Language of document : ECLI:EU:T:2012:112

URTEIL DES GERICHTS (Achte erweiterte Kammer)

8. März 2012(*)

„Nichtigkeitsklage – Staatliche Beihilfen – Beihilferegelung, die eine steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen ermöglicht – Entscheidung, die die Beihilferegelung für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und nicht die Rückforderung der Beihilfen anordnet – Rechtsakt mit Durchführungsbestimmungen – Keine individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑221/10

Iberdrola, SA mit Sitz in Bilbao (Spanien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Ruiz Calzado, M. Núñez‑Müller und J. Domínguez Pérez,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal und C. Urraca Caviedes als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung des Art. 1 Abs. 1 der Entscheidung 2011/5/EG der Kommission vom 28. Oktober 2009 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien (ABl. 2011, L 7, S. 48)

erlässt

DAS GERICHT (Achte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten L. Truchot (Berichterstatter), der Richterin M. E. Martins Ribeiro sowie der Richter N. Wahl, S. Soldevila Fragoso und H. Kanninen,

Kanzler: B. Pastor, Hilfskanzlerin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2011

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        In den Jahren 2005 und 2006 richteten Mitglieder des Europäischen Parlaments an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mehrere schriftliche Anfragen (E‑4431/05, E‑4772/05, E‑5800/06 und P‑5509/06), ob die Regelung des Art. 12 Abs. 5 der Ley del Impuesto sobre Sociedades (spanisches Körperschaftsteuergesetz), der durch die Ley 24/2001 de Medidas Fiscales, Administrativas y de Orden Social (Gesetz Nr. 24/2001 über Steuer‑, Verwaltungs‑ und soziale Maßnahmen) vom 27. Dezember 2001 (BOE Nr. 313 vom 31. Dezember 2001, S. 50493) in das Körperschaftsteuergesetz eingefügt und in das Real Decreto Legislativo 4/2004, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Impuesto sobre Sociedades (Königliches gesetzesvertretendes Dekret Nr. 4/2004 zum Erlass der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes) vom 5. März 2004 (BOE Nr. 61 vom 11. März 2004, S. 10951) übernommen wurde (im Folgenden: streitige Regelung), als staatliche Beihilfe zu qualifizieren sei. Die Kommission antwortete im Wesentlichen, dass die streitige Regelung nach den ihr vorliegenden Informationen wohl nicht in den Geltungsbereich der Vorschriften über staatliche Beihilfen falle.

2        Mit Schreiben vom 15. Januar und 26. März 2007 ersuchte die Kommission die spanischen Behörden um Übermittlung von Informationen, um den Geltungsbereich und die Auswirkungen der streitigen Regelung prüfen zu können. Mit Schreiben vom 16. Februar und 4. Juni 2007 übermittelte das Königreich Spanien ihr die angeforderten Informationen.

3        Mit Telefax vom 28. August 2007 ging bei der Kommission die Beschwerde eines privaten Marktteilnehmers ein, der die streitige Regelung als eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe qualifizierte.

4        Mit Entscheidung vom 10. Oktober 2007 (Zusammenfassung in ABl. C 311, S. 21) eröffnete die Kommission hinsichtlich der streitigen Regelung ein förmliches Prüfverfahren.

5        Mit Schreiben vom 5. Dezember 2007 ging die Stellungnahme des Königreichs Spanien zu dieser Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens bei der Kommission ein. Zwischen dem 18. Januar und dem 16. Juni 2008 erhielt die Kommission Stellungnahmen von 32 Beteiligten, darunter die Klägerin Iberdrola, SA. Mit Schreiben vom 30. Juni 2008 und vom 22. April 2009 übermittelte das Königreich Spanien seine Anmerkungen zu den Stellungnahmen der Beteiligten.

6        Am 18. Februar 2008 sowie am 12. Mai und am 8. Juni 2009 fanden Fachsitzungen mit den spanischen Behörden statt. Weitere Fachsitzungen wurden mit einigen der 32 Beteiligten abgehalten.

7        Mit Schreiben vom 14. Juli 2008 und E‑Mail vom 16. Juni 2009 erteilte das Königreich Spanien der Kommission ergänzende Auskünfte.

8        Die Kommission schloss das Verfahren hinsichtlich der innerhalb der Europäischen Union erworbenen Beteiligungen mit ihrer Entscheidung 2011/5/EG vom 28. Oktober 2009 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts‑ oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien (ABl. 2011, L 7, S. 48, im Folgenden: angefochtene Entscheidung) ab.

9        Die angefochtene Entscheidung erklärt die streitige Regelung für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, da mit ihr ein steuerlicher Vorteil in der Form gewährt werde, dass die spanischen Gesellschaften den Geschäfts‑ oder Firmenwert abschreiben könnten, der sich aus dem Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen ergebe, wenn diese Regelung auf den Erwerb von Beteiligungen an in der Union ansässigen Gesellschaften angewandt werde.

10      Art. 1 Abs. 2 und 3 der angefochtenen Entscheidung lässt es jedoch zu, dass die streitige Regelung nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes weiterhin auf Beteiligungen angewandt wird, die vor der am 21. Dezember 2007 erfolgten Veröffentlichung der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens im Amtsblatt der Europäischen Union erworben wurden, sowie auf Beteiligungen, zu deren Erwerb vor dem 21. Dezember 2007 die unwiderrufliche Verpflichtung eingegangen worden ist, sofern dieser Erwerb von der Genehmigung einer Aufsichtsbehörde abhängig gemacht worden ist, der die Transaktion vor diesem Zeitpunkt angemeldet worden ist.

 Verfahren und Anträge der Parteien

11      Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 18. Mai 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

12      Mit Schriftsatz, der am 30. September 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben.

13      Mit Schriftsatz vom 16. November 2010 hat die Klägerin zur Unzulässigkeitseinrede der Kommission Stellung genommen.

14      Am 8. Juni 2011 hat das Gericht gemäß Art. 14 der Verfahrensordnung die vorliegende Rechtssache auf Vorschlag der Achten Kammer an den erweiterten Spruchkörper verwiesen.

15      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Achte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, um über die Unzulässigkeitseinrede der Kommission zu entscheiden, und den Parteien Fragen zu stellen. Die Parteien haben diese Fragen fristgemäß beantwortet.

16      Die Parteien haben in der Sitzung vom 24. Oktober 2011 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

17      Die Klägerin beantragt,

–        Art. 1 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        die Unzulässigkeitseinrede der Kommission zurückzuweisen;

–        die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen und der Kommission für die Einreichung der Klagebeantwortung eine angesichts der ungebührlichen Verfahrensverzögerung nicht verlängerbare Frist zu setzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

18      Die Kommission beantragt,

–        die Klage für unzulässig zu erklären;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

19      Die Stellungnahme der Klägerin zur Einrede der Unzulässigkeit enthält zugleich einen Antrag, der Kommission im Wege der prozessleitenden Maßnahme aufzugeben, zum einen ihr die von der Kommission während des Prüfverfahrens an das Königreich Spanien gerichteten Ersuchen um Auskunft über die Steuerpflichtigen, die die streitige Regelung in Anspruch genommen hätten, zu übermitteln und zum anderen darzulegen, ob sie die genaue Zahl und Identität der bis Oktober 2009 durch die streitige Regelung Begünstigten hätte in Erfahrung bringen können.

 Rechtliche Würdigung

20      Die Kommission trägt vor, die vorliegende Klage sei unzulässig, da die Klägerin weder nachgewiesen habe, dass sie ein Rechtsschutzinteresse habe, noch, dass sie von der angefochtenen Entscheidung individuell betroffen sei.

21      Zunächst ist der zweite von der Kommission geltend gemachte Unzulässigkeitsgrund zu prüfen.

22      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV „[kann j]ede natürliche oder juristische Person … unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben“.

23      Da die angefochtene Entscheidung am Ende des förmlichen Prüfverfahrens ergangen und nicht an die Klägerin gerichtet worden ist, ist deren individuelle Betroffenheit anhand der im Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, Slg. 1963, 213, 238), festgelegten Kriterien zu prüfen. Demnach hat die Klägerin darzutun, dass die angefochtene Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten dieser Entscheidung (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑298/00 P, Slg. 2004, I‑4087, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      In erster Linie beruft sich die Klägerin im Kern auf ihre Eigenschaft als durch die streitige Regelung Begünstigte, um darzutun, dass sie von der angefochtenen Entscheidung, mit der diese Regelung für rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt worden ist, individuell betroffen sei.

25      Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Unternehmen eine Entscheidung der Kommission, mit der eine sektorielle Beihilferegelung verboten wird, grundsätzlich nicht mit einer Nichtigkeitsklage anfechten, wenn es von ihr nur wegen seiner Zugehörigkeit zum fraglichen Sektor und seiner Eigenschaft als durch diese Regelung potenziell Begünstigter betroffen ist. Eine solche Entscheidung ist nämlich für dieses Unternehmen eine generelle Rechtsnorm, die für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber einer allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppe erzeugt (vgl. Urteil Italien/Kommission, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil des Gerichts vom 11. Juni 2009, Acegas/Kommission, T‑309/02, Slg. 2009, II‑1809, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Wenn jedoch das klagende Unternehmen nicht nur als Unternehmen des fraglichen Sektors und damit als durch die Beihilferegelung potenziell Begünstigter, sondern auch in seiner Eigenschaft als tatsächlich Begünstigter einer nach dieser Regelung gewährten individuellen Beihilfe, deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat, betroffen ist, ist es von dieser Entscheidung individuell betroffen und seine gegen diese gerichtete Klage zulässig (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission, C‑15/98 und C‑105/99, Slg. 2000, I‑8855, Randnrn. 34 und 35, und Urteil des Gerichts vom 10. September 2009, Banco Comercial dos Açores/Kommission, T‑75/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 44).

27      Es ist daher zu prüfen, ob die Klägerin tatsächlich Begünstigte einer Einzelbeihilfe ist, die nach der von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Beihilferegelung gewährt wurde und deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, Slg. 2011, I‑4727, Randnr. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Dazu macht die Klägerin als Erstes geltend, sie habe 2008 und 2009 Beteiligungen an der griechischen Gruppe Metal Industry of Arcadia C. Rokas, SA erworben, und die angefochtene Entscheidung ordne in Bezug auf nach dem 21. Dezember 2007 getätigte Transaktionen die Rückforderung der Beihilfen von den Begünstigten an. Als Zweites trägt sie vor, sie sei auch hinsichtlich der von ihr vor dem 21. Dezember 2007 getätigten Transaktionen individuell betroffen.

29      Zu den Transaktionen nach dem 21. Dezember 2007 ist festzustellen, dass die Klägerin nichts zum Beweis dafür vorlegt, dass die streitige Regelung auf ihre Erwerbungen von Beteiligungen an der fraglichen griechischen Gruppe angewandt worden ist. So hat sie in ihren Schriftsätzen nur von einer Absicht zur Anwendung dieser Regelung gesprochen und in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sie eine solche Anwendung in keiner ihrer Steuererklärungen beantragt habe.

30      In dieser Beziehung befindet sich die Klägerin daher in keiner anderen Lage als jedes andere Unternehmen, das eine Transaktion getätigt hat, für die die streitige Regelung hätte in Anspruch genommen werden können; sie ist somit eine potenzielle und keine tatsächliche Begünstigte dieser Regelung (vgl. in diesem Sinne Urteil Acegas/Kommission, Randnrn. 51 bis 54). Infolgedessen kann die Klägerin in Bezug auf die nach dem 21. Dezember 2007 getätigten Transaktionen nicht als von der angefochtenen Entscheidung individuell betroffen angesehen werden.

31      Hinsichtlich der vor dem 21. Dezember 2007 getätigten Transaktionen hat die Klägerin ihre Eigenschaft als tatsächliche Begünstigte der streitigen Regelung nachgewiesen. Sie hat ihrer Stellungnahme zur Unzulässigkeitseinrede ein Schriftstück beigefügt, das belegt, dass sie die streitige Regelung für Erwerbungen von Beteiligungen in Anspruch genommen hatte, und zwar für den Erwerb einer Beteiligung vom 23. April 2007 an einer im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaft und den Erwerb von Beteiligungen vom 1. Dezember 2004 und vom 1. Dezember 2005 an einer in Griechenland ansässigen Gesellschaft. Nach Art. 1 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Entscheidung ist sie indessen von der in dieser vorgesehenen Rückforderungsverpflichtung nicht betroffen.

32      Dazu führt die Klägerin erstens aus, die Anerkennung der individuellen Betroffenheit eines Klägers durch eine Maßnahme, mit der eine Beihilfe für unzulässig erklärt werde, könne nicht auf die Fälle beschränkt werden, in denen die Maßnahme die Rückforderung dieser Beihilfe anordne. Im vorliegenden Fall sei sie individuell betroffen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem geschlossenen Kreis von Begünstigten der Beihilfe, deren Zahl und Identität bei Erlass der angefochtenen Entscheidung bestimmt und nachprüfbar gewesen seien. Insoweit beantragt sie, dem in Randnr. 19 des vorliegenden Urteils genannten Antrag auf prozessleitende Maßnahme stattzugeben. Im Übrigen zeigten ihre aktive Beteiligung am förmlichen Prüfverfahren, die u. a. durch das im elften Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung erwähnte Treffen ihrer Vertreter mit der Kommission vom 16. April 2008 und die Erwähnung ihres Erwerbs einer Beteiligung an der Gesellschaft Scottish Power im zweiten Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung belegt werde, dass ihre besondere Situation berücksichtigt worden und sie somit individuell betroffen sei.

33      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass die Personen, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, keineswegs bedeutet, dass sie als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern die Maßnahme, wie im vorliegenden Fall, aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 22. November 2001, Antillean Rice Mills/Rat, C‑451/98, Slg. 2001, I‑8949, Randnr. 52, und Urteil des Gerichts vom 11. Juni 2009, Confservizi/Kommission, T‑292/02, Slg. 2009, II‑1659, Randnr. 53). Folglich ist die von der Klägerin beantragte prozessleitende Maßnahme, die im Wesentlichen der Feststellung dienen soll, ob die Kommission in der Lage war, die durch die streitige Regelung Begünstigten festzustellen, nicht anzuordnen.

34      Im Übrigen ist in der Rechtsprechung zwar anerkannt worden, dass ein Kläger aufgrund seiner aktiven Beteiligung am Verfahren, das zum Erlass des angefochtenen Rechtsakts geführt hat, individuell betroffen sein kann. Jedoch ging es dort um besondere Konstellationen, in denen der Kläger eine klar umschriebene und mit dem Gegenstand der Entscheidung eng zusammenhängende Stellung als Verhandlungspartner einnahm, die für ihn tatsächliche Umstände begründete, die ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushoben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 2009, 3F/Kommission, C‑319/07 P, Slg. 2009, I‑5963, Randnrn. 85 bis 95 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im vorliegenden Fall hat sich die Klägerin jedoch darauf beschränkt, wie die 31 übrigen Beteiligten eine Stellungnahme einzureichen, und ihre Vertreter haben zusammen mit denen anderer Beteiligter am 16. April 2008 an einer Zusammenkunft mit der Kommission teilgenommen. Dies beweist aber nicht, dass die Klägerin eine Stellung als Verhandlungspartner eingenommen hätte, aufgrund deren ihre individuelle Betroffenheit bejaht werden könnte.

36      Die Klägerin meint zwar, diese Beteiligung am förmlichen Prüfverfahren sowie die Erwähnung in der angefochtenen Entscheidung, dass sie Anteile von Scottish Power erworben habe, belegten, dass ihre besondere Situation Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen sei, so dass damit ihre individuelle Betroffenheit nach dem Urteil des Gerichts vom 22. November 2001, Mitteldeutsche Erdöl-Raffinerie/Kommission (T‑9/98, Slg. 2001, II‑3367), feststehe; sie trägt jedoch nichts vor, was die Annahme zuließe, dass ihre Lage mit derjenigen der Klägerin in dieser Rechtssache vergleichbar wäre.

37      Im Urteil Mitteldeutsche Erdöl-Raffinerie/Kommission (Randnrn. 80 bis 82) war nämlich der Erlass der Bestimmung des deutschen Steuergesetzes, die mit der betreffenden Entscheidung der Kommission für unzulässig erklärt worden war, namentlich mit den Besonderheiten der Lage der dortigen Klägerin begründet worden. Diese besondere Lage war Gegenstand nicht nur schriftlicher Ausführungen der deutschen Regierung und der Muttergesellschaft der Klägerin, sondern auch eingehender Erörterungen zwischen der deutschen Regierung und der Kommission gewesen. Außerdem hatte die deutsche Regierung der Kommission vorgeschlagen, dass sie die streitige Bestimmung nur auf die Klägerin anwenden und alle möglichen anderen Fälle der Anwendung dieser Bestimmung einzeln notifizieren werde. Die Kommission hatte diesen Vorschlag in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich geprüft und die Gründe angegeben, aus denen sie ihn nicht annehmen könne.

38      Im vorliegenden Fall hat die Klägerin jedoch nichts vorgelegt, was beweisen könnte, dass eine besondere Lage bestand, die Gegenstand eingehender Erörterungen zwischen der spanischen Regierung und der Kommission gewesen wäre. Auch steht außer Zweifel, dass der Erlass der streitigen Regelung nicht mit der Berücksichtigung ihrer behaupteten besonderen Lage begründet worden ist. Dass der Erwerb von Scottish Power durch die Klägerin im zweiten Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung erwähnt worden ist, bedeutet ebenso wenig, dass ihre besondere Lage berücksichtigt worden wäre, da diese Erwähnung nur der Veranschaulichung dient.

39      Die Klägerin macht zweitens geltend, dass der Ausschluss der vor dem 21. Dezember 2007 getätigten Transaktionen vom Geltungsbereich der Rückforderungsverpflichtung nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes zum einen wegen der gegen diesen Teil des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung erhobenen Klage der Deutsche Telekom in der Rechtssache T‑207/10 nicht endgültig und zum anderen für die nationalen Gerichte, bei denen Klagen ihrer Wettbewerber anhängig seien, nicht verbindlich sei.

40      Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass die Klägerin bei diesem Vorbringen die Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit mit derjenigen des Rechtsschutzinteresses verwechselt. Während nämlich das Rechtsschutzinteresse insbesondere aufgrund von Klagen, die nach der Erhebung der Klage beim Unionsrichter bei den nationalen Gerichten erhoben wurden, bejaht werden kann (Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 2008, TV  2/Danmark u. a./Kommission, T‑309/04, T‑317/04, T‑329/04 und T‑336/04, Slg. 2008, II‑2935, Randnrn. 78 bis 82), ist die individuelle Betroffenheit einer natürlichen oder juristischen Person zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage zu beurteilen und richtet sich nur nach der angefochtenen Entscheidung. Eine Person, die von einer Entscheidung individuell betroffen ist, mit der eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und mit der deren Rückforderung angeordnet wurde, bleibt somit von dieser individuell betroffen, auch wenn sich in der Folge zeigt, dass von ihr keine Rückzahlung verlangt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, Randnr. 56, und Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in dieser Rechtssache, Slg. 2011, I‑4727, Nrn. 81 und 82).

41      Außerdem ist zu beachten, dass der Kläger zur Feststellung seiner individuellen Betroffenheit durch die angefochtene Maßnahme seine Zugehörigkeit zu einem geschlossenen Kreis nachweisen muss, d. h. zu einer Gruppe, die nach Erlass der angefochtenen Maßnahme nicht mehr erweitert werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 26. Juni 1990, Sofrimport/Kommission, C‑152/88, Slg. 1990, I‑2477, Randnr. 11, und vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission, C‑182/03 und C‑217/03, Slg. 2006, I‑5479, Randnr. 63).

42      Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall eine etwaige Nichtigerklärung des Art. 1 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung durch das Gericht und die anschließende Rückforderung der streitigen Beihilfen von der Klägerin sowie Klagen vor den nationalen Gerichten – die zudem rein hypothetisch sind, da die Klägerin in Beantwortung schriftlicher Fragen des Gerichts und in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass keine Klage vor einem nationalen Gericht erhoben worden sei – nicht die Annahme zulassen, dass die Klägerin individuell betroffen sei.

43      Soweit sich die Klägerin des Weiteren auf die Klage in der Rechtssache T‑207/10 beruft, um geltend zu machen, dass ihr letztlich ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz versagt würde, wenn ihr einerseits nicht erlaubt würde, den Teil des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung anzufechten, der für sie ungünstig sei, wenn andererseits jedoch die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage gegen den Teil des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung bejaht würde, der für sie günstig sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Union eine Rechtsunion ist, in der die Handlungen ihrer Organe der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob sie mit dem Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, zu denen auch die Grundrechte gehören, vereinbar sind. Die Einzelnen müssen daher einen wirksamen gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch nehmen können, die sie aus der Unionsordnung herleiten. Im vorliegenden Fall ist der Klägerin jedoch ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz keineswegs abgeschnitten. Selbst wenn nämlich die vorliegende Klage für unzulässig erklärt wird, ist sie nicht daran gehindert, im Rahmen der Rechtsstreitigkeiten vor den nationalen Gerichten, deren Bestehen sie behauptet und in denen Vorbringen geltend gemacht worden sein soll, mit dem das Fehlen einer Rückforderungsverpflichtung, das ihr nach der angefochtenen Entscheidung zugutekommt, in Frage gestellt werden könnte, die Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV anzuregen, um die Gültigkeit der angefochtenen Entscheidung überprüfen zu lassen, soweit diese die Unvereinbarkeit der streitigen Regelung feststellt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 24. März 2011, Freistaat Sachsen u. a./Kommission, T‑443/08 und T‑455/08, Slg. 2011, II‑1311, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Daraus folgt, dass die Klägerin von der angefochtenen Entscheidung nicht individuell betroffen ist.

45      Hilfsweise macht die Klägerin geltend, sie sei nach Art. 263 Abs. 4 letzter Satzteil AEUV nicht zum Nachweis verpflichtet, dass sie von der angefochtenen Entscheidung individuell betroffen sei. Die angefochtene Entscheidung stelle nämlich einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der sie unmittelbar betreffe und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, dar.

46      Die angefochtene Entscheidung kann im vorliegenden Fall nicht als Rechtsakt, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, angesehen werden. Art. 6 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung spricht vielmehr vom Bestehen von „Maßnahmen [Spaniens] zur Umsetzung dieser Entscheidung, bis die Rückzahlung der Beihilfen, die aufgrund der [streitigen] Regelung gewährt wurden, abgeschlossen ist“. Schon das Bestehen dieser Rückforderungsmaßnahmen, die Durchführungsmaßnahmen darstellen, rechtfertigt es, die angefochtene Entscheidung als Rechtsakt, der Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, anzusehen. Diese Maßnahmen können nämlich von ihren Adressaten vor den nationalen Gerichten angefochten werden.

47      Im Übrigen können diese Maßnahmen gegebenenfalls auch von der Klägerin angefochten werden, falls die Rückforderungsverpflichtung, wie sie behauptet (vgl. Randnr. 39 des vorliegenden Urteils), ihr gegenüber umgesetzt wird. Zudem sind die Maßnahmen zur Durchführung der angefochtenen Entscheidung, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, nicht auf diese Rückforderungsmaßnahmen beschränkt, sondern umfassen auch alle Maßnahmen, mit denen die Unvereinbarkeitsentscheidung umgesetzt werden soll, insbesondere diejenige, die in der Ablehnung eines Antrags auf Gewährung des fraglichen Steuervorteils besteht, die von der Klägerin ebenfalls vor den nationalen Gerichten angefochten werden kann. Das Vorbringen der Klägerin, dass die angefochtene Entscheidung zur Entfaltung ihrer Wirkungen Durchführungsmaßnahmen weder nach sich ziehe noch erfordere, weil die angefochtene Entscheidung eine Fortsetzung der Anwendung der streitigen Regelung durch die Begünstigten und das Königreich Spanien automatisch verhindere, ist daher zurückzuweisen.

48      Somit zieht die angefochtene Entscheidung Durchführungsmaßnahmen nach sich, so dass das auf Art. 263 Abs. 4 letzter Satzteil AEUV gestützte Hilfsvorbringen der Klägerin zurückzuweisen ist, ohne dass über die Frage entschieden zu werden braucht, ob die Entscheidung die Rechtsnatur eines Rechtsakts mit Verordnungscharakter hat.

49      Nach alledem ist die Klage mithin als unzulässig abzuweisen, ohne dass es der Prüfung des ersten von der Kommission geltend gemachten Unzulässigkeitsgrundes bedarf, der auf das Fehlen eines Rechtsschutzinteresses bei der Klägerin gestützt wird.

 Kosten

50      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission gemäß deren Antrag aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Iberdrola, SA trägt die Kosten.

Truchot

Martins Ribeiro

Wahl

Soldevila Fragoso

 

      Kanninen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. März 2012.

Unterschriften


** Verfahrenssprache: Spanisch.