URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
14. Mai 1998 (1)
„Wettbewerb Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag Beweis für die Beteiligung an
Absprachen Geldbuße Bestimmung der Höhe Begründung Von der
Zuwiderhandlung betroffene Erzeugnisse“
In der Rechtssache T-310/94
Gruber + Weber GmbH & Co. KG, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in
Gernsbach-Obertsrot, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Holger-Friedrich
Wissel und Joachim Schütze, Düsseldorf, Zustellungsanschrift: Kanzlei des
Rechtsanwalts Marc Loesch, 11, rue Goethe, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Bernd Langeheine
und Richard Lyal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt
Dirk Schroeder, Köln, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli
1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 Karton, ABl.
L 243, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie des Richters C. P. Briët, der
Richterin P. Lindh und der Richter A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25.
Juni bis zum 8. Juli 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
- 1.
- Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission
vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833
Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung
der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im
folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller
und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstößen gegen Artikel 85 Absatz 1
des Vertrages Geldbußen festgesetzt.
- 2.
- Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung
werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten „GC“, „GD“ und „SBS“
zugeordnet werden.
- 3.
- Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer
grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.
- 4.
- Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weiße Lage
und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung
erfaßten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein
Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.
- 5.
- SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weißen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur
Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber
hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.
- 6.
- Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries
Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen
Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte
geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine
Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und
ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die
Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu
machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der
Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.
- 7.
- Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der
Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend
den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.
- 8.
- Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14
Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste
Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962,
Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und
Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig
Nachprüfungen vor.
- 9.
- Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten
der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und
ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.
- 10.
- Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und
Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem
Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den
meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.
- 11.
- Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit
Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten
antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche
Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.
- 12.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende
Bestimmungen enthält:
„Artikel 1
Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard
the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH
& Co. KG, Kartonfabriek .De Eendracht' NV (unter der Firma BPB de
Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke
Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och
Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A.,
Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper &
Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher
Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen
Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstoßen, indem sie sich
im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens
Ende 1990,
im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens
Ende April 1991 und
im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,
in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,
an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten
Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft
sich regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen
zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur
Einschränkung des Wettbewerbs trafen;
sich über regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder
Landeswährung verständigten;
gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft
planten und durchführten;
sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung
konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;
in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur
Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die
Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen
sicherzustellen;
als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen
(über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und
Kapazitätsauslastung) austauschten.
...
Artikel 3
Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten
Verstoß folgende Geldbußen festgesetzt:
...
vii) gegen Gruber & Weber GmbH & Co. KG eine Geldbuße in Höhe von
1 000 000 ECU;
...“
- 13.
- Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus
mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens
„Produktgruppe Karton“ (im folgenden: PG Karton).
- 14.
- Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens „Presidents'
Working Group“ (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der
(etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.
- 15.
- Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte,
Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende
Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern
vorzunehmenden Preiserhöhungen gefaßt.
- 16.
- Der PWG habe der „Präsidentenkonferenz“ (PK) Bericht erstattet, an der (mehr
oder weniger regelmäßig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden
Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum
zweimal pro Jahr getagt.
- 17.
- Ende 1987 sei das „Joint Marketing Committee“ (JMC) eingesetzt worden. Die
Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und,
wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom
PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im
Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu
gelangen.
- 18.
- Schließlich habe die „Wirtschaftliche Kommission“ (WK) u. a. die Preisentwicklung
auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder bis
Ende 1987 dessen Vorgänger, dem „Marketing Committee“, über die Ergebnisse
ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der
meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr
zusammengetreten.
- 19.
- Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach
Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die
Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zürich (Schweiz) unterstützt wurden. In
der Entscheidung heißt es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der
FIDES regelmäßig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und
Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefaßten
Daten erhalten.
- 20.
- Die Klägerin ist ein Hersteller von GD-Karton und nahm der Entscheidung zufolge
an einigen Sitzungen des JMC teil. Gemäß Artikel 1 der Entscheidung beteiligte
sie sich von mindestens 1988 bis Ende 1990 an der Zuwiderhandlung (vgl. auch
Randnr. 162 der Entscheidung).
Verfahren
- 21.
- Mit Klageschrift, die am 7. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
- 22.
- Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten
Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben
(Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-311/94,
T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94,
T-352/94 und T-354/94).
- 23.
- Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre
Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der
Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen
worden.
- 24.
- Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung
Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten
Geldbuße haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt
(verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).
- 25.
- Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der
Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8.
Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch
Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese
Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
- 26.
- Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer
informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der
Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94,
T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und
T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äußern sollten. In dieser
Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen
Verbindung einverstanden erklärt.
- 27.
- Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer
des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß
Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung
verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf
vertrauliche Behandlung stattgegeben.
- 28.
- Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der
Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer
schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.
- 29.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer)
beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende
Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen
zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen
Ersuchen nachgekommen.
- 30.
- Die Parteien in den in Randnummer 26 genannten Rechtssachen haben in der
Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und
Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
- 31.
- Die Klägerin beantragt,
die Entscheidung für nichtig zu erklären;
für den Fall, daß die Entscheidung ganz oder teilweise aufrechterhalten
wird, die gegen sie verhängte Geldbuße nachhaltig zu vermindern;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 32.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
Zum Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht und eines Verstoßes gegen
die Verpflichtungen im Bereich der Beweislast
Vorbringen der Parteien
- 33.
- Die Klägerin macht geltend, in einem Fall wie dem vorliegenden müsse die
Kommission nicht nur das Bestehen des Kartells, sondern auch Art, Umfang und
Dauer der Beteiligung jedes betroffenen Unternehmens beweisen. Obwohl sie im
Verwaltungsverfahren vor der Kommission eingehend Stellung genommen habe,
werde ihre Beteiligung an Absprachen jedoch in der Entscheidung nicht einmal
angesprochen. Sie werde vielmehr stillschweigend und pauschal unterstellt.
- 34.
- Es müsse aber nachgewiesen werden, daß sich die einzelnen Unternehmen aktiv
oder passiv an den Tätigkeiten eines Kartells beteiligt hätten, da derartige
Tätigkeiten unmittelbaren Einfluß auf die Höhe etwaiger Bußgelder hätten.
- 35.
- Von ihrem Vorbringen sei nur in Randnummer 109 Absatz 1 der Entscheidung die
Rede, wo es heiße: „Gruber & Weber für ihren Teil räumte ein, daß auf
verschiedenen Sitzungen über Preise für Großkunden gesprochen wurde; dieses
Thema sei für sie aber uninteressant gewesen, da sie nur Kunden aus dem
mittelständischen Bereich beliefere.“ Die Entscheidung enthalte keine Würdigung
dieses Vorbringens. Eine solche Würdigung sei jedoch unverzichtbar, denn aus der
Entscheidung gehe hervor, daß der Hauptgegenstand des angeblichen Kartells darin
bestanden habe, die Marktanteile der führenden Kartonhersteller festzuschreiben
(Randnr. 2), und daß es die Hauptaufgabe des JMC gewesen sei, Preisinitiativen
gegenüber den wichtigsten Kunden der „Anführer“ des Kartells auszuarbeiten
(Randnr. 44). Unter diesen Umständen liege es in Anbetracht ihres unbedeutenden
Marktanteils und ihrer von den anderen Herstellern völlig verschiedenen
Kundenstruktur auf der Hand, daß sie keinerlei Interesse an einer Beteiligung an
dem angeblichen Kartell gehabt habe.
- 36.
- Ihre individuelle Beteiligung an einem etwaigen Kartell sei folglich nicht
hinreichend belegt, und die Tatsachen und Gründe, auf denen die Entscheidung ihr
gegenüber beruhe, seien nicht hinreichend erläutert worden (vgl. Schlußanträge von
Generalanwalt Sir Gordon Slynn zum Urteil des Gerichtshofes vom 21. Februar
1984 in der Rechtssache 86/82, Hasselblad/Kommission, Slg. 1984, 883, 913, und
Schlußanträge von Generalanwalt Darmon zum Urteil des Gerichtshofes vom 31.
März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85
und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993,
I-1307, I-1445).
- 37.
- Die Kommission weist darauf hin, daß sie in den Randnummern 108 bis 115 der
Entscheidung auf die Hauptargumente der Hersteller eingegangen sei. Sie sei nicht
verpflichtet, im Rahmen der Begründung ihrer Entscheidung auf jeden einzelnen
der im Verfahren geltend gemachten tatsächlichen oder rechtlichen Aspekte
einzugehen; es genüge, die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte
anzugeben, die sie zu der Entscheidung veranlaßt hätten (Urteil des Gerichts vom
10. März 1992 in der Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021,
Randnr. 318).
- 38.
- Sie habe sich auch nicht auf pauschale Unterstellungen und unrichtige
Behauptungen gestützt.
- 39.
- Darüber hinaus antwortet die Kommission auf diesen Klagegrund im Rahmen ihrer
Entgegnung auf die übrigen Klagegründe, die die Klägerin zur Stützung ihres
Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung geltend macht.
Würdigung durch das Gericht
- 40.
- Nach ständiger Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 4. Juli 1963 in der
Rechtssache 24/62, Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 143, 155, und vom 17.
Januar 1984 in den Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission,
Slg. 1984, 19, Randnr. 22, sowie Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1992 in der
Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 42) soll die
Begründung einer beschwerenden Entscheidung dem Gemeinschaftsrichter die
Ausübung seiner Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglichen und es dem Betroffenen
gestatten, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme zu erlangen,
damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die Entscheidung zutreffend
begründet ist.
- 41.
- Der Vorwurf einer fehlenden oder unzureichenden Begründung stellt folglich einen
Klagegrund dar, mit dem die Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend
gemacht wird; als solcher ist er von dem im Rahmen der inhaltlichen Überprüfung
einer Entscheidung zu untersuchenden Klagegrund zu unterscheiden, mit dem die
Fehlerhaftigkeit ihrer Gründe gerügt wird.
- 42.
- Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen die Richtigkeit der Gründe der
Entscheidung in Frage stellt, ist dieses Vorbringen im vorliegenden Zusammenhang
unerheblich. Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission
gegen die Beweislastregeln verstoßen habe; auch dieses Vorbringen richtet sich
gegen die Begründetheit der Entscheidung.
- 43.
- Überdies hat die Kommission zwar gemäß Artikel 190 des Vertrages die sachlichen
und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung
abhängt, sowie die Erwägungen anzugeben, die sie zu ihrem Erlaß veranlaßt haben;
sie braucht jedoch nicht auf alle sachlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die
während des Verwaltungsverfahrens aufgeworfen wurden (vgl. u. a. Urteil des
Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und
218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 66).
- 44.
- Im vorliegenden Fall wird in der Entscheidung im Zusammenhang mit der
Beschreibung der abgestimmten Preiserhöhungen (Randnrn. 78 und 79) unmittelbar
auf die Klägerin Bezug genommen. Außerdem beziehen sich die Randnummern
der Entscheidung, in denen die wettbewerbsfeindlichen Gespräche im JMC
beschrieben werden (insbesondere Randnrn. 44 bis 46, 58, 71, 73, 84, 85 und 87),
zwangsläufig auf die Klägerin, die ihre Teilnahme an den Sitzungen dieses
Gremiums nicht leugnet. Schließlich werden in der Entscheidung die Erwägungen,
aus denen die Kommission von ihrer Mitwirkung an einem Gesamtkartell ausging,
klar dargestellt (Randnrn. 116 bis 119).
- 45.
- Unter diesen Umständen enthält die Begründung der Entscheidung hinreichende
Anhaltspunkte, denen die Klägerin die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen
Gesichtspunkte entnehmen konnte, die die Kommission dazu veranlaßten, sie für
eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verantwortlich zu
machen.
- 46.
- Folglich ist der vorliegende Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der fehlenden Teilnahme der Klägerin an geheimen und
institutionalisierten Sitzungen und regelmäßigen Preisabsprachen
Vorbringen der Parteien
- 47.
- Die Klägerin macht geltend, die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen,
daß sie an geheimen und institutionalisierten Sitzungen und an regelmäßigen
Preisabsprachen teilgenommen habe.
- 48.
- Zu ihrer Teilnahme an Sitzungen der Gremien der PG Karton gehe aus der
Entscheidung hervor, daß die tragende und ausschlaggebende Funktion im Rahmen
des Kartells den Entscheidungsgremien PWG und PK zugekommen sei
(Randnrn. 37, 38 und 41). Sie habe jedoch nie an den Sitzungen dieser Gremien
teilgenommen; die in Randnummer 42 der Entscheidung enthaltene Behauptung,
daß alle Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet sei, in der PK vertreten
gewesen seien, treffe nicht zu. Sie habe auch nie an Sitzungen der WK
teilgenommen.
- 49.
- In bezug auf das JMC sei Randnummer 44 der Entscheidung, wo die
Hauptaufgaben dieses Gremiums beschrieben würden, zu entnehmen, daß ihm im
Rahmen des Kartells nur untergeordnete Bedeutung zugekommen sei.
- 50.
- Im übrigen habe sie dem JMC erst viel später (ab 1988) als andere Hersteller
angehört und sich nach kurzer Zeit (1990) von den Sitzungen zurückgezogen. In
diesem Zeitraum habe sie nur gelegentlich an Sitzungen des JMC teilgenommen.
Selbst wenn man davon ausgehe, daß das JMC eine wichtige Rolle im Rahmen des
angeblichen Kartells gespielt habe, sei ihr innerhalb dieses Gremiums weder eine
Funktion zugekommen, noch habe ihr eine solche zukommen sollen. Sie habe auch
keine umfassenden Kenntnisse von den angeblichen illegalen Absprachen erlangen
können.
- 51.
- Vor diesem Hintergrund gehe der Hinweis der Kommission auf das Urteil des
Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89 (Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867) fehl. Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der
in der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache festgestellt worden sei, gebe
es vorliegend keinen Beweis für ihre Teilnahme an Sitzungen, bei denen
Preisinitiativen oder -erhöhungen beschlossen worden seien.
- 52.
- Außerdem habe die Kommission den Grund für ihre Teilnahme an einigen
Sitzungen des JMC außer acht gelassen. Sie habe nur deshalb beschlossen, sich am
Informationsaustauschsystem der FIDES zu beteiligen, um die zukünftigen
Marktentwicklungen, insbesondere auf dem deutschen Markt für Faltschachteln, im
Hinblick auf eine erhebliche Investition im Zusammenhang mit der Modernisierung
ihrer Produktionsanlagen besser beurteilen zu können. Nach Abschluß der
Modernisierung Ende 1990 habe sie ihre Beteiligung an diesem System beendet.
- 53.
- Schließlich sei sie nicht daran interessiert gewesen, sich an einem illegalen Kartell
zu beteiligen, weil a) ihr Kundenkreis aus mittelständischen Unternehmen bestehe,
b) das typische Auftragsvolumen ihrer Kunden sich maßgeblich vom
Auftragsvolumen der von den führenden Kartonherstellern belieferten Kunden
unterscheide und c) der größte Teil ihres Produktsortiments erheblich von dem der
führenden Faltschachtelhersteller abweiche.
- 54.
- Die Kommission trägt vor, die Klägerin habe durch ihre Teilnahme am
Informationsaustauschsystem der FIDES und an den Sitzungen des JMC an der
gesamten Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages mitgewirkt. Es handele
sich insoweit nicht um eine Reihe getrennter Verstöße, sondern die einzelnen
Elemente des Kartells hätten der Realisierung ein und derselben übergreifenden
Vereinbarung gedient. Die Maßnahmen und Absprachen des Kartells seien daher
in ihrer Gesamtheit zu sehen (Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnrn. 125
bis 127).
- 55.
- Es treffe zu, daß die Klägerin nur an Sitzungen des JMC teilgenommen habe.
Randnummer 42 der Entscheidung, in der es heiße, daß alle Unternehmen an denSitzungen der PK teilgenommen hätten, beruhe auf einem redaktionellen Fehler.
Wie aus der Entscheidung hervorgehe, habe das JMC jedoch innerhalb des Kartells
eine äußerst wichtige Rolle gespielt.
- 56.
- Zum Vorbringen der Klägerin, daß sie nur gelegentlich an Sitzungen des JMC
teilgenommen habe, sei festzustellen, daß es keinen Anhaltspunkt dafür gebe, daß
bei den Treffen, denen sie beigewohnt habe, nicht über Preisinitiativen gesprochen
worden sei, zumal sie eingeräumt habe, im fraglichen Zeitraum Preiserhöhungen
vorgenommen zu haben. Außerdem seien die Sitzungen des JMC nach
Kartonsorten getrennt abgehalten worden. Die Klägerin stelle nur GD-Karton her.
- 57.
- Schließlich sei zum Grund für die Teilnahme der Klägerin an Sitzungen des JMC
und zu ihrem angeblich fehlenden Interesse an der Teilnahme an einem illegalen
Kartell zu sagen, daß persönliche Motivationen oder gar mangelndes Interesse die
Teilnahme an einem unzulässigen Kartell nicht rechtfertigen könnten.
Würdigung durch das Gericht
- 58.
- Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung in Artikel 1 fünfter Gedankenstrich
der Entscheidung, daß sie an einer Reihe „geheimer und institutionalisierter
Sitzungen“ teilgenommen habe.
- 59.
- Sie bestreitet ferner, an Preisabsprachen mitgewirkt zu haben. Insoweit ist ihr
Vorbringen dahin zu verstehen, daß sie die Beteiligung an einer Preisabsprache
bestreitet und, falls eine solche Absprache als erwiesen angesehen werden sollte,
geltend macht, daß die Kommission sie zu Unrecht als Vereinbarung eingestuft
habe.
- 60.
- Die drei Einwände der Klägerin sind nacheinander zu prüfen.
Zur Teilnahme der Klägerin an einer Reihe „geheimer und institutionalisierter
Sitzungen“
- 61.
- Die Klägerin hat von 1988 bis Ende 1990 unstreitig an einigen Sitzungen des JMC
teilgenommen. Mit Schreiben an die Kommission vom 10. Januar 1992 hat sie nur
die Daten dieser Sitzungen für das Jahr 1990 mitgeteilt. Dabei hat sie angegeben,
an den Sitzungen vom 6./7. Februar 1990, 14. Mai 1990 und 4. September 1990
teilgenommen zu haben. Im gleichen Schreiben hat sie erklärt, daß nicht feststellbar
sei, ob sie an den Sitzungen vom 4./5. April 1990, 8./9. Oktober 1990 und 19./20.
November 1990 teilgenommen habe. Die Kommission hat diese Informationen
ordnungsgemäß berücksichtigt, wie Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung zeigt.
- 62.
- Ferner steht fest, daß die Klägerin nie an Sitzungen der drei übrigen Gremien der
PG Karton PWG, WK und PK teilnahm.
- 63.
- Speziell in bezug auf die PK geht aus einer Gesamtbetrachtung der Entscheidung
hervor, daß die Behauptung in Randnummer 42 Absatz 1 Satz 1 („Alle
Unternehmen, an die die vorliegende Entscheidung gerichtet ist, waren in der
Präsidentenkonferenz vertreten.“), wie die Kommission in ihren dem Gericht
eingereichten Schriftsätzen eingeräumt hat, das Ergebnis eines redaktionellen
Fehlers ist. Insoweit genügt der Hinweis darauf, daß die Klägerin nach den der
Entscheidung beigefügten Tabellen 3 und 7 nicht zu den Unternehmen gehört, die
an Sitzungen der PK teilnahmen.
- 64.
- Die Kommission ist somit nicht davon ausgegangen, daß die Klägerin in größerem
als dem von ihr selbst zugegebenen Umfang an Sitzungen der Gremien der PG
Karton teilgenommen hatte.
- 65.
- Aufgrund der Teilnahme der Klägerin an einigen Sitzungen des JMC war die
Kommission zu dem Schluß berechtigt, daß sie an „institutionalisierten“ Sitzungen
teilgenommen hatte. Ein solcher Schluß setzte nicht den Beweis einer Teilnahme
an Sitzungen aller Gremien der PG Karton voraus.
- 66.
- Ungeachtet der Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang sich die Klägerin
an der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung beteiligte, war
ihr jedenfalls voll und ganz bekannt, daß sich die Sitzungen des JMC, an denen sie
teilnahm, in einen größeren institutionellen Rahmen einfügten. Insoweit genügt der
Hinweis darauf, daß die Klägerin in ihrem Schreiben vom 10. Januar 1992 (siehe
oben, Randnr. 61) Angaben zu den Daten der Sitzungen aller Gremien der PG
Karton in den Jahren 1989 und 1990 gemacht hat.
- 67.
- Hinsichtlich des geheimen Charakters der fraglichen Sitzungen ist darauf
hinzuweisen, daß kein offizielles Protokoll der Sitzungen des JMC existiert. Das
Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke über
diese Sitzungen stellen in Anbetracht der Zahl und der zeitlichen Dauer dieser
Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen hinreichenden Beweis
für die Behauptung der Kommission dar, daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen
von Notizen getroffen worden seien (vgl. Randnr. 168, sechster Gedankenstrich, der
Entscheidung).
- 68.
- Die Kommission war folglich zu der Annahme berechtigt, daß die Klägerin an einer
Reihe „geheimer und institutionalisierter Sitzungen“ teilgenommen hatte.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache
- 69.
- Nach Ansicht der Kommission hatte das JMC von Anfang an folgende
Hauptaufgabe:
„ zu ermitteln, ob sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen, und falls ja, wie,
und anschließend dem PWG Bericht zu erstatten;
die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten
Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in
Europa zu gelangen ...“ (Randnr. 44 Absatz 1 der Entscheidung).
- 70.
- Im einzelnen führt die Kommission in Randnummer 45 Absätze 1 und 2 der
Entscheidung folgendes aus:
„[D]ieser Ausschuß [erörterte] für jeden einzelnen Markt, wie die vom PWG
vereinbarten Preiserhöhungen von den Herstellern durchgesetzt werden sollten. Die
praktischen Aspekte der Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen
wurden in .Round Table'-Gesprächen erörtert, wobei jeder Teilnehmer
Gelegenheit erhielt, sich zu der vorgeschlagenen Preiserhöhung zu äußern.
Schwierigkeiten bei der Durchführung der vom PWG beschlossenen
Preiserhöhungen oder gelegentliche Fälle von Verweigerung der Zusammenarbeit
wurden dem PWG gemeldet, der dann (wie Stora es formulierte) .zu versuchen
hatte, das erforderliche Maß an Zusammenarbeit zustande zu bringen'. Das JMC
erstellte stets gesonderte Berichte für GC- und für GD-Sorten. Änderte der PWG
aufgrund der Berichte des JMC einen Preisfestsetzungsbeschluß, so waren die
hierfür erforderlichen Schritte auf den nächsten JMC-Sitzungen zu erörtern.“
- 71.
- Die Kommission verweist zur Stützung dieser Angaben zum Gegenstand der
Sitzungen des JMC zu Recht auf die Aussagen von Stora (Anlagen 35 und 39 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte).
- 72.
- Außerdem hat sie, auch wenn sie nicht über ein offizielles Protokoll einer Sitzung
des JMC verfügt, von Mayr-Melnhof und Rena einige interne Aufzeichnungen über
die Sitzungen vom 6. September 1989, 16. Oktober 1989 und 6. September 1990
erlangt (Anlagen 117, 109 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). In
diesen Aufzeichnungen, deren Inhalt in den Randnummern 80, 82 und 87 der
Entscheidung beschrieben wird, werden die eingehenden Erörterungen
wiedergegeben, die auf diesen Sitzungen über die abgestimmten Preisinitiativen
stattfanden. Sie stellen somit Beweismittel dar, die die Beschreibung der Aufgaben
des JMC durch Stora eindeutig bestätigen.
- 73.
- Insoweit genügt es, als Beispiel auf die von Rena erlangten Notizen über die
Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) zu verweisen, in denen es u. a. heißt:
„Preiserhöhung wird nächste Woche im September angekündigt:
Frankreich 40 FF
Niederlande 14
Deutschland 12 DM
Italien 80 LIT
Belgien 2,50 BFR
Schweiz 9 FS
England 40 UKL
Irland 45 IRL
Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw.
Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr.
Für Lieferungen ab 7. Januar.
Nicht später als 31. Januar.
Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof).
19. September. Brief von Feldmühle geht raus.
Cascades vor Ende September.
Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein.“
- 74.
- Wie die Kommission in den Randnummern 88 bis 90 der Entscheidung erläutert,
konnte sie ferner interne Unterlagen sicherstellen, die den Schluß zuließen, daß die
Unternehmen und insbesondere diejenigen, die in Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte erwähnt worden seien, die vereinbarten Preiserhöhungen
tatsächlich angekündigt und vorgenommen hätten.
- 75.
- Auch wenn die von der Kommission angeführten Unterlagen nur eine kleine Zahl
der Sitzungen des JMC in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum betreffen,
bestätigen alle verfügbaren schriftlichen Beweise die Angabe von Stora, daß die
Hauptaufgabe des JMC darin bestanden habe, die Durchführung der abgestimmten
Preiserhöhungen festzulegen und zu planen. Insoweit ist das fast völlige Fehlen von
offiziellen oder internen Protokollen der Sitzungen des JMC als hinreichender
Beweis nicht nur für den geheimen Charakter der Sitzungen (siehe oben, Randnr.
67), sondern auch für die Behauptung der Kommission anzusehen, daß sich die an
den Sitzungen teilnehmenden Unternehmen bemühten, die wahre Natur der
Erörterungen in diesem Gremium zu verschleiern (vgl. u. a. Randnr. 45 der
Entscheidung). Diese Umstände haben zu einer Umkehr der Beweislast geführt,
und den Adressaten der Entscheidung, die an den Sitzungen dieses Gremiums
teilgenommen hatten, oblag der Nachweis, daß es ein rechtmäßiges Ziel verfolgte.
Da sie diesen Beweis nicht erbracht haben, hat die Kommission zu Recht
angenommen, daß die von den Unternehmen bei den Sitzungen dieses Gremiums
geführten Gespräche einen im wesentlichen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.
- 76.
- Was die individuelle Situation der Klägerin anbelangt, so ist ihre Teilnahme an
einigen Sitzungen des JMC in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 u. a. an
mindestens drei Sitzungen im Jahr 1990 angesichts des Vorstehenden und trotz
des Fehlens schriftlicher Beweise für die Gespräche bei den Sitzungen, an denen
die Klägerin nachweislich teilnahm, als hinreichender Beleg für ihre Beteiligung an
der Preisabsprache während dieses Zeitraums anzusehen.
- 77.
- Diese Feststellung wird durch die von der Kommission angeführten Unterlagen
zum tatsächlichen Preisverhalten der Klägerin bestätigt. Insoweit stellt die Klägerin
die Angaben in den der Entscheidung beigefügten Tabellen zum Umfang der
Preiserhöhungen und zum Zeitpunkt ihrer Ankündigung und ihres Inkrafttretens
nicht in Abrede. Aus diesen Tabellen geht hervor, daß die Klägerin in der Zeit, für
die ihr die Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, auf dem deutschen Markt
Preiserhöhungen angekündigt und vorgenommen hat, die hinsichtlich des Umfangs,
des Zeitpunkts der Ankündigung und des Inkrafttretens den in der PG Karton
getroffenen Entscheidungen im wesentlichen entsprechen.
- 78.
- Die Klägerin trägt vor (siehe unten, Randnrn. 89 ff.), sie habe sich an der
Preiserhöhung im Oktober 1989 nicht beteiligt und die für April 1990 und Januar
1991 vorgesehenen Preiserhöhungen entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nicht
durchgeführt.
- 79.
- Aus der Entscheidung ergibt sich jedoch, daß die erste dieser drei Erhöhungen GD-Karton, die einzige von der Klägerin hergestellte Kartonsorte, nicht betraf (vgl.
Tabelle E im Anhang der Entscheidung und die Aussage von Stora, Anlage 39 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 17).
- 80.
- In bezug auf die zweite, für April 1990 vorgesehene Erhöhung kündigte die
Klägerin mit Schreiben vom 13. Dezember 1989 (Schriftstück F-7-1) an, daß sie im
März 1990 ihre Preise um 8 % erhöhen wolle. In diesem Schreiben nahm sie
ausdrücklich auf die von Mayr-Melnhof am 28. November 1989 angekündigte
Preiserhöhung Bezug, die sowohl im Umfang als auch im Zeitpunkt des
Inkrafttretens mit der von ihr angekündigten Erhöhung übereinstimmte.
- 81.
- Da die Klägerin angekündigt hatte, die betreffende Preiserhöhung vornehmen zu
wollen, kann die bloße Tatsache, daß sie ihre Preise zum vorgesehenen Zeitpunkt
doch nicht erhöhte, nichts an der Folgerung ändern, daß ihr Marktverhalten ihre
Beteiligung an der Preisabsprache bestätigte. Unter den vorliegenden Umständen
zeigt die Nichtvornahme der Erhöhung allenfalls, daß die Klägerin in vollem
Umfang von der Preisabsprache profitierte, indem sie niedrigere als die mit ihren
Konkurrenten vereinbarten Preise verlangte.
- 82.
- Daß die Klägerin an der dritten Erhöhung nicht teilnahm, stützt nur dieFeststellung der Kommission, daß sich die Klägerin ab Ende 1990 nicht mehr an
der Zuwiderhandlung beteiligte.
- 83.
- Angesichts dessen hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der
Zeit von 1988 bis Ende 1990 an einer Preisabsprache beteiligte. Das Vorbringen
der Klägerin, daß sie nur deshalb an den Sitzungen des JMC teilgenommen habe,
um die zukünftigen Marktentwicklungen besser beurteilen zu können, und daß sie
nicht daran interessiert gewesen sei, sich an einem Kartell zu beteiligen, ist daher
unerheblich.
Zur rechtlichen Einordnung der Zuwiderhandlung
- 84.
- Gemäß der Entscheidung setzten die in ihrem Artikel 1 genannten Unternehmen
die „auf jedem nationalen Markt anzuwendenden regelmäßigen Preiserhöhungen
im Wege der Absprache“ fest (Randnr. 130 Absatz 2, dritter Gedankenstrich).
Ferner sind der Kommission zufolge die „halbjährlichen Preisinitiativen ... nicht als
eine Reihe getrennter Vereinbarungen oder getrennter abgestimmter
Verhaltensweisen, sondern als Teil ein und derselben fortdauernden Vereinbarung
anzusehen“ (Randnr. 131 Absatz 2 der Entscheidung). Im Fall der Klägerin ist
somit zu prüfen, ob die Preisabsprache, an der sie ab 1988 teilnahm (siehe oben,
Randnrn. 69 ff.), von der Kommission zutreffend als Vereinbarung eingestuft
wurde.
- 85.
- Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren
gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer
bestimmten Weise zu verhalten (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli
1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661,
Randnr. 112, und in den Rechtssachen Van Landewyck u. a./Kommission, Randnr.
86, sowie Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89,
Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 256).
- 86.
- Somit ist zu prüfen, ob die Kommission nachgewiesen hat, daß die Adressaten der
Entscheidung ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck brachten, auf dem Markt
ein bestimmtes Preisverhalten zu zeigen.
- 87.
- Insoweit genügt die Bezugnahme auf die Beweismittel, die die Beteiligung der
Klägerin an einer Preisabsprache belegen (siehe oben, Randnrn. 69 ff.). Ohne daß
weitere Beweismittel geprüft zu werden brauchen, hat die Kommission ersichtlich
den Beweis dafür erbracht, daß die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden
Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck brachten, einheitliche und
gleichzeitige Preiserhöhungen vorzunehmen. Die Kommission war daher berechtigt,
die Willensübereinstimmung zwischen der Klägerin und anderen Kartonherstellern
über die Preisinitiativen als Vereinbarung einzustufen.
- 88.
- Nach alledem ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an der Durchführung der
Preiserhöhungen
Vorbringen der Parteien
- 89.
- Die Klägerin trägt vor, sie habe nur im Oktober 1988 und im April 1989
Preiserhöhungen vorgenommen. Bei den Preiserhöhungsinitiativen im April 1990
und im Januar 1991, an denen sie der Entscheidung zufolge teilgenommen haben
solle, habe sie sich auf die Ankündigung von Erhöhungen beschränkt, die nicht
realisiert worden seien.
- 90.
- Die Tatsache, daß sie sich an der Preisinitiative im Oktober 1989 nicht beteiligt
habe, zeige eindeutig, daß sie in dem angeblichen Kartell keinerlei Funktion
ausgeübt habe. Wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte sie permanent an allen
Preisinitiativen mitwirken müssen, um den Erfolg der getroffenen Absprachen nicht
zu gefährden.
- 91.
- Schließlich habe sie sich nicht an Preisabsprachen gebunden gefühlt, denn sie habe
die Preiserhöhungen im April 1990 und im Januar 1991 entgegen ihren
ursprünglichen Ankündigungen unstreitig nicht durchgeführt.
- 92.
- Die Kommission trägt vor, das Verhalten der Klägerin sei ein klarer Beleg für ihre
Beteiligung an sämtlichen Preisinitiativen. Sie habe bei jeder von der PG Karton
im fraglichen Zeitraum beschlossenen Initiative ausgenommen nur die Initiative
für Oktober 1989 Preiserhöhungen angekündigt. Wenn einige Preiserhöhungen
nicht hätten durchgeführt werden können, so könne dies auf den Widerstand ihrer
Kunden zurückzuführen sein. Angesichts der Tatsache, daß die Erhöhungen
angekündigt worden seien, sei davon auszugehen, daß sich die Klägerin an die
Preisabsprachen gebunden gefühlt habe.
Würdigung durch das Gericht
- 93.
- Wie bereits ausgeführt, geht aus der Entscheidung hervor, daß die
Preiserhöhungsinitiative für Oktober 1989 GD-Karton, die einzige von der Klägerin
hergestellte Kartonsorte, nicht betraf. Wie ferner festgestellt wurde (siehe oben,
Randnr. 82), ist die Nichtdurchführung der Preiserhöhung im Januar 1991 nur ein
Beleg dafür, daß sich die Klägerin ab Ende 1990 nicht mehr an der
Zuwiderhandlung beteiligte.
- 94.
- Daß die Klägerin, nachdem sie angekündigt hatte, im März 1990 eine
Preiserhöhung vornehmen zu wollen, ihre Preise zum vorgesehenen Zeitpunkt doch
nicht erhöhte, kann nichts an der Folgerung ändern, daß sie sich an der
Preisabsprache beteiligte. Insoweit wird in der Entscheidung nicht behauptet, daß
die Klägerin die fragliche Preiserhöhung durchgeführt habe. In der Tabelle F im
Anhang der Entscheidung hat sich die Kommission vielmehr darauf beschränkt, auf
das Schreiben vom 13. Dezember 1989 (Schriftstück F-7-1) zu verweisen, in dem
die Klägerin ankündigte, daß sie im März 1990 eine Preiserhöhung vornehmen
wolle (siehe oben, Randnr. 80).
- 95.
- Im übrigen hat die Klägerin die abgestimmten Preiserhöhungen im Oktober 1988
und im April 1989 durchgeführt (Tabellen C und D im Anhang der Entscheidung).
- 96.
- Das Vorbringen der Klägerin, daß sie sich an die mit ihren Konkurrenten geführten
Gespräche über die Kartonpreise nicht gebunden gefühlt habe, ist unerheblich. Die
Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages setzt nämlich nicht voraus, daß
sich die Unternehmen an die Absprache, an der sie mitwirken, gebunden fühlen.
- 97.
- Dem Klagegrund kann daher nicht gefolgt werden.
Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die
Marktanteile und einer Absprache über die Kapazitäten
Vorbringen der Parteien
- 98.
- Die Klägerin trägt vor, sie habe ihre alte Kartonmaschine bis 1990 voll genutzt, und
es sei ihr unmöglich gewesen, den Produktionsumfang zu erhöhen. Wartung,
Unterhaltung und Ausfälle dieser alten Maschine hätten zahlreiche technisch
bedingte Abstellzeiten erfordert.
- 99.
- Im Hinblick auf den während der Umbauzeit ihrer Kartonmaschine erwarteten
Produktionsausfall habe sie 1989 auf Lager produziert, wobei die Maschine 20,8
Tage länger als in einem normalen Jahr betrieben worden sei. Um einen solchen
Produktionsvorrat anlegen zu können, sei es nötig gewesen, auf Abstellzeiten in den
Betriebsferien oder an Feiertagen zu verzichten und die Produktion nur im
technisch zwingend erforderlichen Umfang anzuhalten. 1990 sei aufgrund der
Umbauarbeiten weniger produziert worden, aber die verbleibende Kapazität sei
voll genutzt worden. Sie habe deshalb keine „Preis-vor-Menge“-Politik verfolgen
können, und der Umbau ihrer Kartonherstellung stehe auch in offensichtlichem
Widerspruch zu einer solchen Politik.
- 100.
- In der Entscheidung werde kein Vorwurf hinsichtlich einer Beteiligung an einer
Kapazitätsabsprache oder einer Absprache über die Absicherung der Marktanteile
der führenden Hersteller erhoben. Dort werde auf keine Tatsache Bezug
genommen, mit der sich ihre Beteiligung an der angeblichen Absprache über die
„Preis-vor-Menge“-Politik belegen lasse. Insbesondere enthielten die bei FS-Karton
gefundenen Notizen (Anlage 115 der Mitteilung der Beschwerdepunkte; vgl.
Randnr. 92 der Entscheidung) keinen Nachweis für eine solche Beteiligung. In
diesen Notizen werde lediglich auf ihren angeblichen Marktanteil von 3 %
hingewiesen. Ihr Marktanteil bei GD-Sorten habe jedoch selbst in den Jahren
1988/89 maximal 2 % betragen und sei im Jahr 1990 aufgrund der Umbauarbeiten
sogar noch gesunken.
- 101.
- Auch in ihrer gelegentlichen Teilnahme an Sitzungen des JMC könne kein Beweis
für eine Mitwirkung an einer „Preis-vor-Menge“-Politik gesehen werden. Insoweit
sei der zweiten Aussage von Stora, auf die sich die Kommission stütze, zu
entnehmen, daß diese Politik im Rahmen der Sitzungen des PWG und der PK
erörtert worden sei, d. h. in Gremien, denen sie nicht angehört habe. Auch die
Notiz über ein Treffen der WK am 3. Oktober 1989 (Anlage 70 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte; vgl. Randnr. 82 der Entscheidung) stelle keinen solchen Beweis
dar, denn sie habe unstreitig niemals an Sitzungen dieses Ausschussses
teilgenommen.
- 102.
- Die Kommission verweist zunächst auf die Aussagen von Stora (Anlagen 39 und
43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). Diese enthielten eine Beschreibung der
zur Mengenkontrolle mit dem Ziel der Wahrung eines Gleichgewichts zwischen
Angebot und Nachfrage sowie zur Begrenzung der Marktanteile getroffenen
Maßnahmen. Außerdem ergebe sich aus diesen Aussagen, daß die Maßnahmen zur
Mengenkontrolle und zur Begrenzung der Marktanteile wesentliche Bestandteile
der Absprachen zwischen den Mitgliedern der PG Karton gewesen seien. Die
Aussagen von Stora würden durch mehrere Unterlagen bestätigt. Zu nennen sei
z. B. eine vertrauliche Notiz des Verkaufsleiters von FS-Karton vom 28. Dezember
1988 (Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).
- 103.
- Sie habe Anlage 115 der Mitteilung der Beschwerdepunkte richtig bewertet. Die
in diesen Notizen enthaltenen Informationen über prozentuale Marktanteile,
Produktionsmengen und -kapazität, Auftragsbestände, Preise und geplante
Preisanhebungen könnten aufgrund ihres detaillierten und erschöpfenden
Charakters nur durch einen individuellen Austausch zwischen den Herstellern
erlangt worden sein. Da die Notizen somit die Aussagen von Stora bestätigten, sei
es unerheblich, ob die Informationen über die Klägerin von ihr selbst stammten
und ob ihr Marktanteil tatsächlich 3 % betragen habe. Es sei jedenfalls zu
berücksichtigen, daß sich die Notizen allein auf den deutschen Markt für GD- und
GT-Sorten bezögen, auf dem der Marktanteil der Klägerin 1990 noch über den
genannten 3 % gelegen habe.
- 104.
- Da die Klägerin an Sitzungen des JMC teilgenommen habe, die zur Festlegung der
im Bereich der „Preis-vor-Menge“-Politik erforderlichen Maßnahmen gedient
hätten (Randnrn. 44 ff. der Entscheidung), sei ihr der Verstoß auch hinsichtlich
dieser Aspekte des Kartells zuzurechnen. Im Rahmen eines komplexen Systems von
Absprachen sei es nicht erforderlich, daß jedes einzelne Mitglied alle Teilaspekte
des Kartells selbst verwirkliche, solange nachgewiesen sei, daß das Kartell insgesamt
sie verwirklicht habe (Urteile ICI/Kommission, Randnrn. 256 bis 261 und 305, und
Hercules Chemicals/Kommission, Randnr. 272). Es sei daher unerheblich, daß die
Klägerin ihren Marktanteil möglicherweise erhöht habe, da ein solches individuelles
Verhalten die Teilnahme an einem illegalen Kartell nicht entschuldige. Ebenso sei
es unerheblich, daß sie möglicherweise ihre Produktion nicht unterbrochen und ihre
Kapazitäten voll ausgenutzt habe.
Würdigung durch das Gericht
- 105.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich im Fall der Klägerin
von mindestens 1988 bis Ende 1990 an einer seit Mitte 1986 bestehenden
Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die
Kartonanbieter in der Gemeinschaft „sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen
über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller
verständigten“ und „in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte
Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die
Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen“.
- 106.
- Die Klägerin nahm in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 unstreitig an einigen
Sitzungen des JMC teil. Außerdem ist, wie bereits festgestellt, die Beteiligung der
Klägerin an einer Preisabsprache im gleichen Zeitraum als erwiesen anzusehen
(siehe oben, Randnrn. 69 ff.).
- 107.
- Da die Klägerin bestreitet, an einer Absprache über die Abstellzeiten und einer
Absprache über die Marktanteile mitgewirkt zu haben, ist das Vorbringen in bezug
auf jede dieser beiden Absprachen getrennt zu prüfen.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten
- 108.
- Der Entscheidung zufolge beteiligten sich die an den Sitzungen des PWG
teilnehmenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer Absprache über die
Abstellzeiten der Anlagen; ab 1990 sei es tatsächlich zu Abstellzeiten gekommen.
- 109.
- Gemäß Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung umfaßte der eigentliche
Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora „die Erörterung und
Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten“.
Ferner führt die Kommission unter Bezugnahme auf die „1987 im PWG erzielte
Vereinbarung“ (Randnr. 52 Absatz 1 der Entscheidung) aus, sie habe u. a. dazu
gedient, „.das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten“ (Randnr. 58
Absatz 1 der Entscheidung).
- 110.
- Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die
Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heißt es in der
Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine
entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität
zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: „Von Anfang 1990 an [hielt
es] die Branche ... für erforderlich ..., sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten
zu verständigen. Die großen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht
durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen
Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich
anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt
werden mußten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen“
(Randnr. 70 der Entscheidung).
- 111.
- Ferner heißt es in der Entscheidung: „Der PWG wies jedoch nicht formell jedem
Hersteller seine .Abstellzeiten' zu. Laut Stora bestanden praktische
Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller
aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur .ein loses System der
Ermutigung'“ (Randnr. 71 der Entscheidung).
- 112.
- In ihrer zweiten Aussage (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt
24) führt Stora aus: „Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den
PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988
erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden,
um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne
Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts
zunehmender Überkapazität nicht halten können.“
- 113.
- Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: „1988 und 1989 konnte die
Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen
Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich ...
Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die
Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch)
einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden.
Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses
System der Ermutigung bestand ...“
- 114.
- Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen ferner auf Anlage 73 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte, eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten
der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn
Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in Österreich (Herrn Gröller)
vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.
- 115.
- Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten
Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im
„Präsidentenkreis“ „Gewinner und Verlierer“. Der Ausdruck „Präsidentenkreis“
ist nach der Auslegung von Mayr-Melnhof eine gemeinsame Bezeichnung für PWG
und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein
bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, Punkt 2.a); diese Auslegung braucht im vorliegenden
Zusammenhang nicht erörtert zu werden.
- 116.
- Die vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung
der Aktennotiz als „Verlierer“ ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen
einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten
dar.
- 117.
- Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:
„4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten
über das Gewollte.
...
c) Alle Außendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren
Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte
Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere
geänderte Einstellung zum Markt nicht früher wurde nur Tonnage
gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen
abzustellen).“
- 118.
- Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte),
daß der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt
betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz läßt dieser
Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im
„Präsidentenkreis“ beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das
Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung
von 1987, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar
die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros
angewandt wird.
- 119.
- Demnach ist davon auszugehen, daß die Kommission das Vorliegen einer
Absprache über die Produktionsunterbrechungen zwischen den Teilnehmern an den
Sitzungen des PWG nachgewiesen hat.
- 120.
- In der Entscheidung heißt es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden
Unternehmen, darunter die Klägerin, hätten sich an dieser Absprache beteiligt.
- 121.
- Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:
„Neben den zusammengefaßten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller
auf den JMC-Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.
Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen)
waren aus zweierlei Gründen wichtig:
einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen
vorgenommen werden können;
zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage ...“
(Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).
- 122.
- Ferner stellt sie fest:
„Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe
Randnummer 84) und im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere
Dokumente (Randnummern 94 und 95) bestätigen ..., daß die großen Hersteller
ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über ihre Pläne
unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang
zuvorzukommen“ (Randnr. 71 Absatz 3 der Entscheidung).
- 123.
- Die schriftlichen Beweise, die die Sitzungen des JMC betreffen (Anlagen 109, 117
und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), bestätigen, daß die Gespräche über
Abstellzeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten
Preiserhöhungen stattfanden. Insbesondere werden in Anlage 118 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte, Notizen von Rena vom 6. September 1990 (siehe auch
oben, Randnr. 73), der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die
Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in
Arbeitstagen ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt. Der
Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten vorsähen,
die er z. B. wie folgt aufführt:
„Kopparfors 5 15 days
5/9 will stop for five days“
- 124.
- Außerdem zeigen die Anlagen 117 und 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte
obwohl sie keine unmittelbaren Angaben zu den vorgesehenen Abstellzeiten
enthalten , daß die Auftragsbestände und die Auftragseingänge auf den Sitzungen
des JMC vom 6. September 1989 und vom 16. Oktober 1989 erörtert wurden.
- 125.
- Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen
hinreichenden Beweis für die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC
vertretenen Hersteller an der Absprache über die Abstellzeiten dar. Den an der
Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen war nämlich zwangsläufig bewußt, daß
durch die Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die
Gespräche über etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die
Marktbedingungen für eine abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern
auch, ob das Abstellen der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das
vereinbarte Preisniveau durch ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht
aus Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, daß sich die
Teilnehmer an der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 auf die Ankündigung
einer bevorstehenden Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt
hatten, daß sie sich anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die
Marktbedingungen gingen folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer
künftigen Preiserhöhung höchstwahrscheinlich (zusätzliche) Abstellzeiten erfordern
würde, so daß die Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit gebilligt haben.
- 126.
- Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der
Entscheidung angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte) geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen,
daß die Kommission die Beteiligung der Unternehmen, die an den Sitzungen des
JMC und an der Preisabsprache teilnahmen, an einer Absprache über die
Abstellzeiten nachgewiesen hat.
- 127.
- Daher ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin in der Zeit von 1988 bis Ende
1990 an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.
- 128.
- Ihrem Vorbringen, daß ihr tatsächliches Verhalten nicht den Behauptungen der
Kommission zum Vorliegen einer Absprache über die Abstellzeiten entspreche,
kann nicht gefolgt werden.
- 129.
- Die Kommission räumt nämlich ein, daß die Industrie bis Anfang 1990 mit voller
Kapazitätsauslastung arbeitete, so daß bis dahin praktisch keine Abstellzeiten
notwendig wurden (Randnr. 70 der Entscheidung).
- 130.
- Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung die Tatsache, daß sich ein
Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich
wettbewerbsfeindlichem Gegenstand nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner
vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich
nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat (vgl. z. B. Urteil des Gerichts
vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg.
1995, II-791, Randnr. 85). Selbst wenn man annimmt, daß das Marktverhalten der
Klägerin nicht dem vereinbarten Verhalten entsprach und daß sie insbesondere, wie
sie geltend macht, ihre Produktionskapazität im Jahr 1990 voll ausnutzte, ändert
dies somit nichts an ihrer Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile
- 131.
- Die Klägerin bestreitet, sich an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt zu
haben, ohne aber die in der Entscheidung enthaltene Behauptung in Abrede zu
stellen, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Hersteller eine
Vereinbarung getroffen hätten, die „ein .Einfrieren' der Marktanteile der
führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau [umfaßte], ohne
daß Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch
aggressive Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen“ (Randnr. 52
Absatz 1).
- 132.
- Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in bezug auf
die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, folgendes
ausführt:
„Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen,
nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile
unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der .Preis-vor-Menge'-Politik, an die sie
sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden Hersteller darauf
verständigt hatten, .das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten, wie
ihnen sicherlich auch die Notwendigkeit bewußt war, ihr eigenes Verhalten
entsprechend anzupassen“ (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).
- 133.
- Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die
Kommission in diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heißt:
„Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht
über die Einzelheiten der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen
der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft
der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung konstanterAngebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.
In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht
am PWG teilnahmen, ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder
Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die Marktanteile so gut wie keine
Auswirkungen hatte“ (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.2).
- 134.
- Die Kommission stützt sich somit wie Stora im wesentlichen auf die Annahme,
daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber
nachweislich an anderen Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung
beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der Existenz der Absprache über
die Marktanteile gewußt haben müssen, auch wenn es dafür keine unmittelbaren
Beweise gibt.
- 135.
- Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens beruft sich die
Kommission nicht auf ein Beweismittel, aus dem hervorginge, daß die
Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, einer allgemeinen
Vereinbarung zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der führenden
Hersteller vorsah.
- 136.
- Zweitens ist die bloße Tatsache, daß sich diese Unternehmen an einer
Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg
dafür, daß sie sich auch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligten.
Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der offenbar von der
Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder
der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die
Absprache über die Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller
der Entscheidung zufolge (Randnrn. 52 ff.) darauf abzielte, vorbehaltlich
gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile aufrechtzuerhalten; dies galt
selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der Marktbedingungen und insbesondere
des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage eine Kontrolle der Produktion
zur Sicherstellung der tatsächlichen Durchführung der vereinbarten
Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich belegt die etwaige Beteiligung an
der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten nicht, daß sich
die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, unmittelbar
an der Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie davon wußten
oder zwangsläufig davon wissen mußten.
- 137.
- Drittens beruft sich die Kommission auf Anlage 115 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, bei FS-Karton (Mayr-Melnhof-Gruppe) gefundene Notizen.
Gemäß Randnummer 92 Absatz 1 der Entscheidung beziehen sich diese Notizen
„von Anfang 1991 ... offensichtlich auf das Ergebnis eines Treffens mit anderen
Herstellern, obgleich dies von Mayr-Melnhof bestritten wurde“. Ferner würden
darin „die prozentualen Marktanteile (für 1990) für die [Mayr-Melnhof]-Gruppe,
Feldmühle, Buchmann, Weig, Europa Carton, Cascades, Laakmann, Saffa, Gruber
& Weber und De Eendracht angegeben“ (a. a. O.).
- 138.
- Dieses Schriftstück kann jedoch nicht als Beweis für die Beteiligung der Klägerin
an einer Absprache der Hersteller über die Marktanteile angesehen werden. Aus
ihm gehen zwar die prozentualen Marktanteile mehrerer Hersteller, u. a. der
Klägerin, in Deutschland hervor, aber es läßt weder seinen Ursprung noch den
Zeitpunkt der Sitzung erkennen, auf die es sich beziehen soll. Unter diesen
Umständen ist nicht auszuschließen, daß es im Lauf des Jahres 1991 anhand
bekannt gewordener oder von Kunden erhaltener Daten im Hinblick auf eine
interne Sitzung von FS-Karton verfaßt wurde. Selbst wenn man unterstellt, daß
tatsächlich Gespräche über die Marktanteile zwischen mehreren Herstellern
stattfanden, von denen einige nicht an den Sitzungen des PWG teilgenommen
hatten, ist jedenfalls nicht erwiesen, daß diese Gespräche in dem der Klägerin zur
Last gelegten Zeitraum der Zuwiderhandlung, d. h. von mindestens 1988 bis Ende
1990, geführt wurden.
- 139.
- Viertens ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58 Absätze 2 und
3 der Entscheidung auf Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von
Rena erlangte Aufzeichnung, die der Entscheidung zufolge eine Sondersitzung des
Nordic Paperboard Institute (NPI) am 3. Oktober 1988 betreffen soll, als
zusätzliches Beweismittel für die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die
Feststellung, daß die Klägerin dem NPI nicht angehörte und daß die Bezugnahme
auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem Schriftstück aus den
bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die
Marktanteile darstellen kann.
- 140.
- Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der
vorliegenden Art richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein
Gesamtkartell verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen
entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile
des Kartells umfaßt, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen
unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn
feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells
unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen
werden, sofern es wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß die Absprache, an
der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan
auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die
Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des
Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher
Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten
Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.
- 141.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Klägerin
wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß ihre eigene Zuwiderhandlung Teil eines
Gesamtplans war, der sich neben der Preisabsprache und der Absprache über die
Abstellzeiten, an denen sie sich tatsächlich beteiligte, auf eine Absprache über die
Marktanteile der führenden Hersteller erstreckte.
- 142.
- Somit ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die
Zuwiderhandlung, an der sich die Klägerin beteiligte, „vorbehaltlich gelegentlicher
Änderungen ... [zur] Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden
Hersteller“ diente, in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären.
Zum Klagegrund einer unzutreffenden Beurteilung der Teilnahme der Klägerin am
Informationsaustauschsystem der FIDES
Vorbringen der Parteien
- 143.
- Die Klägerin trägt vor, sie habe allein deshalb am Informationsaustauschsystem der
FIDES teilgenommen, um im Hinblick auf eine erhebliche Investition in eine neue
Produktionsanlage verläßliche Informationen über die zukünftige Entwicklung des
Faltschachtelmarkts zu erlangen. Sie habe ihre Teilnahme an diesem System nach
dem Abschluß dieser Investition Ende 1990 eingestellt. Ihre Teilnahme habe somit
zur Ausweitung ihrer eigenen Marktposition zu Lasten der übrigen Hersteller
gedient.
- 144.
- Im übrigen habe sie die Teilnahme am Informationsaustauschsystem als solche für
zulässig gehalten.
- 145.
- Die Kommission führt aus, das Informationsaustauschsystem der FIDES sei zur
Umsetzung eines unter Artikel 85 des Vertrages fallenden Kartells verwendet
worden. Unter diesen Umständen könne es nicht getrennt von den
wettbewerbsfeindlichen Zielen des Kartells beurteilt werden. Der Klägerin habe die
Rechtswidrigkeit des angewandten Informationsaustauschsystems nicht verborgen
bleiben können. Ihre etwaige Gutgläubigkeit könnte jedenfalls nur Einfluß auf die
Höhe der Geldbuße haben.
Würdigung durch das Gericht
- 146.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die darin genannten Unternehmen gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer Vereinbarung
und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die sie u. a. „als Absicherung
der vorgenannten Maßnahmen [d. h. einer Preisabsprache, einer Absprache über
die Marktanteile und einer Absprache über die Abstellzeiten]
Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände
und Kapazitätsauslastung) austauschten“.
- 147.
- Die Entscheidung ist angesichts ihres verfügenden Teils und ihrer Randnummer
134 Absatz 3 dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß des FIDES-Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte
Kartell stützte.
- 148.
- Gemäß Randnummer 134 Absatz 3 der Entscheidung handelte es sich beim
Informationsaustauschsystem der FIDES um „eine wichtige Hilfe bei
der laufenden Beobachtung der Entwicklung der Marktanteile;
der laufenden Beobachtung der Angebots- und Nachfragesituation im
Hinblick auf die Erhaltung der vollen Kapazitätsauslastung;
den Entscheidungen darüber, ob abgestimmte Preiserhöhungen
vorgenommen werden könnten;
der Planung der notwendigen Abstellzeiten“.
- 149.
- Da der Verstoß des Informationsaustauschsystems der FIDES gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages nur darin gesehen wurde, daß es das festgestellte Kartell
stützte, ist das Vorbringen der Klägerin unerheblich, daß sie die Teilnahme an
diesem System als solche für zulässig gehalten habe.
- 150.
- Im übrigen bestreitet die Klägerin nicht die Richtigkeit der Behauptungen in der
Entscheidung über die Verwendung der FIDES-Statistiken zu wettbewerbswidrigen
Zwecken.
- 151.
- Unter diesen Umständen ist es als erwiesen anzusehen, daß die Klägerin an einem
Informationsaustausch teilnahm, um die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu
unterstützen, an denen sie sich nachweislich beteiligte. Folglich sind auch ihre
Erläuterungen zu den Gründen, aus denen sie beschloß, am
Informationsaustauschsystem der FIDES teilzunehmen, unerheblich.
- 152.
- Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
Vorbringen der Parteien
- 153.
- Die Klägerin trägt vor, das Verbot in Artikel 2 der Entscheidung sei zu unbestimmt
formuliert. Die darin enthaltenen äußerst vagen Angaben erlaubten es nicht,
zwischen einem zulässigen und einem unzulässigen Informationsaustauschsystem zu
unterscheiden. Jedes System zum Austausch von Informationen, selbst in globaler
Form, könne unter das aufgestellte Verbot fallen.
- 154.
- Soweit Artikel 2 den Austausch von Daten in globaler Form untersage, stehe die
Entscheidung im Widerspruch zur Bekanntmachung der Kommission über
Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die
eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen (ABl. 1968, C 75, S. 3,
berichtigt im ABl. 1968, C 84, S. 14; im folgenden: Kooperationsbekanntmachung).
- 155.
- Die Kommission habe in ihrem Siebten Bericht über die Wettbewerbspolitik (Nr. 7)
bestätigt, daß ein Informationsaustauschsystem, das keinen Bezug zu
individualisierbaren Daten einzelner Unternehmen zulasse, nicht gegen die
Wettbewerbsregeln verstoße.
- 156.
- Soweit die Kommission in der Entscheidung auf das Risiko eines Mißbrauchs von
Informationen abgestellt habe, die als solche gesammelt werden dürften, sei der
Anwendungsbereich von Artikel 85 des Vertrages in unzulässiger Weise überdehnt
worden.
- 157.
- Die Kommission hält das Verbot des künftigen Informationsaustauschs nicht für zu
unbestimmt. Es reiche aus, wenn sich aus dem Tenor und der Begründung der
Entscheidung ergebe, welches wettbewerbswidrige Verhalten abzustellen sei (Urteil
des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73,
50/73, 54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission,
Slg. 1975, 1663, Randnrn. 122 bis 124). Im vorliegenden Fall enthalte bereits
Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c der Entscheidung eine detaillierte
Beschreibung der Art des unzulässigen Informationsaustauschs. Im übrigen seien
die tatsächlichen Feststellungen zu den ausgetauschten Informationen in den
Randnummern 61 bis 68, 105 und 106 der Entscheidung im einzelnen dargelegt
worden. Ferner enthalte die Entscheidung eine genaue Darstellung der
wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen des Informationsaustauschs (Randnrn. 134
und 166). Die Tragweite des Verbotes ergebe sich daher eindeutig aus Artikel 2
der Entscheidung in Verbindung mit ihrer Begründung.
- 158.
- In Artikel 2 Absätze 2 und 3 der Entscheidung werde nur dargelegt, wie ein
zulässiger Informationsaustausch gestaltet werden könnte.
- 159.
- Das Verbot sei auch nicht zu weit gefaßt. Das Verbot des künftigen
Informationsaustauschs sei im Licht der Feststellungen in den Randnummern 68
bis 70 der Entscheidung zu sehen. Das Verbot des Austauschs zusammengefaßterDaten betreffe im übrigen nur die Angaben über Auftragseingänge, Auftragslage
und Kapazitätsauslastung. Bei der Beurteilung des Informationsaustauschs seien der
hohe Konzentrationsgrad der Branche sowie der aus der bisherigen
Zusammenarbeit in der PG Karton resultierende hohe Informationsstand der
verschiedenen Unternehmen in bezug auf die Unternehmensstruktur und -politik
zu berücksichtigen. Auf konzentrierten Märkten bestünden die
Wettbewerbsreserven im wesentlichen in der Ungewißheit und Geheimhaltung
zwischen den Hauptanbietern hinsichtlich der Marktbedingungen. Der Austausch
von Daten über den Auftragsbestand in kurzen Zeitabständen bewirke aber ein so
hohes Maß an künstlicher Markttransparenz, daß die Entfaltung der verbleibenden
Wettbewerbsreserven letztlich verhindert werde.
- 160.
- Außerdem könnten durch den wöchentlichen Austausch von Statistiken über die
Auftragseingänge zusammen mit den Kapazitätsberichten die Auslastung der
Branche ermittelt und Produktionsunterbrechungen branchenweit geplant werden;
auf diese Weise könnten die Hersteller ein Gleichgewicht zwischen Angebot und
Nachfrage aufrechterhalten und einem Preisverfall bei rückläufiger Nachfrage
entgegenwirken. Für den Eintritt dieser Wirkungen spiele es keine Rolle, ob die
Daten individualisiert seien oder ob sie sich auf bereits abgeschlossene Aufträge
bezögen. Die Kommission sei daher zu Recht davon ausgegangen, daß ein
Informationsaustausch über den Stand der Auftragseingänge und der Auftragslage
auch in globaler Form gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoße.
- 161.
- Die Entscheidung stehe nicht im Widerspruch zu ihrer
Kooperationsbekanntmachung oder zu den Angaben im Siebten Bericht über die
Wettbewerbspolitik.
Würdigung durch das Gericht
- 162.
- Artikel 2 der Entscheidung lautet:
„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen,
den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren
Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten
Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt
wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,
a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der
Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der
Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den
Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen, oder
b) durch den auch ohne Offenlegung individueller Informationen eine
gemeinsame Reaktion der Branche auf wirtschaftliche Verhältnisse
hinsichtlich der Preise oder der Kontrolle der Produktion gefördert oder
erleichtert wird, oder
c) durch die die Teilnehmer in die Lage versetzt werden könnten, die
Erfüllung oder Beachtung ausdrücklicher oder stillschweigender
Vereinbarungen betreffend die Preise oder die Marktaufteilung in der
Gemeinschaft zu überwachen.
Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System
oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß
es nicht nur alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller
ermitteln läßt, sondern auch alle Daten über den gegenwärtigen Stand der
Auftragseingänge und der Auftragslage, die erwartete Kapazitätsausnutzung (in
beiden Fällen auch in globaler Form) oder die Produktionskapazität jeder
Maschine ausschließt.
Ein eventueller Informationsaustausch beschränkt sich auf die Beschaffung und
Verbreitung von Produktions- und Verkaufsstatistiken in globaler Form, die nicht
dazu benutzt werden können, ein gemeinsames Geschäftsverhalten zu fördern oder
zu erleichtern.
Die Unternehmen nehmen außerdem von jedem Austausch weiterer
wettbewerbsrelevanter Informationen über den zulässigen Informationsaustausch
hinaus sowie von allen Treffen oder sonstigen Kontakten zur Erörterung des
Aussagegehalts der ausgetauschten Informationen oder der möglichen oder
wahrscheinlichen Reaktion der Branche oder einzelner Hersteller auf diese
Informationen Abstand.
Für die notwendigen Änderungen an einem etwaigen Informationsaustauschsystem
wird eine Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser
Entscheidung eingeräumt.“
- 163.
- Wie sich aus Randnummer 165 der Entscheidung ergibt, wurde Artikel 2 der
Entscheidung gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 erlassen. Nach
dieser Bestimmung kann die Kommission u. a. dann, wenn sie eine
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages feststellt, die beteiligten
Unternehmen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung
abzustellen.
- 164.
- Nach ständiger Rechtsprechung kann die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 17 das Verbot umfassen, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder
Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit
festgestellt worden ist (Urteile des Gerichtshofes vom 6. März 1974 in den
Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial
Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnr. 45, und vom 6. April 1995 in den
Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P, RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995,
I-743, Randnr. 90), aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten (Urteil
des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra
Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 220).
- 165.
- Da die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 der
festgestellten Zuwiderhandlung angepaßt sein muß, ist die Kommission außerdem
befugt, den Umfang der Verpflichtungen anzugeben, die die betroffenen
Unternehmen erfüllen müssen, damit die Zuwiderhandlung abgestellt wird.
Derartige den Unternehmen auferlegte Verpflichtungen dürfen jedoch nicht die
Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Zieles
Wiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriften
angemessen und erforderlich ist (Urteil RTE und ITP/Kommission, Randnr. 93; in
diesem Sinne auch Urteile des Gerichts vom 8. Juni 1995 in den Rechtssachen
T-7/93, Langnese Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533, Randnr. 209, und T-9/93,
Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611, Randnr. 163).
- 166.
- Um im vorliegenden Fall festzustellen, ob die Anordnung in Artikel 2 der
Entscheidung wie die Klägerin behauptet zu weit geht, ist der Umfang der
verschiedenen Verbote zu prüfen, die den Unternehmen damit auferlegt werden.
- 167.
- Das Verbot in Artikel 2 Absatz 1 Satz 2, wonach die Unternehmen künftig von
allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen absehen müssen, mit
denen gleiches oder ähnliches wie mit den in Artikel 1 der Entscheidung
festgestellten Zuwiderhandlungen bezweckt oder bewirkt wird, soll die
Unternehmen nur daran hindern, die Verhaltensweisen zu wiederholen, deren
Rechtswidrigkeit festgestellt wurde. Folglich hat die Kommission mit der
Aufstellung dieses Verbotes die ihr durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 17
verliehenen Befugnisse nicht überschritten.
- 168.
- Die Bestimmungen von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c betreffen
Einzelheiten zum Verbot des künftigen Austauschs von Geschäftsinformationen.
- 169.
- Die Anordnung in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a, der für die Zukunft jeden
Austausch von Geschäftsinformationen verbietet, der es den Teilnehmern
ermöglicht, unmittelbar oder mittelbar individuelle Informationen über die
Konkurrenzunternehmen zu erlangen, setzt voraus, daß die Kommission in der
Entscheidung die Rechtswidrigkeit eines derartigen Informationsaustauschs im
Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages festgestellt hat.
- 170.
- In Artikel 1 der Entscheidung heißt es nicht, daß der Austausch individueller
Geschäftsinformationen als solcher gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
verstößt.
- 171.
- Dort wird in allgemeinerer Form ausgeführt, daß die Unternehmen gegen diesen
Artikel des Vertrages verstoßen hätten, indem sie sich an einer Vereinbarung und
abgestimmten Verhaltensweise beteiligt hätten, durch die sie u. a. „als Absicherung
der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise,
Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten“.
- 172.
- Da der verfügende Teil der Entscheidung im Licht ihrer Gründe auszulegen ist
(Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 122), ist jedoch darauf hinzuweisen,
daß es in Randnummer 134 Absatz 2 der Entscheidung heißt:
„Der von den Herstellern in Sitzungen der PG Karton (vor allem des JMC)
praktizierte Austausch von normalerweise vertraulichen und sensitiven individuellen
Informationen über Auftragslage, Abstellzeiten und Produktionshöhe war
offenkundig wettbewerbsfeindlich, da mit ihm bezweckt wurde, möglichst günstige
Voraussetzungen für die Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu
schaffen.“
- 173.
- Da die Kommission somit in der Entscheidung ordnungsgemäß ihre Ansicht
geäußert hat, daß im Austausch individueller Geschäftsinformationen als solchem
ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zu sehen sei, erfüllt das
Verbot, künftig einen derartigen Informationsaustausch vorzunehmen, die
Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung
Nr. 17.
- 174.
- Die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung aufgestellten
Verbote des Austauschs von Geschäftsinformationen sind im Licht der Absätze 2,
3 und 4 dieses Artikels zu prüfen, die ihren Inhalt näher ausgestalten. In diesem
Kontext ist zu ermitteln, ob und, wenn ja, inwieweit die Kommission den fraglichen
Austausch als rechtswidrig angesehen hat, da der Umfang der den Unternehmen
auferlegten Verpflichtungen auf das zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit
ihres Verhaltens im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erforderliche
Maß zu beschränken ist.
- 175.
- Die Entscheidung ist dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß des
FIDES-Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das
festgestellte Kartell stützte (Randnr. 134 Absatz 3 der Entscheidung). Diese
Auslegung wird durch den Wortlaut von Artikel 1 der Entscheidung bestätigt, aus
dem hervorgeht, daß die Geschäftsinformationen zwischen den Unternehmen „als
Absicherung“ der als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
angesehenen Maßnahmen ausgetauscht wurden.
- 176.
- Im Licht dieser Auffassung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit des
FIDES-Systems mit Artikel 85 des Vertrages im vorliegenden Fall ist die Tragweite
der in die Zukunft gerichteten Verbote in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c
der Entscheidung zu beurteilen.
- 177.
- Die fraglichen Verbote beschränken sich zum einen nicht auf den Austausch
individueller Geschäftsinformationen, sondern betreffen auch den Austausch
bestimmter globaler statistischer Daten (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b und
Absatz 2 der Entscheidung). Zum anderen verbietet Artikel 2 Absatz 1
Buchstaben b und c der Entscheidung den Austausch bestimmter statistischer
Informationen, um dem Aufbau einer möglichen Stütze potentieller
wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vorzubeugen.
- 178.
- Da ein solches Verbot den Austausch rein statistischer Informationen, die nicht den
Charakter individueller oder individualisierbarer Informationen haben, mit der
Begründung verhindern soll, daß die ausgetauschten Informationen zu
wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden könnten, überschreitet es das zur
Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit der festgestellten Verhaltensweisen
erforderliche Maß. Zum einen geht nämlich aus der Entscheidung nicht hervor, daß
die Kommission den Austausch statistischer Daten als solchen als Verstoß gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen hat. Zum anderen führt die bloße
Tatsache, daß ein System des Austauschs statistischer Informationen zu
wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden kann, nicht zu seiner
Unvereinbarkeit mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages; vielmehr sind unter
derartigen Umständen seine konkreten wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu
bestimmen.
- 179.
- Daher ist Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung mit Ausnahme folgender
Passagen für nichtig zu erklären:
„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen,
den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren
Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten
Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt
wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,
a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der
Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der
Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den
Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.
Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System
oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß
es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln
läßt, ausschließt.“
Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße
Zu den Klagegründen, die Fragen betreffen, über die gemeinsam mündlich verhandelt
wurde
- 180.
- In der informellen Sitzung vom 29. April 1997 wurden die Unternehmen, die gegen
die Entscheidung Klage erhoben haben, aufgefordert, für den Fall der Verbindungder Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung die Möglichkeit
gemeinsamer mündlicher Ausführungen durch mehrere von ihnen in Betracht zu
ziehen. Sie wurden darauf hingewiesen, daß solche gemeinsamen mündlichen
Ausführungen nur von den Klägerinnen gemacht werden können, die in ihren
Klageschriften die den gemeinsam zu behandelnden Themen entsprechenden
Klagegründe auch tatsächlich geltend gemacht haben.
- 181.
- Mit Telefax vom 14. Mai 1997, das im Namen aller Klägerinnen vorgelegt worden
ist, haben diese mitgeteilt, daß sie sechs Fragen im Rahmen gemeinsamer
mündlicher Ausführungen behandeln wollten, darunter
a) die Beschreibung des Marktes und die fehlenden Auswirkungen des
Kartells,
b) das allgemeine Bußgeldniveau und dessen Begründung in der Entscheidung
und
c) die Begründung für die Geldbußen.
- 182.
- In ihrer Klageschrift hat die Klägerin zu diesen drei Fragen keine Klagegründe
oder Argumente vorgetragen. In der Verhandlung hat sie gleichwohl erklärt, daß
sie sich den betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen anschließe.
- 183.
- Gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es
sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst
während des Verfahrens zutage getreten sind. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin
keinen erst während des Verfahrens zutage getretenen rechtlichen oder
tatsächlichen Grund angeführt, der das fragliche neue Vorbringen rechtfertigen
könnte.
- 184.
- Daher sind die betreffenden Klagegründe, auf die sich die Klägerin erstmals in der
Verhandlung berufen hat, unzulässig.
Zu den Klagegründen der Heranziehung einer falschen Umsatzzahl durch die
Kommission und einer damit verbundenen Verletzung der Begründungspflicht und der
Verteidigungsrechte
Vorbringen der Parteien
- 185.
- Die Klägerin trägt vor, aus Randnummer 4 der Entscheidung ergebe sich, daß
bestimmte nicht zur Herstellung von Faltschachteln verwendete Kartonsorten, wie
z. B. Graukarton, nicht Gegenstand der Entscheidung seien und nicht unter den
Begriff „Karton“ im dort gebrauchten Sinn fielen, auch wenn diese Erzeugnisse auf
Kartonmaschinen hergestellt werden könnten. Dies werde durch Randnummer 3
der Entscheidung bestätigt, wo es heiße, daß Karton „in erster Linie für die
Anfertigung von Faltschachteln“ verwendet werde.
- 186.
- Zu Beginn ihrer Untersuchung habe die Kommission von ihr die Mitteilung ihres
Gesamtumsatzes im Kartonbereich sowie ihres Umsatzes bei GD-Kartons verlangt.
In der Mitteilung der Beschwerdepunkte habe sich die Kommission jedoch dahin
gehend geäußert, daß sich die Untersuchung nur auf den zur Herstellung von
Faltschachteln bestimmten Karton erstrecke.
- 187.
- Drei von ihr hergestellte Erzeugnisse, und zwar die Sorten Printa, Duplex KO und
Silbergrau, fielen nicht unter die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der
Entscheidung enthaltene Definition von „Karton“.
- 188.
- Bei der Sorte Printa handele es sich um einen Duplexkarton mit holzhaltiger Decke
sowie Einlage und Rückseite aus 100 % Altpapier. Wie die Papiertechnische
Stiftung (PTS) bestätigt habe, könne diese Sorte nicht zu den GD-Kartons gezählt
werden. Es sei eine Mischsorte, die hauptsächlich zur Kartonageherstellung und nur
zu einem geringen Teil für die Faltschachtelproduktion verwendet werde. Allein
zum Hinweis darauf, daß diese Sorte zumindest teilweise auch zur Herstellung von
Faltschachteln geeignet sei, werde sie von ihr unter der Bezeichnung „pigmentierter
UD“ vermarktet.
- 189.
- Bei der Sorte Duplex KO handele es sich um einen einfachen Duplexkarton, der
aus holzhaltiger heller Decke sowie Einlage und Rückseite aus 100 % Altpapier
bestehe. Auch diese Sorte könne, wie die PTS bestätigt habe, nicht zu den GD-
und UD 2-Kartons gezählt werden. Sie werde nahezu ausschließlich zur
Kartonageherstellung verwendet und sei vom Verwendungszweck, von der Qualität
und von der Preislage her nicht mit den zur Herstellung von Faltschachteln
dienenden Sorten vergleichbar. Sie werde unter der Bezeichnung „ED“ („Einfach
Duplex“) vermarktet.
- 190.
- Bei der Sorte Silbergrau schließlich handele es sich um einen reinen Graukarton.
- 191.
- Aufgrund dessen habe sie der Kommission in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung
der Beschwerdepunkte angegeben, daß sie nur die Sorten Supra und Bona
herstelle. Dies sei bei der Anhörung vor der Kommission bestätigt worden. Ihr
Vertreter habe ausgeführt, daß die Sorte Printa nicht zu den UD- oder GD-Kartons gehöre und daß sie deshalb in ihre Mitteilungen an die FIDES eine eigene
Rubrik für diese Sorte aufgenommen habe. Zur Sorte Duplex KO habe ihr
Vertreter ausgeführt, daß sie unter die Kategorie „ED“ falle und auch in den
Mitteilungen an die FIDES so eingeordnet worden sei. Er habe ausdrücklich darauf
hingewiesen, daß die Verwendung der Abkürzung „UD“ für diese Sorte nicht
zutreffend wäre.
- 192.
- Da die Diskussion über ihre Erzeugnisse nicht fortgesetzt worden sei, habe sie es
als unstreitig angesehen, daß die Sorten Printa und Duplex KO nicht Gegenstand
des Verfahrens seien. Die Kommission habe diese Diskussion erst mit einem
Schreiben vom 24. Mai 1994 wiederaufgenommen und darin behauptet, daß sich
die Sorte Printa von GD 2-Karton nur durch ihre geringere Dichte unterscheide
was nicht zutreffe und daß die Sorte Duplex KO vom Handel als „UD“
angesehen werde.
- 193.
- Da in der Entscheidung zu der Frage, ob sie die relevanten Erzeugnisse betreffe,
nicht Stellung genommen werde, sei sie mit einem Begründungsmangel behaftet.
Die Kommission sei zwar nach der Rechtsprechung nicht verpflichtet, auf
Argumente einzugehen, die sie für unerheblich halte (Urteil ICI/Kommission,
Randnr. 318), aber die Frage der Abgrenzung der von der Entscheidung erfaßten
Erzeugnisse sei von entscheidender Bedeutung.
- 194.
- Die Einbeziehung der fraglichen Erzeugnisse in die Entscheidung verstoße nicht
nur gegen die Begründungspflicht, sondern stelle angesichts des Verfahrensablaufs
auch eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte dar.
- 195.
- Schließlich hätte die Kommission eine zutreffende Berechnung der Geldbuße
bereits auf der Grundlage der Angaben vornehmen können, die die Klägerin im
Schreiben vom 13. Mai 1993 gemacht habe. Die erforderlichen Angaben seien der
Kommission jedenfalls mit Schreiben vom 13. Mai 1994 mitgeteilt und im Schreiben
vom 1. Juli 1994 wiederholt worden.
- 196.
- Die Kommission macht geltend, sie sei erheblich unter dem in Artikel 15 Absatz 2
der Verordnung Nr. 17 festgelegten Höchstbetrag der Geldbuße geblieben. Die
Klägerin könne daher nicht verlangen, daß ein Teil des Umsatzes unberücksichtigt
bleibe.
- 197.
- Nachdem die Klägerin die Einbeziehung bestimmter von ihr hergestellter
Erzeugnisse beanstandet habe, sei sie von ihr mit Schreiben vom 24. Mai 1994
aufgefordert worden, den bereits mitgeteilten Gesamtumsatz nach ihren
verschiedenen Erzeugnissen aufzuschlüsseln. In diesem Schreiben habe sie auch die
Gründe erläutert, aus denen die Sorten Printa und Duplex KO ihrer Ansicht nach
zu den GD-Kartons zu zählen seien. Die Klägerin habe darauf jedoch erst mit
Schreiben vom 1. Juli 1994, also lange nach Ablauf der ihr gesetzten Frist (31. Mai
1994), geantwortet, und auch dieses Schreiben habe die Aufschlüsselung des
Gesamtumsatzes nach den von ihr hergestellten Kartonsorten nicht enthalten.
Unter diesen Umständen sei die Kommission berechtigt gewesen, sich auf den
anfangs von der Klägerin angegebenen Gesamtumsatz im Kartonsektor zu stützen.
- 198.
- Außerdem würden die Sorten Printa und Duplex KO von der in der Entscheidung
enthaltenen Definition von „Karton“ erfaßt. Es gehe in diesem Zusammenhang
nicht um die Definition des relevanten Marktes, sondern um die Frage, auf welche
Erzeugnisse sich die Absprachen der Kartellmitglieder bezogen hätten.
- 199.
- Insoweit ergebe sich aus Randnummer 4 der Entscheidung, daß diese nicht nur die
zur Herstellung von Faltschachteln dienenden Kartonsorten betreffe. Vielmehr
würden nur bestimmte Sorten wie z. B. Graukarton ausgenommen, der gänzlich aus
Altpapier hergestellt werde. Die Klägerin habe im übrigen selbst eingeräumt, daß
die Sorten Printa und Duplex KO zur Herstellung von Faltschachteln geeignet
seien. Die Sorte Printa habe sie in ihrer Klageschrift selbst mit „UD“ bezeichnet.
Somit sei klar, daß sie zu den GD-Kartons gehöre.
- 200.
- Die Klägerin habe ferner eingeräumt, daß die Mitteilungen an die FIDES Angaben
zu den fraglichen Erzeugnissen enthalten hätten; dies zeige, daß sie selbst davon
ausgegangen sei, daß diese Sorten vom Kartell erfaßt würden. Auch die
Preiserhöhungen hätten sich auf diese Sorten erstreckt.
- 201.
- Außerdem hätten die Erörterungen bei der Anhörung vor der Kommission
ergeben, daß die fraglichen Erzeugnisse als von der Definition des Kartonbegriffs
erfaßt anzusehen seien. Der Vertreter der Klägerin habe nämlich erklärt, die Sorte
Printa sei so etwas wie GD 3 („something of a GD 3“). Von der PG Karton werde
die Abkürzung GD 3 aber als Bezeichnung für eine WLC-Sorte verwendet, die sich
von den GD 1- und GD 2-Sorten nur durch ihre geringere Dichte unterscheide. In
bezug auf die Sorte Duplex KO habe der Vertreter der Klägerin eingeräumt, daß
sie von den Konkurrenten zu den UD-Kartons gezählt werde. Auch wenn die
Klägerin sie als „ED“ („Einfach Duplex“) bezeichne, gehe schon aus dem Namen
hervor, daß es sich um einen Duplexkarton handele.
- 202.
- Die fraglichen Erzeugnisse würden auch in einer Werbebroschüre der Klägerin als
Duplexkarton bezeichnet; bei der Sorte Printa werde dort sogar auf die
Verwendung im Faltschachtel- und Displaysektor hingewiesen. Den Bestätigungen,
die die Klägerin von der PTS erhalten habe, könne insoweit kein Beweiswert
beigemessen werden.
- 203.
- Die Kommission habe die zur Bestimmung der Höhe der Bußgelder verwendeten
Kriterien in den Randnummern 168 und 169 der Entscheidung ausreichend
dargelegt. Da der Umsatz im Kartonbereich zu diesen Kriterien gehöre, habe sie
die Einbeziehung der Sorten Printa und Duplex KO in die Berechnung der
Geldbuße nicht im einzelnen erläutern müssen (vgl. Urteil des Gerichts vom 10.
März 1992 in der Rechtssache T-9/89, Hüls/Kommission, Slg. 1992, II-499,
Randnr. 363).
- 204.
- Sie habe ihren Standpunkt auch nicht im Lauf des Verfahrens geändert; die
Mitteilung der Beschwerdepunkte habe wie die Entscheidung eine Definition des
Verfahrensgegenstands enthalten, die sich auf die fraglichen Erzeugnisse erstreckt
habe.
Würdigung durch das Gericht
- 205.
- Die Kommission hat die Höhe der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße
unstreitig anhand des 1990 durch den Verkauf aller ihrer Kartonsorten,
einschließlich der Sorten Printa, Duplex KO und Silbergrau, erzielten Umsatzes
festgelegt.
- 206.
- Ferner ist unstreitig, daß sie bei der Festlegung der Höhe der individuellen
Geldbußen systematisch den Umsatz herangezogen hat, den die einzelnen
Adressaten der Entscheidung im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft
erzielten. Dabei hat sie nur den Umsatz berücksichtigt, der durch den Verkauf von
Karton in dem in der Entscheidung definierten Sinn erzielt wurde.
- 207.
- Die Kommission bestreitet nicht, daß die Sorte Silbergrau ein Graukarton und als
solcher von der festgestellten Zuwiderhandlung nicht betroffen ist. Sie macht jedoch
geltend, daß die Sorten Printa und Duplex KO von der Definition des
Kartonbegriffs in der Entscheidung erfaßt würden und daß sich die festgestellte
Zuwiderhandlung auf diese Erzeugnisse erstreckt habe.
- 208.
- Da der vorliegende Klagegrund im Licht der vorgenannten Gesichtspunkte zu
beurteilen ist, ist zunächst zu prüfen, ob die Entscheidung hinsichtlich der
Einbeziehung der Sorten Printa und Duplex KO in die Definition des relevanten
Erzeugnisses ausreichend begründet ist und ob in diesem Kontext die
Verteidigungsrechte der Klägerin verletzt wurden. Sodann ist zu prüfen, ob die
Kommission dargetan hat, daß sich die in Artikel 1 der Entscheidung festgestellte
Zuwiderhandlung auf die Sorten Printa und Duplex KO erstreckte. Schließlich ist
unter Berücksichtigung der Ergebnisse bei den vorangegangenen Punkten zu
prüfen, ob die Kommission berechtigt war, die Höhe der Geldbuße auf der
Grundlage des von der Klägerin im Jahr 1990 durch den Verkauf aller ihrer
Kartonsorten erzielten Umsatzes festzusetzen.
Zu dem auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und eine Verletzung der
Verteidigungsrechte der Klägerin gestützten Vorbringen
- 209.
- Nach ständiger Rechtsprechung muß die Begründung einer beschwerenden
Entscheidung eine wirksame Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit ermöglichen und
dem Betroffenen die erforderlichen Hinweise geben, anhand deren er erkennen
kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist. Ob eine Begründung ausreicht,
ist anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts der Maßnahme,
der Art der vorgetragenen Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die
Adressaten an Erläuterungen haben können. Um diese Funktionen zu erfüllen,
muß eine ausreichende Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde,
die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, klar und unzweideutig wiedergeben
(vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 28. April 1994 in der Rechtssache T-38/92, AWS
Benelux/Kommission, Slg. 1994, II-211, Randnr. 26).
- 210.
- Randnummer 4 der Entscheidung lautet:
„Die wichtigsten in Westeuropa hergestellten Kartonqualitäten sind:
Folding boxboard FBB (Faltschachtelkarton), ein Produkt mit einer
oberen weißen Lage aus gebleichtem chemischem Zellstoff, einer Einlage
aus mechanischem oder chemisch-mechanischem Zellstoff und häufig einer
dünnen unteren Lage aus gebleichtem chemischem Zellstoff.
Faltschachtelkarton wird gewöhnlich für die Verpackung von
Nahrungsmitteln, Kosmetika, Zigaretten, Arzneimitteln usw. verwendet.
White-lined chipboard WLC, im kontinentalen Westeuropa auch als
Duplex oder Triplex bekannt (altpapierhaltige Sorten), hergestellt auf der
Basis von Sekundär- oder wiederverwerteten Fasern. Dieses Produkt wird
mit einer Oberseite aus gebleichtem chemischem Zellstoff und unteren
Lagen aus wiederverwertetem Altpapier hergestellt und in der Regel für die
Verpackung von Non-food-Produkten verwendet.
Solid Bleached Sulphate Board SBS (100 % Zellstoffkarton), ein durch
und durch weißes mehrlagiges Produkt aus gebleichtem chemischem
Zellstoff; wird hauptsächlich als Extraqualität für die Verpackung von
Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten verwendet.
Bestimmte andere Pappeerzeugnisse (beispielsweise Graukarton, der gänzlich aus
Altpapier hergestellt wird) können auch auf Kartonmaschinen hergestellt werden,
fallen aber nicht unter den Begriff .Karton' (Cartonboard), wie er von den
Herstellern selbst verwendet wird, und sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
In der ganzen westeuropäischen Kartonindustrie werden die in Deutschland
üblichen Standard-Produktbezeichnungen und -Abkürzungen verwendet.
Für gestrichenen bzw. ungestrichenen FBB werden die Bezeichnungen
.GC' und .UC' verwendet;
gestrichener bzw. ungestrichener Duplex wird mit .GD' und .UD'
bezeichnet, während die entsprechenden Triplex-Sorten als .GT' und .UT'
bekannt sind;
gestrichener bzw. ungestrichener SBS wird mit .GZ' und .UZ' bezeichnet.
Innerhalb dieser Kategorien gibt es weitere Unterteilungen: so wird aufgrund der
verwendeten unterschiedlichen Rückseite zwischen GC 1 und GC 2, aufgrund des
unterschiedlichen spezifischen Volumens zwischen GD 1 und GD 2 unterschieden
usw. Aus praktischen Gründen deckt der Begriff .GC-Sorten' häufig den gesamten
Primärfasersektor ab, während .GD-Sorten' die entsprechende Kurzbezeichnung
für alle Sorten aus wiederverwendeten Fasern ist. In der vorliegenden Entscheidung
werden die Begriffe in diesem Sinne verwendet.“
- 211.
- Aus dieser Beschreibung der von der Entscheidung erfaßten Erzeugnisse geht
hervor, daß die Kommission der Tatsache Rechnung getragen hat, daß der Begriff
„Karton“ zahlreiche Erzeugnisse umfaßt und somit keine genaue Bedeutung hat.
Insbesondere ist aus der Angabe der Kommission, daß „[b]estimmte andere
Pappeerzeugnisse“, die auf Kartonmaschinen hergestellt werden könnten, von der
Entscheidung nicht erfaßt würden (Randnr. 4 Absatz 2 der Entscheidung), klar zu
ersehen, daß die Erzeugnisse, auf die sich die Entscheidung erstreckt, nach Ansicht
der Kommission nicht allein durch die Bezugnahme auf den Begriff „Karton“
bestimmt werden konnten.
- 212.
- Da die Kommission darauf hingewiesen hat, daß sich die Angaben in
Randnummer 4 der Entscheidung auf die „wichtigsten in Westeuropa hergestellten
Kartonqualitäten“ bezögen, kann in ihnen außerdem keine abschließende
Definition der von der Entscheidung erfaßten Erzeugnisse gesehen werden.
Randnummer 4 der Entscheidung ist somit dahin zu verstehen, daß dort die
technischen Merkmale (Rohstoff, Dicke und Verwendungszweck) der wichtigsten
von der Entscheidung erfaßten Erzeugnisse beschrieben werden. Der Umstand, daß
ein bestimmtes Produkt darin weder ausdrücklich erwähnt wird noch unmittelbar
unter die dort genannten technischen Spezifikationen fällt, bedeutet als solcher
nicht, daß es sich um eine von der Entscheidung nicht erfaßte Kartonsorte handelt.
- 213.
- Der Kommission kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie die
Erzeugnisse, auf die sich die Entscheidung bezieht, in dieser nicht abschließenden
Weise umschrieben hat.
- 214.
- Erstens können die Erzeugnisse, mit denen sich die Entscheidung befaßt, in einem
Fall wie dem vorliegenden anhand ihrer technischen Merkmale unter Bezugnahme
auf die Erzeugnisse ermittelt werden, die Gegenstand der festgestellten
Zuwiderhandlung waren. Geht aus der Entscheidung als Ganzem hervor, daß sich
die geltend gemachte Zuwiderhandlung auf ein bestimmtes Erzeugnis erstreckte,
und werden die dieses Ergebnis stützenden Nachweise angegeben, so hindert die
bloße Tatsache, daß die Entscheidung keine genaue und abschließende Aufzählung
der relevanten Erzeugnisse enthält, den Gemeinschaftsrichter nicht zwangsläufig an
der wirksamen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit und bedeutet auch nicht
zwangsläufig, daß dem betroffenen Unternehmen Hinweise vorenthalten würden,
die es benötigt, um erkennen zu können, ob die Entscheidung zutreffend begründet
ist.
- 215.
- Zweitens ist, auch wenn die Kommission darauf hinweist (Randnr. 4 Absatz 3 der
Entscheidung), daß in der ganzen Branche die in Deutschland üblichen Standard-Produktbezeichnungen und -abkürzungen verwendet würden, den Akten zu
entnehmen (zu den verschiedenen Klassifizierungen der Kartonprodukte vgl.
Anlagen 1 bis 4 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß es keine branchenweit
benutzte Standardklassifizierung gibt, die eine genaue und abschließende Definition
aller in Westeuropa hergestellten Kartonsorten ermöglichen würde.
- 216.
- Diese Feststellung wird durch folgende Ausführungen bestätigt, die der Vertreter
der Klägerin bei der Anhörung vor der Kommission in bezug auf die Sorte Printa
gemacht hat:
„The figures we gave to FIDES were for GD 2, and we made a special board
which we called [Printa] which was not exactly defined it didn't fit into these
categories of GD and UD. It was something of a GD 3 or something like that“
(S. 47 des Protokolls der Anhörung). (Die der FIDES übermittelten Zahlen
bezogen sich auf GD 2, und wir stellten eine besondere Kartonsorte her, die wir
Printa nannten und die nicht genau definiert war sie paßte nicht in diese
Kategorien von UD und GD. Sie war so etwas wie GD 3 oder etwas ähnliches.)
- 217.
- Drittens macht die Klägerin nicht geltend, daß die Angaben in Randnummer 4 der
Entscheidung falsch seien. Daher ist davon auszugehen, daß es sich bei diesen
Angaben um eine zutreffende und sachdienliche Beschreibung der wichtigsten
Kartonsorten handelt, auf die sich die Entscheidung bezieht.
- 218.
- Nach alledem ist das Gericht der Ansicht, daß die Entscheidung eine ausreichende
Begründung enthält, anhand deren allgemein ermittelt werden kann, welche
Erzeugnisse Gegenstand der festgestellten Zuwiderhandlung waren. Da die
Klägerin im Verwaltungsverfahren vor der Kommission jedoch bestritten hat, daß
die Sorten Printa und Duplex KO als von diesem Verfahren betroffen angesehen
werden könnten, ist zu prüfen, ob die Kommission dies gesondert hätte begründen
müssen.
- 219.
- Die Entscheidung enthält keine ausdrückliche Stellungnahme zu der Frage, ob sie
sie sich auf die Sorten Printa und Duplex KO bezieht.
- 220.
- Den von der Kommission in der Entscheidung angeführten Beweismitteln ist aber
zu entnehmen, daß die wettbewerbswidrigen Gespräche, die in einigen Gremien der
PG Karton geführt wurden, u. a. die von den Herstellern selbst mit den
Abkürzungen GD und UD bezeichneten Erzeugnisse betrafen (vgl. insbesondere
die in Randnr. 79 der Entscheidung erwähnte von Finnboard erlangte Preisliste und
die in Randnr. 87 der Entscheidung erwähnte Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte).
- 221.
- Außerdem werden in einem Schreiben der Kommission an die Klägerin vom 24.
Mai 1994 die Gründe genannt, aus denen die Kommission zu dem Schluß kam, daß
sich die fraglichen Gespräche auf die betreffenden Erzeugnisse erstreckt hätten.
- 222.
- In diesem Schreiben führt die Kommission aus:
„Wie bereits in den Beschwerdepunkten, der Fides-Dokumentation und in der
Anhörung deutlich gemacht worden ist, beschränkt sich das oben bezeichnete
Verfahren, soweit Sorten aus wiederverwertbarem Material betroffen sind, nicht auf
die Sorten GD 1 und GD 2.
Ihr .Printa'-Karton, dessen Einstufung als GD 3 lediglich in Deutschland üblich ist,
unterscheidet sich von GD 2 nur aufgrund seiner geringeren Dichte (1,3 cm3/g
maximal verglichen mit 1,4 cm3/g; vgl. die Anlage 4 zu den Beschwerdepunkten).
Ihr .Duplex KO' oder ED (Einfach Duplex) wird vom Handel wie von Ihnen
selbst bestätigt als UD (ungestrichenes Duplex) angesehen, obwohl Sie es mehr
mit GK (.Silbergrau') gleichzustellen scheinen.“
- 223.
- Auch wenn diese Erläuterung in der Entscheidung nicht wiederholt wurde, konnte
der Klägerin somit nicht verborgen bleiben, weshalb die Kommission die Sorten
Printa und Duplex KO als von den gerügten wettbewerbswidrigen Handlungen
erfaßt ansah. Diese Feststellung wird im übrigen dadurch untermauert, daß aus
dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Klageschrift hervorgeht, daß sie sich über die
Erwägungen der Kommission voll und ganz im klaren war.
- 224.
- Nach alledem ist davon auszugehen, daß die Begründung der Entscheidung
ausreicht, um eine wirksame Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit zu ermöglichen
und der Klägerin die erforderlichen Hinweise zu geben, anhand deren sie erkennen
kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist.
- 225.
- Da die Erwägungen der Kommission in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 24.
Mai 1994 hinreichend klar dargelegt wurden, ist auch das auf eine Verletzung ihrer
Verteidigungsrechte gestützte Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen. Dem ist
hinzuzufügen, daß es entgegen der offenbar von der Klägerin vertretenen Ansicht
keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß die Kommission ihren Standpunkt im Lauf des
Verwaltungsverfahrens geändert hat, denn die Mitteilung der Beschwerdepunkte
enthält fast dieselbe Kartondefinition wie Randnummer 4 der Entscheidung.
Zur Frage, ob sich die Zuwiderhandlung auf die Sorten Printa und Duplex KO
erstreckte
- 226.
- Wie bereits ausgeführt, betrafen die wettbewerbswidrigen Gespräche u. a. die von
den Herstellern selbst mit den Abkürzungen GD und UD bezeichneten
Erzeugnisse.
- 227.
- In bezug auf die Sorte Printa deutet schon die Angabe des Vertreters der Klägerin
bei der Anhörung vor der Kommission, daß dieses Erzeugnis so etwas wie GD 3
oder etwas ähnliches („something of a GD 3 or something like that“) gewesen sei,
klar darauf hin, daß sich die Gespräche auf dieses Erzeugnis bezogen. Gleiches gilt
für die Tatsache, daß die Klägerin bei seiner Vermarktung die Bezeichnung
„pigmentierter UD“ verwendete.
- 228.
- In diesem Zusammenhang ist die Behauptung der Klägerin, daß sie die
Bezeichnung „pigmentierter UD“ bei der Vermarktung der Sorte Printa nur
deshalb verwendet habe, um darauf hinzuweisen, daß sie auch zur Herstellung von
Faltschachteln geeignet sei, mangels Belegen zurückzuweisen.
- 229.
- Ferner ist die der Klägerin von der PTS erteilte Bestätigung, daß diese Kartonsorte
nicht als GD-Karton eingestuft werden könne, als nicht beweiskräftig
zurückzuweisen. Die Klägerin hat nämlich keine Angaben zu den von der PTS
verwendeten Klassifizierungskriterien gemacht.
- 230.
- Die Unterlagen über die von der Klägerin angekündigten und vorgenommenen
Preiserhöhungen enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich die in der PG
Karton vereinbarten Preiserhöhungen nicht auf die Sorte Printa bezogen. Aus
einem Schreiben der Klägerin vom 8. März 1989, mit dem für den 1. Mai 1989 eine
Preiserhöhung angekündigt wurde (Schriftstück D-7-5) und bei dem es sich um das
einzige Schriftstück handelt, in dem eine Unterscheidung zwischen den einzelnen
von der Klägerin hergestellten Erzeugnissen getroffen wird, geht vielmehr hervor,
daß die für die Sorte Printa angekündigte Preiserhöhung (9 DM) mit der Erhöhung
übereinstimmte, die in der PG Karton vereinbart worden war (vgl. Tabelle D im
Anhang der Entscheidung) und die die Klägerin für die Sorten Supra und Bona,
die zu den GD-Kartons gehören, angekündigt hatte.
- 231.
- Unter diesen Umständen hat die Kommission nachgewiesen, daß die festgestellte
Zuwiderhandlung auch die Sorte Printa betraf.
- 232.
- In bezug auf die Sorte Duplex KO führt die Klägerin aus, daß sie für die
Bezeichnung dieses Erzeugnisses in den der FIDES übermittelten Informationen
die Abkürzung ED verwendet habe; die Kommission hat dem nicht widersprochen.
Außerdem wurde ED-Karton in den Statistiken der FIDES wie GK 1-Karton, eine
Graukartonsorte, eingestuft.
- 233.
- Ferner geht aus dem Schreiben der Klägerin vom 8. März 1989 (Schriftstück D-7-5,
siehe oben) hervor, daß die für die Sorte Duplex KO angekündigte Preiserhöhung
(7 DM) geringer war als die in der PG Karton vereinbarte (vgl. Tabelle D im
Anhang der Entscheidung) und die von der Klägerin für die Sorten Supra, Bona
und Printa angekündigte Erhöhung. Die für die Sorte Duplex KO angekündigte
Preiserhöhung entsprach dagegen der für die Sorte Silbergrau (einem von der
Klägerin hergestellten Graukarton) angekündigten Erhöhung.
- 234.
- Unter diesen Umständen kann die Tatsache, daß der Vertreter der Klägerin bei
der Anhörung vor der Kommission ausgeführt hat, einigen ihrer Konkurrenten
zufolge könne Duplex KO in die Kategorie „UD“ eingestuft werden („Some of our
competitors said [Duplex KO] could be put into the category of UD ...“), keinen
ausreichenden Beweis dafür darstellen, daß sich die wettbewerbswidrigen
Gespräche in einigen Gremien der PG Karton auf dieses Erzeugnis erstreckten.
- 235.
- Nach alledem hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die festgestellte
Zuwiderhandlung auf die Sorte Printa erstreckte, nicht aber, daß sie sich auch auf
die Sorte Duplex KO erstreckte.
Zu dem bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße herangezogenen Umsatz
- 236.
- Die Höhe der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wurde unstreitig anhand
ihres im Jahr 1990 durch den Verkauf von Karton in der Gemeinschaft erzielten
Umsatzes ermittelt. Diese Umsatzzahl, die der Kommission mit Schreiben vom 25.
September 1991 mitgeteilt wurde, erfaßt den Verkauf aller von der Klägerin
hergestellten Kartonprodukte. Nach den vorstehenden Ausführungen waren die
Sorten Silbergrau und Duplex KO jedoch von der festgestellten Zuwiderhandlung
nicht betroffen.
- 237.
- Unter diesen Umständen kann dem Vorbringen der Kommission, daß die
Geldbuße jedenfalls erheblich unter dem in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung
Nr. 17 vorgesehenen Höchstbetrag geblieben sei, nicht gefolgt werden. Gemäß dem
Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, daß vergleichbare Sachverhalte
nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, sofern eine Differenzierung nicht
objektiv gerechtfertigt ist, hätte die Kommission, wie sie es bei den anderen in
Artikel 1 der Entscheidung genannten Unternehmen getan hat, den Umsatz
heranziehen müssen, den die Klägerin im Jahr 1990 in der Gemeinschaft allein mit
den von der festgestellten Zuwiderhandlung betroffenen Erzeugnissen erzielte.
- 238.
- Die Tatsache, daß die Klägerin den durch den Verkauf aller von ihr hergestellten
Kartonprodukte erzielten Umsatz nicht nach Produktkategorien aufschlüsselte,
obwohl die Kommission sie mit Schreiben vom 24. Mai 1994 dazu aufgefordert
hatte, stellt keine ausreichende Rechtfertigung dar.
- 239.
- Die Kommission hat in ihrem Schreiben vom 24. Mai 1994 erläutert, weshalb die
Sorten Printa und Duplex KO als Karton im Sinne des Verfahrens anzusehen seien.
Sie hat die Klägerin überdies aufgefordert, die Umsatzzahlen für die letzten fünf
Jahre nach allen GD-Sorten, Duplex KO und Graukarton aufzuschlüsseln, und sie
gebeten, ihr die fraglichen Auskünfte bis zum 31. Mai 1994 zukommen zu lassen.
- 240.
- Die Klägerin hat auf dieses Schreiben erst am 1. Juli 1994 geantwortet und ihren
Standpunkt bekräftigt, daß die Sorten Printa und Duplex KO nicht in das
Verfahren einbezogen werden dürften; ihrer Verpflichtung zur Vorlage der
geforderten Aufschlüsselung der Umsatzzahlen ist sie nicht nachgekommen.
- 241.
- Im Schreiben der Kommission vom 24. Mai 1994 wurde allerdings nicht auf Artikel
11 der Verordnung Nr. 17 Bezug genommen. Die Kommission hätte aber wissen
müssen, daß der Umsatz, auf den sie sich stützte, u. a. die Verkäufe von
Graukarton (Silbergrau) einschloß und somit unabhängig von der Streitfrage der
richtigen Klassifizierung der Sorten Printa und Duplex KO zu hoch war.
- 242.
- Unter diesen Umständen hätte sie der Klägerin ein Auskunftsverlangen gemäß
Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 übersenden müssen, um die für die zutreffende
Ermittlung der Höhe der Geldbuße erforderlichen Auskünfte zu erhalten. Sie kann
sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Höhe der Geldbuße nur
aufgrund des eigenen Verhaltens der Klägerin im Verwaltungsverfahren anhand
eines zu hohen Umsatzes ermittelt worden sei.
- 243.
- Da die Klägerin in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts Angaben
gemacht hat, anhand deren ermittelt werden kann, welcher Prozentsatz der
Verkäufe von Kartonprodukten in der Gemeinschaft im Jahr 1990 auf Erzeugnisse
entfällt, die von der festgestellten Zuwiderhandlung nicht betroffen sind, wird das
Gericht somit im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten
Nachprüfung von Geldbußen im Hinblick auf die Tatsache, daß der durch den
Verkauf der Sorten Silbergrau und Duplex KO erzielte Umsatz bei der Ermittlung
der Höhe der Geldbuße nicht hätte herangezogen werden dürfen, diese
herabsetzen (siehe unten, Randnr. 278).
- 244.
- Im übrigen ist der Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der begrenzten Beteiligung der Klägerin an den Gremien der PG
Karton sowie des fehlenden Vorsatzes
Vorbringen der Parteien
- 245.
- Die Klägerin verweist im wesentlichen auf ihr Vorbringen zur Stützung des Antrags
auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung. Sie habe nur für kurze Zeit
am Informationsaustauschsystem der FIDES und nur sporadisch an Sitzungen des
JMC teilgenommen. Berücksichtige man ferner den speziellen Zweck dieser
Teilnahme, ihre völlig untergeordnete Marktstellung und die Tatsache, daß sie an
den angeblichen Absprachen über Kapazitäten oder Marktanteile nicht beteiligt
gewesen sei, so habe die Kommission die in Randnummer 169 der Entscheidung
genannten Kriterien nicht korrekt angewandt. Da die Kommission die gegen sie
verhängte Geldbuße offenbar auf der Grundlage des im Normalfall angewandten
Satzes von 7,5 % des Umsatzes berechnet habe, liege eine Ungleichbehandlung
gegenüber den Unternehmen vor, die in vollem Umfang am Kartell mitgewirkt
hätten.
- 246.
- Selbst wenn man unterstelle, daß sie gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßen
habe, sei sie von der Rechtmäßigkeit ihrer Beteiligung am
Informationsaustauschsystem der FIDES und ihrer sporadischen Beteiligung an
einzelnen Sitzungen des JMC ausgegangen, zumal der Zweck dieser Beteiligung in
klarem Widerspruch zu den Interessen der übrigen Hersteller gestanden habe. Sie
räume ein, daß die Herabsetzung der Geldbuße um 25/60 den in Monaten
ausgedrückten Bruchteil des Gesamtzeitraums der Zuwiderhandlung, den die
Kommission der Berechnung der individuellen Geldbußen zugrunde gelegt habe
der kurzen Dauer einer etwaigen Beteiligung an einem rechtswidrigen Kartell
zutreffend Rechnung trage.
- 247.
- Davon abgesehen sei in der Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen worden,
daß ihr Geschäftsführer bei der Anhörung vor der Kommission die Existenz einer
generellen Regel eingeräumt habe, nach der keine belastenden Aufzeichnungen
über Sitzungen des JMC aufbewahrt werden dürften.
- 248.
- Die Kommission trägt vor, durch die Heranziehung des Kartonumsatzes habe sie
der relativ untergeordneten Rolle der Klägerin in der Branche Rechnung getragen.
Sie habe auch die kürzere Dauer ihrer Mitwirkung am Kartell durch eine
Minderung ihrer Geldbuße um 25/60 angemessen berücksichtigt. Daß die Klägerin
nicht zu den „Anführern“ gezählt worden sei, zeige schließlich, daß ihrer geringeren
Mitwirkung am Kartell Rechnung getragen worden sei.
- 249.
- Zum Vorbringen der Klägerin, daß keine vorsätzliche Zuwiderhandlung vorgelegen
habe, führt die Kommission aus, für die Einstufung einer Zuwiderhandlung als
vorsätzlich reiche es aus, daß das Unternehmen habe wissen müssen, daß das ihm
zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt habe
(Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 246/86, Belasco
u. a./Kommission, Slg. 1989, 2117, Randnr. 46). Außerdem könne die Klägerin in
Anbetracht der Schwere und Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung, die von Artikel
85 Absatz 1 des Vertrages ausdrücklich erfaßt werde, nicht ernsthaft bestreiten,
vom wettbewerbswidrigen Zweck des Kartells gewußt zu haben (vgl. Urteil
ICI/Kommission, Randnrn. 344 und 353). Daß die Kartellmitglieder versucht hätten,
ihre Absprachen geheimzuhalten, belege, daß sie sich des rechtswidrigen
Charakters ihres Verhaltens bewußt gewesen seien (vgl. Urteil Belasco
u. a./Kommission, Randnr. 41, und Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der
Rechtssache T-15/89, Chemie Linz/Kommission, Slg. 1992, II-1275, Randnr. 350).
- 250.
- Schließlich hält die Kommission daran fest, daß sie die Aussagen des
Geschäftsführers der Klägerin zu den zur Geheimhaltung des Kartells getroffenen
Maßnahmen in der Entscheidung korrekt wiedergegeben habe. Dieser habe auf die
Frage, ob alle Teilnehmer gewußt hätten, daß keine Aufzeichnungen gemacht
werden sollten, geantwortet: „Well, maybe somebody said so. Yes, maybe yes.“
Hinzu komme, daß sich die Kartellmitglieder in einer über das gewöhnliche Maß
an Geheimhaltung weit hinausgehenden Weise bemüht hätten, die Existenz des
Kartells zu verschleiern, indem sie z. B. ein System für die gestaffelte Ankündigung
von Preiserhöhungen entwickelt hätten (Randnr. 73 der Entscheidung).
Würdigung durch das Gericht
- 251.
- Der zu prüfende Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil macht
die Klägerin geltend, daß ihre begrenzte Beteiligung an den Gremien der PG
Karton von der Kommission bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße nicht
zutreffend gewürdigt worden sei. Mit dem zweiten Teil bestreitet sie, vorsätzlich
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen zu haben. Jeder dieser beiden
Teile ist gesondert zu prüfen.
Zum ersten Teil des Klagegrundes
- 252.
- Die Kommission hat dargetan, daß die Klägerin durch ihre Teilnahme an Sitzungen
des JMC in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 an einer Preisabsprache und einer
Absprache über die Abstellzeiten mitwirkte.
- 253.
- Dagegen ist festgestellt worden, daß die Klägerin nicht für eine Absprache über die
Marktanteile zur Verantwortung gezogen werden durfte.
- 254.
- Das Gericht wird die Frage etwaiger Auswirkungen dieses Umstands auf die Höhe
der Geldbuße im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von
Geldbußen bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung untersuchen
(siehe unten, Randnrn. 274 bis 277).
- 255.
- In bezug auf die Berechnung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße geht
aus einer von der Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des
Gerichts vorgelegten Tabelle hervor, daß insoweit der Prozentsatz des Umsatzes
herangezogen wurde, der für die Unternehmen galt, die nicht als „Anführer“ des
Kartells angesehen wurden (7,5 %). Ferner ist ihr zu entnehmen, daß die
Kommission auch der begrenzten Dauer der Beteiligung der Klägerin am Kartell
Rechnung getragen hat.
- 256.
- In Anbetracht dessen hat die Kommission die Rolle der Klägerin im Kartell
zutreffend gewürdigt, indem sie gegen die Klägerin eine Geldbuße verhängte, die
im Ergebnis 4,4 % des 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten
Umsatzes d. h. 7,5 %, bezogen auf den der Klägerin zur Last gelegten Zeitraum
der Zuwiderhandlung beträgt.
- 257.
- Der erste Teil des Klagegrundes ist folglich zurückzuweisen.
Zum zweiten Teil des Klagegrundes
- 258.
- In Randnummer 167 Absatz 2 der Entscheidung heißt es: „Die Unternehmen, an
die die ... Entscheidung gerichtet ist, haben vorsätzlich gegen Artikel 85 verstoßen.“
- 259.
- Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Einstufung einer Zuwiderhandlung als
vorsätzlich nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstoßes gegen Artikel
85 des Vertrages bewußt war; es genügt, daß es wissen mußte, daß das ihm zur
Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem
Gemeinsamen Markt bezweckte oder bewirkte (Urteil Belasco u. a./Kommission,Randnr. 41, und Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992 in der Rechtssache T-61/89,
Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992, II-1931, Randnr. 157).
- 260.
- Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, daß die Klägerin an Sitzungen des
JMC, dessen wettbewerbswidriger Zweck von der Kommission nachgewiesen
worden ist, und an abgestimmten Preiserhöhungen teilnahm.
- 261.
- Außerdem war der von der Klägerin begangene Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1
des Vertrages offenkundig.
- 262.
- Schließlich geht das Vorbringen der Klägerin fehl, daß ihr Vertreter bei der
Anhörung vor der Kommission nicht eingeräumt habe, daß die Teilnehmer an den
Sitzungen des JMC keine Notizen hätten anfertigen sollen.
- 263.
- Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnr. 67), stellen das Fehlen offizieller
Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke über die Sitzungen des
JMC in Anbetracht der Zahl und der zeitlichen Dauer dieser Sitzungen sowie der
Art der fraglichen Erörterungen einen hinreichenden Beweis für die Behauptung
der Kommission dar, daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen
getroffen worden seien.
- 264.
- Folglich ist der zweite Teil des Klagegrundes unbegründet.
- 265.
- Nach alledem ist der Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.
Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
Vorbringen der Parteien
- 266.
- Die Klägerin trägt vor, der Grundsatz der Gleichbehandlung sei dadurch verletzt
worden, daß ihre Geldbuße trotz ihrer Kooperationsbereitschaft nicht herabgesetzt
worden sei. Sie habe von Anfang an ihre sporadische Teilnahme an den Sitzungen
des JMC und ihre Teilnahme am Informationsaustauschsystem der FIDES
eingeräumt. Insbesondere habe die Kommission selbst ihre Kooperation in bezug
auf ihre Teilnahme an den Sitzungen des JMC anerkannt. Sie habe folglich so weit
wie möglich kooperiert, denn sie habe eine nicht existierende Mitwirkung auch
nicht zugeben können.
- 267.
- Durch die Herabsetzung der Geldbußen von Rena und Stora, nicht aber ihrer
Geldbuße, um zwei Drittel habe die Kommission sie schlechter behandelt.
- 268.
- Sie sei auch schlechter behandelt worden als die Unternehmen, deren Geldbußen
um ein Drittel herabgesetzt worden seien, weil sie in ihren Erwiderungen auf die
Mitteilung der Beschwerdepunkte die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht
bestritten hätten.
- 269.
- Die Kommission trägt vor, die Klägerin habe keine maßgebliche Kooperation bei
der Sachverhaltsermittlung gezeigt. Sie habe ihre Teilnahme an einigen Sitzungen
des JMC eingeräumt, aber stets geltend gemacht, daß dies nur zur Erlangung
genauer Marktdaten im Hinblick auf die geplante Investition geschehen sei. Sie
habe jede Beteiligung an einem illegalen Preis- und Mengenkartell geleugnet.
Würdigung durch das Gericht
- 270.
- Die Klägerin hat in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte
eingeräumt, am Informationsaustauschsystem der FIDES und an einigen Sitzungen
des JMC teilgenommen zu haben. Sie hat darin jedoch ebenso wie in ihrer
Klageschrift namentlich bestritten, sich an einer Preisabsprache und einer
Absprache über die Abstellzeiten beteiligt zu haben.
- 271.
- Die Kommission hat zu Recht die Ansicht vertreten, daß sich die Klägerin mit
dieser Erwiderung nicht in einer Weise verhalten habe, die eine Herabsetzung der
Geldbuße aufgrund einer Kooperation während des Verwaltungsverfahrens
rechtfertige. Eine Herabsetzung aus diesem Grund ist nur dann gerechtfertigt, wenn
das Verhalten es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter
festzustellen und gegebenenfalls zu beenden (vgl. Urteil ICI/Kommission,
Randnr. 393).
- 272.
- Der Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
- 273.
- Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf
die Klägerin für nichtig zu erklären, und Artikel 2 ist in bezug auf sie teilweise für
nichtig zu erklären.
- 274.
- Hinsichtlich der in Artikel 3 der Entscheidung gegen die Klägerin festgesetzten
Geldbuße ist zunächst zu klären, ob die Tatsache, daß der Klägerin im Rahmen der
von ihr begangenen Zuwiderhandlung keine Absprache über die Marktanteile zur
Last gelegt werden kann, zu einer Herabsetzung dieser Geldbuße führen muß.
- 275.
- Das Gericht ist im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten
Nachprüfung der Ansicht, daß die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages so schwerwiegend bleibt, daß die
Geldbuße nicht herabzusetzen ist.
- 276.
- Die Klägerin nahm nicht an den Sitzungen des PWG teil und wurde daher nicht
als „Anführer“ des Kartells zur Verantwortung gezogen. Da sie nach Angaben der
Kommission nicht zu den „treibenden Kräften“ des Kartells gehörte (Randnr. 170
Absatz 1 der Entscheidung), wurde gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 7,5 %
ihres im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes im Kartonbereich
verhängt. Dieses allgemeine Bußgeldniveau erscheint gerechtfertigt.
- 277.
- Auch wenn die Kommission zu Unrecht angenommen hat, daß den nicht im PWG
vertretenen Herstellern die Absprache über die Marktanteile „sehr wohl bekannt“
gewesen sei (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung), geht zudem aus der
Entscheidung selbst hervor, daß sich die dem PWG angehörenden Unternehmen
über das „Einfrieren“ der Marktanteile verständigten (vgl. u. a. Randnr. 52) und
daß über die Marktanteile der dort nicht vertretenen Hersteller nicht gesprochen
wurde. Im übrigen führt die Kommission in Randnummer 116 Absatz 3 der
Entscheidung aus, „daß die Marktaufteilungsabsprachen (insbesondere das in den
Randnummern 56 und 57 beschriebene Einfrieren der Marktanteile) ihrem Wesen
nach in erster Linie die führenden Hersteller betrafen“. Die der Klägerin fälschlich
zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile hatte somit, wie die Kommission
selbst angibt, namentlich gegenüber der Preisabsprache nur ergänzenden Charakter.
- 278.
- Was die Klagegründe anbelangt, die auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung
der Geldbuße gerichtet sind, so hat die Kommission nach den Feststellungen des
Gerichts bei der Ermittlung ihrer Höhe fälschlich den von der Klägerin im Jahr
1990 durch den Verkauf der Sorten Duplex KO und Silbergrau erzielten Umsatz
herangezogen. In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts hat die
Klägerin eine von einem Wirtschaftsprüfer bestätigte Erklärung übersandt, die eine
Aufschlüsselung des von ihr im Jahr 1990 erzielten Umsatzes nach Kartonsorten
enthält. Anhand dieser Erklärung kann das Gericht ermitteln, wie groß der von der
Kommission fälschlich herangezogene Teil des Umsatzes der Klägerin ist. Da die
übrigen Klagegründe zurückgewiesen worden sind, setzt das Gericht die in Artikel
3 der Entscheidung gegen die Klägerin verhängte Geldbuße in Ausübung seiner
Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf 730 000 ECU fest.
Kosten
- 279.
- Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen
oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils
obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das
Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten,
jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung 94/601/EG der
Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85
EG-Vertrag (IV/C/33.833 Karton) wird in bezug auf die Klägerin für
nichtig erklärt.
2. Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung 94/601 wird in bezug auf die
Klägerin mit Ausnahme folgender Passagen für nichtig erklärt:
„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht
geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im
Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen
Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches
oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs
von Geschäftsinformationen,
a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der
Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der
Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den
Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.
Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das
FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen,
ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten
einzelner Hersteller ermitteln läßt, ausschließt.“
3. Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin
verhängten Geldbuße wird auf 730 000 ECU festgesetzt.
4. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
VesterdorfBriët
Lindh
Potocki Cooke
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Mai 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
II -
Verfahren
II -
Anträge der Parteien
II -
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
II -
Zum Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht und eines Verstoßes gegen
die Verpflichtungen im Bereich der Beweislast
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum Klagegrund der fehlenden Teilnahme der Klägerin an geheimen und
institutionalisierten Sitzungen und regelmäßigen Preisabsprachen
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zur Teilnahme der Klägerin an einer Reihe „geheimer und
institutionalisierter Sitzungen“
II -
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache
II -
Zur rechtlichen Einordnung der Zuwiderhandlung
II -
Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an der Durchführung der
Preiserhöhungen
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die
Marktanteile und einer Absprache über die Kapazitäten
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten
II -
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile
II -
Zum Klagegrund einer unzutreffenden Beurteilung der Teilnahme der Klägerin am
Informationsaustauschsystem der FIDES
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße
II -
Zu den Klagegründen, die Fragen betreffen, über die gemeinsam mündlich verhandelt
wurde
II -
Zu den Klagegründen der Heranziehung einer falschen Umsatzzahl durch die
Kommission und einer damit verbundenen Verletzung der Begründungspflicht
und der Verteidigungsrechte
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zu dem auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und eine
Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin gestützten
Vorbringen
II -
Zur Frage, ob sich die Zuwiderhandlung auf die Sorten Printa und Duplex
KO erstreckte
II -
Zu dem bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße herangezogenen
Umsatz
II -
Zum Klagegrund der begrenzten Beteiligung der Klägerin an den Gremien der PG
Karton sowie des fehlenden Vorsatzes
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum ersten Teil des Klagegrundes
II -
Zum zweiten Teil des Klagegrundes
II -
Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Kosten
II -