Language of document : ECLI:EU:T:1998:92

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)

14. Mai 1998 (1)

„Wettbewerb — Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag — Beweis für die Beteiligung an Absprachen — Geldbuße — Bestimmung der Höhe — Begründung — Von der Zuwiderhandlung betroffene Erzeugnisse“

In der Rechtssache T-310/94

Gruber + Weber GmbH & Co. KG, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Gernsbach-Obertsrot, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Holger-Friedrich Wissel und Joachim Schütze, Düsseldorf, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Marc Loesch, 11, rue Goethe, Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Bernd Langeheine und Richard Lyal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt Dirk Schroeder, Köln, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 — Karton, ABl. L 243, S. 1)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie des Richters C. P. Briët, der Richterin P. Lindh und der Richter A. Potocki und J. D. Cooke,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1.
    Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 — Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstößen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Geldbußen festgesetzt.

2.
    Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten „GC“, „GD“ und „SBS“ zugeordnet werden.

3.
    Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.

4.
    Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weiße Lage und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.

5.
    SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weißen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.

6.
    Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.

7.
    Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.

8.
    Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig Nachprüfungen vor.

9.
    Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.

10.
    Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.

11.
    Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.

12.
    Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende Bestimmungen enthält:

Artikel 1

Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard — the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH & Co. KG, Kartonfabriek .De Eendracht' NV (unter der Firma BPB de Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A., Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper & Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstoßen, indem sie sich

—    im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990,

—    im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens Ende April 1991 und

—    im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,

—    in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,

an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft

—    sich regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs trafen;

—    sich über regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten;

—    gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten;

—    sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;

—    in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen;

—    als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten.

...

Artikel 3

Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten Verstoß folgende Geldbußen festgesetzt:

...

vii)    gegen Gruber & Weber GmbH & Co. KG eine Geldbuße in Höhe von 1 000 000 ECU;

...“

13.
    Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens „Produktgruppe Karton“ (im folgenden: PG Karton).

14.
    Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens „Presidents' Working Group“ (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der (etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.

15.
    Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern vorzunehmenden Preiserhöhungen gefaßt.

16.
    Der PWG habe der „Präsidentenkonferenz“ (PK) Bericht erstattet, an der (mehr oder weniger regelmäßig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum zweimal pro Jahr getagt.

17.
    Ende 1987 sei das „Joint Marketing Committee“ (JMC) eingesetzt worden. Die Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und, wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen.

18.
    Schließlich habe die „Wirtschaftliche Kommission“ (WK) u. a. die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder — bis

Ende 1987 — dessen Vorgänger, dem „Marketing Committee“, über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr zusammengetreten.

19.
    Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zürich (Schweiz) unterstützt wurden. In der Entscheidung heißt es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der FIDES regelmäßig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefaßten Daten erhalten.

20.
    Die Klägerin ist ein Hersteller von GD-Karton und nahm der Entscheidung zufolge an einigen Sitzungen des JMC teil. Gemäß Artikel 1 der Entscheidung beteiligte sie sich von mindestens 1988 bis Ende 1990 an der Zuwiderhandlung (vgl. auch Randnr. 162 der Entscheidung).

Verfahren

21.
    Mit Klageschrift, die am 7. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

22.
    Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben (Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94).

23.
    Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

24.
    Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten Geldbuße haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt (verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).

25.
    Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8. Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

26.
    Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äußern sollten. In dieser Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen Verbindung einverstanden erklärt.

27.
    Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf vertrauliche Behandlung stattgegeben.

28.
    Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.

29.
    Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen Ersuchen nachgekommen.

30.
    Die Parteien in den in Randnummer 26 genannten Rechtssachen haben in der Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

31.
    Die Klägerin beantragt,

—    die Entscheidung für nichtig zu erklären;

—    für den Fall, daß die Entscheidung ganz oder teilweise aufrechterhalten wird, die gegen sie verhängte Geldbuße nachhaltig zu vermindern;

—    der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

32.
    Die Kommission beantragt,

—    die Klage abzuweisen;

—    die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung

Zum Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht und eines Verstoßes gegen die Verpflichtungen im Bereich der Beweislast

Vorbringen der Parteien

33.
    Die Klägerin macht geltend, in einem Fall wie dem vorliegenden müsse die Kommission nicht nur das Bestehen des Kartells, sondern auch Art, Umfang und Dauer der Beteiligung jedes betroffenen Unternehmens beweisen. Obwohl sie im Verwaltungsverfahren vor der Kommission eingehend Stellung genommen habe, werde ihre Beteiligung an Absprachen jedoch in der Entscheidung nicht einmal angesprochen. Sie werde vielmehr stillschweigend und pauschal unterstellt.

34.
    Es müsse aber nachgewiesen werden, daß sich die einzelnen Unternehmen aktiv oder passiv an den Tätigkeiten eines Kartells beteiligt hätten, da derartige Tätigkeiten unmittelbaren Einfluß auf die Höhe etwaiger Bußgelder hätten.

35.
    Von ihrem Vorbringen sei nur in Randnummer 109 Absatz 1 der Entscheidung die Rede, wo es heiße: „Gruber & Weber für ihren Teil räumte ein, daß auf verschiedenen Sitzungen über Preise für Großkunden gesprochen wurde; dieses Thema sei für sie aber uninteressant gewesen, da sie nur Kunden aus dem mittelständischen Bereich beliefere.“ Die Entscheidung enthalte keine Würdigung dieses Vorbringens. Eine solche Würdigung sei jedoch unverzichtbar, denn aus der Entscheidung gehe hervor, daß der Hauptgegenstand des angeblichen Kartells darin bestanden habe, die Marktanteile der führenden Kartonhersteller festzuschreiben (Randnr. 2), und daß es die Hauptaufgabe des JMC gewesen sei, Preisinitiativen gegenüber den wichtigsten Kunden der „Anführer“ des Kartells auszuarbeiten (Randnr. 44). Unter diesen Umständen liege es in Anbetracht ihres unbedeutenden Marktanteils und ihrer von den anderen Herstellern völlig verschiedenen Kundenstruktur auf der Hand, daß sie keinerlei Interesse an einer Beteiligung an dem angeblichen Kartell gehabt habe.

36.
    Ihre individuelle Beteiligung an einem etwaigen Kartell sei folglich nicht hinreichend belegt, und die Tatsachen und Gründe, auf denen die Entscheidung ihr gegenüber beruhe, seien nicht hinreichend erläutert worden (vgl. Schlußanträge von Generalanwalt Sir Gordon Slynn zum Urteil des Gerichtshofes vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache 86/82, Hasselblad/Kommission, Slg. 1984, 883, 913, und Schlußanträge von Generalanwalt Darmon zum Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307, I-1445).

37.
    Die Kommission weist darauf hin, daß sie in den Randnummern 108 bis 115 der Entscheidung auf die Hauptargumente der Hersteller eingegangen sei. Sie sei nicht verpflichtet, im Rahmen der Begründung ihrer Entscheidung auf jeden einzelnen der im Verfahren geltend gemachten tatsächlichen oder rechtlichen Aspekte einzugehen; es genüge, die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte anzugeben, die sie zu der Entscheidung veranlaßt hätten (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021, Randnr. 318).

38.
    Sie habe sich auch nicht auf pauschale Unterstellungen und unrichtige Behauptungen gestützt.

39.
    Darüber hinaus antwortet die Kommission auf diesen Klagegrund im Rahmen ihrer Entgegnung auf die übrigen Klagegründe, die die Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung geltend macht.

Würdigung durch das Gericht

40.
    Nach ständiger Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 4. Juli 1963 in der Rechtssache 24/62, Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 143, 155, und vom 17. Januar 1984 in den Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19, Randnr. 22, sowie Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1992 in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 42) soll die Begründung einer beschwerenden Entscheidung dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglichen und es dem Betroffenen gestatten, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme zu erlangen, damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist.

41.
    Der Vorwurf einer fehlenden oder unzureichenden Begründung stellt folglich einen Klagegrund dar, mit dem die Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend gemacht wird; als solcher ist er von dem im Rahmen der inhaltlichen Überprüfung einer Entscheidung zu untersuchenden Klagegrund zu unterscheiden, mit dem die Fehlerhaftigkeit ihrer Gründe gerügt wird.

42.
    Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen die Richtigkeit der Gründe der Entscheidung in Frage stellt, ist dieses Vorbringen im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission gegen die Beweislastregeln verstoßen habe; auch dieses Vorbringen richtet sich gegen die Begründetheit der Entscheidung.

43.
    Überdies hat die Kommission zwar gemäß Artikel 190 des Vertrages die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung abhängt, sowie die Erwägungen anzugeben, die sie zu ihrem Erlaß veranlaßt haben; sie braucht jedoch nicht auf alle sachlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die

während des Verwaltungsverfahrens aufgeworfen wurden (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 66).

44.
    Im vorliegenden Fall wird in der Entscheidung im Zusammenhang mit der Beschreibung der abgestimmten Preiserhöhungen (Randnrn. 78 und 79) unmittelbar auf die Klägerin Bezug genommen. Außerdem beziehen sich die Randnummern der Entscheidung, in denen die wettbewerbsfeindlichen Gespräche im JMC beschrieben werden (insbesondere Randnrn. 44 bis 46, 58, 71, 73, 84, 85 und 87), zwangsläufig auf die Klägerin, die ihre Teilnahme an den Sitzungen dieses Gremiums nicht leugnet. Schließlich werden in der Entscheidung die Erwägungen, aus denen die Kommission von ihrer Mitwirkung an einem Gesamtkartell ausging, klar dargestellt (Randnrn. 116 bis 119).

45.
    Unter diesen Umständen enthält die Begründung der Entscheidung hinreichende Anhaltspunkte, denen die Klägerin die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte entnehmen konnte, die die Kommission dazu veranlaßten, sie für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verantwortlich zu machen.

46.
    Folglich ist der vorliegende Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der fehlenden Teilnahme der Klägerin an geheimen und institutionalisierten Sitzungen und regelmäßigen Preisabsprachen

Vorbringen der Parteien

47.
    Die Klägerin macht geltend, die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß sie an geheimen und institutionalisierten Sitzungen und an regelmäßigen Preisabsprachen teilgenommen habe.

48.
    Zu ihrer Teilnahme an Sitzungen der Gremien der PG Karton gehe aus der Entscheidung hervor, daß die tragende und ausschlaggebende Funktion im Rahmen des Kartells den Entscheidungsgremien — PWG und PK — zugekommen sei (Randnrn. 37, 38 und 41). Sie habe jedoch nie an den Sitzungen dieser Gremien teilgenommen; die in Randnummer 42 der Entscheidung enthaltene Behauptung, daß alle Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet sei, in der PK vertreten gewesen seien, treffe nicht zu. Sie habe auch nie an Sitzungen der WK teilgenommen.

49.
    In bezug auf das JMC sei Randnummer 44 der Entscheidung, wo die Hauptaufgaben dieses Gremiums beschrieben würden, zu entnehmen, daß ihm im Rahmen des Kartells nur untergeordnete Bedeutung zugekommen sei.

50.
    Im übrigen habe sie dem JMC erst viel später (ab 1988) als andere Hersteller angehört und sich nach kurzer Zeit (1990) von den Sitzungen zurückgezogen. In

diesem Zeitraum habe sie nur gelegentlich an Sitzungen des JMC teilgenommen. Selbst wenn man davon ausgehe, daß das JMC eine wichtige Rolle im Rahmen des angeblichen Kartells gespielt habe, sei ihr innerhalb dieses Gremiums weder eine Funktion zugekommen, noch habe ihr eine solche zukommen sollen. Sie habe auch keine umfassenden Kenntnisse von den angeblichen illegalen Absprachen erlangen können.

51.
    Vor diesem Hintergrund gehe der Hinweis der Kommission auf das Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89 (Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867) fehl. Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der in der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache festgestellt worden sei, gebe es vorliegend keinen Beweis für ihre Teilnahme an Sitzungen, bei denen Preisinitiativen oder -erhöhungen beschlossen worden seien.

52.
    Außerdem habe die Kommission den Grund für ihre Teilnahme an einigen Sitzungen des JMC außer acht gelassen. Sie habe nur deshalb beschlossen, sich am Informationsaustauschsystem der FIDES zu beteiligen, um die zukünftigen Marktentwicklungen, insbesondere auf dem deutschen Markt für Faltschachteln, im Hinblick auf eine erhebliche Investition im Zusammenhang mit der Modernisierung ihrer Produktionsanlagen besser beurteilen zu können. Nach Abschluß der Modernisierung Ende 1990 habe sie ihre Beteiligung an diesem System beendet.

53.
    Schließlich sei sie nicht daran interessiert gewesen, sich an einem illegalen Kartell zu beteiligen, weil a) ihr Kundenkreis aus mittelständischen Unternehmen bestehe, b) das typische Auftragsvolumen ihrer Kunden sich maßgeblich vom Auftragsvolumen der von den führenden Kartonherstellern belieferten Kunden unterscheide und c) der größte Teil ihres Produktsortiments erheblich von dem der führenden Faltschachtelhersteller abweiche.

54.
    Die Kommission trägt vor, die Klägerin habe durch ihre Teilnahme am Informationsaustauschsystem der FIDES und an den Sitzungen des JMC an der gesamten Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages mitgewirkt. Es handele sich insoweit nicht um eine Reihe getrennter Verstöße, sondern die einzelnen Elemente des Kartells hätten der Realisierung ein und derselben übergreifenden Vereinbarung gedient. Die Maßnahmen und Absprachen des Kartells seien daher in ihrer Gesamtheit zu sehen (Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnrn. 125 bis 127).

55.
    Es treffe zu, daß die Klägerin nur an Sitzungen des JMC teilgenommen habe. Randnummer 42 der Entscheidung, in der es heiße, daß alle Unternehmen an denSitzungen der PK teilgenommen hätten, beruhe auf einem redaktionellen Fehler. Wie aus der Entscheidung hervorgehe, habe das JMC jedoch innerhalb des Kartells eine äußerst wichtige Rolle gespielt.

56.
    Zum Vorbringen der Klägerin, daß sie nur gelegentlich an Sitzungen des JMC teilgenommen habe, sei festzustellen, daß es keinen Anhaltspunkt dafür gebe, daß bei den Treffen, denen sie beigewohnt habe, nicht über Preisinitiativen gesprochen worden sei, zumal sie eingeräumt habe, im fraglichen Zeitraum Preiserhöhungen vorgenommen zu haben. Außerdem seien die Sitzungen des JMC nach Kartonsorten getrennt abgehalten worden. Die Klägerin stelle nur GD-Karton her.

57.
    Schließlich sei zum Grund für die Teilnahme der Klägerin an Sitzungen des JMC und zu ihrem angeblich fehlenden Interesse an der Teilnahme an einem illegalen Kartell zu sagen, daß persönliche Motivationen oder gar mangelndes Interesse die Teilnahme an einem unzulässigen Kartell nicht rechtfertigen könnten.

Würdigung durch das Gericht

58.
    Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung in Artikel 1 fünfter Gedankenstrich der Entscheidung, daß sie an einer Reihe „geheimer und institutionalisierter Sitzungen“ teilgenommen habe.

59.
    Sie bestreitet ferner, an Preisabsprachen mitgewirkt zu haben. Insoweit ist ihr Vorbringen dahin zu verstehen, daß sie die Beteiligung an einer Preisabsprache bestreitet und, falls eine solche Absprache als erwiesen angesehen werden sollte, geltend macht, daß die Kommission sie zu Unrecht als Vereinbarung eingestuft habe.

60.
    Die drei Einwände der Klägerin sind nacheinander zu prüfen.

— Zur Teilnahme der Klägerin an einer Reihe „geheimer und institutionalisierter Sitzungen“

61.
    Die Klägerin hat von 1988 bis Ende 1990 unstreitig an einigen Sitzungen des JMC teilgenommen. Mit Schreiben an die Kommission vom 10. Januar 1992 hat sie nur die Daten dieser Sitzungen für das Jahr 1990 mitgeteilt. Dabei hat sie angegeben, an den Sitzungen vom 6./7. Februar 1990, 14. Mai 1990 und 4. September 1990 teilgenommen zu haben. Im gleichen Schreiben hat sie erklärt, daß nicht feststellbar sei, ob sie an den Sitzungen vom 4./5. April 1990, 8./9. Oktober 1990 und 19./20. November 1990 teilgenommen habe. Die Kommission hat diese Informationen ordnungsgemäß berücksichtigt, wie Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung zeigt.

62.
    Ferner steht fest, daß die Klägerin nie an Sitzungen der drei übrigen Gremien der PG Karton — PWG, WK und PK — teilnahm.

63.
    Speziell in bezug auf die PK geht aus einer Gesamtbetrachtung der Entscheidung hervor, daß die Behauptung in Randnummer 42 Absatz 1 Satz 1 („Alle Unternehmen, an die die vorliegende Entscheidung gerichtet ist, waren in der Präsidentenkonferenz vertreten.“), wie die Kommission in ihren dem Gericht eingereichten Schriftsätzen eingeräumt hat, das Ergebnis eines redaktionellen

Fehlers ist. Insoweit genügt der Hinweis darauf, daß die Klägerin nach den der Entscheidung beigefügten Tabellen 3 und 7 nicht zu den Unternehmen gehört, die an Sitzungen der PK teilnahmen.

64.
    Die Kommission ist somit nicht davon ausgegangen, daß die Klägerin in größerem als dem von ihr selbst zugegebenen Umfang an Sitzungen der Gremien der PG Karton teilgenommen hatte.

65.
    Aufgrund der Teilnahme der Klägerin an einigen Sitzungen des JMC war die Kommission zu dem Schluß berechtigt, daß sie an „institutionalisierten“ Sitzungen

teilgenommen hatte. Ein solcher Schluß setzte nicht den Beweis einer Teilnahme an Sitzungen aller Gremien der PG Karton voraus.

66.
    Ungeachtet der Frage, ob und — wenn ja — in welchem Umfang sich die Klägerin an der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung beteiligte, war ihr jedenfalls voll und ganz bekannt, daß sich die Sitzungen des JMC, an denen sie teilnahm, in einen größeren institutionellen Rahmen einfügten. Insoweit genügt der Hinweis darauf, daß die Klägerin in ihrem Schreiben vom 10. Januar 1992 (siehe oben, Randnr. 61) Angaben zu den Daten der Sitzungen aller Gremien der PG Karton in den Jahren 1989 und 1990 gemacht hat.

67.
     Hinsichtlich des geheimen Charakters der fraglichen Sitzungen ist darauf hinzuweisen, daß kein offizielles Protokoll der Sitzungen des JMC existiert. Das Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke über diese Sitzungen stellen in Anbetracht der Zahl und der zeitlichen Dauer dieser Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen hinreichenden Beweis für die Behauptung der Kommission dar, daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen getroffen worden seien (vgl. Randnr. 168, sechster Gedankenstrich, der Entscheidung).

68.
    Die Kommission war folglich zu der Annahme berechtigt, daß die Klägerin an einer Reihe „geheimer und institutionalisierter Sitzungen“ teilgenommen hatte.

— Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache

69.
    Nach Ansicht der Kommission hatte das JMC von Anfang an folgende Hauptaufgabe:

„—    zu ermitteln, ob sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen, und falls ja, wie, und anschließend dem PWG Bericht zu erstatten;

—    die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen ...“ (Randnr. 44 Absatz 1 der Entscheidung).

70.
    Im einzelnen führt die Kommission in Randnummer 45 Absätze 1 und 2 der Entscheidung folgendes aus:

„[D]ieser Ausschuß [erörterte] für jeden einzelnen Markt, wie die vom PWG vereinbarten Preiserhöhungen von den Herstellern durchgesetzt werden sollten. Die praktischen Aspekte der Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen wurden in .Round Table'-Gesprächen erörtert, wobei jeder Teilnehmer Gelegenheit erhielt, sich zu der vorgeschlagenen Preiserhöhung zu äußern.

Schwierigkeiten bei der Durchführung der vom PWG beschlossenen Preiserhöhungen oder gelegentliche Fälle von Verweigerung der Zusammenarbeit wurden dem PWG gemeldet, der dann (wie Stora es formulierte) .zu versuchen hatte, das erforderliche Maß an Zusammenarbeit zustande zu bringen'. Das JMC erstellte stets gesonderte Berichte für GC- und für GD-Sorten. Änderte der PWG aufgrund der Berichte des JMC einen Preisfestsetzungsbeschluß, so waren die hierfür erforderlichen Schritte auf den nächsten JMC-Sitzungen zu erörtern.“

71.
    Die Kommission verweist zur Stützung dieser Angaben zum Gegenstand der Sitzungen des JMC zu Recht auf die Aussagen von Stora (Anlagen 35 und 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

72.
    Außerdem hat sie, auch wenn sie nicht über ein offizielles Protokoll einer Sitzung des JMC verfügt, von Mayr-Melnhof und Rena einige interne Aufzeichnungen über die Sitzungen vom 6. September 1989, 16. Oktober 1989 und 6. September 1990 erlangt (Anlagen 117, 109 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). In diesen Aufzeichnungen, deren Inhalt in den Randnummern 80, 82 und 87 der Entscheidung beschrieben wird, werden die eingehenden Erörterungen wiedergegeben, die auf diesen Sitzungen über die abgestimmten Preisinitiativen stattfanden. Sie stellen somit Beweismittel dar, die die Beschreibung der Aufgaben des JMC durch Stora eindeutig bestätigen.

73.
    Insoweit genügt es, als Beispiel auf die von Rena erlangten Notizen über die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) zu verweisen, in denen es u. a. heißt:

„Preiserhöhung wird nächste Woche im September angekündigt:

Frankreich        40 FF

Niederlande    14

Deutschland    12 DM

Italien        80 LIT

Belgien        2,50 BFR

Schweiz        9 FS

England        40 UKL

Irland            45 IRL

Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw.

Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr.

Für Lieferungen ab 7. Januar.

Nicht später als 31. Januar.

Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof).

19. September. Brief von Feldmühle geht raus.

Cascades vor Ende September.

Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein.“

74.
    Wie die Kommission in den Randnummern 88 bis 90 der Entscheidung erläutert, konnte sie ferner interne Unterlagen sicherstellen, die den Schluß zuließen, daß die Unternehmen und insbesondere diejenigen, die in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt worden seien, die vereinbarten Preiserhöhungen tatsächlich angekündigt und vorgenommen hätten.

75.
    Auch wenn die von der Kommission angeführten Unterlagen nur eine kleine Zahl der Sitzungen des JMC in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum betreffen, bestätigen alle verfügbaren schriftlichen Beweise die Angabe von Stora, daß die Hauptaufgabe des JMC darin bestanden habe, die Durchführung der abgestimmten Preiserhöhungen festzulegen und zu planen. Insoweit ist das fast völlige Fehlen von offiziellen oder internen Protokollen der Sitzungen des JMC als hinreichender Beweis nicht nur für den geheimen Charakter der Sitzungen (siehe oben, Randnr. 67), sondern auch für die Behauptung der Kommission anzusehen, daß sich die an den Sitzungen teilnehmenden Unternehmen bemühten, die wahre Natur der Erörterungen in diesem Gremium zu verschleiern (vgl. u. a. Randnr. 45 der Entscheidung). Diese Umstände haben zu einer Umkehr der Beweislast geführt, und den Adressaten der Entscheidung, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilgenommen hatten, oblag der Nachweis, daß es ein rechtmäßiges Ziel verfolgte. Da sie diesen Beweis nicht erbracht haben, hat die Kommission zu Recht angenommen, daß die von den Unternehmen bei den Sitzungen dieses Gremiums geführten Gespräche einen im wesentlichen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.

76.
    Was die individuelle Situation der Klägerin anbelangt, so ist ihre Teilnahme an einigen Sitzungen des JMC in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 — u. a. an mindestens drei Sitzungen im Jahr 1990 — angesichts des Vorstehenden und trotz des Fehlens schriftlicher Beweise für die Gespräche bei den Sitzungen, an denen die Klägerin nachweislich teilnahm, als hinreichender Beleg für ihre Beteiligung an der Preisabsprache während dieses Zeitraums anzusehen.

77.
    Diese Feststellung wird durch die von der Kommission angeführten Unterlagen zum tatsächlichen Preisverhalten der Klägerin bestätigt. Insoweit stellt die Klägerin die Angaben in den der Entscheidung beigefügten Tabellen zum Umfang der Preiserhöhungen und zum Zeitpunkt ihrer Ankündigung und ihres Inkrafttretens nicht in Abrede. Aus diesen Tabellen geht hervor, daß die Klägerin in der Zeit, für die ihr die Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, auf dem deutschen Markt Preiserhöhungen angekündigt und vorgenommen hat, die hinsichtlich des Umfangs,

des Zeitpunkts der Ankündigung und des Inkrafttretens den in der PG Karton getroffenen Entscheidungen im wesentlichen entsprechen.

78.
    Die Klägerin trägt vor (siehe unten, Randnrn. 89 ff.), sie habe sich an der Preiserhöhung im Oktober 1989 nicht beteiligt und die für April 1990 und Januar 1991 vorgesehenen Preiserhöhungen entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nicht durchgeführt.

79.
    Aus der Entscheidung ergibt sich jedoch, daß die erste dieser drei Erhöhungen GD-Karton, die einzige von der Klägerin hergestellte Kartonsorte, nicht betraf (vgl. Tabelle E im Anhang der Entscheidung und die Aussage von Stora, Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 17).

80.
    In bezug auf die zweite, für April 1990 vorgesehene Erhöhung kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Dezember 1989 (Schriftstück F-7-1) an, daß sie im März 1990 ihre Preise um 8 % erhöhen wolle. In diesem Schreiben nahm sie ausdrücklich auf die von Mayr-Melnhof am 28. November 1989 angekündigte Preiserhöhung Bezug, die sowohl im Umfang als auch im Zeitpunkt des Inkrafttretens mit der von ihr angekündigten Erhöhung übereinstimmte.

81.
    Da die Klägerin angekündigt hatte, die betreffende Preiserhöhung vornehmen zu wollen, kann die bloße Tatsache, daß sie ihre Preise zum vorgesehenen Zeitpunkt doch nicht erhöhte, nichts an der Folgerung ändern, daß ihr Marktverhalten ihre Beteiligung an der Preisabsprache bestätigte. Unter den vorliegenden Umständen zeigt die Nichtvornahme der Erhöhung allenfalls, daß die Klägerin in vollem Umfang von der Preisabsprache profitierte, indem sie niedrigere als die mit ihren Konkurrenten vereinbarten Preise verlangte.

82.
    Daß die Klägerin an der dritten Erhöhung nicht teilnahm, stützt nur dieFeststellung der Kommission, daß sich die Klägerin ab Ende 1990 nicht mehr an der Zuwiderhandlung beteiligte.

83.
    Angesichts dessen hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 an einer Preisabsprache beteiligte. Das Vorbringen der Klägerin, daß sie nur deshalb an den Sitzungen des JMC teilgenommen habe, um die zukünftigen Marktentwicklungen besser beurteilen zu können, und daß sie nicht daran interessiert gewesen sei, sich an einem Kartell zu beteiligen, ist daher unerheblich.

— Zur rechtlichen Einordnung der Zuwiderhandlung

84.
    Gemäß der Entscheidung setzten die in ihrem Artikel 1 genannten Unternehmen die „auf jedem nationalen Markt anzuwendenden regelmäßigen Preiserhöhungen im Wege der Absprache“ fest (Randnr. 130 Absatz 2, dritter Gedankenstrich). Ferner sind der Kommission zufolge die „halbjährlichen Preisinitiativen ... nicht als eine Reihe getrennter Vereinbarungen oder getrennter abgestimmter

Verhaltensweisen, sondern als Teil ein und derselben fortdauernden Vereinbarung anzusehen“ (Randnr. 131 Absatz 2 der Entscheidung). Im Fall der Klägerin ist somit zu prüfen, ob die Preisabsprache, an der sie ab 1988 teilnahm (siehe oben, Randnrn. 69 ff.), von der Kommission zutreffend als Vereinbarung eingestuft wurde.

85.
    Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 112, und in den Rechtssachen Van Landewyck u. a./Kommission, Randnr. 86, sowie Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 256).

86.
    Somit ist zu prüfen, ob die Kommission nachgewiesen hat, daß die Adressaten der Entscheidung ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck brachten, auf dem Markt ein bestimmtes Preisverhalten zu zeigen.

87.
    Insoweit genügt die Bezugnahme auf die Beweismittel, die die Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache belegen (siehe oben, Randnrn. 69 ff.). Ohne daß weitere Beweismittel geprüft zu werden brauchen, hat die Kommission ersichtlich den Beweis dafür erbracht, daß die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck brachten, einheitliche und gleichzeitige Preiserhöhungen vorzunehmen. Die Kommission war daher berechtigt, die Willensübereinstimmung zwischen der Klägerin und anderen Kartonherstellern über die Preisinitiativen als Vereinbarung einzustufen.

88.
    Nach alledem ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an der Durchführung der Preiserhöhungen

Vorbringen der Parteien

89.
    Die Klägerin trägt vor, sie habe nur im Oktober 1988 und im April 1989 Preiserhöhungen vorgenommen. Bei den Preiserhöhungsinitiativen im April 1990 und im Januar 1991, an denen sie der Entscheidung zufolge teilgenommen haben solle, habe sie sich auf die Ankündigung von Erhöhungen beschränkt, die nicht realisiert worden seien.

90.
    Die Tatsache, daß sie sich an der Preisinitiative im Oktober 1989 nicht beteiligt habe, zeige eindeutig, daß sie in dem angeblichen Kartell keinerlei Funktion ausgeübt habe. Wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte sie permanent an allen

Preisinitiativen mitwirken müssen, um den Erfolg der getroffenen Absprachen nicht zu gefährden.

91.
    Schließlich habe sie sich nicht an Preisabsprachen gebunden gefühlt, denn sie habe die Preiserhöhungen im April 1990 und im Januar 1991 entgegen ihren ursprünglichen Ankündigungen unstreitig nicht durchgeführt.

92.
    Die Kommission trägt vor, das Verhalten der Klägerin sei ein klarer Beleg für ihre Beteiligung an sämtlichen Preisinitiativen. Sie habe bei jeder von der PG Karton im fraglichen Zeitraum beschlossenen Initiative — ausgenommen nur die Initiative für Oktober 1989 — Preiserhöhungen angekündigt. Wenn einige Preiserhöhungen nicht hätten durchgeführt werden können, so könne dies auf den Widerstand ihrer Kunden zurückzuführen sein. Angesichts der Tatsache, daß die Erhöhungen angekündigt worden seien, sei davon auszugehen, daß sich die Klägerin an die Preisabsprachen gebunden gefühlt habe.

Würdigung durch das Gericht

93.
    Wie bereits ausgeführt, geht aus der Entscheidung hervor, daß die Preiserhöhungsinitiative für Oktober 1989 GD-Karton, die einzige von der Klägerin hergestellte Kartonsorte, nicht betraf. Wie ferner festgestellt wurde (siehe oben, Randnr. 82), ist die Nichtdurchführung der Preiserhöhung im Januar 1991 nur ein Beleg dafür, daß sich die Klägerin ab Ende 1990 nicht mehr an der Zuwiderhandlung beteiligte.

94.
    Daß die Klägerin, nachdem sie angekündigt hatte, im März 1990 eine Preiserhöhung vornehmen zu wollen, ihre Preise zum vorgesehenen Zeitpunkt doch nicht erhöhte, kann nichts an der Folgerung ändern, daß sie sich an der Preisabsprache beteiligte. Insoweit wird in der Entscheidung nicht behauptet, daß die Klägerin die fragliche Preiserhöhung durchgeführt habe. In der Tabelle F im Anhang der Entscheidung hat sich die Kommission vielmehr darauf beschränkt, auf das Schreiben vom 13. Dezember 1989 (Schriftstück F-7-1) zu verweisen, in dem die Klägerin ankündigte, daß sie im März 1990 eine Preiserhöhung vornehmen wolle (siehe oben, Randnr. 80).

95.
    Im übrigen hat die Klägerin die abgestimmten Preiserhöhungen im Oktober 1988 und im April 1989 durchgeführt (Tabellen C und D im Anhang der Entscheidung).

96.
    Das Vorbringen der Klägerin, daß sie sich an die mit ihren Konkurrenten geführten Gespräche über die Kartonpreise nicht gebunden gefühlt habe, ist unerheblich. Die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages setzt nämlich nicht voraus, daß sich die Unternehmen an die Absprache, an der sie mitwirken, gebunden fühlen.

97.
    Dem Klagegrund kann daher nicht gefolgt werden.

Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile und einer Absprache über die Kapazitäten

Vorbringen der Parteien

98.
    Die Klägerin trägt vor, sie habe ihre alte Kartonmaschine bis 1990 voll genutzt, und es sei ihr unmöglich gewesen, den Produktionsumfang zu erhöhen. Wartung, Unterhaltung und Ausfälle dieser alten Maschine hätten zahlreiche technisch bedingte Abstellzeiten erfordert.

99.
    Im Hinblick auf den während der Umbauzeit ihrer Kartonmaschine erwarteten Produktionsausfall habe sie 1989 auf Lager produziert, wobei die Maschine 20,8 Tage länger als in einem normalen Jahr betrieben worden sei. Um einen solchen Produktionsvorrat anlegen zu können, sei es nötig gewesen, auf Abstellzeiten in den Betriebsferien oder an Feiertagen zu verzichten und die Produktion nur im technisch zwingend erforderlichen Umfang anzuhalten. 1990 sei aufgrund der Umbauarbeiten weniger produziert worden, aber die verbleibende Kapazität sei voll genutzt worden. Sie habe deshalb keine „Preis-vor-Menge“-Politik verfolgen können, und der Umbau ihrer Kartonherstellung stehe auch in offensichtlichem Widerspruch zu einer solchen Politik.

100.
    In der Entscheidung werde kein Vorwurf hinsichtlich einer Beteiligung an einer Kapazitätsabsprache oder einer Absprache über die Absicherung der Marktanteile der führenden Hersteller erhoben. Dort werde auf keine Tatsache Bezug genommen, mit der sich ihre Beteiligung an der angeblichen Absprache über die „Preis-vor-Menge“-Politik belegen lasse. Insbesondere enthielten die bei FS-Karton gefundenen Notizen (Anlage 115 der Mitteilung der Beschwerdepunkte; vgl. Randnr. 92 der Entscheidung) keinen Nachweis für eine solche Beteiligung. In diesen Notizen werde lediglich auf ihren angeblichen Marktanteil von 3 % hingewiesen. Ihr Marktanteil bei GD-Sorten habe jedoch selbst in den Jahren 1988/89 maximal 2 % betragen und sei im Jahr 1990 aufgrund der Umbauarbeiten sogar noch gesunken.

101.
    Auch in ihrer gelegentlichen Teilnahme an Sitzungen des JMC könne kein Beweis für eine Mitwirkung an einer „Preis-vor-Menge“-Politik gesehen werden. Insoweit sei der zweiten Aussage von Stora, auf die sich die Kommission stütze, zu entnehmen, daß diese Politik im Rahmen der Sitzungen des PWG und der PK erörtert worden sei, d. h. in Gremien, denen sie nicht angehört habe. Auch die Notiz über ein Treffen der WK am 3. Oktober 1989 (Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte; vgl. Randnr. 82 der Entscheidung) stelle keinen solchen Beweis dar, denn sie habe unstreitig niemals an Sitzungen dieses Ausschussses teilgenommen.

102.
    Die Kommission verweist zunächst auf die Aussagen von Stora (Anlagen 39 und 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). Diese enthielten eine Beschreibung der

zur Mengenkontrolle mit dem Ziel der Wahrung eines Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage sowie zur Begrenzung der Marktanteile getroffenen Maßnahmen. Außerdem ergebe sich aus diesen Aussagen, daß die Maßnahmen zur Mengenkontrolle und zur Begrenzung der Marktanteile wesentliche Bestandteile der Absprachen zwischen den Mitgliedern der PG Karton gewesen seien. Die Aussagen von Stora würden durch mehrere Unterlagen bestätigt. Zu nennen sei z. B. eine vertrauliche Notiz des Verkaufsleiters von FS-Karton vom 28. Dezember 1988 (Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

103.
    Sie habe Anlage 115 der Mitteilung der Beschwerdepunkte richtig bewertet. Die in diesen Notizen enthaltenen Informationen — über prozentuale Marktanteile, Produktionsmengen und -kapazität, Auftragsbestände, Preise und geplante Preisanhebungen — könnten aufgrund ihres detaillierten und erschöpfenden Charakters nur durch einen individuellen Austausch zwischen den Herstellern erlangt worden sein. Da die Notizen somit die Aussagen von Stora bestätigten, sei es unerheblich, ob die Informationen über die Klägerin von ihr selbst stammten und ob ihr Marktanteil tatsächlich 3 % betragen habe. Es sei jedenfalls zu berücksichtigen, daß sich die Notizen allein auf den deutschen Markt für GD- und GT-Sorten bezögen, auf dem der Marktanteil der Klägerin 1990 noch über den genannten 3 % gelegen habe.

104.
    Da die Klägerin an Sitzungen des JMC teilgenommen habe, die zur Festlegung der im Bereich der „Preis-vor-Menge“-Politik erforderlichen Maßnahmen gedient hätten (Randnrn. 44 ff. der Entscheidung), sei ihr der Verstoß auch hinsichtlich dieser Aspekte des Kartells zuzurechnen. Im Rahmen eines komplexen Systems von Absprachen sei es nicht erforderlich, daß jedes einzelne Mitglied alle Teilaspekte des Kartells selbst verwirkliche, solange nachgewiesen sei, daß das Kartell insgesamt sie verwirklicht habe (Urteile ICI/Kommission, Randnrn. 256 bis 261 und 305, und Hercules Chemicals/Kommission, Randnr. 272). Es sei daher unerheblich, daß die Klägerin ihren Marktanteil möglicherweise erhöht habe, da ein solches individuelles Verhalten die Teilnahme an einem illegalen Kartell nicht entschuldige. Ebenso sei es unerheblich, daß sie möglicherweise ihre Produktion nicht unterbrochen und ihre Kapazitäten voll ausgenutzt habe.

Würdigung durch das Gericht

105.
    Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich — im Fall der Klägerin von mindestens 1988 bis Ende 1990 — an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft „sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten“ und „in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen“.

106.
    Die Klägerin nahm in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 unstreitig an einigen Sitzungen des JMC teil. Außerdem ist, wie bereits festgestellt, die Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache im gleichen Zeitraum als erwiesen anzusehen (siehe oben, Randnrn. 69 ff.).

107.
    Da die Klägerin bestreitet, an einer Absprache über die Abstellzeiten und einer Absprache über die Marktanteile mitgewirkt zu haben, ist das Vorbringen in bezug auf jede dieser beiden Absprachen getrennt zu prüfen.

— Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten

108.
    Der Entscheidung zufolge beteiligten sich die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer Absprache über die Abstellzeiten der Anlagen; ab 1990 sei es tatsächlich zu Abstellzeiten gekommen.

109.
    Gemäß Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung umfaßte der eigentliche Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora „die Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten“. Ferner führt die Kommission unter Bezugnahme auf die „1987 im PWG erzielte Vereinbarung“ (Randnr. 52 Absatz 1 der Entscheidung) aus, sie habe u. a. dazu gedient, „.das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten“ (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).

110.
    Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heißt es in der Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: „Von Anfang 1990 an [hielt es] die Branche ... für erforderlich ..., sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten zu verständigen. Die großen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt werden mußten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen“ (Randnr. 70 der Entscheidung).

111.
    Ferner heißt es in der Entscheidung: „Der PWG wies jedoch nicht formell jedem Hersteller seine .Abstellzeiten' zu. Laut Stora bestanden praktische Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur .ein loses System der Ermutigung'“ (Randnr. 71 der Entscheidung).

112.
    In ihrer zweiten Aussage (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 24) führt Stora aus: „Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988

erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden, um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts zunehmender Überkapazität nicht halten können.“

113.
    Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: „1988 und 1989 konnte die Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich ... Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch) einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden. Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses System der Ermutigung bestand ...“

114.
    Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen ferner auf Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in Österreich (Herrn Gröller) vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.

115.
    Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im „Präsidentenkreis“ „Gewinner und Verlierer“. Der Ausdruck „Präsidentenkreis“ ist nach der Auslegung von Mayr-Melnhof eine gemeinsame Bezeichnung für PWG und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 2.a); diese Auslegung braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht erörtert zu werden.

116.
    Die vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung der Aktennotiz als „Verlierer“ ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten dar.

117.
    Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:

„4.)    Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten über das Gewollte.

    ...

    c)    Alle Außendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere geänderte Einstellung zum Markt nicht — früher wurde nur Tonnage

gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen abzustellen).“

118.
    Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz läßt dieser Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im „Präsidentenkreis“ beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung von 1987, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros angewandt wird.

119.
    Demnach ist davon auszugehen, daß die Kommission das Vorliegen einer Absprache über die Produktionsunterbrechungen zwischen den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG nachgewiesen hat.

120.
    In der Entscheidung heißt es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden Unternehmen, darunter die Klägerin, hätten sich an dieser Absprache beteiligt.

121.
    Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:

„Neben den zusammengefaßten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller auf den JMC-Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.

Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen) waren aus zweierlei Gründen wichtig:

—    einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen vorgenommen werden können;

—    zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage ...“ (Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).

122.
    Ferner stellt sie fest:

„Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe Randnummer 84) und im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere Dokumente (Randnummern 94 und 95) bestätigen ..., daß die großen Hersteller ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über ihre Pläne unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang zuvorzukommen“ (Randnr. 71 Absatz 3 der Entscheidung).

123.
    Die schriftlichen Beweise, die die Sitzungen des JMC betreffen (Anlagen 109, 117 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), bestätigen, daß die Gespräche über Abstellzeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten Preiserhöhungen stattfanden. Insbesondere werden in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Notizen von Rena vom 6. September 1990 (siehe auch oben, Randnr. 73), der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in Arbeitstagen ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt. Der Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten vorsähen, die er z. B. wie folgt aufführt:

„Kopparfors    5 — 15 days

            5/9 will stop for five days“

124.
    Außerdem zeigen die Anlagen 117 und 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte — obwohl sie keine unmittelbaren Angaben zu den vorgesehenen Abstellzeiten enthalten —, daß die Auftragsbestände und die Auftragseingänge auf den Sitzungen des JMC vom 6. September 1989 und vom 16. Oktober 1989 erörtert wurden.

125.
    Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen hinreichenden Beweis für die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC vertretenen Hersteller an der Absprache über die Abstellzeiten dar. Den an der Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen war nämlich zwangsläufig bewußt, daß durch die Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die Gespräche über etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die Marktbedingungen für eine abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern auch, ob das Abstellen der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das vereinbarte Preisniveau durch ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht aus Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, daß sich die Teilnehmer an der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 auf die Ankündigung einer bevorstehenden Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt hatten, daß sie sich anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die Marktbedingungen gingen folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer künftigen Preiserhöhung höchstwahrscheinlich (zusätzliche) Abstellzeiten erfordern würde, so daß die Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit gebilligt haben.

126.
    Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der Entscheidung angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen, daß die Kommission die Beteiligung der Unternehmen, die an den Sitzungen des JMC und an der Preisabsprache teilnahmen, an einer Absprache über die Abstellzeiten nachgewiesen hat.

127.
    Daher ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.

128.
    Ihrem Vorbringen, daß ihr tatsächliches Verhalten nicht den Behauptungen der Kommission zum Vorliegen einer Absprache über die Abstellzeiten entspreche, kann nicht gefolgt werden.

129.
    Die Kommission räumt nämlich ein, daß die Industrie bis Anfang 1990 mit voller Kapazitätsauslastung arbeitete, so daß bis dahin praktisch keine Abstellzeiten notwendig wurden (Randnr. 70 der Entscheidung).

130.
    Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung die Tatsache, daß sich ein Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich wettbewerbsfeindlichem Gegenstand nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II-791, Randnr. 85). Selbst wenn man annimmt, daß das Marktverhalten der Klägerin nicht dem vereinbarten Verhalten entsprach und daß sie insbesondere, wie sie geltend macht, ihre Produktionskapazität im Jahr 1990 voll ausnutzte, ändert dies somit nichts an ihrer Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages.

— Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile

131.
    Die Klägerin bestreitet, sich an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt zu haben, ohne aber die in der Entscheidung enthaltene Behauptung in Abrede zu stellen, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Hersteller eine Vereinbarung getroffen hätten, die „ein .Einfrieren' der Marktanteile der führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau [umfaßte], ohne daß Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch aggressive Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen“ (Randnr. 52 Absatz 1).

132.
    Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in bezug auf die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, folgendes ausführt:

„Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen, nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der .Preis-vor-Menge'-Politik, an die sie sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden Hersteller darauf verständigt hatten, .das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten, wie ihnen sicherlich auch die Notwendigkeit bewußt war, ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen“ (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).

133.
    Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die Kommission in diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heißt:

„Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht über die Einzelheiten der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung konstanterAngebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.

In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die Marktanteile so gut wie keine Auswirkungen hatte“ (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.2).

134.
    Die Kommission stützt sich somit — wie Stora — im wesentlichen auf die Annahme, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber nachweislich an anderen Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der Existenz der Absprache über die Marktanteile gewußt haben müssen, auch wenn es dafür keine unmittelbaren Beweise gibt.

135.
    Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens beruft sich die Kommission nicht auf ein Beweismittel, aus dem hervorginge, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, einer allgemeinen Vereinbarung zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der führenden Hersteller vorsah.

136.
    Zweitens ist die bloße Tatsache, daß sich diese Unternehmen an einer Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg dafür, daß sie sich auch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligten. Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der offenbar von der Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die Absprache über die Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller der Entscheidung zufolge (Randnrn. 52 ff.) darauf abzielte, vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile aufrechtzuerhalten; dies galt selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der Marktbedingungen und insbesondere des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage eine Kontrolle der Produktion zur Sicherstellung der tatsächlichen Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich belegt die etwaige Beteiligung an der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten nicht, daß sich die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, unmittelbar an der Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie davon wußten oder zwangsläufig davon wissen mußten.

137.
    Drittens beruft sich die Kommission auf Anlage 115 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, bei FS-Karton (Mayr-Melnhof-Gruppe) gefundene Notizen. Gemäß Randnummer 92 Absatz 1 der Entscheidung beziehen sich diese Notizen „von Anfang 1991 ... offensichtlich auf das Ergebnis eines Treffens mit anderen

Herstellern, obgleich dies von Mayr-Melnhof bestritten wurde“. Ferner würden darin „die prozentualen Marktanteile (für 1990) für die [Mayr-Melnhof]-Gruppe, Feldmühle, Buchmann, Weig, Europa Carton, Cascades, Laakmann, Saffa, Gruber & Weber und De Eendracht angegeben“ (a. a. O.).

138.
    Dieses Schriftstück kann jedoch nicht als Beweis für die Beteiligung der Klägerin an einer Absprache der Hersteller über die Marktanteile angesehen werden. Aus ihm gehen zwar die prozentualen Marktanteile mehrerer Hersteller, u. a. der Klägerin, in Deutschland hervor, aber es läßt weder seinen Ursprung noch den Zeitpunkt der Sitzung erkennen, auf die es sich beziehen soll. Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, daß es im Lauf des Jahres 1991 anhand bekannt gewordener oder von Kunden erhaltener Daten im Hinblick auf eine interne Sitzung von FS-Karton verfaßt wurde. Selbst wenn man unterstellt, daß tatsächlich Gespräche über die Marktanteile zwischen mehreren Herstellern stattfanden, von denen einige nicht an den Sitzungen des PWG teilgenommen hatten, ist jedenfalls nicht erwiesen, daß diese Gespräche in dem der Klägerin zur Last gelegten Zeitraum der Zuwiderhandlung, d. h. von mindestens 1988 bis Ende 1990, geführt wurden.

139.
    Viertens ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58 Absätze 2 und 3 der Entscheidung auf Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von Rena erlangte Aufzeichnung, die der Entscheidung zufolge eine Sondersitzung des Nordic Paperboard Institute (NPI) am 3. Oktober 1988 betreffen soll, als zusätzliches Beweismittel für die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die Feststellung, daß die Klägerin dem NPI nicht angehörte und daß die Bezugnahme auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem Schriftstück aus den bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die Marktanteile darstellen kann.

140.
    Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der vorliegenden Art richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein Gesamtkartell verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile des Kartells umfaßt, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, sofern es wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß die Absprache, an der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.

141.
    Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Klägerin wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß ihre eigene Zuwiderhandlung Teil eines Gesamtplans war, der sich neben der Preisabsprache und der Absprache über die Abstellzeiten, an denen sie sich tatsächlich beteiligte, auf eine Absprache über die Marktanteile der führenden Hersteller erstreckte.

142.
    Somit ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die Zuwiderhandlung, an der sich die Klägerin beteiligte, „vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen ... [zur] Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller“ diente, in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären.

Zum Klagegrund einer unzutreffenden Beurteilung der Teilnahme der Klägerin am Informationsaustauschsystem der FIDES

Vorbringen der Parteien

143.
    Die Klägerin trägt vor, sie habe allein deshalb am Informationsaustauschsystem der FIDES teilgenommen, um im Hinblick auf eine erhebliche Investition in eine neue Produktionsanlage verläßliche Informationen über die zukünftige Entwicklung des Faltschachtelmarkts zu erlangen. Sie habe ihre Teilnahme an diesem System nach dem Abschluß dieser Investition Ende 1990 eingestellt. Ihre Teilnahme habe somit zur Ausweitung ihrer eigenen Marktposition zu Lasten der übrigen Hersteller gedient.

144.
    Im übrigen habe sie die Teilnahme am Informationsaustauschsystem als solche für zulässig gehalten.

145.
    Die Kommission führt aus, das Informationsaustauschsystem der FIDES sei zur Umsetzung eines unter Artikel 85 des Vertrages fallenden Kartells verwendet worden. Unter diesen Umständen könne es nicht getrennt von den wettbewerbsfeindlichen Zielen des Kartells beurteilt werden. Der Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des angewandten Informationsaustauschsystems nicht verborgen bleiben können. Ihre etwaige Gutgläubigkeit könnte jedenfalls nur Einfluß auf die Höhe der Geldbuße haben.

Würdigung durch das Gericht

146.
    Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die darin genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die sie u. a. „als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen [d. h. einer Preisabsprache, einer Absprache über die Marktanteile und einer Absprache über die Abstellzeiten] Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten“.

147.
    Die Entscheidung ist angesichts ihres verfügenden Teils und ihrer Randnummer 134 Absatz 3 dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß des FIDES-Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte Kartell stützte.

148.
    Gemäß Randnummer 134 Absatz 3 der Entscheidung handelte es sich beim Informationsaustauschsystem der FIDES um „eine wichtige Hilfe bei

—    der laufenden Beobachtung der Entwicklung der Marktanteile;

—    der laufenden Beobachtung der Angebots- und Nachfragesituation im Hinblick auf die Erhaltung der vollen Kapazitätsauslastung;

—    den Entscheidungen darüber, ob abgestimmte Preiserhöhungen vorgenommen werden könnten;

—    der Planung der notwendigen Abstellzeiten“.

149.
    Da der Verstoß des Informationsaustauschsystems der FIDES gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages nur darin gesehen wurde, daß es das festgestellte Kartell stützte, ist das Vorbringen der Klägerin unerheblich, daß sie die Teilnahme an diesem System als solche für zulässig gehalten habe.

150.
    Im übrigen bestreitet die Klägerin nicht die Richtigkeit der Behauptungen in der Entscheidung über die Verwendung der FIDES-Statistiken zu wettbewerbswidrigen Zwecken.

151.
    Unter diesen Umständen ist es als erwiesen anzusehen, daß die Klägerin an einem Informationsaustausch teilnahm, um die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu unterstützen, an denen sie sich nachweislich beteiligte. Folglich sind auch ihre Erläuterungen zu den Gründen, aus denen sie beschloß, am Informationsaustauschsystem der FIDES teilzunehmen, unerheblich.

152.
    Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung

Vorbringen der Parteien

153.
    Die Klägerin trägt vor, das Verbot in Artikel 2 der Entscheidung sei zu unbestimmt formuliert. Die darin enthaltenen äußerst vagen Angaben erlaubten es nicht, zwischen einem zulässigen und einem unzulässigen Informationsaustauschsystem zu unterscheiden. Jedes System zum Austausch von Informationen, selbst in globaler Form, könne unter das aufgestellte Verbot fallen.

154.
    Soweit Artikel 2 den Austausch von Daten in globaler Form untersage, stehe die Entscheidung im Widerspruch zur Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen (ABl. 1968, C 75, S. 3, berichtigt im ABl. 1968, C 84, S. 14; im folgenden: Kooperationsbekanntmachung).

155.
    Die Kommission habe in ihrem Siebten Bericht über die Wettbewerbspolitik (Nr. 7) bestätigt, daß ein Informationsaustauschsystem, das keinen Bezug zu individualisierbaren Daten einzelner Unternehmen zulasse, nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstoße.

156.
    Soweit die Kommission in der Entscheidung auf das Risiko eines Mißbrauchs von Informationen abgestellt habe, die als solche gesammelt werden dürften, sei der Anwendungsbereich von Artikel 85 des Vertrages in unzulässiger Weise überdehnt worden.

157.
    Die Kommission hält das Verbot des künftigen Informationsaustauschs nicht für zu unbestimmt. Es reiche aus, wenn sich aus dem Tenor und der Begründung der Entscheidung ergebe, welches wettbewerbswidrige Verhalten abzustellen sei (Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnrn. 122 bis 124). Im vorliegenden Fall enthalte bereits Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c der Entscheidung eine detaillierte Beschreibung der Art des unzulässigen Informationsaustauschs. Im übrigen seien die tatsächlichen Feststellungen zu den ausgetauschten Informationen in den Randnummern 61 bis 68, 105 und 106 der Entscheidung im einzelnen dargelegt worden. Ferner enthalte die Entscheidung eine genaue Darstellung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen des Informationsaustauschs (Randnrn. 134 und 166). Die Tragweite des Verbotes ergebe sich daher eindeutig aus Artikel 2 der Entscheidung in Verbindung mit ihrer Begründung.

158.
    In Artikel 2 Absätze 2 und 3 der Entscheidung werde nur dargelegt, wie ein zulässiger Informationsaustausch gestaltet werden könnte.

159.
    Das Verbot sei auch nicht zu weit gefaßt. Das Verbot des künftigen Informationsaustauschs sei im Licht der Feststellungen in den Randnummern 68 bis 70 der Entscheidung zu sehen. Das Verbot des Austauschs zusammengefaßterDaten betreffe im übrigen nur die Angaben über Auftragseingänge, Auftragslage und Kapazitätsauslastung. Bei der Beurteilung des Informationsaustauschs seien der hohe Konzentrationsgrad der Branche sowie der aus der bisherigen Zusammenarbeit in der PG Karton resultierende hohe Informationsstand der verschiedenen Unternehmen in bezug auf die Unternehmensstruktur und -politik zu berücksichtigen. Auf konzentrierten Märkten bestünden die Wettbewerbsreserven im wesentlichen in der Ungewißheit und Geheimhaltung zwischen den Hauptanbietern hinsichtlich der Marktbedingungen. Der Austausch von Daten über den Auftragsbestand in kurzen Zeitabständen bewirke aber ein so

hohes Maß an künstlicher Markttransparenz, daß die Entfaltung der verbleibenden Wettbewerbsreserven letztlich verhindert werde.

160.
    Außerdem könnten durch den wöchentlichen Austausch von Statistiken über die Auftragseingänge zusammen mit den Kapazitätsberichten die Auslastung der Branche ermittelt und Produktionsunterbrechungen branchenweit geplant werden; auf diese Weise könnten die Hersteller ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage aufrechterhalten und einem Preisverfall bei rückläufiger Nachfrage entgegenwirken. Für den Eintritt dieser Wirkungen spiele es keine Rolle, ob die Daten individualisiert seien oder ob sie sich auf bereits abgeschlossene Aufträge bezögen. Die Kommission sei daher zu Recht davon ausgegangen, daß ein Informationsaustausch über den Stand der Auftragseingänge und der Auftragslage auch in globaler Form gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoße.

161.
    Die Entscheidung stehe nicht im Widerspruch zu ihrer Kooperationsbekanntmachung oder zu den Angaben im Siebten Bericht über die Wettbewerbspolitik.

Würdigung durch das Gericht

162.
    Artikel 2 der Entscheidung lautet:

„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,

a)    durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen, oder

b)    durch den auch ohne Offenlegung individueller Informationen eine gemeinsame Reaktion der Branche auf wirtschaftliche Verhältnisse hinsichtlich der Preise oder der Kontrolle der Produktion gefördert oder erleichtert wird, oder

c)    durch die die Teilnehmer in die Lage versetzt werden könnten, die Erfüllung oder Beachtung ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarungen betreffend die Preise oder die Marktaufteilung in der Gemeinschaft zu überwachen.

Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß

es nicht nur alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln läßt, sondern auch alle Daten über den gegenwärtigen Stand der Auftragseingänge und der Auftragslage, die erwartete Kapazitätsausnutzung (in beiden Fällen auch in globaler Form) oder die Produktionskapazität jeder Maschine ausschließt.

Ein eventueller Informationsaustausch beschränkt sich auf die Beschaffung und Verbreitung von Produktions- und Verkaufsstatistiken in globaler Form, die nicht dazu benutzt werden können, ein gemeinsames Geschäftsverhalten zu fördern oder zu erleichtern.

Die Unternehmen nehmen außerdem von jedem Austausch weiterer wettbewerbsrelevanter Informationen über den zulässigen Informationsaustausch hinaus sowie von allen Treffen oder sonstigen Kontakten zur Erörterung des Aussagegehalts der ausgetauschten Informationen oder der möglichen oder wahrscheinlichen Reaktion der Branche oder einzelner Hersteller auf diese Informationen Abstand.

Für die notwendigen Änderungen an einem etwaigen Informationsaustauschsystem wird eine Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung eingeräumt.“

163.
    Wie sich aus Randnummer 165 der Entscheidung ergibt, wurde Artikel 2 der Entscheidung gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 erlassen. Nach dieser Bestimmung kann die Kommission u. a. dann, wenn sie eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages feststellt, die beteiligten Unternehmen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.

164.
    Nach ständiger Rechtsprechung kann die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 das Verbot umfassen, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist (Urteile des Gerichtshofes vom 6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnr. 45, und vom 6. April 1995 in den Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P, RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995, I-743, Randnr. 90), aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten (Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 220).

165.
    Da die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 der festgestellten Zuwiderhandlung angepaßt sein muß, ist die Kommission außerdem befugt, den Umfang der Verpflichtungen anzugeben, die die betroffenen Unternehmen erfüllen müssen, damit die Zuwiderhandlung abgestellt wird. Derartige den Unternehmen auferlegte Verpflichtungen dürfen jedoch nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Zieles

— Wiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriften — angemessen und erforderlich ist (Urteil RTE und ITP/Kommission, Randnr. 93; in diesem Sinne auch Urteile des Gerichts vom 8. Juni 1995 in den Rechtssachen T-7/93, Langnese Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533, Randnr. 209, und T-9/93, Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611, Randnr. 163).

166.
    Um im vorliegenden Fall festzustellen, ob die Anordnung in Artikel 2 der Entscheidung — wie die Klägerin behauptet — zu weit geht, ist der Umfang der verschiedenen Verbote zu prüfen, die den Unternehmen damit auferlegt werden.

167.
    Das Verbot in Artikel 2 Absatz 1 Satz 2, wonach die Unternehmen künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen absehen müssen, mit denen gleiches oder ähnliches wie mit den in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen bezweckt oder bewirkt wird, soll die Unternehmen nur daran hindern, die Verhaltensweisen zu wiederholen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt wurde. Folglich hat die Kommission mit der Aufstellung dieses Verbotes die ihr durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 verliehenen Befugnisse nicht überschritten.

168.
    Die Bestimmungen von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c betreffen Einzelheiten zum Verbot des künftigen Austauschs von Geschäftsinformationen.

169.
    Die Anordnung in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a, der für die Zukunft jeden Austausch von Geschäftsinformationen verbietet, der es den Teilnehmern ermöglicht, unmittelbar oder mittelbar individuelle Informationen über die Konkurrenzunternehmen zu erlangen, setzt voraus, daß die Kommission in der Entscheidung die Rechtswidrigkeit eines derartigen Informationsaustauschs im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages festgestellt hat.

170.
    In Artikel 1 der Entscheidung heißt es nicht, daß der Austausch individueller Geschäftsinformationen als solcher gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstößt.

171.
    Dort wird in allgemeinerer Form ausgeführt, daß die Unternehmen gegen diesen Artikel des Vertrages verstoßen hätten, indem sie sich an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt hätten, durch die sie u. a. „als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten“.

172.
    Da der verfügende Teil der Entscheidung im Licht ihrer Gründe auszulegen ist (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 122), ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es in Randnummer 134 Absatz 2 der Entscheidung heißt:

„Der von den Herstellern in Sitzungen der PG Karton (vor allem des JMC) praktizierte Austausch von normalerweise vertraulichen und sensitiven individuellen

Informationen über Auftragslage, Abstellzeiten und Produktionshöhe war offenkundig wettbewerbsfeindlich, da mit ihm bezweckt wurde, möglichst günstige Voraussetzungen für die Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu schaffen.“

173.
    Da die Kommission somit in der Entscheidung ordnungsgemäß ihre Ansicht geäußert hat, daß im Austausch individueller Geschäftsinformationen als solchem ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zu sehen sei, erfüllt das Verbot, künftig einen derartigen Informationsaustausch vorzunehmen, die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17.

174.
    Die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung aufgestellten Verbote des Austauschs von Geschäftsinformationen sind im Licht der Absätze 2, 3 und 4 dieses Artikels zu prüfen, die ihren Inhalt näher ausgestalten. In diesem Kontext ist zu ermitteln, ob und, wenn ja, inwieweit die Kommission den fraglichen Austausch als rechtswidrig angesehen hat, da der Umfang der den Unternehmen auferlegten Verpflichtungen auf das zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erforderliche Maß zu beschränken ist.

175.
    Die Entscheidung ist dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß des FIDES-Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte Kartell stützte (Randnr. 134 Absatz 3 der Entscheidung). Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Artikel 1 der Entscheidung bestätigt, aus dem hervorgeht, daß die Geschäftsinformationen zwischen den Unternehmen „als Absicherung“ der als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehenen Maßnahmen ausgetauscht wurden.

176.
    Im Licht dieser Auffassung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit des FIDES-Systems mit Artikel 85 des Vertrages im vorliegenden Fall ist die Tragweite der in die Zukunft gerichteten Verbote in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung zu beurteilen.

177.
    Die fraglichen Verbote beschränken sich zum einen nicht auf den Austausch individueller Geschäftsinformationen, sondern betreffen auch den Austausch bestimmter globaler statistischer Daten (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 der Entscheidung). Zum anderen verbietet Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung den Austausch bestimmter statistischer Informationen, um dem Aufbau einer möglichen Stütze potentieller wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vorzubeugen.

178.
    Da ein solches Verbot den Austausch rein statistischer Informationen, die nicht den Charakter individueller oder individualisierbarer Informationen haben, mit der Begründung verhindern soll, daß die ausgetauschten Informationen zu wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden könnten, überschreitet es das zur

Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit der festgestellten Verhaltensweisen erforderliche Maß. Zum einen geht nämlich aus der Entscheidung nicht hervor, daß die Kommission den Austausch statistischer Daten als solchen als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen hat. Zum anderen führt die bloße Tatsache, daß ein System des Austauschs statistischer Informationen zu wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden kann, nicht zu seiner Unvereinbarkeit mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages; vielmehr sind unter derartigen Umständen seine konkreten wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu bestimmen.

179.
    Daher ist Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung mit Ausnahme folgender Passagen für nichtig zu erklären:

„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,

a)    durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.

Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln läßt, ausschließt.“

Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße

Zu den Klagegründen, die Fragen betreffen, über die gemeinsam mündlich verhandelt wurde

180.
    In der informellen Sitzung vom 29. April 1997 wurden die Unternehmen, die gegen die Entscheidung Klage erhoben haben, aufgefordert, für den Fall der Verbindungder Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung die Möglichkeit gemeinsamer mündlicher Ausführungen durch mehrere von ihnen in Betracht zu ziehen. Sie wurden darauf hingewiesen, daß solche gemeinsamen mündlichen Ausführungen nur von den Klägerinnen gemacht werden können, die in ihren Klageschriften die den gemeinsam zu behandelnden Themen entsprechenden Klagegründe auch tatsächlich geltend gemacht haben.

181.
    Mit Telefax vom 14. Mai 1997, das im Namen aller Klägerinnen vorgelegt worden ist, haben diese mitgeteilt, daß sie sechs Fragen im Rahmen gemeinsamer mündlicher Ausführungen behandeln wollten, darunter

a)    die Beschreibung des Marktes und die fehlenden Auswirkungen des Kartells,

b)    das allgemeine Bußgeldniveau und dessen Begründung in der Entscheidung

und

c)    die Begründung für die Geldbußen.

182.
    In ihrer Klageschrift hat die Klägerin zu diesen drei Fragen keine Klagegründe oder Argumente vorgetragen. In der Verhandlung hat sie gleichwohl erklärt, daß sie sich den betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen anschließe.

183.
    Gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keinen erst während des Verfahrens zutage getretenen rechtlichen oder tatsächlichen Grund angeführt, der das fragliche neue Vorbringen rechtfertigen könnte.

184.
    Daher sind die betreffenden Klagegründe, auf die sich die Klägerin erstmals in der Verhandlung berufen hat, unzulässig.

Zu den Klagegründen der Heranziehung einer falschen Umsatzzahl durch die Kommission und einer damit verbundenen Verletzung der Begründungspflicht und der Verteidigungsrechte

Vorbringen der Parteien

185.
    Die Klägerin trägt vor, aus Randnummer 4 der Entscheidung ergebe sich, daß bestimmte nicht zur Herstellung von Faltschachteln verwendete Kartonsorten, wie z. B. Graukarton, nicht Gegenstand der Entscheidung seien und nicht unter den Begriff „Karton“ im dort gebrauchten Sinn fielen, auch wenn diese Erzeugnisse auf Kartonmaschinen hergestellt werden könnten. Dies werde durch Randnummer 3 der Entscheidung bestätigt, wo es heiße, daß Karton „in erster Linie für die Anfertigung von Faltschachteln“ verwendet werde.

186.
    Zu Beginn ihrer Untersuchung habe die Kommission von ihr die Mitteilung ihres Gesamtumsatzes im Kartonbereich sowie ihres Umsatzes bei GD-Kartons verlangt. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte habe sich die Kommission jedoch dahin

gehend geäußert, daß sich die Untersuchung nur auf den zur Herstellung von Faltschachteln bestimmten Karton erstrecke.

187.
    Drei von ihr hergestellte Erzeugnisse, und zwar die Sorten Printa, Duplex KO und Silbergrau, fielen nicht unter die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Entscheidung enthaltene Definition von „Karton“.

188.
    Bei der Sorte Printa handele es sich um einen Duplexkarton mit holzhaltiger Decke sowie Einlage und Rückseite aus 100 % Altpapier. Wie die Papiertechnische Stiftung (PTS) bestätigt habe, könne diese Sorte nicht zu den GD-Kartons gezählt werden. Es sei eine Mischsorte, die hauptsächlich zur Kartonageherstellung und nur zu einem geringen Teil für die Faltschachtelproduktion verwendet werde. Allein zum Hinweis darauf, daß diese Sorte zumindest teilweise auch zur Herstellung von Faltschachteln geeignet sei, werde sie von ihr unter der Bezeichnung „pigmentierter UD“ vermarktet.

189.
    Bei der Sorte Duplex KO handele es sich um einen einfachen Duplexkarton, der aus holzhaltiger heller Decke sowie Einlage und Rückseite aus 100 % Altpapier bestehe. Auch diese Sorte könne, wie die PTS bestätigt habe, nicht zu den GD- und UD 2-Kartons gezählt werden. Sie werde nahezu ausschließlich zur Kartonageherstellung verwendet und sei vom Verwendungszweck, von der Qualität und von der Preislage her nicht mit den zur Herstellung von Faltschachteln dienenden Sorten vergleichbar. Sie werde unter der Bezeichnung „ED“ („Einfach Duplex“) vermarktet.

190.
    Bei der Sorte Silbergrau schließlich handele es sich um einen reinen Graukarton.

191.
    Aufgrund dessen habe sie der Kommission in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte angegeben, daß sie nur die Sorten Supra und Bona herstelle. Dies sei bei der Anhörung vor der Kommission bestätigt worden. Ihr Vertreter habe ausgeführt, daß die Sorte Printa nicht zu den UD- oder GD-Kartons gehöre und daß sie deshalb in ihre Mitteilungen an die FIDES eine eigene Rubrik für diese Sorte aufgenommen habe. Zur Sorte Duplex KO habe ihr Vertreter ausgeführt, daß sie unter die Kategorie „ED“ falle und auch in den Mitteilungen an die FIDES so eingeordnet worden sei. Er habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Verwendung der Abkürzung „UD“ für diese Sorte nicht zutreffend wäre.

192.
    Da die Diskussion über ihre Erzeugnisse nicht fortgesetzt worden sei, habe sie es als unstreitig angesehen, daß die Sorten Printa und Duplex KO nicht Gegenstand des Verfahrens seien. Die Kommission habe diese Diskussion erst mit einem Schreiben vom 24. Mai 1994 wiederaufgenommen und darin behauptet, daß sich die Sorte Printa von GD 2-Karton nur durch ihre geringere Dichte unterscheide — was nicht zutreffe — und daß die Sorte Duplex KO vom Handel als „UD“ angesehen werde.

193.
    Da in der Entscheidung zu der Frage, ob sie die relevanten Erzeugnisse betreffe, nicht Stellung genommen werde, sei sie mit einem Begründungsmangel behaftet. Die Kommission sei zwar nach der Rechtsprechung nicht verpflichtet, auf Argumente einzugehen, die sie für unerheblich halte (Urteil ICI/Kommission, Randnr. 318), aber die Frage der Abgrenzung der von der Entscheidung erfaßten Erzeugnisse sei von entscheidender Bedeutung.

194.
    Die Einbeziehung der fraglichen Erzeugnisse in die Entscheidung verstoße nicht nur gegen die Begründungspflicht, sondern stelle angesichts des Verfahrensablaufs auch eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte dar.

195.
    Schließlich hätte die Kommission eine zutreffende Berechnung der Geldbuße bereits auf der Grundlage der Angaben vornehmen können, die die Klägerin im Schreiben vom 13. Mai 1993 gemacht habe. Die erforderlichen Angaben seien der Kommission jedenfalls mit Schreiben vom 13. Mai 1994 mitgeteilt und im Schreiben vom 1. Juli 1994 wiederholt worden.

196.
    Die Kommission macht geltend, sie sei erheblich unter dem in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 festgelegten Höchstbetrag der Geldbuße geblieben. Die Klägerin könne daher nicht verlangen, daß ein Teil des Umsatzes unberücksichtigt bleibe.

197.
    Nachdem die Klägerin die Einbeziehung bestimmter von ihr hergestellter Erzeugnisse beanstandet habe, sei sie von ihr mit Schreiben vom 24. Mai 1994 aufgefordert worden, den bereits mitgeteilten Gesamtumsatz nach ihren verschiedenen Erzeugnissen aufzuschlüsseln. In diesem Schreiben habe sie auch die Gründe erläutert, aus denen die Sorten Printa und Duplex KO ihrer Ansicht nach zu den GD-Kartons zu zählen seien. Die Klägerin habe darauf jedoch erst mit Schreiben vom 1. Juli 1994, also lange nach Ablauf der ihr gesetzten Frist (31. Mai 1994), geantwortet, und auch dieses Schreiben habe die Aufschlüsselung des Gesamtumsatzes nach den von ihr hergestellten Kartonsorten nicht enthalten. Unter diesen Umständen sei die Kommission berechtigt gewesen, sich auf den anfangs von der Klägerin angegebenen Gesamtumsatz im Kartonsektor zu stützen.

198.
    Außerdem würden die Sorten Printa und Duplex KO von der in der Entscheidung enthaltenen Definition von „Karton“ erfaßt. Es gehe in diesem Zusammenhang nicht um die Definition des relevanten Marktes, sondern um die Frage, auf welche Erzeugnisse sich die Absprachen der Kartellmitglieder bezogen hätten.

199.
    Insoweit ergebe sich aus Randnummer 4 der Entscheidung, daß diese nicht nur die zur Herstellung von Faltschachteln dienenden Kartonsorten betreffe. Vielmehr würden nur bestimmte Sorten wie z. B. Graukarton ausgenommen, der gänzlich aus Altpapier hergestellt werde. Die Klägerin habe im übrigen selbst eingeräumt, daß die Sorten Printa und Duplex KO zur Herstellung von Faltschachteln geeignet seien. Die Sorte Printa habe sie in ihrer Klageschrift selbst mit „UD“ bezeichnet. Somit sei klar, daß sie zu den GD-Kartons gehöre.

200.
    Die Klägerin habe ferner eingeräumt, daß die Mitteilungen an die FIDES Angaben zu den fraglichen Erzeugnissen enthalten hätten; dies zeige, daß sie selbst davon ausgegangen sei, daß diese Sorten vom Kartell erfaßt würden. Auch die Preiserhöhungen hätten sich auf diese Sorten erstreckt.

201.
    Außerdem hätten die Erörterungen bei der Anhörung vor der Kommission ergeben, daß die fraglichen Erzeugnisse als von der Definition des Kartonbegriffs erfaßt anzusehen seien. Der Vertreter der Klägerin habe nämlich erklärt, die Sorte Printa sei so etwas wie GD 3 („something of a GD 3“). Von der PG Karton werde die Abkürzung GD 3 aber als Bezeichnung für eine WLC-Sorte verwendet, die sich von den GD 1- und GD 2-Sorten nur durch ihre geringere Dichte unterscheide. In bezug auf die Sorte Duplex KO habe der Vertreter der Klägerin eingeräumt, daß sie von den Konkurrenten zu den UD-Kartons gezählt werde. Auch wenn die Klägerin sie als „ED“ („Einfach Duplex“) bezeichne, gehe schon aus dem Namen hervor, daß es sich um einen Duplexkarton handele.

202.
    Die fraglichen Erzeugnisse würden auch in einer Werbebroschüre der Klägerin als Duplexkarton bezeichnet; bei der Sorte Printa werde dort sogar auf die Verwendung im Faltschachtel- und Displaysektor hingewiesen. Den Bestätigungen, die die Klägerin von der PTS erhalten habe, könne insoweit kein Beweiswert beigemessen werden.

203.
    Die Kommission habe die zur Bestimmung der Höhe der Bußgelder verwendeten Kriterien in den Randnummern 168 und 169 der Entscheidung ausreichend dargelegt. Da der Umsatz im Kartonbereich zu diesen Kriterien gehöre, habe sie die Einbeziehung der Sorten Printa und Duplex KO in die Berechnung der Geldbuße nicht im einzelnen erläutern müssen (vgl. Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-9/89, Hüls/Kommission, Slg. 1992, II-499, Randnr. 363).

204.
    Sie habe ihren Standpunkt auch nicht im Lauf des Verfahrens geändert; die Mitteilung der Beschwerdepunkte habe wie die Entscheidung eine Definition des Verfahrensgegenstands enthalten, die sich auf die fraglichen Erzeugnisse erstreckt habe.

Würdigung durch das Gericht

205.
    Die Kommission hat die Höhe der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße unstreitig anhand des 1990 durch den Verkauf aller ihrer Kartonsorten, einschließlich der Sorten Printa, Duplex KO und Silbergrau, erzielten Umsatzes festgelegt.

206.
    Ferner ist unstreitig, daß sie bei der Festlegung der Höhe der individuellen Geldbußen systematisch den Umsatz herangezogen hat, den die einzelnen Adressaten der Entscheidung im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft

erzielten. Dabei hat sie nur den Umsatz berücksichtigt, der durch den Verkauf von Karton in dem in der Entscheidung definierten Sinn erzielt wurde.

207.
    Die Kommission bestreitet nicht, daß die Sorte Silbergrau ein Graukarton und als solcher von der festgestellten Zuwiderhandlung nicht betroffen ist. Sie macht jedoch geltend, daß die Sorten Printa und Duplex KO von der Definition des Kartonbegriffs in der Entscheidung erfaßt würden und daß sich die festgestellte Zuwiderhandlung auf diese Erzeugnisse erstreckt habe.

208.
    Da der vorliegende Klagegrund im Licht der vorgenannten Gesichtspunkte zu beurteilen ist, ist zunächst zu prüfen, ob die Entscheidung hinsichtlich der Einbeziehung der Sorten Printa und Duplex KO in die Definition des relevanten Erzeugnisses ausreichend begründet ist und ob in diesem Kontext die Verteidigungsrechte der Klägerin verletzt wurden. Sodann ist zu prüfen, ob die Kommission dargetan hat, daß sich die in Artikel 1 der Entscheidung festgestellte Zuwiderhandlung auf die Sorten Printa und Duplex KO erstreckte. Schließlich ist unter Berücksichtigung der Ergebnisse bei den vorangegangenen Punkten zu prüfen, ob die Kommission berechtigt war, die Höhe der Geldbuße auf der Grundlage des von der Klägerin im Jahr 1990 durch den Verkauf aller ihrer Kartonsorten erzielten Umsatzes festzusetzen.

— Zu dem auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und eine Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin gestützten Vorbringen

209.
    Nach ständiger Rechtsprechung muß die Begründung einer beschwerenden Entscheidung eine wirksame Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit ermöglichen und dem Betroffenen die erforderlichen Hinweise geben, anhand deren er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist. Ob eine Begründung ausreicht, ist anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts der Maßnahme, der Art der vorgetragenen Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten an Erläuterungen haben können. Um diese Funktionen zu erfüllen, muß eine ausreichende Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, klar und unzweideutig wiedergeben (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 28. April 1994 in der Rechtssache T-38/92, AWS Benelux/Kommission, Slg. 1994, II-211, Randnr. 26).

210.
    Randnummer 4 der Entscheidung lautet:

„Die wichtigsten in Westeuropa hergestellten Kartonqualitäten sind:

—    Folding boxboard — FBB (Faltschachtelkarton), ein Produkt mit einer oberen weißen Lage aus gebleichtem chemischem Zellstoff, einer Einlage aus mechanischem oder chemisch-mechanischem Zellstoff und häufig einer dünnen unteren Lage aus gebleichtem chemischem Zellstoff. Faltschachtelkarton wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln, Kosmetika, Zigaretten, Arzneimitteln usw. verwendet.

—    White-lined chipboard — WLC, im kontinentalen Westeuropa auch als Duplex oder Triplex bekannt (altpapierhaltige Sorten), hergestellt auf der Basis von Sekundär- oder wiederverwerteten Fasern. Dieses Produkt wird mit einer Oberseite aus gebleichtem chemischem Zellstoff und unteren Lagen aus wiederverwertetem Altpapier hergestellt und in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet.

—    Solid Bleached Sulphate Board — SBS (100 % Zellstoffkarton), ein durch und durch weißes mehrlagiges Produkt aus gebleichtem chemischem Zellstoff; wird hauptsächlich als Extraqualität für die Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten verwendet.

Bestimmte andere Pappeerzeugnisse (beispielsweise Graukarton, der gänzlich aus Altpapier hergestellt wird) können auch auf Kartonmaschinen hergestellt werden, fallen aber nicht unter den Begriff .Karton' (Cartonboard), wie er von den Herstellern selbst verwendet wird, und sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

In der ganzen westeuropäischen Kartonindustrie werden die in Deutschland üblichen Standard-Produktbezeichnungen und -Abkürzungen verwendet.

—    Für gestrichenen bzw. ungestrichenen FBB werden die Bezeichnungen .GC' und .UC' verwendet;

—    gestrichener bzw. ungestrichener Duplex wird mit .GD' und .UD' bezeichnet, während die entsprechenden Triplex-Sorten als .GT' und .UT' bekannt sind;

—    gestrichener bzw. ungestrichener SBS wird mit .GZ' und .UZ' bezeichnet.

Innerhalb dieser Kategorien gibt es weitere Unterteilungen: so wird aufgrund der verwendeten unterschiedlichen Rückseite zwischen GC 1 und GC 2, aufgrund des unterschiedlichen spezifischen Volumens zwischen GD 1 und GD 2 unterschieden usw. Aus praktischen Gründen deckt der Begriff .GC-Sorten' häufig den gesamten Primärfasersektor ab, während .GD-Sorten' die entsprechende Kurzbezeichnung für alle Sorten aus wiederverwendeten Fasern ist. In der vorliegenden Entscheidung werden die Begriffe in diesem Sinne verwendet.“

211.
    Aus dieser Beschreibung der von der Entscheidung erfaßten Erzeugnisse geht hervor, daß die Kommission der Tatsache Rechnung getragen hat, daß der Begriff „Karton“ zahlreiche Erzeugnisse umfaßt und somit keine genaue Bedeutung hat. Insbesondere ist aus der Angabe der Kommission, daß „[b]estimmte andere Pappeerzeugnisse“, die auf Kartonmaschinen hergestellt werden könnten, von der Entscheidung nicht erfaßt würden (Randnr. 4 Absatz 2 der Entscheidung), klar zu ersehen, daß die Erzeugnisse, auf die sich die Entscheidung erstreckt, nach Ansicht

der Kommission nicht allein durch die Bezugnahme auf den Begriff „Karton“ bestimmt werden konnten.

212.
    Da die Kommission darauf hingewiesen hat, daß sich die Angaben in Randnummer 4 der Entscheidung auf die „wichtigsten in Westeuropa hergestellten Kartonqualitäten“ bezögen, kann in ihnen außerdem keine abschließende Definition der von der Entscheidung erfaßten Erzeugnisse gesehen werden. Randnummer 4 der Entscheidung ist somit dahin zu verstehen, daß dort die technischen Merkmale (Rohstoff, Dicke und Verwendungszweck) der wichtigsten von der Entscheidung erfaßten Erzeugnisse beschrieben werden. Der Umstand, daß ein bestimmtes Produkt darin weder ausdrücklich erwähnt wird noch unmittelbar unter die dort genannten technischen Spezifikationen fällt, bedeutet als solcher nicht, daß es sich um eine von der Entscheidung nicht erfaßte Kartonsorte handelt.

213.
    Der Kommission kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie die Erzeugnisse, auf die sich die Entscheidung bezieht, in dieser nicht abschließenden Weise umschrieben hat.

214.
    Erstens können die Erzeugnisse, mit denen sich die Entscheidung befaßt, in einem Fall wie dem vorliegenden anhand ihrer technischen Merkmale unter Bezugnahme auf die Erzeugnisse ermittelt werden, die Gegenstand der festgestellten Zuwiderhandlung waren. Geht aus der Entscheidung als Ganzem hervor, daß sich die geltend gemachte Zuwiderhandlung auf ein bestimmtes Erzeugnis erstreckte, und werden die dieses Ergebnis stützenden Nachweise angegeben, so hindert die bloße Tatsache, daß die Entscheidung keine genaue und abschließende Aufzählung der relevanten Erzeugnisse enthält, den Gemeinschaftsrichter nicht zwangsläufig an der wirksamen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit und bedeutet auch nicht zwangsläufig, daß dem betroffenen Unternehmen Hinweise vorenthalten würden, die es benötigt, um erkennen zu können, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist.

215.
    Zweitens ist, auch wenn die Kommission darauf hinweist (Randnr. 4 Absatz 3 der Entscheidung), daß in der ganzen Branche die in Deutschland üblichen Standard-Produktbezeichnungen und -abkürzungen verwendet würden, den Akten zu entnehmen (zu den verschiedenen Klassifizierungen der Kartonprodukte vgl. Anlagen 1 bis 4 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß es keine branchenweit benutzte Standardklassifizierung gibt, die eine genaue und abschließende Definition aller in Westeuropa hergestellten Kartonsorten ermöglichen würde.

216.
    Diese Feststellung wird durch folgende Ausführungen bestätigt, die der Vertreter der Klägerin bei der Anhörung vor der Kommission in bezug auf die Sorte Printa gemacht hat:

„The figures we gave to FIDES were for GD 2, and we made a special board which we called [Printa] which was not exactly defined — it didn't fit into these categories of GD and UD. It was something of a GD 3 or something like that“

(S. 47 des Protokolls der Anhörung). (Die der FIDES übermittelten Zahlen bezogen sich auf GD 2, und wir stellten eine besondere Kartonsorte her, die wir Printa nannten und die nicht genau definiert war — sie paßte nicht in diese Kategorien von UD und GD. Sie war so etwas wie GD 3 oder etwas ähnliches.)

217.
    Drittens macht die Klägerin nicht geltend, daß die Angaben in Randnummer 4 der Entscheidung falsch seien. Daher ist davon auszugehen, daß es sich bei diesen Angaben um eine zutreffende und sachdienliche Beschreibung der wichtigsten Kartonsorten handelt, auf die sich die Entscheidung bezieht.

218.
    Nach alledem ist das Gericht der Ansicht, daß die Entscheidung eine ausreichende Begründung enthält, anhand deren allgemein ermittelt werden kann, welche Erzeugnisse Gegenstand der festgestellten Zuwiderhandlung waren. Da die Klägerin im Verwaltungsverfahren vor der Kommission jedoch bestritten hat, daß die Sorten Printa und Duplex KO als von diesem Verfahren betroffen angesehen werden könnten, ist zu prüfen, ob die Kommission dies gesondert hätte begründen müssen.

219.
    Die Entscheidung enthält keine ausdrückliche Stellungnahme zu der Frage, ob sie sie sich auf die Sorten Printa und Duplex KO bezieht.

220.
    Den von der Kommission in der Entscheidung angeführten Beweismitteln ist aber zu entnehmen, daß die wettbewerbswidrigen Gespräche, die in einigen Gremien der PG Karton geführt wurden, u. a. die von den Herstellern selbst mit den Abkürzungen GD und UD bezeichneten Erzeugnisse betrafen (vgl. insbesondere die in Randnr. 79 der Entscheidung erwähnte von Finnboard erlangte Preisliste und die in Randnr. 87 der Entscheidung erwähnte Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

221.
    Außerdem werden in einem Schreiben der Kommission an die Klägerin vom 24. Mai 1994 die Gründe genannt, aus denen die Kommission zu dem Schluß kam, daß sich die fraglichen Gespräche auf die betreffenden Erzeugnisse erstreckt hätten.

222.
    In diesem Schreiben führt die Kommission aus:

„Wie bereits in den Beschwerdepunkten, der Fides-Dokumentation und in der Anhörung deutlich gemacht worden ist, beschränkt sich das oben bezeichnete Verfahren, soweit Sorten aus wiederverwertbarem Material betroffen sind, nicht auf die Sorten GD 1 und GD 2.

Ihr .Printa'-Karton, dessen Einstufung als GD 3 lediglich in Deutschland üblich ist, unterscheidet sich von GD 2 nur aufgrund seiner geringeren Dichte (1,3 cm3/g maximal verglichen mit 1,4 cm3/g; vgl. die Anlage 4 zu den Beschwerdepunkten). Ihr .Duplex KO' oder ED (Einfach Duplex) wird vom Handel — wie von Ihnen

selbst bestätigt — als UD (ungestrichenes Duplex) angesehen, obwohl Sie es mehr mit GK (.Silbergrau') gleichzustellen scheinen.“

223.
    Auch wenn diese Erläuterung in der Entscheidung nicht wiederholt wurde, konnte der Klägerin somit nicht verborgen bleiben, weshalb die Kommission die Sorten Printa und Duplex KO als von den gerügten wettbewerbswidrigen Handlungen erfaßt ansah. Diese Feststellung wird im übrigen dadurch untermauert, daß aus dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Klageschrift hervorgeht, daß sie sich über die Erwägungen der Kommission voll und ganz im klaren war.

224.
    Nach alledem ist davon auszugehen, daß die Begründung der Entscheidung ausreicht, um eine wirksame Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit zu ermöglichen und der Klägerin die erforderlichen Hinweise zu geben, anhand deren sie erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist.

225.
    Da die Erwägungen der Kommission in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 24. Mai 1994 hinreichend klar dargelegt wurden, ist auch das auf eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte gestützte Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen. Dem ist hinzuzufügen, daß es entgegen der offenbar von der Klägerin vertretenen Ansicht keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß die Kommission ihren Standpunkt im Lauf des Verwaltungsverfahrens geändert hat, denn die Mitteilung der Beschwerdepunkte enthält fast dieselbe Kartondefinition wie Randnummer 4 der Entscheidung.

— Zur Frage, ob sich die Zuwiderhandlung auf die Sorten Printa und Duplex KO erstreckte

226.
    Wie bereits ausgeführt, betrafen die wettbewerbswidrigen Gespräche u. a. die von den Herstellern selbst mit den Abkürzungen GD und UD bezeichneten Erzeugnisse.

227.
    In bezug auf die Sorte Printa deutet schon die Angabe des Vertreters der Klägerin bei der Anhörung vor der Kommission, daß dieses Erzeugnis so etwas wie GD 3 oder etwas ähnliches („something of a GD 3 or something like that“) gewesen sei, klar darauf hin, daß sich die Gespräche auf dieses Erzeugnis bezogen. Gleiches gilt für die Tatsache, daß die Klägerin bei seiner Vermarktung die Bezeichnung „pigmentierter UD“ verwendete.

228.
    In diesem Zusammenhang ist die Behauptung der Klägerin, daß sie die Bezeichnung „pigmentierter UD“ bei der Vermarktung der Sorte Printa nur deshalb verwendet habe, um darauf hinzuweisen, daß sie auch zur Herstellung von Faltschachteln geeignet sei, mangels Belegen zurückzuweisen.

229.
    Ferner ist die der Klägerin von der PTS erteilte Bestätigung, daß diese Kartonsorte nicht als GD-Karton eingestuft werden könne, als nicht beweiskräftig zurückzuweisen. Die Klägerin hat nämlich keine Angaben zu den von der PTS verwendeten Klassifizierungskriterien gemacht.

230.
    Die Unterlagen über die von der Klägerin angekündigten und vorgenommenen Preiserhöhungen enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich die in der PG Karton vereinbarten Preiserhöhungen nicht auf die Sorte Printa bezogen. Aus einem Schreiben der Klägerin vom 8. März 1989, mit dem für den 1. Mai 1989 eine Preiserhöhung angekündigt wurde (Schriftstück D-7-5) und bei dem es sich um das einzige Schriftstück handelt, in dem eine Unterscheidung zwischen den einzelnen von der Klägerin hergestellten Erzeugnissen getroffen wird, geht vielmehr hervor, daß die für die Sorte Printa angekündigte Preiserhöhung (9 DM) mit der Erhöhung übereinstimmte, die in der PG Karton vereinbart worden war (vgl. Tabelle D im Anhang der Entscheidung) und die die Klägerin für die Sorten Supra und Bona, die zu den GD-Kartons gehören, angekündigt hatte.

231.
    Unter diesen Umständen hat die Kommission nachgewiesen, daß die festgestellte Zuwiderhandlung auch die Sorte Printa betraf.

232.
    In bezug auf die Sorte Duplex KO führt die Klägerin aus, daß sie für die Bezeichnung dieses Erzeugnisses in den der FIDES übermittelten Informationen die Abkürzung ED verwendet habe; die Kommission hat dem nicht widersprochen. Außerdem wurde ED-Karton in den Statistiken der FIDES wie GK 1-Karton, eine Graukartonsorte, eingestuft.

233.
    Ferner geht aus dem Schreiben der Klägerin vom 8. März 1989 (Schriftstück D-7-5, siehe oben) hervor, daß die für die Sorte Duplex KO angekündigte Preiserhöhung (7 DM) geringer war als die in der PG Karton vereinbarte (vgl. Tabelle D im Anhang der Entscheidung) und die von der Klägerin für die Sorten Supra, Bona und Printa angekündigte Erhöhung. Die für die Sorte Duplex KO angekündigte Preiserhöhung entsprach dagegen der für die Sorte Silbergrau (einem von der Klägerin hergestellten Graukarton) angekündigten Erhöhung.

234.
    Unter diesen Umständen kann die Tatsache, daß der Vertreter der Klägerin bei der Anhörung vor der Kommission ausgeführt hat, einigen ihrer Konkurrenten zufolge könne Duplex KO in die Kategorie „UD“ eingestuft werden („Some of our competitors said [Duplex KO] could be put into the category of UD ...“), keinen ausreichenden Beweis dafür darstellen, daß sich die wettbewerbswidrigen Gespräche in einigen Gremien der PG Karton auf dieses Erzeugnis erstreckten.

235.
    Nach alledem hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die festgestellte Zuwiderhandlung auf die Sorte Printa erstreckte, nicht aber, daß sie sich auch auf die Sorte Duplex KO erstreckte.

— Zu dem bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße herangezogenen Umsatz

236.
    Die Höhe der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wurde unstreitig anhand ihres im Jahr 1990 durch den Verkauf von Karton in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes ermittelt. Diese Umsatzzahl, die der Kommission mit Schreiben vom 25.

September 1991 mitgeteilt wurde, erfaßt den Verkauf aller von der Klägerin hergestellten Kartonprodukte. Nach den vorstehenden Ausführungen waren die Sorten Silbergrau und Duplex KO jedoch von der festgestellten Zuwiderhandlung nicht betroffen.

237.
    Unter diesen Umständen kann dem Vorbringen der Kommission, daß die Geldbuße jedenfalls erheblich unter dem in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Höchstbetrag geblieben sei, nicht gefolgt werden. Gemäß dem Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, daß vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist, hätte die Kommission, wie sie es bei den anderen in Artikel 1 der Entscheidung genannten Unternehmen getan hat, den Umsatz heranziehen müssen, den die Klägerin im Jahr 1990 in der Gemeinschaft allein mit den von der festgestellten Zuwiderhandlung betroffenen Erzeugnissen erzielte.

238.
    Die Tatsache, daß die Klägerin den durch den Verkauf aller von ihr hergestellten Kartonprodukte erzielten Umsatz nicht nach Produktkategorien aufschlüsselte, obwohl die Kommission sie mit Schreiben vom 24. Mai 1994 dazu aufgefordert hatte, stellt keine ausreichende Rechtfertigung dar.

239.
    Die Kommission hat in ihrem Schreiben vom 24. Mai 1994 erläutert, weshalb die Sorten Printa und Duplex KO als Karton im Sinne des Verfahrens anzusehen seien. Sie hat die Klägerin überdies aufgefordert, die Umsatzzahlen für die letzten fünf Jahre nach allen GD-Sorten, Duplex KO und Graukarton aufzuschlüsseln, und sie gebeten, ihr die fraglichen Auskünfte bis zum 31. Mai 1994 zukommen zu lassen.

240.
    Die Klägerin hat auf dieses Schreiben erst am 1. Juli 1994 geantwortet und ihren Standpunkt bekräftigt, daß die Sorten Printa und Duplex KO nicht in das Verfahren einbezogen werden dürften; ihrer Verpflichtung zur Vorlage der geforderten Aufschlüsselung der Umsatzzahlen ist sie nicht nachgekommen.

241.
    Im Schreiben der Kommission vom 24. Mai 1994 wurde allerdings nicht auf Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 Bezug genommen. Die Kommission hätte aber wissen müssen, daß der Umsatz, auf den sie sich stützte, u. a. die Verkäufe von Graukarton (Silbergrau) einschloß und somit unabhängig von der Streitfrage der richtigen Klassifizierung der Sorten Printa und Duplex KO zu hoch war.

242.
    Unter diesen Umständen hätte sie der Klägerin ein Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 übersenden müssen, um die für die zutreffende Ermittlung der Höhe der Geldbuße erforderlichen Auskünfte zu erhalten. Sie kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Höhe der Geldbuße nur aufgrund des eigenen Verhaltens der Klägerin im Verwaltungsverfahren anhand eines zu hohen Umsatzes ermittelt worden sei.

243.
    Da die Klägerin in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts Angaben gemacht hat, anhand deren ermittelt werden kann, welcher Prozentsatz der

Verkäufe von Kartonprodukten in der Gemeinschaft im Jahr 1990 auf Erzeugnisse entfällt, die von der festgestellten Zuwiderhandlung nicht betroffen sind, wird das Gericht somit im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von Geldbußen im Hinblick auf die Tatsache, daß der durch den Verkauf der Sorten Silbergrau und Duplex KO erzielte Umsatz bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße nicht hätte herangezogen werden dürfen, diese herabsetzen (siehe unten, Randnr. 278).

244.
    Im übrigen ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der begrenzten Beteiligung der Klägerin an den Gremien der PG Karton sowie des fehlenden Vorsatzes

Vorbringen der Parteien

245.
    Die Klägerin verweist im wesentlichen auf ihr Vorbringen zur Stützung des Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung. Sie habe nur für kurze Zeit am Informationsaustauschsystem der FIDES und nur sporadisch an Sitzungen des JMC teilgenommen. Berücksichtige man ferner den speziellen Zweck dieser Teilnahme, ihre völlig untergeordnete Marktstellung und die Tatsache, daß sie an den angeblichen Absprachen über Kapazitäten oder Marktanteile nicht beteiligt gewesen sei, so habe die Kommission die in Randnummer 169 der Entscheidung genannten Kriterien nicht korrekt angewandt. Da die Kommission die gegen sie verhängte Geldbuße offenbar auf der Grundlage des im Normalfall angewandten Satzes von 7,5 % des Umsatzes berechnet habe, liege eine Ungleichbehandlung gegenüber den Unternehmen vor, die in vollem Umfang am Kartell mitgewirkt hätten.

246.
    Selbst wenn man unterstelle, daß sie gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßen habe, sei sie von der Rechtmäßigkeit ihrer Beteiligung am Informationsaustauschsystem der FIDES und ihrer sporadischen Beteiligung an einzelnen Sitzungen des JMC ausgegangen, zumal der Zweck dieser Beteiligung in klarem Widerspruch zu den Interessen der übrigen Hersteller gestanden habe. Sie räume ein, daß die Herabsetzung der Geldbuße um 25/60 — den in Monaten ausgedrückten Bruchteil des Gesamtzeitraums der Zuwiderhandlung, den die Kommission der Berechnung der individuellen Geldbußen zugrunde gelegt habe — der kurzen Dauer einer etwaigen Beteiligung an einem rechtswidrigen Kartell zutreffend Rechnung trage.

247.
    Davon abgesehen sei in der Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen worden, daß ihr Geschäftsführer bei der Anhörung vor der Kommission die Existenz einer generellen Regel eingeräumt habe, nach der keine belastenden Aufzeichnungen über Sitzungen des JMC aufbewahrt werden dürften.

248.
    Die Kommission trägt vor, durch die Heranziehung des Kartonumsatzes habe sie der relativ untergeordneten Rolle der Klägerin in der Branche Rechnung getragen. Sie habe auch die kürzere Dauer ihrer Mitwirkung am Kartell durch eine Minderung ihrer Geldbuße um 25/60 angemessen berücksichtigt. Daß die Klägerin nicht zu den „Anführern“ gezählt worden sei, zeige schließlich, daß ihrer geringeren Mitwirkung am Kartell Rechnung getragen worden sei.

249.
    Zum Vorbringen der Klägerin, daß keine vorsätzliche Zuwiderhandlung vorgelegen habe, führt die Kommission aus, für die Einstufung einer Zuwiderhandlung als vorsätzlich reiche es aus, daß das Unternehmen habe wissen müssen, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt habe (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 246/86, Belasco u. a./Kommission, Slg. 1989, 2117, Randnr. 46). Außerdem könne die Klägerin in Anbetracht der Schwere und Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung, die von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages ausdrücklich erfaßt werde, nicht ernsthaft bestreiten, vom wettbewerbswidrigen Zweck des Kartells gewußt zu haben (vgl. Urteil ICI/Kommission, Randnrn. 344 und 353). Daß die Kartellmitglieder versucht hätten, ihre Absprachen geheimzuhalten, belege, daß sie sich des rechtswidrigen Charakters ihres Verhaltens bewußt gewesen seien (vgl. Urteil Belasco u. a./Kommission, Randnr. 41, und Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-15/89, Chemie Linz/Kommission, Slg. 1992, II-1275, Randnr. 350).

250.
    Schließlich hält die Kommission daran fest, daß sie die Aussagen des Geschäftsführers der Klägerin zu den zur Geheimhaltung des Kartells getroffenen Maßnahmen in der Entscheidung korrekt wiedergegeben habe. Dieser habe auf die Frage, ob alle Teilnehmer gewußt hätten, daß keine Aufzeichnungen gemacht werden sollten, geantwortet: „Well, maybe somebody said so. Yes, maybe yes.“ Hinzu komme, daß sich die Kartellmitglieder in einer über das gewöhnliche Maß an Geheimhaltung weit hinausgehenden Weise bemüht hätten, die Existenz des Kartells zu verschleiern, indem sie z. B. ein System für die gestaffelte Ankündigung von Preiserhöhungen entwickelt hätten (Randnr. 73 der Entscheidung).

Würdigung durch das Gericht

251.
    Der zu prüfende Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, daß ihre begrenzte Beteiligung an den Gremien der PG Karton von der Kommission bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße nicht zutreffend gewürdigt worden sei. Mit dem zweiten Teil bestreitet sie, vorsätzlich gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen zu haben. Jeder dieser beiden Teile ist gesondert zu prüfen.

— Zum ersten Teil des Klagegrundes

252.
    Die Kommission hat dargetan, daß die Klägerin durch ihre Teilnahme an Sitzungen des JMC in der Zeit von 1988 bis Ende 1990 an einer Preisabsprache und einer Absprache über die Abstellzeiten mitwirkte.

253.
    Dagegen ist festgestellt worden, daß die Klägerin nicht für eine Absprache über die Marktanteile zur Verantwortung gezogen werden durfte.

254.
    Das Gericht wird die Frage etwaiger Auswirkungen dieses Umstands auf die Höhe der Geldbuße im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von Geldbußen bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung untersuchen (siehe unten, Randnrn. 274 bis 277).

255.
    In bezug auf die Berechnung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße geht aus einer von der Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Tabelle hervor, daß insoweit der Prozentsatz des Umsatzes herangezogen wurde, der für die Unternehmen galt, die nicht als „Anführer“ des Kartells angesehen wurden (7,5 %). Ferner ist ihr zu entnehmen, daß die Kommission auch der begrenzten Dauer der Beteiligung der Klägerin am Kartell Rechnung getragen hat.

256.
    In Anbetracht dessen hat die Kommission die Rolle der Klägerin im Kartell zutreffend gewürdigt, indem sie gegen die Klägerin eine Geldbuße verhängte, die im Ergebnis 4,4 % des 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatzes — d. h. 7,5 %, bezogen auf den der Klägerin zur Last gelegten Zeitraum der Zuwiderhandlung — beträgt.

257.
    Der erste Teil des Klagegrundes ist folglich zurückzuweisen.

— Zum zweiten Teil des Klagegrundes

258.
    In Randnummer 167 Absatz 2 der Entscheidung heißt es: „Die Unternehmen, an die die ... Entscheidung gerichtet ist, haben vorsätzlich gegen Artikel 85 verstoßen.“

259.
    Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Einstufung einer Zuwiderhandlung als vorsätzlich nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstoßes gegen Artikel 85 des Vertrages bewußt war; es genügt, daß es wissen mußte, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckte oder bewirkte (Urteil Belasco u. a./Kommission,Randnr. 41, und Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992 in der Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992, II-1931, Randnr. 157).

260.
    Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, daß die Klägerin an Sitzungen des JMC, dessen wettbewerbswidriger Zweck von der Kommission nachgewiesen worden ist, und an abgestimmten Preiserhöhungen teilnahm.

261.
    Außerdem war der von der Klägerin begangene Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages offenkundig.

262.
    Schließlich geht das Vorbringen der Klägerin fehl, daß ihr Vertreter bei der Anhörung vor der Kommission nicht eingeräumt habe, daß die Teilnehmer an den Sitzungen des JMC keine Notizen hätten anfertigen sollen.

263.
    Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnr. 67), stellen das Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke über die Sitzungen des JMC in Anbetracht der Zahl und der zeitlichen Dauer dieser Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen hinreichenden Beweis für die Behauptung der Kommission dar, daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen getroffen worden seien.

264.
    Folglich ist der zweite Teil des Klagegrundes unbegründet.

265.
    Nach alledem ist der Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.

Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung

Vorbringen der Parteien

266.
    Die Klägerin trägt vor, der Grundsatz der Gleichbehandlung sei dadurch verletzt worden, daß ihre Geldbuße trotz ihrer Kooperationsbereitschaft nicht herabgesetzt worden sei. Sie habe von Anfang an ihre sporadische Teilnahme an den Sitzungen des JMC und ihre Teilnahme am Informationsaustauschsystem der FIDES eingeräumt. Insbesondere habe die Kommission selbst ihre Kooperation in bezug auf ihre Teilnahme an den Sitzungen des JMC anerkannt. Sie habe folglich so weit wie möglich kooperiert, denn sie habe eine nicht existierende Mitwirkung auch nicht zugeben können.

267.
    Durch die Herabsetzung der Geldbußen von Rena und Stora, nicht aber ihrer Geldbuße, um zwei Drittel habe die Kommission sie schlechter behandelt.

268.
    Sie sei auch schlechter behandelt worden als die Unternehmen, deren Geldbußen um ein Drittel herabgesetzt worden seien, weil sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht bestritten hätten.

269.
    Die Kommission trägt vor, die Klägerin habe keine maßgebliche Kooperation bei der Sachverhaltsermittlung gezeigt. Sie habe ihre Teilnahme an einigen Sitzungen des JMC eingeräumt, aber stets geltend gemacht, daß dies nur zur Erlangung genauer Marktdaten im Hinblick auf die geplante Investition geschehen sei. Sie habe jede Beteiligung an einem illegalen Preis- und Mengenkartell geleugnet.

Würdigung durch das Gericht

270.
    Die Klägerin hat in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eingeräumt, am Informationsaustauschsystem der FIDES und an einigen Sitzungen

des JMC teilgenommen zu haben. Sie hat darin jedoch — ebenso wie in ihrer Klageschrift — namentlich bestritten, sich an einer Preisabsprache und einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligt zu haben.

271.
    Die Kommission hat zu Recht die Ansicht vertreten, daß sich die Klägerin mit dieser Erwiderung nicht in einer Weise verhalten habe, die eine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund einer Kooperation während des Verwaltungsverfahrens rechtfertige. Eine Herabsetzung aus diesem Grund ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden (vgl. Urteil ICI/Kommission, Randnr. 393).

272.
     Der Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

273.
    Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären, und Artikel 2 ist in bezug auf sie teilweise für nichtig zu erklären.

274.
    Hinsichtlich der in Artikel 3 der Entscheidung gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße ist zunächst zu klären, ob die Tatsache, daß der Klägerin im Rahmen der von ihr begangenen Zuwiderhandlung keine Absprache über die Marktanteile zur Last gelegt werden kann, zu einer Herabsetzung dieser Geldbuße führen muß.

275.
    Das Gericht ist im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung der Ansicht, daß die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages so schwerwiegend bleibt, daß die Geldbuße nicht herabzusetzen ist.

276.
    Die Klägerin nahm nicht an den Sitzungen des PWG teil und wurde daher nicht als „Anführer“ des Kartells zur Verantwortung gezogen. Da sie nach Angaben der Kommission nicht zu den „treibenden Kräften“ des Kartells gehörte (Randnr. 170 Absatz 1 der Entscheidung), wurde gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 7,5 % ihres im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes im Kartonbereich verhängt. Dieses allgemeine Bußgeldniveau erscheint gerechtfertigt.

277.
    Auch wenn die Kommission zu Unrecht angenommen hat, daß den nicht im PWG vertretenen Herstellern die Absprache über die Marktanteile „sehr wohl bekannt“ gewesen sei (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung), geht zudem aus der Entscheidung selbst hervor, daß sich die dem PWG angehörenden Unternehmen über das „Einfrieren“ der Marktanteile verständigten (vgl. u. a. Randnr. 52) und daß über die Marktanteile der dort nicht vertretenen Hersteller nicht gesprochen wurde. Im übrigen führt die Kommission in Randnummer 116 Absatz 3 der Entscheidung aus, „daß die Marktaufteilungsabsprachen (insbesondere das in den Randnummern 56 und 57 beschriebene Einfrieren der Marktanteile) ihrem Wesen nach in erster Linie die führenden Hersteller betrafen“. Die der Klägerin fälschlich

zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile hatte somit, wie die Kommission selbst angibt, namentlich gegenüber der Preisabsprache nur ergänzenden Charakter.

278.
    Was die Klagegründe anbelangt, die auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße gerichtet sind, so hat die Kommission nach den Feststellungen des Gerichts bei der Ermittlung ihrer Höhe fälschlich den von der Klägerin im Jahr 1990 durch den Verkauf der Sorten Duplex KO und Silbergrau erzielten Umsatz herangezogen. In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts hat die Klägerin eine von einem Wirtschaftsprüfer bestätigte Erklärung übersandt, die eine Aufschlüsselung des von ihr im Jahr 1990 erzielten Umsatzes nach Kartonsorten enthält. Anhand dieser Erklärung kann das Gericht ermitteln, wie groß der von der Kommission fälschlich herangezogene Teil des Umsatzes der Klägerin ist. Da die übrigen Klagegründe zurückgewiesen worden sind, setzt das Gericht die in Artikel 3 der Entscheidung gegen die Klägerin verhängte Geldbuße in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf 730 000 ECU fest.

Kosten

279.
    Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten, jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 — Karton) wird in bezug auf die Klägerin für nichtig erklärt.

2.    Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung 94/601 wird in bezug auf die Klägerin mit Ausnahme folgender Passagen für nichtig erklärt:

    „Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches

oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,

    a)    durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.

    Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln läßt, ausschließt.“

3.     Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wird auf 730 000 ECU festgesetzt.

4.    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

5.    Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Vesterdorf
Briët
Lindh

            Potocki                        Cooke

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Mai 1998.

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

B. Vesterdorf

Inhaltsverzeichnis

     Sachverhalt

II -

     Verfahren

II -

     Anträge der Parteien

II -

     Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung

II -

         Zum Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht und eines Verstoßes gegen die Verpflichtungen im Bereich der Beweislast

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

         Zum Klagegrund der fehlenden Teilnahme der Klägerin an geheimen und institutionalisierten Sitzungen und regelmäßigen Preisabsprachen

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

                 — Zur Teilnahme der Klägerin an einer Reihe „geheimer und institutionalisierter Sitzungen“

II -

                 — Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache

II -

                 — Zur rechtlichen Einordnung der Zuwiderhandlung

II -

         Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an der Durchführung der Preiserhöhungen

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

         Zum Klagegrund der fehlenden Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile und einer Absprache über die Kapazitäten

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

            Würdigung durch das Gericht

II -

                 — Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten

II -

                 — Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile

II -

         Zum Klagegrund einer unzutreffenden Beurteilung der Teilnahme der Klägerin am Informationsaustauschsystem der FIDES

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

     Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung

II -

         Vorbringen der Parteien

II -

         Würdigung durch das Gericht

II -

     Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße

II -

         Zu den Klagegründen, die Fragen betreffen, über die gemeinsam mündlich verhandelt wurde

II -

         Zu den Klagegründen der Heranziehung einer falschen Umsatzzahl durch die Kommission und einer damit verbundenen Verletzung der Begründungspflicht und der Verteidigungsrechte

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

                 — Zu dem auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und eine Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin gestützten Vorbringen

II -

                 — Zur Frage, ob sich die Zuwiderhandlung auf die Sorten Printa und Duplex KO erstreckte

II -

                 — Zu dem bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße herangezogenen Umsatz

II -

         Zum Klagegrund der begrenzten Beteiligung der Klägerin an den Gremien der PG Karton sowie des fehlenden Vorsatzes

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

                 — Zum ersten Teil des Klagegrundes

II -

                 — Zum zweiten Teil des Klagegrundes

II -

         Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung

II -

             Vorbringen der Parteien

II -

             Würdigung durch das Gericht

II -

     Kosten

II -


1: Verfahrenssprache: Deutsch.