URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
17. September 1998 (1)
„Verkehr Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes Antrag auf Aufhebung
eines Teils der mit dem Dienst verbundenen Verpflichtung“
In der Rechtssache C-412/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Korkein
Hallinto-oikeus (Finnland) in der bei diesem anhängigen Rechtssache
Kainuun Liikenne Oy,
Oy Pohjolan Liikenne Ab,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung
(EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der
Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen
Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und
Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 156, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG)
Nr. 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991 (ABl. L 169, S. 1), insbesondere ihres
Artikels 1 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 4,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten H. Ragnemalm sowie der Richter
R. Schintgen, G. F. Mancini, P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter) und G. Hirsch,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Kainuun Liikenne Oy und Oy Pohjolan Liikenne Ab, vertreten durch
Rechtsanwalt Ari Heinilä, Helsinki,
der finnischen Regierung, vertreten durch Botschafter Holger Rotkirch,
Leiter der Abteilung für Rechtsangelegenheiten im Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
der belgischen Regierung, vertreten durch Jan Devadder, Conseiller général,
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und
Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Hauptrechtsberater Allan Rosas und Laura Pignataro, Juristischer Dienst,
als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kainuun Liikenne Oy und Oy
Pohjolan Liikenne Ab, vertreten durch Pekka Aalto, Syndikus der Gesellschaft
Linja-autoliitto, der finnischen Regierung, vertreten durch Rechtsberaterin Tuula
Pynnä, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, und der
Kommission, vertreten durch Allan Rosas und Laura Pignataro, in der Sitzung vom
29. Januar 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. März
1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Korkein Hallinto-oikeus hat mit Beschluß vom 13. Dezember 1996, beim
Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag
zwei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates
vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des
öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des
Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 156, S. 1) in der Fassung
der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des Rates vom 20. Juni 1991 (ABl. L 169,
S. 1; nachstehend: Verordnung), insbesondere ihres Artikels 1 Absatz 3 in
Verbindung mit Artikel 4, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einer Rechtssache, in der die Kainuun Liikenne Oy
(nachstehend: Kainuun Liikenne) und die Oy Pohjolan Liikenne Ab (nachstehend:
Pohjolan Liikenne), zwei Verkehrsunternehmen, gegen den Bescheid des Oulun
Lääninhallitus (nachstehend: Provinzregierung) geklagt haben, mit dem ihr Antrag
auf teilweise Aufhebung ihrer Verpflichtung zur Personenbeförderung auf der
Linie, für die sie eine Konzession haben, abgelehnt worden ist.
Der rechtliche Rahmen
- 3.
- Ziel der Verordnung ist die Beseitigung der Unterschiede, die sich dadurch
ergeben, daß die Mitgliedstaaten den Verkehrsunternehmen mit dem Begriff des
öffentlichen Dienstes verbundene Verpflichtungen auferlegen; diese Unterschiede
führen zu einer erheblichen Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen. In
gewissen Fällen müssen die Verpflichtungen jedoch aufrechterhalten werden, um
eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen.
- 4.
- Nach Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung heben die zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten die auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und
Binnenschiffsverkehrs auferlegten, in der Verordnung definierten Verpflichtungen
auf, die mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbunden sind.
- 5.
- Nach Artikel 1 Absatz 4 der Verordnung können die zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten jedoch gemäß den Bedingungen und Einzelheiten des Abschnitts
V der Verordnung mit einem Verkehrsunternehmen Verträge über
Verkehrsdienste abschließen, um insbesondere unter Berücksichtigung sozialer,
umweltpolitischer und landesplanerischer Faktoren eine ausreichende
Verkehrsbedienung sicherzustellen oder um Sondertarife für bestimmte Gruppen
von Reisenden anzubieten.
- 6.
- Artikel 3 der Verordnung bestimmt:
„(1) Wenn die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die völlige oder teilweise
Aufrechterhaltung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes anordnen und
mehrere Lösungen unter gleichartigen Bedingungen eine ausreichende
Verkehrsbedienung sicherstellen würden, so wählen die zuständigen Behörden
diejenige Lösung, welche die geringsten Kosten für die Allgemeinheit mit sich
bringt.
(2) Die ausreichende Verkehrsbedienung ist nach folgenden Merkmalen zu
beurteilen:
a) dem öffentlichen Interesse;
b) der Möglichkeit, andere Verkehrsmittel einzusetzen, sowie der Feststellung,
ob diese Verkehrsmittel geeignet sind, die betreffenden Verkehrsbedürfnisse
zu befriedigen;
c) den Beförderungsentgelten und -bedingungen, welche den Verkehrsnutzern
angeboten werden können.“
- 7.
- Nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung ist es Sache der Verkehrsunternehmen,
bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die völlige oder teilweise
Aufhebung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes zu beantragen, wenn
ihnen aus dieser Verpflichtung wirtschaftliche Nachteile erwachsen.
- 8.
- Artikel 5 der Verordnung stellt namentlich klar, daß aus einer Betriebs- oder
Beförderungspflicht wirtschaftliche Nachteile erwachsen, wenn die Verringerung der
Belastungen, die durch die völlige oder teilweise Aufhebung dieser Verpflichtung
zu einer Leistung oder zu einer Gesamtheit von dieser Verpflichtung
unterliegenden Leistungen erreicht werden kann, stärker ist als der Rückgang der
sich aus dieser Aufhebung ergebenden Einnahmen.
- 9.
- Nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung sehen die Entscheidungen über eine
befristete, völlige oder teilweise Beibehaltung oder Aufhebung einer Verpflichtung
des öffentlichen Dienstes die Gewährung eines Ausgleichs für die dadurch
entstehenden Belastungen vor, der nach den gemeinsamen Methoden dieser
Verordnung errechnet wird.
- 10.
- Artikel 7 der Verordnung bestimmt, daß die Entscheidung über die
Aufrechterhaltung mit Auflagen verbunden werden kann, die dazu bestimmt sind,
den Ertrag der der Verpflichtung unterliegenden Leistungen zu verbessern.
- 11.
- Die Verordnung ist in Finnland am 1. Januar 1994 mit dem Beitritt der Republik
Finnland zum Europäischen Wirtschaftsraum in Kraft getreten.
Das Ausgangsverfahren
- 12.
- Am 21. Dezember 1993 erteilte das finnische Verkehrsministerium der Kainuun
Liikenne und der Pohjolan Liikenne eine vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember
2003 gültige Konzession für den Linienverkehr mit Omnibussen auf der Strecke
Kajaani-Rukatunturi (etwa 275 km). Diese Konzession berechtigt die Gesellschaften
zum Betrieb eines Busverkehrs auf der genannten Strecke unter Einhaltung eines
bestimmten Fahrplans.
- 13.
- Nach dem Beitritt der Republik Finnland zum Europäischen Wirtschaftsraum und
dem Inkrafttreten der Verordnung in Finnland forderte das Verkehrsministerium
die Linienbusunternehmen auf, Anträge für den Linienverkehr ab Juni 1995 bei
den zuständigen Behörden bis zum 1. September 1994 einzureichen. In den
Anträgen mußte die Aufhebung der Verkehrsverbindungen beantragt werden, die
die Unternehmen nicht aus Fahrgasteinnahmen allein betreiben konnten.
- 14.
- Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens beantragten daher die teilweise
Aufhebung ihrer Verpflichtung zum Betrieb der Linie Kajaani-Rukatunturi in der
Weise, daß diese nur die Strecken Kajaani-Peranka und Kajaani-Suomussalmi
umfassen sollte. Nach dem Antrag war die Verbindung insgesamt verlustbringend.
Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erklärten sich jedoch bereit, den Betrieb
auf dieser Linie aufrechtzuerhalten und mit der Provinzregierung über einen
Vertrag über Verkehrsdienste zu verhandeln, durch den die Bereitstellung
öffentlicher Mittel für den Teil der Strecke gewährleistet werden sollte, für den sie
die Aufhebung der Beförderungspflicht beantragt hatten.
- 15.
- Mit Entscheidung vom 9. Januar 1995 lehnte die Provinzregierung diesen Antrag
mit der Begründung ab, die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens hätten nicht nach
Artikel 5 der Verordnung nachgewiesen, daß sie bei einer Beschränkung der
Strecken auf die Endpunkte Peranka und Suomussalmi wirtschaftlich günstigere
Ergebnisse erzielten als bei einer Fortführung des Verkehrs in der früheren Weise.
Die Antragsteller hätten das Recht auf vollständige Einstellung des betreffenden
Betriebes. Die nur teilweise Aufhebung der Betriebspflicht sei dagegen im
vorliegenden Fall keine geeignete Lösung, da die betreffende Verkehrsverbindung
als fester Bestandteil der Linie Kajaani-Rukatunturi anzusehen sei.
- 16.
- Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erhoben gegen die Entscheidung der
Provinzregierung Nichtigkeitsklage beim Korkein Hallinto-oikeus. Zur Begründung
ihrer Klage berufen sie sich auf die Verordnung, aus der sich ergebe, daß die
Provinzregierung die teilweise Aufhebung des Linienverkehrs nicht hätte ablehnen
dürfen.
- 17.
- Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist davon auszugehen, daß die Klägerinnen
des Ausgangsverfahrens anhand der von ihnen nach Artikel 5 Absatz 2 vorgelegten
Bilanzen nachgewiesen hätten, daß die Teilstrecke, für die sie die Aufhebung ihrer
Betriebspflicht beantragt hätten, für sie wirtschaftliche Nachteile im Sinne des
Artikels 4 der Verordnung mit sich bringe, da die Verringerung der Belastungen
durch die teilweise Aufhebung stärker sei als der Rückgang der sich aus dieser
Aufhebung ergebenden Einnahmen.
- 18.
- Wenn ein Verkehrsunternehmen den aufgrund einer geltenden Konzession
betriebenen Verkehr einschränken möchte, so besteht nach Angaben des
vorlegenden Gerichts das nach den nationalen Rechtsvorschriften hierfür
vorgesehene Verfahren darin, daß zunächst die Betriebskonzession auf Antrag des
Verkehrsunternehmens hin entzogen und anschließend eine neue Konzession für
diese eingeschränkte Verkehrsbedienung erteilt werde. Dieses Verfahren erlaube
auch, vor Erteilung einer Konzession für die eingeschränkte Verkehrsbedienung
eine Ausschreibung über den alten Streckenbetrieb durchzuführen, wenn die
Aufrechterhaltung dieses Betriebes als erforderlich angesehen werde. Im übrigen
sei die zuständige Behörde nach den nationalen Rechtsvorschriften auch befugt, die
Konzession von Amts wegen unter den Bedingungen des Artikels 20 des Gesetzes
Nr. 662/1994 über die Personenbeförderung zu entziehen.
- 19.
- Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, daß es für den Zugang neuer
Unternehmen zum Markt, für die zweckmäßige Organisation des Verkehrs, für die
Aufrechterhaltung ausreichender Verkehrsdienste mit möglichst geringer
öffentlicher Unterstützung und für einen wirksamen Wettbewerb bei der Vergabe
des Auftrags für einen Verkehrsdienst aufgrund der Verhältnisse in Finnland
erforderlich sein könne, die zuständige Behörde, ohne daß dem das
Gemeinschaftsrecht entgegenstehe, für befugt anzusehen, einen Antrag auf teilweise
Aufhebung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes abzulehnen, die im
Rahmen der Verkehrsorganisation einen der Betriebspflicht des
Verkehrsunternehmens unterliegenden kleinen unrentablen Teil betreffe, oder
einem Unternehmen, das die teilweise Aufhebung der Betriebspflicht beantragt
habe, die Beförderungskonzession nach den nationalen Rechtsvorschriften von
Amts wegen zu entziehen, wenn dies für die zweckmäßige Organisation des
Verkehrs erforderlich sei.
- 20.
- Aufgrund dessen hat das Korkein Hallinto-oikeus beschlossen, das Verfahren
auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorzulegen:
1. Ist die Verordnung über die mit dem öffentlichen Dienst verbundenen
Verpflichtungen [Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der
Verordnung (EWG) Nr. 1893/91], insbesondere deren Artikel 4 in
Verbindung mit Artikel 1 Absatz 3, so auszulegen, daß sie es einem
Verkehrsunternehmen ermöglicht, die Aufhebung irgendeines beliebig
großen Teils seiner Betriebspflicht, z. B. nur eines bestimmten Teils einer
einzigen Verkehrslinie, zu erreichen?
2. Ist, wenn die erste Frage mit oder ohne Vorbehalt bejaht wird, wobei das
Korkein Hallinto-oikeus die Sache möglicherweise an die Provinzregierung
zur erneuten Behandlung zurückverweist, für eine endgültige Entscheidung
der Sache zu klären, ob das dem Verkehrsunternehmen durch die genannte
Verordnung zuerkannte Recht auf teilweise Aufhebung der Betriebspflicht
auch zur Folge hat, daß die den Behörden nach den nationalen
Rechtsvorschriften eingeräumte Befugnis zum Entzug der
Beförderungskonzession zum Zweck einer sachdienlichen Neuordnung des
Verkehrs dann ausgeschlossen oder eingeschränkt ist, wenn die
Notwendigkeit der Neuordnung durch die teilweise Aufhebung bedingt ist.
Einleitende Erwägungen
- 21.
- Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens halten die Darstellung des nationalen
Rechts durch das vorlegende Gericht für unzutreffend und haben daher zusätzliche
Fragen gestellt, über die sie ebenfalls eine Entscheidung des Gerichtshofes
herbeiführen möchten, damit ihrem Standpunkt gebührend Rechnung getragen
wird.
- 22.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes obliegt es dem vorlegenden Gericht,
die Tragweite der nationalen Bestimmungen und die Art und Weise ihrer
Anwendung zu beurteilen (u. a. Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache
C-194/94, CIA Security International, Slg. 1996, I-2201, Randnr. 20).
- 23.
- Was die zusätzlichen Fragen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens betrifft, so
können nach Artikel 177 des Vertrages nur die staatlichen Gerichte und nicht die
Parteien des Ausgangsrechtsstreits den Gerichtshof anrufen. Damit haben auch nur
die staatlichen Gerichte zu bestimmen, welche Fragen dem Gerichtshof vorzulegen
sind. Die Parteien können die Fragen inhaltlich nicht ändern (u. a. Urteil vom 9.
Dezember 1965 in der Rechtssache 44/65, Singer, Slg. 1965, 1267, 1275).
- 24.
- Eine Beantwortung der von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in ihren
Erklärungen angeführten zusätzlichen Fragen wäre mit der dem Gerichtshof durch
Artikel 177 des Vertrages übertragenen Rolle sowie mit seiner Verpflichtung
unvereinbar, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Verfahrensbeteiligten
die Möglichkeit zu verschaffen, gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des
Gerichtshofes Erklärungen abzugeben, da den Verfahrensbeteiligten nach dieser
Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. u. a. Urteil vom
20. März 1997 in der Rechtssache C-352/95, Phytheron International, Slg. 1997,
I-1729, Randnr. 14).
Zur ersten Frage
- 25.
- Mit der ersten Frage, versteht man sie im Lichte der zweiten, möchte das
vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung, insbesondere deren Artikel 1
Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 4, dem Verkehrsunternehmer ein Recht auf
teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen Dienst verbundenen Verpflichtung
einräumt.
- 26.
- Nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung kann ein Verkehrsunternehmer die völlige
Aufhebung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes oder eines beliebigen
Teils derselben beantragen, doch enthält diese Verordnung keine Bestimmung, die
die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, diesem Antrag stattzugeben, selbst wenn der
Unternehmer nachweist, daß die Aufrechterhaltung der Verpflichtung für ihn
wirtschaftliche Nachteile im Sinne des Artikels 5 der Verordnung mit sich bringt.
- 27.
- Dagegen ergibt sich aus den Artikeln 1 Absatz 4 und 3 der Verordnung, daß die
zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten eine Verpflichtung des öffentlichen
Dienstes völlig oder teilweise aufrechterhalten können, die sie für erforderlich
halten, um eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen.
- 28.
- Diese Auslegung wird, wie der Generalanwalt in den Nummern 40 bis 45 seiner
Schlußanträge hervorgehoben hat, sowohl durch das Ziel als auch durch die
allgemeine Systematik der Verordnung bestätigt.
- 29.
- Infolgedessen räumt die Verordnung einem Verkehrsunternehmen kein Recht auf
eine teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen Dienst verbundenen
Verpflichtung ein.
- 30.
- Wie der Generalanwalt in den Nummern 48 bis 51 seiner Schlußanträge ausgeführt
hat, setzt die Entscheidung der Aufrechterhaltung der Verpflichtungen des
öffentlichen Dienstes jedoch die Einhaltung bestimmter Vorschriften voraus,
insbesondere der Artikel 3, 6 Absatz 2 und 7 der Verordnung.
- 31.
- Zudem ist, wie in Randnummer 27 dieses Urteils festgestellt worden ist, die völlige
oder teilweise Aufrechterhaltung einer Verpflichtung des öffentlichen Dienstes nur
zulässig, um „eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen“.
- 32.
- Allerdings ist der Begriff der „Sicherstellung einer ausreichenden
Verkehrsbedienung“ in der Verordnung nicht definiert. Sie enthält nur einige
Anhaltspunkte zur Auslegung dieses Begriffes.
- 33.
- So heißt es in der zweiten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1191/69 u. a.:
„Eine solche Verkehrsbedienung ist nach Angebot und Nachfrage im Verkehr und
den Bedürfnissen der Allgemeinheit zu beurteilen.“
- 34.
- Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung bestimmt, daß die ausreichende
Verkehrsbedienung nach dem öffentlichen Interesse, der Möglichkeit, andere
Verkehrsmittel einzusetzen, der Feststellung, ob diese Verkehrsmittel geeignet sind,
die betreffenden Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen, und den
Beförderungsentgelten und -bedingungen zu beurteilen ist, die den Verkehrsnutzern
angeboten werden können.
- 35.
- Nach alledem verfügen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, wenn die
Erfordernisse des Artikels 3 der Verordnung beachtet werden, über ein weites
Ermessen bei der Beurteilung, ob die „Sicherstellung der ausreichenden
Verkehrsbedienung“ die Aufrechterhaltung einer Verpflichtung des öffentlichen
Dienstes verlangt.
- 36.
- Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Verordnung, insbesondere
deren Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 4, dahin auszulegen ist, daß sie die
Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einem Antrag eines Verkehrsunternehmens
auf teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen Dienst verbundenen
Verpflichtung stattzugeben, selbst wenn dieses Unternehmen nachweist, daß die
Aufrechterhaltung seiner Verpflichtung wirtschaftliche Nachteile für es mit sich
bringt. Diese Ablehnung kann jedoch nur mit der Notwendigkeit begründet werden,
eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen. Dieser Begriff ist nach
Artikel 3 der Verordnung nach dem öffentlichen Interesse, der Möglichkeit, andere
Verkehrsmittel einzusetzen, der Feststellung, ob diese Verkehrsmittel geeignet sind,
die betreffenden Verkehrsbedürfnisse zu befriedigen, und den
Beförderungsentgelten und -bedingungen zu beurteilen, welche den
Verkehrsnutzern angeboten werden können. Würden mehrere Lösungen unter
gleichartigen Bedingungen eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherstellen, so
wählen die zuständigen Behörden diejenige Lösung, welche die geringsten Kosten
für die Allgemeinheit mit sich bringt.
Zur zweiten Frage
- 37.
- Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich die Beantwortung der
zweiten.
Kosten
- 38.
- Die Auslagen der finnischen und der belgischen Regierung sowie der Kommission,
die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Korkein Hallinto-oikeus mit Beschluß vom 13. Dezember 1996
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 über das
Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes
verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und
Binnenschiffsverkehrs in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des
Rates vom 20. Juni 1991, insbesondere deren Artikel 1 Absatz 3 und Artikel 4, ist
dahin auszulegen, daß sie die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, einem Antrag
eines Verkehrsunternehmens auf teilweise Aufhebung seiner mit dem öffentlichen
Dienst verbundenen Verpflichtung stattzugeben, selbst wenn dieses Unternehmen
nachweist, daß die Aufrechterhaltung seiner Verpflichtung wirtschaftliche Nachteile
für es mit sich bringt. Diese Ablehnung kann jedoch nur mit der Notwendigkeit
begründet werden, eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherzustellen. Dieser
Begriff ist nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 1191/69 nach dem öffentlichen
Interesse, der Möglichkeit, andere Verkehrsmittel einzusetzen, der Feststellung, ob
diese Verkehrsmittel geeignet sind, die betreffenden Verkehrsbedürfnisse zu
befriedigen, und den Beförderungsentgelten und -bedingungen zu beurteilen, welche
den Verkehrsnutzern angeboten werden können. Würden mehrere Lösungen unter
gleichartigen Bedingungen eine ausreichende Verkehrsbedienung sicherstellen, so
wählen die zuständigen Behörden diejenige Lösung, welche die geringsten Kosten
für die Allgemeinheit mit sich bringt.
Ragnemalm Schintgen
Mancini
Kapteyn Hirsch
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. September 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
H. Ragnemalm