Language of document : ECLI:EU:T:2022:263

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

27. April 2022(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Duschabflussrinne darstellt – Älteres Geschmacksmuster, das nach Stellung des Antrags auf Nichtigerklärung vorgelegt wurde – Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 – Ermessen der Beschwerdekammer – Anwendungsbereich – Art. 63 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Mündliche Verhandlung und Beweismittel – Art. 64 und 65 der Verordnung Nr. 6/2002 – Nichtigkeitsgrund – Eigenart – Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 – Angaben zum älteren Geschmacksmuster – Kompakter zeitlicher Vorrang – Bestimmung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters – Umfassender Vergleich“

In der Rechtssache T‑327/20,

Group Nivelles NV mit Sitz in Gingelom (Belgien), vertreten durch Rechtsanwalt J. Jonkhout,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Folliard-Monguiral und G. Predonzani als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Easy Sanitary Solutions BV mit Sitz in Oldenzaal (Niederlande), vertreten durch Rechtsanwalt F. Eijsvogels,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 17. März 2020 (Sache R 2664/2017‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Group Nivelles und Easy Sanitary Solutions

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. J. Costeira sowie der Richterinnen M. Kancheva (Berichterstatterin) und T. Perišin,

Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 28. Mai 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 29. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 2. Oktober 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

nach Bestimmung einer anderen Richterin zur Ergänzung der Kammer infolge Verhinderung eines ihrer Mitglieder,

auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2021

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 28. November 2003 meldete die Streithelferin, die Easy Sanitary Solutions BV, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

2        Das angemeldete und im vorliegenden Fall angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster wird in folgenden Abbildungen wiedergegeben:

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3        Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Aufnahme in folgende Erzeugnisse der Klasse 23‑02 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt: „Duschabflussrinnen“ (shower drains).

4        Das angegriffene Geschmacksmuster wurde am 9. März 2004 unter der Nr. 107834-0025 als Gemeinschaftsgeschmacksmuster eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 19/2004 vom selben Tag veröffentlicht. Es wurde mehrfach verlängert, u. a. am 16. Juni 2018.

5        Am 3. September 2009 beantragte die I‑Drain BVBA, die Rechtsvorgängerin der Klägerin, der Group Nivelles NV, gemäß Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002, das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären.

6        Der Antrag wurde auf die Nichtigkeitsgründe nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit den Art. 4 bis 9 dieser Verordnung gestützt.

7        I‑Drain fügte ihrem Antrag auf Nichtigerklärung eine Kopie der internationalen Eintragung DM/059828 (im Folgenden: Eintragung DM/059828 oder Geschmacksmuster DM/059828) bei, die am 2. April 2002 von der Streithelferin angemeldet und am 30. Juni 2002 wie folgt eingetragen worden war:

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8        Nach der Einreichung ihres Antrags auf Nichtigerklärung legte I‑Drain am 2. April 2010 in ihrer Antwort auf die Stellungnahme der Streithelferin neue Dokumente zu anderen Geschmacksmustern vor, darunter insbesondere Auszüge aus zwei Produktkatalogen des Unternehmens Blücher aus den Jahren 1998 und 2000, die jeweils auf S. 33 das folgende Bild enthielten, in dessen Mitte eine Abdeckplatte abgebildet war (im Folgenden: Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen):

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9        Am 30. August 2010 wurde die Klägerin infolge einer Verschmelzung durch Aufnahme Rechtsnachfolgerin von I‑Drain, deren Existenz als juristische Person damit endete.

10      Mit Entscheidung vom 23. September 2010 gab die Nichtigkeitsabteilung dem Antrag auf Nichtigerklärung statt und erklärte das angegriffene Geschmacksmuster auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig, weil es im Vergleich mit der Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen nicht neu im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung sei.

11      Am 15. Oktober 2010 legte die Streithelferin nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.

12      Mit Entscheidung vom 4. Oktober 2012 (im Folgenden: erste Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde statt und hob die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf, soweit sie auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 dieser Verordnung gestützt war, d. h., soweit die Nichtigkeitsabteilung festgestellt hatte, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht neu sei. Sie verwies die Sache an die Nichtigkeitsabteilung zurück, damit diese den Antrag auf Nichtigerklärung, soweit er auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 der Verordnung gestützt wurde, d. h. auf das Fehlen der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters, erneut prüfen sollte.

13      Am 7. Januar 2013 reichte die Klägerin nach Art. 61 der Verordnung Nr. 6/2002 beim Gericht eine Klage gegen die erste Entscheidung ein.

14      Mit Urteil vom 13. Mai 2015, Group Nivelles/HABM – Easy Sanitary Solutions (Duschabflussrinne) (T‑15/13, im Folgenden: erstes Urteil des Gerichts, EU:T:2015:281), hob das Gericht die erste Entscheidung auf und wies die Klage im Übrigen ab. Ebenso wie zuvor das EUIPO berücksichtigte das Gericht als älteres Geschmacksmuster (bzw. als dessen Bestandteil) die Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen, nicht aber das Geschmacksmuster DM/059828.

15      Am 11. Juli bzw. am 24. Juli 2015 legten die Streithelferin und das EUIPO beim Gerichtshof jeweils Rechtsmittel gegen das erste Urteil des Gerichts ein.

16      Mit Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles (C‑361/15 P und C‑405/15 P, im Folgenden: Rechtsmittelurteil, EU:C:2017:720), wies der Gerichtshof die Rechtsmittel zurück, nachdem er allerdings in den Rn. 72 und 134 dieses Urteils zwei Rechtsfehler des Gerichts festgestellt hatte. Erstens entschied der Gerichtshof, dass das Gericht in den Rn. 77 bis 79 und 84 seines ersten Urteils rechtsfehlerhaft vom EUIPO verlangt hatte, im Rahmen der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters verschiedene Teile eines oder mehrerer älterer Geschmacksmuster in den verschiedenen dem Antrag auf Nichtigerklärung beigefügten Auszügen aus den Blücher-Katalogen zusammenzufügen, obwohl die Antragstellerin im Nichtigkeitsverfahren das geltend gemachte Geschmacksmuster nicht vollständig wiedergegeben hatte. Zweitens entschied der Gerichtshof, dass das Gericht in Rn. 132 seines ersten Urteils einen Rechtsfehler begangen hatte, indem es im Rahmen der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters verlangt hatte, dass der informierte Benutzer dieses Geschmacksmusters Kenntnis von dem Erzeugnis haben müsse, in das das ältere Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet worden sei. Da die Rechtsmittel gleichwohl zurückgewiesen wurden, erwuchs die Aufhebung der ersten Entscheidung durch den Tenor des ersten Urteils des Gerichts in Rechtskraft und die Sache wurde an das EUIPO zurückverwiesen.

17      Am 19. Dezember 2017 wurde den Beteiligten vor dem EUIPO mitgeteilt, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung unter dem Aktenzeichen R 2664/2017-3 an die Dritte Beschwerdekammer in neuer Besetzung verwiesen worden sei.

18      Am 24. Juli 2018 übersandte der Berichterstatter der Beschwerdekammer den Beteiligten vor dem EUIPO eine Mitteilung, in der sie darauf hingewiesen wurden, dass es sich bei dem der Beschwerdekammer vorgelegten älteren Geschmacksmuster um das Geschmacksmuster DM/059828 handele, das – im Gegensatz zu der Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen – als einziges im Antrag auf Nichtigerklärung genannt worden sei. Der Berichterstatter hatte nämlich bei der erneuten Prüfung der Akte nach der Zurückverweisung durch den Gerichtshof festgestellt, dass das ältere Geschmacksmuster, das von den Instanzen, die zuvor entschieden hätten, geprüft worden sei, nicht im Antrag auf Nichtigerklärung aufgeführt sei und dieser Antrag auch kein anderes Geschmacksmuster erwähnt habe. Den Beteiligten wurde für die Einreichung ihrer Stellungnahmen eine Frist von zwei Monaten eingeräumt.

19      Am 21. September 2018 reichte die Klägerin ihre Stellungnahme ein.

20      Mit Entscheidung vom 17. März 2020 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde der Streithelferin statt, hob die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und wies den Antrag auf Nichtigerklärung zurück. Einleitend stellte sie fest, dass die Klägerin im Antrag auf Nichtigerklärung als älteres Geschmacksmuster nur das Geschmacksmuster DM/059828 benannt habe und dass die anderen Geschmacksmuster, wie das in den Blücher-Katalogen, später in ergänzenden Erklärungen geltend gemacht worden seien. Sie wies darauf hin, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 dem Antragsteller nicht gestatte, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf bislang nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster stütze.

21      Zum angegriffenen Geschmacksmuster und seinen sichtbaren Merkmalen stellte die Beschwerdekammer fest, dass es für Duschabflussrinnen eingetragen sei, die aus einem Abfluss, einer Wanne und einer Abdeckplatte bestünden, und insbesondere, dass das im angegriffenen Geschmacksmuster dargestellte Erzeugnis seitliche Rillen auf beiden Seiten und dünne Außenkanten aufweise, während die gesamte Oberfläche der Abdeckplatte mit Punkten verziert sei. Die Beschwerdekammer wies darauf hin, dass bei dem vom angegriffenen Geschmacksmuster erfassten „Duschabfluss (shower drain)“, wie sich aus Rn. 49 des ersten Urteils des Gerichts ergebe, nach seiner Installation, d. h. seinem Einbau in den Boden der Dusche, nicht nur der obere Teil der Platte, sondern auch die seitlichen Rillen sowie der obere Teil der Kanten der Wanne sichtbar seien.

22      Hinsichtlich des älteren Geschmacksmusters war die Beschwerdekammer der Ansicht, dass sie eine umfassende Prüfung der vorgelegten Beweise vornehmen müsse, um genau festzustellen, aus welchen Bestandteilen es bestehe, weil es sich nach dem Rechtsmittelurteil und dem ersten Urteil des Gerichts nicht um die Abdeckplatte in der Mitte des Bildes auf S. 33 der Blücher-Kataloge handeln könne, die keine vollständige Vorrichtung zur Ableitung von Flüssigkeiten darstelle. Nach dem Hinweis darauf, dass der Antrag auf Nichtigerklärung den Gegenstand des Verfahrens bestimme, der sich zum einen aus dem angegriffenen Geschmacksmuster und zum anderen aus den geltend gemachten älteren Geschmacksmustern ergebe, stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Klägerin im vorliegenden Fall ihren Antrag auf Nichtigerklärung auf das Geschmacksmuster DM/059828 (oben in Rn. 7 wiedergegeben) gestützt habe.

23      In Bezug auf die technische Funktion des angegriffenen Geschmacksmusters stellte die Beschwerdekammer fest, dass keines seiner Merkmale ausschließlich durch seine technische Funktion bestimmt werde und daher weder vom Schutz auszuschließen sei noch ihm hinsichtlich seiner Auswirkungen auf den Gesamtvergleich eine erheblich eingeschränkte Rolle zugewiesen werden dürfe. Sie stellte auch fest, dass das Design in diesem Sektor eine starke ästhetische Komponente habe.

24      Zur Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters stellte die Beschwerdekammer erstens fest, dass der informierte Benutzer eine Person sei, die die grundlegenden Merkmale und Konfigurationen der im normalen Handelsverkehr erhältlichen Abflussrinnen kenne und sowohl zum Fachpublikum (bestehend z. B. aus Einzelhändlern, die Abflussrinnen an Dritte verkauften, Klempnern, die sie einbauten, oder Innenarchitekten, die die Duschabflussrinnen für ihre Kunden unter Berücksichtigung ihres ästhetischen Erscheinungsbilds suchten und auswählten) als auch zur nicht professionellen Öffentlichkeit gehören könne, die somit Endverbraucher umfasse, die diese Rinnen selbst auswählten und kauften, um sie in einem beliebigen Bereich oder einer beliebigen Umgebung zu installieren und zu verwenden. Zweitens sah die Beschwerdekammer den Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers als relativ hoch an, weil der informierte Benutzer als solcher zwar wisse, dass Abflussrinnen, um ihre Entwässerungsfunktion zu erfüllen, mit einer Wanne mit Seiten- und Stirnwänden, einem an die Kanalisation angeschlossenen Abfluss sowie mit Gittern, einem Rost oder einer geschlossenen Platte mit Schlitzen oder Öffnungen, durch die das Wasser abfließe, ausgestattet sein müssten, was aber nichts daran ändere, dass das spezifische Erscheinungsbild dieser Merkmale u. a. in Bezug auf Form, Material, Größe und Proportionen variieren könne, weil es keine anderen spezifischen Zwänge gebe als den, die Entsorgung des Wassers sicherzustellen. Drittens gelangte die Beschwerdekammer im Anschluss an die gesonderte Ermittlung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters und der offenbarten älteren Geschmacksmuster sowie nach einem Vergleich ihrer jeweiligen Gesamteindrücke (siehe unten, Rn. 117 bis 127) zu dem Ergebnis, dass das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart besitze und ihm daher erst recht nicht die Neuheit abgesprochen werden könne, so dass es gültig sei.

 Anträge der Beteiligten

25      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben,

–        erneut zu entscheiden und das angegriffene Geschmacksmuster mit berichtigter Begründung für nichtig zu erklären,

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

26      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen,

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

27      Die Streithelferin beantragt,

–        die zur Stützung des ersten, des zweiten, des vierten, des fünften und des sechsten Klagegrundes vorgebrachten Rügen zurückzuweisen,

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

28      Zur Stützung der Klage macht die Klägerin sechs Klagegründe geltend, mit denen sie im Wesentlichen Beurteilungsfehler der Beschwerdekammer rügt, und zwar erstens in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung (sowie in den ersten beiden Absätzen der zweiten Seite der Mitteilung des Berichterstatters vom 24. Juli 2018, auf die sich diese Randnummer bezieht), zweitens in Rn. 26 dieser Entscheidung, drittens in den Rn. 38 und 39 in Verbindung mit den Rn. 58 und 62 bis 65 dieser Entscheidung, viertens in den Rn. 98 bis 110 und 112 der angefochtenen Entscheidung, fünftens in Rn. 111 in Verbindung mit den Rn. 29 und 30 dieser Entscheidung und sechstens in den Rn. 114 bis 117 dieser Entscheidung.

29      Das Gericht hält es für angebracht, zunächst den dritten und den ersten Klagegrund zu prüfen, die sich auf die Identifizierung des älteren Geschmacksmusters beziehen, dann den zweiten Klagegrund, der die Bestimmung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters betrifft, und schließlich den vierten, den fünften und den sechsten Klagegrund, die sich auf den Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters beziehen.

 Erster und dritter Klagegrund: Identifizierung des älteren Geschmacksmusters

 Dritter Klagegrund

30      Mit dem dritten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 38 und 39 in Verbindung mit den Rn. 58 und 62 bis 65 der angefochtenen Entscheidung einen Fehler begangen und gegen Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoßen habe, indem sie festgestellt habe, dass allein die im Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung vor der Nichtigkeitsabteilung vorgelegten Beweise – im vorliegenden Fall des Antrags der Rechtsvorgängerin der Klägerin vom 3. September 2009 – zulässig seien und bei der Beurteilung der Nichtigkeit berücksichtigt werden könnten. Sie vertritt die Rechtsauffassung, dass im Rahmen der Beurteilung der in einem Nichtigkeitsverfahren vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel eine Befugnis des EUIPO, eine solche Feststellung zu treffen, nur anerkannt werde, wenn und soweit das EUIPO in demselben Verfahren eine Entscheidung zu treffen habe. Dagegen könne diese Befugnis nicht in Bezug auf Tatsachen und Beweismittel ausgeübt werden, die in einem Verfahren vorgebracht würden, in dem das EUIPO bereits entschieden habe und das Gegenstand einer früheren bestandskräftigen Entscheidung des EUIPO gewesen sei.

31      Die Klägerin macht geltend, im vorliegenden Fall hätten zwei Verfahren bereits zu einer früheren, bestandskräftigen Entscheidung geführt, nämlich das Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung des EUIPO, das zur Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 23. September 2010 geführt habe, und das Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO, das zur ersten Entscheidung vom 4. Oktober 2012 geführt habe. In diesen beiden Verfahren sei festgestellt worden, dass alle Tatsachen und alle Beweise hätten berücksichtigt werden können. In den späteren Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof sei die Frage der Zulässigkeit der von den Beteiligten in den früheren Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung und der Beschwerdekammer vorgebrachten Tatsachen und Beweise weder von Amts wegen noch auf andere Weise angesprochen oder in Frage gestellt worden. Unzutreffend sei insbesondere auch die Schlussfolgerung, die der Berichterstatter in seiner Mitteilung vom 24. Juli 2018 aus dem Rechtsmittelurteil ziehen zu können geglaubt habe, wonach es nicht zulässig gewesen sei, die Fotografie auf S. 33 der Blücher-Kataloge vorzulegen. Die Streithelferin und das EUIPO hätten diese Feststellungen der Nichtigkeitsabteilung und der Beschwerdekammer in dieser Hinsicht weder vor dem Gericht noch vor dem Gerichtshof jemals angefochten.

32      Die Klägerin macht daher geltend, dass die Beschwerdekammer durch die in den betreffenden Randnummern der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung frühere bestandskräftige Entscheidungen zurückgenommen habe. Dies laufe den allgemeinen Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Streitbeilegung, wie sie in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehen seien, sowie den Grundsätzen der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der umsichtigen Verfahrensführung zuwider. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Beschwerdekammer die ihr durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verliehene Befugnis nicht rückwirkend ausüben könne.

33      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

34      Die Streithelferin stellt die von der Klägerin mit diesem Klagegrund erhobene Rechtsrüge der Beurteilung durch das Gericht anheim.

35      In den Rn. 38 und 39 der angefochtenen Entscheidung vertrat die Beschwerdekammer die Auffassung, mit Rücksicht darauf, dass der Gerichtshof im Rechtsmittelurteil festgestellt habe, sie habe in der ersten Entscheidung nicht das richtige ältere Geschmacksmuster berücksichtigt, müssten andere ältere Geschmacksmuster, auf die sich die Klägerin berufen habe, geprüft werden. Im Antrag auf Nichtigerklärung habe die Klägerin als älteres Geschmacksmuster das Geschmacksmuster DM/059828 und kein anderes benannt. Die anderen Geschmacksmuster habe die Rechtsvorgängerin der Klägerin später in ergänzenden Erklärungen geltend gemacht. Im Hinblick darauf fügte die Beschwerdekammer hinzu, es sei zu berücksichtigen, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 dem Antragsteller nicht erlaube, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf bislang nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster stütze, weil ein solches Vorgehen das Verfahren verlängern und seinen Gegenstand ändern würde. Die von der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin erstmals in ihren späteren Erklärungen vorgelegten älteren Geschmacksmuster, nämlich die in den Blücher-Katalogen, seien jedoch im Antrag auf Nichtigerklärung nicht als ältere Geschmacksmuster geltend gemacht worden.

36      In Rn. 58 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass der Antrag auf Nichtigerklärung, wie sie bereits in mehreren früheren Entscheidungen entschieden habe, den Gegenstand des Verfahrens bestimme, der sich zum einen aus dem angegriffenen Geschmacksmuster und zum anderen aus den geltend gemachten älteren Geschmacksmustern ergebe, und dass es aus diesem Grund nicht mehr möglich sei, nach Einreichung des Antrags weitere ältere Geschmacksmuster, die der Neuheit oder Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters entgegenstehen könnten, in das Verfahren einzuführen.

37      In Rn. 62 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Abdeckplatte in der Mitte des auf S. 33 der Blücher-Kataloge wiedergegebenen Bildes, die die Rechtsvorgängerin der Klägerin als das ältere oder eines der älteren Geschmacksmuster bezeichnet habe, die beweisen sollten, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht neu sei und keine Eigenart aufweise, erst als Antwort auf die Stellungnahme der Streithelferin vorgelegt worden sei. Sie führte aus, dass die Tatsache, dass die Instanzen, die zuvor entschieden hätten, diese Platte als in zulässiger Weise geltend gemachtes älteres Geschmacksmuster angesehen hätten, gegen die oben genannten Grundsätze verstoße, nach denen der Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens durch den Antrag bestimmt werde und es nicht erlaubt sei, nach der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung weitere ältere Geschmacksmuster in dieses Verfahren einzuführen.

38      In Rn. 63 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer der Vollständigkeit halber darauf hin, dass es im durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumten Ermessen der Nichtigkeitsabteilung stehe, zusätzlich zu den bereits im Antrag auf Nichtigerklärung erwähnten älteren Geschmacksmustern oder Rechten vorgebrachte Tatsachen, Beweismittel und Unterlagen als zulässig anzusehen. Diese Bestimmung erlaube es dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren jedoch nicht, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf neu vorgebrachte ältere Geschmacksmuster stütze, weil ein solches Vorgehen das Verfahren verlängern und seinen Gegenstand verändern würde. Da die u. a. in den Anlagen 3a und 3b, d. h. in den Blücher-Katalogen, genannten Geschmacksmuster im Antrag auf Nichtigerklärung nicht erwähnt seien, verfügten insoweit weder die Nichtigkeitsabteilung noch die Beschwerdekammer über einen Ermessensspielraum. Für die Zwecke des vorliegenden Nichtigkeitsverfahrens könnten die in diesen Dokumenten dargestellten Geschmacksmuster folglich nicht als zulässige Nachweise für den vorherigen Stand der Technik angesehen werden. In Rn. 64 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass die von der Klägerin in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung des Berichterstatters erwähnten Dokumente und Fotografien, die andere Geschmacksmuster als das Geschmacksmuster DM/059828 beträfen, aus denselben Gründen keine zulässigen Nachweise für den vorherigen Stand der Technik darstellen könnten.

39      In Rn. 65 der angefochtenen Entscheidung kam die Beschwerdekammer daher im Einklang mit der Mitteilung des Berichterstatters zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall das Geschmacksmuster DM/059828 das einzige ältere Geschmacksmuster sei.

40      Mit dem dritten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Beschwerdekammer einen Fehler begangen und gegen Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoßen habe, indem sie ihre Entscheidung ausschließlich auf die im Antrag auf Nichtigerklärung wiedergegebenen älteren Geschmacksmuster gestützt habe, ohne die nach Einreichung dieses Antrags vorgelegten Beweismittel wie die Blücher-Kataloge zu berücksichtigen, auf die sich die Beschwerdekammer in ihrer ersten, bestandskräftig gewordenen Entscheidung ausschließlich gestützt habe.

41      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Frage der Identifizierung der älteren Geschmacksmuster, die mit dem angegriffenen Geschmacksmuster verglichen werden müssen, in den bisherigen Verfahren vor dem EUIPO, dem Gericht und dem Gerichtshof nie abschließend entschieden wurde.

42      Zum einen wurde nämlich die erste Entscheidung der Beschwerdekammer, die im Übrigen nicht ausdrücklich über die Zulässigkeit der von der Klägerin nach Einreichung ihres Antrags auf Nichtigerklärung eingereichten Dokumente befunden hatte, durch das erste Urteil des Gerichts aufgehoben, dessen Tenor in Rechtskraft erwachsen ist (siehe oben, Rn. 14 und 16). Nach ständiger Rechtsprechung wirkt ein Aufhebungsurteil jedoch ex tunc und nimmt damit der für nichtig erklärten Handlung rückwirkend ihren rechtlichen Bestand (vgl. Urteile vom 27. Juni 2013, Beifa Group/HABM – Schwan-Stabilo Schwanhäußer [Schreibgeräte], T‑608/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:334, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 23. September 2020, CEDC International/EUIPO – Underberg [Form eines Grashalms in einer Flasche], T‑796/16, EU:T:2020:439, Rn. 72 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist die erste Entscheidung aus der Rechtsordnung der Europäischen Union getilgt und keineswegs bestandskräftig geworden.

43      Zum anderen hat das Gericht in seinem ersten Urteil (siehe oben, Rn. 14) auch nicht über die Zulässigkeit dieser Dokumente entschieden, geschweige denn darüber, welche älteren Geschmacksmuster mit dem angegriffenen Geschmacksmuster zu vergleichen waren. Dieser Punkt wurde nämlich weder von den Parteien noch vom Gericht von Amts wegen angesprochen. Außerdem beschränkte sich das Rechtsmittelurteil (siehe oben, Rn. 16) nur auf die in den Rechtsmitteln aufgeworfenen Rechtsfragen. Somit wurde die Frage der Identifizierung der älteren Geschmacksmuster, auf die sich der Antrag auf Nichtigerklärung stützte, sowie die Frage, ob die später eingereichten Dokumente für die Bestimmung der älteren Geschmacksmuster relevant sind, weder im ersten Urteil des Gerichts noch im Rechtsmittelurteil aufgeworfen oder geklärt.

44      Sodann ist festzustellen, dass der vorliegende Klagegrund auf der Prämisse beruht, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 unter Umständen wie denen der vorliegenden Rechtssache anwendbar ist. Daher ist zu prüfen, ob diese Bestimmung im vorliegenden Fall zumindest auf die Frage der Identifizierung des älteren Geschmacksmusters anwendbar ist, insbesondere im Hinblick auf Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v und vi der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28).

45      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das EUIPO nach Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, unberücksichtigt lassen kann. Diese Bestimmung räumt daher sowohl der Nichtigkeitsabteilung als auch der Beschwerdekammer des EUIPO einen Ermessensspielraum ein.

46      Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus dem Wortlaut von Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002, dass als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift die Beteiligten Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die für dieses Vorbringen nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 6/2002 geltenden Fristen abgelaufen sind, und dass es dem EUIPO keineswegs untersagt ist, solche verspätet vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen. Mit der Klarstellung, dass das EUIPO in einem solchen Fall derartige Beweismittel nicht zu berücksichtigen „braucht“, räumt diese Bestimmung dem EUIPO ein weites Ermessen ein, um unter entsprechender Begründung seiner Entscheidung darüber zu befinden, ob diese zu berücksichtigen sind oder nicht (vgl. Urteil vom 5. Juli 2017, Gamet/EUIPO – Metal-Bud II Robert Gubała [Türgriff], T‑306/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:466, Rn. 15 und 16 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Was die Ausübung des Ermessens des EUIPO bezüglich der etwaigen Berücksichtigung verspätet vorgelegter Beweismittel angeht, kann eine solche Berücksichtigung durch das EUIPO, wenn es im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens zu entscheiden hat, insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass zum einen die verspätet vorgebrachten Gesichtspunkte auf den ersten Blick von wirklicher Relevanz für die Bescheidung des bei ihm gestellten Antrags auf Nichtigerklärung sein können und dass zum anderen das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolgt, und die Umstände, die es begleiten, der Berücksichtigung nicht entgegenstehen. Daraus folgt, dass es Sache des Gerichts ist, zu beurteilen, ob die Beschwerdekammer das ihr eingeräumte weite Ermessen tatsächlich ausgeübt hat, um unter Angabe von Gründen und unter gebührender Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu entscheiden, dass die erstmals bei ihr eingereichten ergänzenden Beweismittel bei der Entscheidung, die sie zu erlassen hatte, zu berücksichtigen waren oder nicht. Darüber hinaus hat das Gericht zu prüfen, ob die Beschwerdekammer das ihr durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumte Ermessen in angemessener Weise ausgeübt hat (vgl. Urteil vom 5. Juli 2017, Türgriff, T‑306/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:466, Rn. 17 und 18 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Aus der Rechtsprechung folgt ferner, dass die Vorlage von Beweisen, die zu solchen hinzukommen, die ihrerseits innerhalb einer vom EUIPO zu diesem Zweck gesetzten Frist vorgelegt wurden, auch nach Ablauf dieser Frist noch möglich ist und dass es dem EUIPO keineswegs untersagt ist, auf diese Weise verspätet vorgelegte zusätzliche Beweise zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 14. März 2018, Crocs/EUIPO – Gifi Diffusion [Fußbekleidung], T‑651/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:137, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne und entsprechend auch Urteil vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions, C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 88).

49      Dies vorausgeschickt, ist ferner darauf hinzuweisen, dass Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt, dass der Antrag auf Nichtigerklärung schriftlich einzureichen und zu begründen ist. Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und vi der Verordnung Nr. 2245/2002 präzisiert, dass ein Antrag auf Nichtigerklärung die Angabe der Nichtigkeitsgründe, auf die sich der Antrag stützt, und die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen enthalten muss. Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der zuletzt genannten Verordnung sieht außerdem vor, dass der Antrag auf Nichtigerklärung, wenn er auf das Fehlen der Neuheit oder Eigenart des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gestützt wird, die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster, die schädlich für die Neuheit oder Eigenart des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sein könnten, sowie Unterlagen, die die Existenz dieser älteren Muster belegen, enthalten muss.

50      Nach der Rechtsprechung ist es Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, dem EUIPO die erforderlichen Angaben und insbesondere eine genaue und vollständige Bezeichnung und Darstellung des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, vorzulegen, um darzutun, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht rechtsgültig eingetragen werden konnte. Somit ist es nicht Sache des EUIPO, sondern des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, die Gesichtspunkte und Angaben vorzubringen, durch die das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes belegt wird (Rechtsmittelurteil, Rn. 59 und 65; vgl. auch Urteil vom 17. September 2019, Aroma Essence/EUIPO – Refan Bulgaria [Körperpflegeschwamm], T‑532/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:609, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Hierzu ist klarzustellen, dass der Nachweis der Existenz und die Identifizierung des oder der älteren Geschmacksmuster für jeden der vom Antragsteller vorgebrachten Nichtigkeitsgründe erbracht werden müssen. In dieser Hinsicht hat das Gericht entschieden, dass sich weder das EUIPO noch der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren zur Begründung des Fehlens der Eigenart (Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002) auf bestimmte der geltend gemachten älteren Geschmacksmuster stützen können, wenn sich aus dem Antrag auf Nichtigerklärung ergibt, dass diese Geschmacksmuster nur zur Stützung eines anderen Nichtigkeitsgrundes wie z. B. des Fehlens der Neuheit (Art. 5 dieser Verordnung) geltend gemacht wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2018, Gifi Diffusion/EUIPO – Crocs [Fußbekleidung], T‑424/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:136, Rn. 46 bis 48).

52      Außerdem ist die Prüfung des EUIPO nach Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 im Rahmen eines Antrags auf Nichtigerklärung auf die von den Parteien geltend gemachten Klagegründe und gestellten Anträge beschränkt. Es ist Sache des Antragstellers, sicherzustellen, dass alle geltend gemachten älteren Geschmacksmuster klar identifiziert und wiedergegeben werden, weil das Nichtigkeitsverfahren zu den Inter-partes-Verfahren gehört. Folglich hat das EUIPO bei der Prüfung des Antrags auf Nichtigerklärung nur diejenigen Geschmacksmuster zu berücksichtigen, die der Antragsteller ausdrücklich in seinem Antrag auf Nichtigerklärung und nicht in einem späteren Dokument geltend gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2019, Körperpflegeschwamm, T‑532/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:609, Rn. 30 und 36).

53      So setzt Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 (siehe oben, Rn. 49) voraus, dass das ältere oder die älteren Geschmacksmuster bereits bei der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung identifiziert werden, weil dies den Streitgegenstand bestimmt und damit den Inhaber des angegriffenen Geschmacksmusters in die Lage versetzt, zur Begründetheit des Antrags Stellung zu nehmen. Der reibungslose Ablauf des Verfahrens und die Wahrung des berechtigten Interesses des Inhabers des angegriffenen Geschmacksmusters, nicht einem Rechtsstreit ausgesetzt zu werden, dessen Gegenstand sich ständig ändert, stehen nämlich der Möglichkeit eines Antragstellers entgegen, sich im Lauf des Nichtigkeitsverfahrens nach Belieben auf andere ältere Geschmacksmuster zu berufen. Aus diesem Grund ist die Einhaltung dieser Bestimmung nach Art. 30 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2245/2002 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung.

54      Daher ist mit dem EUIPO davon auszugehen, dass die mit Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 verfolgte Logik darin besteht, für die Einreichung von Beweisen zu den wesentlichen Elementen des Antrags auf Nichtigerklärung, die den rechtlichen Rahmen des Antrags festlegen und abstecken, eine „im Vorhinein festgelegte“ Frist oder Ausschlussfrist vorzuschreiben, d. h. eine Frist, deren Einhaltung eine unverzichtbare Verfahrensvoraussetzung darstellt. Sofern das EUIPO nicht eine Behebung der Mängel des Antrags nach Art. 30 Abs. 1 dieser Verordnung verlangt, können neue Beweise für die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster nicht mehr vorgelegt werden, weil dies den rechtlichen Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung erweitern würde.

55      Aus Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 ergibt sich somit, dass der Antrag auf Nichtigerklärung den Streitgegenstand bestimmt, der sich zum einen aus dem angegriffenen Geschmacksmuster und zum anderen aus den geltend gemachten älteren Geschmacksmustern ergibt. Nach Stellung des Antrags auf Nichtigerklärung ist es daher nicht mehr möglich, andere ältere Geschmacksmuster, die der Neuheit oder Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters entgegenstehen könnten, in das Verfahren einzubringen.

56      Im Hinblick auf Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 ist somit davon auszugehen, dass das EUIPO in einem Verfahren auf Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nur die im Antrag auf Nichtigerklärung aufgeführten älteren Geschmacksmuster zu prüfen hat, nicht aber andere Geschmacksmuster, die nachträglich als ältere Geschmacksmuster geltend gemacht werden.

57      Darüber hinaus sind der Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. vi der Verordnung Nr. 2245/2002, wonach der Antrag auf Nichtigerklärung „die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen“ enthalten muss, und folglich auch der Anwendungsbereich des dem EUIPO durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumten Ermessens zu präzisieren.

58      Hierzu ist mit dem EUIPO darauf hinzuweisen, dass Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v und vi der Verordnung Nr. 2245/2002 eine wesentliche Unterscheidung zwischen den in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v dieser Verordnung verlangten Beweisen in Bezug auf „die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster“ und den anderen in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. vi dieser Verordnung genannten „Tatsachen [und] Beweismittel[n]“ trifft, z. B. den Tatsachen und Beweisen, die die Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters betreffen (Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002), oder den Beweisen, die die Funktion des angegriffenen Geschmacksmusters betreffen (Art. 8 der Verordnung Nr. 6/2002).

59      Daraus folgt, dass sich das dem EUIPO in Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumte Ermessen, „Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, … zu berücksichtigen“, nur auf die in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. vi der Verordnung Nr. 2245/2002 genannten „Tatsachen [und] Beweismittel“ beziehen kann, nicht aber auf die in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v dieser Verordnung vorgeschriebene „Angabe und Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster“. Insbesondere ist Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht auf die Identifizierung des älteren Geschmacksmusters anwendbar.

60      So erlaubt Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 zwar die Berücksichtigung zusätzlicher Beweise (siehe oben, Rn. 48), wie z. B. einer genaueren Darstellung oder eines Nachweises der Veröffentlichung eines bereits im Antrag auf Nichtigerklärung geltend gemachten Geschmacksmusters, nicht jedoch die Erweiterung des rechtlichen Rahmens dieses Antrags durch die Vorlage völlig neuer Beweise, indem dem Antragsteller gestattet würde, den Antrag auf andere ältere Geschmacksmuster zu stützen, weil ein solches Vorgehen den Streitgegenstand verändern und zudem die Dauer des Verfahrens verlängern würde.

61      Daher hat die Beschwerdekammer in Rn. 39 der angefochtenen Entscheidung zu Recht u. a. ausgeführt, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 es dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren nicht erlaube, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf bislang nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster stütze.

62      Im vorliegenden Fall steht fest, wie die Beschwerdekammer nach Aufforderung der Beteiligten zur Stellungnahme in Rn. 61 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt hat, dass das in den Blücher-Katalogen abgebildete Geschmacksmuster nicht schon im Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung vom 3. September 2009 geltend gemacht und wiedergegeben wurde, sondern erst in der Antwort vom 2. April 2010 auf die Stellungnahme der Streithelferin (siehe oben, Rn. 7 und 8).

63      Dieses Geschmacksmuster ist jedoch nicht mit dem ursprünglich im Antrag auf Nichtigerklärung geltend gemachten Geschmacksmuster identisch, weil sich die darin enthaltene Abdeckplatte von den älteren Geschmacksmustern, die Gegenstand der Eintragung DM/059828 sind, unterscheidet. Es handelt sich daher keineswegs um „Wiedergaben ein und desselben älteren Geschmacksmusters“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2010, Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems [Fernmeldegeräte], T‑153/08, EU:T:2010:248, Rn. 25). Außerdem war eine Behebung von Mängeln nach Art. 30 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2245/2002 nicht erforderlich, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin die älteren Geschmacksmuster, auf die sie ihren Antrag auf Nichtigerklärung stützte, nämlich die der Eintragung DM/059828, korrekt identifiziert hatte.

64      Unter diesen Umständen ist mit dem EUIPO davon auszugehen, dass Beweise, die nach Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung vorgelegt wurden, nach Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 allenfalls hätten berücksichtigt werden dürfen, soweit sie dazu bestimmt waren, die Verwendungsmodalitäten der konkreten Erzeugnisse, in die die verglichenen Geschmacksmuster aufgenommen wurden, zu veranschaulichen oder andere Tatsachen oder Behauptungen zu stützen, die bereits im Antrag auf Nichtigerklärung vorgebracht wurden. In diesem Sinne hat die Beschwerdekammer die Zulässigkeit dieser Beweise zwar nicht strikt ausgeschlossen, soweit sie zur Ergänzung eines Vorbringens bestimmt sind, das sich auf das im Antrag auf Nichtigerklärung identifizierte ältere Geschmacksmuster bezieht.

65      Die formale Zulässigkeit solcher Beweise kann jedoch im Hinblick auf Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 nicht dazu führen, dass den ursprünglich im Antrag auf Nichtigerklärung geltend gemachten Geschmacksmustern ein weiteres älteres Geschmacksmuster hinzugefügt werden darf. Unter diesem Gesichtspunkt kommt die Vorlage der Blücher-Kataloge nach der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung nämlich der Vorlage eines völlig „neuen“ Beweises gleich, im Gegensatz zu einem „zusätzlichen“ Beweis im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts zu Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 (siehe oben, Rn. 48).

66      Zu Recht hat die Beschwerdekammer daher in Rn. 63 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt, dass die Berücksichtigung zusätzlicher Beweise zwar dazu führen könne, den tatsächlichen Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung zu erweitern, indem diese Beweise zu anderen Beweisen hinzuträten, die bereits geltend gemachte ältere Geschmacksmuster beträfen, nicht aber dazu, den rechtlichen Rahmen dieses Antrags auf neue, zuvor nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster auszuweiten, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin den Umfang dieses Antrags zum Zeitpunkt seiner Einreichung endgültig festgelegt habe, indem sie die zur Stützung dieses Antrags geltend gemachten älteren Geschmacksmuster identifiziert habe.

67      Ebenfalls zu Recht hat die Beschwerdekammer in den Rn. 65 und 66 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass das einzige ältere Geschmacksmuster, das im vorliegenden Fall ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei, das Geschmacksmuster DM/059828 sei, das der Öffentlichkeit im Sinne von Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 vor dem Anmeldetag des angegriffenen Geschmacksmusters zugänglich gemacht worden sei. Außerdem sind die Tatsache und der zeitliche Vorrang dieser Offenbarung unstreitig.

68      Folglich ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin erstens festzustellen, dass die Beschwerdekammer in keiner Weise frühere bestandskräftige Entscheidungen zurückgenommen und keinen der oben in Rn. 32 genannten allgemeinen Grundsätze missachtet hat, und zweitens, dass die Beschwerdekammer nicht gegen Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoßen, sondern Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 ordnungsgemäß angewandt hat.

69      Daher ist der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Erster Klagegrund

70      Mit dem ersten Klagegrund, der aus drei Teilen besteht, macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung in Verbindung mit der Mitteilung des Berichterstatters vom 24. Juli 2018 mehrere Beurteilungsfehler begangen habe.

71      Mit dem ersten Teil wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, zu Unrecht angenommen zu haben, dass der Berichterstatter in seiner Mitteilung das Geschmacksmuster DM/059828 als das einzige zu berücksichtigende ältere Geschmacksmuster angesehen habe, weil es als einziges im Antrag auf Nichtigerklärung genannt worden sei. Der in dieser Randnummer angeführte Grund, dass nur dieses Geschmacksmuster dem Antrag auf Nichtigerklärung beigefügt worden sei, lasse sich nämlich aus der Mitteilung des Berichterstatters nicht ableiten und sei in der angefochtenen Entscheidung auch nicht näher begründet worden.

72      Mit dem zweiten Teil wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, zu Unrecht festgestellt zu haben, dass die Fotografie auf S. 33 der Blücher-Kataloge nicht berücksichtigt werden könne, weil das Rechtsmittelurteil ihrer Vorlage als älteres Geschmacksmuster im Nichtigkeitsverfahren entgegenstehe. Die Beschwerdekammer habe aus diesem Urteil eine Schlussfolgerung gezogen, für die es keine Grundlage gebe. Außerdem habe das EUIPO unter Missachtung von Rn. 71 des Rechtsmittelurteils keine Maßnahmen der Beweisaufnahme angeordnet.

73      Mit dem dritten Teil macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht angenommen, dass nur das von der Klägerin im Antrag auf Nichtigerklärung vorgelegte Geschmacksmuster DM/059828 als älteres Geschmacksmuster geprüft werden könne, weil der Berichterstatter festgestellt habe, dass das „von den Instanzen, die zuvor entschieden [hätten], geprüfte ältere Geschmacksmuster“ in dem von der Rechtsvorgängerin der Klägerin am 3. September 2009 gestellten Antrag auf Nichtigerklärung nicht aufgeführt worden sei. Diese Schlussfolgerung gehe über diejenige in der Mitteilung des Berichterstatters hinaus, der keineswegs ausgeführt habe, dass das von diesen Instanzen geprüfte ältere Geschmacksmuster im Antrag auf Nichtigerklärung nicht erwähnt worden sei.

74      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

75      In Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass der Berichterstatter die Beteiligten in einer Mitteilung vom 24. Juli 2018 darüber informiert habe, dass es sich bei dem ihm vorgelegten älteren Geschmacksmuster um das Geschmacksmuster DM/059828 handele, das als einziges im Antrag auf Nichtigerklärung erwähnt worden sei. Sie führte aus, dass der Berichterstatter bei der erneuten Prüfung der Akte nach der Zurückverweisung durch den Gerichtshof festgestellt habe, dass das ältere Geschmacksmuster, das von den Instanzen, die zuvor entschieden hätten, geprüft worden sei, im Antrag auf Nichtigerklärung nicht aufgeführt sei und dieser Antrag auch kein anderes Geschmacksmuster erwähnt habe.

76      Mit dem ersten Teil rügt die Klägerin im Wesentlichen, dass der Berichterstatter in seiner Mitteilung vom 24. Juli 2018 und die Beschwerdekammer in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung nicht begründet hätten, warum nur die von der Eintragung DM/059828 erfassten Geschmacksmuster (siehe oben, Rn. 7) zu berücksichtigen seien, nicht aber die oben in Rn. 8 wiedergegebene Abbildung.

77      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungen des EUIPO nach Art. 62 Satz 1 der Verordnung Nr. 6/2002 mit Gründen zu versehen sind. Diese Begründungspflicht hat den gleichen Umfang wie die Begründungspflicht in Art. 296 AEUV, wonach die Überlegungen des Urhebers des Rechtsakts klar und eindeutig zum Ausdruck kommen müssen. Sie soll dem doppelten Ziel dienen, die Beteiligten über die Gründe für die erlassene Maßnahme zu unterrichten, damit sie ihre Rechte verteidigen können, und es außerdem dem Unionsrichter zu ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen. Die Frage, ob die Begründung einer Entscheidung diesen Anforderungen genügt, ist nicht nur im Hinblick auf deren Wortlaut zu entscheiden, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Visi/one/EUIPO – EasyFix [Informationstafeln für Fahrzeuge], T‑74/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:417, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass sich die Begründungspflicht nur auf die angefochtene Entscheidung bezieht und nicht auf die Mitteilung des Berichterstatters im Verfahren, die keine anfechtbare Handlung ist. Aus der Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass eine Entscheidung der Beschwerdekammer vor dem Unionsrichter anfechtbar ist, wenn sie gegenüber dem am Verfahren vor dem EUIPO Beteiligten „bindende Rechtswirkungen“ erzeugt (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 17. März 2009, Laytoncrest/HABM – Erico [TRENTON], T‑171/06, EU:T:2009:70, Rn. 21). Das ist bei der Mitteilung des Berichterstatters der Beschwerdekammer nicht der Fall.

79      Zweitens ergibt sich aus der Prüfung des dritten Klagegrundes (siehe oben, Rn. 30 bis 69), dass die Beschwerdekammer in den Rn. 38 und 39 sowie 53 bis 67 der angefochtenen Entscheidung klar erläutert hat, aus welchen Gründen bei der Prüfung der Erfordernisse der Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002 nur ein älteres Geschmacksmuster berücksichtigt werden könne, dessen Wiedergabe dem Antrag auf Nichtigerklärung zu dessen Unterstützung beigefügt gewesen sei. Insbesondere hat sich die Beschwerdekammer auf eine Auslegung von Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 im Licht von Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i, v und vi der Verordnung Nr. 2245/2002 gestützt, die im Übrigen, wie bei der Prüfung des dritten Klagegrundes festgestellt wurde, fehlerfrei ist. Diese ausführliche Begründung erfüllt die in Art. 62 Satz 1 der Verordnung Nr. 6/2002 genannte Begründungspflicht in vollem Umfang.

80      Der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

81      Mit dem zweiten Teil wirft die Klägerin der Beschwerdekammer im Wesentlichen vor, die in den Blücher-Katalogen enthaltenen Darstellungen, insbesondere die oben in Rn. 8 wiedergegebene Abbildung, nicht berücksichtigt zu haben, obwohl das Rechtsmittelurteil die Zulässigkeit und die Relevanz der letztgenannten Abbildung rechtskräftig festgestellt habe.

82      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das EUIPO nach Art. 61 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben.

83      Nach ständiger Rechtsprechung kommt das Organ, das den angefochtenen Akt erlassen hat, einem Aufhebungsurteil nur dann nach und führt es nur dann voll durch, wenn es nicht nur den Tenor des Urteils beachtet, sondern auch die Gründe, die zu dem Tenor geführt haben und ihn in dem Sinne tragen, dass sie zur Bestimmung der genauen Bedeutung des Tenors unerlässlich sind. Diese Gründe benennen nämlich zum einen die Bestimmung, die als rechtswidrig angesehen wird, und lassen zum anderen die spezifischen Gründe der im Tenor festgestellten Rechtswidrigkeit erkennen, die das betroffene Organ bei der Ersetzung des aufgehobenen Aktes zu beachten hat (vgl. Urteil vom 27. Juni 2013, Schreibgeräte, T‑608/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:334, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Gerichtshof in den Rn. 69 bis 71 seines Rechtsmittelurteils Folgendes ausgeführt hat:

„69      Es kann vom EUIPO jedoch nicht verlangt werden, dass es namentlich bei der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters die unterschiedlichen Elemente des älteren Geschmacksmusters[, d. h. der Ablaufwanne und der oben in Rn. 8 wiedergegebenen Abdeckplatte,] zusammenfügt, denn es ist Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, eine vollständige Darstellung dieses Geschmacksmusters vorzulegen. Im Übrigen enthielte jede mögliche Kombination, wie der Generalanwalt in Nr. 152 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Ungenauigkeiten, da sie zwangsläufig auf approximativen Vorstellungen beruhte.

70      Wie das EUIPO damit entgegen den Feststellungen des Gerichts in Rn. 78 des angefochtenen Urteils zu Recht geltend macht, kann der Umstand, dass das angegriffene Geschmacksmuster nur aus einer Kombination von bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Geschmacksmustern besteht, die – wie bereits ausgeführt – zusammen verwendet werden sollen, für die Prüfung der Neuheit im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht relevant sein, wenn die vollständige Angabe und Wiedergabe des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, fehlt.

71      Überdies kann der vom Gericht in Rn. 68 des angefochtenen Urteils angeführte Umstand, dass ESS als Streithelferin vor dem Gericht Auszüge aus einem Katalog des Unternehmens Blücher vorlegte, die sich von denen, die Group Nivelles in ihrem Antrag auf Nichtigerklärung vorgelegt hatte, unterschieden und ein Bild einer Abdeckplatte wie der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils mittig abgebildeten enthielten, die auf einem Behälter mit einem darunter befindlichen Abflusssiphon angebracht war, nicht das Fehlen der genauen Angabe und Wiedergabe des von Group Nivelles geltend gemachten Geschmacksmusters ausgleichen. Auch wenn dieser Umstand vom EUIPO berücksichtigt werden könnte, um gemäß Art. 65 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 Maßnahmen der Beweisaufnahme anzuordnen, ist es nicht Aufgabe des EUIPO, die verschiedenen Teile eines oder mehrerer Geschmacksmuster, die in verschiedenen dem Antrag auf Nichtigerklärung beigefügten Katalogauszügen getrennt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, zusammenzufügen, um das vollständige Erscheinungsbild des geltend gemachten älteren Geschmacksmusters zu erhalten. Ohne dass es notwendig wäre, das Vorbringen des EUIPO, wonach den Rn. 68 und 76 des angefochtenen Urteils eine Verfälschung der Tatsachen anhafte, zu prüfen, genügt es nämlich festzustellen, dass das Gericht in diesem Urteil keineswegs ausgeführt hat, die von ESS vorgelegte Abbildung sei eine genaue und vollständige Abbildung des älteren Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang von Group Nivelles behauptet worden sei.“

85      Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Prüfung des dritten Klagegrundes bereits festgestellt wurde, dass die Frage der Identifizierung der mit dem angegriffenen Geschmacksmuster zu vergleichenden älteren Geschmacksmuster in den vorausgegangenen Verfahren vor dem EUIPO, dem Gericht und dem Gerichtshof nie abschließend geklärt wurde (siehe oben, Rn. 41 bis 43). Die Verpflichtung, die Rechtskraft zu beachten, gilt daher nicht für diese spezielle Frage.

86      Zweitens ist zu beachten, dass die von der Klägerin zitierte Passage des Rechtsmittelurteils nur die Verpflichtung betrifft, eine „vollständige Darstellung“ eines älteren Geschmacksmusters vorzulegen. Zu der Möglichkeit, eine solche „vollständige Darstellung“ nach der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung vorzulegen, hat sich der Gerichtshof hingegen nicht geäußert. Die Verpflichtung, die Rechtskraft zu beachten, gilt daher nicht für diese spezielle Frage.

87      Soweit die Klägerin der Beschwerdekammer darüber hinaus vorwirft, keine Beweisaufnahme auf der Grundlage von Art. 65 der Verordnung Nr. 6/2002 angeordnet zu haben, ist diese Rüge unbegründet. Die Klägerin hatte zwar in ihrer Stellungnahme vom 21. September 2018 in der Tat beantragt, Zeugen zu vernehmen, legt aber nicht dar, inwiefern die Unterlassung solcher Maßnahmen der Beweisaufnahme einen Beurteilungsfehler darstellen soll. Diese Zeugen hätten zwar möglicherweise die Behauptung gestützt, dass am Tag der Anmeldung des angegriffenen Geschmacksmusters ihm ähnliche Geschmacksmuster bereits bekannt gewesen seien. Eine solche Aussage wäre jedoch ins Leere gegangen, weil die von der Beschwerdekammer entschiedene grundlegende Frage, nämlich die Identifizierung der bei der Beurteilung der Neuheit und der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu berücksichtigenden älteren Geschmacksmuster, rein rechtlich geklärt werden konnte, nämlich auf der rechtlichen Grundlage einer Auslegung von Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 im Licht von Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i, v und vi der Verordnung Nr. 2245/2002. Daher wären Tatsachenbekundungen von Sachverständigen in einem solchen Kontext jedenfalls irrelevant gewesen.

88      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich weder das Gericht noch der Gerichtshof zur Notwendigkeit dieser beantragten Beweisaufnahme geäußert haben und beide überdies nicht befugt gewesen wären, dem EUIPO Anordnungen zu erteilen, insbesondere nicht die, eine solche Beweisaufnahme durchzuführen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2017, Mast-Jägermeister/EUIPO [Becher], T‑16/16, EU:T:2017:68, Rn. 27).

89      Der zweite Teil des vorliegenden Klagegrundes ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

90      Mit dem dritten Teil erhebt die Beschwerdeführerin verschiedene Vorwürfe gegen die Mitteilung des Berichterstatters vom 24. Juli 2018.

91      Hierzu genügt die Feststellung, dass dieser dritte Teil unzulässig ist, weil die in einer Klageschrift vorgebrachten Nichtigkeitsgründe nur die angefochtene Entscheidung betreffen können, nicht aber eine frühere Verfahrenshandlung, die als solche keine Rechtswirkung entfaltet und eine nicht anfechtbare Handlung darstellt (siehe oben, Rn. 77), wie etwa die Mitteilung des Berichterstatters.

92      Außerdem ist dieser dritte Teil, soweit er die Rechtskraft der Urteile des Gerichtshofs und des Gerichts betrifft, aus den oben in den Rn. 41 bis 43 und 84 bis 89 dargelegten Gründen unbegründet.

93      Der dritte Teil des vorliegenden Klagegrundes ist daher als unzulässig und zudem als unbegründet zurückzuweisen.

94      Der erste Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.

 Zweiter Klagegrund: Bestimmung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters

95      Mit dem zweiten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer die Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters in Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung fehlerhaft bestimmt habe. Indem sich die Klägerin erneut auf Rn. 69 des Rechtsmittelurteils (siehe oben, Rn. 84) beruft, macht sie geltend, dass vom EUIPO nicht verlangt werden könne, im Rahmen der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters verschiedene Teile (im vorliegenden Fall eine Ablaufwanne und eine Abdeckplatte) zusammenzufügen, um die vollständige Erscheinungsform dieses Geschmacksmusters zu erhalten. Nach ihrer Auffassung ist die relevante Frage die der „Unterscheidungskraft“ des angegriffenen Geschmacksmusters. Aus der Stellungnahme der Streithelferin vom 8. Dezember 2009 gehe jedoch hervor, dass diese in Wirklichkeit nicht das Erscheinungsbild einer Duschabflussrinne habe eintragen lassen wollen, sondern nur das Erscheinungsbild einer Abdeckplatte, die zur Verwendung auf rechteckigen und länglichen Abflussrinnen bestimmt sei. Aus zwei Urteilen niederländischer Gerichte gehe außerdem hervor, dass das einzige „unterscheidungskräftige Merkmal“ des angegriffenen Geschmacksmusters „die geschlossene Abdeckplatte“ oder „der [sogenannte] Zero-Rost“ gewesen sei, d. h. „ein Rost ohne Löcher, bei dem das Wasser über die auf beiden Seiten des Rosts vorhandenen Rillen abfließen kann“. Desgleichen habe die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO angenommen, dass das einzige während der bestimmungsgemäßen Verwendung sichtbare Merkmal des angegriffenen Geschmacksmusters der obere Teil der Platte sei.

96      Die Klägerin hält es für völlig folgerichtig, dass die Nichtigkeitsabteilung in Anbetracht dieser Feststellung ihre weiteren Erwägungen auf einen Vergleich gestützt hat, der sich darauf beschränkt, allein das Erscheinungsbild der „Zero“-Abdeckplatte des angegriffenen Geschmacksmusters dem aller anderen älteren Abdeckplatten, insbesondere der auf S. 33 der Blücher-Kataloge abgebildeten, gegenüberzustellen. Der Umstand, dass diese Abdeckplatten dazu bestimmt seien, gegebenenfalls in Verbindung mit einer rechteckigen, länglichen Ablaufwanne verwendet zu werden und somit zusammen mit dieser eine Duschabflussrinne zu bilden, sei in dieser Hinsicht von geringer Bedeutung, weil deren Merkmale nach Ansicht der Streithelferin nicht als unterscheidungskräftig, neu oder individuell anzusehen seien und die rechteckige, längliche Wanne und ihre Merkmale während der bestimmungsgemäßen Verwendung der Abflussrinne nicht sichtbar seien.

97      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

98      In Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass die Klägerin am 21. September 2018 einen Antrag auf Anhörung gestellt und ihre Stellungnahme eingereicht habe, die im Wesentlichen auf verschiedene Argumente gestützt worden sei, die die Kammer im Einzelnen aufgeführt habe. Insbesondere habe die Klägerin auf die im vorausgegangenen Verfahren vorgelegten Erklärungen verwiesen, die ihrer Ansicht nach belegten, dass den Fachkreisen die Existenz von Geschmacksmustern von Duschabflussrinnen bekannt gewesen sei, deren Erscheinungsbild aus einer rechteckigen, länglichen Wanne bestanden habe, die mit der gleichen geschlossenen Abdeckplatte versehen gewesen sei. Die Klägerin habe sich insbesondere auf die Anlagen 5 bis 7 bezogen und die Beschwerdekammer ersucht, diese Zeugen zu hören.

99      Mit dem zweiten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Beschwerdekammer die Merkmale des streitigen Geschmacksmusters fehlerhaft bestimmt habe. Die Beschwerdekammer habe den Fehler begangen, bestimmte Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters, wie die seitlichen Rillen, zu berücksichtigen, während die Streithelferin ausschließliche Rechte am „Erscheinungsbild einer Abdeckplatte einer Abflussrinne“ beanspruche, „die zur Verwendung mit rechteckigen und länglichen (Dusch‑)Abflussrinnen bestimmt [sei]“. Mit anderen Worten könnten die rechteckige und längliche Form der Abflussrinne und die seitlichen Rillen nicht unter den Schutzgegenstand des angegriffenen Geschmacksmusters fallen. Allein die Form der Abdeckplatte der Duschrinne sei geeignet, dieses Geschmacksmuster von den älteren Geschmacksmustern zu unterscheiden.

100    Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung nicht Teil ihrer „Entscheidungsgründe“ (Rn. 27 bis 116), sondern der „Zusammenfassung des Sachverhalts“ (Rn. 1 bis 26) ist, da es sich um eine Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin und nicht um eine Beurteilung durch die Beschwerdekammer handelt.

101    Nach der Rechtsprechung sind jedoch Klagegründe, die sich nicht gegen die Gründe richten, aus denen die Beschwerdekammer die bei ihr eingelegte Beschwerde zurückgewiesen hat, als ins Leere gehend anzusehen (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 2020, L. Oliva Torras/EUIPO – Mecánica del Frío [Anhängevorrichtungen für Fahrzeuge], T‑629/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:506, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das ist hier der Fall.

102    Darüber hinaus ist mit dem EUIPO darauf hinzuweisen, dass der Gegenstand eines angegriffenen Geschmacksmusters und seine Merkmale ausschließlich anhand der zur Unterstützung der Anmeldung eingereichten Abbildungen bestimmt werden müssen.

103    Bei der Beurteilung der Neuheit oder der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters ist dieses nämlich in der Form, in der es eingetragen ist, mit den älteren Geschmacksmustern zu vergleichen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 8. Dezember 2005, Castellblanch/HABM – Champagne Roederer [CRISTAL CASTELLBLANCH], T‑29/04, EU:T:2005:438, Rn. 57, und vom 21. April 2021, Chanel/EUIPO – Huawei Technologies [Darstellung eines Kreises mit zwei ineinander verschlungenen gekrümmten Linien], T‑44/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:207, Rn. 25).

104    Außerdem dürfen die Schlussfolgerungen, die in Bezug auf den Gegenstand und die Merkmale eines angegriffenen Geschmacksmusters gezogen werden, nicht der Beurteilung durch die Parteien und letztlich ihrer freien Entscheidung überlassen werden (vgl. in diesem Sinne zur rechtlichen Einordnung der Offenbarungshandlung Urteil vom 23. Oktober 2018, Mamas and Papas/EUIPO – Wall-Budden [Nestchen für Kinderbetten], T‑672/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:707, Rn. 60).

105    Der zweite Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

 Vierter, fünfter und sechster Klagegrund: Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters

 Rechtsvorschriften und Rechtsprechung

106    Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 kann ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig erklärt werden, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung, zu denen insbesondere die Neuheit und die Eigenart gehören, nicht erfüllt.

107    Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag seiner Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, bei diesem Benutzer hervorruft. Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung stellt außerdem klar, dass bei der Beurteilung dieser Eigenart der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt wird.

108    Die Beurteilung der Eigenart eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters erfolgt im Wesentlichen in einer Prüfung in vier Schritten. Zu bestimmen sind erstens der Bereich der Erzeugnisse, bei denen das Geschmacksmuster verwendet oder in die es aufgenommen werden soll, zweitens der informierte Benutzer dieser Waren je nach ihrer Zweckbestimmung und mit Bezug auf diesen informierten Benutzer der Grad der Kenntnis vom Stand der Technik sowie der Grad der Aufmerksamkeit beim möglichst unmittelbaren Vergleich der Geschmacksmuster, drittens der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, deren Einfluss auf die Eigenart umgekehrt proportional ist, und viertens, unter Berücksichtigung der Eigenart, das Ergebnis des möglichst direkten Vergleichs der Gesamteindrücke, die das angegriffene Geschmacksmuster und jedes ältere, der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Geschmacksmuster beim informierten Benutzer jeweils hervorrufen (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

109    In Bezug auf das ältere oder die älteren Geschmacksmuster ist die Eigenart eines Geschmacksmusters durch einen Vergleich mit einem oder mehreren älteren Geschmacksmustern zu beurteilen, die einzeln aus der Gesamtheit der der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Geschmacksmuster bestimmt wurden, und nicht durch den Vergleich mit einer Kombination isoliert betrachteter Elemente, die mehreren Geschmacksmustern entnommen wurden (Urteile vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 25 und 35, und vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 84; vgl. in diesem Sinne auch Rechtsmittelurteil, Rn. 61). Somit muss dem älteren Geschmacksmuster ein „kompakter“ oder „umfassender“  zeitlicher Vorrang zukommen, der nicht das Ergebnis einer Kombination sein darf.

110    Für die Instanzen des EUIPO ist es von wesentlicher Bedeutung, über ein Bild des älteren Geschmacksmusters zu verfügen, das es ermöglichen muss, das Erscheinungsbild des Erzeugnisses, in das das Geschmacksmuster aufgenommen ist, zu erfassen und genau und sicher das ältere Geschmacksmuster zu bestimmen, um gemäß den Art. 5 bis 7 der Verordnung Nr. 6/2002 die Neuheit und Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu beurteilen und den dazu erforderlichen Vergleich zwischen den in Rede stehenden Geschmacksmustern vorzunehmen. Für die Prüfung, ob dem angegriffenen Geschmacksmuster die Neuheit oder Eigenart fehlt, ist nämlich ein genaues und bestimmtes älteres Geschmacksmuster erforderlich. Außerdem ist es Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, dem EUIPO die erforderlichen Angaben und insbesondere eine genaue und vollständige Bezeichnung und Darstellung des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, vorzulegen, um darzutun, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht rechtsgültig eingetragen werden konnte. Hingegen kann vom EUIPO nicht verlangt werden, dass es namentlich bei der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters die unterschiedlichen Elemente des älteren Geschmacksmusters zusammenfügt, denn es ist Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, eine vollständige Darstellung dieses Geschmacksmusters vorzulegen (vgl. in diesem Sinne Rechtsmittelurteil, Rn. 64, 65 und 69).

111    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es für die Geltendmachung des älteren Geschmacksmusters in einem Nichtigkeitsverfahren – ebenso wie im Hinblick auf Art. 36 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 für den Schutzumfang des Geschmacksmusters in einem Verletzungsverfahren – nicht auf die Kenntnis des Bereichs der in der Anmeldung genannten Erzeugnisse ankommt. So ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht erforderlich, dass der informierte Benutzer des angegriffenen Geschmacksmusters das Erzeugnis kennt, in das das ältere Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird (vgl. in diesem Sinne Rechtsmittelurteil, Rn. 134). Mit anderen Worten: Ein älteres Geschmacksmuster, das in ein anderes Erzeugnis als das vom angegriffenen Geschmacksmuster erfasste aufgenommen oder bei diesem verwendet wird, ist für die Beurteilung der Eigenart dieses jüngeren Geschmacksmusters im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 grundsätzlich relevant.

112    Was das angegriffene Geschmacksmuster betrifft, können die nicht sichtbaren Merkmale des Erzeugnisses, die keinen Bezug zu dessen Erscheinungsform aufweisen, bei der Klärung der Schutzfähigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters nicht berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2014, Biscuits Poult/HABM – Banketbakkerij Merba [Biskuits], T‑494/12, EU:T:2014:757, Rn. 29).

113    Was den Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster angeht, ergibt sich die Eigenart eines Geschmacksmusters nach ständiger Rechtsprechung aus einem Gesamteindruck der Unähnlichkeit oder des Fehlens eines „déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum vorbestehenden Formschatz älterer Geschmacksmuster, ungeachtet der Unterschiede, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – nicht markant genug sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinträchtigen, aber unter Berücksichtigung von Unterschieden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

114    Der Vergleich der durch die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster erweckten Gesamteindrücke muss synthetischer Art sein und kann sich nicht auf den analytischen Vergleich einer Aufzählung von Ähnlichkeiten und Unterschieden beschränken. Diesem Vergleich müssen die im angegriffenen Geschmacksmuster offenbarten Merkmale zugrunde gelegt werden, und er darf sich nur auf die tatsächlich geschützten Elemente stützen, ohne die vom Schutz ausgeschlossenen Merkmale – insbesondere technischer Art – zu berücksichtigen. Dieser Vergleich muss sich grundsätzlich auf die Geschmacksmuster in ihrer eingetragenen Form beziehen, wobei vom Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren keine der Wiedergabe im Antrag auf Eintragung des angegriffenen Geschmacksmusters vergleichbare grafische Darstellung des geltend gemachten Geschmacksmusters verlangt werden kann (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

115    Im Licht dieser Rechtsprechung sind der vierte, der fünfte und der sechste Klagegrund zu prüfen, nachdem die einzelnen einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und die von der Beschwerdekammer in den Rn. 98 bis 112 der angefochtenen Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen wiedergegeben worden sind.

 Wiedergabe der einzelnen einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und der angefochtenen Entscheidung

116    Die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster werden im Folgenden aufgeführt, wobei die sechs Geschmacksmuster, die Gegenstand der Eintragung DM/059828 sind, einzeln betrachtet werden müssen, weil sie – vorbehaltlich der Prüfung des vierten Klagegrundes (siehe unten, Rn. 128 bis 147) – jeweils kompakten zeitlichen Vorrang haben (siehe oben, Rn. 109):

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25.1 25.2 25.3

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Angegriffenes Geschmacksmuster

Ältere Geschmacksmuster

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Angegriffenes Geschmacksmuster

Ältere Geschmacksmuster

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Angegriffenes Geschmacksmuster

Ältere Geschmacksmuster


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Angegriffenes Geschmacksmuster

Ältere Geschmacksmuster

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Angegriffenes Geschmacksmuster

Ältere Geschmacksmuster

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Angegriffenes Geschmacksmuster

Ältere Geschmacksmuster

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Angegriffenes Geschmacksmuster

Ältere Geschmacksmuster

117    In den Rn. 98 und 99 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass die älteren Geschmacksmuster Nrn. 1 und 3 die einzigen seien, die eine Deckplatte ohne Öffnungen darstellten, während die anderen älteren Geschmacksmuster Schlitze aufwiesen, die sich in ihrer Anzahl und Form unterschieden. Da das Vorhandensein von Schlitzen maßgeblich dazu beigetragen habe, einen Gesamteindruck zu erwecken, der sich von dem des angegriffenen Geschmacksmusters deutlich unterscheide, war die Beschwerdekammer der Ansicht, dass bei der Beurteilung der Eigenart den älteren Geschmacksmustern Nrn. 1 und 3 besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Der Vollständigkeit halber berücksichtigte sie jedoch auch die anderen älteren Geschmacksmuster, nämlich die älteren Geschmacksmuster Nrn. 2, 4, 5 und 6, weil einige von ihnen nach Ansicht der Klägerin die gleichen Abmessungen und Proportionen aufwiesen wie die im angegriffenen Geschmacksmuster dargestellte Duschabflussrinne. Die Beschwerdekammer fügte hinzu, dass sie beim Vergleich der in Rede stehenden Geschmacksmuster nur das Erscheinungsbild derjenigen Merkmale berücksichtige, die nach dem Einbau der Duschabflussrinnen sichtbar blieben.

118    In Rn. 100 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass das Gericht in Rn. 49 seines ersten Urteils (siehe oben, Rn. 14) in Bezug auf das angegriffene Geschmacksmuster festgestellt habe, dass das Erzeugnis, auf das sich dieses Geschmacksmuster beziehe, ein „Duschabfluss“ (shower drain) sei und dass nach dem Einbau in den Duschboden nicht nur die Oberseite der Platte, sondern auch die beiden seitlichen Rillen und der obere Teil des Wannenrands sichtbar blieben, so dass die Beschwerdekammer in ihrer ersten Entscheidung eindeutig auf das letztgenannte Element Bezug genommen habe, als sie von den „dünnen Außenkanten der Duschabflussrinne“ gesprochen habe. Daher habe sich das Gericht in Rn. 59 seines ersten Urteils der von der Beschwerdekammer in ihrer ersten Entscheidung vertretenen Auffassung angeschlossen, dass nach dem Einbau der „Duschabflussrinne“, die durch das angegriffene Geschmacksmuster dargestellt werde, die horizontale Fläche der Abdeckplatte nicht ihr einziges Element sei, das sichtbar bleibe.

119    Hierzu ist der Klarheit und der terminologischen Präzision halber sogleich klarzustellen, dass es sich bei dem angegriffenen Geschmacksmuster nicht um einen „siphon de douche“ („Duschabfluss“, auf Niederländisch „douchesifon“) im engeren Sinne handelt, wie das Gericht in der französischen Fassung seines ersten Urteils (siehe Rn. 49 und 59 dieses Urteils) ausgeführt hat, sondern vielmehr um eine „Duschabflussrinne“ (auf Niederländisch „douchegoot“ oder „doucheput“), die nicht nur einen Ablauf, sondern auch und vor allem eine Ablaufwanne und eine Abdeckplatte umfasst.  Außerdem ist der Ausdruck „Duschabflussrinne“ eine genauere Übersetzung des englischen Ausdrucks „shower drain“, der ebenfalls in dem genannten Urteil erwähnt wird und in der Anmeldung enthalten ist (siehe oben, Rn. 3).

120    In Rn. 101 des angefochtenen Beschlusses traf die Beschwerdekammer folgende Feststellungen:

–        Gemeinsames Merkmal der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster sei ihre rechteckige, längliche Form;

–        das ältere Geschmacksmuster Nr. 5 und das angegriffene Geschmacksmuster wiesen fast identische Proportionen zwischen den vier Seiten der Platte auf;

–        die älteren Geschmacksmuster Nrn. 1 und 3 und das angegriffene Geschmacksmuster seien mit einer geschlossenen Abdeckplatte versehen;

–        mit Ausnahme des älteren Geschmacksmusters Nr. 5 wiesen die anderen älteren Geschmacksmuster und das angegriffene Geschmacksmuster dünne Außenkanten an den vier Seiten auf.

121    In Rn. 102 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass sich die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster jedoch in folgenden Merkmalen unterschieden:

–        Bei den älteren Geschmacksmustern Nrn. 1, 2, 3 und 5 befinde sich in der Mitte ihrer Oberfläche eine kreisförmige Ablauföffnung, die in den darunter liegenden Duschabfluss übergehe, während dieses Merkmal im angegriffenen Geschmacksmuster nicht vorhanden sei;

–        die älteren Geschmacksmuster Nrn. 1 und 2 wiesen an ihren Längsseiten vier Befestigungen auf, die allerdings nach dem Einbau allenfalls eingeschränkt sichtbar blieben, während diese Merkmale bei den anderen Geschmacksmustern, einschließlich des angegriffenen Geschmacksmusters, nicht vorhanden seien;

–        die älteren Geschmacksmuster Nrn. 4, 5 und 6 hätten keine Abdeckplatte, sondern eine Platte mit Öffnungen, während das angegriffene Geschmacksmuster eine geschlossene und verzierte Abdeckplatte aufweise;

–        nur die Abdeckplatte des angegriffenen Geschmacksmusters weise an den Längsseiten Rillen auf, während die älteren Geschmacksmuster einen kreisförmigen Wasserablauf oder einen Rost mit Schlitzen oder Löchern aufwiesen;

–        bei den älteren Geschmacksmustern weise die Platte keine dekorativen Elemente auf, während bei dem angegriffenen Geschmacksmuster die gesamte Oberfläche der Abdeckplatte mit einem Punktmuster verziert sei.

122    In den Rn. 103 und 104 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass der Gesamteindruck, den die älteren Geschmacksmuster Nrn. 1 und 3 beim informierten Benutzer hervorriefen, hauptsächlich durch die rechteckige und längliche Form der Wanne und die kreisförmige Öffnung in der Mitte, deren Position dem darunter befindlichen Abfluss entspreche, bestimmt werde. Ihrer Auffassung nach unterschieden sich diese Merkmale von denen, die im Bereich der Vorrichtungen zur Ableitung von Flüssigkeiten zu finden seien, die auch quadratische oder runde Wannen sowie Schlitze, z. B. in rechteckiger Form, aufwiesen. Dagegen seien die dünnen Außenkanten der vier Seiten weniger auffällig als die anderen Elemente und hätten einen geringeren Einfluss auf den erzeugten Gesamteindruck.

123    In den Rn. 105 und 106 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass das angegriffene Geschmacksmuster zudem eine rechteckige und längliche Abdeckplatte aufweise, deren dünne Außenkanten an den vier Seiten sichtbar seien. Diese Abdeckplatte sei jedoch im Gegensatz zu den geprüften älteren Geschmacksmustern vollständig geschlossen, weil das Wasser durch die an den Längsseiten des Duschabflusses des angegriffenen Geschmacksmusters verlaufenden Rillen abfließe, und ihre Oberfläche sei darüber hinaus mit einem grauen Punktmuster verziert. Außerdem sei im vorliegenden Fall das Vorhandensein der dünnen Außenkanten während der Verwendung der in Rede stehenden Ablaufvorrichtung nicht besonders auffällig. Senkrecht von oben betrachtet würden diese Merkmale nämlich beim informierten Benutzer, der sich hauptsächlich auf die Linien und Formen der Abdeckplatte konzentriere, keinen besonderen Eindruck hervorrufen.

124    In Rn. 107 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer daher fest, dass diese Geschmacksmuster und das angegriffene Geschmacksmuster zwar aus rechteckigen und länglichen Formen mit dünnen Außenkanten bestünden, die ähnliche Proportionen aufwiesen wie die von der Klägerin genannten älteren Geschmacksmuster, dass das angegriffene Geschmacksmuster aber eine vollständig geschlossene und – was ebenso wichtig sei – mit seitlichen Rillen verzierte Abdeckplatte aufweise. Ihrer Ansicht nach verliehen diese Merkmale dem angegriffenen Geschmacksmuster einen anderen Eindruck als die älteren Geschmacksmuster. Bei Letzteren trügen das Fehlen von Verzierungen auf einer vollständig geschlossenen Abdeckplatte sowie die auf den ersten Blick erkennbare runde Form des Ablaufs oder der Schlitzrost entscheidend zu dem von ihnen hervorgerufenen Gesamteindruck bei.

125    In Rn. 108 der angefochtenen Entscheidung führte die Beschwerdekammer aus, dass diese Unterschiede weder vernachlässigt werden dürften noch geringfügig oder anderweitig unbedeutend seien und dass diese Feststellung umso mehr zutreffe, als die Abdeckplatte des angegriffenen Geschmacksmusters mit kleinen grauen Punkten verziert sei. Die Klägerin könne nicht mit Erfolg geltend machen, dass das Aussehen, die Linien und die Formen der in Rede stehenden Wasserabflussvorrichtungen außer Acht zu lassen seien, weil sie einem technischen Zweck dienten oder weil es Beweise dafür gebe, dass es im relevanten Sektor möglicherweise eine Tendenz gebe, rechteckige und längliche Wasserabflussvorrichtungen mit einer geschlossenen Abdeckplatte anzubieten. Im Gegenteil: Die fraglichen Merkmale hätten zwar eine technische Funktion, seien aber in Anbetracht des relativ hohen Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers in ihrer Form, Größe und Anordnung variabel und von ästhetischen Erwägungen diktiert worden. Ebenso wenig sei dem Vorbringen der Klägerin zu folgen, dass das angegriffene Geschmacksmuster mit dem Geschmacksmuster DM/059828 – bis auf dessen Abdeckplatte mit Öffnungen, die ihrer Meinung nach aufgrund technischer Erwägungen vorgegeben seien – identisch sei. Die Form und die Anordnung der Schlitze im Rost waren nämlich nach Auffassung der Beschwerdekammer Elemente, bei deren Gestaltung der Entwerfer erhebliche Freiheit genossen habe und die unabhängig von oder zusätzlich zu allen technischen Funktionen, die diese Merkmale ebenfalls erfüllen sollten, hätten ausgestaltet werden können. So hätten die Form der Schlitze und auch deren Position und Anordnung von Ablaufvorrichtung zu Ablaufvorrichtung unterschiedlich sein können, so dass das Erscheinungsbild dieser Merkmale den Gesamteindruck habe beeinflussen können.

126    In den Rn. 109 und 110 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer daher fest, dass der durch das angegriffene Geschmacksmuster hervorgerufene Gesamteindruck der einer eleganten, schlichten und minimalistischen Duschabflussrinne sei, die aus einer geschlossenen und mit seitlichen Rillen verzierten Abdeckplatte bestehe, während der durch die älteren Geschmacksmuster hervorgerufene Gesamteindruck durch stärker standardisierte Merkmale wie den kreisförmigen Wasserabfluss in der Mitte oder den Schlitzrost bestimmt werde. Außerdem enthielten die älteren Geschmacksmuster im Gegensatz zum angegriffenen Geschmacksmuster keine dekorativen Merkmale. Obwohl die Klägerin nachdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass seitliche Rillen in Duschabflussrinnen mit geschlossener Abdeckplatte üblich und durch eine technische Funktion vorgegeben seien, gelangte die Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass diese seitlichen Rillen, so wie sie wiedergegeben worden seien, einen gewissen ästhetischen Wert hätten, der dazu beitrage, der Duschabflussrinne der Streithelferin ein elegantes und minimalistisches Gesamterscheinungsbild zu verleihen.

127    In Rn. 112 der angefochtenen Entscheidung fügte die Beschwerdekammer hinzu, dass sie aus denselben Gründen -sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die älteren Geschmacksmuster Nrn. 2, 4, 5 und 6 keine geschlossene Abdeckplatte, sondern eine Platte mit Schlitzen unterschiedlicher Anzahl, Form und Größe aufwiesen – der Auffassung sei, dass sich der Gesamteindruck, den diese Geschmacksmuster bei einem informierten Benutzer hervorriefen, von dem des angegriffenen Geschmacksmusters unterscheide, das eine geschlossene, mit Punkten verzierte Oberfläche aufweise, und dass diese Unterschiede das Erscheinungsbild der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster entscheidend beeinflussten.

 Vierter Klagegrund

128    Mit dem vierten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 98 bis 110 und 112 der angefochtenen Entscheidung bei der Beurteilung der Neuheit oder Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters einen Fehler begangen habe, indem sie es mit den in der Eintragung DM/059828 wiedergegebenen Geschmacksmustern verglichen habe. Sie hält den Vergleich für fehlerhaft, weil die Beschwerdekammer in den Rn. 98 und 101 der angefochtenen Entscheidung von der unzutreffenden Feststellung ausgegangen sei, dass es sich bei dem Geschmacksmuster Nr. 1 (das den Nrn. 1.1 und 1.2 entspreche) und dem Geschmacksmuster Nr. 3 (das den Nrn. 3.1 und 3.2 entspreche), wie sie in die Eintragung DM/059828 aufgenommen worden seien, um Duschrinnen handele, die mit einer Abdeckplatte ohne Öffnungen, einem sogenannten „Zero-Rost“ (cover of rooster), ausgestattet seien.

129    Zum einen bestehe das den Nrn. 1.1 und 1.2 entsprechende Geschmacksmuster nur aus einer Ablaufwanne ohne eingebaute oder aufgesetzte Abdeckplatte mit oder ohne Öffnungen (wobei Nr. 1.1 die Draufsicht und Nr. 1.2 die Untersicht zeige). Dieses Geschmacksmuster stelle daher keine vollständige Duschabflussrinne wie das angegriffene Geschmacksmuster dar. Es stehe außer Zweifel, dass die Ablaufwanne, die im den Nrn. 1.1 und 1.2 entsprechenden Geschmacksmuster wiedergegeben sei, in den Boden eingebaut werde und während der bestimmungsgemäßen Verwendung nicht sichtbar sei (mit Ausnahme der oberen Kanten der Ablaufwanne). Aus diesem Grund falle das Geschmacksmuster Nr. 1 nicht unter den Schutz des Gemeinschaftsgeschmacksmusters. Dasselbe gelte für das andere in den Rn. 98 und 101 genannte Geschmacksmuster, nämlich das (den Nrn. 3.1 und 3.2 entsprechende) Geschmacksmuster Nr. 3, das (in Nr. 3.1 als Draufsicht und in Nr. 3.2 als Untersicht) ebenfalls nur eine Ablaufwanne ohne eingebaute oder aufgesetzte Abdeckplatte mit oder ohne Öffnungen darstelle. Außerdem würden die in den Rn. 101 und 102 zweiter Gedankenstrich der angefochtenen Entscheidung erwähnten dünnen Außenkanten aller vier Seiten der den Nrn. 1.1 und 1.2 entsprechenden Geschmacksmuster ebenfalls beim Einbau in den Boden verschwinden und bei bestimmungsgemäßer Verwendung unsichtbar sein.

130    Zum anderen habe die Beschwerdekammer in Bezug auf das (den Nrn. 5.1 und 5.2 entsprechende) Geschmacksmuster Nr. 5 und das (den Nrn. 6.1 und 6.2 entsprechende) Geschmacksmuster Nr. 6 in Rn. 102 dritter Gedankenstrich ihrer Entscheidung festgestellt, dass es sich um Duschrinnen handele, die mit einer Abdeckplatte versehen seien, die Öffnungen aufweise. Diese Geschmacksmuster stellten jedoch keine Duschabflussrinnen dar. Die Abbildungen des den Nrn. 5.1 und 5.2 entsprechenden Geschmacksmusters zeigten nur eine Abdeckplatte mit Öffnungen (wobei Nr. 5.1 die während der bestimmungsgemäßen Verwendung allein mögliche Draufsicht und Nr. 5.2 die Untersicht zeige). Dieselbe Feststellung müsse auch in Bezug auf die Abbildungen des den Nrn. 6.1 und 6.2 entsprechenden Geschmacksmusters gelten (wobei Nr. 6.1 die Untersicht und Nr. 6.2 die während der bestimmungsgemäßen Verwendung allein mögliche Draufsicht zeige). Somit vergleiche die Beschwerdekammer das Erscheinungsbild einer vollständigen Abflussrinne, d. h. des angegriffenen Geschmacksmusters, mit dem Erscheinungsbild einer bloßen Abdeckplatte, die Teil einer Abflussrinne sei.

131    Nach Auffassung der Klägerin lassen die vom vorliegenden Klagegrund betroffenen Randnummern der angefochtenen Entscheidung eindeutig erkennen, dass die Beschwerdekammer übersehen hat, dass es sich bei den den Nrn. 1.1, 1.2, 3.1 und 3.2 entsprechenden Geschmacksmustern nur um Abflusswannen (ohne Abdeckplatte) und bei den den Nrn. 5.1, 5.2, 6.1 und 6.2 entsprechenden Geschmacksmustern nur um Abdeckplatten (mit Öffnungen) handelt und allein die Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4 eine vollständige Abflussrinne – wie das angefochtene Geschmacksmuster – einschließlich der Ablaufwanne und einer darin eingebauten oder darauf aufgesetzten Abdeckplatte darstellen. Daher bilde das den Nrn. 1.1 und 1.2 entsprechende Geschmacksmuster zusammen mit dem den Nrn. 5.1 und 5.2 entsprechenden Geschmacksmustern das Erscheinungsbild des Geschmacksmusters Nr. 2, während das den Nrn. 3.1 und 3.2 entsprechende Geschmacksmuster zusammen mit dem den Nrn. 6.1 und 6.2 entsprechenden Geschmacksmuster das Erscheinungsbild des Geschmacksmusters 4 bilde. In Wirklichkeit gebe die Eintragung DM/059828 nur zwei ältere Geschmacksmuster einer vollständigen Abflussrinne -wie das angegriffene Geschmacksmuster – wieder, nämlich die Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4.

132    Die Klägerin fügt hinzu, dass die in Rn. 102 erster Gedankenstrich der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung ebenfalls fehlerhaft sei. Nach dieser Feststellung wiesen die Geschmacksmuster Nrn. 1, 2, 3 und 5 der Eintragung DM/059828 einen kreisförmigen Wasserabfluss in der Mitte ihrer Oberfläche auf. Nach Ansicht der Klägerin handelt es sich bei den Geschmacksmustern Nrn. 1 und 3 tatsächlich um Abflussrinnen oder Abflüsse, die jedoch während der bestimmungsgemäßen Verwendung nicht sichtbar sind. Die Geschmacksmuster Nrn. 2 und 5 seien nicht mit einem Abfluss ausgestattet, sondern stellten eine Abdeckplatte mit einer kreisförmigen Öffnung in der Mitte ihrer Oberfläche dar.

133    Die Klägerin trägt vor, auch die in Rn. 102 fünfter Gedankenstrich und in den Rn. 106 und 107 der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung sei fehlerhaft. Nach dieser Feststellung wiesen die Abdeckplatten der von der Eintragung DM/059828 erfassten Modelle von Abflussrinnen (und damit nach ihrem Vorbringen nur die Abdeckplatten der Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4) keine dekorativen Elemente auf, während die im angegriffenen Geschmacksmuster dargestellte Abdeckplatte mit einem Punktmuster verziert sei. Die Klägerin ist ihrerseits der Ansicht, dass die Abdeckplatten der Geschmacksmuster der Eintragung DM/059828 eine Verzierung in Form eines bestimmten Perforationsmusters aufwiesen. Im Gegensatz dazu zeichne sich die Abdeckplatte des angegriffenen Geschmacksmusters durch das Fehlen eines dekorativen Elements aus, weil sie nur aus einer glatten Edelstahlabdeckplatte bestehe, die auch unter der Bezeichnung „Zero-Abdeckplatte“ bekannt sei. Diese Abdeckplatte weise keinerlei Verzierung auf, weder in Form von Punkten noch in anderer Form.

134    Die Klägerin ist daher der Auffassung, dass die Beschwerdekammer hinsichtlich der Art und des Erscheinungsbilds der als ältere Geschmacksmuster zu vergleichenden Gegenstände einen Fehler begangen habe, weil sie das angegriffene Geschmacksmuster zunächst mit dem Erscheinungsbild der Ablaufwanne einer Duschabflussrinne, dann mit dem Erscheinungsbild der Abdeckplatte einer Duschabflussrinne und schließlich mit einer vollständigen Duschabflussrinne verglichen habe. Sie zieht daraus den Schluss, dass auch hinsichtlich des Merkmals oder der Merkmale, die das Erscheinungsbild des angegriffenen Geschmacksmusters von älteren Geschmacksmustern unterschieden, Ungewissheit bestehe.

135    Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

136    Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin weder der Definition des informierten Benutzers in Rn. 85 der angefochtenen Entscheidung noch der Beurteilung in Rn. 88 dieser Entscheidung widerspricht, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers relativ hoch sei (siehe oben, Rn. 24). Sie wendet sich auch nicht gegen die Beurteilung der Beschwerdekammer in Rn. 77 dieser Entscheidung, wonach keines der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt sei, so dass es weder vom Schutz ausgeschlossen sei noch seiner Auswirkung auf den Gesamtvergleich eine wesentlich geringere Bedeutung zugewiesen werden könne (siehe oben, Rn. 23). Außerdem gibt es keinen Grund, diese Definition und diese Beurteilungen in Frage zu stellen.

137    Nach dem Rechtsmittelurteil steht auch fest, dass es keineswegs erforderlich ist, dass der informierte Benutzer des angegriffenen Geschmacksmusters das Erzeugnis kennt, in das das ältere Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird (siehe oben, Rn. 16). Mit anderen Worten: Ein älteres Geschmacksmuster, das in ein anderes Erzeugnis als das vom angegriffenen Geschmacksmuster erfasste aufgenommen oder bei diesem verwendet wird, stellt grundsätzlich ein für die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 relevantes älteres Geschmacksmuster dar (siehe oben, Rn. 111). Im vorliegenden Fall steht daher der Umstand, dass die älteren Geschmacksmuster für eine industrielle Verwendung zur Entsorgung von Flüssigkeiten und nicht zur Verwendung als Duschabflussrinne in einem Sanitärbereich wie einem Badezimmer bestimmt sind, ihrer Berücksichtigung als relevante ältere Geschmacksmuster für die Zwecke der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters nicht entgegen.

138    Mit dem vierten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Beschwerdekammer beim Vergleich des angegriffenen Geschmacksmusters mit den in der Eintragung DM/059828 dargestellten älteren Geschmacksmustern einen Fehler begangen habe. Die Beschwerdekammer sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die älteren Geschmacksmuster, die durch die Ansichten der den Nrn. 1.1 und 1.2 und anschießend Nrn. 3.1 und 3.2 entsprechenden Geschmacksmuster dargestellt würden, eine Abdeckplatte ohne Öffnungen beträfen, obwohl es sich lediglich um eine Ablaufwanne handele. Diese älteren Geschmacksmuster seien jedoch bei bestimmungsgemäßer Verwendung (d. h., sobald sie in den Boden eingelassen seien) nicht sichtbar und fielen daher nicht in den Schutzbereich von Gemeinschaftsgeschmacksmustern (vgl. Rn. 98 und 101 der angefochtenen Entscheidung). Ebenso habe die Beschwerdekammer einen Fehler begangen, indem sie davon ausgegangen sei, dass die den Nrn. 5.1, 5.2, 6.1 und 6.2 entsprechenden älteren Geschmacksmuster Abflussrinnen mit einer Abdeckplatte beträfen, die Öffnungen aufweise, obwohl es sich ausschließlich um eine Abdeckplatte handele. Die Klägerin zieht daraus den Schluss, dass nur die Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4 der Eintragung DM/059828 eine vollständige Abflussrinne – wie das angefochtene Geschmacksmuster – einschließlich der Ablaufwanne und einer darin eingebauten oder darauf aufgesetzten Abdeckplatte darstellten.

139    Die Klägerin ist mit anderen Worten der Ansicht, dass das angegriffene Geschmacksmuster nur mit den beiden älteren Geschmacksmustern Nrn. 2 und 4 hätte verglichen werden dürfen, weil diese beiden Geschmacksmuster innerhalb der Eintragung DM/059828 die einzigen gewesen seien, die sich auf vollständige „Duschabflussrinnen“ bezogen hätten, die aus zwei Teilen, nämlich der Ablaufwanne und der Abdeckplatte, bestünden.

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Geschmacksmuster Nr. 2 der Eintragung DM/059828

Geschmacksmuster Nr. 4 der Eintragung DM/059828


140    Hierzu ist zunächst mit dem EUIPO darauf hinzuweisen, dass ein etwaiger Fehler, den die Beschwerdekammer bei der Definition der Merkmale der anderen Geschmacksmuster als der Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4 der Eintragung DM/059828 begangen haben könnte, keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben kann, weil die Beschwerdekammer das angegriffene Geschmacksmuster sehr wohl mit den vollständigen älteren Geschmacksmustern Nrn. 2 und 4 verglichen hat, d. h. mit denjenigen, die ein komplexes Erzeugnis darstellen, das aus den beiden Teilen Ablaufwanne und Abdeckplatte besteht, die zusammen eine Duschabflussrinne bilden. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Beschwerdekammer das angegriffene Geschmacksmuster bei der Prüfung der älteren Geschmacksmuster Nrn. 1, 3, 5 und 6 auch mit dem Erscheinungsbild einer Ablaufwanne allein oder einer Abdeckplatte allein verglichen habe, könnte dies das Ergebnis des Vergleichs des angegriffenen Geschmacksmusters mit vollständigen Duschabflussrinnen, wie sie die älteren Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4 darstellen, nicht widerlegen.

141    Sodann ist festzustellen, dass der vorgenommene Vergleich zwischen dem angegriffenen Geschmacksmuster und den älteren Geschmacksmustern Nrn. 2 und 4 fehlerfrei ist. Dies gilt selbst dann, wenn das ältere Geschmacksmuster Nr. 4 entgegen den Ausführungen in Rn. 102 dritter Gedankenstrich der angefochtenen Entscheidung eine Abdeckplatte umfasst. Der Umstand, dass dieses Geschmacksmuster, wie die Beschwerdekammer festgestellt hat, eine Platte mit Öffnungen umfasst, deren Motiv nicht dekorativ, sondern funktional ist, reicht nämlich aus, um die Feststellungen in den Rn. 109, 110 und 112 der angefochtenen Entscheidung als zutreffend und im Ergebnis fehlerfrei anzusehen. Der sehr geringfügige Fehler, den die Beschwerdekammer in Rn. 102 dritter Gedankenstrich der angefochtenen Entscheidung begangen hat, kann daher keinen entscheidenden Einfluss auf die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung haben.

142    Schließlich ist festzustellen, dass die Klägerin in ihren Schriftsätzen kein Argument vorbringt, das die in den Rn. 109, 110 und 112 der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen entkräften könnte.

143    Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es ein „Problem“ mit den Abbildungen in den Blücher-Katalogen gebe, weil die Ablaufwanne auf einer Fotografie und die Abdeckplatte auf einer anderen Fotografie abgebildet seien, aber eine Abbildung fehle, die beide Teile zusammen darstelle. Hierzu ist noch darauf hinzuweisen, dass einem älteren Geschmacksmuster ein „kompakter“ oder „umfassender“  zeitlicher Vorrang zukommen muss, der nicht das Ergebnis einer Kombination sein darf, wie sich insbesondere aus dem oben in Rn. 109 angeführten Urteil vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions (C‑345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 25 und 35), ergibt. Im vorliegenden Fall ist jedoch in Übereinstimmung mit den Ausführungen des EUIPO in der mündlichen Verhandlung festzustellen, dass aus den Akten hervorgeht, dass die Klägerin keine Abbildung eines vollständigen Abflusssystems mit Ablaufwanne und Abdeckplatte vorgelegt hat, wie es in den Blücher-Katalogen beworben wird. Folglich kommt der einzige kompakte zeitliche Vorrang, auf den sich die Klägerin stützen kann, allenfalls den Geschmacksmustern Nrn. 2 und 4 in der Eintragung DM/059828 zu, die vollständige Duschabflussrinnen darstellen.

144    Die Beschwerdekammer hat daher zu Recht in den Rn. 109 und 110 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt, dass der von dem angegriffenen Geschmacksmuster hervorgerufene Gesamteindruck der einer „eleganten, schlichten und minimalistischen“ Duschabflussrinne sei, die aus einer geschlossenen, mit Verzierungen versehenen Abdeckplatte und seitlichen Rillen bestehe, deren ästhetischer Wert zu diesem „eleganten und minimalistischen“ Erscheinungsbild beitrage, wohingegen der Gesamteindruck der älteren Geschmacksmuster, insbesondere der Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4, ein anderer sei, weil er durch stärker „standardisierte“, funktionale und nicht dekorative Merkmale bestimmt werde, wie den kreisförmigen Wasserabfluss in der Mitte (des Geschmacksmusters Nr. 2 gemäß den Abbildungen des den Nrn. 1.1 und 1.2 entsprechenden Geschmacksmusters sowie des Geschmacksmusters Nr. 4 gemäß den Abbildungen des den Nrn. 3.1 und 3.2 entsprechenden Geschmacksmusters) oder den Schlitzrost (des Geschmacksmusters Nr. 2 gemäß den Abbildungen des den Nrn. 5.1 und 5.2 entsprechenden Geschmacksmusters sowie des Geschmacksmusters Nr. 4 gemäß den Abbildungen des den Nrn. 6.1 und 6.2 entsprechenden Geschmacksmusters).

145    Ebenfalls zu Recht hat die Beschwerdekammer in Rn. 112 der angefochtenen Entscheidung in Verbindung mit deren Rn. 107 im Wesentlichen hinzugefügt, dass sie – aus denselben Gründen wie den in den Rn. 109 und 110 dieser Entscheidung dargelegten und auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die älteren Geschmacksmuster Nrn. 2 und 4 eine mit Schlitzen versehene und funktionale Platte ohne Verzierung darstellten – der Auffassung sei, dass der Gesamteindruck, den diese Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorriefen, ein anderer sei als der, den das angegriffene Geschmacksmuster hervorrufe, das eine geschlossene Abdeckplatte darstelle, die mit einem Punktmuster sowie seitlichen Rillen von ästhetischem Wert verziert sei.

146    Schließlich hat die Beschwerdekammer in der von der Klägerin nicht ausdrücklich angegriffenen Rn. 113 der angefochtenen Entscheidung zu Recht im Wesentlichen festgestellt, der oben erwähnte Unterschied im Erscheinungsbild der Merkmale, die das Werk eines über einen hohen Grad der Gestaltungsfreiheit verfügenden Entwerfers gewesen seien, reiche aus, um trotz des Vorhandenseins einiger Übereinstimmungen einen unterschiedlichen Gesamteindruck zu erzeugen, und ist somit zu dem Ergebnis gelangt, dass das angegriffene Geschmacksmuster in Anbetracht der im Antrag auf Nichtigerklärung allein genannten älteren Geschmacksmuster, insbesondere der Geschmacksmuster Nr. 2 (gemäß den Abbildungen der den Nrn. 1.1, 1.2, 5.1 und 5.2 entsprechenden Geschmacksmuster) und Nr. 4 (gemäß den Abbildungen der den Nrn. 3.1, 3.2, 6.1 und 6.2 entsprechenden Geschmacksmuster), Eigenart habe.

147    Der vierte Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

 Fünfter Klagegrund

148    Mit dem fünften Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer in Rn. 111 der angefochtenen Entscheidung in Verbindung mit deren Rn. 29 und 30 zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Erklärungen, auf die sich die Klägerin bezogen habe, nicht unter Eid oder an Eides statt abgegeben worden seien, weil es sich bei den meisten von ihnen um E‑Mails gehandelt habe, die zudem aus der eigenen Sphäre der Klägerin stammten und nicht durch unabhängige Erklärungen gestützt worden seien. Die Klägerin geht davon aus, dass es sich dabei um die Anlagen Nrn. 4 bis 7 handelt, die sie ihrer Antwort vom 2. April 2010 beigefügt hatte und auf die sie auch in Rn. 20 ihrer Stellungnahme vom 21. September 2018 Bezug genommen hatte. Ihrer Meinung nach gab es keinen Grund, den Inhalt dieser Erklärungen bei der Beurteilung der Neuheit und Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters nicht zu berücksichtigen.

149    Zunächst einmal hält die Klägerin es im Licht des dritten Klagegrundes für „seltsam und widersprüchlich“, dass die Beschwerdekammer diese Erklärungen überhaupt in Betracht gezogen habe. Die Klägerin habe die in Rede stehenden Anlagen nämlich zusammen mit der Fotografie auf S. 33 der Blücher-Kataloge vorgelegt, die die Beschwerdekammer nach Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 mit der Begründung unberücksichtigt gelassen habe, dass sie nicht im Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung vom 3. September 2009 vorgelegt worden sei. Die Klägerin räumt zwar ein, dass es sich bei den meisten dieser Erklärungen um E‑Mails handele, weist jedoch darauf hin, dass keiner der Beteiligten und auch keine der Instanzen, die zuvor entschieden hätten, die Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser E‑Mails jemals in Frage gestellt habe. Diese Erklärungen und ihr Inhalt seien niemals auch nur im Geringsten bestritten worden. Außerdem fügt die Klägerin hinzu, dass diese Erklärungen nicht aus ihrer eigenen Sphäre stammten, sondern dass die Anlagen Nrn. 4, 5 und 7 von der Firma Blücher stammten, einem von ihr völlig unabhängigen Unternehmen ohne jegliche vertragliche, gesellschaftsrechtliche oder sonstige Verbindung, während die Anlage Nr. 6 vom Rechtsberater der Streithelferin stamme.

150    Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

151    In Rn. 111 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Erklärungen, auf die sich die Klägerin bezogen habe, nicht unter Eid oder an Eides statt abgegeben worden seien, weil es sich bei den meisten von ihnen um E‑Mails gehandelt habe, und dass sie zudem aus der eigenen Sphäre der Klägerin stammten und nicht durch unabhängige Erklärungen, z. B. von Herstellerverbänden oder Handelskammern, gestützt worden seien. Daher war die Beschwerdekammer der Ansicht, dass ihr die Dokumente, auf die sich die Klägerin bezogen habe, keinen Anlass gäben, den verschiedenen Merkmalen des angegriffenen Geschmacksmusters einen ästhetischen Wert abzusprechen. Im Gegenteil hielt sie es im vorliegenden Fall für erforderlich, dieses Geschmacksmuster als Ganzes sowie die Form, Größe, Position und Proportion der Elemente, aus denen es sich zusammensetzte, zu berücksichtigen.

152    Mit dem fünften Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Beschwerdekammer einen Fehler begangen habe, indem sie diesen Erklärungen und den E‑Mails, die u. a. von Mitarbeitern von Blücher oder I‑Drain ausgetauscht worden seien, jeden Beweiswert abgesprochen habe.

153    Zunächst ist festzustellen, dass der vorliegende Klagegrund auf einem unzutreffenden Verständnis der angefochtenen Entscheidung beruht. In Rn. 111 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer den Erklärungen, die die Klägerin in den Anlagen Nrn. 4 bis 7 ihrer Antwort vom 2. April 2010 auf die Stellungnahme der Streithelferin vor der Nichtigkeitsabteilung vorgelegt hatte und die im Wesentlichen den mehr oder weniger ästhetischen oder funktionalen Charakter des angegriffenen Geschmacksmusters betrafen, nicht jeden Beweiswert hat absprechen wollen. Vielmehr hat sich die Beschwerdekammer darauf beschränkt, auf die ständige Rechtsprechung des Gerichts zu verweisen, wonach den Erklärungen Dritter im Wesentlichen ein gewisser Beweiswert zukommt, der jedoch umso geringer ist, je stärker das Interesse des Dritten am Erfolg des Verfahrens ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2014, Nanu-Nana Joachim Hoepp/HABM – Stal‑Florez Botero [la nana], T‑196/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:674, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 16. Juni 2015, H.P. Gauff Ingenieure/HABM – Gauff [Gauff JBG Ingenieure], T‑585/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:386, Rn. 28).

154    Sodann ist unabhängig vom Beweiswert dieser Erklärungen auch festzustellen, dass die Beschwerdekammer diese Dokumente sehr wohl berücksichtigt hat, wie sich aus ihrer Analyse in Rn. 111 der angefochtenen Entscheidung ergibt. Damit hat die Beschwerdekammer von dem ihr durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht (siehe oben, Rn. 44 bis 48). Dies stand ihr frei, weil die der Antwort der Klägerin vom 2. April 2010 beigefügten Anlagen nicht die Identifizierung der älteren Geschmacksmuster betrafen. Hingegen ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Identifizierung durch den engen Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung festgelegt wird, der die Ausübung eines solchen Ermessens nicht zulässt (siehe die Antwort des Gerichts auf den dritten Klagegrund in den vorstehenden Rn. 40 bis 69).

155    Schließlich war die Beschwerdekammer im Rahmen ihrer freien Würdigung der Tatsachen nicht an diese Erklärungen gebunden. Sie konnte rechtsfehlerfrei feststellen, dass solche Erklärungen die Schlussfolgerung, dass das angegriffene Geschmacksmuster eher ästhetische als ausschließlich funktionale Aspekte aufweise, nicht in Frage stellen könnten. Es sind diese ästhetischen Aspekte, die den von dem angegriffenen Geschmacksmuster hervorgerufenen Gesamteindruck einer „eleganten, schlichten und minimalistischen“ Duschabflussrinne von dem eher funktionalen oder „standardisierten“ Eindruck unterscheiden, den die älteren Geschmacksmuster hervorrufen, wie die Beschwerdekammer in Rn. 109 der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt hat (siehe oben, Rn. 144).

156    Soweit das Vorbringen der Klägerin dahin ausgelegt werden kann, dass ihr die Möglichkeit genommen worden sei, die Dritten, die diese Erklärungen unterzeichnet hätten, wie von ihr nach den Art. 64 und 65 der Verordnung Nr. 6/2002 beantragt in einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer als Zeugen vernehmen zu lassen, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 29 und 30 der angefochtenen Entscheidung erstens ausgeführt hat, dass eine mündliche Verhandlung im vorliegenden Fall weder angezeigt noch erforderlich gewesen sei, zweitens, dass die Klägerin im vorausgegangenen Beschwerdeverfahren dem Antrag der Streithelferin auf mündliche Verhandlung widersprochen habe, und drittens, dass sie über ausreichende Angaben, Tatsachen, Argumente und Beweismittel verfüge, um eine Entscheidung zu treffen. Die Beschwerdekammer lehnte daher den Antrag auf mündliche Verhandlung und aus denselben Gründen auch den Antrag auf Vernehmung von Zeugen ab.

157    Zum einen sieht Art. 64 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 in Bezug auf den Antrag auf mündliche Verhandlung vor, dass das EUIPO von Amts wegen oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten eine mündliche Verhandlung anordnet, sofern es dies für sachdienlich erachtet.

158    So geht aus dem Wortlaut von Art. 64 der Verordnung Nr. 6/2002 und der Formulierung „sofern es dies für sachdienlich erachtet“ hervor, dass das EUIPO, was die Anordnung einer mündlichen Verhandlung betrifft, über einen weiten Ermessensspielraum verfügt.

159    Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung zum Geschmacksmusterrecht, dass die Beschwerdekammer über einen Ermessensspielraum verfügt, soweit es um die Frage geht, ob eine mündliche Verhandlung vor ihr wirklich notwendig ist. Dieser Ermessensspielraum hinsichtlich der Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung gilt selbst dann, wenn ein Beteiligter die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt (Urteil vom 13. Dezember 2017, Delfin Wellness/EUIPO – Laher (Infrarot- und Saunakabinen), T‑114/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:899, Rn. 114).

160    Entsprechend ist nach der Rechtsprechung zum Markenrecht eine Zurückweisung nicht offensichtlich fehlerhaft, wenn der Beteiligte, der eine mündliche Verhandlung beantragt, nicht nachweist, dass die Beschwerdekammer nicht über alle für den Erlass ihrer Entscheidung erforderlichen Angaben verfügt (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 27. Februar 2018, Hansen Medical/EUIPO – Covidien [MAGELLAN], T‑222/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:99, Rn. 56 bis 59).

161    Das ist hier der Fall. Die Beschwerdekammer hat ihr weites Ermessen fehlerfrei ausgeübt, weil sie davon ausging, im Besitz aller für den Erlass der angefochtenen Entscheidung erforderlichen Informationen zu sein. Außerdem deutet nichts in den Akten darauf hin, dass die Beschwerdekammer nicht über alle notwendigen Angaben verfügte, um den verfügenden Teil dieser Entscheidung zu begründen.

162    Zum anderen sieht Art. 65 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 vor, dass in den Verfahren vor dem EUIPO Beweismittel zulässig sind, insbesondere die Vernehmung der Beteiligten, die Einholung von Auskünften, die Vorlegung von Urkunden und Beweisstücken, die Vernehmung von Zeugen, die Begutachtung durch Sachverständige und schriftliche Erklärungen, die unter Eid oder an Eides statt abgegeben werden oder nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie abgegeben werden, die gleiche Wirkung haben. Nach Art. 65 Abs. 3 dieser Verordnung lädt das EUIPO eine Partei, einen Zeugen oder einen Sachverständigen zu einer mündlichen Vernehmung vor, wenn es dies für erforderlich hält.

163    So ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 65 der Verordnung Nr. 6/2002 und der Formulierung „[h]ält das Amt … für erforderlich“, dass das EUIPO, was die Anordnung einer Zeugenvernehmung betrifft, über einen weiten Ermessensspielraum verfügt (vgl. in diesem Sinne auch Beschluss vom 14. Juni 2021, TrekStor/EUIPO – Zagg [Schutzhülle für Datenverarbeitungsgeräte], T‑512/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:359, Rn. 32).

164    Folglich war die Beschwerdekammer nicht verpflichtet, die benannten Zeugen zu hören, sondern verfügte insoweit über ein weites Ermessen, das sie im vorliegenden Fall fehlerfrei ausgeübt hat.

165    Aus der Rechtsprechung zum Markenrecht ergibt sich nämlich entsprechend, dass eine Zurückweisung nicht offensichtlich fehlerhaft ist, wenn der Beteiligte, der die Vernehmung von Zeugen beantragt hat, die Aussagen dieser Zeugen schriftlich hätte vorlegen können (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Beschluss vom 18. Januar 2018, W&O medical esthetics/EUIPO – Fidia farmaceutici [HYALSTYLE], T‑178/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:18, Rn. 15 bis 24). Dasselbe gilt erst recht, wenn solche Zeugenaussagen, wie im vorliegenden Fall, tatsächlich schriftlich vorgelegt wurden. Außerdem ist auf die bereits oben in Rn. 87 dargelegten Gründe zu verweisen.

166    Der fünfte Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

 Sechster Klagegrund

167    Mit dem sechsten Klagegrund macht die Klägerin erstens geltend, dass die Beschwerdekammer einen Fehler begangen habe, als sie in den Rn. 114 und 115 der angefochtenen Entscheidung festgestellt habe, dass es dem angegriffenen Geschmacksmuster nicht an Eigenart und folglich nicht an Neuheit fehle, so dass es gültig sei. Die Klägerin bezieht sich auf jeden der vorhergehenden Klagegründe, die auch in Verbindung miteinander zu betrachten seien. Zweitens macht sie geltend, dass die in Art. 65 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Maßnahmen der Beweisaufnahme unter Missachtung von Rn. 71 des Rechtsmittelurteils weder angeordnet noch auch nur in Betracht gezogen worden seien.  Ebenso wenig sei die Beschwerdekammer auf das Angebot der Klägerin eingegangen, zusätzliche Beweise vorzulegen und insbesondere namentlich benannte Zeugen zu stellen, wobei sie diesen Vorschlag, „soweit erforderlich“, vor dem Gericht wiederhole.

168    Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

169    Als Erstes hat die Beschwerdekammer in den Rn. 114 und 115 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass es dem angegriffenen Geschmacksmuster, da es Eigenart besitze, erst recht nicht an Neuheit im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 fehlen könne und es daher gültig sei.

170    In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis der Eigenart nach Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 strenger ist als das Erfordernis der Neuheit nach Art. 5 dieser Verordnung, weil es einen höheren Grad der Differenzierung gegenüber jedem älteren Geschmacksmuster verlangt. So kann ein Geschmacksmuster, das neu ist, nach der Rechtsprechung Eigenart aufweisen oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juni 2013, Kastenholz/HABM – Qwatchme [Uhrenzifferblätter], T‑68/11, EU:T:2013:298, Rn. 38). Dagegen kann ein Geschmacksmuster, das nicht neu ist, erst recht keine Eigenart aufweisen.

171    Weist ein Geschmacksmuster Eigenart auf, kann daraus, wie im vorliegenden Fall, erst recht auf seine Neuheit geschlossen werden, während das Fehlen der Eigenart nicht zwangsläufig auf das Fehlen der Neuheit schließen lässt, aber in jedem Fall ausreicht, um es für nichtig zu erklären. Dagegen bedeutet das Fehlen der Neuheit eines Geschmacksmusters stets auch, dass ihm Eigenart fehlt, während seine Neuheit nicht zwangsläufig darauf hinweist, dass es Eigenart besitzt, die für seine Gültigkeit ebenfalls erforderlich ist.

172    Wird – wie im vorliegenden Fall – beantragt, ein Geschmacksmuster aus den in den den Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Gründen und im Hinblick auf dieselben älteren Geschmacksmuster für nichtig zu erklären, bedeutet die Feststellung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters folglich, dass dieses Geschmacksmuster in Bezug auf diese Nichtigkeitsgründe und diese älteren Geschmacksmuster gültig ist.

173    Somit brauchen die Instanzen des EUIPO in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Eigenart eines Geschmacksmusters festgestellt worden ist, die Voraussetzung seiner Neuheit nicht mehr eingehend zu prüfen, weil es aus Gründen der Methodik und der Verfahrensökonomie gerechtfertigt sein kann, vorrangig die Eigenart zu prüfen. Umgekehrt kann es auch in anderen Fällen, in denen das Fehlen von Neuheit festgestellt wird, aus denselben Gründen der Methodik und der Verfahrensökonomie gerechtfertigt sein, diese Voraussetzung der Neuheit vorab zu prüfen, weil ihr Fehlen notwendigerweise zur Nichtigkeit des in Rede stehenden Geschmacksmusters führt, ohne dass die Voraussetzung der Eigenart ausdrücklich geprüft werden muss.

174    In Anbetracht der oben in den Rn. 170 bis 173 dargelegten Erwägungen ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer keinen Fehler begangen hat, als sie aus Gründen der Methodik und der Verfahrensökonomie das Vorliegen der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters prüfte, bevor sie daraus a fortiori die Neuheit dieses Geschmacksmusters ableitete.

175    Was als Zweites die Maßnahmen der Beweisaufnahme betrifft, genügt die Feststellung, dass der Gerichtshof in Rn. 71 seines Rechtsmittelurteils (die oben in Rn. 84 wiedergegeben ist) lediglich darauf hingewiesen hat, dass „dieser Umstand vom EUIPO berücksichtigt werden könnte, um gemäß Art. 65 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 Maßnahmen der Beweisaufnahme anzuordnen“. Durch die Verwendung des Wortes „könnte“ hat der Gerichtshof somit den weiten Ermessensspielraum anerkannt, über den das EUIPO bei der Anordnung von Maßnahmen der Beweisaufnahme nach dieser Bestimmung verfügt (siehe oben, Rn. 162 und 163). Folglich kann der Umstand, dass die Beschwerdekammer in Ausübung ihres weiten Ermessens keine Maßnahmen der Beweisaufnahme, insbesondere keine Vernehmung von Zeugen, angeordnet hat, in keiner Weise im Widerspruch zum Rechtsmittelurteil stehen oder anderweitig fehlerhaft sein.

176    Im Übrigen ist in Bezug auf die vor dem Gericht wiederholten Beweisangebote darauf hinzuweisen, dass nach Art. 85 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts „die Hauptparteien ausnahmsweise noch vor Abschluss des mündlichen Verfahrens … Beweise oder Beweisangebote vorlegen [können]“, „[s]ofern die Verspätung der Vorlage gerechtfertigt ist“. Da es sich im vorliegenden Fall um ein Verwaltungsverfahren handelt, das 2009 eingeleitet wurde, und vor dem Gericht keine neuen Tatsachen vorgebracht wurden, kann die verspätete Vorlage solcher Beweisangebote jedenfalls nicht gerechtfertigt werden. Abgesehen davon hält sich das Gericht aufgrund der Aktenlage für hinreichend unterrichtet, so dass es diese Beweise für seine Entscheidung nicht benötigt.

177    Der sechste Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

178    Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

179    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

180    Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Group Nivelles NV trägt die Kosten.

Costeira

Kancheva

Perišin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. April 2022.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis



*      Verfahrenssprache: Niederländisch.