Language of document : ECLI:EU:T:2022:837

URTEIL DES GERICHTS (Siebte erweiterte Kammer)

21. Dezember 2022(*)

„Dumping – Einfuhren bestimmter Polyvinylalkohole mit Ursprung in China – Endgültige Antidumpingzölle – Befreiung von Einfuhren mit einem bestimmten Verwendungszweck – Nichtigkeitsklage – Abtrennbarkeit – Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – Unmittelbare Betroffenheit – Anfechtbare Handlung – Zulässigkeit – Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) 2016/1036 – Ohne Diskriminierung eingeführter Zoll – Gleichbehandlung“

In der Rechtssache T‑747/20,

EOC Belgium mit Sitz in Oudenaarde (Belgien), vertreten durch Rechtsanwalt Y. Melin und Rechtsanwältin I. Fressynet,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch K. Blanck, G. Luengo und M. Gustafsson als Bevollmächtigte,

Beklagte,


erlässt

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten R. da Silva Passos, des Richters V. Valančius, der Richterin I. Reine sowie der Richter L. Truchot (Berichterstatter) und M. Sampol Pucurull,

Kanzler: H. Eriksson, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer auf Art. 263 AEUV gestützten Klage beantragt die Klägerin, EOC Belgium, die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung (EU) 2020/1336 der Kommission vom 25. September 2020 zur Einführung endgültiger Antidumpingzölle auf die Einfuhren bestimmter Polyvinylalkohole mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. 2020, L 315, S. 1).

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 25. September 2020 erließ die Europäische Kommission die Durchführungsverordnung 2020/1336.

3        Mit Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2020/1336 führte die Kommission die oben in Rn. 1 genannten Antidumpingzölle ein.

4        Mit Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 führte die Kommission eine Befreiung von diesen Zöllen ein (im Folgenden: in Rede stehende Befreiung). Diese Vorschrift bestimmt:

„In [Absatz] 1 beschriebene Waren werden vom endgültigen Antidumpingzoll befreit, wenn sie für die Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen verwendet werden, die in Pulverform für die Kartonindustrie hergestellt und an sie verkauft werden. Als Nachweis, dass sie ausschließlich für die vorstehend genannte Verwendung eingeführt werden, werden Waren dieser Art in das Endverwendungsverfahren nach Artikel 254 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 überführt.“

5        In Abschnitt 6.3.4 („Hersteller von Klebstoffen“) des dem Interesse der Europäischen Union gewidmeten Teils der Durchführungsverordnung 2020/1336 legte die Kommission die Gründe dar, weshalb sie beschlossen hatte, die Einfuhren bestimmter Polyvinylalkohole (im Folgenden: PVA) von den mit dieser Verordnung eingeführten endgültigen Antidumpingzöllen zu befreien. Diese Befreiung, die für Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen gilt, soll ihre Interessen vor den negativen Auswirkungen schützen, die die Einführung dieser Zölle auf ihre Situation haben könnte.

6        Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit Sitz in Belgien, die PVA einführt und Flüssigklebstoff aus PVA herstellt.

II.    Anträge der Parteien

7        Die Klägerin beantragt,

–        Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

8        Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

9        Da die Kommission mehrere Einreden der Unzulässigkeit erhoben hat, ist die Zulässigkeit der Klage zu prüfen.

A.      Zulässigkeit

10      Um die Unzulässigkeit der Klage geltend zu machen, trägt die Kommission zunächst vor, erstens sei Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 vom Rest dieser Verordnung nicht abtrennbar, zweitens ziehe diese Verordnung Durchführungsmaßnahmen nach sich und drittens betreffe diese Verordnung die Klägerin weder unmittelbar noch individuell.

11      Sodann macht die Kommission geltend, die Klägerin könne sich zur Begründung ihrer Klagebefugnis nicht auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf stützen.

12      Schließlich macht die Kommission für den Fall, dass das Gericht entscheiden sollte, dass die Klägerin durch Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 unmittelbar betroffen sei, geltend, dass diese Vorschrift keine anfechtbare Handlung sei.

13      Die Klägerin trägt vor, ihre Klage sei zulässig.

1.      Abtrennbarkeit von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336

14      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die teilweise Nichtigerklärung eines Unionsrechtsakts nur möglich, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts trennen lassen. Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts zur Folge hätte, dass sein Wesensgehalt verändert würde (vgl. Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

15      Daher ist es für die Prüfung der Abtrennbarkeit von Teilen eines Unionsrechtsakts erforderlich, die Bedeutung dieser Bestimmungen zu prüfen, um beurteilen zu können, ob ihre Nichtigerklärung den Sinn und den Wesensgehalt dieses Aktes verändern würde (vgl. Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16      Im vorliegenden Fall beantragt die Klägerin nur die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 (siehe oben, Rn. 7), mit dem die in Rede stehende Befreiung eingeführt wird.

17      Da eine solche Befreiung eine Ausnahme von einer Regel vorsieht, mit der Antidumpingzölle eingeführt werden, lässt sie sich grundsätzlich von der Verordnung, die diese Regel festlegt, trennen.

18      In dem von der Kommission angeführten Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat (C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 44 bis 53), hat der Gerichtshof Indizien angeführt, anhand deren sich bestimmen lässt, in welchen Fällen eine Befreiung von Antidumpingzöllen nicht von der Verordnung abtrennbar sein kann, mit der diese Zölle eingeführt werden.

19      In der Rechtssache, in der das Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat (C‑204/16 P, EU:C:2017:838), ergangen ist, ging es um die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1238/2013 des Rates vom 2. Dezember 2013 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren von Fotovoltaikmodulen aus kristallinem Silicium und Schlüsselkomponenten davon (Zellen) mit Ursprung in oder versandt aus der Volksrepublik China (ABl. 2013, L 325, S. 1).

20      Der Gerichtshof hat entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1238/2013 – der vorsah, dass die Einfuhren bestimmter Waren, die von Unternehmen in Rechnung gestellt wurden, deren Verpflichtungsangebote von der Kommission angenommen worden waren, von den in Art. 1 dieser Verordnung eingeführten Antidumpingzöllen befreit waren – nicht von den übrigen Bestimmungen dieser Verordnung, insbesondere von denen über die Einführung dieser Zölle, getrennt werden konnte (Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 55).

21      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass zwar formal die Erhebung von Zöllen die Regel und die Zollbefreiung infolge einer Verpflichtungserklärung die Ausnahme sein mag, dass die beiden in Rede stehenden Vorschriften jedoch in Wirklichkeit alternative und einander ergänzende Maßnahmen zur Erreichung ein und desselben Ziels waren (Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 44 bis 53).

22      Zu diesem Ergebnis ist der Gerichtshof auf der Grundlage einer Reihe von Indizien gelangt. Erstens hat er festgestellt, dass die Ziele der beiden Maßnahmen, mit denen Zölle eingeführt wurden bzw. eine Befreiung vorgesehen wurde, identisch waren. So zielten in diesem Fall sowohl die Einführung von Zöllen als auch die Annahme von Verpflichtungsangeboten darauf ab, die schädigende Auswirkung des Dumpings bei Einfuhren von Fotovoltaikmodulen aus kristallinem Silicium und Schlüsselkomponenten auf den Wirtschaftszweig der Union zu beseitigen (Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 44 bis 48). Zweitens hat der Gerichtshof festgestellt, dass die beiden in Rede stehenden Vorschriften einander ergänzten. Er hat sich insoweit auf die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen gestützt (Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 49 bis 51). Drittens hat der Gerichtshof schließlich festgestellt, dass die Befreiung keinen Ausnahmecharakter hatte. Er hat insoweit darauf hingewiesen, dass die Befreiung für 70 % der Einfuhren der betreffenden Waren galt (Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 52 und 53).

23      Das Ergebnis, zu dem der Gerichtshof im Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat (C‑204/16 P, EU:C:2017:838), gelangt ist, beruht also auf einer Reihe von Indizien, die eine besondere Situation kennzeichnen, in der das, was auf den ersten Blick als bloße Befreiung und somit als Ausnahme von einer Regel erscheinen mag, in Wirklichkeit ein mit der beanstandeten Maßnahme untrennbar verbundener Teil ist, der daher nicht abgetrennt werden kann.

24      Zur Entscheidung über die Abtrennbarkeit der in Rede stehenden Befreiung ist daher zu ermitteln, ob es im vorliegenden Fall solche Indizien gibt.

25      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass eine Einführung von Antidumpingzöllen, wie sie im vorliegenden Fall durch Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2020/1336 vorgesehen ist, die schädigenden Auswirkungen der angeblichen Dumpingpraktiken auf den Wirtschaftszweig der Union beseitigen soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 46).


26      Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern (ABl. 2016, L 176, S. 21, im Folgenden: Grundverordnung) erlaubt es der Kommission jedoch, zur Wahrung u. a. des Interesses der Verwender der betreffenden Ware keine Antidumpingmaßnahmen zu erlassen, auch wenn ein Dumping und eine Schädigung erwiesen sind.

27      Im vorliegenden Fall sollen mit der in Rede stehenden Befreiung, die gemäß Art. 21 der Grundverordnung erlassen wurde, wie aus dem 625. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336 hervorgeht, die Interessen bestimmter Verwender von PVA, nämlich der Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen, vor den negativen Auswirkungen geschützt werden, die die Einführung von Antidumpingzöllen auf ihre Situation haben könnte.

28      Das Ziel der in Rede stehenden Befreiung unterscheidet sich daher von dem oben in Rn. 25 genannten, mit Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2020/1336 verfolgten Ziel, während in der Rechtssache, in der das Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat (C‑204/16 P, EU:C:2017:838), ergangen ist, mit der Einführung von Antidumpingzöllen und der Befreiung von diesen Zöllen ein und dasselbe Ziel verfolgt wurde (siehe oben, Rn. 22).

29      Zweitens hatte in der Rechtssache, in der das Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat (C‑204/16 P, EU:C:2017:838), ergangen ist, der Rat der Europäischen Union als Verfasser der angefochtenen Verordnung Handelsschutzmaßnahmen eingeführt, die eine Gesamtheit oder ein „Paket“ bildeten, das aus zwei gesonderten und einander ergänzenden Maßnahmen bestand, nämlich zum einen aus der Einführung von Antidumpingzöllen und zum anderen aus der Befreiung von Unternehmen, deren Verpflichtungsangebote die Kommission angenommen hatte, von diesen Antidumpingzöllen (Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat, C‑204/16 P, EU:C:2017:838, Rn. 44).

30      Im vorliegenden Fall ist die in Rede stehende Befreiung hingegen keine Ergänzung zur Einführung von Antidumpingzöllen, sondern ist zu dieser Einführung akzessorisch.

31      Dass die in Rede stehende Befreiung zur Einführung von Antidumpingzöllen akzessorisch ist, ergibt sich aus der Platzierung der Erwägungsgründe, die der in Rede stehenden Befreiung in der Begründung der Durchführungsverordnung 2020/1336 gewidmet sind. Diese Erwägungsgründe befinden sich nur in dem Teil der Durchführungsverordnung 2020/1336, der dem Interesse der Klebstoffhersteller und den negativen Auswirkungen gewidmet ist, mit denen diese aufgrund der Einführung von Antidumpingzöllen konfrontiert sein könnten. Die Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiung wurde also von der Kommission auf den ihr gewidmeten Teil der Durchführungsverordnung 2020/1336 beschränkt, was ein Indiz für den akzessorischen Charakter ist, den ihr die Kommission beimisst.

32      Drittens wird die in Rede stehende Befreiung im 628. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336 so beschrieben, dass sie „ausnahmsweise“ gewährt werde, wobei ihre Geltung „streng auf Klebstoff-Trockenmischungen beschränkt [wird] und … sich unter keinen Umständen auf andere, von Klebstoffherstellern produzierte Waren … (beispielsweise Flüssigklebstoffe) [erstrecken wird]“.

33      Insoweit stellte die Kommission, als sie im 627. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336 die Auswirkungen der etwaigen Anwendung der in Rede stehenden Befreiung prüfte, selbst fest, dass der Marktanteil der Klebstoffe 17 % des Verbrauchs in der Union ausmache und dass der einzige Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen, der sich gemeldet habe, nur 4 % dieses Anteils ausmache.

34      Demgegenüber hatte die Befreiung in der Rechtssache, in der das Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat (C‑204/16 P, EU:C:2017:838), ergangen ist, keinen Ausnahmecharakter, da sie für 70 % der Einfuhren der betreffenden Waren galt (siehe oben, Rn. 22).

35      Aus den oben in den Rn. 25 bis 34 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass kein einziges der oben in Rn. 22 genannten Indizien, auf die der Gerichtshof im Urteil vom 9. November 2017, SolarWorld/Rat (C‑204/16 P, EU:C:2017:838), abgestellt hat, im vorliegenden Fall gegeben ist.

36      Im Übrigen lässt sich den Akten auch kein sonstiges Indiz entnehmen, das den Schluss zuließe, dass die in Rede stehende Befreiung keine Ausnahme von der Regel der Einführung von Antidumpingzöllen, sondern eine alternative und ergänzende Maßnahme zu dieser Regel darstellt, mit der dasselbe Ziel erreicht werden soll (siehe oben, Rn. 21).

37      Folglich ist die in Rede stehende Befreiung von der Regel der Einführung von Antidumpingzöllen abtrennbar.

38      Es ist hinzuzufügen, dass Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 nicht nur in seinem ersten Satz die in Rede stehende Befreiung festlegt. Der zweite Satz dieser Vorschrift (siehe oben, Rn. 4) sieht vor, dass PVA im Fall einer Befreiung als Nachweis, dass diese Ware ausschließlich für die oben in Rn. 4 genannte Verwendung eingeführt wird, in das Endverwendungsverfahren nach Art. 254 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1) überführt wird.

39      Der einzige Zweck der letztgenannten Vorschrift besteht darin, das Zollverfahren zu bezeichnen, in das die Einfuhren von PVA überführt werden, die von der in Rede stehenden Befreiung profitieren.

40      Da die in Rede stehende Befreiung, deren Grundsatz im ersten Satz von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 festgelegt wird, vom Rest dieser Verordnung abtrennbar ist, ist die im zweiten Satz dieses Artikels aufgestellte Regel, mit der lediglich das Zollverfahren für unter diese Befreiung fallende Waren bezeichnet wird, gleichermaßen abtrennbar.

41      Folglich ist Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 in Anbetracht der oben in Rn. 37 getroffenen Feststellung in seiner Gesamtheit von den anderen Vorschriften dieser Verordnung abtrennbar.

42      Angesichts der vorstehenden Erwägungen sind die weiteren von der Kommission vorgetragenen Argumente – nämlich erstens die Tatsache, dass die Einführung der Antidumpingzölle und die in Rede stehende Befreiung in ein und demselben Artikel der Durchführungsverordnung 2020/1336 geregelt seien, zweitens die Seltenheit der Inanspruchnahme einer Befreiung wie der in Rede stehenden, drittens die ausführliche Begründung in Bezug auf die in Rede stehende Befreiung, viertens die Anzahl der von Wirtschaftsteilnehmern im Rahmen der Prüfung dieser Befreiung übermittelten Stellungnahmen, fünftens die erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen, die eine Nichtigerklärung dieser Befreiung auf Cordial, den Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen, dessen Situation von der Kommission in der Durchführungsverordnung 2020/1336 berücksichtigt worden sei, sowie für dessen Kunden hätte, und sechstens das Beharren der Kommission auf dem Erlass dieses Rechtsakts trotz der Vorbehalte mancher Mitgliedstaaten – nicht relevant, um die Abtrennbarkeit von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 in Frage zu stellen.

43      Die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.

2.      Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV

44      Art. 263 Abs. 4 AEUV sieht zwei Fälle vor, in denen einer natürlichen oder juristischen Person die Befugnis zuerkannt wird, gegen eine nicht an sie gerichtete Handlung Klage zu erheben. Zum einen kann eine derartige Klage erhoben werden, wenn diese Handlung die Person unmittelbar und individuell betrifft. Zum anderen kann eine solche Person gegen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, klagen, sofern dieser Rechtsakt sie unmittelbar betrifft (Urteile vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 19, und vom 18. Oktober 2018, Internacional de Productos Metálicos/Kommission, C‑145/17 P, EU:C:2018:839, Rn. 32).

45      Die in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind im Licht des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, wie er in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegt ist, auszulegen, ohne dass dies den Wegfall der im AEU‑Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen zur Folge hätte (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2020, Changmao Biochemical Engineering/Distillerie Bonollo u. a., C‑461/18 P, EU:C:2020:979, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Im vorliegenden Fall ist die Durchführungsverordnung 2020/1336 nicht an die Klägerin gerichtet. Klagebefugnis kann ihr daher nur zuerkannt werden, wenn sie unter eine der beiden oben in Rn. 44 genannten Fallgestaltungen fällt.

47      Die Zulässigkeit der vorliegenden Klage ist anhand der zweiten oben in Rn. 44 angeführten Fallgestaltung zu prüfen.

48      Erstens ist zu prüfen, ob die Durchführungsverordnung 2020/1336 ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter ist, zweitens, ob sie Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, und drittens, ob sie die Situation der Klägerin unmittelbar berührt.

a)      Vorliegen eines Rechtsakts mit Verordnungscharakter

49      Nach der Rechtsprechung sind Rechtsakte mit Verordnungscharakter Handlungen mit allgemeiner Geltung mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 61, und Beschluss vom 28. Oktober 2020, Sarantos u. a./Parlament und Rat, C‑84/20 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:871, Rn. 29).

50      Erstens ist zu prüfen, ob Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 allgemeine Geltung hat, und zweitens, ob diese Verordnung kein Gesetzgebungsakt ist.

51      Erstens ergibt sich aus seinem Wortlaut, dass Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 allgemeine Geltung hat, da er für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen erzeugt (siehe oben, Rn. 4).

52      Die allgemeine Geltung von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 wird durch die Begründung dieser Verordnung bestätigt, in deren 630. Erwägungsgrund es heißt:

„Diesbezüglich stellte die Kommission klar, dass die [in Rede stehende] Befreiung … nicht [spezifisch für Cordial] …, sondern diskriminierungsfrei für alle Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen gilt. …“

53      Zweitens wurde die Durchführungsverordnung 2020/1336, wie aus ihren Erwägungsgründen 672 und 673 hervorgeht, von der Kommission erlassen, nachdem diese den Entwurf der in Rede stehenden Verordnung nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. 2011, L 55, S. 13), an den Berufungsausschuss übermittelt hatte.

54      Aus den oben in den Rn. 49 bis 53 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die Durchführungsverordnung 2020/1336 kein Gesetzgebungsakt ist, da sie weder nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren noch nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren im Sinne von Art. 289 Abs. 1 und 2 AEUV erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 5. Februar 2013, BSI/Rat, T‑551/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:60, Rn. 43, und vom 14. September 2021, Far Polymers u. a./Kommission, T‑722/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:598, Rn. 55).

55      Da die beiden oben in den Rn. 49 und 50 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, ist festzustellen, dass die Durchführungsverordnung 2020/1336, deren Art. 1 Abs. 4 die in Rede stehende Befreiung vorsieht, ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter ist. Diese Einstufung wird im Übrigen von der Kommission nicht bestritten. Es ist daher zu prüfen, ob diese Befreiung Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

b)      Fehlen von Durchführungsmaßnahmen

56      Die Wendung „die … keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass diese Vorschrift, wie sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt, verhindern soll, dass ein Einzelner gezwungen ist, gegen das Recht zu verstoßen, um Zugang zu den Gerichten zu erlangen. Wenn sich ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter unmittelbar auf die Rechtsstellung einer natürlichen oder juristischen Person auswirkt, ohne dass Durchführungsmaßnahmen erforderlich sind, bestünde die Gefahr, dass diese Person keinen wirksamen Rechtsschutz hätte, wenn sie vor den Unionsgerichten keinen Rechtsbehelf einlegen könnte, um die Rechtmäßigkeit dieses Rechtsakts mit Verordnungscharakter in Frage stellen zu können. In Ermangelung von Durchführungsmaßnahmen könnte sie nämlich, obwohl sie von dem fraglichen Rechtsakt unmittelbar betroffen ist, eine gerichtliche Überprüfung desselben erst, nachdem sie gegen dessen Bestimmungen verstoßen hat, erwirken, indem sie im Rahmen der gegen sie vor den nationalen Gerichten eingeleiteten Verfahren die Rechtswidrigkeit dieser Bestimmungen geltend macht (Urteile vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 27, und vom 6. November 2018, Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission, Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori und Kommission/Ferracci, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, im Folgenden: Urteil Montessori, EU:C:2018:873, Rn. 58).

57      Hingegen ist die gerichtliche Kontrolle der Beachtung des Unionsrechts, wenn ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, unabhängig davon gewährleistet, ob diese Maßnahmen von der Union oder den Mitgliedstaaten erlassen werden. Natürliche oder juristische Personen, die aufgrund der in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter der Union nicht unmittelbar vor den Unionsgerichten anfechten können, sind durch die Möglichkeit, die Durchführungsmaßnahmen anzufechten, die dieser Rechtsakt nach sich zieht, davor geschützt, dass ein derartiger Rechtsakt ihnen gegenüber angewandt wird (Urteile vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 28, und vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 59).

58      Im Bereich der Antidumpingzölle sieht das mit der Verordnung Nr. 952/2013 eingerichtete Zollsystem vor, dass die Erhebung der durch eine Verordnung wie die Durchführungsverordnung 2020/1336 festgesetzten Zölle auf der Grundlage von Maßnahmen der nationalen Behörden erfolgt, die als „Durchführungsmaßnahmen“ einzustufen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 2018, Internacional de Productos Metálicos/Kommission, C‑145/17 P, EU:C:2018:839, Rn. 59 und 60, vom 19. September 2019, Trace Sport, C‑251/18, EU:C:2019:766, Rn. 31, und Beschluss vom 5. Februar 2013, BSI/Rat, T‑551/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:60, Rn. 45 bis 53).

59      Die Prüfung, ob ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, muss sich jedoch ausschließlich am Klagegegenstand orientieren (Urteile vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 31, und vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 61). Falls ein Kläger lediglich die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts begehrt, sind zudem gegebenenfalls nur diejenigen Durchführungsmaßnahmen zu berücksichtigen, die dieser Teil des Rechtsakts möglicherweise nach sich zieht (Urteil vom 18. Oktober 2018, Internacional de Productos Metálicos/Kommission, C‑145/17 P, EU:C:2018:839, Rn. 53).

60      Von der Klägerin wird nur Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 angefochten.

61      Folglich sind für die Zwecke der Feststellung, ob im vorliegenden Fall Durchführungsmaßnahmen vorliegen, entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht die Durchführungsmaßnahmen zu berücksichtigen, die Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2020/1336, der die Einführung von Antidumpingzöllen vorsieht (siehe oben, Rn. 3), nach der oben in Rn. 58 angeführten Rechtsprechung notwendigerweise nach sich zieht.

62      Im Übrigen kommt es für die Beurteilung, ob ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, auf die Stellung der Person an, die sich auf die Klageberechtigung nach Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV beruft. Ob der fragliche Rechtsakt Durchführungsmaßnahmen gegenüber anderen Personen nach sich zieht, spielt also keine Rolle (Urteile vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 30, und vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 61).

63      Es steht aber fest, dass die Klägerin, die PVA nur zur Herstellung von Flüssigklebstoff einführt, von der in Rede stehenden Befreiung nicht profitieren kann.

64      Selbst wenn man davon ausginge, dass das Endverwendungsverfahren nach Art. 254 der Verordnung Nr. 952/2013, auf das Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 in seinem zweiten Satz verweist (siehe oben, Rn. 4), den Erlass von Durchführungsmaßnahmen durch die nationalen Behörden erfordert, könnten diese Maßnahmen folglich nicht für die Klägerin gelten.

65      Somit ist die Argumentation der Kommission irrelevant, wonach erstens Cordial und andere Begünstigte der in Rede stehenden Befreiung gemäß der Verordnung Nr. 952/2013 eine Genehmigung von den Zollbehörden erwirken müssten, um diese Befreiung beanspruchen zu können, und zweitens eine solche Befreiung eine Maßnahme zur Durchführung von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 sei.

66      Zwar könnte die Klägerin die in Rede stehende Befreiung beantragen, damit die betreffenden Zollbehörden diesen Antrag ablehnen, wogegen sie wiederum einen Rechtsbehelf einlegen könnte.

67      Jedoch kann die Ablehnung eines Antrags, den ein Kläger bei den nationalen Behörden gestellt hat, nicht als Durchführungsmaßnahme eines Rechtsakts der Union angesehen werden, wenn der Schluss gezogen werden kann, dass es abwegig wäre, vom Kläger zu verlangen, einen solchen Antrag zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 66 und 67).

68      Da die Klägerin im vorliegenden Fall die in der Durchführungsverordnung 2020/1336 vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt, um für die in Rede stehende Befreiung in Betracht zu kommen, wäre es abwegig, von ihr zu verlangen, diese Befreiung bei den betreffenden Zollbehörden zu beantragen und den Rechtsakt, mit dem dieser Antrag abgelehnt wird, bei einem nationalen Gericht anzufechten, um dieses Gericht zu veranlassen, den Gerichtshof nach der Gültigkeit von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 zu befragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 65 und 66, sowie vom 28. Oktober 2020, Associazione GranoSalus/Kommission, C‑313/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:869, Rn. 41).

69      Aus den oben in den Rn. 56 bis 68 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die in Rede stehende Befreiung entgegen dem Vorbringen der Kommission im Hinblick auf die Klägerin keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

70      Da es keine Durchführungsmaßnahmen gibt, ist die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit zu prüfen.

c)      Unmittelbare Betroffenheit

71      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs erfordert die in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannte Voraussetzung, wonach eine natürliche oder juristische Person von der klagegegenständlichen Entscheidung unmittelbar betroffen sein muss, dass zwei Kriterien kumulativ erfüllt sind, nämlich zum einen, dass sich die beanstandete Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung des Einzelnen auswirkt, und zum anderen, dass sie den Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ohne Anwendung weiterer Durchführungsvorschriften ergibt (Urteile vom 5. Mai 1998, Dreyfus/Kommission, C‑386/96 P, EU:C:1998:193, Rn. 43, vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM, C‑125/06 P, EU:C:2008:159, Rn. 47, und vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 42).

1)      Zweites Kriterium: fehlender Ermessensspielraum der mit der Durchführung der angefochtenen Maßnahme betrauten Adressaten

72      Es ist darauf hinzuweisen, dass das zweite Kriterium nicht relevant ist, wenn es um eine Maßnahme geht, die im Hinblick auf die Klägerin keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, wie dies hier der Fall ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2015, Federcoopesca u. a./Kommission, T‑312/14, EU:T:2015:472, Rn. 38 bis 40).

73      Jedenfalls bestimmt Art. 14 („Allgemeine Bestimmungen“) Abs. 1 der Grundverordnung:

„Vorläufige oder endgültige Antidumpingzölle werden durch Verordnung eingeführt und von den Mitgliedstaaten in der Form, zu dem Satz und nach den sonstigen Modalitäten erhoben, die in der Verordnung zur Einführung dieser Zölle festgelegt sind. …“

74      Somit haben die mit der Durchführung der Antidumping-Verordnungen betrauten Mitgliedstaaten grundsätzlich keinerlei Ermessensspielraum (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Dezember 2020, Changmao Biochemical Engineering/Distillerie Bonollo u. a., C‑461/18 P, EU:C:2020:979, Rn. 59, und vom 18. Oktober 2016, Crown Equipment [Suzhou] und Crown Gabelstapler/Rat, T‑351/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:616, Rn. 24).

75      Im vorliegenden Fall lässt Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 dadurch, dass er die Inanspruchnahme der Befreiung nur von der Voraussetzung abhängig macht, dass die betreffenden Waren für die Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen verwendet werden, die in Pulverform für die Kartonindustrie hergestellt und an sie verkauft werden, den mit seiner Durchführung betrauten nationalen Zollbehörden keinen Ermessensspielraum.

76      Was die Regel des Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 betreffend die Überführung von PVA in das Endverwendungsverfahren nach Art. 254 der Verordnung Nr. 952/2013 anbelangt, so kann diese Vorschrift, deren einziger Zweck darin besteht, das Zollverfahren zu bezeichnen, in das die Einfuhren von PVA, die von der in Rede stehenden Befreiung profitieren, überführt werden (siehe oben, Rn. 39), gerade deswegen den rein automatischen Charakter dieser Befreiung nicht in Frage stellen. Zudem lässt diese Vorschrift schon ihrem Wortlaut nach, der für die Anwendung des Endverwendungsverfahrens keine andere Voraussetzung festlegt als diejenige, die die für PVA geltende Befreiung betrifft, den nationalen Zollbehörden keinen weiteren Ermessensspielraum.

77      Folglich ist das zweite der oben in Rn. 71 genannten Kriterien, das im Übrigen von keiner der Parteien in Frage gestellt wurde, erfüllt.

2)      Erstes Kriterium: unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Klägerin

78      Zur Begründung der Zulässigkeit ihrer Klage beruft sich die Klägerin auf ihre Situation als Verwenderin von PVA, die mit den Begünstigten der in Rede stehenden Befreiung im Wettbewerb stehe. Hinsichtlich der Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit ersucht sie das Gericht, im vorliegenden Fall dem Ansatz zu folgen, den der Gerichtshof im Bereich der staatlichen Beihilfen im Urteil vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), zugrunde gelegt habe. Sie führt aus, die in Rede stehende Befreiung versetze sie gegenüber den Herstellern von Klebstoff-Trockenmischungen in eine nachteilige Wettbewerbssituation.

79      Insoweit lässt nach ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass ein Rechtsakt der Union einen Wirtschaftsteilnehmer in eine nachteilige Wettbewerbssituation versetzt, für sich genommen nicht darauf schließen, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer durch diesen Rechtsakt in seiner Rechtsstellung berührt wird und daher von ihm unmittelbar betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 34, 36 und 37, vom 17. September 2015, Confederazione Cooperative Italiane u. a./Anicav u. a., C‑455/13 P, C‑457/13 P und C‑460/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:616, Rn. 47 bis 49, und vom 28. Februar 2019, Rat/Growth Energy und Renewable Fuels Association, C‑465/16 P, EU:C:2019:155, Rn. 81).

80      In Rn. 43 des Urteils vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass bei einem im Bereich der staatlichen Beihilfen erlassenen Beschluss der Kommission, der einen Wirtschaftsteilnehmer in eine nachteilige Wettbewerbssituation versetzen kann, weil er die Wirkungen einer für seine Wettbewerber günstigen nationalen Maßnahme unberührt lässt, davon ausgegangen werden kann, dass er die Rechtsstellung dieses Wirtschaftsteilnehmers unmittelbar berührt.

81      Wie sich aus den Rn. 43 und 52 des Urteils vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), ergibt, hat der Gerichtshof seine Entscheidung auf die Feststellung gestützt, dass die beihilferechtlichen Regeln dem Ziel dienen, den Wettbewerb zu schützen, und dass die einschlägigen Vorschriften des AEU‑Vertrags einem Wettbewerber eines Unternehmens, das von einer nationalen Maßnahme profitiert, das Recht verleihen, keinem durch eine solche Maßnahme verfälschten Wettbewerb ausgesetzt zu sein.

82      Im Antidumpingbereich bestimmt Art. 21 Abs. 1 der Grundverordnung:

„Die Feststellung, ob das Unionsinteresse ein Eingreifen erfordert, stützt sich auf eine Bewertung aller Interessen, einschließlich der Interessen des inländischen Wirtschaftszweigs, der Verwender und der Verbraucher. Eine Feststellung gemäß diesem Artikel wird nur getroffen, wenn alle Parteien Gelegenheit erhielten, ihren Standpunkt gemäß Absatz 2 darzulegen. Bei dieser Prüfung wird der Notwendigkeit, die handelsverzerrenden Auswirkungen des die Schädigung verursachenden Dumpings zu beseitigen und einen fairen Wettbewerb wiederherzustellen, besonders Rechnung getragen. Maßnahmen, die sich aus der Feststellung des Dumpings und der Schädigung ergeben, können nicht angewendet werden, wenn die Behörden auf der Grundlage aller vorgelegten Informationen eindeutig zu dem Ergebnis kommen können, dass die Anwendung dieser Maßnahmen nicht im Interesse der Union liegt.“

83      Gemäß dieser Vorschrift müssen die Behörden der Union und muss insbesondere die Kommission vor dem Erlass von Antidumpingmaßnahmen feststellen, ob es im Interesse der Union liegt, solche Maßnahmen zu ergreifen. Die Kommission kann somit, auch wenn ein Dumping und eine Schädigung erwiesen sind, beschließen, keine Maßnahmen zu erlassen, wenn dies nicht im Interesse der Union liegt.

84      Auf der Grundlage dieser Vorschrift wurde die in Rede stehende Befreiung eingeführt (vgl. 551. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336).

85      Bei der Feststellung des Interesses der Union wird nach Art. 21 Abs. 1 Satz 3 der Grundverordnung „der Notwendigkeit, die handelsverzerrenden Auswirkungen des die Schädigung verursachenden Dumpings zu beseitigen und einen fairen Wettbewerb wiederherzustellen, besonders Rechnung getragen“.

86      Aus diesem Satz ergibt sich, dass zu diesem Zweck das Interesse der Hersteller des Wirtschaftszweigs der Union an der Wiederherstellung ihrer durch schädigende Dumpingpraktiken beeinträchtigten Wettbewerbssituation vorrangig berücksichtigt wird.

87      Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 der Grundverordnung hat die Kommission jedoch bei der Feststellung, ob das Unionsinteresse den Erlass von Antidumpingmaßnahmen erfordert, alle auf dem Spiel stehenden Interessen zu bewerten, so dass die Interessen der Hersteller nicht die einzigen sind, die sie berücksichtigen muss.

88      So stellt diese Vorschrift klar, dass zu den auf dem Spiel stehenden Interessen auch die Interessen der Verwender der betreffenden Ware gehören.

89      Es kann daher nicht der Schluss gezogen werden, dass insofern, als Art. 21 Abs. 1 Satz 3 der Grundverordnung nur die Wettbewerbssituation der Hersteller des Wirtschaftszweigs der Union betrifft, ausgeschlossen worden ist, dass das Interesse der Verwender der betreffenden Ware daran, dass ihre Wettbewerbssituation nicht beeinträchtigt wird, in einem Fall wie dem oben in Rn. 87 angeführten im Rahmen des Unionsinteresses Berücksichtigung findet.

90      Vielmehr gehört das Interesse bestimmter Verwender der betreffenden Ware daran, dass ihre Wettbewerbssituation gegen die Auswirkungen einer möglicherweise durch eine solche Befreiung verursachten Verzerrung abgesichert wird, zum Unionsinteresse im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Grundverordnung.

91      Der Zusammenhang zwischen dem Interesse der Verwender der betreffenden Ware daran, dass ihre Wettbewerbssituation geschützt wird, und dem Interesse der Union ergibt sich außer aus der Bezugnahme auf ihre Interessen in Art. 21 Abs. 1 der Grundverordnung auch daraus, dass in dieser Verordnung ein allgemeines Ziel der Wahrung des Wettbewerbs im Binnenmarkt festgelegt wurde, das sich nicht auf die Wettbewerbssituation der Unionshersteller beschränkt.

92      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 der Grundverordnung auf einen fairen Wettbewerb Bezug genommen wird und nicht nur auf die Wettbewerbssituation der Hersteller des Wirtschaftszweigs der Union und ihre spezifischen Interessen.

93      Zudem ist in Art. 9 Abs. 4 Unterabs. 2 der Grundverordnung vorgesehen, dass der endgültige Antidumpingzoll nicht nur die Dumpingspanne nicht übersteigen darf, sondern auch nicht höher sein darf als die Schädigung des Wirtschaftszweigs der Union.

94      Somit wird zum einen den Herstellern des Wirtschaftszweigs der Union kein Wettbewerbsvorteil gegenüber den Ausführern aus Drittländern, die Dumping betreiben, gewährt, und geht der Antidumpingzoll zum anderen nicht über das unbedingt erforderliche Maß hinaus, so dass die Interessen der nachgelagerten Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere der Verwender der betreffenden Ware, gewahrt sind.

95      Daraus folgt, dass die Grundverordnung nicht nur bezweckt, die Wettbewerbssituation der Hersteller des Wirtschaftszweigs der Union wiederherzustellen, sondern auch das Ziel verfolgt, einen fairen Wettbewerb im Binnenmarkt zu wahren.

96      Folglich haben die Verwender der betreffenden Ware ein Recht darauf, keinem verfälschten Wettbewerb ausgesetzt zu werden, der durch einen von der Kommission in Anwendung der Grundverordnung erlassenen Rechtsakt verursacht wird, ebenso wie die Wettbewerber eines von einer staatlichen Beihilfe profitierenden Unternehmens ein Recht darauf haben, keinem durch eine solche Beihilfe verfälschten Wettbewerb ausgesetzt zu werden.

97      Angesichts des Bestehens dieses Rechts wirkt sich ein Rechtsakt der Kommission, der geeignet ist, dieses Recht zu verletzen, auf die Rechtsstellung des Inhabers dieses Rechts aus und betrifft ihn somit unmittelbar.

98      Hinsichtlich der Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit nach Art. 263 Abs. 4 AEUV befindet sich die Klägerin in einer Situation, die mit der Situation der Kläger in der Rechtssache vergleichbar ist, in der das Urteil vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), ergangen ist.

99      Hingegen steht die oben in Rn. 79 angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs, die daran hindert, einen Wirtschaftsteilnehmer, der infolge des Erlasses eines Unionsrechtsakts in eine nachteilige Wettbewerbssituation versetzt wurde, als von diesem Rechtsakt unmittelbar betroffen anzusehen, dem nicht entgegen, dass die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit erfüllt ist.

100    Zwar macht die Klägerin ebenso wie die Klägerinnen in den oben in Rn. 79 angeführten Rechtssachen geltend, die Kommission habe eine Maßnahme erlassen, die aufgrund der durch sie bewirkten Ungleichbehandlung ihre Wettbewerbssituation beeinträchtigen könne.

101    Anders als in den Sachverhalten, um die es in den oben in Rn. 79 angeführten Rechtssachen ging, werden jedoch die Interessen der Klägerin, einschließlich der Wahrung ihrer Wettbewerbssituation, gemäß der Grundverordnung berücksichtigt, auf deren Grundlage die in Rede stehende Befreiung eingeführt wurde.

102    Im Gegensatz dazu wurden die Interessen der Klägerinnen in den oben in Rn. 79 beschriebenen Rechtssachen nicht aufgrund der rechtlichen Regelung, die ihren Wettbewerbern einen Vorteil verschaffte, gewahrt, da sie nicht in den Anwendungsbereich dieser Regelung fielen.

103    So ist im Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission (C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 1 bis 3 und 34), darauf hingewiesen worden, dass das Zuckerangebot auf dem Markt der Union zum einen den durch Verarbeitung von Zuckerrüben aus der Binnenmarktproduktion der Union hergestellten Zucker und zum anderen den durch Raffination von aus Drittländern importiertem Rohrohrzucker hergestellten Zucker umfasst, wobei das Endprodukt in beiden Fällen chemisch identisch ist. Mit den in Rede stehenden Vorschriften sollte das Zuckerangebot auf dem Markt der Union, auf dem Zucker knapp war, erhöht werden. Manche von ihnen verschafften den Herstellern der Union einen Vorteil, indem sie ihnen die Herstellung und den Absatz einer beschränkten Menge an Zucker und Isoglucose über die inländische Produktionsquote hinaus erlaubten. Die Klägerinnen, die keine Zucker- und Isoglucoseerzeuger, sondern Unternehmen waren, die eingeführten Rohrzucker raffinierten, fielen nicht in den Anwendungsbereich der in Rede stehenden rechtlichen Regelung.

104    Ebenso verschafften die in Rede stehenden Vorschriften in der Rechtssache, in der das Urteil vom 17. September 2015, Confederazione Cooperative Italiane u. a./Anicav u. a. (C‑455/13 P, C‑457/13 P und C‑460/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:616, Rn. 2 bis 9, 32 und 48), ergangen ist, den Erzeugerorganisationen im Obst- und Gemüsesektor einen Vorteil. Die Klägerinnen, die industrielle Verarbeiter von Obst und Gemüse und keine Erzeuger dieser Lebensmittel waren, machten eine diskriminierende Unterscheidung zwischen ihnen und den mit Verarbeitungstätigkeiten befassten Erzeugerorganisationen geltend. Sie fielen jedoch nicht in den Anwendungsbereich der in Rede stehenden rechtlichen Regelung.

105    Schließlich war in der Rechtssache, in der das Urteil vom 28. Februar 2019, Rat/Growth Energy und Renewable Fuels Association (C‑465/16 P, EU:C:2019:155, Rn. 73, 74 und 79 bis 81), ergangen ist, die Einführung eines Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Bioethanol mit Ursprung in den Vereinigten Staaten Gegenstand der angefochtenen Maßnahmen. Die Klägerin war ein amerikanischer Bioethanolhersteller. Sie führte ihre Ware nicht in die Union aus, sondern verkaufte sie an Händler/Gemischhersteller. Letztere führten das Bioethanol aus, das sie u. a. von der Klägerin gekauft hatten, wobei auf diese Ware ein Antidumpingzoll erhoben wurde. Die Vorschriften, auf deren Grundlage die angefochtenen Maßnahmen erlassen worden waren, waren die des Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30. November 2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. 2009, L 343, S. 51) (jetzt Art. 9 Abs. 5 der Grundverordnung). Diese Vorschriften sehen die Einführung eines Antidumpingzolls „auf alle Einfuhren“ der Waren vor, die in das Gebiet der Union verbracht werden. Somit gelten diese Vorschriften ebenso wie die gesamte Regelung, die durch die Grundverordnung, insbesondere ihren Art. 21 Abs. 1, eingeführt wurde, nicht für Hersteller aus Drittländern als solche, sondern nur für diejenigen von ihnen, die ihre Waren in die Union ausführen.

106    In der Rechtssache, in der das Urteil vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), ergangen ist, fielen indessen sowohl die klagende Partei als auch ihre Wettbewerber in den Anwendungsbereich des Beihilferechts, da sie im Binnenmarkt tätig waren. Außerdem hatte die klagende Partei aufgrund dieser allgemeinen rechtlichen Regelung das Recht auf Wahrung ihrer Wettbewerbssituation (siehe oben, Rn. 81). Der angefochtene Beschluss der Kommission war auf der Grundlage dieser Regelung erlassen worden und ließ eine nationale Maßnahme zu, mit der innerhalb dieser Regelung eine Ungleichbehandlung eingeführt wurde, die zu einer für die klagende Partei nachteiligen Wettbewerbssituation führen konnte.

107    Dies ist auch hier der Fall.

108    Wie bereits ausgeführt, sieht Art. 21 Abs. 1 der Grundverordnung nämlich vor, dass sich die Feststellung, ob das Unionsinteresse die Einführung von Antidumpingzöllen erfordert, auf eine Bewertung aller Interessen, u. a. der Interessen der Verwender der betreffenden Ware, stützt.

109    In Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Grundverordnung, der sich auf die Verwender der betreffenden Ware bezieht, d. h. im vorliegenden Fall vor allem auf alle Hersteller von Klebstoffen, wurde Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 erlassen (siehe oben, Rn. 27).

110    Somit fallen die Hersteller von Flüssigklebstoffen ebenso wie ihre Wettbewerber, nämlich die Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen, in den Anwendungsbereich der Grundverordnung; zudem werden ihre Interessen im Rahmen der Anwendung dieser Verordnung berücksichtigt.

111    Es ist daher festzustellen, dass die oben in Rn. 79 angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Schlussfolgerung nicht entgegensteht, dass die in Rede stehende Befreiung Rechtswirkungen auf die Situation der Hersteller von Flüssigklebstoffen entfaltet, da diese aufgrund dieser Befreiung in eine nachteilige Wettbewerbssituation geraten könnten.

112    Im Übrigen trifft es zwar zu, dass im Bereich der staatlichen Beihilfen die Wettbewerber der Begünstigten einer nationalen Maßnahme, die Letztere von einer Belastung befreit, grundsätzlich unmittelbar dieser Maßnahme unterworfen sind, wie dies in den Rechtssachen der Fall war, in denen das Urteil vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 6 und 50), ergangen ist.

113    Im vorliegenden Fall ist die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Verwenderin von PVA indessen nicht unmittelbar den Antidumpingzöllen unterworfen, die, wie sich aus Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2020/1336 ergibt, auf die Einfuhren erhoben werden.

114    Antidumpingzölle sind jedoch dazu bestimmt, ganz oder teilweise auf die Käufer der betreffenden Ware innerhalb der Union abgewälzt zu werden, also im vorliegenden Fall auf die Verwender von PVA, insbesondere die Hersteller von Flüssigklebstoffen.

115    Art. 12 der Grundverordnung sieht nämlich vor, dass die Kommission die Untersuchung im Sinne von Art. 6 dieser Verordnung wieder aufnehmen kann, um zu prüfen, ob sich Antidumpingzölle auf die Preise ausgewirkt haben, wenn sich herausstellt, dass diese Zölle nur zu einer unzureichenden Erhöhung der Weiterverkaufspreise oder der späteren Verkaufspreise der eingeführten Ware in der Union geführt haben.

116    Soweit sie es im vorliegenden Fall für erforderlich hielt, die Hersteller von PVA, der für die Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen bestimmt ist, von Antidumpingzöllen zu befreien, vertrat die Kommission zudem die Auffassung, dass die Verwender von PVA, die solche Klebstoffe herstellen, ohne eine solche Befreiung ganz oder teilweise die aufgrund der Antidumpingzölle anfallenden Zusatzkosten tragen würden. Es gibt in der Akte keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Situation der Verwender von PVA, die Flüssigklebstoff herstellen, insoweit anders wäre.

117    Ohne dass es auf die Eigenschaft als Einführerin von PVA ankäme, die die Klägerin ebenfalls besitzt (siehe oben, Rn. 6), genügt somit die Feststellung, dass sie als Verwenderin dieser Ware damit rechnen muss, die durch die Durchführungsverordnung 2020/1336 eingeführten Antidumpingzölle ganz oder teilweise zu tragen.

118    Aus den Erwägungen in den Rn. 112 bis 117 oben ergibt sich, dass die Tatsache, dass die Klägerin als Verwenderin von PVA, die mit den Begünstigten der in Rede stehenden Befreiung im Wettbewerb steht, nicht verpflichtet ist, die Antidumpingzölle selbst zu entrichten, die Schlussfolgerung oben in Rn. 111 nicht in Frage stellen kann.

119    Sodann ist zu prüfen, ob die Klägerin aufgrund der in Rede stehenden Befreiung in eine nachteilige Wettbewerbssituation geraten kann.

120    Insoweit hat der Gerichtshof in Rn. 46 des Urteils vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), weiter ausgeführt, dass es zwar nicht Sache der Unionsgerichte ist, im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung abschließend über die Wettbewerbsbeziehungen zwischen einem Kläger und den Begünstigten nationaler Maßnahmen, die in einem beihilferechtlichen Kommissionsbeschluss geprüft werden, zu befinden, dass jedoch die unmittelbare Betroffenheit eines solchen Klägers nicht aus der bloßen Möglichkeit einer Wettbewerbsbeziehung abgeleitet werden darf.

121    Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Unionsgerichte, soweit die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit erfordert, dass sich der angefochtene Rechtsakt unmittelbar auf die Rechtsstellung des Klägers auswirkt, vielmehr prüfen müssen, ob der Kläger stichhaltig dargelegt hat, weshalb der Beschluss der Kommission geeignet ist, ihn in eine nachteilige Wettbewerbssituation zu versetzen und sich damit auf seine Rechtsstellung auszuwirken (Urteil vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 47).

122    Zu den in jener Rechtssache in Rede stehenden Umständen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Kläger durch den Nachweis, dass sie auf demselben Markt wie die von der fraglichen Beihilfe Begünstigten tätig waren, stichhaltig dargetan hatten, dass der streitige Beschluss geeignet war, sie in eine nachteilige Wettbewerbssituation zu versetzen, und sich somit unmittelbar auf ihre Rechtsstellung auswirkte, insbesondere auf ihr Recht, auf diesem Markt keinem durch die fraglichen Maßnahmen verfälschten Wettbewerb ausgesetzt zu sein (Urteil vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 50).

123    Im vorliegenden Fall hat die Klägerin detailliert, und ohne insoweit auf Widerspruch zu stoßen, dargelegt, dass sie auf demselben Produktmarkt und demselben räumlichen Markt tätig sei wie einer der Wirtschaftsteilnehmer, der von der in Rede stehenden Befreiung profitiere. Sie stelle nämlich auf PVA-Basis Flüssigklebstoff für die Kartonindustrie in der Union her. Flüssigklebstoffe und Klebstoff-Trockenmischungen seien austauschbar, und die von ihren Kunden aufgrund der Antidumpingzölle zu tragenden Kosten könnten diese dazu veranlassen, eher bei den Herstellern von Klebstoff-Trockenmischungen einzukaufen.

124    Die Klägerin hat somit die Gründe dargelegt, weshalb die in Rede stehende Befreiung geeignet ist, sie in eine nachteilige Situation zu versetzen.

125    Somit ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass das erste der oben in Rn. 71 genannten Kriterien sowie die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit insgesamt erfüllt sind.

126    Aus den oben in den Rn. 49 bis 125 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die drei in Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV vorgesehenen und oben in Rn. 44 dargelegten Voraussetzungen erfüllt sind. Daher braucht nicht geprüft zu werden, ob die in Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV vorgesehenen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind.

127    Folglich ist der von der Kommission hilfsweise geltend gemachte Unzulässigkeitsgrund zu prüfen (siehe oben, Rn. 12).

3.      Vorliegen einer anfechtbaren Handlung

128    Die Kommission macht geltend, dass die Klage, falls das Gericht entscheiden sollte, dass die Klägerin von der in Rede stehenden Befreiung unmittelbar betroffen sei, gleichwohl unzulässig sei. Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 stelle nämlich keine anfechtbare Handlung dar, da er die Interessen der Klägerin nicht durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung beeinträchtige. Eine etwaige Lockerung der Rechtsprechung zur Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit, die sich aus der Übertragung des vom Gerichtshof im Urteil vom 6. November 2018, Montessori (C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873), verfolgten Ansatzes ergäbe, würde die Gefahr einer Popularklage begründen. Um dieser Gefahr zu begegnen, müsste zusätzlich verlangt werden, dass die Klägerin in Bezug auf die Voraussetzung der anfechtbaren Handlung das Vorliegen einer qualifizierten Änderung ihrer Rechtsstellung nachweise.

129    Vorab ist daran zu erinnern, dass Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 bezweckt, die Einfuhren von PVA mit Ursprung in China von den mit Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung eingeführten endgültigen Antidumpingzöllen zu befreien, wenn PVA für die Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen eingeführt wird, die in Pulverform für die Kartonindustrie hergestellt und an sie verkauft werden.

130    Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 erzeugt damit Rechtswirkungen gegenüber Dritten im Sinne von Art. 263 Abs. 1 AEUV.

131    Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass es sich bei den Handlungen, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV sein können, um Maßnahmen mit verbindlichen Rechtswirkungen handelt, die geeignet sind, die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung zu berühren (Urteil vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9).

132    Insoweit ist die oben in Rn. 131 angeführte Rechtsprechung im Rahmen von Klagen entwickelt worden, die natürliche oder juristische Personen bei den Unionsgerichten gegen an sie gerichtete Handlungen erhoben haben. Wenn eine Nichtigkeitsklage, wie im vorliegenden Fall, von einer nicht privilegierten Klägerin gegen eine nicht an sie gerichtete Handlung erhoben wird, überschneidet sich das Erfordernis, dass die verbindlichen Rechtswirkungen der angefochtenen Maßnahme die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen, mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer solchen Nichtigkeitsklage, wie sie vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestanden, d. h. nunmehr mit den Voraussetzungen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV mit Ausnahme der dritten Variante dieses Absatzes (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656, Rn. 38, und Beschluss vom 15. April 2021, Validity und Center for Independent Living/Kommission, C‑622/20 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:310, Rn. 39).

133    Somit gilt diese Rechtsprechung nicht für natürliche oder juristische Personen, an die die angefochtene Handlung nicht gerichtet ist und die bereits die in Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen, nämlich die Voraussetzungen der unmittelbaren und der individuellen Betroffenheit.

134    Ebenso ist davon auszugehen, dass die oben in Rn. 131 angeführte Rechtsprechung nicht für natürliche oder juristische Personen gilt, an die die angefochtene Handlung nicht gerichtet ist und die bereits die in Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen.

135    Erstens geht nämlich aus den Vorarbeiten zu Art. III‑365 Abs. 4 des Entwurfs eines Vertrags über eine Verfassung für Europa, dessen Inhalt in Art. 263 Abs. 4 AEUV wortgleich übernommen wurde, hervor, dass die Hinzufügung der dritten Variante dieser Regelung dazu bestimmt war, die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Nichtigkeitsklagen für natürliche und juristische Personen weiter zu fassen, und dass die einzigen Rechtsakte mit allgemeiner Geltung, für die ein restriktiver Ansatz beibehalten werden sollte, die Gesetzgebungsakte waren (Urteil vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 26).

136    Somit besteht das Ziel von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV darin, die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Nichtigkeitsklagen natürlicher und juristischer Personen gegen Rechtsakte mit allgemeiner Geltung, mit Ausnahme derer mit Gesetzescharakter, zu lockern (Urteil vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 27).

137    Wäre ein Kläger, der alle in Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt, dazu verpflichtet, eine „qualifizierte“ Änderung seiner Rechtsstellung nachzuweisen, damit festgestellt werden kann, dass die Voraussetzung des Vorliegens einer anfechtbaren Handlung erfüllt ist, führte dies jedoch zu einer Beschränkung der von den Verfassern des AEU‑Vertrags gewünschten Lockerung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Klagen.

138    Zweitens besteht das mit Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV verfolgte Ziel auch darin, dass diese Vorschrift, wie sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt, verhindern soll, dass ein Einzelner gezwungen ist, gegen das Recht zu verstoßen, um Zugang zu den Gerichten zu erlangen (Urteile vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 27, und vom 6. November 2018, Montessori, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 58).

139    Im vorliegenden Fall könnte die etwaige Unzulässigkeit der vorliegenden Klage, die darauf beruhen würde, dass die Klägerin keine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung nachgewiesen hat, dazu führen, dass sie, wenn sie ihr Begehren weiterverfolgen wollte, bei den zuständigen Zollbehörden einen Antrag auf Gewährung der fraglichen Befreiung stellen müsste. Eine solche Verpflichtung wäre jedoch abwegig, wie oben in Rn. 68 festgestellt worden ist.

140    Aus den oben in den Rn. 129 bis 139 angestellten Erwägungen ist abzuleiten, dass die Kommission die Einrede der Unzulässigkeit nicht mit Erfolg darauf stützen kann, dass Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 gegenüber der Klägerin keine verbindlichen Rechtswirkungen entfalte, die ihre Interessen durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung beeinträchtigen könnten.

141    Die von der Kommission insoweit erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.

142    Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die von der Kommission geltend gemachte Gefahr einer Popularklage nicht erwiesen ist. Die Feststellung der unmittelbaren Betroffenheit der Klägerin beschränkt sich nämlich im vorliegenden Urteil auf den Fall, dass eine Befreiung von Antidumpingzöllen im Rahmen einer allgemeinen rechtlichen Regelung für bestimmte Verwender der betreffenden Ware eine Ungleichbehandlung begründet, die zu einer nachteiligen Wettbewerbssituation führt (siehe oben, Rn. 110 und 111).

143    Nach alledem ist die vorliegende Klage zulässig.

B.      Begründetheit

144    Es ist darauf hinzuweisen, dass der Rat der Europäischen Union mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) einen Beschluss über den Abschluss des am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichneten Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) (im Folgenden: Übereinkommen zur Errichtung der WTO) sowie der Übereinkünfte u. a. in Anhang IA dieses Übereinkommens angenommen hat, darunter das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen 1994 (ABl. 1994, L 336, S. 11) und das Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 (ABl. 1994, L 336, S. 103, im Folgenden: Antidumping-Übereinkommen).

145    Im vorliegenden Fall beruft sich die Klägerin, die geltend macht, dass Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336 gegen Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung verstoße, auch auf Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens.

146    Die Klägerin weist darauf hin, dass Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung und Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens bestimmten, dass Antidumpingzölle ohne Diskriminierung eingeführt würden. Die einzig zulässige Ausnahme betreffe Einfuhren von Parteien, von denen Verpflichtungen angenommen worden seien.

147    Durch die in Rede stehende Befreiung seien demnach diskriminierende Antidumpingzölle zum Nachteil der Hersteller von Flüssigklebstoffen eingeführt worden, da für sie diese Zölle gälten, während die Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen davon befreit seien.

148    Die in Rede stehende Befreiung verstoße also gegen die oben in Rn. 145 angeführten Vorschriften.

149    Im Übrigen macht die Klägerin geltend, nur einer der chinesischen Ausführer von PVA könne von der in Rede stehenden Befreiung profitieren, nämlich der einzige Lieferant von Cordial, dem Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen, dessen Situation von der Kommission in der Durchführungsverordnung 2020/1336 berücksichtigt worden sei. Die in Rede stehende Befreiung sei somit gegenüber allen anderen chinesischen Ausführern von PVA diskriminierend.

150    Die Kommission macht in Erwiderung auf die oben in den Rn. 145 bis 148 dargelegte Rüge erstens geltend, die Ungleichbehandlung aufgrund der in Rede stehenden Befreiung falle nicht in den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots nach Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung, zweitens würde diese Ungleichbehandlung, selbst wenn dies doch der Fall wäre, keine Diskriminierung im Sinne dieser Vorschrift darstellen, und drittens wäre eine Diskriminierung, falls dennoch eine festgestellt werden sollte, gemäß Art. 21 der Grundverordnung durch das Unionsinteresse objektiv gerechtfertigt.

151    Die Kommission bestreitet auch das Vorliegen der oben in Rn. 149 angeführten Diskriminierung.

152    Aus den oben in den Rn. 144 bis 149 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass der einzige Klagegrund der Klägerin in zwei Rügen unterteilt ist, mit denen erstens eine diskriminierende Unterscheidung zwischen Verwendern von PVA in der Union und zweitens eine diskriminierende Unterscheidung zwischen chinesischen Ausführern von PVA geltend gemacht wird.

1.      Diskriminierende Unterscheidung zwischen Verwendern von PVA

153    Art. 9 Abs. 5 der Grundverordnung bestimmt:

„Ein Antidumpingzoll wird jeweils in der angemessenen Höhe ohne Diskriminierung auf alle Einfuhren der Ware gleich welcher Herkunft eingeführt, sofern festgestellt wurde, dass sie gedumpt sind und eine Schädigung verursachen; ausgenommen sind die Einfuhren von Parteien, von denen gemäß dieser Verordnung Verpflichtungen angenommen wurden.

…“

154    Die Kommission macht geltend, Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung und insbesondere der Ausdruck „ohne Diskriminierung“ seien nicht auf eine Ungleichbehandlung zwischen Verwendern der betreffenden Ware anwendbar, die im Gebiet des WTO-Mitglieds ansässig seien, das die Antidumpingzölle einführe.

155    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend macht. Ihre Rüge bezüglich der diskriminierenden Unterscheidung zwischen Verwendern von PVA beschränkt sich auf die Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung.

156    Die Klägerin führt in ihren Schriftsätzen aus, Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung sehe entgegen dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung nur eine einzige Ausnahme von der Einführung von Antidumpingzöllen vor, und zwar für Einfuhren von Parteien, von denen Verpflichtungen angenommen worden seien. Jede andere Befreiung sei daher zwangsläufig diskriminierend. Die von dieser Vorschrift verlangte Anwendung des allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung sei sehr spezifisch.

157    Angesichts der Eingrenzung der Rüge der Klägerin ist festzustellen, dass diese Rüge ins Leere ginge, wenn Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung, wie die Kommission geltend macht, nicht auf eine Ungleichbehandlung zwischen Verwendern der betreffenden Ware anwendbar wäre, was daher zu prüfen ist.

158    Zur Auslegung von Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung und insbesondere zur Eingrenzung seines Anwendungsbereichs berufen sich die Parteien auf Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens und seine Auslegung durch die Streitbeilegungsgremien der WTO.

159    Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens bestimmt:

„Der für eine Ware festgesetzte Antidumpingzoll wird jeweils in der angemessenen Höhe ohne Diskriminierung auf alle Einfuhren dieser Ware gleich welcher Herkunft erhoben, sofern festgestellt wurde, dass sie gedumpt sind und eine Schädigung verursachen, ausgenommen Einfuhren aus solchen Quellen, von denen gemäß diesem Übereinkommen Preisverpflichtungen angenommen wurden.“

160    Die Bezugnahme der Klägerin auf Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens ist dahin zu verstehen, dass Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung im Einklang mit dieser Vorschrift ausgelegt werden soll.

a)      Berücksichtigung der Vorschriften des Übereinkommens zur Errichtung der WTO sowie seiner Anhänge und der Berichte der am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO

161    Es ist zu prüfen, inwieweit erstens die Vorschriften des Übereinkommens zur Errichtung der WTO sowie seiner Anhänge und zweitens die Berichte der am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO bei der Auslegung von Vorschriften des abgeleiteten Rechts, wie von Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung, sinnvoll herangezogen werden können.

1)      Vorschriften des Übereinkommens zur Errichtung der WTO sowie seiner Anhänge

162    Der Gerichtshof hat in Bezug auf den Einfluss, den ein völkerrechtlicher Vertrag wie das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen 1994, zu dessen Vertragsparteien die Union gehört, auf die Auslegung einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts haben kann, entschieden, dass es der Vorrang der von der Union geschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor den Bestimmungen des abgeleiteten Rechts gebietet, diese Bestimmungen nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit den genannten Verträgen auszulegen (Urteile vom 10. September 1996, Kommission/Deutschland, C‑61/94, EU:C:1996:313, Rn. 52, und vom 7. Juni 2007, Řízení Letového Provozu, C‑335/05, EU:C:2007:321, Rn. 16).

163    Vor der Prüfung, ob eine solche völkerrechtskonforme Auslegung im vorliegenden Fall möglich ist, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Grundverordnung, soweit sie den Bestimmungen des Antidumping-Übereinkommens entsprechen, nach Möglichkeit im Licht der entsprechenden Bestimmungen dieses Übereinkommens auszulegen sind (vgl. Urteil vom 14. Juli 2021, Interpipe Niko Tube und Interpipe Nizhnedneprovsky Tube Rolling Plant/Kommission, T‑716/19, EU:T:2021:457, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

164    Da Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens und Art. 9 Abs. 5 der Grundverordnung nahezu denselben Wortlaut haben, entsprechen die Vorschriften des letztgenannten denen des erstgenannten Artikels.

165    Insoweit ist entschieden worden, dass der Anwendungsbereich von Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens insoweit demjenigen von Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung entspricht, als er eine Diskriminierung bei der Erhebung der für eine Ware bestehenden Antidumpingzölle entsprechend der Herkunft der betreffenden Einfuhren verbietet (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Dezember 2008, HEG und Graphite India/Rat, T‑462/04, EU:T:2008:586, Rn. 39).

166    Folglich sollte die Auslegung von Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung nach Möglichkeit im Einklang mit Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens erfolgen.

167    Es ist hinzuzufügen, dass die Möglichkeit, eine Bestimmung des abgeleiteten Rechts im Einklang mit einem internationalen Übereinkommen auszulegen, auf die in der oben in Rn. 162 angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen wird, nicht für eine Bestimmung gelten kann, deren Bedeutung klar und eindeutig ist und die daher keiner Auslegung bedarf, wie der Ausdruck „nach Möglichkeit“ belegt. Käme diese Rechtsprechung in einem solchen Fall zum Tragen, würde der Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung des abgeleiteten Unionsrechts als Grundlage für eine Auslegung dieser Bestimmung contra legem dienen, was nicht zugelassen werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Juli 2018, Confédération nationale du Crédit mutuel/EZB, T‑751/16, EU:T:2018:475, Rn. 34). Aus demselben Grund kann eine völkerrechtskonforme Auslegung nicht erfolgen, wenn der Sinn der in Rede stehenden Vorschrift des abgeleiteten Rechts nicht eindeutig ist und alle denkbaren Auslegungen dieser Bestimmung gegen die höherrangige Rechtsnorm verstoßen.

168    Wenn der Sinn der fraglichen Bestimmung des abgeleiteten Rechts zum einen eindeutig ist und zum anderen im Widerspruch zur höherrangigen Norm des internationalen Übereinkommens steht, kann diese Bestimmung somit nicht im Einklang mit der betreffenden Norm ausgelegt werden.

169    Im vorliegenden Fall ist keines dieser beiden Kriterien erfüllt.

170    Zunächst lässt der Ausdruck „ohne Diskriminierung“ in Art. 9 Abs. 5 der Grundverordnung mehrere Auslegungen zu.

171    Sodann kann Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung, da er Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens ähnlich ist, nicht als mit diesem im Widerspruch stehend angesehen werden.

172    Folglich ist der in Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung enthaltene Ausdruck „ohne Diskriminierung“ zum Zweck der Ermittlung seiner Bedeutung im Einklang mit dem in Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens enthaltenen Ausdruck „ohne Diskriminierung“ auszulegen.

173    Zudem können im Rahmen der Vorabauslegung letzterer Bestimmung andere einschlägige Bestimmungen des Übereinkommens zur Errichtung der WTO sowie seiner Anhänge berücksichtigt werden. Ein internationaler Vertrag ist nämlich unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Bedeutung, die seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommt, und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2018, Bosphorus Queen Shipping, C‑15/17, EU:C:2018:557, Rn. 67), wie es für die Auslegung internationaler Verträge Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331) vorsieht, das Bestandteil der Rechtsordnung der Union ist (Urteil vom 25. Februar 2010, Brita, C‑386/08, EU:C:2010:91, Rn. 42) und vom Rechtsmittelgremium der WTO berücksichtigt wird (Bericht vom 20. Mai 1996 über die Streitsache „Vereinigte Staaten – Normen für reformuliertes und konventionelles Benzin [WT/DS2/AB/R]“).

2)      Berichte der am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO

174    Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der allgemeine völkerrechtliche Grundsatz der Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen (pacta sunt servanda), der in Art. 26 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge niedergelegt ist, beinhaltet, dass die Unionsgerichte zum Zweck der Auslegung und Anwendung des Antidumping-Übereinkommens die Auslegung der verschiedenen Bestimmungen dieses Übereinkommens durch die am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO berücksichtigen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Hubei Xinyegang Special Tube, C‑891/19 P, EU:C:2022:38, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

175    So hat der Gerichtshof zur Stützung seiner Auslegung bestimmter Vorschriften von Übereinkommen im Anhang des WTO-Übereinkommens bereits auf Berichte eines Panels oder des Rechtsmittelgremiums der WTO Bezug genommen (vgl. Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Hubei Xinyegang Special Tube, C‑891/19 P, EU:C:2022:38, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

176    Der Gerichtshof hat auch anerkannt, dass bei der Auslegung des Unionsrechts auf die Berichte der am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO Bezug genommen werden kann (Urteile vom 10. November 2011, X und X BV, C‑319/10 und C‑320/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:720, Rn. 46, und vom 20. Januar 2022, Kommission/Hubei Xinyegang Special Tube, C‑891/19 P, EU:C:2022:38, Rn. 34).

177    Das Gericht hat seinerseits festgestellt, dass es auf die Berichte der am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO Bezug nehmen darf, wenn es die Bestimmungen der Grundverordnung anhand der Bestimmungen des Antidumping-Übereinkommens auslegt (vgl. entsprechend Urteil vom 10. April 2019, Jindal Saw und Jindal Saw Italia/Kommission, T‑300/16, EU:T:2019:235, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).

178    Aus den oben in den Rn. 174 bis 177 dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung und insbesondere der in diesem Artikel enthaltene Ausdruck „ohne Diskriminierung“ im Einklang mit der Auslegung von Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens durch die am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO auszulegen ist.

b)      Anwendbarkeit des Verbots diskriminierender Antidumpingzölle auf die Verwender der betreffenden Ware

179    Erstens hat das Rechtsmittelgremium der WTO in Ziff. 335 des Berichts vom 28. Juli 2011 über die Streitsache „Europäische Gemeinschaften – Endgültige Antidumpingmaßnahmen gegenüber bestimmten Verbindungselementen aus Eisen oder Stahl aus China (WT/DS397/R)“ ausgeführt, dass das Antidumping-Übereinkommen Regeln enthalte, die sich sowohl auf die Waren als auch auf die Einführer, die Ausführer und die Hersteller konzentrierten. In derselben Ziffer des Berichts hat das Gremium präzisiert, dass sich Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens sowohl auf die Waren als auch auf die Lieferanten beziehe.

180    Zwar hat das Rechtsmittelgremium der WTO nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass der Ausdruck „ohne Diskriminierung“ im ersten Satz von Art. 9.2 des Antidumping-Übereinkommens auf Verwender der betreffenden Ware angewandt werden kann, die im Gebiet des WTO-Mitglieds ansässig sind, das die Antidumpingzölle einführt. Jedoch werden diese Wirtschaftsteilnehmer nicht von dem in einer Vorschrift festgelegten Diskriminierungsverbot erfasst, wenn sich diese Vorschrift zum einen nicht auf sie bezieht und zum anderen in einem Übereinkommen enthalten ist, das sich auf die Waren selbst und auf andere Wirtschaftsteilnehmer als sie konzentriert.

181    Zweitens ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 9.2 des Antidumping-Übereinkommens, dass es darin ausschließlich um den Ursprung der Waren und nicht um ihre Verwendung im Gebiet des WTO-Mitglieds geht, das die Antidumpingzölle einführt.

182    Art. 9.2 des Antidumping-Übereinkommens bezieht sich nämlich auf die Lieferanten und auf die Herkunft bzw. die Quellen der Ware und nicht auf ihre Verwender.

183    Was speziell die Herkunft bzw. die Quellen der Ware anbelangt, bestimmt Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens, dass ein Antidumpingzoll ohne Diskriminierung auf die Einfuhren der betreffenden Ware „gleich welcher Herkunft“ erhoben wird, ausgenommen Einfuhren „aus solchen Quellen“, von denen gemäß diesem Übereinkommen Preisverpflichtungen angenommen wurden.

184    Das Rechtsmittelgremium der WTO hat in Ziff. 338 des Berichts vom 28. Juli 2011 über die Streitsache „Europäische Gemeinschaften – Endgültige Antidumpingmaßnahmen gegenüber bestimmten Verbindungselementen aus Eisen oder Stahl aus China“ (WT/DS397/R)“ ausgeführt, dass sich die in Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens enthaltenen Begriffe „Herkunft“ bzw. „Quellen“ auf individuelle „Ausführer oder Hersteller“ und nicht auf ein Land insgesamt bezögen. In Ziff. 354 des Berichts hat das Gremium präzisiert, dass der Begriff „Quellen“ die „Lieferanten“ bezeichne. Der letztgenannte Begriff scheint also im Kontext von Art. 9.2 des Antidumping-Übereinkommens mit den Begriffen „Ausführer“ oder „Hersteller“ austauschbar zu sein.

185    Wie die Klägerin zutreffend ausführt, hat das Rechtsmittelgremium der WTO in der in Rede stehenden Streitsache zwar zu der Frage Stellung genommen, ob der in Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens enthaltene Begriff „Quellen“, wie die Union geltend machte (vgl. Ziff. 333 und 337 des Berichts), auf ein Land insgesamt verweist und nicht nur die einzelnen Ausfuhrunternehmen bezeichnet.

186    Doch unabhängig davon, welche Frage das Rechtsmittelgremium der WTO beantwortet hat, hat es sich jedenfalls dafür entschieden, in seiner Antwort die Bedeutung des Begriffs „Quellen“ zu präzisieren, ohne dass irgendein Bestandteil seiner Antwort den Schluss zuließe, dass diese Bedeutung nur für die Antwort auf die oben in Rn. 185 genannte Frage von Belang wäre.

187    Da die vom Rechtsmittelgremium der WTO dargelegte Definition des Begriffs „Quellen“ die Hersteller, die Ausführer oder die Lieferanten bezeichnet, bestätigt sie, dass sich Art. 9.2 des Antidumping-Übereinkommens ausschließlich auf den Ursprung der Waren und nicht auf ihre Verwendung im Gebiet des WTO-Mitglieds, das die Antidumpingzölle einführt, bezieht. Diese Definition bestätigt daher die oben in Rn. 180 gezogene Schlussfolgerung.

188    Drittens ist festzustellen, dass die Art. I („Allgemeine Meistbegünstigung“) und III („Gleichstellung ausländischer mit inländischen Waren auf dem Gebiet der inneren Abgaben und Rechtsvorschriften“) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994, die als Grundlage für das Diskriminierungsverbot in dem durch die WTO geschaffenen Rechtssystem dienen, auf diskriminierende Ungleichbehandlungen zwischen „Nationen“ und somit zwischen Waren, die von verschiedenen WTO-Mitgliedern stammen, und nicht auf diskriminierende Ungleichbehandlungen zwischen Waren ein und desselben WTO-Mitglieds verweisen.

189    In Anbetracht aller oben in den Rn. 179 bis 188 dargelegten Gesichtspunkte kann Art. 9.2 Satz 1 des Antidumping-Übereinkommens nicht dahin ausgelegt werden, dass die Diskriminierung, auf die er sich bezieht, eine Ungleichbehandlung bezeichnet, die für Verwender der betreffenden Ware gilt, die im Gebiet des WTO-Mitglieds ansässig sind, das die Antidumpingzölle einführt.

190    Angesichts der oben in den Rn. 162 bis 172 dargelegten Erwägungen ist auch der Ausdruck „ohne Diskriminierung“ in Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung in diesem Sinne auszulegen.

191    Da Art. 9 Abs. 5 Unterabs. 1 der Grundverordnung nicht auf Verwender der betreffenden Ware anwendbar ist, kann sich die Klägerin folglich nicht mit Erfolg auf diese Vorschrift berufen, um eine Ungleichbehandlung zu beanstanden, die für in der Union ansässige Verwender der betreffenden Ware gilt.

192    Die vorliegende Rüge ist daher als ins Leere gehend zurückzuweisen.

2.      Diskriminierende Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen chinesischen Ausführern

193    Die Klägerin weist darauf hin, dass Cordial nur einen einzigen Lieferanten von PVA habe, wie sich aus dem 618. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336 ergebe, und dass dieser Lieferant ein chinesischer Ausführer sei.

194    Da die in Rede stehende Befreiung auf PVA begrenzt sei, das zur Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen bestimmt sei – d. h. dem von Cordial hergestellten Klebstoff –, werde dieser chinesische Ausführer gegenüber den anderen chinesischen PVA-Ausführern bevorzugt behandelt.

195    Insoweit ergibt sich aus Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2020/1336, dass diese Vorschrift dadurch, dass sie die in Rede stehende Befreiung davon abhängig macht, dass der eingeführte PVA zur Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen bestimmt ist, die in Pulverform für die Kartonindustrie hergestellt und an sie verkauft werden, allgemeine und abstrakte Bedingungen festlegt (siehe oben, Rn. 51). Die Befreiung kann somit die Waren jedes Wirtschaftsteilnehmers betreffen, der zur Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen bestimmten PVA ausführt (siehe oben, Rn. 52). Sie ist daher nicht dem Lieferanten von Cordial vorbehalten.

196    Folglich kommen grundsätzlich die Waren aller chinesischen Ausführer von PVA für die in Rede stehende Befreiung in Betracht.

197    Die Klägerin macht jedoch geltend, die in Rede stehende Befreiung komme in Wirklichkeit nur dem chinesischen Lieferanten von Cordial zugute.

198    Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Gericht auf die Berichte der am Streitbeilegungsverfahren beteiligten Gremien der WTO Bezug nehmen kann, wenn es die Grundverordnung anhand der Bestimmungen des Antidumping-Übereinkommens auslegt (siehe oben, Rn. 174 bis 178).

199    Ziff. 7.101 des Panelberichts vom 7. April 2000 zur Streitsache „Kanada – Patentschutz für pharmazeutische Erzeugnisse (WT/DS114)“ nimmt auf den Begriff der „faktischen Diskriminierung“ Bezug. Dort heißt es, dass es sich bei der faktischen Diskriminierung um einen allgemeinen Begriff handle, der die rechtliche Schlussfolgerung beschreibe, dass eine dem Anschein nach neutrale Maßnahme gegen eine Norm zum Diskriminierungsverbot verstoße, weil ihre tatsächliche Wirkung darin bestehe, eine nachteilige Ungleichbehandlung vorzuschreiben.

200    Zudem wird der Begriff der „faktischen Diskriminierung“ im Unionsrecht bereits verwendet, wenn auch im Bereich der staatlichen Beihilfen, nämlich um festzustellen, dass durch eine nationale Maßnahme, wenngleich sie sich nicht in Form eines von einer allgemeinen Steuerregelung abweichenden Steuervorteils, sondern in Form einer auf Kriterien allgemeiner Art beruhenden allgemeinen Steuerregelung darstellte, in Wirklichkeit eine faktische Ungleichbehandlung zwischen Unternehmen begründet wurde, die sich im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befanden (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 74).

201    Schließlich ähnelt der Begriff der „faktischen Diskriminierung“ dem im Unionsrecht weiter verbreiteten Begriff der „mittelbaren Diskriminierung“ (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Oktober 1993, Spotti, C‑272/92, EU:C:1993:848, Rn. 17 und 18, und vom 7. Mai 1998, Clean Car Autoservice, C‑350/96, EU:C:1998:205, Rn. 29 bis 31), einem Begriff, der auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwendet wird (EGMR, 13. November 2007, D. H. u. a./Tschechische Republik, CE:ECHR:2007:1113JUD005732500, §§ 193 bis 195) und der sich auf alle verdeckten Formen der Diskriminierung bezieht, die zu demselben Ergebnis führen wie eine offene Diskriminierung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. September 1998, Kommission/Frankreich, C‑35/97, EU:C:1998:431, Rn. 37 und 38).

202    Daher ist auf der Grundlage der von der Klägerin zur Stützung der oben in Rn. 197 angeführten Behauptung beigebrachten Beweise zu bestimmen, ob die in Rede stehende Befreiung eine faktische oder mittelbare Diskriminierung im Verhältnis zwischen den chinesischen Ausführern von PVA bewirkt.

203    Erstens muss im Hinblick auf die Rüge der Klägerin, dass die in Rede stehende Befreiung nur auf einen einzigen chinesischen Ausführer von PVA, nämlich den Lieferanten von Cordial, angewandt werden könne, geprüft werden, ob diese Befreiung nur Cordial zugutekommen kann.

204    Insoweit wird das Verfahren zur Herstellung von Klebstoff-Trockenmischungen, die in Pulverform für die Kartonindustrie hergestellt und an sie verkauft werden, im 623. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336 als innovativ bezeichnet.

205    Aus der Akte und insbesondere aus den von der Klägerin vorgelegten Beweisen geht jedoch nicht hervor, dass Cordial der einzige Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen in der Union wäre.

206    Zudem lässt sich aus keinerlei Anhaltspunkten in der Akte und insbesondere aus keinem der von der Klägerin vorgelegten Beweise ableiten, dass es für jeden anderen Wirtschaftsteilnehmer als Cordial unmöglich oder besonders schwierig wäre, solche Waren herzustellen. Insoweit ergibt sich aus der Akte nicht, dass ein rechtliches, technisches oder finanzielles Hindernis für den Eintritt eines solchen Wirtschaftsteilnehmers in den Markt für Klebstoff-Trockenmischungen bestünde.

207    Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass es andere Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen gibt oder dass weitere Hersteller in den Markt für diese Klebstoffe eintreten werden. Es gibt jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass andere Hersteller von Klebstoff-Trockenmischungen ihren Bedarf bereits beim PVA-Lieferanten von Cordial und nicht bei anderen Lieferanten, insbesondere bei chinesischen Ausführern von PVA, decken bzw. dort decken würden. Folglich kann nicht ausgeschlossen werden, dass andere chinesische Ausführer von PVA als der Lieferant von Cordial von der in Rede stehenden Befreiung profitieren können.

208    Zweitens wird in den Erwägungsgründen 618 und 624 der Durchführungsverordnung 2020/1336 ausgeführt, dass der von Cordial eingeführte PVA-Typ in Zusammenarbeit mit ihrem Lieferanten speziell entwickelt werde und dass eine langfristige Beziehung erforderlich sei, damit sich ein Lieferant an die Warenanforderungen von Cordial anpassen könne.

209    Ob Cordial auch weiterhin nur einen einzigen Lieferanten haben wird, hängt jedoch von einer Entscheidung der PVA-Hersteller, insbesondere der chinesischen Ausführer dieser Ware, und nicht von äußeren Faktoren ab, denen sie zwangsweise unterliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 1990, Nashua Corporation u. a./Kommission und Rat, C‑133/87 und C‑150/87, EU:C:1990:115, Rn. 40 und 41).

210    So lässt sich aus keinerlei Anhaltspunkten in der Akte und insbesondere aus keinem der von der Klägerin vorgelegten Beweise ableiten, dass die chinesischen Ausführer von PVA, die Cordial bislang nicht beliefern, nicht in der Lage wären, ihre Produktion anzupassen, um die oben in Rn. 208 erwähnte spezielle Nachfrage dieses Unternehmens zu bedienen.

211    Somit ist nicht ausgeschlossen, dass andere chinesische Ausführer als der Lieferant von Cordial, wenn sie dies wünschen, den Lieferbedarf von Cordial decken können.

212    Im Übrigen heißt es im 624. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336, dass Cordial Beweise dafür vorgelegt habe, dass sie in der Vergangenheit versucht habe, PVA bei einem taiwanesischen Hersteller zu kaufen, aber keinen Abschluss habe erzielen können, weil dieser Hersteller seine Ware ausschließlich über einen Händler in der Union verkaufe und nicht bereit gewesen sei, sie an die Anforderungen von Cordial anzupassen.

213    Aus dem 624. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2020/1336 und insbesondere aus dem folgenden Auszug, der von der Klägerin nicht in Frage gestellt wird, ergibt sich, dass Cordial ihre Abhängigkeit von ihrem PVA-Lieferanten begrenzen wollte:

„[Cordial] hat tatsächlich bereits versucht, neue Partnerschaften aufzubauen, war aber aufgrund [ihrer] geringen Größe nicht in der Lage, langfristige Beziehungen mit alternativen Lieferanten … herzustellen … Das Unternehmen legte Beweise dafür vor, dass es in der Vergangenheit versucht hat, PVA bei einem taiwanesischen Hersteller zu kaufen, aber keinen Abschluss erzielen konnte, weil dieser Hersteller ausschließlich über einen Händler in der [Union] verkauft und nicht bereit war, seine Waren an die Anforderungen von Cordial anzupassen. …“

214    Aus diesem Erwägungsgrund geht hervor, dass Cordial bereit wäre, auf Initiativen anderer, insbesondere chinesischer Ausführer von PVA, die sie mit dieser Ware beliefern möchten, positiv zu reagieren.

215    Dadurch wird auch die oben in Rn. 211 gezogene Schlussfolgerung bestätigt, dass andere chinesische Ausführer als der Lieferant von Cordial, wenn sie dies wünschten, den Lieferbedarf von Cordial decken könnten.

216    Aus den oben in den Rn. 203 bis 215 angestellten Erwägungen ergibt sich, dass das Bestehen von Hindernissen, die die Anwendung der in Rede stehenden Befreiung auf andere chinesische Ausführer von PVA als den Lieferanten von Cordial faktisch ausschließen, nicht erwiesen ist.

217    Folglich ist nicht nachgewiesen worden, dass andere chinesische Ausführer von PVA als der Lieferant von Cordial eine nachteilige Ungleichbehandlung erleiden. Da keine solche Ungleichbehandlung besteht, kann eine etwaige faktische Diskriminierung nicht als erwiesen angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2003, Changzhou Hailong Electronics & Light Fixtures und Zhejiang Yankon/Rat, T‑255/01, EU:T:2003:282, Rn. 61).

218    Aus dem Vorstehenden folgt, dass die zweite Rüge sowie der Klagegrund insgesamt zurückzuweisen sind.

219    Die Klage ist folglich abzuweisen.

IV.    Kosten

220    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

221    Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      EOC Belgium trägt die Kosten.

da Silva Passos

Valančius

Reine

Truchot

 

      Sampol Pucurull

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Dezember 2022.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.