Language of document : ECLI:EU:C:1998:415

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)

17. September 1998 (1)

„Verkehr — Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes — Antrag auf Aufhebung eines Teils der mit dem Dienst verbundenen Verpflichtung“

In der Rechtssache C-412/96

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Korkein Hallinto-oikeus (Finnland) in der bei diesem anhängigen Rechtssache

Kainuun Liikenne Oy,

Oy Pohjolan Liikenne Ab,

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 156, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991 (ABl. L 169, S. 1), insbesondere ihres Artikels 1 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 4,

erläßt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten H. Ragnemalm sowie der Richter R. Schintgen, G. F. Mancini, P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter) und G. Hirsch,

Generalanwalt: P. Léger


Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

—    der Kainuun Liikenne Oy und Oy Pohjolan Liikenne Ab, vertreten durch Rechtsanwalt Ari Heinilä, Helsinki,

—    der finnischen Regierung, vertreten durch Botschafter Holger Rotkirch, Leiter der Abteilung für Rechtsangelegenheiten im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

—    der belgischen Regierung, vertreten durch Jan Devadder, Conseiller général, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten,

—    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Hauptrechtsberater Allan Rosas und Laura Pignataro, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kainuun Liikenne Oy und Oy Pohjolan Liikenne Ab, vertreten durch Pekka Aalto, Syndikus der Gesellschaft Linja-autoliitto, der finnischen Regierung, vertreten durch Rechtsberaterin Tuula Pynnä, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch Allan Rosas und Laura Pignataro, in der Sitzung vom 29. Januar 1998,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. März 1998,

folgendes

Urteil

1.
    Das Korkein Hallinto-oikeus hat mit Beschluß vom 13. Dezember 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 156, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991 (ABl. L 169, S. 1; nachstehend: Verordnung), insbesondere ihres Artikels 1 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 4, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.
    Diese Fragen stellen sich in einer Rechtssache, in der die Kainuun Liikenne Oy (nachstehend: Kainuun Liikenne) und die Oy Pohjolan Liikenne Ab (nachstehend: Pohjolan Liikenne), zwei Verkehrsunternehmen, gegen den Bescheid des Oulun Lääninhallitus (nachstehend: Provinzregierung) geklagt haben, mit dem ihr Antrag auf teilweise Aufhebung ihrer Verpflichtung zur Personenbeförderung auf der Linie, für die sie eine Konzession haben, abgelehnt worden ist.

Der rechtliche Rahmen

3.
    Ziel der Verordnung ist die Beseitigung der Unterschiede, die sich dadurch ergeben, daß die Mitgliedstaaten den Verkehrsunternehmen mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundene Verpflichtungen auferlegen; diese Unterschiede führen zu einer erheblichen Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen. In gewissen Fällen müssen die Verpflichtungen jedoch aufrechterhalten werden, um eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen.

4.
    Nach Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung heben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs auferlegten, in der Verordnung definierten Verpflichtungen auf, die mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbunden sind.

5.
    Nach Artikel 1 Absatz 4 der Verordnung können die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten jedoch gemäß den Bedingungen und Einzelheiten des Abschnitts V der Verordnung mit einem Verkehrsunternehmen Verträge über Verkehrsdienste abschließen, um insbesondere unter Berücksichtigung sozialer, umweltpolitischer und landesplanerischer Faktoren eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen oder um Sondertarife für bestimmte Gruppen von Reisenden anzubieten.

6.
    Artikel 3 der Verordnung bestimmt:

„(1) Wenn die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die völlige oder teilweise Aufrechterhaltung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes anordnen und mehrere Lösungen unter gleichartigen Bedingungen eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherstellen würden, so wählen die zuständigen Behörden

diejenige Lösung, welche die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt.

(2) Die ausreichende Verkehrsbedienung ist nach folgenden Merkmalen zu beurteilen:

a)    dem öffentlichen Interesse;

b)    der Möglichkeit, andere Verkehrsmittel einzusetzen, sowie der Feststellung, ob diese Verkehrsmittel geeignet sind, die betreffenden Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen;

c)    den Beförderungsentgelten und -bedingungen, welche den Verkehrsnutzern angeboten werden können.“

7.
    Nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung ist es Sache der Verkehrsunternehmen, bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die völlige oder teilweise Aufhebung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes zu beantragen, wenn ihnen aus dieser Verpflichtung wirtschaftliche Nachteile erwachsen.

8.
    Artikel 5 der Verordnung stellt namentlich klar, daß aus einer Betriebs- oder Beförderungspflicht wirtschaftliche Nachteile erwachsen, wenn die Verringerung der Belastungen, die durch die völlige oder teilweise Aufhebung dieser Verpflichtung zu einer Leistung oder zu einer Gesamtheit von dieser Verpflichtung unterliegenden Leistungen erreicht werden kann, stärker ist als der Rückgang der sich aus dieser Aufhebung ergebenden Einnahmen.

9.
    Nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung sehen die Entscheidungen über eine befristete, völlige oder teilweise Beibehaltung oder Aufhebung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes die Gewährung eines Ausgleichs für die dadurch entstehenden Belastungen vor, der nach den gemeinsamen Methoden dieser Verordnung errechnet wird.

10.
    Artikel 7 der Verordnung bestimmt, daß die Entscheidung über die Aufrechterhaltung mit Auflagen verbunden werden kann, die dazu bestimmt sind, den Ertrag der der Verpflichtung unterliegenden Leistungen zu verbessern.

11.
    Die Verordnung ist in Finnland am 1. Januar 1994 mit dem Beitritt der Republik Finnland zum Europäischen Wirtschaftsraum in Kraft getreten.

Das Ausgangsverfahren

12.
    Am 21. Dezember 1993 erteilte das finnische Verkehrsministerium der Kainuun Liikenne und der Pohjolan Liikenne eine vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 2003 gültige Konzession für den Linienverkehr mit Omnibussen auf der Strecke Kajaani-Rukatunturi (etwa 275 km). Diese Konzession berechtigt die Gesellschaften

zum Betrieb eines Busverkehrs auf der genannten Strecke unter Einhaltung eines bestimmten Fahrplans.

13.
    Nach dem Beitritt der Republik Finnland zum Europäischen Wirtschaftsraum und dem Inkrafttreten der Verordnung in Finnland forderte das Verkehrsministerium die Linienbusunternehmen auf, Anträge für den Linienverkehr ab Juni 1995 bei den zuständigen Behörden bis zum 1. September 1994 einzureichen. In den Anträgen mußte die Aufhebung der Verkehrsverbindungen beantragt werden, die die Unternehmen nicht aus Fahrgasteinnahmen allein betreiben konnten.

14.
    Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens beantragten daher die teilweise Aufhebung ihrer Verpflichtung zum Betrieb der Linie Kajaani-Rukatunturi in der Weise, daß diese nur die Strecken Kajaani-Peranka und Kajaani-Suomussalmi umfassen sollte. Nach dem Antrag war die Verbindung insgesamt verlustbringend. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erklärten sich jedoch bereit, den Betrieb auf dieser Linie aufrechtzuerhalten und mit der Provinzregierung über einen Vertrag über Verkehrsdienste zu verhandeln, durch den die Bereitstellung öffentlicher Mittel für den Teil der Strecke gewährleistet werden sollte, für den sie die Aufhebung der Beförderungspflicht beantragt hatten.

15.
    Mit Entscheidung vom 9. Januar 1995 lehnte die Provinzregierung diesen Antrag mit der Begründung ab, die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens hätten nicht nach Artikel 5 der Verordnung nachgewiesen, daß sie bei einer Beschränkung der Strecken auf die Endpunkte Peranka und Suomussalmi wirtschaftlich günstigere Ergebnisse erzielten als bei einer Fortführung des Verkehrs in der früheren Weise. Die Antragsteller hätten das Recht auf vollständige Einstellung des betreffenden Betriebes. Die nur teilweise Aufhebung der Betriebspflicht sei dagegen im vorliegenden Fall keine geeignete Lösung, da die betreffende Verkehrsverbindung als fester Bestandteil der Linie Kajaani-Rukatunturi anzusehen sei.

16.
    Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erhoben gegen die Entscheidung der Provinzregierung Nichtigkeitsklage beim Korkein Hallinto-oikeus. Zur Begründung ihrer Klage berufen sie sich auf die Verordnung, aus der sich ergebe, daß die Provinzregierung die teilweise Aufhebung des Linienverkehrs nicht hätte ablehnen dürfen.

17.
    Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist davon auszugehen, daß die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens anhand der von ihnen nach Artikel 5 Absatz 2 vorgelegten Bilanzen nachgewiesen hätten, daß die Teilstrecke, für die sie die Aufhebung ihrer Betriebspflicht beantragt hätten, für sie wirtschaftliche Nachteile im Sinne des Artikels 4 der Verordnung mit sich bringe, da die Verringerung der Belastungen durch die teilweise Aufhebung stärker sei als der Rückgang der sich aus dieser Aufhebung ergebenden Einnahmen.

18.
    Wenn ein Verkehrsunternehmen den aufgrund einer geltenden Konzession betriebenen Verkehr einschränken möchte, so besteht nach Angaben des vorlegenden Gerichts das nach den nationalen Rechtsvorschriften hierfür vorgesehene Verfahren darin, daß zunächst die Betriebskonzession auf Antrag des Verkehrsunternehmens hin entzogen und anschließend eine neue Konzession für diese eingeschränkte Verkehrsbedienung erteilt werde. Dieses Verfahren erlaube auch, vor Erteilung einer Konzession für die eingeschränkte Verkehrsbedienung eine Ausschreibung über den alten Streckenbetrieb durchzuführen, wenn die Aufrechterhaltung dieses Betriebes als erforderlich angesehen werde. Im übrigen sei die zuständige Behörde nach den nationalen Rechtsvorschriften auch befugt, die Konzession von Amts wegen unter den Bedingungen des Artikels 20 des Gesetzes Nr. 662/1994 über die Personenbeförderung zu entziehen.

19.
    Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, daß es für den Zugang neuer Unternehmen zum Markt, für die zweckmäßige Organisation des Verkehrs, für die Aufrechterhaltung ausreichender Verkehrsdienste mit möglichst geringer öffentlicher Unterstützung und für einen wirksamen Wettbewerb bei der Vergabe des Auftrags für einen Verkehrsdienst aufgrund der Verhältnisse in Finnland erforderlich sein könne, die zuständige Behörde, ohne daß dem das Gemeinschaftsrecht entgegenstehe, für befugt anzusehen, einen Antrag auf teilweise Aufhebung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes abzulehnen, die im Rahmen der Verkehrsorganisation einen der Betriebspflicht des Verkehrsunternehmens unterliegenden kleinen unrentablen Teil betreffe, oder einem Unternehmen, das die teilweise Aufhebung der Betriebspflicht beantragt habe, die Beförderungskonzession nach den nationalen Rechtsvorschriften von Amts wegen zu entziehen, wenn dies für die zweckmäßige Organisation des Verkehrs erforderlich sei.

20.
    Aufgrund dessen hat das Korkein Hallinto-oikeus beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.    Ist die Verordnung über die mit dem öffentlichen Dienst verbundenen Verpflichtungen [Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91], insbesondere deren Artikel 4 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 3, so auszulegen, daß sie es einem Verkehrsunternehmen ermöglicht, die Aufhebung irgendeines beliebig großen Teils seiner Betriebspflicht, z. B. nur eines bestimmten Teils einer einzigen Verkehrslinie, zu erreichen?

2.    Ist, wenn die erste Frage mit oder ohne Vorbehalt bejaht wird, wobei das Korkein Hallinto-oikeus die Sache möglicherweise an die Provinzregierung zur erneuten Behandlung zurückverweist, für eine endgültige Entscheidung der Sache zu klären, ob das dem Verkehrsunternehmen durch die genannte Verordnung zuerkannte Recht auf teilweise Aufhebung der Betriebspflicht auch zur Folge hat, daß die den Behörden nach den nationalen

Rechtsvorschriften eingeräumte Befugnis zum Entzug der Beförderungskonzession zum Zweck einer sachdienlichen Neuordnung des Verkehrs dann ausgeschlossen oder eingeschränkt ist, wenn die Notwendigkeit der Neuordnung durch die teilweise Aufhebung bedingt ist.

Einleitende Erwägungen

21.
    Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens halten die Darstellung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht für unzutreffend und haben daher zusätzliche Fragen gestellt, über die sie ebenfalls eine Entscheidung des Gerichtshofes herbeiführen möchten, damit ihrem Standpunkt gebührend Rechnung getragen wird.

22.
    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes obliegt es dem vorlegenden Gericht, die Tragweite der nationalen Bestimmungen und die Art und Weise ihrer Anwendung zu beurteilen (u. a. Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-194/94, CIA Security International, Slg. 1996, I-2201, Randnr. 20).

23.
    Was die zusätzlichen Fragen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens betrifft, so können nach Artikel 177 des Vertrages nur die staatlichen Gerichte und nicht die Parteien des Ausgangsrechtsstreits den Gerichtshof anrufen. Damit haben auch nur die staatlichen Gerichte zu bestimmen, welche Fragen dem Gerichtshof vorzulegen sind. Die Parteien können die Fragen inhaltlich nicht ändern (u. a. Urteil vom 9. Dezember 1965 in der Rechtssache 44/65, Singer, Slg. 1965, 1267, 1275).

24.
    Eine Beantwortung der von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in ihren Erklärungen angeführten zusätzlichen Fragen wäre mit der dem Gerichtshof durch Artikel 177 des Vertrages übertragenen Rolle sowie mit seiner Verpflichtung unvereinbar, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu verschaffen, gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben, da den Verfahrensbeteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. u. a. Urteil vom 20. März 1997 in der Rechtssache C-352/95, Phytheron International, Slg. 1997, I-1729, Randnr. 14).

Zur ersten Frage

25.
    Mit der ersten Frage, versteht man sie im Lichte der zweiten, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung, insbesondere deren Artikel 1 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 4, dem Verkehrsunternehmer ein Recht auf teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen Dienst verbundenen Verpflichtung einräumt.

26.
    Nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung kann ein Verkehrsunternehmer die völlige Aufhebung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes oder eines beliebigen

Teils derselben beantragen, doch enthält diese Verordnung keine Bestimmung, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, diesem Antrag stattzugeben, selbst wenn der Unternehmer nachweist, daß die Aufrechterhaltung der Verpflichtung für ihn wirtschaftliche Nachteile im Sinne des Artikels 5 der Verordnung mit sich bringt.

27.
    Dagegen ergibt sich aus den Artikeln 1 Absatz 4 und 3 der Verordnung, daß die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten eine Verpflichtung des öffentlichen Dienstes völlig oder teilweise aufrechterhalten können, die sie für erforderlich halten, um eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen.

28.
    Diese Auslegung wird, wie der Generalanwalt in den Nummern 40 bis 45 seiner Schlußanträge hervorgehoben hat, sowohl durch das Ziel als auch durch die allgemeine Systematik der Verordnung bestätigt.

29.
    Infolgedessen räumt die Verordnung einem Verkehrsunternehmen kein Recht auf eine teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen Dienst verbundenen Verpflichtung ein.

30.
    Wie der Generalanwalt in den Nummern 48 bis 51 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, setzt die Entscheidung der Aufrechterhaltung der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes jedoch die Einhaltung bestimmter Vorschriften voraus, insbesondere der Artikel 3, 6 Absatz 2 und 7 der Verordnung.

31.
    Zudem ist, wie in Randnummer 27 dieses Urteils festgestellt worden ist, die völlige oder teilweise Aufrechterhaltung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes nur zulässig, um „eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen“.

32.
    Allerdings ist der Begriff der „Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung“ in der Verordnung nicht definiert. Sie enthält nur einige Anhaltspunkte zur Auslegung dieses Begriffes.

33.
    So heißt es in der zweiten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1191/69 u. a.: „Eine solche Verkehrsbedienung ist nach Angebot und Nachfrage im Verkehr und den Bedürfnissen der Allgemeinheit zu beurteilen.“

34.
    Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung bestimmt, daß die ausreichende Verkehrsbedienung nach dem öffentlichen Interesse, der Möglichkeit, andere Verkehrsmittel einzusetzen, der Feststellung, ob diese Verkehrsmittel geeignet sind, die betreffenden Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen, und den Beförderungsentgelten und -bedingungen zu beurteilen ist, die den Verkehrsnutzern angeboten werden können.

35.
    Nach alledem verfügen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, wenn die Erfordernisse des Artikels 3 der Verordnung beachtet werden, über ein weites Ermessen bei der Beurteilung, ob die „Sicherstellung der ausreichenden

Verkehrsbedienung“ die Aufrechterhaltung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes verlangt.

36.
    Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Verordnung, insbesondere deren Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 4, dahin auszulegen ist, daß sie die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einem Antrag eines Verkehrsunternehmens auf teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen Dienst verbundenen Verpflichtung stattzugeben, selbst wenn dieses Unternehmen nachweist, daß die Aufrechterhaltung seiner Verpflichtung wirtschaftliche Nachteile für es mit sich bringt. Diese Ablehnung kann jedoch nur mit der Notwendigkeit begründet werden, eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen. Dieser Begriff ist nach Artikel 3 der Verordnung nach dem öffentlichen Interesse, der Möglichkeit, andere Verkehrsmittel einzusetzen, der Feststellung, ob diese Verkehrsmittel geeignet sind, die betreffenden Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen, und den Beförderungsentgelten und -bedingungen zu beurteilen, welche den Verkehrsnutzern angeboten werden können. Würden mehrere Lösungen unter gleichartigen Bedingungen eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherstellen, so wählen die zuständigen Behörden diejenige Lösung, welche die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt.

Zur zweiten Frage

37.
    Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich die Beantwortung der zweiten.

Kosten

38.
    Die Auslagen der finnischen und der belgischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Korkein Hallinto-oikeus mit Beschluß vom 13. Dezember 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991, insbesondere deren Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 4, ist dahin auszulegen, daß sie die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einem Antrag eines Verkehrsunternehmens auf teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen Dienst verbundenen Verpflichtung stattzugeben, selbst wenn dieses Unternehmen nachweist, daß die Aufrechterhaltung seiner Verpflichtung wirtschaftliche Nachteile für es mit sich bringt. Diese Ablehnung kann jedoch nur mit der Notwendigkeit begründet werden, eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen. Dieser Begriff ist nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 1191/69 nach dem öffentlichen Interesse, der Möglichkeit, andere Verkehrsmittel einzusetzen, der Feststellung, ob diese Verkehrsmittel geeignet sind, die betreffenden Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen, und den Beförderungsentgelten und -bedingungen zu beurteilen, welche den Verkehrsnutzern angeboten werden können. Würden mehrere Lösungen unter gleichartigen Bedingungen eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherstellen, so wählen die zuständigen Behörden diejenige Lösung, welche die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich bringt.

Ragnemalm

Schintgen
Mancini

        Kapteyn                    Hirsch

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. September 1998.

Der Kanzler

Der Präsident der Sechsten Kammer

R. Grass

H. Ragnemalm


1: Verfahrenssprache: Finnisch.