Language of document : ECLI:EU:T:2016:233

Vorläufige Fassung

Verbundene Rechtssachen T‑60/06 RENV II und T‑62/06 RENV II

Italienische Republik und Eurallumina SpA

gegen

Europäische Kommission

„Staatliche Beihilfen – Richtlinie 92/81/EWG – Verbrauchsteuer auf Mineralöle – Mineralöle, die als Brennstoff zur Tonerdegewinnung verwendet werden – Befreiung von der Verbrauchsteuer – Selektiver Charakter der Maßnahme – Beihilfen, die als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können – Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen – Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung von 1998 – Vertrauensschutz – Rechtssicherheit – Grundsatz lex specialis derogat legi generali – Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit und der praktischen Wirksamkeit der Handlungen der Organe – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Begründungspflicht“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Erste erweiterte Kammer) vom 22. April 2016

1.      Nichtigkeitsklage – Zuständigkeit des Unionsrichters – Antrag auf Erlass einer Anordnung an ein Organ – Unzulässigkeit

(Art. 230 EG und 233 Abs. 1 EG)

2.      Gerichtliches Verfahren – Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens – Voraussetzungen – Erweiterung eines bereits vorgetragenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels – Zulässigkeit

(Verfahrensordnung des Gerichts [1991] Art. 44 § 1 Buchst. c und 48 § 2)

3.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Rechtssicherheit – Bedeutung – Unantastbarkeit der Handlungen der Organe – Beachtung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln – Pflicht zur Vermeidung von Widersprüchen, die zur Durchführung unterschiedlicher Bestimmungen des Unionsrechts führen können – Tragweite und Folgen im Bereich staatlicher Beihilfen

(Art. 88 EG)

4.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung im Hinblick auf die objektive Situation, unabhängig vom Verhalten der Organe – Entscheidung des Rates, einen Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 92/81 zur Einführung einer Verbrauchssteuerbefreiung zu ermächtigen –Beurteilung der Kommission betreffend das diesbezügliche Nichtvorliegen einer Wettbewerbsverfälschung und eines Hindernisses für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes – Keine Auswirkung auf das Ermessen der Kommission im Bereich staatlicher Beihilfen – Keine Auswirkung auf die Verteilung dieser Befugnisse durch den Vertrag – Keine Ermessensüberschreitung und kein Verstoß gegen Art. 18 der Richtlinie 2003/96

(Art. 87 EG, 88 EG und 93 EG; Richtlinie 92/81 des Rates, Art. 8 Abs. 4 und 5, und Richtlinie 2003/96 des Rates, Art. 18; Entscheidung 2001/224 des Rates)

5.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung im Hinblick auf die objektive Situation, unabhängig vom Verhalten der Organe – Entscheidung des Rates, einen Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 92/81 zur Einführung einer Verbrauchssteuerbefreiung zu ermächtigen – Beurteilung der Kommission betreffend das diesbezügliche Nichtvorliegen einer Wettbewerbsverfälschung und eines Hindernisses für das ordnungsgemäße Funktionierens des Binnenmarktes – Keine Auswirkung auf die Beurteilung der Kommission im Bereich staatlicher Beihilfen – Kein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der praktischen Wirksamkeit sowie gegen Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 92/81

(Art. 87 EG, 88 EG und 93 EG; Richtlinie 92/81 des Rates, Art. 8 Abs. 4 und 5, und Richtlinie 2003/96 des Rates, Art. 18; Entscheidung 2001/224 des Rates)

6.      Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Kurze Darstellung der Klagegründe – Entsprechende Erfordernisse für die zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachten Rügen – Ungenaue Formulierung einer Rüge – Unzulässigkeit

(Art. 225 EG; Verfahrensordnung des Gerichts [1991] Art. 44 § 1)

7.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Selektiver Charakter der Maßnahme – Abweichung vom allgemeinen Steuersystem – Bezugsrahmen zur Bestimmung des Vorliegens eines wirtschaftlichen Vorteils

(Art. 87 Abs. 1 EG)

8.      Staatliche Beihilfen – Bestehende Beihilfen und neue Beihilfen – Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen – Unterschiedliche Verfahren – Auswirkungen einer Entscheidung, mit der die Unvereinbarkeit festgestellt wird

(Art. 88 EG)

9.      Staatliche Beihilfen – Bestehende Beihilfen und neue Beihilfen – Qualifizierung als bestehende Beihilfe – Entscheidung des Rates, einen Mitgliedstaat gemäß den Richtlinien 92/81 und 2003/96 zur Einführung einer Verbrauchsteuerbefreiung zu ermächtigen – Entscheidung, die nicht als Entscheidung, mit der eine Beihilferegelung genehmigt wird, eingestuft werden kann – Befreiung, die nicht als bestehende Beihilfe qualifiziert werden kann

(Art. 87 EG, 88 EG und 93 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. b; Richtlinie 92/81 des Rates, Art. 8 Abs. 4, und Richtlinie 2003/96 des Rates, Art. 18 und Anhang II; Entscheidung 2001/224 des Rates, Art. 1 Abs. 2)

10.    Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Ermessen der Kommission – Beurteilungskriterien – Wirkung der von der Kommission erlassenen Leitlinien

(Art. 87 Abs. 3 EG; Mitteilungen 2001/C 37/03 und 98/C 74/06 der Kommission)

11.    Staatliche Beihilfen – Entscheidung der Kommission – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen – Beurteilung der Rechtmäßigkeit anhand der bei Erlass der Entscheidung verfügbaren Informationen

(Art. 88 Abs. 3 EG und 230 EG)

12.    Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können – Beihilfen zur regionalen Entwicklung – Kriterien – Besonderer regionaler Nachteil – Pflicht zum Nachweis der Notwendigkeit der Beihilfe für die regionale Entwicklung

(Art. 87 Abs. 3 Bucht. a EG; Mitteilung 98/C 74/06 der Kommission, Nrn. 4.15 bis 4.17)

13.    Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des Art. 88 EG gewährte Beihilfe – Mögliches berechtigtes Vertrauen der Empfänger – Voraussetzungen und Grenzen – Untätigkeit der Kommission – Kein berechtigtes Vertrauen – Außergewöhnliche Umstände – Fehlen

(Art. 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 14 Abs. 1; Richtlinien 92/81 und 2003/96 des Rates)

14.    Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des Art. 88 EG gewährte Beihilfe – Mögliches berechtigtes Vertrauen der Empfänger – Voraussetzungen und Grenzen – Beendigung der berechtigten Erwartungen ab der Veröffentlichung des Beschlusses zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens selbst in außergewöhnlichen Umständen

(Art. 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 14 Abs. 1; Richtlinien 92/81 und 2003/96 des Rates)

15.    Staatliche Beihilfen – Entscheidung der Kommission, ein förmliches Prüfverfahren in Bezug auf eine staatliche Maßnahme einzuleiten – Pflicht zum Erlass einer Entscheidung binnen angemessener Frist – Keine Auswirkung im Fall einer der Kommission nicht ordnungsgemäß angemeldeten Beihilfe – Verstoß – Nichtvorliegen eines Hindernisses zur Rückforderung der Beihilfe – Grenzen – Verletzung der Verteidigungsrechte

(Art. 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 7 Abs. 6 und 13 Abs. 2)

16.    Nichtigkeitsklage – Gründe – Fehlende oder unzureichende Begründung – Klagegrund, der sich von dem die materielle Rechtmäßigkeit betreffenden Klagegrund unterscheidet

(Art. 230 EG und 253 EG)

17.    Gerichtliches Verfahren – Kosten – Verurteilung der obsiegenden Partei zur Tragung eines Teils ihrer eigenen Kosten

(Art. 225 EG; Verfahrensordnung des Gerichts [1991] Art. 135)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 43)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 45, 46)

3.      Der Grundsatz der Rechtssicherheit stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der gewährleisten soll, dass die unter das Unionsrecht fallenden Tatbestände und Rechtsbeziehungen vorhersehbar sind. Hierzu ist es wesentlich, dass die Organe die Unantastbarkeit der von ihnen erlassenen Rechtsakte, die die rechtliche und sachliche Lage der Rechtssubjekte berühren, wahren; sie können diese daher nur unter Beachtung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln ändern.

Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt ferner, dass die Organe Widersprüche, die durch die Durchführung verschiedener Bestimmungen des Unionsrechts entstehen können, grundsätzlich vermeiden, ganz besonders dann, wenn mit diesen Vorschriften dasselbe Ziel verfolgt wird, z. B. das eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes. Insoweit gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit im Bereich staatlicher Beihilfen, dass die Kommission, wenn sie unter Verletzung der ihr obliegenden Sorgfaltspflicht aufgrund von Unsicherheitsfaktoren und eines Mangels an Klarheit in den anwendbaren Rechtsvorschriften, kombiniert mit einer fehlenden Reaktion über einen längeren Zeitraum trotz ihrer Kenntnis der betreffenden Beihilfen, eine unklare Rechtslage geschaffen hat, diese Rechtslage zu klären hat, bevor sie irgendeine Maßnahme im Hinblick auf die Anordnung der Rückforderung der bereits ausgezahlten Beihilfen ergreifen kann.

(vgl. Rn. 63, 183)

4.      Das Verfahren nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig einen Mitgliedstaat ermächtigen kann, aus besonderen politischen Erwägungen über die in der Richtlinie genannten hinaus weitere Steuerbefreiungen oder Ermäßigungen zu gewähren, hat eine andere Zielsetzung und einen anderen Anwendungsbereich als die Regelung nach Art. 88 EG.

Somit kann eine Entscheidung des Rates, mit der dieser einem Mitgliedstaat gemäß Art. 8 Abs. 4 dieser Richtlinie die Gewährung einer Verbrauchsteuerbefreiung genehmigt hat, nicht zur Folge haben, dass die Kommission an der Ausübung der Befugnisse, die ihr der Vertrag einräumt, und folglich daran gehindert wird, das Verfahren nach Art. 88 EG zur Prüfung, ob diese Befreiung eine staatliche Beihilfe darstellt, einzuleiten und im Anschluss an diese Prüfung gegebenenfalls eine Entscheidung zu erlassen, mit der das Vorliegen einer solchen Beihilfe festgestellt wird.

Im Übrigen hat die durch die Genehmigungsentscheidungen des Rates gewährte vollständige Befreiung von der Verbrauchsteuer in Form genau festgelegter räumlicher und zeitlicher Einschränkungen, die durch die Mitgliedstaaten strikt beachtet werden, keinerlei Auswirkungen auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Rat und der Kommission hat und kann die Kommission daher nicht an der Ausübung ihrer Befugnisse hindern.

Folglich verstößt die Kommission dadurch, dass sie, ohne zunächst das in Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 92/81 vorgesehene Verfahren nach Art. 88 EG zur Prüfung, ob eine streitige Befreiung eine staatliche Beihilfe darstellt, einleitet und im Anschluss an diese Prüfung eine Entscheidung erlässt, mit der das Vorliegen einer solchen Beihilfe festgestellt wird, wenngleich Art. 1 Abs. 2 der Entscheidung 2001/224 über Verbrauchsteuerermäßigungen und ‑befreiungen für Mineralöle, die zu bestimmten Zwecken verwendet werden, den betreffenden Mitgliedstaat ausdrücklich zur Beibehaltung dieser Befreiung ermächtigte, weder gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der praktischen Wirksamkeit der Rechtsakte der Organe noch gegen Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 92/81. Die auf Vorschlag der Kommission erlassenen Genehmigungsentscheidungen des Rates können ihre Wirkungen nämlich nur in dem Bereich entfalten, der von den Regeln zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Verbrauchsteuern erfasst wird, und greifen den Wirkungen einer etwaigen Entscheidung, die die Kommission in Ausübung ihrer Befugnisse im Bereich der staatlichen Beihilfen erlassen kann, nicht vor.

(vgl. Rn. 65-67, 69, 72)

5.      Der Begriff der Beihilfe entspricht einer objektiven Situation und kann nicht vom Verhalten oder von den Erklärungen der Organe abhängen. Daher kann die Tatsache, dass die Kommission beim Erlass der Genehmigungsentscheidungen des Rates gemäß Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle meinte, die Befreiungen von der Verbrauchsteuer auf Mineralöle, die als Brennstoff zur Tonerdegewinnung verwendet werden, führten nicht zu einer Verfälschung des Wettbewerbs und behinderten nicht das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, der Einstufung dieser Befreiungen als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG nicht entgegenstehen, wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe erfüllt waren. Daraus ergibt sich erst recht, dass die Kommission bei der Einstufung der Befreiungen von der Verbrauchsteuer als staatliche Beihilfen nicht an die Beurteilungen des Rates in seinen Entscheidungen auf dem Gebiet der Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Verbrauchsteuern gebunden ist, wonach die genannten Befreiungen weder zu Wettbewerbsverfälschungen führen noch das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes behindern.

Folglich hat die Kommission dadurch, dass sie das Verfahren nach Art. 88 EG zur Prüfung, ob die streitige Befreiung eine staatliche Beihilfe darstellt, eingeleitet und im Anschluss an diese Prüfung eine Entscheidung erlassen hat, mit der eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung angeordnet wird, nur die ihr vom EG-Vertrag eingeräumten Befugnisse im Bereich staatlicher Beihilfen ausgeübt und dabei weder gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und lex specialis derogat legi generali noch gegen die Vermutung der Rechtmäßigkeit und die praktische Wirksamkeit der Rechtsakte der Organe verstoßen.

(vgl. Rn. 72-74, 77, 81-84)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 89-91)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 97-99, 101)

8.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 108)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 110, 111)

10.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 127, 128, 147)

11.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 132)

12.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 143, 152, 157)

13.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 174-176, 187, 188, 192)

14.    Ein Mitgliedstaat, dessen Behörden eine Beihilfe unter Verletzung der Verfahrensvorschriften des Art. 88 EG gewährt haben, kann unter Berufung auf das geschützte Vertrauen des begünstigten Unternehmens die Gültigkeit einer Entscheidung der Kommission, die die Rückforderung der Beihilfe anordnet, vor dem Unionsrichter anfechten, sich aber nicht der Verpflichtung entziehen, Maßnahmen zur Durchführung dieser Entscheidung zu ergreifen. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Rolle der Anmeldepflicht für eine effektive Kontrolle staatlicher Beihilfen durch die Kommission, die zwingend ist, können die Empfänger einer Beihilfe jedoch grundsätzlich nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der genannten Beihilfe haben, wenn diese unter Beachtung des Verfahrens des Art. 88 EG gewährt worden ist; ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer kann sich normalerweise vergewissern, dass dieses Verfahren beachtet worden ist.

Unter diesen Umständen kann ein säumiges Verhalten der Kommission bis zur Entscheidung, dass eine Beihilfe rechtswidrig ist und von einem Mitgliedstaat aufgehoben und zurückgefordert werden muss, unter bestimmten Umständen bei den Empfängern dieser Beihilfe ein berechtigtes Vertrauen wecken, das es der Kommission verwehren kann, diesem Mitgliedstaat die Rückforderung der fraglichen Beihilfe aufzugeben. In Anbetracht der sich aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit ergebenden Erfordernisse steht eine solche unklare Rechtslage, die durch die auf Vorschlag der Kommission erlassenen Entscheidungen des Rates, einen Mitgliedstaat zur Einführung von Verbrauchsteuerbefreiungen oder ermäßigten Verbrauchsteuersätzen gemäß der Richtlinie 92/81 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle zu ermächtigen, geschaffen wurde, allerdings lediglich der Rückforderung der Beihilfe entgegen, die auf der Grundlage der streitigen Befreiung bis zum Tag der Veröffentlichung des Beschlusses über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens im Amtsblatt der Europäischen Union gewährt wurde. Ab dieser Veröffentlichung muss der Empfänger der Beihilfe hingegen wissen, dass diese, falls sie eine staatliche Beihilfe darstellt, gemäß Art. 88 EG von der Kommission zu genehmigen ist. Folglich führt die Veröffentlichung des Beschlusses über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens zur tatsächlichen Beendigung der berechtigten Erwartungen, die der Empfänger der Beihilfe bis dahin in die Rechtmäßigkeit einer solchen Befreiung haben konnte. Diese Veröffentlichung ist nämlich geeignet, jede mit dem Wortlaut der Genehmigungsentscheidungen des Rates zusammenhängende Ungewissheit dahin gehend, dass die fraglichen Maßnahmen von ihr nach Art. 88 EG genehmigt werden müssen, wenn sie staatliche Beihilfen darstellen, zu beseitigen.

Was schließlich außergewöhnliche Umstände angeht, die beim Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe berechtigterweise ein schutzwürdiges Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit dieser Beihilfe wecken könnten, ist die offensichtliche Untätigkeit der Kommission irrelevant, wenn ihr eine Beihilferegelung nicht gemeldet wurde. Eine solche Lösung ist auch in einem Fall geboten, in dem eine Beihilferegelung ohne die vom Urteil vom 11. Dezember 1973, Lorenz, 120/73, geforderte vorherige Anzeige ihrer Durchführung und damit ohne vollständige Einhaltung des Verfahrens des Art. 88 EG umgesetzt worden ist.

(vgl. Rn. 179-181, 188-190, 217)

15.    Die bloße Tatsache, dass die Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 88 EG außer einer Verjährungsfrist von zehn Jahren (ab Gewährung der Beihilfe), nach deren Ablauf die Rückforderung der Beihilfe nicht mehr angeordnet werden kann, für die Prüfung einer rechtswidrigen Beihilfe durch die Kommission gemäß ihrem Art. 13 Abs. 2, der bestimmt, dass die Kommission nicht an die in Art. 7 Abs. 6 dieser Verordnung genannte Frist gebunden ist, keine Frist – nicht einmal eine Orientierungsfrist – vorsieht, hindert den Unionsrichter nicht daran, zu prüfen, ob dieses Organ keinen angemessenen Zeitraum eingehalten hat oder zu spät tätig geworden ist.

Der Richtwert für den Abschluss eines förmlichen Prüfverfahrens im Rahmen angemeldeter staatlicher Beihilfen gemäß Art. 7 Abs. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 beträgt nämlich 18 Monate. Diese Frist gibt, auch wenn sie gemäß Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 659/1999 nicht für rechtswidrige Beihilfen gilt, einen nützlichen Bezugspunkt für die Bestimmung der angemessenen Dauer eines förmlichen Prüfverfahrens ab, das eine Maßnahme betrifft, die rechtswidrig durchgeführt worden ist.

Insoweit erscheint eine Dauer von etwas mehr als 49 Monaten zwischen dem Erlass des Beschlusses über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens und dem Erlass einer Entscheidung, mit der das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe festgestellt und ihre Rückforderung angeordnet wird, die etwas mehr als doppelt so lang ist wie die in Art. 7 Abs. 6 der Verordnung Nr. 659/1999 für den Abschluss eines förmlichen Prüfverfahrens im Rahmen angemeldeter staatlicher Beihilfen vorgesehene Dauer, unangemessen. Eine solche Dauer ist umso weniger gerechtfertigt, was Unterlagen angeht, die keine offensichtliche Schwierigkeit aufweisen und zu denen sich die Kommission lange vor der Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens eine Meinung bilden konnte.

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer rechtfertigt die Nichtigerklärung einer nach deren Ablauf erlassenen Entscheidung jedoch nur insoweit, als er auch eine Verletzung der Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen mit sich bringt.

(vgl. Rn. 182, 196, 199-201, 210)

16.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 234)

17.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 245, 247)