Language of document : ECLI:EU:C:2017:983

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

20. Dezember 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften – Nationale Regelung, mit der ein Verbot, Glücksspiele, Lotterien und Wetten ohne Erlaubnis anzubieten, präzisiert oder eingeführt wird und ein Verbot, für ohne Erlaubnis angebotene Glücksspiele, Lotterien und Wetten zu werben, eingeführt wird“

In der Rechtssache C‑255/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Københavns byret (Stadtgericht Kopenhagen, Dänemark) mit Entscheidung vom 19. April 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2016, in dem Strafverfahren gegen

Bent Falbert,

Poul Madsen,

JP/Politikens Hus A/S

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, S. Rodin (Berichterstatter) und E. Regan,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Madsen und Herrn Falbert sowie der JP/Politikens Hus A/S, vertreten durch S. MacMahon Baldwin und M. Dittmer, advokater,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch M. Wolff, M. N. Lyshøj, C. Thorning und J. Nymann-Lindegren als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo, A. Silva Coelho und P. de Sousa Inês als Bevollmächtigte,

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch L. Liţu und R. H. Radu als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe, Y. Marinova, L. Grønfeldt, U. Nielsen und G. Braga da Cruz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Juli 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Nrn. 1, 2, 5 und 11 sowie von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. 1998, L 217, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines gegen Bent Falbert, Poul Madsen und die JP/Politikens Hus A/S eingeleiteten Strafverfahrens, in dem ihnen vorgeworfen wird, in der dänischen Zeitung Ekstra Bladet und auf den Internetpräsenzen dieser Zeitung für ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde angebotene Online-Glücksspieldienste Werbung veröffentlicht zu haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 1 der Richtlinie 98/34 bestimmt:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.      ‚Erzeugnis‘[:] Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;

2.      ‚Dienst‘: eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.

Im Sinne dieser Definition bezeichnet der Ausdruck

–        ‚im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird;

–        ‚elektronisch erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird;

–        ‚auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung erbracht wird.

Eine Beispielliste der nicht unter diese Definition fallenden Dienste findet sich in Anhang V.

5.      ‚Vorschrift betreffend Dienste‘: eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genannten Dienste und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen.

Im Sinne dieser Definition

–        gilt eine Vorschrift als speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielend, wenn sie nach ihrer Begründung und ihrem Wortlaut insgesamt oder in Form einzelner Bestimmungen ausdrücklich und gezielt auf die Regelung dieser Dienste abstellt;

–        ist eine Vorschrift nicht als speziell auf die Dienste der Informationsgesellschaft abzielend zu betrachten, wenn sie sich lediglich indirekt oder im Sinne eines Nebeneffekts auf diese Dienste auswirkt.

11.      ‚Technische Vorschrift‘: Technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.

Technische De-facto-Vorschriften sind insbesondere:

–        die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats, in denen entweder auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste oder auf Berufskodizes oder Verhaltenskodizes, die ihrerseits einen Verweis auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste enthalten, verwiesen wird und deren Einhaltung eine Konformität mit den durch die genannten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegten Bestimmungen vermuten lässt;

–        die technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder die Vorschriften betreffend Dienste, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse oder die Inanspruchnahme der Dienste Einfluss haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste fördern; dies gilt nicht für technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, die die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit betreffen.

…“

4        In ihrem Art. 8 Abs. 1 sieht diese Richtlinie vor:

„Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.“

 Dänisches Recht

5        § 10 des Lov om visse spil, lotterier og væddemål (Gesetz über bestimmte Glücksspiele, Lotterien und Wetten, im Folgenden: Glücksspielgesetz) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung, die auf das Lov nr. 204 om ændring af lov om visse spil, lotterier og væddemål og andre love og om ophævelse af lov om væddemål i forbindelse med heste og hundevæddeløb (Gesetz Nr. 204 zur Änderung des Gesetzes über bestimmte Glücksspiele, Lotterien und Wetten und andere Gesetze und zur Aufhebung des Gesetzes über Wetten auf Pferde- und Hunderennen) vom 26. März 2003 (im Folgenden: Änderungsgesetz) zurückgeht, hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer vorsätzlich oder grob fahrlässig

1.      Glücksspiele, Lotterien oder Wetten im Inland anbietet, ohne über eine Erlaubnis nach § 1 zu verfügen,

2.      die Teilnahme an Glücksspielen, Lotterien oder Wetten im Inland vermittelt, ohne über eine Erlaubnis nach § 1 zu verfügen,

(3)      Mit Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich oder grob fahrlässig

3.      für Glücksspiele, Lotterien oder Wetten wirbt, die nicht von einer Erlaubnis nach § 1 umfasst sind.“

6        Nach § 1 Abs. 1 des Glücksspielgesetzes darf der Minister für Steuern und Abgaben eine Erlaubnis für Glücksspiele, Lotterien und Wetten erteilen, die gemäß § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes nur einer einzigen Gesellschaft gewährt werden kann.

7        In der Begründung zum Gesetzesentwurf, aus dem das Änderungsgesetz hervorging, werden die mit § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes verfolgten Ziele wie folgt dargestellt:

„Es wird vorgeschlagen, ein Verbot der Werbung für unerlaubte Glücksspiele, Lotterien und Wetten einzuführen.

Diese Änderung entspricht dem derzeit in § 12 Abs. 3 des Gesetzes über Wetten auf Pferderennen enthaltenen Verbot, stellt jedoch eine Präzisierung des geltenden § 10 Abs. 4 des Tipp- und Lotteriegesetzes dar.

Dieses Verbot soll die Betreiber von Glücksspieldiensten, denen die dänischen Behörden eine Erlaubnis erteilt haben, vor dem Wettbewerb durch Unternehmen schützen, die nicht über eine solche Erlaubnis verfügen und von Gesetzes wegen in Dänemark weder gewerbliche Glücksspiele betreiben noch solche Glücksspiele vertreiben dürfen.

Unter Werbung im Sinne dieses Gesetzes sind sämtliche Formen der Ankündigung oder Übermittlung von Informationen über die Tätigkeit und die kommerziellen Angebote von Glückspielbetreibern zu verstehen.

Das besagte Verbot gilt jedoch nicht für Erwähnungen im Rahmen journalistischer Veröffentlichungen in Druckerzeugnissen oder digitalen Medien.

Das Verbot gilt für alle verwendeten Medien. Werbung ist daher gleichermaßen in der gedruckten Presse, im Radio, im Fernsehen und in digitalen Medien verboten, dort zum Beispiel auf Werbebannern.

Auch das Werben für die Aktivitäten von Glücksspielbetreibern, und zwar insbesondere auf deren Internetpräsenzen, durch Angabe von Adressen usw. ist nach § 10 Abs. 3 Nr. 3 verboten.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

8        Herr Falbert und Herr Madsen sind der frühere bzw. der derzeitige Chefredakteur der dänischen Zeitung Ekstra Bladet, deren Inhaberin die Gesellschaft JP/Politikens Hus ist.

9        Gegen die Angeklagten des Ausgangsverfahrens wird beim vorlegenden Gericht ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes geführt, da sie in der Zeitung Ekstra Bladet und auf den Internetpräsenzen der Zeitung wie „www.ekstrabladet.dk“ und „www.ekstrabladet.tv“ Werbeanzeigen für Buchmacherfirmen veröffentlicht hatten, die in Dänemark ohne entsprechende Erlaubnis Glücksspiele und Wetten anboten.

10      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob das Änderungsgesetz als „technische Vorschrift“ im Sinne der Richtlinie 98/34 einzustufen ist und ob es somit nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie der Kommission hätte mitgeteilt werden müssen.

11      Nach Auffassung dieses Gerichts geht es insbesondere um die Feststellung, ob das Änderungsgesetz – wie die Angeklagten des Ausgangsverfahrens geltend machen – als eine „Vorschrift betreffend Dienste“ im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34 anzusehen sei, soweit es speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abziele.

12      Hierzu weist das Gericht darauf hin, dass es vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes für ausländische Betreiber lediglich verboten gewesen sei, in Dänemark über physische Verkaufskanäle Glücksspiele anzubieten, und dass dieses Gesetz – wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe – das Verbot für ausländische Betreiber, in Dänemark Glücksspiele auszurichten, ausdrücklich und gezielt auf über das Internet angebotene Glücksspiele habe ausdehnen wollen.

13      Da das Änderungsgesetz die Ausdehnung eines bereits bestehenden Verbots auf neue Dienstleistungen wie Online-Glücksspiele bezweckt habe, betreffe das Gesetz Online-Angebote von Glücksspielen und die entsprechende Werbung nicht nur „mittelbar oder zufällig“. Es handele sich vielmehr um eine Regelung über den Zugang zu neuen Diensten der Informationsgesellschaft, deren Mitteilung an die Kommission die Richtlinie 98/34 – wie sich aus ihren Vorarbeiten ergebe – verlange. Ohne Belang sei es dabei, dass aufgrund des Änderungsgesetzes die Ausrichtung von Glücksspielen unabhängig davon verboten gewesen sei, ob sie online oder offline angeboten werde.

14      Unter diesen Umständen hat das Københavns byret (Stadtgericht Kopenhagen, Dänemark) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Liegt eine Vorschrift vor, die nach Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Nrn. 1, 2, 5 und 11 der Richtlinie 98/34 mitzuteilen ist, wenn Folgendes zugrunde gelegt wird?

a)      Ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes über bestimmte Glücksspiele, Lotterien und Wetten soll eingeführt werden, mit dem eine Vorschrift über die Bestrafung u. a. der Person, die vorsätzlich oder grob fahrlässig „Glücksspiele, Lotterien oder Wetten im Inland anbietet, ohne über eine Erlaubnis nach § 1 zu verfügen“, sowie der Person, die vorsätzlich oder grob fahrlässig „für Glücksspiele, Lotterien oder Wetten wirbt, die nicht von einer Erlaubnis nach § 1 umfasst sind“, eingeführt werden soll;

b)      aus den Bemerkungen zu dem Entwurf für das Änderungsgesetz geht hervor, dass mit den genannten Strafvorschriften teils beabsichtigt wurde, ein Verbot von Glücksspielen, die von ausländischen Glücksspielgesellschaften über das Internet angeboten werden und die sich direkt auf den dänischen Markt richten, zu präzisieren oder einzuführen, teils, die Werbung u. a. für Glücksspiele, die von ausländischen Glücksspielgesellschaften über das Internet angeboten werden, zu verbieten, da aus denselben Bemerkungen hervorgeht, dass nach den vor den Änderungen geltenden Regelungen unzweifelhaft ist, dass die Veranstaltung von Glücksspielen rechtswidrig ist, wenn eine ausländische Glücksspielgesellschaft Verkaufskanäle benutzt, in denen das Spiel rein physisch innerhalb der Grenzen Dänemarks verkauft wird; zweifelhaft ist indes, inwieweit ausländische Glücksspiele, die sich an dänische Spieler richten und rein physisch außerhalb Dänemarks platziert sind, auch von der Vorschrift erfasst werden, und es ist daher erforderlich, klarzustellen, dass diese Glücksspiele erfasst werden. Weiter geht aus den Bemerkungen hervor, dass vorgeschlagen wurde, ein Verbot der Werbung für Glücksspiele, Lotterien und Wetten einzufügen, für die nach diesem Gesetz keine Erlaubnis vorliegt, und dass die Änderung mit dem geltenden Verbot in § 12 Abs. 3 des Gesetzes über Wetten auf Pferderennen im Einklang steht, aber eine Präzisierung des § 10 Abs. 4 des seinerzeit geltenden Tipp- und Lotteriegesetzes ist. Aus den Bemerkungen ergibt sich ferner, dass das Verbot die Glücksspielanbieter, die über eine Erlaubnis der dänischen Behörden verfügen, vor Konkurrenz durch Gesellschaften schützen soll, die nicht über eine derartige Erlaubnis verfügen und daher Glücksspiele in Dänemark nicht rechtmäßig anbieten oder vermitteln können.

 Zur Vorlagefrage

15      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine Bestrafung für das Anbieten von Glücksspielen, Lotterien oder Wetten im Inland ohne Erlaubnis sowie für die Werbung für unerlaubte Glücksspiele, Lotterien oder Wetten vorsieht, eine technische Vorschrift im Sinne von Art. 1 der Richtlinie darstellt, die nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie einer Mitteilungspflicht unterliegt.

16      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nationale Vorschriften, die lediglich die Voraussetzungen für die Niederlassung oder die Erbringung von Dienstleistungen durch Unternehmen vorsehen, wie Vorschriften, die die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit von einer vorherigen Erlaubnis abhängig machen, nach ständiger Rechtsprechung keine technischen Vorschriften im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 darstellen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 76, und vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C‑144/16, EU:C:2017:76, Rn. 26).

17      Im vorliegenden Fall ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 31 und 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, davon auszugehen, dass eine nationale Vorschrift wie § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Glücksspielgesetzes, nach der das Angebot von Glücksspielen ohne vorherige Erlaubnis bestraft wird, als eine Vorschrift einzustufen ist, die im Sinne der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung die „Ausübung dieser Tätigkeit von einer vorherigen Erlaubnis abhängig macht“.

18      Folglich fällt eine solche Vorschrift nicht unter den in Art. 1 der Richtlinie 98/34 genannten Begriff „technische Vorschrift“.

19      Zu der Frage, ob § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes, der die Werbung für unerlaubte Glücksspieldienstleistungen unter Strafe stellt, eine „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 98/34 darstellt, die nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie einer Pflicht zur Mitteilung unterliegt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Glücksspielgesetzes – nach dem die Veranstaltung von Glückspielen ohne vorherige Erlaubnis bestraft wird – zwar insofern eine enge Verbindung mit § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes aufweist, als nach dieser Vorschrift die Werbung für solche unerlaubten Glücksspiele bestraft wird. Daraus folgt allerdings nicht, dass diese Vorschrift als eine Bestimmung einzustufen wäre, die die „Ausübung einer Tätigkeit von einer vorherigen Erlaubnis“ im Sinne der in Rn. 16 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung „abhängig macht“. Solche Vorschriften haben nämlich trotz der zwischen ihnen bestehenden engen Verbindung unterschiedliche Funktionen und Anwendungsbereiche (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2016, M. und S., C‑303/15, EU:C:2016:771, Rn. 28).

20      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ist nicht ersichtlich, ob das Änderungsgesetz, mit dem § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes, nach dem die Werbung für unerlaubte Glücksspieldienstleistungen bestraft wird, eingeführt wurde, die vorherigen Regelungen zu Glücksspielen, insbesondere durch eine Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf von ausländischen Veranstaltern angebotene Online-Glücksspiele, abgeändert hat oder ob es sich im Gegenteil darauf beschränkt hat, die vorherigen Regelungen zu präzisieren oder klarzustellen.

21      Hierzu ist erstens festzustellen, dass es sich bei der Frage, ob das Verbot der Werbung für unerlaubte Glücksspiele, wie es in § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes insbesondere bezogen auf Online-Glücksspiele ausländischer Veranstalter von Glücksspielen vorgesehen ist, bereits in den vorherigen Regelungen zu Glücksspielen vorgesehen war, mit der Folge, dass das Änderungsgesetz sich darauf beschränkt hätte, dieses Verbot klarzustellen, oder ob dieses Verbot vielmehr erst durch das Änderungsgesetz in das Glücksspielgesetz eingefügt wurde, um eine Frage des nationalen Rechts handelt, für die das vorlegende Gericht zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2005, Lindberg, C‑267/03, EU:C:2005:246, Rn. 83).

22      Zweitens wäre der Gesetzesentwurf, der zum Erlass des Änderungsgesetzes geführt hat, nur dann nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 unter die Pflicht zur Mitteilung gefallen, wenn mit dem Änderungsgesetz ein Verbot der Werbung für unerlaubte Glücksspiele – insbesondere bezogen auf von ausländischen Veranstaltern angebotene Online-Glücksspiele – in § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes aufgenommen worden wäre.

23      Damit eine neue nationale Regelung als eine technische Vorschrift angesehen werden kann, die nach der Richtlinie 98/34 mitgeteilt werden muss, darf sie sich nämlich nicht darauf beschränken, technische Vorschriften, die der Kommission ordnungsgemäß mitgeteilt worden sind, zu wiederholen oder zu ersetzen, ohne technische Spezifikationen oder sonstige neue oder ergänzende Vorschriften hinzuzufügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2005, Lindberg, C‑267/03, EU:C:2005:246, Rn. 85).

24      Für den Fall, dass das Verbot der Werbung für unerlaubte Glücksspiele mit dem Änderungsgesetz in § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes eingeführt wurde, insbesondere durch Ausdehnung seines Anwendungsbereichs auf von ausländischen Veranstaltern angebotene Online-Glücksspiele, ist zu prüfen, ob diese Vorschrift eine „technische Vorschrift“ im Sinne der Richtlinie 98/34 darstellt.

25      Hierzu ist festzustellen, dass der Begriff „technische Vorschrift“ vier Kategorien von Maßnahmen umfasst, nämlich erstens „technische Spezifikationen“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34, zweitens „sonstige Vorschriften“ gemäß der Definition in Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie, drittens „Vorschriften betreffend Dienste“ nach Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie und viertens „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden“, im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie (Urteile vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 70, und vom 13. Oktober 2016, M. und S., C‑303/15, EU:C:2016:771, Rn. 18).

26      Im vorliegenden Fall ist zunächst zu prüfen, ob § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Kategorie „Vorschrift betreffend Dienste“ im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34 als „technische Vorschrift“ eingestuft werden kann.

27      Nach Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie erfasst die Kategorie „technische Vorschrift“ nur Vorschriften über Dienstleistungen der Informationsgesellschaft, also über jede elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung (Urteile vom 13. Oktober 2016, M. und S., C‑303/15, EU:C:2016:771, Rn. 21, und vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C‑144/16, EU:C:2017:76, Rn. 28).

28      Hierzu ist festzustellen, dass sich § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes grundsätzlich auf zwei Arten von Dienstleistungen bezieht, nämlich einerseits Werbedienstleistungen, die unmittelbarer Anknüpfungspunkt der von dieser Vorschrift vorgesehenen Sanktionen sind, und andererseits Glücksspieldienstleistungen, auf die sich das Werbeverbot bezieht und die bei einheitlicher Betrachtungsweise den Hauptanknüpfungspunkt des Glücksspielgesetzes darstellen.

29      Allerdings stellen sowohl Werbedienstleistungen als auch Glücksspieldienstleistungen „Dienstleistungen der Informationsgesellschaft“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34 dar, soweit sie u. a. auf elektronischem Weg (online) erbracht werden. Daher können die darauf bezogenen Vorschriften als „Vorschriften betreffend Dienste“ im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34 eingestuft werden.

30      Für eine Einstufung als „Vorschrift betreffend Dienste“ muss eine Vorschrift jedoch gemäß der Definition in Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34 „speziell“ auf Dienstleistungen der Informationsgesellschaft abzielen.

31      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes als „speziell“ auf Dienstleistungen der Informationsgesellschaft abzielend angesehen werden kann, obwohl der Wortlaut dieser Vorschrift die Dienstleistungen der Informationsgesellschaft nicht ausdrücklich aufführt und keinerlei Unterscheidung zwischen offline erbrachten Dienstleistungen und online erbrachten Dienstleistungen trifft. Das Gericht weist allerdings darauf hin, dass das Änderungsgesetz nach den Vorarbeiten offenbar u. a. diese Vorschrift auf Online-Dienstleistungen erstrecken sollte.

32      Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob eine Vorschrift speziell auf Dienstleistungen der Informationsgesellschaft abzielt, gemäß Art. 1 Abs. 5 erster Gedankenstrich der Richtlinie 98/34 nach Begründung und Wortlaut jener Vorschrift zu klären ist. Ferner wird nach Art. 1 Abs. 5 erster Gedankenstrich der Richtlinie 98/34 nicht vorausgesetzt, dass die fragliche Vorschrift insgesamt „ausdrücklich und gezielt“ auf die Regelung von Dienstleistungen der Informationsgesellschaft abstellt, da es ausreicht, dass einzelne Bestimmungen dieser Vorschrift hierauf abstellen.

33      Wenn sich aus dem Wortlaut einer nationalen Vorschrift nicht ergibt, dass sie zumindest teilweise speziell auf Dienstleistungen der Informationsgesellschaft abstellt – beispielsweise weil der Wortlaut der Regelung wie im vorliegenden Fall keine Unterscheidung zwischen offline erbrachten Dienstleistungen und online erbrachten Dienstleistungen trifft –, kann dieser Zweck folglich dennoch eindeutig aus der Begründung dieser Regelung, wie sie sich insoweit nach den einschlägigen nationalen Auslegungsgrundsätzen u. a. aus den Vorarbeiten zu dieser Regelung entnehmen lässt, hergeleitet werden.

34      Zweitens ergibt sich – wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – aus den Erwägungsgründen 7 und 8 der Richtlinie 98/48, mit der die Richtlinie 98/34 geändert wurde, dass sie die bestehenden nationalen Regelungen an die neuen Dienste der Informationsgesellschaft anpassen und „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit …, die zu einer Zersplitterung des Binnenmarkts … führen würden“, vermeiden soll.

35      Diesem Ziel liefe es zuwider, würde man eine Vorschrift, die nach ihren Vorarbeiten eindeutig eine bestehende Vorschrift ausdrücklich und gezielt auf Dienstleistungen der Informationsgesellschaft ausdehnen soll, von einer Einstufung als im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34 speziell auf solche Dienstleistungen abzielende Regelung allein deshalb ausnehmen, weil ihr Tatbestand diese Dienstleistungen nicht explizit erwähnt, sondern sie in einen weiter gefassten Begriff der Dienstleistungen mit einbezieht, der sowohl online erbrachte Dienstleistungen als auch offline erbrachte Dienstleistungen abdeckt.

36      Folglich stellt eine nationale Vorschrift wie § 10 Abs. 3 Nr. 3 des Glücksspielgesetzes eine technische Vorschrift dar, die der Kommission vor ihrem Erlass mitgeteilt werden muss, soweit sich aus den Vorarbeiten zu dieser Vorschrift eindeutig ergibt, dass sie ausdrücklich und gezielt die Ausdehnung eines bereits bestehenden Werbeverbots auf Online-Glücksspieldienstleistungen bezweckte, was festzustellen Sache des nationalen Gerichts ist.

37      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine Bestrafung für das Anbieten von Glücksspielen, Lotterien oder Wetten im Inland ohne Erlaubnis vorsieht, keine technische Vorschrift im Sinne dieser Bestimmung darstellt, die nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie einer Mitteilungspflicht unterliegt. Hingegen stellt eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine Bestrafung für die Werbung für unerlaubte Glücksspiele, Lotterien oder Wetten vorsieht, eine technische Vorschrift im Sinne dieser Bestimmung dar, die nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie der Mitteilungspflicht unterliegt, soweit sich aus den Vorarbeiten zu dieser Vorschrift des nationalen Rechts eindeutig ergibt, dass sie ausdrücklich und gezielt die Ausdehnung eines bereits bestehenden Werbeverbots auf Online-Glücksspieldienstleistungen bezweckte, was festzustellen Sache des nationalen Gerichts ist.

 Kosten

38      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine Bestrafung für das Anbieten von Glücksspielen, Lotterien oder Wetten im Inland ohne Erlaubnis vorsieht, keine technische Vorschrift im Sinne dieser Bestimmung darstellt, die nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie einer Mitteilungspflicht unterliegt. Dagegen stellt eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die eine Bestrafung für die Werbung für unerlaubte Glücksspiele, Lotterien oder Wetten vorsieht, eine technische Vorschrift im Sinne dieser Bestimmung dar, die nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie der Mitteilungspflicht unterliegt, soweit sich aus den Vorarbeiten zu dieser Vorschrift des nationalen Rechts eindeutig ergibt, dass sie ausdrücklich und gezielt die Ausdehnung eines bereits bestehenden Werbeverbots auf Online-Glücksspieldienstleistungen bezweckte, was festzustellen Sache des nationalen Gerichts ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Dänisch.