Language of document : ECLI:EU:T:2023:780

Rechtssache T297/22

BB Services GmbH

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum

 Urteil (Sechste Kammer) vom 6. Dezember 2023

„Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Dreidimensionale Unionsmarke – Form einer Spielzeugfigur mit Noppe auf dem Kopf – Absolute Nichtigkeitsgründe – Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist – Zeichen, das ausschließlich aus der Form der Ware besteht, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist – Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und ii der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (jetzt Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und ii der Verordnung [EU] 2017/1001)“

1.      Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Absolute Nichtigkeitsgründe – Zeichen, die ausschließlich aus der Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist – Ermittlung der wesentlichen Merkmale eines Zeichens

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und Art. 51 Abs. 1 Buchst. a)

(Rn. 36-40, 66-68)

2.      Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Absolute Nichtigkeitsgründe – Zeichen, die ausschließlich aus der Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist – Beurteilung der wesentlichen Merkmale im Hinblick auf die Art der Ware

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und Art. 51 Abs. 1 Buchst. a)

(vgl. Rn. 41-45, 82-84)

3.      Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Absolute Nichtigkeitsgründe – Zeichen, die ausschließlich aus der Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist – Dreidimensionale Marke, die eine Spielzeugfigur mit Noppe auf dem Kopf darstellt

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und Art. 51 Abs. 1 Buchst. a)

(Rn. 60, 61, 69, 70, 75, 77, 89, 93)

4.      Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Absolute Nichtigkeitsgründe – Zeichen, die ausschließlich aus der zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlichen Form der Ware bestehen – Ermittlung der wesentlichen Merkmale eines Zeichens

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii und Art. 51 Abs. 1 Buchst. a)

(Rn. 102-109, 141, 142)

5.      Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Absolute Nichtigkeitsgründe – Zeichen, die ausschließlich aus der zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlichen Form der Ware bestehen – Beurteilung der wesentlichen Merkmale im Hinblick auf die technische Funktion der Ware

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii und Art. 51 Abs. 1 Buchst. a)

(Rn. 110-114, 117-122, 127, 154-156)

6.      Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Absolute Nichtigkeitsgründe – Zeichen, die ausschließlich aus der zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlichen Form der Ware bestehen – Dreidimensionale Marke, die eine Spielzeugfigur mit Noppe auf dem Kopf darstellt

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii und Art. 51 Abs. 1 Buchst. a)

(Rn. 131, 138, 148-150, 160, 169-171)

Zusammenfassung

Die Lego Juris A/S, die Streithelferin in der vorliegenden Rechtssache, ist Inhaberin einer beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eingetragenen dreidimensionalen Unionsmarke, die eine Spielzeugfigur mit Noppe auf dem Kopf darstellt(1).

Die BB Services GmbH, die Klägerin, stellte beim EUIPO einen Antrag auf Nichtigerklärung dieser Marke, den sie damit begründete, dass die Marke ausschließlich aus einer Form bestehe, die zum einen durch die Art der Ware selbst bedingt und zum anderen zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei(2).

Das EUIPO wies den Antrag auf Nichtigerklärung zurück.

Mit seinem Urteil weist das Gericht die Klage ab. Es konkretisiert in Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs die Kriterien für die Beurteilung von Zeichen, die im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und ii der Verordnung Nr. 40/94 ausschließlich aus der natürlichen oder funktionalen Form der Ware bestehen.

Würdigung durch das Gericht

Was den ersten Klagegrund betrifft, der auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i der Verordnung Nr. 40/94 gestützt ist, mit dem die Eintragung von Zeichen untersagt wird, die ausschließlich aus der Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist, wendet das Gericht die Rechtsprechung zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii dieser Verordnung entsprechend an(3). Nach dieser können neben der bloßen grafischen Darstellung auch andere Informationen, wie die Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise, verwendet werden, um die wesentlichen Merkmale des fraglichen Zeichens zu ermitteln. Das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i der Verordnung Nr. 40/94 genannte Eintragungshindernis darf nicht angewendet werden, wenn es mindestens ein wesentliches Merkmal der Form gibt, das nicht durch die Art der Ware selbst bedingt ist, so dass die Marke nicht „ausschließlich“ aus der Form besteht, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist.

Um zu bestimmen, ob die betreffende Ware zu dieser Kategorie von Zeichen gehört, weist das Gericht zunächst darauf hin, dass die Ware aus einer „Klemmbausteinspielzeugfigur“ besteht, die zwei Zwecke aufweist, nämlich das Spielen, was einen Zweck nicht technischer Art darstellt, und die Möglichkeit, sie zusammenzubauen oder ineinanderzustecken, was einen Zweck technischer Art darstellt. Das EUIPO ist damit zu Recht davon ausgegangen, dass die Ware ihrer Art nach in die Kategorie der Spielzeugfiguren fällt. Es hat allerdings außer Acht gelassen, dass die Ware auch in die Kategorie der Klemmbausteinfiguren fällt.

Anschließend bestätigt das Gericht die Schlussfolgerungen des EUIPO, wonach die wesentlichen Merkmale der Marke in der Form der Spielzeugfigur liegen, die eine menschliche Anmutung aufweist, wie auch in ihren dekorativen und phantasievollen Elementen, mithin der zylindrischen Form des Kopfs, der kurzen rechteckigen Form des Halses und der Trapezform des Rumpfes (im Folgenden: dekorative und phantasievolle Merkmale). Das EUIPO hat es jedoch versäumt, die „technischen“ Merkmale zu berücksichtigen, mithin die Noppe auf dem Kopf, die Greifhände und die Löcher in den Rückseiten der Beine und unter den Füßen (im Folgenden: technische Merkmale). Damit hat das EUIPO ausschließlich die grafische Darstellung der Marke berücksichtigt und es versäumt, weiteren sachdienlichen Elementen, die einen Bezug zur konkreten Ware aufweisen – insbesondere die Kenntnis des Publikums vom modularen Baukastensystem der Streithelferin –, Rechnung zu tragen.

Schließlich weist das Gericht darauf hin, dass das EUIPO zu Recht zu der Annahme gelangt ist, dass die dekorativen und phantasievollen Merkmale mit einem grundsätzlich „weite[n] Gestaltungsspielraum“ verfremdet und gestaltet werden können, so dass zumindest eines der wesentlichen Merkmale der fraglichen Ware nicht der gattungstypischen Funktion einer Spielzeugfigur oder der einer Klemmbausteinfigur innewohnt. Es kommt zu dem Ergebnis, dass das EUIPO die Eintragungsfähigkeit der angegriffenen Marke im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i der Verordnung Nr. 40/94 zu Recht bestätigt hat.

Was den zweiten Klagegrund betrifft, der auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 gestützt ist, mit dem die Eintragung von Zeichen untersagt wird, die ausschließlich aus der Form bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, führt das Gericht aus, dass dieser Artikel nicht eingreift, sobald es ein wichtiges nicht funktionelles Element, wie ein dekoratives oder phantasievolles Element, gibt, das ein wesentliches Merkmal des Zeichens darstellt, aber nicht zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, der die betreffende Ware dienen soll.

Im vorliegenden Fall stellt das Gericht zunächst fest, dass das EUIPO zu Recht angenommen hat, dass die nicht technische Wirkung der Ware in der Eignung zum Spielen und in der Verkörperung eines „Männchens“ mit menschlichen Zügen besteht. Das EUIPO hat allerdings außer Acht gelassen, dass die technische Wirkung der Ware auch ihre Verbaubarkeit und ihre Modularität einschließt.

Das EUIPO ist sodann zwar davon ausgegangen, dass die „nicht technischen“ Merkmale wesentliche Merkmale der angegriffenen Marke darstellen. Es hat hingegen versäumt, die technischen Merkmale als wesentliche Merkmale zu berücksichtigen.

Schließlich gibt es, obgleich der mit der Verbaubarkeit und der Modularität der Marke verbundene technische Zweck über bestimmte wesentliche Merkmale erreicht wird, auch andere wesentliche Merkmale, die – in Anbetracht ihrer sich aus der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers ergebenden dekorativen und phantasievollen Natur – für die Erreichung eines technischen Zwecks nicht erforderlich sind. Das Gericht kommt folglich zu dem Ergebnis, dass das EUIPO die Eintragungsfähigkeit der angegriffenen Marke ungeachtet der festgestellten Beurteilungsfehler auch im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. ii der Verordnung Nr. 40/94 zu Recht bestätigt hat.


1      Die Marke wurde für Waren der Klassen 9, 25 und 28 eingetragen.


2      Im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und ii in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung.


3      Vgl. u. a. Urteile vom 6. März 2014, Pi-Design u. a./Yoshida Metal Industry (C‑337/12 P bis C‑340/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:129) und vom 23. April 2020, Gömböc (C‑237/19, EU:C:2020:296).