Language of document : ECLI:EU:T:2009:33

Rechtssache T-25/07

Iride SpA und Iride Energia SpA

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Staatliche Beihilfen – Energiesektor – Erstattung der verlorenen Kosten – Entscheidung, mit der die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird – Verpflichtung des begünstigten Unternehmens, zuvor eine frühere Beihilfe, die für rechtswidrig erklärt worden ist, zurückzuzahlen – Staatliche Mittel – Vorteil – Begründungspflicht“

Leitsätze des Urteils

1.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln

(Art. 87 Abs. 1 EG)

2.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung anhand des Kriteriums der normalen Marktbedingungen

(Art. 87 Abs. 1 EG; Richtlinie 96/92 des Europäischen Parlaments und des Rates)

3.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung der Kommission über staatliche Beihilfen

(Art. 87 Abs. 1 EG und 253 EG)

4.      Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Ermessen der Kommission – Entscheidung der Kommission, die die Gestattung der Zahlung einer Beihilfe davon abhängig macht, dass das betreffende Unternehmen zuvor eine frühere rechtswidrige Beihilfe zurückzahlt

(Art. 87 Abs. 3 EG und 88 Abs. 2 EG)

5.      Staatliche Beihilfen – Verwaltungsverfahren – Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt – Dem Geber und dem potenziellen Empfänger der Beihilfe obliegende Beweislast

(Art. 87 Abs. 3 EG und 88 Abs. 2 EG)

1.      Nur Vorteile, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden, sind als Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG anzusehen. Die in dieser Bestimmung vorgenommene Unterscheidung zwischen „staatlichen“ und „aus staatlichen Mitteln gewährten“ Beihilfen bedeutet nämlich nicht, dass alle von einem Staat gewährten Vorteile unabhängig davon Beihilfen darstellen, ob sie aus staatlichen Mitteln finanziert werden, sondern dient nur dazu, in den Beihilfebegriff die unmittelbar vom Staat gewährten Vorteile sowie diejenigen, die über eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung gewährt werden, einzubeziehen. Art. 87 Abs. 1 EG erfasst außerdem sämtliche Geldmittel, die die öffentlichen Stellen tatsächlich zur Unterstützung der Unternehmen verwenden können, ohne dass es darauf ankommt, dass diese Mittel dauerhaft zum Vermögen des Staates gehören. Auch wenn die der fraglichen Maßnahme entsprechenden Beträge nicht dauerhaft der Sachherrschaft der öffentlichen Stellen unterliegen, genügt folglich der Umstand, dass sie unter ständiger öffentlicher Kontrolle und somit den zuständigen nationalen Stellen zur Verfügung stehen, um sie als staatliche Mittel einzustufen.

Bei einer Entschädigung, die den Elektrizitätsversorgungsunternehmen über ein Sonderkonto gewährt wird, das von einer öffentlichen Einrichtung verwaltet wird und auf das der Ertrag der Anwendung eines bestimmten Stromtarifbestandteils fließt, mit dem sämtliche Endkunden belastet werden, sind die an den Begünstigten verteilten Beträge als staatliche Mittel zu qualifizieren, weil sie nicht nur unter ständiger öffentlicher Kontrolle stehen, sondern auch vor ihrer Verteilung an den Begünstigten Eigentum des Staates sind.

(vgl. Randnrn. 23, 25, 27-28)

2.      Um zu beurteilen, ob eine staatliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt, ist zu ermitteln, ob das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte. In Bezug auf die Frage, ob im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Marktes der Stromerzeugung Änderungen des Regelungsrahmens Teil der Entwicklungen sind, mit denen die Wirtschaftsteilnehmer unter normalen Marktbedingungen rechnen müssen, ist zu betonen, dass der Regelungsrahmen sich in einem demokratischen Staat ebenso wie in einer Marktwirtschaft jederzeit ändern kann. In Anbetracht der allgemeinen Orientierung der Wirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft im Sinn einer Öffnung der nationalen Märkte und der Förderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten gilt dies umso mehr für Fälle, in denen der frühere Regelungsrahmen eine nationale und/oder regionale Marktabschottung vorsah, die zur Schaffung von Monopolsituationen führte. Daraus folgt, dass die Öffnung eines früher abgeschotteten Marktes gegenüber normalen Marktbedingungen nicht als Anomalie eingestuft werden kann. Die Änderung des Regelungsrahmens im Elektrizitätssektor, die infolge der Richtlinie 96/92 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt vorgenommen wurde, hält sich daher im Rahmen der normalen Marktbedingungen.

(vgl. Randnrn. 46, 48, 50-51)

3.      Die Begründung eines Rechtsakts muss dessen Natur angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das ihn erlassen hat, so klar zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen die Grundlage des Rechtsakts erkennen können und der Gemeinschaftsrichter dessen Begründetheit nachprüfen kann; allerdings brauchen in der Begründung nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung Art. 253 EG genügt, unter Berücksichtigung sowohl des Wortlauts des Rechtsakts als auch seines rechtlichen und tatsächlichen Kontextes zu beurteilen ist.

Hat sich die Kommission in einer Entscheidung auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen mit einem einzigen Satz begnügt, wonach sie „festgestellt [hat], dass die zu würdigende Maßnahme als staatliche Beihilfe anzusehen ist“, so genügt sie ihrer Begründungspflicht, wenn der rechtliche und tatsächliche Zusammenhang der genannten Entscheidung, neben der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens zur Prüfung der Beihilfe, eine sich auf entsprechende Maßnahmen beziehende Entscheidung umfasst, auf die in der Eröffnungsentscheidung und in der genannten Entscheidung ausdrücklich verwiesen wird und die eine detaillierte Aufstellung der Gründe enthält, aus denen die Kommission der Ansicht war, dass die Maßnahmen, über die entschieden wurde, staatliche Beihilfen seien.

(vgl. Randnrn. 66-67, 70-71)

4.      Die Kommission verfügt bei der Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt gemäß Art. 87 Abs. 3 EG über ein weites Ermessen, dessen Ausübung wirtschaftliche und soziale Wertungen impliziert, die auf die Gemeinschaft als Ganzes zu beziehen sind. Wenn die Kommission die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt prüft, muss sie alle einschlägigen Umstände, gegebenenfalls einschließlich des bereits in einer früheren Entscheidung beurteilten Zusammenhangs sowie der Verpflichtungen, die einem Mitgliedstaat durch diese frühere Entscheidung womöglich auferlegt wurden, prüfen. Daher überschreitet die Kommission das ihr zustehende Ermessen nicht, wenn sie zu dem Vorhaben einer Beihilfe, die ein Mitgliedstaat einem Unternehmen zu gewähren beabsichtigt, eine Entscheidung erlässt, mit der diese Beihilfe unter dem Vorbehalt für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird, dass zuvor eine frühere rechtswidrige Beihilfe von dem Unternehmen zurückgezahlt wird, und zwar wegen der kumulativen Wirkungen der fraglichen Beihilfen. Adressat der von der Kommission auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen erlassenen Entscheidungen ist aber einzig und allein der betroffene Mitgliedstaat. Folglich prüft die Kommission im Rahmen der Berücksichtigung sämtlicher einschlägiger Aspekte ausschließlich die Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats, die in einer derartigen Entscheidung enthalten sind, und nicht diejenigen, die sich daraus gegebenenfalls für eine begünstigte Gesellschaft ergeben können.

Bei einer Beihilferegelung berührt das Fehlen genauer Angaben der Kommission zu den Unternehmen, denen eine rechtswidrige Regelung zugute kommt, und zu den genauen Beträgen, die sie erhalten haben, weder die Gültigkeit einer Einziehungsanordnung, noch stellt es ein Hindernis für deren Durchführung dar, da zum einen der betreffende Mitgliedstaat am besten in der Lage ist, diese Angaben zu erlangen, und zum anderen die Kommission, wenn es an der Zusammenarbeit des betreffenden Mitgliedstaats fehlt, befugt ist, auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Informationen eine Entscheidung zu erlassen.

(vgl. Randnrn. 82-83, 85, 89)

5.      Wenn die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung gemäß Art. 88 Abs. 2 EG eine hinreichende vorläufige Beurteilung der Kommission enthält, in der die Gründe erläutert sind, aus denen sie Zweifel an der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt hat, ist es Sache des betroffenen Mitgliedstaats und des potenziellen Beihilfeempfängers, die Gesichtspunkte vorzutragen, die die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt belegen können, sowie eventuell spezielle Umstände, die die Rückzahlung bereits gewährter Beihilfen betreffen, falls die Kommission dies verlangen sollte.

Die den Mitgliedstaat und das Unternehmen als potenziellen Empfänger neuer Beihilfen treffende Verpflichtung, der Kommission die Gesichtspunkte vorzutragen, die die Vereinbarkeit dieser Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt belegen können, erstreckt sich auch auf die Notwendigkeit, darzutun, dass die neue Beihilfe mit den nicht zurückgezahlten früheren, rechtswidrigen und mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbaren Beihilfen keine kumulative Wirkung zeitigt. Das Kriterium der fehlenden kumulativen Wirkung der geprüften neuen Beihilfe und der nicht zurückgezahlten früheren, rechtswidrigen und unvereinbaren Beihilfen gehört insoweit zur allgemeinen Prüfung der Vereinbarkeit einer Beihilfe, die die Kommission vorzunehmen hat, und ist somit nur ein von ihr im Rahmen der Anwendung von Art. 87 Abs. 3 EG zu berücksichtigendes Element.

(vgl. Randnrn. 101, 103-104)