Language of document : ECLI:EU:C:2022:471

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

16. Juni 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Transeuropäisches Verkehrsnetz – Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 – Art. 15 Abs. 1 – Binnenschifffahrtsinfrastruktur – Binnenhäfen – Verpflichtung eines Mitgliedstaats, Binnenhäfen an die Straßen- und Schienenverkehrsinfrastrukturen anzubinden – Beseitigung der Verbindung zu einer dieser beiden Arten von Verkehrsinfrastrukturen – Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑229/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 23. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 9. April 2021, in dem Verfahren

Port de Bruxelles SA,

Région de Bruxelles-Capitale

gegen

Infrabel SA,

Beteiligte:

FIFFSI (Fonds d’Infrastructure Ferroviaire) SA,

État belge,

Région de Bruxelles-Capitale,

Port de Bruxelles SA,

Lineas SA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, M. Ilešič, D. Gratsias (Berichterstatter) und Z. Csehi,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Port de Bruxelles SA, vertreten durch B. De Beys und L. Depré, Avocats,

–        der Région de Bruxelles-Capitale, vertreten durch B. Cambier und T. Cambier, Avocats,

–        der Infrabel SA, vertreten durch M. Baetens-Spetschinsky und P.‑M. Louis, Avocats,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch S. Baeyens, P. Cottin, und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von T. Eyskens, P. J. Geysens und A. Vandeburie, Avocats,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. L. Kalėda, C. Vrignon und M. G. Wilms als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. März 2022

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über Leitlinien der Union für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 661/2010/EU (ABl. 2013, L 348, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten, wobei sich in der ersten die Port de Bruxelles SA und die Infrabel SA, die die Betreiberin der Schieneninfrastruktur in Belgien ist, und der zweiten die Région de Bruxelles-Capitale (Region Brüssel-Hauptstadt, Belgien) und Infrabel gegenüberstehen. Die Rechtsstreitigkeiten betreffen einen Antrag der Port de Bruxelles SA, Infrabel aufzugeben, den einzigen Schienenanschluss des Hafens von Brüssel (Belgien) zum belgischen Schienennetz in einwandfreiem Betriebszustand zu erhalten.

 Rechtlicher Rahmen

3        In den Erwägungsgründen 7, 8 und 31 der Verordnung Nr. 1315/2013 heißt es:

„(7)      Das transeuropäische Verkehrsnetz besteht zu einem großen Teil aus vorhandenen Infrastrukturen. Um die Ziele der neuen Politik für das transeuropäische Verkehrsnetz vollständig zu erreichen, sollten in einer Verordnung einheitliche Infrastrukturanforderungen festgelegt werden, denen die Infrastruktur des transeuropäischen Verkehrsnetzes genügen muss.

(8)      Das transeuropäische Verkehrsnetz sollte durch die Schaffung neuer Verkehrsinfrastrukturen, durch die Sanierung und Modernisierung vorhandener Verkehrsinfrastrukturen und durch Maßnahmen zur Förderung ihrer ressourcenschonenden Nutzung verwirklicht werden. In Einzelfällen ist es wegen unzureichender regelmäßiger Instandhaltung in der Vergangenheit notwendig, die Eisenbahninfrastrukturen zu sanieren. Im Rahmen der Sanierung werden unter Einhaltung der Anforderungen und Bestimmungen dieser Verordnung die ursprünglichen Konstruktionsparameter bestehender Eisenbahninfrastrukturen wiederhergestellt und gleichzeitig wird eine langfristige Verbesserung ihrer Qualität im Vergleich zum heutigen Zustand erzielt.

[(31)]      Das transeuropäische Verkehrsnetz sollte dank seiner Größe als Grundlage für eine groß angelegte Einführung neuer Technologien und Innovationen dienen, was beispielsweise dabei helfen kann, die Gesamteffizienz des europäischen Verkehrssektors zu steigern und seine CO2-Bilanz zu verbessern. Dies wird nicht nur zur Verwirklichung der in der Strategie Europa 2020 und im Weißbuch [der Europäischen Kommission vom 1. Juli 2011, „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“ (KOM[2011] 144 endgültig)] festgelegten Ziele einer Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 60 % (gegenüber dem Stand von 1990), sondern auch des Ziels einer größeren Kraftstoffversorgungssicherheit in der Union beitragen. …“

4        Art. 1 („Gegenstand“) dieser Verordnung sieht in Abs. 1 bis 3 vor:

„(1)      In dieser Verordnung werden die Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes festgelegt, das eine Struktur auf zwei Ebenen umfasst, die aus dem Gesamtnetz und aus dem Kernnetz besteht, wobei letzteres auf Grundlage des Gesamtnetzes errichtet wird.

(2)      Diese Verordnung benennt Vorhaben von gemeinsamem Interesse und gibt die Anforderungen vor, die im Hinblick auf den Betrieb der Infrastruktur des transeuropäischen Verkehrsnetzes eingehalten werden müssen.

(3)      Diese Verordnung legt die Prioritäten für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes fest.“

5        Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Verordnung bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung gilt für das transeuropäische Verkehrsnetz, wie es sich aus den im Anhang I enthaltenen Karten ergibt. …

(2)      Die Verkehrsinfrastrukturen des transeuropäischen Verkehrsnetzes umfassen die Infrastruktur für den Schienenverkehr, die Binnenschifffahrt, den Straßenverkehr, den Seeverkehr, den Luftverkehr und den multimodalen Verkehr entsprechend der einschlägigen Abschnitte des Kapitels II.“

6        In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

a)      ‚Vorhaben von gemeinsamem Interesse‘ ein Vorhaben, das gemäß den Anforderungen und unter Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung durchgeführt wird;

n)      ‚multimodaler Verkehr‘ die Beförderung von Personen und/oder Gütern mit zwei oder mehr Verkehrsträgern;

p)      ‚städtischer Knoten‘ ein städtisches Gebiet, in dem die Verkehrsinfrastruktur des transeuropäischen Netzes, wie beispielsweise Häfen einschließlich Passagierterminals, Flughäfen, Bahnhöfe, Logistikplattformen und Güterterminals, die innerhalb oder in der Nähe städtischer Gebiete liegen, mit anderen Teilen dieser Infrastruktur und mit der Infrastruktur für den Nah- und Regionalverkehr verbunden ist;

s)      ‚Güterterminal‘ eine Struktur, die für den Umschlag von Gütern zwischen mindestens zwei Verkehrsträgern oder zwischen zwei verschiedenen Eisenbahnsystemen und für die vorübergehende Lagerung von Gütern ausgerüstet ist, wie z. B. ein See- oder Binnenhafen, ein Flughafen oder ein Schienen-Straßen-Terminal;

…“

7        Art. 4 („Ziele des transeuropäischen Verkehrsnetzes“) der Verordnung Nr. 1315/2003 sieht vor:

„Das transeuropäische Verkehrsnetz stärkt den sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt der Union und trägt zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Verkehrsraums bei, der effizient und nachhaltig ist, die Vorteile für die Nutzer erhöht und ein integratives Wachstum fördert. Es stellt den mit ihm verbundenen europäischen Mehrwert dadurch unter Beweis, dass es zu den in den nachstehenden vier Kategorien dargelegten Zielen beiträgt:

b)      Effizienz durch

iii)      die optimale Integration und Verknüpfung aller Verkehrsträger;

v)      die effiziente Nutzung neuer und vorhandener Infrastrukturen;

c)      Nachhaltigkeit durch

ii)      die Leistung eines Beitrags zu den Zielen niedriger Ausstoß von Treibhausgasen, umweltfreundlicher Verkehr mit geringen CO2-Emissionen, Kraftstoffversorgungssicherheit, Reduzierung der externen Kosten und Umweltschutz;

iii)      die Förderung eines CO2-armen Verkehrs mit dem Ziel, die CO2-Emissionen im Einklang mit den CO2-Reduzierungszielen der Union bis 2050 erheblich zu senken;

…“

8        Art. 5 („Ressourcenschonendes Netz“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Planung, Aufbau und Betrieb des transeuropäischen Verkehrsnetzes erfolgen auf ressourcenschonende Weise durch

a)      den Aufbau, die Verbesserung und die Instandhaltung bestehender Verkehrsinfrastrukturen;

b)      die Optimierung der Integration und des Verbunds der Infrastrukturen;

…“

9        Art. 6 („Zwei-Ebenen-Struktur des transeuropäischen Verkehrsnetzes“) der Verordnung lautet:

„(1)      Der schrittweise Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes erfolgt insbesondere durch die Umsetzung einer auf einem kohärenten und transparenten methodischen Ansatz beruhenden Struktur auf zwei Ebenen für dieses Netz, die aus einem Gesamtnetz und einem Kernnetz besteht (Zwei-Ebenen-Struktur).

(2)      Das Gesamtnetz besteht aus allen vorhandenen und geplanten Verkehrsinfrastrukturen des transeuropäischen Verkehrsnetzes sowie aus Maßnahmen zur Förderung einer effizienten sowie sozial und ökologisch nachhaltigen Nutzung dieser Infrastrukturen. Seine Festlegung und sein Aufbau erfolgen gemäß Kapitel II.

(3)      Das Kernnetz besteht aus jenen Teilen des Gesamtnetzes, die von größter strategischer Bedeutung für die Verwirklichung der mit dem Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes verfolgten Ziele sind. Seine Festlegung und sein Aufbau erfolgen gemäß Kapitel III.“

10      Kapitel II („Das Gesamtnetz“) der Verordnung Nr. 1315/2013 enthält die Art. 9 bis 37. In Art. 9 („Allgemeine Bestimmungen“) der Verordnung heißt es in Abs. 1:

„Das Gesamtnetz

c)      erfüllt die in diesem Kapitel aufgeführten Anforderungen an die Verkehrsinfrastrukturen;

…“

11      Art. 10 („Allgemeine Prioritäten“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor:

„Beim Aufbau des Gesamtnetzes wird Maßnahmen allgemeine Priorität eingeräumt, die notwendig sind für

b)      die Sicherstellung einer optimalen Integration der Verkehrsträger und der Interoperabilität innerhalb derselben;

…“

12      Art. 12 („Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Güterterminals werden an die Straßeninfrastruktur oder, soweit möglich, an die Binnenschifffahrtsinfrastruktur des Gesamtnetzes angebunden.“

13      In Art. 13 („Prioritäten für den Aufbau der Schienenverkehrsinfrastruktur“) der Verordnung Nr. 1315/2013 heißt es:

„Bei der Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse in Bezug auf die Schienenverkehrsinfrastruktur wird in Ergänzung zu den allgemeinen Prioritäten nach Artikel 10 folgenden Aspekten Priorität eingeräumt:

f)      gegebenenfalls der Anbindung der Schienenverkehrsinfrastrukturen an die Binnenhafeninfrastrukturen.“

14      Art. 14 („Infrastrukturkomponenten“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor:

Die Binnenschifffahrtsinfrastruktur umfasst insbesondere

e)      Binnenhäfen einschließlich der für Beförderungsvorgänge innerhalb des Hafengebiets notwendigen Infrastrukturen,

…“

15      Art. 15 („Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Binnenhäfen an die Straßen- oder Schieneninfrastrukturen angebunden sind.“

16      In Art. 16 („Prioritäten für den Aufbau der Binnenschifffahrtsinfrastruktur“) der Verordnung heißt es:

„Bei der Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse in Bezug auf die Binnenschifffahrtsinfrastruktur wird in Ergänzung zu den allgemeinen Prioritäten nach Artikel 10 folgenden Aspekten Priorität eingeräumt:

d)      der Anbindung der Binnenhafeninfrastrukturen an die Schienengüterverkehrs- und Straßenverkehrsinfrastrukturen;

…“

17      In Art. 19 („Prioritäten für den Aufbau der Straßeninfrastruktur“) der Verordnung Nr. 1315/2013 heißt es:

„Bei der Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse in Bezug auf die Straßeninfrastruktur wird in Ergänzung zu den allgemeinen Prioritäten nach Artikel 10 Folgendem Priorität eingeräumt:

e)      der Minderung der Überlastung auf den vorhandenen Straßenverkehrswegen.“

18      Art. 28 („Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur“) der Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten in fairer und nicht diskriminierender Weise, dass

a)      die Verkehrsträger in Güterterminals, Personenbahnhöfen, Binnenhäfen, Flughäfen und Seehäfen miteinander verknüpft sind, um einen multimodalen Personen- und Güterverkehr zu ermöglichen;

…“

19      Art. 30 („Städtische Knoten“) der Verordnung sieht vor:

„Beim Aufbau des Gesamtnetzes in städtischen Knoten streben die Mitgliedstaaten nach Möglichkeit Folgendes an:

a)      für den Personenverkehr: Verknüpfung der Schienen‑, Straßen- und Luftverkehrsinfrastruktur und gegebenenfalls der Binnenschifffahrts- und Seeverkehrsinfrastrukturen des Gesamtnetzes;

b)      für den Güterverkehr: Verknüpfung der Schienen- und Straßeninfrastruktur und gegebenenfalls der Binnenschifffahrts‑, Luftverkehrs- und Seeverkehrsinfrastrukturen des Gesamtnetzes;

…“

20      In Art. 38 („Bestimmung des Kernnetzes“) der Verordnung Nr. 1315/2013 heißt es in Abs. 1:

„Das auf den in Anhang I enthaltenen Karten gezeigte Kernnetz besteht aus jenen Teilen des Gesamtnetzes, die für die Erreichung der Ziele, die mit der Politik für das transeuropäische Verkehrsnetz verfolgt werden, von größter strategischer Bedeutung sind, und spiegelt die sich entwickelnde Verkehrsnachfrage und den Bedarf an multimodalen Verkehrsträgern wider. …“

21      Den Anhängen I und II der Verordnung lässt sich entnehmen, dass die Hafeninfrastrukturen des Hafens von Brüssel zum Kernnetz im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und 3 der Verordnung gehören.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

22      Der Port de Bruxelles SA obliegen die Verwaltung, der Betrieb und die Entwicklung des Kanals, des Hafens von Brüssel, des Vorhafens sowie der Hafenanlagen und ihrer Nebengebäude in der Région de Bruxelles-Capitale (Region Brüssel-Hauptstadt, Belgien).

23      Infrabel betreibt das belgische Schienennetz und ist Eigentümerin der Gleisgruppen und Vermögenswerte, die für diesen Betrieb notwendig oder nützlich sind.

24      Die FIF‑FSI (Fonds d’Infrastructure Ferroviaire) SA (im Folgenden: FIF) ist mit der Verwaltung und der Aufwertung von Grundstücken und anderen Handelsaktivitäten im Bereich der Entwicklung, des Kaufs und Verkaufs, der Verwaltung sowie der Finanzierung von Immobilien betraut. Ihr gesamtes Kapital wird indirekt vom belgischen Staat gehalten.

25      Zwei königliche Verordnungen vom 14. Juni 2004 (Moniteur belge vom 14. Juni 2004, S. 51971) und vom 30. Dezember 2004 (Moniteur belge vom 30. Dezember 2004, S. 87338) verpflichten Infrabel, spätestens zum 31. Dezember 2020 die auf dem als „Schaerbeek-Formation“ bezeichneten Gelände in Brüssel befindlichen Eisenbahnanlagen zurückzubauen und es wieder instand zu setzen, um dieses Gelände frei von jeglicher Nutzung an FIF zu übergeben. FIF steht das Recht zu, eine finanzielle Entschädigung zu verlangen, soweit Infrabel die Arbeiten nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen ausführen sollte. Zu den zurückzubauenden Anlagen gehört auch die einzige Eisenbahnanbindung der Hafenanlagen des Brüsseler Hafens an das belgische Schienennetz (im Folgenden: in Rede stehende Eisenbahnanbindung).

26      Am 12. Oktober 2018 erhob die Port de Bruxelles SA vor dem Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (Französischsprachiges Gericht Erster Instanz Brüssel, Belgien) Klage gegen Infrabel mit dem Ziel, ihr zu verbieten, „jegliche Handlung vorzunehmen, die den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1315/2013 … zuwiderläuft, darin eingeschlossen den Rückbau von Bauwerken und Anlagen, auf die sich [diese] Verordnung bezieht … und insbesondere die [in Rede stehende] Eisenbahnanbindung“.

27      Am 30. Oktober 2018 verkündete Infrabel der FIF den Streit. Der belgische Staat trat am 13. November 2018 als Streithelfer dem Verfahren bei, damit ihm das zu ergehende Urteil entgegengehalten werden kann. Später sind auch die Région de Bruxelles-Capitale (Region Brüssel-Hauptstadt, Belgien) und die Lineas SA als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Port de Bruxelles SA dem Verfahren beigetreten.

28      Am 14. März 2019 beantragte die Port de Bruxelles SA beim Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (Französischsprachiges Gericht Erster Instanz Brüssel) als vorläufige Maßnahme, Infrabel bis zu einem endgültigen Urteil zu untersagen, u. a. die in Rede stehende Eisenbahnanbindung außer Betrieb zu nehmen und zurückzubauen, sowie Infrabel aufzugeben, diese Verbindung in einwandfreiem Betriebszustand aufrecht zu erhalten. Infrabel beantragte ihrerseits beim Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (Französischsprachiges Gericht Erster Instanz Brüssel) insbesondere, für den Fall, dass dieses dem Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen stattgeben sollte und Infrabel sich daran gehindert sähe, die im Königlichen Erlass vom 30. Dezember 2004 vorgesehenen Arbeiten durchzuführen, FIF zu untersagen, eine Entschädigung von Infrabel zu fordern, bis das Urteil in der Hauptsache verkündet ist.

29      Im Verlauf des Verfahrens schlossen FIF und Infrabel am 5. November 2019 eine Vereinbarung, mit der sie u. a. den Zeitpunkt, bis zu dem der Rückbau der in Rede stehenden Eisenbahnanbindung abgeschlossen sein sollte, auf den 30. Juni 2021 verschoben.

30      Mit Urteil vom 20. Dezember 2019 erklärte das Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (Französischsprachiges Gericht Erster Instanz Brüssel) die Klage der Port de Bruxelles SA für unzulässig, soweit sie nicht auf das Bestehen einer Dienstbarkeit gestützt wurde. Im Übrigen wies es den Antrag der Port de Bruxelles SA auf Erlass vorläufiger Maßnahmen mit der Begründung zurück, dass die Verpflichtung, die Infrabel in der am 5. November 2019 mit FIF geschlossenen Vereinbarung eingegangen sei, zur vorläufigen Regelung der Situation der Beteiligten ausreichend sei.

31      Die Port de Bruxelles SA und die Région de Bruxelles-Capitale (Region Brüssel-Hauptstadt, Belgien) legten gegen dieses Urteil jeweils beim vorlegenden Gericht, der Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel, Belgien), Berufung ein. Nachdem dieses Gericht festgestellt hatte, dass weder die Port de Bruxelles SA noch die Région de Bruxelles-Capitale (Region Brüssel-Hauptstadt, Belgien) den belgischen Staat und FIF unter Beachtung der nationalen Rechtsvorschriften in das Berufungsverfahren einbezogen hätten, entschied es, dass die beiden zuletzt genannten Beteiligten aus dem Verfahren zu entlassen seien. Aus der Entscheidungsformel des Vorabentscheidungsersuchens ergibt sich im Übrigen, dass das vorlegende Gericht die beiden bei ihm anhängigen Verfahren verbunden hat.

32      Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob die Port de Bruxelles SA berechtigt ist, sich vor den belgischen Gerichten auf ein aus Art. 15 der Verordnung Nr. 1315/2013 hervorgehendes subjektives Recht zu berufen. Nach der von der Port de Bruxelles SA befürworteten Auslegung dieser Vorschrift begründe diese für die Mitgliedstaaten zum einen eine positive Verpflichtung, ein System einzurichten, in dem die Verkehrsinfrastrukturen miteinander verbunden seien, wobei die Mitgliedstaaten über einen Ermessensspielraum hinsichtlich dieser Verpflichtung verfügten. Zum anderen begründe die Vorschrift eine negative Verpflichtung, den Zielen der Verordnung nicht zuwiderzuhandeln und insbesondere die Unversehrtheit der bestehenden Verkehrsinfrastrukturen nicht zu beeinträchtigen.

33      Infrabel macht geltend, Art. 15 lasse sich nicht in dem von der Port de Bruxelles SA befürworteten Sinn auslegen. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, namentlich in der französischen Fassung, müssten Binnenhäfen nämlich entweder an Straßenverkehrsinfrastrukturen oder an Schienenverkehrsinfrastrukturen angeschlossen sein, da diese Sprachfassung die Konjunktion „oder“ verwende.

34      Hierzu weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass in der niederländischen Fassung von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 die Konjunktion „und“ und nicht „oder“ verwendet werde. Daraus folgert es, dass die Auslegung des Wortlauts dieser Bestimmung zur Ermittlung ihres genauen Sinnes nicht ausreiche.

35      Nach Ansicht dieses Gerichts lässt die genannte Bestimmung zwei gegensätzliche Auslegungen zu. Aus Art. 3 Buchst. n und Art. 28 Abs. 1 dieser Verordnung könnte in der Tat gefolgert werden, dass mit der Anbindung einer Binnenschifffahrtverkehrsinfrastruktur wie eines Binnenhafens an lediglich eine weitere Art von Verkehrsinfrastruktur bereits der Pflicht Genüge getan sei und dass sich die Port de Bruxelles SA somit im vorliegenden Fall mit der Anbindung ihrer Hafeninfrastruktur an die Straßenverkehrsinfrastruktur zufriedengeben müsste.

36      Allerdings könnte auch eine andere Auslegung von Art. 15 der Verordnung vertreten werden. Denn aus den im Weißbuch enthaltenen Verpflichtungen der Kommission, auf die u. a. im 31. Erwägungsgrund der Verordnung Bezug genommen werde, sowie aus der Verordnung Nr. 1315/2013 selbst lasse sich entnehmen, dass mit ihr zwei Ziele verfolgt würden, nämlich die Wettbewerbsfähigkeit des Verkehrs zu verbessern und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen des Verkehrs bis 2050 um mindestens 60 % gegenüber dem Stand von 1990 zu verringern. Eine Auslegung von Art. 15 der Verordnung in dem Sinne, dass mit dieser Vorschrift der Rückbau einer Eisenbahnverbindung unter Umständen wie denen des vorliegenden Falls untersagt werde, könnte sich zudem auf die Art. 5, 10 und 16 der Verordnung sowie die in ihren Erwägungsgründen 7 und 8 dargelegten Leitlinien stützen.

37      Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Wenn ein – zum Kernnetz gehörender – Binnenhafen bereits an das Straßen- und Schienennetz angeschlossen ist, ergibt sich dann aus Art. 15 der Verordnung Nr. 1315/2013 – allein oder in Verbindung mit anderen Bestimmungen der Verordnung – die Pflicht, beide Verbindungen aufrechtzuerhalten und instand zu halten, bzw. das Verbot, eine von ihnen, sei es auch nur durch mangelnde Instandhaltung, zu entfernen?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

38      Das vorlegende Gericht hat gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt, die vorliegende Rechtssache einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen. Zur Begründung dieses Antrags macht es geltend, es habe, um die Wirksamkeit des vorliegenden Urteils zu gewährleisten, Infrabel untersagt, die in Rede stehende Eisenbahnanbindung abzubauen, bis nach Erhalt der Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage erneut über die Rechtssache entschieden worden sei. Diese Gesellschaft sei indessen seit dem 1. Juli 2021 gerade aufgrund der Verzögerung beim Rückbau der Eisenbahnanbindung grundsätzlich zur Zahlung einer Entschädigung an FIF verpflichtet.

39      Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

40      Ein solches beschleunigtes Verfahren ist ein Verfahrensinstrument, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll (Urteil vom 22. März 2022, Prokurator Generalny u. a. [Disziplinarkammer des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑508/19, EU:C:2022:201, Rn. 37).

41      Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 4. Mai 2021 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, dem in Rn. 38 des vorliegenden Urteils genannten Antrag nicht stattzugeben.

42      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs können nämlich bloße wirtschaftliche Interessen, so bedeutend und legitim sie auch sein mögen, für sich allein nicht die Heranziehung des beschleunigten Verfahrens rechtfertigen (Urteil vom 11. November 2021, Energieversorgungscenter Dresden-Wilschdorf, C‑938/19, EU:C:2021:908, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Außerdem könnte eine Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage, selbst wenn die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren unterworfen würde, ohnehin nicht vor dem 30. Juni 2021 erfolgen.

44      Mit Entscheidung vom selben Tag hat der Präsident des Gerichtshofs allerdings entschieden, dass die Angaben des vorlegenden Gerichts eine vorrangige Behandlung der Rechtssache nach Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung rechtfertigen.

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

45      In ihren schriftlichen Erklärungen macht Infrabel im Wesentlichen geltend, dass die Port de Bruxelles SA sich im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits jedenfalls nicht auf Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 berufen könne, da diese Bestimmung den Mitgliedstaaten bei ihrer Durchführung einen Ermessensspielraum einräume. In Anbetracht des Bestehens eines solchen Ermessensspielraums könne sich nämlich ein Einzelner nicht unmittelbar auf aus dieser Bestimmung hergeleitete Rechte berufen, wenn vom betreffenden Mitgliedstaat keine Durchführungsmaßnahmen getroffen worden seien.

46      Soweit diese Argumentation dahin zu verstehen ist, dass Infrabel damit die Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits und mithin die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Zweifel zieht, verfängt sie nicht.

47      Zum einen ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die Verordnung gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Daher haben Bestimmungen von Verordnungen aufgrund ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts im Allgemeinen unmittelbare Wirkung in den nationalen Rechtsordnungen, ohne dass nationale Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären (Urteil vom 22. Januar 2020, Ursa Major Services, C‑814/18, EU:C:2020:27, Rn. 33).

48      Zum anderen macht die Fragestellung, ob Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens grundsätzlich der Beseitigung einer Eisenbahnverbindung zu einem Binnenhafen entgegensteht oder ob er den Mitgliedstaaten in diesem Bereich einen Ermessensspielraum einräumt, gerade den Gegenstand der Vorlagefrage aus, so dass die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens nicht mit der von Infrabel angeführten Begründung in Frage gestellt werden kann.

 Zur Vorlagefrage

49      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 dahin auszulegen ist, dass er bei einem Binnenhafen, der zum Kernnetz im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie von Art. 38 der Verordnung gehört und sowohl über Verbindungen zu Straßen- als auch zu Schienenverkehrsinfrastrukturen verfügt, der Beseitigung einer dieser beiden Arten von Verbindungen entgegensteht.

50      Hierzu ist einleitend darauf hinzuweisen, dass Art. 15 Abs. 1 der Verordnung zwar vorsieht, dass die Mitgliedstaaten es gewährleisten, dass die Binnenhäfen an die Straßen- oder Schieneninfrastrukturen angebunden sind, und dass die Vorschrift sich somit auf Binnenhäfen bezieht. Die Vorlagefrage betrifft aber die Auslegung dieser Bestimmung unter Umständen, in denen ein Hafen wie der Brüsseler Hafen zum Kernnetz im Sinne der Verordnung gehört.

51      Art. 15 ist indessen in Kapitel II der Verordnung enthalten, das sich seiner Überschrift zufolge auf das in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung genannte Gesamtnetz bezieht. Wie sich aus Art. 6 Abs. 3 und Art. 38 Abs. 1 der Verordnung ergibt, besteht das Kernnetz aus jenen Teilen des Gesamtnetzes, die von größter strategischer Bedeutung für die Verwirklichung der mit dem Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes verfolgten Ziele sind.

52      Den zuletzt genannten Bestimmungen lässt sich zwar zweifelsfrei entnehmen, dass Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 im Fall eines zum Kernnetz gehörenden Binnenhafen Anwendung findet. Die Vorschrift gilt allerdings ganz allgemein für jedweden Binnenhafen des Gesamtnetzes unabhängig davon, ob er zum Kernnetz gehört oder nicht.

53      Folglich ist die Vorlagefrage im Hinblick auf einen Binnenhafen zu prüfen, der zum Gesamtnetz im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1315/2013 gehört und bereits über Verbindungen sowohl zu Straßen- als auch zu Schienenverkehrsinfrastrukturen verfügt.

54      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 28. Januar 2020, Kommission/Italien [Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug], C‑122/18, EU:C:2020:41, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Was als Erstes den Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 betrifft, so ist festzustellen, dass die Fassungen dieser Bestimmung in niederländischer und bulgarischer Sprache – wie das vorlegende Gericht und die belgische Regierung mit Recht ausgeführt haben – zwischen den Wörtern „Straßen-“ und „Schieneninfrastrukturen“ die Konjunktion „und“ verwenden, was dazu Anlass geben könnte, anzunehmen, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen hätten, dass den Häfen sowohl zu Straßen- als auch zu Schienenverkehrsinfrastrukturen bestehende Verbindungen erhalten bleiben. Dagegen wird u. a. in der deutschen, der griechischen, der englischen, der französischen, der irischen, der italienischen, der litauischen, der ungarischen und der slowenischen Sprache die Konjunktion „oder“ verwendet.

56      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die unterschiedlichen Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gleichermaßen verbindlich sind und eine einzelne Sprachfassung keinen Vorrang vor den anderen beanspruchen kann, da die Vorschriften des Unionsrechts im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 42 und 43 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Bei einer Abweichung zwischen den verschiedenen Sprachfassungen eines Unionsrechtsakts muss die fragliche Vorschrift daher nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. April 2022, Yieh United Steel/Kommission, C‑79/20 P, EU:C:2022:305, Rn. 99 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich anhand des Wortlauts von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 allein nicht feststellen lässt, ob im Fall eines zum Gesamtnetz gehörenden Binnenhafens, der bereits über Verbindungen sowohl zu Straßen- als auch zu Schienenverkehrsinfrastrukturen verfügt, der betreffende Mitgliedstaat eine dieser beiden Verbindungen beseitigen und nur die andere beibehalten darf; denn die in dieser Bestimmung vorgesehene Verpflichtung des betreffenden Mitgliedstaats, eine Anbindung des in Rede stehenden Binnenhafens „an die Straßen- oder Schieneninfrastruktur“ zu gewährleisten, kann auch dahin verstanden werden kann, dass der Mitgliedstaat der einen oder der anderen dieser beiden Verbindungen je nach ihrem jeweiligen Bedarf, u. a. im Bereich der Instandhaltung, besondere Aufmerksamkeit zu widmen hat.

59      Was als Zweites den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 einfügt, ist darauf hinzuweisen, dass mit der Verordnung, wie in ihrem Art. 1 Abs. 1 vorgesehen, „Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes festgelegt [werden sollen], das eine Struktur auf zwei Ebenen umfasst, die aus dem Gesamtnetz und aus dem Kernnetz besteht, wobei letzteres auf Grundlage des Gesamtnetzes errichtet wird“.

60      Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung, der zu dem das Gesamtnetz betreffenden Kapitel II gehört, lässt sich entnehmen, dass beim Aufbau des Gesamtnetzes Maßnahmen allgemeine Priorität eingeräumt wird, die insbesondere für die Sicherstellung einer optimalen Integration der Verkehrsträger und der Interoperabilität innerhalb derselben notwendig sind.

61      Die Bestimmungen des Kapitels II der Verordnung Nr. 1315/2013 mit Ausnahme ihrer Art. 9 und 10 sind in sieben Abschnitte eingeteilt. Zu ihnen gehören Abschnitt 1 zur Schienenverkehrsinfrastruktur, Abschnitt 2, der die Binnenschifffahrtsinfrastruktur betrifft und den in der Vorlagefrage angeführten Art. 15 enthält, Abschnitt 3 zur Straßenverkehrsinfrastruktur, Abschnitt 6 zur Infrastruktur für den multimodalen Verkehr und schließlich Abschnitt 7, in dem die gemeinsamen Bestimmungen zusammengefasst sind.

62      Für die Schienenverkehrsinfrastruktur sieht Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 vor, dass Güterterminals an die Straßeninfrastruktur oder, soweit möglich, an die Binnenschifffahrtsinfrastruktur des Gesamtnetzes angebunden werden.

63      Des Weiteren ergibt sich aus Art. 13 Buchst. f der Verordnung, dass bei der Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse in Bezug auf die Schienenverkehrsinfrastruktur gegebenenfalls der Anbindung der Schienenverkehrsinfrastrukturen an die Binnenhafeninfrastrukturen Priorität eingeräumt wird.

64      Ebenso sieht Art. 16 Buchst. d der Verordnung für die Binnenschifffahrtsinfrastruktur vor, dass bei der Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse in Bezug auf die Binnenschifffahrtsinfrastruktur u. a. der Anbindung der Binnenschifffahrtsinfrastrukturen an die Schienengüterverkehrs- und Straßenverkehrsinfrastrukturen Priorität eingeräumt wird.

65      Für die Straßenverkehrsinfrastruktur bestimmt Art. 19 Buchst. e der Verordnung, dass bei der Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse in Bezug auf diese Infrastruktur u. a. der Minderung der Überlastung auf den vorhandenen Straßenverkehrswegen Priorität eingeräumt wird.

66      Für multimodale Verkehrsinfrastrukturen im Sinne von Art. 3 Buchst. n der Verordnung Nr. 1315/2013 ist in deren Art. 28 Abs. 1 Buchst. a vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten in fairer und nicht diskriminierender Weise gewährleisten, dass die Verkehrsträger in Güterterminals, Personenbahnhöfen, Binnenhäfen, Flughäfen und Seehäfen miteinander verknüpft sind, um einen multimodalen Personen- und Güterverkehr zu ermöglichen.

67      Bei den gemeinsamen Bestimmungen ist ferner Art. 30 der Verordnung Nr. 1315/2013 über städtische Knoten zu erwähnen, die in Art. 3 Buchst. p der Verordnung definiert werden.

68      Aus Art. 30 Buchst. a und b folgt, dass die Mitgliedstaaten beim Aufbau des Gesamtnetzes in städtischen Knoten nach Möglichkeit sowohl für den Personenverkehr als auch für den Güterverkehr eine Verknüpfung u. a. der Schienen‑, Straßen- und gegebenenfalls der Binnenschifffahrtsinfrastruktur anstreben.

69      Den in den Rn. 59 bis 68 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen kann somit entnommen werden, dass die Verordnung Nr. 1315/2013 den Mitgliedstaaten zwar keine Ergebnispflicht auferlegt, in jedem Fall eine Verbindung der Binnenhäfen des Gesamtnetzes sowohl zu den Straßen- als auch zu den Schienenverkehrsinfrastrukturen sicherzustellen. Die Verordnung befürwortet allerdings nach Möglichkeit die Herstellung mehrerer Verbindungen solcher Häfen zu anderen Arten von Verkehrsinfrastrukturen.

70      Darüber hinaus ist festzustellen, dass sowohl die Erwägungsgründe 7 und 8 der Verordnung als auch Art. 4 Buchst. b Ziff. v, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 6 Abs. 2 der Verordnung zwischen „vorhandenen“ bzw. „bestehende[n]“ Infrastrukturen und „neue[n]“ oder „geplanten“ Infrastrukturen unterscheiden. Diese Unterscheidung spricht dafür, dass sie sich auch in der Definition des Umfangs der Pflichten der Mitgliedstaaten widerspiegeln muss.

71      Aus der Analyse des Zusammenhangs, in den sich Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 einfügt, folgt somit, dass davon auszugehen ist, dass diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie bei einem Binnenhafen, der bereits über Verbindungen sowohl zu Straßen- als auch zu Schienenverkehrsinfrastrukturen verfügt, grundsätzlich der Beseitigung einer dieser beiden Infrastrukturarten entgegensteht.

72      Als Drittes ist festzustellen, dass eine Berücksichtigung der Ziele des transeuropäischen Verkehrsnetzes, wie sie sich aus Art. 4 der Verordnung Nr. 1315/2013 ergeben, eine solche Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung stützt.

73      Erstens sieht nämlich Art. 4 Buchst. b Ziff. iii der Verordnung vor, dass das transeuropäische Verkehrsnetz durch die optimale Integration und Verknüpfung aller Verkehrsträger zum Ziel der Effizienz beiträgt.

74      Im gleichen Sinne bestimmt Art. 5 Abs. 1 Buchst. a bzw. b der Verordnung, dass Planung, Aufbau und Betrieb des transeuropäischen Verkehrsnetzes auf ressourcenschonende Weise zum einen durch den Aufbau, die Verbesserung und die Instandhaltung bestehender Verkehrsinfrastrukturen sowie zum anderen durch die Optimierung der Integration und des Verbunds der Infrastrukturen erfolgen.

75      Zweitens ist insbesondere im Hinblick auf die Verbindung eines Binnenhafens zu Schienenverkehrsinfrastrukturen unter Beachtung des 31. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1315/2013 dem in deren Art. 4 Buchst. c genannten Ziel der Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen. Daraus folgt, dass das transeuropäische Verkehrsnetz u. a. durch die Senkung der Treibhausgasemissionen zur Erreichung dieses Ziels beitragen soll, indem CO2-armer Verkehr gefördert wird.

76      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 63 und 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gehört der Schienenverkehr zu derartigen Verkehrssystemen, weshalb das im 31. Erwägungsgrund genannte Weißbuch der Kommission seine Nutzung empfiehlt.

77      Drittens trägt die Aufrechterhaltung der Verbindung eines Binnenhafens zu Schienenverkehrsinfrastrukturen auch dadurch zum Ziel einer geringeren Überlastung der Straßenverkehrswege – bei dem es sich, wie sich aus Art. 19 Buchst. e der Verordnung Nr. 1315/2013 entnehmen lässt, um eine der Prioritäten beim Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes handelt – bei, dass mit ihr eine Inanspruchnahme des Schienenverkehrs anstelle des Straßenverkehrs gefördert wird.

78      Unter Berücksichtigung der von der Verordnung Nr. 1315/2013 u. a. in den Bereichen Umweltschutz, Verkehrssicherheit und Raumplanung verfolgten Ziele sind außergewöhnliche Umstände gleichwohl dem Grundsatz nach geeignet, eine Beseitigung der Verbindung eines Binnenhafens zu Straßen- oder Schienenverkehrsinfrastrukturen zu rechtfertigen, ohne dass Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 dem entgegenstünde.

79      Hierzu ist klarzustellen, dass der Ersatz einer solchen bestehenden Verbindung durch eine neue Anbindung an dieselbe Art von Infrastruktur, die gleichzeitig mit der Beseitigung der durch sie ersetzten Verbindung in Betrieb genommen wird, nicht als eine Beseitigung der Anbindung des betreffenden Binnenhafens an diese Infrastruktur angesehen werden kann.

80      Was die Gründe betrifft, die ausnahmsweise die ersatzlose Beseitigung der Verbindung eines Binnenhafens zu Straßen- oder Schienenverkehrsinfrastrukturen rechtfertigen können, so genügt im vorliegenden Fall der Hinweis, dass ein solcher Grund in Ansehung der Argumente in den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen nicht in dem Risiko liegen kann, das eine solche Verbindung für die Verkehrssicherheit darstellt, wenn sich dieses Risiko aus einer mangelhaften Instandhaltung der in Rede stehenden Verkehrsinfrastruktur durch die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ergibt.

81      Ebenso wenig vermag eine Begründung anhand des Wertes der Grundstücke, die für die Verbindung eines Binnenhafens zu Straßen- oder Schienenverkehrsinfrastrukturen genutzt werden, sowie in Bezug auf eine mögliche, wirtschaftlich vorteilhaftere Nutzung dieser Grundstücke – wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – die Beseitigung dieser Verbindung zu rechtfertigen.

82      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1315/2013 dahin auszulegen ist, dass er bei einem Binnenhafen, der zum Gesamtnetz im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung gehört und sowohl über Verbindungen zu Straßen- als auch zu Schienenverkehrsinfrastrukturen verfügt, der Beseitigung einer dieser beiden Arten von Verbindungen entgegensteht, soweit keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen. Eine mangelhafte Instandhaltung der in Rede stehenden Verbindung unter Verkennung dieser Bestimmung oder eine wirtschaftliche Aufwertung der für die Infrastrukturen genutzten Grundstücke stellt keine derartigen Umstände dar.

 Kosten

83      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über Leitlinien der Union für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 661/2010/EU ist dahin auszulegen, dass er bei einem Binnenhafen, der zum Gesamtnetz im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verordnung gehört und sowohl über Verbindungen zu Straßen- als auch zu Schienenverkehrsinfrastrukturen verfügt, der Beseitigung einer dieser beiden Arten von Verbindungen entgegensteht, soweit keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen. Eine mangelhafte Instandhaltung der in Rede stehenden Verbindung unter Verkennung dieser Bestimmung oder eine wirtschaftliche Aufwertung der für die Infrastrukturen genutzten Grundstücke stellt keine derartigen Umstände dar.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.