteile des Gerichtshofs ergingen, mit denen die grundsätzliche Vereinbarkeit von Verjährungsfristen für Erstattungsklagen mit dem Unionsrecht bestätigt wurde, solange diese die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachten.

 Kosten

62      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sowie der Grundsatz der Rechtssicherheit

sind dahin auszulegen, dass

sie dem nicht entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die der Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit nach der Zahlung dieser Kosten durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, am Tag dieser Entscheidung zu laufen beginnt, solange der Gewerbetreibende die Möglichkeit hat, den Nachweis dafür zu erbringen, dass dieser Verbraucher vor dieser Entscheidung von der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klausel Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben konnte.

2.      Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13

sind dahin auszulegen, dass

sie dem entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die der Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit nach der Zahlung dieser Kosten durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, bereits zu dem früheren Zeitpunkt zu laufen beginnt, nämlich an dem Tag, an dem das oberste nationale Gericht in getrennten Rechtssachen Urteile verkündet hat, mit denen Standardklauseln, die der betreffenden Vertragsklausel entsprechen, für missbräuchlich erklärt wurden.

3.      Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13

sind dahin auszulegen, dass

sie dem entgegenstehen, dass die Verjährungsfrist eines Anspruchs auf Rückerstattung von Kosten, die der Verbraucher aufgrund einer Klausel in einem mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag entrichtet hat, deren Missbräuchlichkeit durch rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, an dem Tag beginnt, an dem bestimmte Urteile des Gerichtshofs ergingen, mit denen die grundsätzliche Vereinbarkeit von Verjährungsfristen für Erstattungsklagen mit dem Unionsrecht bestätigt wurde, solange diese die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.