Language of document : ECLI:EU:T:2022:632

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)

12. Oktober 2022(*)(1)

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Kommunikation der Kommission mit AstraZeneca und den deutschen Behörden zur Menge der Covid-19‑Impfstoffe und deren Lieferzeiten – Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren – Dokumente, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorgelegt wurden, das zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der der Zugang zu ihnen verweigert wurde, abgeschlossen war – Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen – Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen eines Dritten“

In der Rechtssache T‑524/21,

Hans-Wilhelm Saure, wohnhaft in Berlin (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt C. Partsch,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch G. Gattinara, K. Herrmann und A. Spina als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen (Berichterstatter) sowie der Richter C. Mac Eochaidh und J. Laitenberger,

Kanzler: S. Jund, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2022

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage gemäß Art. 263 AEUV beantragt der Kläger, Herr Hans-Wilhelm Saure, die Nichtigerklärung zum einen der Entscheidung C(2021) 5327 final der Kommission vom 13. Juli 2021, mit der der Zweitantrag auf Zugang zu bestimmten Dokumenten abgelehnt wurde (im Folgenden: erste angefochtene Entscheidung), und zum anderen der Entscheidung C(2022) 870 final der Kommission vom 7. Februar 2022, mit der der Zugang zu bestimmten Dokumenten verweigert wurde (im Folgenden: zweite angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger ist Journalist und arbeitet für die deutsche Tageszeitung Bild.

3        Mit Schreiben vom 29. Januar 2021 beantragte er auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) bei der Europäischen Kommission Zugang zu Kopien der gesamten Kommunikation zum einen zwischen der Kommission und der AstraZeneca plc oder deren Tochterunternehmen sowie zum anderen zwischen der Kommission und dem Bundeskanzleramt der Bundesrepublik Deutschland bzw. dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit zu diesem Unternehmen und seinen Tochtergesellschaften, jeweils ab dem 1. April 2020, insbesondere zur Menge der von diesem Unternehmen angebotenen Covid-19‑Impfstoffe und deren Lieferzeiten. Dieser Antrag wurde am 1. Februar 2021 unter dem Aktenzeichen GESTDEM 2021/0550 registriert.

4        Am 16. März 2021 reichte der Kläger einen Zweitantrag ein, da er von der Kommission innerhalb der in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen und gemäß Abs. 3 dieser Bestimmung verlängerten Frist keine Antwort erhalten hatte.

5        Die Dienststellen der Kommission bestätigten den Eingang des Zweitantrags am selben Tag. Am 9. April 2021, dem Tag des Ablaufs der Frist für die Bearbeitung dieses Antrags, wurde dem Kläger mitgeteilt, dass der Antrag derzeit bearbeitet werde und dass die Frist bis zum 30. April 2021, d. h. bis zum Ablauf der in Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen zusätzlichen 15 Arbeitstage, verlängert werde.

6        Am 23. April 2021 strengte die Europäische Union, vertreten durch die Kommission, beim Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel, Belgien) ein gerichtliches Verfahren gegen AstraZeneca an, das die Umsetzung der mit diesem Unternehmen geschlossenen Abnahmegarantie zum Gegenstand hatte.

7        Am 30. April 2021 informierten die Dienststellen der Kommission den Kläger erneut, dass der Zweitantrag bis zum Ablauf der Frist nicht beantwortet werden könne, und teilten ihm mit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihm so bald wie möglich eine Antwort zukommen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt führte das Ausbleiben einer Antwort auf den Zweitantrag gemäß Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 im Hinblick auf die angeforderten Dokumente zu einer stillschweigenden Ablehnung, gegen die der Kläger eine Nichtigkeitsklage erhob, die unter der Rechtssachennummer T‑232/21 in das Register eingetragen und mit Beschluss vom 18. März 2022, Saure/Kommission (T‑232/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:165), abgewiesen wurde.

8        Mit Beschluss vom 18. Juni 2021 verurteilte der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter AstraZeneca im Rahmen des Gerichtsverfahrens zwischen der Union und AstraZeneca unter Androhung eines Zwangsgelds dazu, den Mitgliedstaaten der Union nach einem verbindlichen Zeitplan weitere 50 Mio. Dosen Impfstoffe zu liefern.

9        Zur Beantwortung des Zweitantrags vom 16. März 2021 nahm die Generalsekretärin der Kommission am 13. Juli 2021 die erste angefochtene Entscheidung an. In dieser Entscheidung wurden insbesondere verschiedene Dokumente identifiziert und es wurde angegeben, dass der Zugang zu diesen Dokumenten zu verweigern sei, da diese unter die in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren fielen, da ein entsprechendes Verfahren beim Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel) anhängig sei.

10      Am 3. September 2021 hat die Kommission in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass die Union und AstraZeneca eine Einigung erzielt hätten und insbesondere der beim Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel) anhängige Rechtsstreit beigelegt werde. Dieses Gericht hat mit Urteil vom 15. Oktober 2021 die Klagerücknahme festgestellt.

11      Am 7. Februar 2022 hat die Generalsekretärin der Kommission unter Berücksichtigung der Beendigung dieses Gerichtsverfahrens nach einer erneuten Prüfung des Zweitantrags vom 16. März 2021 auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1049/2001 die zweite angefochtene Entscheidung erlassen, aus der hervorgeht, dass sie die erste angefochtene Entscheidung ersetzt.

12      Erstens hat die Kommission darauf hingewiesen, dass die Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren für sämtliche der folgenden Dokumente gelte:

–        Anhang zum Angebot von AstraZeneca (im Folgenden: Dokument 1.2);

–        ein Dokument vom 12. Juni 2020, das AstraZeneca und die Regierungen mehrerer Mitgliedstaaten zwecks Aushandlung und Abschluss eines Finanzierungsvertrags austauschten (im Folgenden: Dokument 2);

–        den Entwurf eines Finanzierungsvertrags, der von AstraZeneca am 24. Juni 2020 an die Regierungen mehrerer Mitgliedstaaten übermittelt wurde (im Folgenden: Dokument 3);

–        ein Dokument vom 20. November 2020 über die Entrichtung der zweiten Ratenzahlung, die in der mit AstraZeneca geschlossenen Abnahmegarantie vorgesehen ist (im Folgenden: Dokument 5);

–        die von AstraZeneca in den Sitzungen des Lenkungsausschusses vom 4. Dezember 2020, vom 22. Januar, vom 1., 11., 19. und 23. Februar sowie vom 11. März 2021 verwendeten Präsentationen (im Folgenden: Dokument 6);

–        eine von AstraZeneca in einer Sitzung vom 7. Dezember 2020 verwendete Präsentation (im Folgenden: Dokument 7);

–        eine von AstraZeneca in einer Sitzung vom 19. Januar 2021 verwendete Präsentation (im Folgenden: Dokument 8);

–        ein Dokument über die Liefertermine der Impfstoffe (im Folgenden: Dokument 9) mit fünf Anhängen (im Folgenden: Dokumente 9.1 bis 9.5);

–        eine Präsentation, die AstraZeneca in einer Sitzung des Lenkungsausschusses vom 25. Januar 2021 verwendet hat (im Folgenden: Dokument 10).

13      Außerdem hat die Kommission auf der Grundlage der Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren teilweise den Zugang zum E‑Mailverkehr zwischen der Kommission und AstraZeneca vom 27. Juli 2020 (im Folgenden: Dokument 11) verweigert.

14      Zweitens hat die Kommission auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen teilweise den Zugang zu bestimmten Dokumenten verweigert, indem sie die darin enthaltenen personenbezogenen Daten von Vertretern von AstraZeneca und Mitarbeitern der Kommission ohne Managementfunktion schwärzte. Es handelt sich dabei um folgende Dokumente:

–        E‑Mail an die Kommission mit dem Angebot von AstraZeneca (im Folgenden: Dokument 1.1);

–        E‑Mailverkehr zwischen AstraZeneca, der Kommission und der deutschen Regierung im Zeitraum vom 2. bis zum 13. Juli 2020 (im Folgenden: Dokument 4);

–        Dokument 11;

–        die am 27. August 2020 zwischen AstraZeneca und der Kommission geschlossene Abnahmegarantie (im Folgenden: Dokument 12).

15      Drittens ist es nach Ansicht der Kommission aufgrund der in Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen gerechtfertigt, nur teilweisen Zugang zu den folgenden Dokumenten zu gewähren:

–        Protokolle der Sitzungen des Lenkungsausschusses vom 4. Dezember 2020, vom 22. Januar, vom 1., 11., 19. und 23. Februar sowie vom 11. März 2021 (im Folgenden: Dokumente 6.1 bis 6.6);

–        Dokument 12.

16      Da die Kommission im Übrigen der Ansicht war, dass das Dokument mit dem Angebot von AstraZeneca (im Folgenden: Dokument 1) im Rahmen der Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen unter eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung falle, verweigerte sie den Zugang zu diesem Dokument vollständig.

17      Viertens gewährte die Kommission vollständigen Zugang zu den beiden Anhängen des Dokuments 11.

 Anträge der Parteien

18      In der Klageschrift beantragt der Kläger,

–        die erste angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

19      Die Kommission beantragt in ihrem Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache,

–        festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist;

–        jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

20      Im Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift beantragt der Kläger, die zweite angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären.

21      In ihrer Antwort auf den Schriftsatz zur Anpassung der Klageschrift beantragt die Kommission,

–        die Klage in der angepassten Form abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zum Antrag auf Nichtigerklärung der ersten angefochtenen Entscheidung

22      Im Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache hat die Kommission geltend gemacht, dass die Nichtigerklärung der ersten angefochtenen Entscheidung nicht mehr geeignet sei, dem Kläger im Ergebnis einen Vorteil zu verschaffen und dass sein Rechtsschutzinteresse mit dem Erlass der zweiten angefochtenen Entscheidung entfallen sei.

23      Die Klage sei daher in der Hauptsache erledigt.

24      Der Kläger hat zu dem Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache nicht Stellung genommen.

25      Im vorliegenden Fall geht aus der zweiten angefochtenen Entscheidung ausdrücklich hervor, dass sie die erste angefochtene Entscheidung ersetzt. Es wurde bereits entschieden, dass der Gegenstand eines Rechtsstreits insbesondere dann wegfallen kann, wenn die angefochtene Maßnahme während des Verfahrens zurückgenommen oder ersetzt wird, so dass diese aus der Unionsrechtsordnung getilgt wird, zumindest mit Wirkung für die Zukunft (vgl. Beschluss vom 7. Mai 2014, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑511/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:307, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Im Übrigen hat der Kläger mangels Widerspruchs gegen den Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache nicht geltend gemacht, dass ein Rechtsschutzinteresse daran bestehen bleibe, gegen die erste angefochtene Entscheidung vorzugehen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. März 2022, Saure/Kommission, T‑232/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:165, Rn. 26).

27      Folglich ist der vorliegende Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, soweit er sich gegen die erste angefochtene Entscheidung richtet, da der Kläger aufgrund des Erlasses der zweiten angefochtenen Entscheidung nicht länger über ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse verfügt.

 Zum Antrag auf Nichtigerklärung der zweiten angefochtenen Entscheidung

28      Der Kläger stützt seinen Antrag auf Nichtigerklärung der zweiten angefochtenen Entscheidung auf drei Klagegründe, mit denen er geltend macht, dass die drei Ausnahmen, auf die sich die Kommission zur Rechtfertigung der Verweigerung des Zugangs zu den angeforderten Dokumenten stütze, nicht anwendbar seien.

 Erster Klagegrund: Unanwendbarkeit von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001

29      Der Kläger macht geltend, dass die Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren nur so lange anwendbar sei, wie ein Rechtsstreit bei einem Gericht anhängig sei. Da das Verfahren vor dem Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel) abgeschlossen sei, sei die Offenlegung der angeforderten Dokumente nicht mehr geeignet, ein gerichtliches Verfahren im Sinne von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 zu beeinträchtigen. Im Übrigen dürfe gemäß Art. 871bis des Code judiciaire belge (belgisches Gerichtsgesetzbuch) nicht vom klaren Wortlaut dieses Artikels abgewichen werden.

30      Die Kommission macht geltend, dass die Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren im vorliegenden Fall auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens weiterhin für bestimmte Dokumente gelte, die im Rahmen dieses Verfahrens vorgelegt worden seien. Die Verweigerung des Zugangs zu den in Rede stehenden Dokumenten sei insbesondere erforderlich, um die Integrität des Gerichtsverfahrens zu gewährleisten.

31      Sie beruft sich ferner auf ihre Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit mit den Justizbehörden, weshalb sie bestimmte Dokumente, die im Lauf dieses Verfahrens vorgelegt und gemäß Art. 871bis des belgischen Gerichtsgesetzbuchs als vertraulich eingestuft worden seien, nicht offenlegen dürfe.

32      Im Übrigen habe der Kläger kein überwiegendes öffentliches Interesse geltend gemacht, das die Veröffentlichung dieser Dokumente rechtfertigen würde.

33      Nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigern die Organe den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

34      Im Übrigen gelten nach Art. 4 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Ausnahmen gemäß den Abs. 1 bis 3 nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist.

35      Daraus folgt, dass die Anwendung der in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme zwangsläufig insoweit zeitlich begrenzt ist, als sie der Verbreitung der Dokumente nur so lange entgegensteht, wie in Anbetracht ihres Inhalts die Gefahr einer Beeinträchtigung eines Gerichtsverfahrens andauert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Nach der Rechtsprechung beruht der Schutz dieser Verfahren insbesondere auf der Notwendigkeit, die Grundsätze der Waffengleichheit und der geordneten Rechtspflege zu wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 85).

37      Zur Beachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit wurde insbesondere entschieden, dass dann, wenn der Inhalt von Dokumenten, die den Standpunkt eines Organs in einem Rechtsstreit darlegen, Gegenstand einer öffentlichen Erörterung werden sollte, die Gefahr bestünde, dass die an den Dokumenten geübte Kritik den von dem Organ vor den betreffenden Gerichten vertretenen Standpunkt in unzulässiger Weise beeinflusst (vgl. Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Was die geordnete Rechtspflege und die Integrität des Gerichtsverfahrens betrifft, lässt sich der Ausschluss der Rechtsprechungstätigkeit vom Geltungsbereich des Rechts auf Zugang zu Dokumenten damit rechtfertigen, dass während des gesamten Gerichtsverfahrens sichergestellt sein muss, dass die Erörterungen zwischen den Parteien sowie die Beratungen des Gerichts über die anhängige Rechtssache in aller Ruhe und ohne Druck von außen auf die Rechtsprechungstätigkeit ablaufen (vgl. Urteil vom 6. Februar 2020, Compañía de Tranvías de la Coruña/Kommission, T‑485/18, EU:T:2020:35, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Dokumente, zu denen die Kommission den Zugang verweigert hat, Informationen über die Menge und die Lieferung der von AstraZeneca hergestellten Impfstoffe enthalten und dass es sich um Dokumente handelt, über die die Kommission vor dem 16. März 2021, dem Tag, an dem der Kläger einen Zweitantrag auf Zugang stellte, verfügte.

40      Diese Dokumente wurden erst in weiterer Folge im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorgelegt, das am 23. April 2021 wegen der Lieferung von Impfstoffen auf der Grundlage der mit AstraZeneca geschlossenen Abnahmegarantie vor dem Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel) eingeleitet worden war. Dieses Verfahren endete am 15. Oktober 2021, als das nationale Gericht die Klagerücknahme bestätigte, was zur endgültigen Beendigung des Verfahrens führte.

41      Daher war das Gerichtsverfahren, das die Anwendung der Ausnahme zum Schutz solcher Verfahren rechtfertigen konnte, am 7. Februar 2022 – dem Tag, als die zweite angefochtene Entscheidung erlassen wurde – bereits abgeschlossen.

42      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass ein Dokument, das nicht im Kontext eines bestimmten Gerichtsverfahrens erstellt worden ist, zwar durch die Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützt sein kann, wenn es zum Zeitpunkt der Bescheidung des Zugangsantrags im Rahmen eines solchen Gerichtsverfahrens vorgelegt worden ist (Urteil vom 29. Oktober 2020, Intercept Pharma und Intercept Pharmaceuticals/EMA, C‑576/19 P, EU:C:2020:873, Rn. 48).

43      Zum einen ergibt sich aber aus der weiten Definition des Begriffs „Dokument“ in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 sowie aus der Formulierung und dem bloßen Bestehen der Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren, dass der Unionsgesetzgeber die Tätigkeit der Organe im Zusammenhang mit solchen Verfahren nicht vom Zugangsrecht der Bürger ausschließen wollte, sondern hierfür vorgesehen hat, dass sie die Freigabe von Dokumenten aus einem Gerichtsverfahren dann verweigern, wenn eine solche Freigabe das Verfahren, auf das sich die Dokumente beziehen, beeinträchtigen würde (vgl. Urteil vom 27. Februar 2015, Breyer/Kommission, T‑188/12, EU:T:2015:124, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Zum anderen geht aus Art. 4 Abs. 7 Satz 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 hervor, dass es für die Feststellung, ob ein Dokument unter eine der in den Abs. 1 bis 3 dieses Artikels vorgesehenen Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten fällt, allein auf den Inhalt des angeforderten Dokuments ankommt (Urteil vom 29. Oktober 2020, Intercept Pharma und Intercept Pharmaceuticals/EMA, C‑576/19 P, EU:C:2020:873, Rn. 36).

45      Aus den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass der Umstand, wonach ein Dokument im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorgelegt wurde, nur bedeutet, dass ein solches Dokument nach der in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme geschützt sein kann, was gemäß Art. 4 Abs. 7 dieser Verordnung anhand des Inhalts dieses Dokuments zu prüfen ist.

46      Um zu beurteilen, ob wie vom Kläger geltend gemacht die Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren die Verweigerung des Zugangs zu den streitigen Dokumenten nach Abschluss dieses Verfahrens nicht länger rechtfertigen konnte, ist anders ausgedrückt zu prüfen, ob die Kommission in Anbetracht des Inhalts dieser Dokumente nachgewiesen hat, dass deren Offenlegung ein solches Verfahren nach wie vor beeinträchtigen würde.

47      Im vorliegenden Fall hat die Kommission jedoch nicht erläutert, inwiefern der Zugang zu den fraglichen Dokumenten angesichts ihres Inhalts weiterhin konkret und tatsächlich ein Gerichtsverfahren beeinträchtigen könnte, das zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der der Zugang zu diesen Dokumenten verweigert wurde, abgeschlossen war.

48      Mangels einer solchen Erläuterung, die auf einer konkreten Prüfung des Inhalts der streitigen Dokumente beruht, macht der Kläger daher zu Recht der Sache nach geltend, dass die Offenlegung eines im Rahmen des in Rede stehenden Gerichtsverfahrens vorgelegten Dokuments die Rechtsprechungstätigkeit des angerufenen nationalen Gerichts nicht mehr beeinträchtigen könne, da diese Tätigkeit nach Abschluss des Verfahrens beendet sei. Ebenso ist diese Offenlegung unter solchen Umständen grundsätzlich nicht mehr geeignet, die Verteidigung des Verfassers dieses Dokuments zu gefährden und damit gegen den Grundsatz der Waffengleichheit zu verstoßen. Dies hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung, in der sie das Augenmerk auf die Notwendigkeit der Gewährleistung der Integrität des Gerichtsverfahrens legte, auch eingeräumt. Zu diesem letzten Punkt ist aber auch festzustellen, dass nach Abschluss des Verfahrens die Erörterungen der Parteien sowie die Beratungen des betreffenden Gerichts über die anhängige Rechtssache in aller Ruhe und ohne äußeren Druck auf die Rechtsprechungstätigkeit ablaufen konnten.

49      Rn. 132 des Urteils vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541), auf die die Kommission in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen hat, vermag diese Schlussfolgerung nicht zu entkräften. In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass ein Organ den Zugang zu Schriftsätzen verweigern könne, die im Rahmen eines abgeschlossenen Gerichtsverfahrens verfasst wurden, wenn sich nach einer Prüfung ihres Inhalts herausstellt, dass sie Argumente enthalten, die die von diesem Organ in einem ähnlichen, noch anhängigen Gerichtsverfahren vertretene Rechtsauffassung stützen. In einem solchen Fall könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Offenlegung dieser Schriftsätze das letztgenannte Verfahren beeinträchtigt.

50      Im vorliegenden Fall gab es jedoch zum Zeitpunkt des Erlasses der zweiten angefochtenen Entscheidung kein anderes Gerichtsverfahren, das anhängig war oder unmittelbar bevorstand.

51      Ungeachtet dieser Feststellung macht die Kommission gleichwohl geltend, dass sie unabhängig vom Inhalt der streitigen Dokumente verpflichtet gewesen sei, den Zugang zu diesen Dokumenten zu verweigern, um den Anforderungen von Art. 871bis des belgischen Code judiciaire nachzukommen.

52      In diesem heißt es:

„Die Parteien …, die aufgrund ihrer Teilnahme an einem Gerichtsverfahren oder ihres Zugangs zu Dokumenten, die Teil eines solchen Gerichtsverfahrens sind, von einem Geschäftsgeheimnis oder einem angeblichen Geschäftsgeheimnis …, das der Richter aufgrund eines ordnungsgemäß mit Gründen versehenen Antrags eines Interessehabenden oder von Amts wegen als vertraulich eingestuft hat, Kenntnis erlangt haben, sind nicht befugt, dieses Geschäftsgeheimnis oder angebliche Geschäftsgeheimnis zu nutzen oder offenzulegen.

Diese … Vertraulichkeitspflicht besteht auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens weiter fort.“

53      Anders ausgedrückt ist eine Partei eines Gerichtsverfahrens nicht berechtigt, ein Geschäftsgeheimnis oder ein angebliches Geschäftsgeheimnis offenzulegen, von dem sie aufgrund ihrer Teilnahme am Verfahren Kenntnis erlangt hat, wenn das Gericht entschieden hat, dass dieses Geheimnis vertraulich zu behandeln sei. Dies gilt auch nach Abschluss des Verfahrens.

54      Die Kommission kann sich jedoch nicht auf diese Bestimmung berufen, um die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 und damit die Verweigerung des Zugangs zu den fraglichen Dokumenten zu rechtfertigen.

55      Als Erstes ist festzustellen, dass Art. 871bis des belgischen Code judiciaire der Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (ABl. 2016, L 157, S. 1) dient.

56      Gemäß dem elften Erwägungsgrund dieser Richtlinie sollte diese die Anwendung unionsweiter oder nationaler Rechtsvorschriften, nach denen Informationen, darunter Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder staatlichen Stellen offengelegt werden müssen, unberührt lassen. Ebenso sollte sie die Anwendung der Rechtsvorschriften unberührt lassen, nach denen es staatlichen Stellen gestattet ist, zur Erledigung ihrer Aufgaben Informationen zu erheben, oder der Rechtsvorschriften, nach denen diese staatlichen Stellen einschlägige Informationen an die Öffentlichkeit weitergeben dürfen oder müssen. Dazu gehören insbesondere Rechtsvorschriften über die Offenlegung geschäftsbezogener Informationen durch Organe und Einrichtungen der Union oder nationale Behörden, über die diese u. a. gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 verfügen.

57      Daraus folgt, dass sich die Kommission nicht auf eine Bestimmung des nationalen Rechts zur Umsetzung dieser Richtlinie berufen kann, um die ihr aus der Verordnung Nr. 1049/2001 obliegenden Verpflichtungen zu umgehen.

58      Als Zweites handelt es sich zum einen bei den streitigen Dokumenten, wie aus Rn. 39 des vorliegenden Urteils hervorgeht und von der Kommission in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, nicht um Dokumente, über die die Kommission aufgrund ihrer Teilnahme am Gerichtsverfahren im Sinne von Art. 871bis des belgischen Code judiciaire verfügt, da sich diese Dokumente bereits vor Beginn dieses Verfahrens im Besitz der Kommission befanden.

59      Zum anderen hat die Kommission in der zweiten angefochtenen Entscheidung auf einen Beschluss des nationalen Gerichts Bezug genommen, mit dem dieses entschieden habe, dass die Vertraulichkeit bestimmter, im Rahmen dieses Verfahrens vorgelegter Unterlagen gemäß Art. 871bis des belgischen Code judiciaire weiterhin zu wahren sei.

60      Aus den Antworten der Kommission auf eine prozessleitende Maßnahme geht jedoch im Wesentlichen hervor, dass das angerufene nationale Gericht keine auf diesem Artikel basierende Entscheidung erlassen hat. Vielmehr hätten die Parteien selbst vereinbart, dass bestimmte, in diesem Verfahren vorgelegte Dokumente gemäß dem genannten Artikel vertraulich bleiben würden. Diese Vereinbarung ersetze im Übrigen eine entsprechende richterliche Entscheidung.

61      Insoweit ist insbesondere festzustellen, dass die Parteien in dem Schriftstück, mit dem sie das nationale Gericht über ihre Einigung informiert haben, beim Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz von Brüssel) ausdrücklich beantragt haben, „festzustellen, … dass die Vertraulichkeitsverpflichtung, wie sie [in ihren] Schreiben vorgesehen ist, … nach dem Ende des Gerichtsverfahrens gemäß Art. 871bis [Abs.] 1 [Unterabs.] 3 des Code judiciaire weiter besteht“.

62      In seinem Urteil vom 15. Oktober 2021 hat sich das nationale Gericht jedoch darauf beschränkt, zum einen „die Zurückziehung der Klage durch die klagenden Parteien“ zu bestätigen und zum anderen „die Einigung der Parteien über die Kosten“ anzunehmen, ohne auf den Antrag einzugehen, mit dem es von den Parteien aufgefordert worden war, „zu erklären“, dass bestimmte Dokumente auch nach Abschluss des Verfahrens weiterhin vertraulich blieben.

63      Aus dem Beschluss vom 18. Juni 2021 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geht auch nicht hervor, dass das Gericht entschieden hätte, dass bestimmte, im Lauf des gerichtlichen Verfahrens vorgelegte Schriftstücke gemäß Art. 871bis des Code judiciaire als vertraulich einzustufen seien. In diesem Beschluss heißt es nämlich lediglich, dass „[in] der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2021 die Parteien auf Anordnung bestätigt haben, dass der Vermerk ‚vertraulich‘ auf bestimmten Schriftstücken und Auszügen aus ihren Anträgen nicht verhindert, dass einige ihrer Ausführungen in [diesem] Beschluss [wiedergegeben werden]“, ohne dass auf den fraglichen Artikel oder seinen Inhalt eingegangen wird.

64      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Kommission nicht mittels einer bloßen Vereinbarung mit einer dritten Gesellschaft das jedem Unionsbürger unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 zustehende Recht auf Zugang zu Dokumenten im Besitz dieses Organs einschränken kann. Zuzulassen, dass sich ein Organ auf eine solche Vereinbarung berufen könnte, um den Zugang zu in seinem Besitz befindlichen Dokumenten zu verweigern, liefe dementsprechend darauf hinaus, eine Umgehung der dem Organ obliegenden Verpflichtung zur Gewährung des Zugangs zu gestatten, es sei denn, die Offenlegung dieser Dokumente würde eines der durch Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützten Interessen beeinträchtigen.

65      Aus dem Vorstehenden ergibt sich auch, dass sich die Kommission, soweit die Parteien untereinander übereingekommen sind, bestimmte Dokumente als vertraulich einzustufen, ohne weiteres Handeln des nationalen Gerichts als des oben in den Rn. 61 bis 63 dargelegten, nicht auf ihre Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit mit den Justizbehörden der Mitgliedstaaten berufen kann, um die Verweigerung des Zugangs zu diesen Dokumenten zu rechtfertigen.

66      Als Drittes ist darauf hinzuweisen, dass sich der Zweck von Art. 871bis des belgischen Code judiciaire, der Geschäftsgeheimnisse schützen soll, von dem mit Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 verfolgten Zweck unterscheidet, der die Beachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit sowie des Grundsatzes der geordneten Rechtspflege und der Integrität des Gerichtsverfahrens gewährleisten soll. Daher kann der bloße Umstand, dass die streitigen Dokumente Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse enthalten, jedenfalls nicht erklären, inwiefern der Zugang zu diesen Dokumenten das zum Zeitpunkt des Erlasses der zweiten angefochtenen Entscheidung abgeschlossene Gerichtsverfahren weiterhin konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte.

67      Ohne auszuschließen, dass ein Dokument, das ein Geschäftsgeheimnis enthält, unter eine der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen wie die Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen fallen könnte, was anhand des Inhalts des fraglichen Dokuments vom betreffenden Organ zu prüfen ist, genügt der bloße Umstand, dass dieses Geschäftsgeheimnis im Rahmen eines nunmehr abgeschlossenen Gerichtsverfahrens offengelegt und von den Verfahrensparteien als vertraulich im Sinne von Art. 871bis des belgischen Code judiciaire eingestuft wurde, daher nicht, um die Anwendung der in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme auf die in Rede stehenden Dokumente zu rechtfertigen.

68      Aus alledem ergibt sich, dass dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben ist.

 Zweiter Klagegrund: Unanwendbarkeit von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001

69      Der Kläger macht geltend, dass das öffentliche Interesse an der Veröffentlichung der in den angeforderten Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten das Recht der bestimmten oder bestimmbaren Personen auf Schutz ihrer in den betreffenden Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten überwiege. Er beruft sich insoweit auf seine Eigenschaft als Journalist und auf die Aufgabe, die er als solcher für die Öffentlichkeit und das Informieren der Öffentlichkeit erfülle. Die Frage nach der Lieferung von Impfstoffen sei Gegenstand medialer Erörterungen in ganz Europa gewesen und der Zugang zu den in Rede stehenden personenbezogenen Daten würde ihm Recherchen zum Verhalten der Kommission beim Erwerb der Impfstoffe ermöglichen.

70      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

71      Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigern die Organe der Union den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen, insbesondere gemäß den Rechtsvorschriften der Union über den Schutz personenbezogener Daten, beeinträchtigt würde.

72      Nach der Rechtsprechung folgt daraus, dass dann, wenn ein Antrag auf die Gewährung des Zugangs zu personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG (ABl. 2018, L 295, S. 39) gerichtet ist, die Bestimmungen dieser Verordnung in vollem Umfang anwendbar werden (vgl. Urteil vom 6. April 2022, Saure/Kommission, T‑506/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:225, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73      Daher dürfen personenbezogene Daten nach der Verordnung Nr. 1049/2001 nur an Dritte übermittelt werden, wenn diese Übermittlung zum einen die Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a oder b der Verordnung 2018/1725 erfüllt und zum anderen eine rechtmäßige Verarbeitung im Sinne der Anforderungen von Art. 5 dieser Verordnung darstellt (vgl. Urteil vom 6. April 2022, Saure/Kommission, T‑506/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:225, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74      Insbesondere geht aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2018/1725 hervor, dass die Übermittlung personenbezogener Daten von der Erfüllung mehrerer kumulativer Voraussetzungen abhängt.

75      Zunächst muss derjenige, der den Zugang beantragt, nachweisen, dass die Übermittlung personenbezogener Daten für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erforderlich ist. Um diese Voraussetzung zu erfüllen, ist nachzuweisen, dass die Übermittlung der personenbezogenen Daten unter allen denkbaren Maßnahmen die Maßnahme ist, die sich am besten dazu eignet, das Ziel des Antragstellers zu erreichen, und dass diese Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Ziel steht, weshalb der Antragsteller verpflichtet ist, insoweit ausdrückliche rechtliche Begründungen vorzutragen (vgl. Urteil vom 19. September 2018, Chambre de commerce et d’industrie métropolitaine Bretagne-Ouest [port de Brest]/Kommission, T‑39/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:560, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Erst wenn der Antragsteller die Erforderlichkeit der Übermittlung der personenbezogenen Daten zu einem bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck nachgewiesen hat, ist es Sache des betreffenden Organs, zu prüfen, ob ein Grund für die Annahme besteht, dass durch die in Rede stehende Übermittlung möglicherweise die berechtigten Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden, und in einem solchen Fall im Hinblick auf die Ermittlung der Verhältnismäßigkeit der beantragten Übermittlung personenbezogener Daten die verschiedenen konkurrierenden Interessen in nachprüfbarer Weise gegeneinander abzuwägen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, ClientEarth und PAN Europe/EFSA, C‑615/13 P, EU:C:2015:489, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Im vorliegenden Fall geht aus der zweiten angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Kommission in einigen veröffentlichten Dokumenten, nämlich den Dokumenten 1.1, 4, 11 und 12 personenbezogene Daten wie insbesondere Namen, Kontaktdaten und Unterschriften von Vertretern von AstraZeneca und Mitarbeitern der Kommission, die keine Managementfunktion innehaben, geschwärzt hat.

78      In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, dass seiner Ansicht nach das der Unterschrift auf S. 34 des Dokuments 12 beigefügte Datum nicht unter den Begriff der personenbezogenen Daten im Sinne der Verordnung 2018/1725 subsumiert werden könne. Daher habe die Kommission diese Information zu Unrecht auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme geschwärzt. Hierzu hat die Kommission darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung ein handschriftliches Datum von den personenbezogenen Daten im Sinne der Verordnung 2018/1725 erfasst sei.

79      Insoweit konnte das Gericht nach der Vorlage der vollständigen Fassung der Dokumente, zu denen die Kommission den Zugang verweigert hatte, feststellen, dass das fragliche Datum von der Verfasserin tatsächlich handschriftlich angebracht worden war.

80      Da es sich um Informationen über die Handschrift dieser Person handelt, ist davon auszugehen, dass es sich um Daten über diese Person handelt, und sie daher unter den Begriff „personenbezogene Daten“ im Sinne der Verordnung 2018/1725 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Nowak, C‑434/16, EU:C:2017:994, Rn. 34 und 37). Im Übrigen hat die Kommission, nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung Zweifel hinsichtlich des Datums geäußert hatte, an dem dieses Dokument unterzeichnet worden sei, klargestellt, dass die Unterzeichnung am 27. August 2020 stattgefunden habe.

81      Das vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument ist daher zurückzuweisen.

82      Im Übrigen bestreitet der Kläger nicht, dass es sich bei den Informationen, deren Offenlegung er begehrt, um personenbezogene Daten handelt. Daher hat das Gericht zu prüfen, ob er gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2018/1725 seiner Verpflichtung nachgekommen ist, die Erforderlichkeit der Übermittlung dieser Daten zu einem bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck nachzuweisen.

83      In diesem Punkt hebt der Kläger seine Rolle als Journalist in einer demokratischen Gesellschaft besonders hervor und betont dabei die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über die Fragen zur Lieferung von Impfstoffen zu informieren, die Gegenstand von Erörterungen in den Medien gewesen seien, sowie schließlich die Desinformation zu bekämpfen.

84      Damit hat der Kläger zwar das von ihm verfolgte Ziel benannt. Mit seinen Erwägungen zu ebendiesem Ziel kann jedoch nicht hinreichend dargetan werden, dass die Übermittlung dieser Daten erforderlich im Sinne der oben in Rn. 75 angeführten Rechtsprechung wäre, da sich anhand dieser Erwägungen allein nicht nachweisen lässt, dass diese Übermittlung unter allen denkbaren Maßnahmen diejenige ist, die sich am besten dazu eignet, den bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, der geltend gemacht wird, zu erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zwar darauf hingewiesen, dass es ihm ob der Schwärzung der Namen und der Kontaktdaten der Mitarbeiter der Kommission nicht möglich gewesen sei, zu überprüfen, ob diese Daten tatsächlich Mitarbeitern der Kommission entsprächen, die keine Managementfunktion innehätten. Da der Kläger jedoch im Besitz der von ihm angeforderten Dokumente war, war es an ihm, festzustellen, ob es Anhaltspunkte gibt, die vernünftige Zweifel daran zulassen, dass die von der Kommission vorgenommenen Schwärzungen Mitarbeiter der Kommission betrafen, die keine Managementfunktion innehaben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 2014, Strack/Kommission, C‑127/13 P, EU:C:2014:2250, Rn. 76). Der Kläger hat jedoch keine solchen Anhaltspunkte benannt.

85      Im Übrigen hat der Kläger zum einen nicht im Einzelnen dargelegt, inwiefern die Verbreitung der personenbezogenen Daten in den Dokumenten, zu denen er Zugang hatte, erforderlich wäre, um die Verbreitung falscher Informationen über Covid-19‑Impfstoffe zu bekämpfen. Zum anderen hat er auch nicht dargetan, dass die Öffentlichkeit ein Interesse daran habe, genau die geschwärzten personenbezogenen Daten zu erfahren, insbesondere die Namen und Kontaktdaten von Vertretern von AstraZeneca und Mitarbeitern der Kommission, die keine Managementfunktion innehaben. Insoweit beruht das Vorbringen des Klägers im Gegensatz zu den Umständen der Rechtssache, in der das Urteil vom 16. Juli 2015, ClientEarth und PAN Europe/EFSA (C‑615/13 P, EU:C:2015:489), ergangen ist, auf keinem konkreten Anhaltspunkt, der belegen könnte, dass die Verbreitung der in Rede stehenden personenbezogenen Daten erforderlich ist.

86      Daraus folgt, dass das Argument des Klägers, dass er die Öffentlichkeit in seiner Eigenschaft als Journalist insbesondere über die Mengen und Lieferfristen der Impfstoffe von AstraZeneca informieren müsse, sich nicht zum Nachweis dafür eignet, dass die Übermittlung der fraglichen personenbezogenen Daten erforderlich ist.

87      Da die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2018/1725 festgelegten Voraussetzungen kumulativ sind und die erste Voraussetzung, nach der die Übermittlung der personenbezogenen Daten für einen bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erforderlich sein muss, nicht erfüllt ist, ist davon auszugehen, dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 der Verbreitung der personenbezogenen Daten entgegensteht, die in den Dokumenten, zu denen der Kläger Zugang hatte, geschwärzt worden sind, ohne dass die übrigen in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2018/1725 festgelegten Voraussetzungen zu prüfen sind.

88      Der zweite Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

 Dritter Klagegrund: Unanwendbarkeit von Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001

89      Der Kläger ist der Meinung, dass der in Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 verwendete Begriff „geschäftliche Interessen“ im Licht von Art. 2 der Richtlinie 2016/943 auszulegen sei, der den Begriff „Geschäftsgeheimnis“ definiere. Die Informationen, zu denen er Zugang beantragt habe, fielen nicht unter diese Definition. Allgemein hätten die Informationen, die in den beantragten Dokumenten geschwärzt worden seien, keinen kommerziellen Wert mehr, da der in Rede stehende Vertrag nunmehr abgeschlossen worden sei.

90      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

91      Nach Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigern die Organe den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums, beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

92      Hierzu ist festzustellen, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 keine Definition des Begriffs der geschäftlichen Interessen enthält, sondern lediglich klarstellt, dass diese Interessen das geistige Eigentum einer natürlichen oder juristischen Person umfassen können. Außerdem ergibt sich aus Art. 4 Abs. 7 dieser Verordnung, dass die Ausnahme für diese geschäftlichen Interessen insofern eine Besonderheit aufweist, als sie für einen Zeitraum von über 30 Jahren gelten kann.

93      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nicht jede Information über eine Gesellschaft und ihre Geschäftsbeziehungen unter den Schutz fallen kann, der den geschäftlichen Interessen nach Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 zu garantieren ist; andernfalls würde die Geltung des allgemeinen Grundsatzes, der Öffentlichkeit einen größtmöglichen Zugang zu Dokumenten der Organe zu gewähren, vereitelt (vgl. Urteil vom 9. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, T‑516/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:759, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung). Jedenfalls kann dieser Schutz sensible geschäftliche Informationen wie Informationen über die Geschäftsstrategien von Unternehmen, die Höhe ihrer Absätze, ihre Marktanteile oder ihre Geschäftsbeziehungen umfassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juni 2012, Kommission/Agrofert Holding, C‑477/10 P, EU:C:2012:394, Rn. 54 bis 56, und vom 9. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, T‑516/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:759, Rn. 83).

94      Im vorliegenden Fall ist als Erstes hinsichtlich der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung für das Dokument 1 darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass es einem Organ grundsätzlich freisteht, sich auf allgemeine Annahmen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten können, da für Anträge auf Verbreitung von Dokumenten gleicher Art vergleichbare allgemeine Erwägungen gelten. Es muss sich jedoch in jedem Einzelfall vergewissern, ob die allgemeinen Erwägungen, die normalerweise für einen bestimmten Dokumententypus gelten, tatsächlich auf den betreffenden Dokumententypus Anwendung finden, dessen Verbreitung beantragt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 50). Diese allgemeine Vermutung schließt jedoch nicht die Möglichkeit aus, diese Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Verbreitung ersucht wird, zu widerlegen oder ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung dieses Dokuments gemäß der in Rede stehenden Bestimmung der Verordnung Nr. 1049/2001 nachzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Juni 2010, Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, C‑139/07 P, EU:C:2010:376, Rn. 62, und vom 28. Juni 2012, Kommission/Éditions Odile Jacob, C‑404/10 P, EU:C:2012:393, Rn. 126).

95      Außerdem haben die Unionsgerichte bereits entschieden, dass den von Bietern im Rahmen einer Ausschreibung eingereichten Angeboten eine solche allgemeine Vermutung zugutekommen kann, nach der sie in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung für den Schutz geschäftlicher Interessen fallen, vor allem aufgrund der vertraulichen wirtschaftlichen und technischen Angaben, die sie enthalten, beispielsweise Angaben zu den Kompetenzen und Arbeitsmethoden des betreffenden Bieters, zu seinem Know-how, seiner internen Organisation, seinen Kosten und den angebotenen Preisen. In einem solchen Fall gilt diese Vermutung grundsätzlich für jede natürliche oder juristische Person gleichermaßen, unabhängig davon, ob es sich um einen erfolgreichen Bieter, einen abgelehnten Bieter oder einen Dritten handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, ViaSat/Kommission, T‑734/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:123, Rn. 42, 52 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

96      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der zweiten angefochtenen Entscheidung, dass AstraZeneca ihr Angebot und die dazugehörigen Anhänge im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit der Kommission abgegeben hat, wobei diese im Rahmen der Covid‑19‑Impfstoffstrategie der Union als zentrale Beschaffungsstelle fungierte. Obwohl die Kommission eigenständige Verhandlungsverfahren mit unterschiedlichen Herstellern solcher Impfstoffe geführt hat, können diese Verfahren unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles unter Berücksichtigung ihrer zeitlichen Nähe und der Gesamtstrategie zur Beschaffung solcher Impfstoffe einem Vergabeverfahren gleichgestellt werden.

97      Die Kommission hat in der zweiten angefochtenen Entscheidung auch darauf hingewiesen, dass das Angebot von AstraZeneca und seine Anhänge insbesondere Informationen über die Methoden und das Know-how dieses Unternehmens, konkrete Preise, Einzelheiten zu den Budgets und den entsprechenden Zeitplänen sowie Elemente von Geschäftsstrategien enthielten.

98      Unter diesen Umständen ist die Kommission entgegen dem Vorbringen des Klägers zu Recht davon ausgegangen, dass für das Dokument 1 eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung gilt, wonach seine Verbreitung grundsätzlich den Schutz der geschäftlichen Interessen von AstraZeneca beeinträchtigen würde.

99      Was als Zweites die geschwärzten Informationen in den Dokumenten 6.1 bis 6.6 und 12 betrifft, so ergibt sich aus der zweiten angefochtenen Entscheidung, dass diese Informationen die geschäftlichen Interessen von AstraZeneca betreffen und deren Veröffentlichung die Wettbewerbsposition dieses Impfstoffherstellers beeinträchtigen könnte. Bei diesen Informationen handele es sich nämlich u. a. um Geschäftsgeheimnisse, sensible Informationen über die Produkte und die Methoden dieses Unternehmens, insbesondere zur verwendeten Impfstofftechnologie, um detaillierte Preisinformationen, Informationen über die Produktion, die Produktionsstätten, die Lieferpläne und den Transport der Impfdosen.

100    Was insbesondere die geschwärzten Informationen in der Abnahmegarantie (Dokument 12) betrifft, hat die Kommission darauf hingewiesen, dass diese sensible Geschäftsinformationen über die Preise und die Methode zur Berechnung der Kosten (geschätzte Gesamtkosten, Preis pro geimpfter Person, im Hinblick auf den Wechselkurs angewandte Methodik) und über die anwendbaren Haftungs- und Entschädigungsklauseln sowie schließlich Informationen über die Rechte des geistigen Eigentums enthielten. Diese Informationen seien angesichts des sehr wettbewerbsintensiven Umfelds, in dem Pharmalabore insbesondere im Zusammenhang mit der Covid‑19‑Pandemie tätig seien, umso sensibler, als diese Labore weltweit miteinander im Wettbewerb stünden, um Impfstoffe gegen dieses Virus auch an außerhalb der Union ansässige Käufer zu liefern.

101    Der Kläger bestreitet weder diesen Sachverhalt noch Art und Inhalt der in Rede stehenden geschwärzten Informationen, macht aber im Wesentlichen geltend, dass diese Informationen keine sensiblen geschäftlichen Informationen im Sinne von Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 seien, da sie nicht unter den Begriff „Geschäftsgeheimnis“ gemäß Art. 2 der Richtlinie 2016/943 fielen.

102    Insoweit ergibt sich zum einen aus dem Vorstehenden, dass der Kläger den Begriff der geschäftlichen Interessen zu Unrecht auf den Begriff „Geschäftsgeheimnisse“ im Sinne der Richtlinie 2016/943 verengt. Zum anderen ist zu den kumulativen Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie festzustellen, dass im Licht der in der zweiten angefochtenen Entscheidung dargelegten und oben in den Rn. 96, 97 und 99 wiedergegebenen Umstände die im Rahmen der Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen geschwärzten Informationen sehr wohl Informationen darstellen, die im Sinne dieser Bestimmung den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, nicht allgemein bekannt sind. Außerdem geht aus den Akten nicht hervor, dass diese Informationen nicht Gegenstand angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen waren, so dass nichts darauf hindeutet, dass diese Informationen anderen Personen als denjenigen zugänglich wären, die die rechtmäßige Kontrolle über diese Informationen haben.

103    Folglich ist der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

104    Da dem ersten Klagegrund stattzugeben ist und sich die Kommission in der zweiten angefochtenen Entscheidung zur Rechtfertigung der Verweigerung des Zugangs zu den Dokumenten 1.2, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 9.1 bis 9.5 und 10 sowie zu einem Teil des Dokuments 11 auf keine weitere Ausnahme gestützt hat, ist diese Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit dem Kläger darin der Zugang zu diesen Dokumenten verweigert wird.

105    Insbesondere zu Dokument 1.2, nämlich einem Anhang zu dem von AstraZeneca eingereichten Angebot (Dokument 1), ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie sich aus Rn. 97 des vorliegenden Urteils ergibt, in der zweiten angefochtenen Entscheidung zwar darauf hingewiesen hat, dass für das Angebot und seine Anhänge eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung gelte, wonach deren Verbreitung den Schutz der geschäftlichen Interessen von AstraZeneca beeinträchtigen würde. Auf eine Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat die Kommission jedoch klargestellt, dass sie sich in Bezug auf das Dokument 1.2 nicht auf die Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen berufen wollte, da dieses Dokument ausschließlich unter die Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren falle.

106    Soweit sich die vorliegende Klage gegen die zweite angefochtene Entscheidung in den Teilen richtet, in denen mit ihr der Zugang zu den Dokumenten 1, 1.1, 4, 6.1 bis 6.6 und 12 sowie zu den von der Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen erfassten Daten des Dokuments 11 verweigert wird, ist die Klage hingegen abzuweisen.

 Kosten

107    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Außerdem entscheidet das Gericht nach Art. 137 der Verfahrensordnung, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt, über die Kosten nach freiem Ermessen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Klägers neben ihren eigenen Kosten die Kosten des Klägers aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung C(2021) 5327 final der Kommission vom 13. Juli 2021, mit der der Zweitantrag auf Zugang zu bestimmten Dokumenten abgelehnt wurde, hat sich erledigt.

2.      Die Entscheidung C(2022) 870 final der Kommission vom 7. Februar 2022 wird für nichtig erklärt, soweit Herrn Hans-Wilhelm Saure darin der Zugang zu folgenden Dokumenten verweigert wird:

–        Anhang zum Angebot von AstraZeneca (Dokument 1.2);

–        ein Dokument vom 12. Juni 2020, das AstraZeneca und die Regierungen mehrerer Mitgliedstaaten zwecks Aushandlung und Abschluss eines Finanzierungsvertrags austauschten (Dokument 2);

–        Entwurf eines Finanzierungsvertrags, der von AstraZeneca am 24. Juni 2020 an die Regierungen mehrerer Mitgliedstaaten übermittelt wurde (Dokument 3);

–        ein Dokument vom 20. November 2020 über die Entrichtung der zweiten Ratenzahlung, die in der mit AstraZeneca geschlossenen Abnahmegarantie vorgesehen ist (Dokument 5);

–        die von AstraZeneca in den Sitzungen des Lenkungsausschusses vom 4. Dezember 2020, vom 22. Januar, vom 1., 11., 19. und 23. Februar sowie vom 11. März 2021 verwendeten Präsentationen (Dokument 6);

–        eine von AstraZeneca in einer Sitzung vom 7. Dezember 2020 verwendete Präsentation (Dokument 7);

–        eine von AstraZeneca in einer Sitzung vom 19. Januar 2021 verwendete Präsentation (Dokument 8);

–        ein Dokument über die Liefertermine der Impfstoffe (Dokument 9) mit fünf Anhängen (Dokumente 9.1 bis 9.5);

–        eine Präsentation, die AstraZeneca in einer Sitzung des Lenkungsausschusses vom 25. Januar 2021 verwendet hat (Dokument 10);

–        ein Teil der zwischen der Kommission und AstraZeneca am 27. Juli 2020 ausgetauschten EMails (Dokument 11).

3.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

Svenningsen

Mac Eochaidh

Laitenberger

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Oktober 2022.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.


1 Das vorliegende Urteil wird auszugsweise veröffentlicht.