Language of document : ECLI:EU:T:1999:7

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)

21. Januar 1999 (1)

„EGKS — Nichtigkeitsklage — Staatliche Beihilfen an Stahlunternehmen —Kriterium des Verhaltens eines privaten Investors — Grundsatz derVerhältnismäßigkeit — Begründung — Verteidigungsrechte“

In den verbundenen Rechtssachen T-129/95, T-2/96 und T-97/96

Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz inSulzbach-Rosenberg (Deutschland),

und

Lech-Stahlwerke GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Meitingen-Herbertshofen (Deutschland), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Rainer M.Bierwagen, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Elvinger undDessoy, 31, rue d'Eich, Luxemburg,

Klägerinnen,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder alsBevollmächtigten, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bonn(Deutschland),

Streithelferin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Ulrich Wölker undPaul F. Nemitz, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, CentreWagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

in den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch BarristerChristopher Vajda und Lindsey Nicoll als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift:Britische Botschaft, 14, boulevard Roosevelt, Luxemburg,

Streithelfer,

in der Rechtssache T-129/95 wegen Nichtigerklärung der Entscheidung95/422/EGKS der Kommission vom 4. April 1995 über eine geplante staatlicheBeihilfe des Freistaates Bayern an die EGKS-Stahlunternehmen Neue MaxhütteStahlwerke GmbH, Sulzbach-Rosenberg, und Lech- Stahlwerke GmbH, Meitingen-Herbertshofen (ABl. L 253, S. 22), in der Rechtssache T-2/96 wegenNichtigerklärung der Entscheidung 96/178/EGKS der Kommission vom 18. Oktober1995 über eine staatliche Beihilfe des Freistaates Bayern an das EGKS-Stahlunternehmen Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH, Sulzbach-Rosenberg (ABl.1996, L 53, S. 41), und in der Rechtssache T-97/96 wegen Nichtigerklärung derEntscheidung 96/484/EGKS der Kommission vom 13. März 1996 über einestaatliche Beihilfe des Freistaates Bayern an das EGKS-Stahlunternehmen NeueMaxhütte Stahlwerke GmbH, Sulzbach-Rosenberg (ABl. L 198, S. 40),

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter R. García-Valdecasas,R. M. Moura Ramos, M. Jaeger und P. Mengozzi,

Kanzler: A. Mair

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16.Juli 1998,

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1.
    Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle undStahl (EGKS-Vertrag) verbietet grundsätzlich staatliche Beihilfen anStahlunternehmen. Nach seinem Artikel 4 Buchstabe c sind „von den Staatenbewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegte Sonderlasten, inwelcher Form dies auch immer geschieht“, mit dem gemeinsamen Markt für Kohleund Stahl unvereinbar und werden daher gemäß seinen Bestimmungen untersagt.

2.
    Artikel 95 Absätze 1 und 2 EGKS-Vertrag lautet:

„In allen in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fällen, in denen eine Entscheidungoder Empfehlung der Kommission erforderlich erscheint, um eines der in Artikel2, 3 und 4 näher bezeichneten Ziele der Gemeinschaft auf dem gemeinsamenMarkt für Kohle und Stahl gemäß Artikel 5 zu erreichen, kann diese Entscheidungoder Empfehlung mit einstimmiger Zustimmung des Rates und nach Anhörung desBeratenden Ausschusses ergehen.

Die gleiche, in derselben Form erlassene Entscheidung oder Empfehlung bestimmtgegebenenfalls die anzuwendenden Sanktionen.“

3.
    Um den Erfordernissen einer Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustriegerecht zu werden, erließ die Kommission auf der Grundlage der zitiertenBestimmungen des Artikels 95 EGKS-Vertrag zu Beginn der achtziger Jahre einegemeinschaftliche Regelung, mit der in bestimmten, abschließend aufgezähltenFällen staatliche Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie zugelassen wurden.Diese Regelung wurde später mehrfach geändert, um den konjunkturellenSchwierigkeiten der Eisen- und Stahlindustrie zu begegnen. Daher ist der imentscheidungserheblichen Zeitraum geltende gemeinschaftliche Kodex überBeihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie bereits der fünfte seiner Art(Entscheidung Nr. 3855/91/EGKS der Kommission vom 27. November 1991 zurEinführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- undStahlindustrie [ABl. L 362, S. 57; nachstehend: Fünfter Stahlbeihilfenkodex]). Ausseinen Begründungserwägungen ergibt sich, daß mit ihm ebenso wie mit seinenVorgängern ein Gemeinschaftssystem eingeführt wurde, das für allgemeine oderbesondere Beihilfen gelten sollte, die die Mitgliedstaaten, in welcher Form auchimmer, gewähren.

4.
    Für den vorliegenden Fall sind folgende Vorschriften dieses Kodex relevant:

—    Artikel 1:

    „(1)    Alle Beihilfen zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie, gleichgültig obspezifische oder nichtspezifische Beihilfen, die in jedweder Form von denMitgliedstaaten bzw. den Gebietskörperschaften oder aus staatlichen Mittelnfinanziert werden, können nur dann als Gemeinschaftsbeihilfen und somitals mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Gemeinsamen Marktesvereinbar angesehen werden, wenn sie den Bestimmungen der Artikel 2 bis5 entsprechen.

    (2)    Der Begriff .Beihilfe' umfaßt die Beihilfeelemente, die in denÜbertragungen staatlicher Mittel — wie Beteiligungen, Kapitalausstattungenoder gleichartige Maßnahmen (beispielsweise Wandelobligationen oderDarlehen, deren Verzinsung sich zumindest teilweise nach denBetriebsergebnissen richtet) — enthalten sind, die von den Mitgliedstaaten,den Gebietskörperschaften oder sonstigen Organen unter Einsatz staatlicherMittel zugunsten von Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie getroffenwerden und nicht als Einbringung haftenden Kapitals gemäß der üblichenmarktwirtschaftlichen Unternehmenspraxis anzusehen sind.

    ...“

—    Artikel 6 Absatz 1, der die spezifischen Kontrollmechanismen vorsieht, diedie Einhaltung dieser Vorschriften sichern sollen, bestimmt:

    „Die Kommission ist von allen Vorhaben zur Gewährung oderUmgestaltung von Beihilfen ... so rechtzeitig zu unterrichten, daß sie sichhierzu äußern kann ...“

—    In Artikel 6 Absatz 4 heißt es:

    „Stellt die Kommission, nachdem sie die Beteiligten zur Stellungnahmeaufgefordert hat, fest, daß eine Beihilfe nicht mit den Bestimmungen dervorliegenden Entscheidung vereinbar ist, so unterrichtet sie denbetreffenden Mitgliedstaat von ihrer Entscheidung. ... Kommt einMitgliedstaat der Entscheidung nicht nach, so findet Artikel 88 des [EGKS-]Vertrages Anwendung. Der betreffende Mitgliedstaat darf die in denAbsätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen nur mit Zustimmung derKommission durchführen, wobei er sich an die von der Kommissionfestgesetzten Bedingungen zu halten hat.“

5.
    Diese Vorschriften sind im Zusammenhang mit den Artikeln desStahlbeihilfenkodex zu sehen. Nach den Artikeln 2 bis 5 können bestimmteKategorien von Beihilfen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehenwerden. Diese Vorschriften betreffen:

—    in Artikel 2 Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen;

—    in Artikel 3 Umweltschutzbeihilfen;

—    in Artikel 4 Schließungsbeihilfen;

—    in Artikel 5 regionale Investitionsbeihilfen.

Außerdem gilt die Verpflichtung zur vorherigen Unterrichtung aus Artikel 6 Absatz1 für alle Finanzierungsmaßnahmen (Beteiligungen, Kapitalausstattungen odergleichwertige Maßnahmen), die Behörden oder sonstige Organe unter Einsatzöffentlicher Mittel vorzunehmen beabsichtigen, damit die Kommission entscheidenkann, ob Maßnahmen Beihilfeelemente enthalten, und gegebenenfalls ihreVereinbarkeit mit den Artikeln 2 bis 5 der Entscheidung beurteilen kann.

Sachverhalt

Vorgeschichte

1. Gründung der Klägerin Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH

6.
    1987 wurde über das Vermögen der Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte mbH(im folgenden: Maxhütte) der Konkurs eröffnet. Im Hinblick auf einenUmstrukturierungsplan (Rahmenvereinbarung vom 4. November 1987) beschloßder Konkursverwalter, den Betrieb der Maxhütte fortzuführen.

7.
    Im Laufe des Jahres 1990 übernahmen zwei neu gegründete Gesellschaften dieTätigkeiten des in Konkurs gegangenen Unternehmens: die Neue MaxhütteStahlwerke GmbH (im folgenden: NMH) für die unter den EGKS-Vertragfallenden Produkte der Maxhütte und die Rohrwerke Neue Maxhütte GmbH (imfolgenden: RNM) für Röhren.

2. Die Beteiligung des Freistaates Bayern an den Unternehmen NMH und Lech-Stahlwerke GmbH

8.
    Die ursprünglichen Gesellschafter der NMH waren der Freistaat Bayern (45 %)und die privaten Unternehmen Lech-Stahlwerke GmbH (im folgenden: LSW)(11 %), Krupp Stahl AG (11 %), Thyssen Stahl AG (5,5 %), ThyssenEdelstahlwerke AG (5,5 %), Klöckner Stahl GmbH (11 %) und MannesmannRöhrenwerke AG (11 %).

9.
    Am Kapital von RNM sind NMH (85 %) und die Firma Kühnlein,Haupthandelsvertretung für die Stahlrohre (15 %), beteiligt.

10.
    1988 erwarb der Freistaat Bayern einen Anteil von 19,734 % am Kapital von LSW.Bei LSW handelte es sich um eine Tochtergesellschaft des deutschenStahlunternehmens Saarstahl, dessen Anteile im Januar 1992 von derAicher-Gruppe übernommen wurden.

11.
    Mit Entscheidung vom 1. August 1988 stellte die Kommission fest, daß dasVorhaben der Beteiligung des Freistaates Bayern an NMH und LSW, wie es in derRahmenvereinbarung vom 4. November 1987 vorgesehen sei, keineBeihilfeelemente enthalte (im folgenden: Entscheidung von 1988). MitEntscheidung vom 27. Juni 1989 genehmigte die Kommission die Gründung derGesellschaft Neue Maxhütte gemäß Artikel 66 EGKS-Vertrag.

12.
    Mit Vertrag vom 7. Dezember 1992 und vom 3. März 1993 übertrug Klöckner Stahlihre Anteile an NMH der Annahütte Max Aicher GmbH & Co. KG (im folgenden:Annahütte) zum Preis von 1 DM. Am 14. Juni 1993 übertrugen die Krupp StahlAG, Thyssen Stahl AG und Thyssen Edelstahlwerke AG ihre Anteile an NMH zueinem Preis von 200 000 DM an LSW.

13.
    Nach dieser Umstrukturierung teilte sich das Kapital von NMH wie folgt auf:

Freistaat Bayern                45 %

LSW                        33 %

Annahütte                    11 %

Mannesmann Röhrenwerke AG    11 %.

LSW und Annahütte werden von dem Unternehmer Max Aicher kontrolliert.

3. Geplante Privatisierung von NMH

14.
    1994 entschied der Freistaat Bayern im Rahmen eines Privatisierungsprogramms,sich aus seinen Beteiligungen an NMH und LSW zurückzuziehen. NachUntersuchung zweier verschiedener Privatisierungspläne entschied sich der FreistaatBayern für das Projekt des Unternehmers Max Aicher.

15.
    Am 27. Januar 1995 unterzeichneten der Freistaat Bayern und die Max AicherGmbH & Co. KG (im folgenden: Gesellschaft Max Aicher) zwei Verträge, in denenim Kern folgendes vereinbart wurde:

a) In bezug auf NMH:

—    Der Freistaat Bayern verkauft seinen Geschäftsanteil von 45 % an NMH andie Gesellschaft Max Aicher zum Preis von 3 DM;

—    der Freistaat Bayern übernimmt 80,357 % der Verluste, die bei NMH bisEnde 1994 aufgelaufen sind. Nachdem der endgültige Betrag dieser Verluste

auf 156,4 Mio. DM festgesetzt worden war, sollte sich der Verlustausgleichdurch den Freistaat Bayern auf 125,7 Mio. DM belaufen;

—    die vom Freistaat Bayern als Gesellschafter gewährten Darlehen könnenvon dem vorgesehenen Verlustausgleich von 125,7 Mio. DM abgezogenwerden. Dieser Verlustausgleich würde daher teilweise durch Verzicht aufdie Rückzahlung der erwähnten Darlehen geleistet;

—    der Freistaat Bayern gewährt einen Zuschuß bis zum Höchstbetrag von 56Mio. DM für Investitionen für Altlasten, z. B. Umweltschutz, Lärmschutzund Luftreinhaltung.

Die übrigen Gesellschafter, die Mannesmann Röhrenwerke AG und die Annahütte,die jeweils 11 % des Gesellschaftskapitals der NMH hielten, waren nicht bereit,sich an der finanziellen Umstrukturierung des Unternehmens zu beteiligen.

b) In bezug auf LSW:

—    Der Freistaat Bayern veräußert seine Beteiligung von 19,734 % am Kapitalvon LSW an die Gesellschaft Max Aicher zum Preis von 1 DM;

—    der Freistaat Bayern leistet eine „pauschale Ausgleichszahlung“ in Höhevon 20 Mio. DM an LSW.

16.
    Das Inkrafttreten der beiden Verträge stand unter der aufschiebenden Bedingungder Genehmigung durch den Bayerischen Landtag und die Kommission.

4. Die NMH gewährten Darlehen

17.
    Am 26. August 1992 unterrichtete die deutsche Regierung die Kommission davon,daß der Freistaat Bayern beabsichtige, der NMH ein Darlehen von 10 Mio. DMgemeinsam mit den privaten Gesellschaftern entsprechend ihres Anteils am Kapitalgewähren wolle. Die Kommission stellte mit Entscheidung vom 2. Februar 1993fest, daß dieses Darlehen keine Beihilfe darstelle.

18.
    Am 16. Mai 1994 unterrichtete die deutsche Regierung die Kommission von denim Rahmen der Privatisierung von NMH vorgesehenen finanziellen Maßnahmen.Mit Schreiben vom 15. Juli und 14. September 1994 informierte die deutscheRegierung die Kommission über die bis zu diesem Zeitpunkt gewährten Darlehen.

19.
    Dabei handelt es sich um folgende Darlehen:

Datum des Vertrages         Betrag (in DM)

25./29. März 1993                 720 000

17./18. August 1993             6 400 000

20./29. Dezember 1993             4 500 000

28. Januar/3. Februar 1994         4 200 000

24./28. Februar 1994            12 800 000

31. März/7. April 1994             7 000 000

5./9. Mai 1994                 3 100 000

31. Mai/6. Juni 1994             5 000 000

Juli 1994                     2 300 000

August 1994                 3 875 000

Gesamtbetrag                 49 895 000

20.
    Diese Darlehen wurden für eine Laufzeit von zehn Jahren zu einem Zinssatz von7,5 % p. a. gewährt, und sollten nur dann in jährlichen Tilgungsraten zurückgezahltwerden, wenn die NMH im Jahr zuvor Gewinne erzielt hatte.

21.
    Begleitend zu den ersten drei Darlehen der vorstehenden Aufstellung gewährtenauch andere NMH- und RNM-Gesellschafter Darlehen zu gleichen Konditionen:

—    Das erste Darlehen wurde flankiert von einem Darlehen von 176 000 DMvon LSW und einem weiteren Darlehen von 54 000 DM des UnternehmersKühnlein;

—    das zweite Darlehen führte zu einem Darlehen von 1,5 Mio. DM von LSWund einem Darlehen von 270 000 DM von Kühnlein;

—    anläßlich des dritten Darlehens gewährte Annahütte, die zum fraglichenZeitpunkt zwar noch nicht formell Gesellschafterin war, im März 1993vertraglich aber bereits mit Klöckner Stahl (vormals Stahlwerke Bremen)die Übernahme von deren Anteil von 11 % vereinbart hatte, ein Darlehenin Höhe von 1,1 Mio. DM.

Ab Februar 1994 stellten die anderen Gesellschafter von NMH jede Finanzierungdes Unternehmens durch Darlehen ein.

22.
    Die anderen sieben Darlehen des Freistaates Bayern waren nicht von zusätzlichenDarlehen der anderen Gesellschafter flankiert.

23.
    Mit Schreiben vom 13. Januar und 15. März 1995 teilte die deutsche Regierung derKommission mit, daß der Freistaat Bayern NMH in der Zeit von Juli 1994 bis März1995 folgende Darlehen gewährt habe:

Datum des Vertrages            Betrag (in DM)

Juli 1994                         4 700 000

September 1994                    10 000 000

Oktober 1994                     4 312 500

März 1995                         5 100 000

Gesamtbetrag                     24 112 500

24.
    Diese Darlehen wurden mit einer Laufzeit von zehn Jahren zu einem Zinssatz von7,5 % p. a. gewährt und sollten nur dann in jährlichen Tilgungsraten zurückgezahltwerden, wenn NMH im Jahr zuvor Gewinne erzielt hat.

25.
    Die NMH-Gesellschafter Mannesmann Röhrenwerke AG (11 %), LSW (33 %) undAnnahütte (11 %) beteiligten sich nach Dezember 1993 nicht mehr an derFinanzierung des Unternehmens.

26.
    Der Gesamtbetrag der Darlehen beläuft sich somit auf 74 007 500 DM.

Verwaltungsverfahren

1. Verfahren in bezug auf die im Rahmen der Privatisierung von NMH vorgesehenenFinanzierungsmaßnahmen (Rechtssache T-129/95)

27.
    Im Anschluß an die Mitteilung vom 16. Mai 1994 (siehe oben, Randnr. 18)beantwortete die deutsche Regierung am 15. Juli 1994 Fragen der Kommission vom8. Juni 1994. Am 14. September 1994 übersandte sie ergänzende Angaben.

28.
    Nach Abschluß einer Vorprüfung beschloß die Kommission am 14. September1994, das Verfahren des Artikels 6 Absatz 4 des Fünften Stahlbeihilfenkodexeinzuleiten. Die Mitteilung von der Einleitung des Verfahrens wurde im Amtsblattder Europäischen Gemeinschaften vom 31. Dezember 1994 (C 377, S. 4)veröffentlicht.

29.
    Mit Schreiben vom 24. Oktober 1994 unterrichtete die Kommission die deutscheRegierung von ihrer Entscheidung, ein Verfahren einzuleiten, und forderte sie auf,Stellung zu nehmen und verschiedene Angaben zu machen.

30.
    Die deutsche Regierung nahm am 9. Dezember 1994 und 9. Februar 1995 Stellung.

31.
    Am 14. Februar 1995 fand eine Sitzung mit Vertretern der deutschen Regierung,des Freistaates Bayern und der Kommission statt.

32.
    Die deutsche Regierung übermittelte am 24. Februar 1995 genauere Angaben zuProblemen, die in dieser Sitzung angesprochen worden waren.

33.
    Mit ihrer Entscheidung 95/422/EGKS vom 4. April 1995 über eine geplantestaatliche Beihilfe des Freistaates Bayern an die EGKS-Stahlunternehmen NeueMaxhütte Stahlwerke GmbH, Sulzbach-Rosenberg, und Lech-Stahlwerke GmbH,

Meitingen-Herbertshofen (ABl. L 253, S. 22), stellte die Kommission fest, daß diegeplanten finanziellen Beiträge von 125,7 Mio. DM und 56 Mio. DM für NMH undder geplante Beitrag von 20 Mio. DM für LSW vom EGKS-Vertrag untersagtestaatliche Beihilfen darstellten.

2. Verfahren in bezug auf die von März 1993 bis August 1994 gewährten Darlehen(Rechtssache T-2/96)

34.
    Am 30. November 1994 leitete die Kommission das Verfahren gemäß Artikel 6Absatz 4 des Fünften Stahlbeihilfenkodex in bezug auf die Darlehen ein, die derFreistaat Bayern NMH von März 1993 bis August 1994 in Höhe von insgesamt49,895 Mio. DM gewährt hatte (ABl. 1995, C 173, S. 3).

35.
    Mit Schreiben vom 12. Dezember 1994 unterrichtete die Kommission die deutscheRegierung, verlangte von ihr bestimmte Informationen und forderte sie zurStellungnahme auf.

36.
    Daraufhin machte die deutsche Regierung am 13. Januar 1995 Angaben zu denvom Freistaat Bayern gewährten Darlehen und verwies auf die Informationen undErklärungen, die sie am 15. Juli, 14. September und 9. Dezember 1994 imVerfahren über die zugunsten von NMH und LSW im Rahmen desPrivatisierungsplans vorgesehenen Finanzierungsmaßnahmen abgegeben hatte;dabei führte sie aus, daß die Darlehen nur im Zusammenhang mit diesem Plan zusehen seien.

37.
    Mit Schreiben vom 18. September 1995 nahm die deutsche Regierung zu denKommentaren von Dritten Stellung, die die Kommission ihr am 22. August 1995übersandt hatte.

38.
    Mit ihrer Entscheidung 96/178/EGKS vom 18. Oktober 1995 über eine staatlicheBeihilfe des Freistaates Bayern an das EGKS-Stahlunternehmen Neue MaxhütteStahlwerke GmbH, Sulzbach-Rosenberg (ABl. 1996, L 53, S. 41), stellte dieKommission fest, daß die Darlehen, die der Freistaat Bayern NMH von März 1993bis August 1994 gewährt hatte (siehe oben, Randnr. 19), verbotene staatlicheBeihilfen im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag seien.

3. Verfahren in bezug auf die von Juli 1994 bis März 1995 gewährten Darlehen(Rechtssache T-97/96)

39.
    Am 19. Juli 1995 leitete die Kommission das Verfahren gemäß Artikel 6 Absatz 4des fünften Stahlbeihilfenkodex in bezug auf die Darlehen ein, die der FreistaatBayern NMH von Juli 1994 bis März 1995 gewährt hatte.

40.
    Mit Schreiben vom 25. September 1995 unterrichtete die Kommission die deutscheRegierung davon und ersuchte sie um ihre Stellungnahme.

41.
    Daraufhin gab die deutsche Regierung am 20. Oktober 1995 die Gründe an, ausdenen der Freistaat Bayern diese Darlehen gewährt habe, und nahm im übrigenauf ihr Schreiben vom 13. Januar 1995 (siehe oben, Randnr. 36) und auf einSchreiben vom 15. Mai 1995 Bezug.

42.
    Die Kommission leitete am 18. Januar 1996 an die deutsche Regierung dieStellungnahme einer nationalen Vereinigung von Eisen- und Stahlerzeugern weiter;die Bundesregierung nahm hierzu mit Schreiben vom 13. Februar 1996 Stellung.

43.
    Mit ihrer Entscheidung 96/484/EGKS vom 13. März 1996 über eine staatlicheBeihilfe des Freistaates Bayern an das EGKS-Stahlunternehmen Neue MaxhütteStahlwerke GmbH, Sulzbach-Rosenberg (ABl. L 198, S. 40), stellte die Kommissionfest, daß die Darlehen, die der Freistaat Bayern NMH von Juli 1994 bis März 1995gewährt hatte (siehe oben, Randnr. 23), als verbotene staatliche Beihilfen im Sinnevon Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag einzustufen seien.

Verfahren

Rechtssache T-129/95

44.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat am 22. Mai 1995 beim GerichtshofNichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 95/422 erhoben, die unter der NummerC-158/95 in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist.

45.
    NMH und LSW haben mit Klageschrift, die am 8. Juni 1995 bei der Kanzlei desGerichts eingegangen ist, die vorliegende Nichtigkeitsklage gegen dieselbeEntscheidung 95/422 erhoben, die unter der Nummer T-129/95 in das Registereingetragen worden ist.

46.
    Der Gerichtshof hat mit Beschluß vom 24. Oktober 1995 das Verfahren in derRechtssache C-158/95 bis zum Erlaß des Urteils des Gerichts in der RechtssacheT-129/95 ausgesetzt.

47.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Schriftsatz, der am 29. November 1995bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt, in der RechtssacheT-129/95 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnenzugelassen zu werden. Dem Antrag ist mit Beschluß des Präsidenten der Erstenerweiterten Kammer des Gerichts vom 15. Januar 1996 entsprochen worden.

Rechtssache T-2/96

48.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat am 21. Dezember 1995 beim GerichtshofNichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 96/178 erhoben, die unter der NummerC-399/95 in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist.

49.
    NMH hat mit Klageschrift, die am 3. Januar 1996 bei der Kanzlei des Gerichtseingegangen ist, Nichtigkeitsklage gegen dieselbe Entscheidung 96/178 erhoben, dieunter der Nummer T-2/96 in das Register eingetragen worden ist.

50.
    Am 12. Februar 1996 hat die Bundesrepublik Deutschland die Aussetzung desVollzugs der Entscheidung 96/178 beantragt. Dieser Antrag ist mit Beschluß desPräsidenten des Gerichtshofes vom 3. Mai 1996 (Rechtssache C-399/95 R,Deutschland/Kommission, Slg. 1996, I-2441) zurückgewiesen worden.

51.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat am 3. Juni 1996 ihre Zulassung alsStreithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin beantragt; das VereinigteKönigreich Großbritannien und Nordirland hat am 6. Juni 1996 seine Zulassung alsStreithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten beantragt. BeidenAnträgen ist mit Beschlüssen des Präsidenten der Fünften erweiterten Kammer desGerichts vom 16. Juli 1996 entsprochen worden.

52.
    Der Gerichtshof hat mit Beschluß vom 25. Juni 1996 das Verfahren in derRechtssache C-399/95 bis zum Erlaß des Urteils des Gerichts in der RechtssacheT-2/96 ausgesetzt.

Rechtssache T-97/96

53.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat am 10. Juni 1996 beim GerichtshofNichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 96/484 erhoben, die unter der NummerC-195/96 in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist.

54.
    NMH hat mit Klageschrift, die am 18. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichtseingegangen ist, Nichtigkeitsklage gegen dieselbe Entscheidung 96/484 erhoben, dieunter der Nummer T-97/96 in das Register eingetragen worden ist.

55.
    NMH hat mit Schriftsatz vom 18. Juli 1996 die Verbindung der RechtssachenT-129/95, T-2/96 und T-97/96 beantragt. Die Beklagte und die BundesrepublikDeutschland, Streithelferin in den Rechtssachen T-129/95 und T-2/96, haben inihren Stellungnahmen vom 20. August und 2. September 1996 keine Einwändegegen die Verbindung erhoben.

56.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat am 11. Oktober 1996 beantragt, in derRechtssache T-97/96 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinzugelassen zu werden; am 2. Dezember 1996 hat das Vereinigte KönigreichGroßbritannien und Nordirland beantragt, in der Rechtssache T-97/96 alsStreithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen zu werden.Beiden Anträgen ist mit Beschlüssen des Präsidenten der Fünften erweitertenKammer des Gerichts vom 10. März 1997 entsprochen worden.

57.
    Der Gerichtshof hat mit Beschluß vom 3. Dezember 1996 das Verfahren in derRechtssache C-195/96 bis zum Erlaß des Urteils des Gerichts in der RechtssacheT-97/96 ausgesetzt.

Verbundene Rechtssachen T-129/95, T-2/96 und T-97/96

58.
    Die beim Gericht anhängigen Rechtssachen T-129/95, T-2/96 und T-97/96 sind mitBeschluß des Präsidenten der Fünften erweiterten Kammer vom 30. Juni 1998 zugemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

59.
    Das Gericht (Fünfte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstattersbeschlossen, als prozeßleitende Maßnahme bestimmte Verfahrensbeteiligte zurschriftlichen Beantwortung von Fragen und zur Vorlage bestimmter Unterlagenaufzufordern und die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

60.
    Die Parteien und die Streithelferin Bundesrepublik Deutschland haben in derSitzung vom 16. Juli 1998 mündlich verhandelt und die mündlichen Fragen desGerichts beantwortet.

61.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat sodann ein Schriftstück eingereicht, umdessen Vorlage das Gericht in der mündlichen Verhandlung gebeten hatte. Diemündliche Verhandlung ist am 23. Juli 1998 geschlossen worden.

Anträge der Parteien

62.
    In der Rechtssache T-129/95 beantragen die Klägerinnen,

—    die Entscheidung 95/422 für nichtig zu erklären, soweit sie sie betrifft;

—    der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

63.
    Die Bundesrepublik Deutschland, Streithelferin, beantragt, die Entscheidung 95/422für nichtig zu erklären.

64.
    Die Beklagte beantragt,

—    die Klage als unbegründet abzuweisen;

—    den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

65.
    In der Rechtssache T-2/96 beantragt die Klägerin,

—    die Entscheidung 96/178 für nichtig zu erklären, soweit sie sie betrifft;

—    der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

66.
    Die Bundesrepublik Deutschland, Streithelferin, beantragt, die Entscheidung 96/178für nichtig zu erklären.

67.
    Die Beklagte beantragt,

—    die Klage abzuweisen;

—    der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

68.
    Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, Streithelfer, beantragt,den Anträgen der Beklagten stattzugeben.

69.
    In der Rechtssache T-97/96 beantragt die Klägerin,

—    die Entscheidung 96/484 für nichtig zu erklären, soweit sie sie betrifft;

—    der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

70.
    Die Bundesrepublik Deutschland, Streithelferin, beantragt, die Entscheidung 96/484für nichtig zu erklären.

71.
    Die Beklagte beantragt,

—    die Klage abzuweisen;

—    der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

72.
    Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, Streithelfer, beantragt,den Anträgen der Beklagten stattzugeben.

Begründetheit

73.
    Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf vier Gründe. Mit zwei Klagegründen wirdeine Verletzung materiell-rechtlicher Bestimmungen gerügt: Mit dem ersten wirdgeltend gemacht, die Kommission habe gegen Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertragverstoßen, indem sie die finanziellen Zuschüsse, die der Freistaat Bayern NMH undLSW gewährt habe, und die Darlehen, die der Freistaat Bayern NMH gewährthabe, rechtsfehlerhaft als staatliche Beihilfen eingestuft habe. Mit dem zweitenKlagegrund wird ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerügt. Diebeiden letzten Klagegründe rügen einen Verstoß gegen wesentlicheFormvorschriften bzw. einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und eineVerletzung der Verteidigungsrechte.

A — Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag

Vorbringen der Klägerinnen

1. Einleitende Bemerkungen

74.
    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe Artikel 4 Buchstabe cEGKS-Vertrag rechtsfehlerhaft angewandt und ihr Ermessen mißbräuchlichausgeübt, indem sie festgestellt habe, daß die in den Randnummern 14 bis 26dieses Urteils genannten finanziellen Maßnahmen staatliche Beihilfen dargestellthätten.

a) Kriterium des privaten Investors

75.
    Die Beklagte habe das Kriterium des Verhaltens eines umsichtigen privatenInvestors, der unter den gewöhnlichen Bedingungen einer Marktwirtschaft handle,falsch angewandt. Nach ständiger Rechtsprechung lasse sich auf das Vorliegeneiner Beihilfe nur dann schließen, wenn kein privater Investor von vergleichbarerGröße wie die Verwaltungseinrichtungen des öffentlichen Sektors in vergleichbarerLage hätte veranlaßt werden können, Kapitalhilfen des gleichen Umfangs zugewähren (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der RechtssacheC-305/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1603, im folgenden: Urteil Alfa Romeo,Randnr. 19, und vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C-278/92 bisC-280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103, im folgenden: Urteil Hytasa,Randnr. 21).

76.
    Die Bundesrepublik Deutschland pflichtet dem bei und fügt hinzu, daß dieRechtsprechung des Gerichtshofes auf das Kriterium des vernünftigen Investors invergleichbarer Lage und von vergleichbarer Größe wie dieVerwaltungseinrichtungen des öffentlichen Sektors abstelle und nicht, wie dieKommission dies tue, auf das — rein theoretische — Kriterium eines idealenInvestors, der marktwirtschaftlich richtig handle (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom10. Juli 1986 in der Rechtssache 40/85, Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2321,Randnr. 13, vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-303/88, Italien/Kommission,Slg. 1991, I-1433, im folgenden: Urteil Eni-Lanerossi, Randnr. 20, und Urteil AlfaRomeo, zitiert oben in Randnr. 75, Randnr. 19, und Urteil Hytasa, zitiert oben inRandnr. 75, Randnr. 21).

b) Argumente bezüglich des Kriteriums des privaten Investors

— Privater Investor von vergleichbarer Größe

77.
    Wegen seiner sehr diversifizierten Unternehmensbeteiligungen und seinerFinanzkraft könne der Freistaat Bayern nur mit einer privaten Holding oderUnternehmensgruppe verglichen werden. Die anderen, privaten Gesellschafter vonNMH, insbesondere die Kühnlein-Gruppe und die Aicher-Gruppe, seien nicht vonvergleichbarer Größe wie der Freistaat Bayern.

— Vergleichbare Lage

78.
    Die Klägerinnen sind allgemein der Ansicht, daß die Lage der Gesellschaften, diemit dem Freistaat Bayern an NMH beteiligt gewesen seien, nicht vergleichbar sei.Sie hätten nämlich in Wettbewerb mit NMH gestanden und daher kein Interessedaran gehabt, daß sich NMH auf ihrem Markt behaupte. Außerdem hätten vierdieser Gesellschaften beabsichtigt, ihre Anteile wegen der Stahlkrise zu veräußern.Die fünfte sei allein am Einfluß auf die Röhrenherstellung im RNM interessiertgewesen. Im übrigen beweise die Beteiligung der Gesellschafter am erstenDarlehen von 10 Mio. DM, daß sich die Gesellschafter an dem Darlehen beteiligthätten, ohne mit seiner Rückzahlung rechnen zu können.

79.
    In den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 trägt die Klägerin NMH vor, daß derFreistaat Bayern praktisch der Mehrheitsgesellschafter von NMH gewesen sei. DieUnternehmen der Aicher-Gruppe, Annahütte und LSW, hätten die von Klöckner,Thyssen und Krupp übertragenen Anteile treuhänderisch für den Freistaat Bayerngehalten.

— Wirtschaftliche Rechtfertigung und Rentabilitätsaussichten

80.
    Die Klägerinnen weisen das Vorbringen der Beklagten zurück, daß ein Staat miteinem umsichtigen privaten Investor zu vergleichen sei, der das Ziel habe,zumindest langfristig Gewinn zu erzielen. Weder aus der von der Beklagtenzitierten Rechtsprechung (Urteil Eni-Lanerossi, zitiert oben in Randnr. 76) nochaus dem französischen oder englischen Wortlaut des Fünften Stahlbeihilfenkodexgehe hervor, daß ein Kapitalgeber notwendigerweise einen Gewinn erzielen müsse.

81.
    Im Gegenteil könnten, wie die Beklagte eingeräumt habe, nach ständigerRechtsprechung viele Faktoren die Entscheidungen eines privaten Investorsbeeinflussen, wie eine wirtschaftliche Neuorientierung oder das Bemühen um dieImagepflege. Da der Freistaat Bayern einer Holdinggesellschaft gleichzusetzen sei,reiche es aus, wenn der Gewinn — auch immaterieller Art — in derUnternehmensgruppe erzielt werde. Im vorliegenden Fall hätte sich eine privateHolding zweifellos um den Erhalt ihres Ansehens bemüht und aus diesem Grunddie streitigen Darlehen gewährt.

82.
    Die Beklagte habe ihre Beurteilung des Verhaltens eines normalen privatenInvestors in der Marktwirtschaft allein auf das Kriterium des Gewinnstrebensgestützt. Sie sei nicht davon ausgegangen, wie ein privater Unternehmer hättehandeln können, sondern wie ein einem Idealmodell entsprechender Unternehmer,der einzig vom Streben nach Gewinn geleitet sei, in dem von ihr hypothetischaufgestellten Rahmen gehandelt hätte. Dieses Kriterium sei enger als das in derRechtsprechung des Gerichtshofes entwickelte und enthalte im übrigen einenErmessensfehler, denn dieser ideale Unternehmer existiere nicht. Damit ließen sichInvestitionen wie die Schaffung von Stiftungen (z. B. Bosch) oder Investitionen inökologischen Bereichen (z. B. Ökobank) nicht erklären. Solche Investitionen ließensich namentlich damit erklären, daß das Grundgesetz der BundesrepublikDeutschland das Eigentum für sozialpflichtig erkläre. Für die Frage, ob eine

Kapitalzufuhr eine Beihilfe darstelle, sei das Kriterium des Vorliegens einerlangfristigen Perspektive nicht maßgebend. Die Kommission müsse ihre Kontrolleauf die Prüfung der Frage beschränken, ob sich ein privater Unternehmer nie wieder Freistaat Bayern verhalten hätte.

83.
    Schließlich hätte ein vernünftiger Investor nicht den Konkurs des betroffenenUnternehmens herbeigeführt, denn diese Lösung sei nicht die am wenigstenkostspielige. Im Falle des Konkurses von NMH hätte der Freistaat Bayern seinenAnteil am Gesellschaftskapital (40,5 Mio. DM) und jede Hoffnung auf Rückzahlungder diesem Unternehmen gewährten Darlehen (78,5 Mio. DM) verloren. Imübrigen hätte er die Altlasten tragen müssen (56 Mio. DM).

84.
    Die Bundesrepublik Deutschland fügt dem hinzu, daß ein privater Investor wie derFreistaat Bayern seine Anteile am Stammkapital von NMH abgetreten hätte, denndies wäre die wirtschaftlichste Lösung gewesen. Im Falle eines Konkurses vonNMH hätte der Freistaat Bayern nämlich nicht nur seine Anteile am Stammkapitalder Gesellschaft verloren, sondern auch jede Aussicht auf Rückzahlung der NMHgewährten Darlehen. Außerdem wären dem Freistaat Bayern zusätzliche Lasten ausseiner Gesellschafterpflicht zur Altlastenbeseitigung entstanden, die er in derRahmenvereinbarung vom 4. November 1987 übernommen habe. Die gewählteLösung habe es ihm erlaubt, diese Belastungen zu vermeiden und seinewirtschaftliche Tätigkeit neu zu orientieren, und sie habe sein unternehmerischesAnsehen gewahrt.

2. Kapitalzufuhr des Freistaates Bayern an NMH und LSW

85.
    Nach Ansicht der Klägerinnen hätte ein privater Investor NMH unter den gleichenUmständen ebenso wie der Freistaat Bayern sanieren können. Der FreistaatBayern hätte nämlich davon profitiert, da ihm die Rettung des UnternehmensEinnahmen in Form von Steuern verschafft hätte.

86.
    Das Beispiel der Heilit & Woerner Bau AG zeige, daß private Unternehmer unterdem vorliegenden Fall vergleichbaren Umständen Investitionen tätigten. In diesemFall habe der Unternehmer Schörghuber das Unternehmen zunächst schuldenfreigestellt und es sodann unter Zuzahlung eines namhaften Betrags abgegeben. DerFreistaat Bayern müsse ebenso wie der Unternehmer Schörghuber auf sein Imageachten, um das AAA-Rating der Bayerischen Landesbank, deren Hauptaktionärder Freistaat sei, nicht zu verspielen. In den Schriftsätzen in den RechtssachenT-2/96 und T-97/96 verweist die Klägerin auch auf das Beispiel des Verkaufs derDornier Luftfahrt GmbH durch die Daimler Benz Aerospace AG an die FairchildAircraft Holding. Daimler Benz als Mehrheitsgesellschafter der Dornier LuftfahrtGmbH habe den Verlust der Tochtergesellschaft ausgeglichen, 300 Mio. DMgezahlt und einen zinslosen Kredit von 75 Mio. DM gewährt. Die Klägerin führtauch weitere deutsche (Metallgesellschaft, DITEC, Graetz Holztechnik,Maschinenfabrik Weiherhammer) (siehe unten das entsprechende Vorbringen der

Klägerinnen im Rahmen des dritten Klagegrundes, erster Teil, zweite Rüge) undausländische Gesellschaften (Trygg-Hansa, Hanson, Eemland und Head Tyrolia)als Beispiele dafür an, daß die Zahlung eines negativen Kaufpreises, d. h. einesPreises, den der Verkäufer zahle, um seine Anteile abzustoßen, dem normalenVerhalten eines Unternehmers entspreche.

3. Zuschuß des Freistaates Bayern von 56 Mio. DM für Investitionen an NMH(Rechtssache T-129/95)

87.
    Die Klägerinnen rügen, daß die Beklagte ihr Ermessen mißbraucht habe, indem siedie beabsichtigte Zahlung von 56 Mio. DM zur Finanzierung von Altlasten alsstaatliche Beihilfe eingestuft habe, obwohl sie in ihrer Entscheidung vom 1. August1988 zu dem Ergebnis gelangt sei, daß die beabsichtigte Beteiligung des FreistaatesBayern an den Unternehmen NMH und LSW kein Beihilfeelement enthalte. DieseBeteiligung müsse im Zusammenhang mit sämtlichen Rechten und Pflichten derdamaligen Gesellschafter gemäß der Rahmenvereinbarung über die Übernahmevom 4. November 1987 beurteilt werden, von der die Kommission Kenntnis gehabthabe. Mit der Genehmigung dieses Beteiligungsvorhabens habe sie auch die indieser Rahmenvereinbarung vorgesehene Verpflichtung des Freistaates Bayerngenehmigt, weitere Kosten zu tragen. Angesichts ihres Kontextes sei es völligkonstruiert, diese Vorgänge getrennt zu betrachten.

88.
    Die Kommission habe das Verhalten vergleichbarer privater Unternehmenfehlerhaft beschrieben und falsche Maßstäbe an das Verhalten des Staates angelegt.

4. Darlehen des Freistaates Bayern an NMH (Rechtssachen T-2/96 und T-97/96)

89.
    In den Entscheidungen 96/178 und 96/484 habe die Beklagte die vom FreistaatBayern gewährten Darlehen fälschlich als im Fall des Konkurses von NMHverlorene Zuführung von Eigenkapital betrachtet.

90.
    Die Investition des Freistaates Bayern sei mit langfristiger Rentabilität begründetworden. Die Darlehen seien mit dem Vorhaben der Privatisierung und derUmstrukturierung untrennbar verbunden.

91.
    Der Gerichtshof lasse zu, daß in einem Konzern einem Mitglied während einerÜbergangszeit Darlehen zur Verfügung gestellt würden mit dem Ziel, esumzustrukturieren oder es aus einem kurzfristigen finanziellen Engpaß zu befreien(vgl. Urteil Eni-Lanerossi, zitiert oben in Randnr. 76, Randnr. 21). DieseMöglichkeit sei im übrigen auch in den gemeinschaftlichen Leitlinien für dieBeurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung vonUnternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 1994, C 368, S. 12) anerkannt.

92.
    Ferner sei die Ansicht der Beklagten unrichtig, daß solche Darlehen von denGesellschaftern nur nach Maßgabe ihrer Anteile gewährt werden könnten. § 26Absatz 2 GmbHG, auf den sich die Beklagte in Teil IV ihrer Entscheidungen

96/178 und 96/484 stütze, gelte nur für die Vereinbarung einer Nachschußpflichtim Gesellschaftsvertrag. Im vorliegenden Fall sei diese Vorschrift aberunanwendbar, da die streitigen Darlehen freiwillig gewährt worden seien. Imübrigen liege die Höhe dieser Darlehen weit unter dem, was die Klägerinangesichts ihres Kapitalanteils hätte gewähren können.

93.
    Die Beklagte habe auch verkannt, daß nach ihrer Prämisse (wonach die streitigenDarlehen eine Zuführung von Eigenkapital darstellten) der Freistaat Bayernrechtlich schlechter stehen würde als bei einer Darlehensgewährung, denn eineRückführung des Kapitals wäre nur durch eine Kapitalherabsetzung möglich.

94.
    Schließlich wendet sich die Klägerin gegen die Ansicht der Beklagten, der FreistaatBayern habe niemals Rückzahlungen erwarten können, denn NMH habe 1995einen Gewinn von 5 Millionen DM erzielt und einen positiven Cash-flowverzeichnet.

Vorbringen der Beklagten sowie des Vereinigten Königreichs Großbritannien undNordirland

95.
    Nach Ansicht der Beklagten ist der Klagegrund im wesentlichen deshalbzurückzuweisen, weil die streitigen Finanzhilfen nicht einer normalenmarktwirtschaftlichen Investitionspraxis entsprächen und daher als staatlicheBeihilfen im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag anzusehen seien.

96.
    Das Vereinigte Königreich pflichtet dem bei und weist darauf hin, daß dieKlägerinnen nicht bewiesen hätten, daß die Beklagte einen offensichtlichenBeurteilungsfehler begangen habe.

Würdigung durch das Gericht

1. Vorbemerkungen

a) Zu Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag

97.
    NMH und LSW sind Gesellschaften, die unter Artikel 80 EGKS-Vertrag fallen, dasie Erzeugnisse herstellen, die in Anlage 1 dieses Vertrages aufgeführt sind.Folglich sind die Vorschriften des EGKS-Vertrags anwendbar.

98.
    Wie oben in Randnummer 1 erwähnt wurde, untersagt Artikel 4 Buchstabe cEGKS-Vertrag staatliche Subventionen oder Beihilfen „in welcher Form ... auchimmer“. Da dieser Zusatz in Artikel 4 Buchstaben a, b und d fehlt, verleiht dieseVorschrift dem Verbot, auf das es sich bezieht, einen außergewöhnlich weitenWirkungsbereich (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 23. Februar 1961 in derRechtssache 30/59, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Kommission,Slg. 1961, 3, insbesondere 46). Da der Fünfte Stahlbeihilfenkodex eine Ausnahme

von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag darstellt, ist er eng auszulegen (vgl. Urteildes Gerichts vom 25. September 1997 in der Rechtssache T-150/95, UK SteelAssociation/Kommission, Slg. 1997, II-1433, Randnr. 114).

99.
    Dieses allgemeine und unbedingte Verbot setzt anders als Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag nicht voraus, daß die Beihilfen durch die Begünstigung bestimmterUnternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zuverfälschen drohen.

100.
    In der Gemeinschaftsrechtsprechung sind die in den Vorschriften des EG-Vertragsüber staatliche Beihilfen enthaltenen Begriffe näher bestimmt worden. DieseBegriffsbestimmungen sind für die Anwendung der entsprechenden Vorschriftendes EGKS-Vertrags relevant, soweit sie nicht mit diesem unvereinbar sind. Daherist es insoweit gerechtfertigt, auf die Rechtsprechung zu den unter den EG-Vertragfallenden staatlichen Beihilfen Bezug zu nehmen, um die Rechtmäßigkeit vonEntscheidungen zu beurteilen, die von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag erfaßteBeihilfen betreffen. Dies gilt insbesondere für die Rechtsprechung zum Begriff derstaatlichen Beihilfe.

b) Zur gerichtlichen Kontrolle der von der Kommission im Rahmen derAnwendung des Fünften Stahlbeihilfenkodex vorgenommenen Beurteilungen

101.
    Bei der Ausübung seiner Zuständigkeit für die Entscheidung überNichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen und Empfehlungen der Kommission darfder Gerichtshof seine Nachprüfung nach Artikel 33 Absatz 1 Satz 2 EGKS-Vertrag„nicht auf die Würdigung der aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständensich ergebenden Gesamtlage erstrecken, die zu den angefochtenen Entscheidungenoder Empfehlungen geführt hat, es sei denn, daß der Kommission der Vorwurfgemacht wird, sie habe ihr Ermessen mißbraucht oder die Bestimmungen desVertrags oder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnormoffensichtlich verkannt“.

102.
    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes setzt der Begriff „offensichtlich“voraus, daß die Verkennung der Bestimmungen des Vertrages ein gewisses Gewichthat; sie muß nämlich in einer Beurteilung der der Entscheidung zugrunde gelegtenwirtschaftlichen Lage bestehen, die, an den Bestimmungen des Vertrages gemessen,offensichtlich irrig ist (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1955 in derRechtssache 6/54, Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1954/55, 215, 237, BeschlußDeutschland/Kommission, zitiert oben in Randnr. 50, Randnr. 62).

103.
    In diesem Kontext sind die Argumente zu prüfen, die die Klägerinnen NMH undLSW in der Rechtssache T-129/95 sowie die Klägerin NMH in den RechtssachenT-2/96 und T-97/96 gegen die Qualifizierung der verschiedenen Finanzhilfen undder Darlehen durch die Kommission als staatliche Beihilfen vorgetragen haben.

c) Zum Kriterium des privaten Investors

104.
    Es steht fest, daß die im Rahmen der Privatisierung von NMH vorgesehenenFinanzhilfen und die vom Freistaat Bayern gewährten Darlehen eine Übertragungöffentlicher Mittel auf ein Stahlunternehmen darstellen. Um festzustellen, ob einesolche Übertragung eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Buchstabe cEGKS-Vertrag darstellt, ist zu prüfen, ob ein privater Investor von vergleichbarerGröße wie die Einrichtungen des öffentlichen Sektors in vergleichbarer Lage eineKapitalhilfe dieses Umfangs hätte gewähren können (vgl. Urteile Alfa Romeo,zitiert oben in Randnr. 75, Randnr. 19, und Hytasa, zitiert oben in Randnr. 75,Randnr. 21).

105.
    Das Kriterium des Verhaltens eines privaten Investors ist eine Ausprägung desGrundsatzes der Gleichbehandlung des öffentlichen und des privaten Sektors. Nachdiesem Grundsatz sind Mittel, die der Staat einem Unternehmen direkt oderindirekt unter normalen Marktbedingungen zur Verfügung stellt, nicht als staatlicheBeihilfen anzusehen (vgl. Urteil Eni-Lanerossi, zitiert oben in Randnr. 76,Randnr. 20, und Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der RechtssacheT-358/94, Air France/Kommission, Slg. 1996, II-2109, Randnr. 70).

106.
    Der Gerichtshof hat im Rahmen der Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag ausgeführt, daß die Prüfung, die die Kommission daraufhin vornimmt, obeine bestimmte Maßnahme als Beihilfe angesehen werden kann, weil der Staatnicht „wie ein normaler Wirtschaftsteilnehmer“ gehandelt habe, eine komplexewirtschaftliche Würdigung umfaßt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 29. Februar1996 in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723,Randnrn. 10 und 11; vgl. auch Urteil Air France/Kommission, zitiert oben inRandnr. 105, Randnr. 71). Die Prüfung eben dieser Frage im Rahmen derAnwendung von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag erfordert gleichartigeWürdigungen, die ebenso komplex sind.

107.
    Im Lichte dieser Erwägungen sind die hier vorgetragenen Argumente zu würdigen.

108.
    Die Klägerinnen räumen ein, daß das Kriterium des privaten Investors denwichtigsten Anhaltspunkt darstelle; sie halten aber die Auslegung dieses Kriteriumsdurch die Beklagte im vorliegenden Fall für zu eng und folglich für falsch.

109.
    Der private Investor, dessen Verhalten mit demjenigen eines wirtschaftspolitischeZiele verfolgenden öffentlichen Investors verglichen werden muß, braucht nichtnotwendigerweise ein gewöhnlicher Investor zu sein, der Kapital zum Zweck seinermehr oder weniger kurzfristigen Rentabilisierung anlegt, es muß sich aberzumindest um eine private Holding oder eine private Unternehmensgruppehandeln, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich vonlängerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten läßt (vgl. Urteil Alfa Romeo, zitiertoben in Randnr. 75, Randnr. 20).

110.
    Daher ist zu prüfen, ob die oben in den Randnummern 104 bis 106 genanntenKriterien der Rechtsprechung hier erfüllt sind.

2. Anwendung des Kriteriums des privaten Investors auf die Kapitalzufuhr an NMHund LSW

a) Privater Investor von vergleichbarer Größe in vergleichbarer Lage

111.
    Die Beklagte hat das Verhalten des Freistaates Bayern mit dem der anderenprivaten Gesellschafter von NMH verglichen. Insoweit ist festzustellen, daß dieprivaten Gesellschafter von NMH, insbesondere Mannesmann, Thyssen, Krupp undKlöckner, deutsche Stahlunternehmen sind, die große Konzerne leiten oder zusolchen Konzernen gehören. Die Klägerinnen haben nicht dargetan, daß dieBeklagte die Bestimmungen des Vertrages oder irgendeiner bei seinerDurchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt hat, indem siedas Verhalten des Freistaates Bayern unter Bezugnahme auf das Verhalten dieserUnternehmen und unter Berücksichtigung ihrer Größe qualifiziert hat.

112.
    In den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 hat die Klägerin NMH in der mündlichenVerhandlung bestritten, daß sich diese Unternehmen in ähnlicher Lage wie derFreistaat Bayern befunden hätten. Der Freistaat Bayern sei nämlich derMehrheitsgesellschafter gewesen, da die Aicher-Gruppe ihre Anteile nurtreuhänderisch für den Freistaat Bayern gehalten habe.

113.
    Es kann dahingestellt bleiben, ob zwischen dem Freistaat Bayern und der Aicher-Gruppe tatsächlich ein Treuhandverhältnis bestand, da die Beklagte während derVerfahren, die zu den angefochtenen Entscheidungen geführt haben, darüber nichtunterrichtet wurde. Aus der Antwort der Klägerin auf die dahin gehendeschriftliche Frage des Gerichts ergibt sich nämlich, daß in der Mitteilung derdeutschen Regierung vom 24. Februar 1995 dieses Treuhandverhältnis nichterwähnt wird. Das Schreiben von NMH vom 19. September 1995, in dem dasTreuhandverhältnis erwähnt wird, wurde der Kommission nach Ablauf dervorgesehenen Frist übermittelt, wie sich im übrigen aus der Entscheidung 96/178ergibt. Daher hat die Beklagte dieses Schreiben zu Recht nicht berücksichtigt.

114.
    Selbst wenn der Freistaat Bayern die Mehrheit der Kapitalanteile von NMHgehalten haben sollte, hätte die Beklagte nicht die Bestimmungen des Vertragesoder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnormoffensichtlich verkannt, indem sie davon ausging, daß das wirtschaftliche Interesseder anderen Gesellschafter, zur Sanierung des Unternehmens beizutragen, ihrerBeteiligung an NMH entsprach. Im vorliegenden Fall wurde aber ein großer Teilder Darlehen allein vom Freistaat Bayern gewährt.

115.
    Folglich haben die Klägerinnen nicht dargetan, daß die Beklagte die Bestimmungendes Vertrages oder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden

Rechtsnorm offensichtlich verkannt hat, indem sie die früheren privatenGesellschafter von NMH als Vergleichskriterium herangezogen hat.

b) Rentabilitätsaussicht

116.
    Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen in der Rechtssache T-129/95 stellt dieKapitalzufuhr eines öffentlichen Kapitalgebers ohne jede Ertragsaussicht einestaatliche Beihilfe dar (vgl. Urteil Eni-Lanerossi, zitiert oben in Randnr. 76,Randnr. 22). Eine Neuorientierung der Tätigkeiten des begünstigten Unternehmenskann eine Kapitalzufuhr nur rechtfertigen, wenn das unterstützte Unternehmen beivernünftiger Betrachtungsweise wieder rentabel werden kann.

117.
    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, insbesondere aus den Berichtender C & L Deutsche Revision vom 31. Juli 1995 und 20. Dezember 1996 „Prüfungdes Konzernabschlusses von NMH zum 31. Dezember 1994“ und „Prüfung desJahresabschlusses von NMH zum 31. Dezember 1995“, daß bei NMH von ihrerGründung an bis 1995 ununterbrochen Betriebsverluste angefallen sind,insbesondere wegen Überkapazitäten bei der Produktion und zu hohenProduktionskosten. Da NMH stark überschuldet war, durfte die Beklagte davonausgehen, daß ein privater Investor, auch wenn es sich um einen Konzern in einemweiten wirtschaftlichen Kontext handelt, unter normalen marktwirtschaftlichenBedingungen auch nicht langfristig mit einer akzeptablen Rendite des investiertenKapitals hätte rechnen können.

118.
    Dem Vorbringen der Klägerinnen, daß das Verhalten des Freistaates das Kriteriumdes privaten Investors erfülle, weil die einzige Alternative — die Liquidation vonNMH — weit höhere Kosten mit sich gebracht hätte, ist nicht zu folgen.

119.
    Zum einen hat der Gerichtshof entschieden, daß zwischen den Verpflichtungen zuunterscheiden ist, die der Staat als Eigentümer der Anteile einer Gesellschaft zuübernehmen hat, und den Verpflichtungen, die ihm als Träger der öffentlichenGewalt obliegen (vgl. Urteil Hytasa, zitiert oben in Randnr. 75, Randnr. 22). Dadie beiden fraglichen Gesellschaften als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nachdem GmbHG gegründet worden waren, haftete das Land als Eigner von Anteilenam Kapital dieser Gesellschaften nur in Höhe seiner Anteile. Daraus folgt, daß dieBelastungen, die sich aus der Entlassung der Arbeitnehmer, aus der Zahlung vonArbeitslosenunterstützung und aus anderen Sozialleistungen ergeben, bei derAnwendung des Kriteriums des privaten Investors nicht berücksichtigt werdenkonnten.

120.
    Befindet sich das Gesellschaftskapital zum großen Teil im Besitz der öffentlichenHand, so ist ferner insbesondere zu prüfen, ob ein privater Gesellschafter in einervergleichbaren Lage im Hinblick auf die Rentabilitätsaussichten und unabhängigvon allen sozialen oder regionalpolitischen Überlegungen oder Erwägungen einer

sektorbezogenen Politik eine solche Kapitalhilfe gewährt hätte (vgl. Urteil vom 10.Juli 1986, Belgien/Kommission, zitiert oben in Randnr. 76, Randnr. 13).

121.
    Zum anderen ist das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland zurückzuweisen,daß der Freistaat Bayern im Fall des Konkurses sämtliche von ihm alsGesellschafter eingesetzten Beträge, also seine Anteile am Stammkapital derGesellschaft und die Rückzahlung der gewährten Darlehen, verloren hätte. Dennim Zeitpunkt der Darlehensgewährung hatten diese Anteile jeden wirtschaftlichenWert verloren, und die Wahrscheinlichkeit einer Rückzahlung war in Anbetrachtder Überschuldung von NMH und des Fehlens günstiger Aussichten auf ihremMarkt gering.

c) Etwaige Beeinträchtigung des Image des Freistaates Bayern

122.
    Die Klägerinnen weisen bezüglich der politischen, sozialen und wirtschaftlichenKosten, die die Schließung eines Unternehmens dieser Größe in einer sozialenKrisenregion stets zur Folge habe, darauf hin, daß das Image des FreistaatesBayern als immaterieller Vermögenswert und die Zahlungsfähigkeit derBayerischen Landesbank durch eine solche Schließung ernstlich beeinträchtigtwerden könnten.

123.
    Eine Muttergesellschaft kann während eines beschränkten Zeitraums auch Verlusteeiner ihrer Tochtergesellschaften übernehmen, um dieser die Einstellung ihrerTätigkeit unter möglichst günstigen Bedingungen zu ermöglichen. SolcheEntscheidungen können nicht nur mit der Wahrscheinlichkeit eines mittelbarenmateriellen Gewinns begründet werden, sondern auch mit anderen Erwägungen,etwa dem Bemühen um Imagepflege des Konzerns oder um Neuorientierung seinerTätigkeit (vgl. Urteile Eni-Lanerossi, zitiert oben in Randnr. 76, Randnr. 21, undHytasa, zitiert oben in Randnr. 75, Randnr. 25).

124.
    Ein privater Investor, der eine von langfristigen Rentabilitätsaussichten geleiteteumfassende oder sektorale Strukturpolitik verfolgt, kann es sich jedochvernünftigerweise nicht erlauben, nach Jahren ununterbrochener Verluste eineKapitalzuführung vorzunehmen, die sich wirtschaftlich nicht nur als kostspieliger alseine Liquidation der Aktiva erweist, sondern auch noch im Zusammenhang mitdem Verkauf des Unternehmens steht, was ihm — selbst längerfristig — jedeGewinnaussicht nimmt (vgl. Urteil Hytasa, zitiert oben in Randnr. 75, Randnr. 26).

125.
    Nimmt ein öffentlicher Kapitalgeber jedoch ohne auch nur langfristige Aussicht aufRentabilität Kapitalzuführungen vor, so sind diese als staatliche Beihilfenanzusehen (vgl. Urteil Eni-Lanerossi, zitiert oben in Randnr. 76, Randnr. 22). Diepraktische Wirksamkeit der Gemeinschaftsvorschriften über staatliche Beihilfenwäre stark verringert, wenn man dem Vorbringen der Klägerin folgte, wonach jedestaatliche Beteiligung an einem Unternehmen unter Hinweis auf das Image desbetreffenden staatlichen Organs und seine anderen Beteiligungen unbeschränkte

Finanzhilfen aus öffentlichen Mitteln ermöglichen würde, ohne daß dieseFinanzhilfen als Beihilfen angesehen würden.

126.
    Außerdem haben die Klägerinnen nicht dargetan, worin das Image des FreistaatesBayern als privater Unternehmer im Stahlsektor bestehen soll und inwieweit esdurch den Konkurs von NMH hätte beeinträchtigt werden können.

127.
    Es ist nicht plausibel, daß der Freistaat Bayern gezwungen gewesen sein soll, aneine private Gesellschaft (die Aicher-Gruppe) einen namhaften Geldbetrag zuzahlen, um sie zur Übernahme von NMH zu veranlassen, um so zu verhindern, daßder Konkurs von NMH das Image des Freistaates nachhaltig beeinträchtigt. DieKlägerinnen haben nicht bestritten daß das AAA-Rating der BayerischenLandesbank in erster Linie von der Garantie des Freistaates Bayern für diese Bankabhing. Daher ist nicht plausibel, daß der Konkurs von NMH, mit dem dieBayerische Landesbank nichts zu tun hätte, ihr Rating hätte gefährden können.

128.
    Was den Fall der Heilit & Woerner Bau AG angeht, so ist in Teil IV derangefochtenen Entscheidungen im Einzelnen dargelegt, weshalb sich diese Sachevom vorliegenden Fall unterscheidet. Die Klägerin hat insoweit keinenoffensichtlichen Beurteilungsfehler der Beklagten dargetan. Insbesondere hat sienicht angegeben, inwiefern ihre Situation derjenigen der Schörghuber-Gruppeentsprochen hätte, die nach dem Verkauf ihrer Anteile an Heilit & Woerner Bauweiter im Immobiliensektor tätig war und somit ein Interesse an der Wahrung guterBeziehungen zu den anderen Gesellschaften dieses Sektors hatte, um an Verträgezu kommen und damit Gewinne zu erzielen.

129.
    Da sich die Klägerinnen bezüglich der anderen von ihnen angeführten Beispieleunternehmerischen Verhaltens darauf beschränken, die Verletzung wesentlicherFormvorschriften zu rügen, werden diese Beispiele unten im Rahmen des drittenKlagegrundes geprüft.

3. Zuschuß von 56 Mio. DM an NMH für Investitionen (Rechtssache T-129/95)

130.
    Das Vorbringen der Parteien zu diesem Punkt wird wegen identischer Begründungunten im Rahmen des dritten Klagegrundes geprüft (Randnrn. 191 bis 196).

4. Anwendung des Kriteriums des privaten Investors auf die Darlehen desFreistaates Bayern (Rechtssachen T-2/96 und T-97/96)

a) Qualifizierung der Darlehen als staatliche Beihilfen

131.
    Nach ständiger Rechtsprechung geht es nicht an, eine grundsätzlicheUnterscheidung zwischen Beihilfen in der Form von Darlehen und Beihilfen in derForm von Kapitalbeteiligungen an Unternehmen zu treffen (vgl. Urteile desGerichtshofes vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82,

Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809, Randnr. 31, und vom 10. Juli 1986,Belgien/Kommission, zitiert oben in Randnr. 76, Randnr. 12). Beihilfen der einenwie der anderen Form fallen unter das Verbot des Artikels 92 EG-Vertrag, wenndessen Voraussetzungen erfüllt sind. Da das Verbot des Artikels 4 Buchstabe cEGKS-Vertrag anders als das des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag generell undunbedingt gilt (siehe oben, Randnrn. 98 bis 100), ist die Form der Beihilfe auch imHinblick auf den EGKS-Vertrag ohne Bedeutung.

132.
    Um zu entscheiden, ob die im vorliegenden Fall gewährten Darlehen staatlicheBeihilfen sind, sind daher die Möglichkeiten für das Unternehmen zu prüfen, sichdie betreffenden Beträge auf den privaten Kapitalmärkten zu beschaffen. Nachdem Kriterium des privaten Investors ist somit zu prüfen, ob ein privaterGesellschafter in einer vergleichbaren Lage unter Zugrundelegung derRentabilitätsaussichten und unabhängig von allen sozialen oder regionalpolitischenÜberlegungen oder Erwägungen einer sektorbezogenen Politik eine solcheKapitalhilfe gewährt hätte (vgl. Urteil vom 10. Juli 1986, Belgien/Kommission,zitiert oben in Randnr. 76, Randnr. 13).

133.
    Ein privater Anteilseigner kann einem Unternehmen vernünftigerweise die Mittelzuführen, die zur Sicherstellung seines Fortbestands erforderlich sind, wenn es sichin vorübergehenden Schwierigkeiten befindet, aber seine Rentabilität —gegebenenfalls nach einer Umstrukturierung — wieder zurückgewinnen kann (vgl.Urteil vom 10. Juli 1986, Belgien/Kommission, zitiert oben in Randnr. 76,Randnr. 14).

134.
    Zur Zeit der Kapitalzuführung konnte man feststellen, daß NMH seit mehrerenJahren ununterbrochen ganz erhebliche Verluste anhäufte (Prüfung desKonzernabschlusses von NMH zum 31. Dezember 1994, Bericht der C & LDeutsche Revision vom 31. Juli 1995, und Prüfung des Jahresabschlusses von NMHzum 31. Dezember 1995, Bericht der C & L Deutsche Revision vom 20. Dezember1996). Aus den beiden Verträgen zwischen dem Freistaat Bayern und derGesellschaft Max Aicher vom 27. Januar 1995 ergibt sich, daß sich die endgültigenVerluste von NMH Ende 1994 auf 156,4 Mio. DM beliefen. Außerdem ist nichtbestritten, daß NMH ihr Überleben mehreren Kapitalzuführungen von staatlicherSeite verdankte. Schließlich stellte NMH Erzeugnisse her, die auf einem vonÜberkapazitäten gekennzeichneten Markt abgesetzt werden mußten.

135.
    Unter diesen Umständen hat die Beklagte nicht die Bestimmungen des Vertragesoder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnormoffensichtlich verkannt, indem sie es als wenig wahrscheinlich ansah, daß sich dasUnternehmen die für sein Überleben unerläßlichen Beträge auf den privatenKapitalmärkten beschaffen könnte, und deshalb annahm, daß eine Zuführungzusätzlicher Mittel durch den Freistaat Bayern eine staatliche Beihilfe sei.

b) Zum Hinweis auf das deutsche GmbH-Gesetz

136.
    Mit der Qualifizierung der Darlehen des Freistaates Bayern alseigenkapitalersetzend im Sinne des deutschen Rechts (wonach ein Gesellschafter,der der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt, zu dem ihr die Gesellschafter alsordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten, statt dessen ein Darlehengewährt hat, den Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens im Konkurs oderVergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses nicht geltend machen kann)und mit dem Hinweis auf § 26 Absatz 2 GmbHG (wonach die GesellschafterNachschüsse nach Verhältnis ihrer Geschäftsanteile zu leisten haben) wollte dieBeklagte nur das Ungewöhnliche des Verhaltens des Freistaates Bayern gegenüberdem Verhalten der anderen Gesellschafter hervorheben. Die Beklagte ging davonaus, daß es ein privater Gesellschafter normalerweise nicht auf sich nehmen dürfte,einem Unternehmen in Schwierigkeiten Mittel zuzuführen, wenn nicht auch dieanderen Gesellschafter bereit sind, nach Verhältnis ihrer Geschäftsanteile ihrenBeitrag zu leisten. Sie hat ferner auf das deutsche Recht Bezug genommen, um ihrewirtschaftliche Würdigung zu begründen und zu erhärten, wonach die Zuführungvon Mitteln durch einen privaten Gesellschafter an ein Unternehmen inSchwierigkeiten wie NMH einer Kapitalzuführung gleichgestellt werden könne.

137.
    Da die Klägerinnen nicht dargetan haben, daß die Beklagte mit ihrer Beurteilung,die fraglichen Darlehen stellten staatliche Beihilfen dar, weil sich NMH dieDarlehen wahrscheinlich nicht auf den privaten Kapitalmärkten hätte beschaffenkönnen, die Bestimmungen des Vertrages oder irgendeiner bei seiner Durchführunganzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt hat (siehe oben, Randnr. 135),hätte eine etwaige fehlerhafte Bezugnahme der Beklagten auf das deutsche Rechtjedenfalls keine Auswirkung auf die Qualifizierung der streitigen Darlehen als nachArtikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag verbotene Beihilfen.

c) Zur eventuellen Rückzahlung der Darlehen

138.
    Wie der Gerichtshof im Beschluß Deutschland/Kommission (zitiert oben in Randnr.50, Randnr. 78) ausgeführt hat, war die finanzielle Lage von NMH zur Zeit derGewährung der Darlehen (von März 1993 bis August 1994 und von Juli 1994 bisMärz 1995) besonders prekär. Es ist nämlich unstreitig, daß NMH zwischen 1990und 1994 keinen Gewinn erzielt hatte. Außerdem heißt es im Bericht der C & LDeutsche Revision vom 20. Dezember 1996 zur Prüfung des Jahresabschlusses vonNMH zum 31. Dezember 1995: „Die Gesellschaft ist zum 31. Dezember 1995, beiNichtberücksichtigung der Gesellschafterdarlehen als kapitalersetzende Darlehenaufgrund der Entscheidung der Europäischen Kommission, buchmäßigüberschuldet“ (Punkt 37 erster Absatz). Weiter heißt es dort: „Die Fortführung derGesellschaft hängt davon ab, daß die Gesellschafterdarlehen des Freistaates Bayern... nicht zurückgezahlt werden müssen“ (Punkt 37, sechster Absatz). DieseSchlußfolgerung ist von der Klägerin NMH auch nicht bestritten worden.

139.
    Ausgehend von diesen Gesichtspunkten und den Informationen, die ihr zumZeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidungen zur Verfügung standen,

hat die Beklagte nicht die Bestimmungen des Vertrages oder irgendeiner bei seinerDurchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt, indem sieangenommen hat, daß der Freistaat Bayern nicht mit einer Rückzahlung durchNMH habe rechnen können.

5. Ergebnis

140.
    Daraus folgt, daß in diesem Stadium der Erwägungen vorbehaltlich der Würdigungdes Vorbringens zur finanziellen Zuwendung von 56 Mio. DM an NMH (sieheunten, Randnrn. 191 bis 196) das vorstehend geprüfte Vorbringen der Klägerinnenzurückzuweisen ist.

B — Zweiter Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Vorbringen der Klägerinnen

141.
    Nach Ansicht der Klägerinnen hat die Beklagte die Folgen der angefochtenenEntscheidungen für den Markt und die Unternehmen falsch gewürdigt. Außerdemstünden diese Entscheidungen außer Verhältnis zu den in denGemeinschaftsverträgen festgesetzten Zielen.

142.
    Artikel 5 dritter Gedankenstrich EGKS-Vertrag verlange, daß die Kommission nurdann handele, wenn dies zum Schutz der normalen Wettbewerbsbedingungenerforderlich sei. NMH und LSW hätten aber in Deutschland und erst recht in derGemeinschaft einen geringen Marktanteil; die Produktion von NMH stelle nur0,2 % der Gemeinschaftsproduktion dar. Daher beeinträchtigten die streitigenBeihilfen den Wettbewerb auf dem Markt der Gemeinschaft nicht.

143.
    Bezüglich der Darlehen, um die es in den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 geht,vertritt die Klägerin die Ansicht, daß die Kommission auch im Rahmen des EGKS-Vertrags die in Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehene Möglichkeit habe, zuentscheiden, daß der betreffende Staat eine rechtswidrige Beihilfe aufzuheben oderumzugestalten habe. Bei dieser Wahl sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeitzu beachten. Aus der Rechtsprechung ergebe sich nicht, daß die Rückforderungeiner Beihilfe in jedem Fall den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre.

144.
    Wenn die Beklagte der Ansicht gewesen sei, daß die Darlehen eine Beihilfe imSinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag gewesen seien, was die Klägerinbestreitet, so hätte sie eine Umgestaltung der Beihilfe anordnen müssen. Indem siesich nicht auf die Anordnung einer solchen Umgestaltung beschränkt, sondern dieBundesrepublik Deutschland zur Rückforderung der Beihilfen verpflichtet habe(Artikel 2 der Entscheidungen 96/178 und 96/484), habe die Beklagte denGrundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

Vorbringen der Beklagten sowie des Vereinigten Königreichs Großbritannien undNordirland

145.
    Die Beklagte, unterstützt durch das Vereinigte Königreich, trägt vor, sie habe dieMaßnahmen getroffen, die erforderlich seien, um die Beachtung der Bestimmungendes Vertrages zu gewährleisten, insbesondere, da auf dem betroffenen MarktÜberkapazitäten bestünden. Die Beklagte ist im Kern der Ansicht, für dasallgemeine Übermaßverbot sei bei der Frage, ob eine Finanzhilfe unter Artikel 4Buchstabe c EGKS-Vertrag falle, kein Raum. Jedenfalls gehe aus derRechtsprechung hervor, daß die Rückforderung einer mit dem GemeinsamenMarkt unvereinbaren staatlichen Beihilfe, da sie die Wiederherstellung der früherenLage bezwecke, grundsätzlich nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahmebetrachtet werden könne (vgl. Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in derRechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-1675, Randnr. 96). DieKlägerinnen hätten im vorliegenden Fall nicht dargetan, daß die Anordnung derRückforderung nicht auf die Wiederherstellung der Situation vor der Gewährungder Beihilfe abziele.

Würdigung durch das Gericht

1. Zur Anwendung eines Spürbarkeitskriteriums auf staatliche Beihilfen

146.
    Mit dem Vorwurf an die Beklagte, sie habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeitverletzt, verlangen die Klägerinnen in Wirklichkeit die Anwendung einesSpürbarkeitskriteriums („de-minimis-Kriterium“), aufgrund dessen Beihilfen, dieden Wettbewerb nur mäßig beeinträchtigen, nicht mehr unter das Verbot desArtikels 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag fielen.

147.
    Aus dem Wortlaut von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag ergibt sich nicht, daßBeihilfen, die zu einer geringfügigen Wettbewerbsverzerrung führen, nicht unter dasangeordnete Verbot fallen. Im übrigen ergibt sich aus Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag anders als aus Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag nicht, daß die Kommissionfestzustellen hat, daß die fragliche Beihilfe den Wettbewerb verfälscht oder zuverfälschen droht (siehe oben Randnr. 99). Dieser Artikel untersagt alle Beihilfenohne jede Einschränkung, so daß er keinen Grundsatz der Spürbarkeit enthaltenkann.

148.
    Das Verbot des Artikels 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag wird nur dadurch gemildert,daß die Kommission auf der Grundlage von Artikel 95 EGKS-Vertrag Beihilfengenehmigen kann, die für die Erreichung eines der in den Artikeln 2 bis 4 diesesVertrages näher bezeichneten Ziele erforderlich sind (vgl. Urteil des Gerichts vom24. Oktober 1997 in der Rechtssache T-243/94, British Steel/Kommission, Slg. 1997,II-1887, Randnrn. 40 bis 43).

149.
    Die Klägerinnen haben aber nicht dargetan, daß die Genehmigung der streitigenBeihilfen für die Erreichung eines dieser Ziele erforderlich sei. Daher haben sieauch nicht dargetan, daß die Beklagte dadurch, daß sie nicht von Artikel 95 EGKS-Vertrag Gebrauch gemacht hat, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeitverstoßen hat.

150.
    Außerdem verfügt die Kommission nach diesem Artikel über ein Ermessen (vgl.Urteil British Steel/Kommission, zitiert oben in Randnr. 148, Randnr. 51). Sie kannsich durch Rechtsakte wie den Fünften Stahlbeihilfenkodex Leitlinien für dieAusübung ihres Ermessens auferlegen, soweit die damit aufgestellten Vorschriftennicht von den Vertragsbestimmungen abweichen. Der Erlaß eines solchen Kodexdurch die Kommission erfolgt somit in Ausübung ihres Ermessens und zieht nureine Selbstbeschränkung dieses Ermessens bei der Prüfung von unter den Kodexfallenden Beihilfen unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung nachsich (vgl. Urteil British Steel/Kommission, Randnr. 50).

151.
    Die Klägerinnen haben aber nicht angegeben, inwieweit der anwendbare Kodexeinen Spürbarkeitsgrundsatz enthielte.

2. Zur behaupteten Verpflichtung der Kommission, die Änderung derVoraussetzungen für die Gewährung der Beihilfen anstatt deren Rückforderunganzuordnen

152.
    Da das Verbot des Artikels 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag anders als das desArtikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag allgemein und unbedingt ist (siehe oben,Randnrn. 99 und 147), geht der Hinweis auf Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag,wonach die Kommission dem betreffenden Staat die Umgestaltung einerrechtswidrigen Beihilfe aufgeben kann, fehl.

153.
    Im übrigen wäre das Vorbringen auch zurückzuweisen, wenn Artikel 93 Absatz 2EG-Vertrag im vorliegenden Fall anwendbar wäre. Dieser sieht nämlich vor, daßdie Kommission, wenn sie feststellt, daß eine staatliche Beihilfe mit demGemeinsamen Markt nach Artikel 92 des Vertrages unvereinbar ist oder daß siemißbräuchlich angewandt wird, „entscheidet ..., daß der betreffende Staat siebinnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat“. Nachder Rechtsprechung des Gerichtshofes kann diese Aufhebung oder Umgestaltung,damit sie einen praktischen Nutzen hat, die Verpflichtung umfassen, die unterVerletzung des Vertrages gewährten Beihilfen zurückzufordern (vgl. insbesondereUrteil Siemens/Kommission, zitiert oben in Randnr. 145, Randnr. 96). Infolgedessenkann die Rückforderung einer mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbarenstaatlichen Beihilfe, da sie die Wiederherstellung der früheren Lage bezweckt,grundsätzlich nicht als eine Maßnahme betrachtet werden, die außer Verhältnis zuden Zielen der Bestimmungen des Vertrages über staatliche Beihilfen steht.

154.
    Wie die Beklagte und das Vereinigte Königreich ausgeführt haben, hat die Klägerinnichts vorgetragen, was geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung derRückforderung der Beihilfen darzutun, und noch nicht einmal angegeben, worinMaßnahmen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angeblich eher gerechtwürden, bestehen könnten.

3. Zu Artikel 5 dritter Gedankenstrich EGKS-Vertrag

155.
    Dem Vorbringen der Klägerinnen zu Artikel 5 dritter Gedankenstrich EGKS-Vertrag kann nicht gefolgt werden. Denn diese Vorschrift steht der Anwendung desStahlbeihilfenkodex nicht entgegen und betrifft nur „direkte Eingriffe“ derKommission in die Erzeugung und den Markt.

4. Ergebnis

156.
    Aus alledem folgt, daß die Beklagte mit dem Erlaß der streitigen Entscheidungennicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen hat. Der zweiteKlagegrund ist daher zurückzuweisen.

C — Dritter Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften

157.
    Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen. Mit dem ersten Teil wird eine falscheDarstellung verschiedener Tatsachenfeststellungen in den angefochtenenEntscheidungen sowie der sich daraus ergebende Begründungsmangel geltendgemacht. Der zweite Teil stützt sich auf die Verweigerung der Aussetzung derEntscheidungen oder der darin festgelegten Verpflichtung zur Rückzahlung derDarlehen sowie auf einen Verstoß gegen den Rechtsschutzgrundsatz und dieBegründungspflicht. Mit dem dritten Teil wird die rechtswidrige Trennung derVerfahren geltend gemacht.

Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes: falsche Darstellung verschiedenerTatsachenfeststellungen in den angefochtenen Entscheidungen mit daraus folgendemBegründungsmangel

1. Vorbemerkungen

158.
    Gemäß Artikel 5 Absatz 2 vierter Gedankenstrich EGKS-Vertrag gibt dieGemeinschaft „die Gründe für ihr Handeln bekannt“. Nach Artikel 15 Absatz 1sind „die Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen der Kommission ...mit Gründen zu versehen und haben auf die pflichtgemäß eingeholtenStellungnahmen Bezug zu nehmen“.

159.
    Nach ständiger Rechtsprechung muß die Begründung der Natur des betreffendenRechtsakts angepaßt sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das denRechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß dieBetroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können undder Gemeinschaftsrichter seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Es wird nichtverlangt, daß alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte in derBegründung genannt sind. Diese ist nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsaktszu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontexts und sämtlicherRechtsvorschriften, die für das betreffende Gebiet gelten (vgl. Urteil vom 29.

Februar 1996, Belgien/Kommission, zitiert oben in Randnr. 106, Randnr. 86, undUrteil British Steel/Kommission, zitiert oben in Randnr. 148, Randnr. 160).Außerdem ist die Begründung eines Rechtsakts u. a. anhand „des Interesses zubeurteilen, das die Adressaten oder andere von der Maßnahme betroffenePersonen im Sinne von Artikel 33 Absatz 2 EGKS-Vertrag an der Begründunghaben können“ (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 19. September 1985 in denRechtssachen 172/83 und 226/83, Hoogovens Groep/Kommission, Slg. 1985, 2831,Randnr. 24, und Urteil British Steel/Kommission, zitiert oben in Randnr. 148,Randnr. 160).

160.
    Darüber hinaus ergibt sich auch aus der Rechtsprechung (vgl. Urteil desGerichtshofes vom 20. Oktober 1987 in der Rechtssache 119/86, Spanien/Rat undKommission, Slg. 1987, 4121, Randnr. 51), daß auch dann, wenn eineBegründungserwägung der streitigen Handlung einen tatsächlichen Irrtum enthält,dieser Formfehler nicht zur Nichtigerklärung dieser Handlung führen kann, wenndie übrigen Erwägungen bereits für sich genommen eine ausreichende Begründungenthalten.

161.
    Im vorliegenden Fall werfen die Klägerinnen der Beklagten vor, erstens diebeabsichtigten Finanzhilfen, zweitens die von der deutschen Regierungvorgebrachten Beispiele unternehmerischen Handelns, drittens ihre Entscheidungvom 1. August 1988 und viertens die Umstände im Zusammenhang mit demAusscheiden der früheren privaten Gesellschafter von NMH falsch dargestellt zuhaben.

2. Zur Rüge der falschen Darstellung der beabsichtigten Finanzhilfen

Vorbringen der Parteien

162.
    Die Klägerinnen tragen vor, in den Entscheidungen 95/422 vom 4. April 1995,96/178 vom 18. Oktober 1995 und 96/484 vom 13. März 1996 werde derSachverhalt falsch und unvollständig dargestellt.

163.
    In der Entscheidung 95/422 habe die Beklagte die Ansicht vertreten, daß derfinanzielle Beitrag keine Einzahlung in das Eigenkapital von NMH durch denFreistaat Bayern als Gesellschafter darstelle, sondern einen Vorgang zur Minderungder Verluste des Unternehmens. Diese Sachverhaltsdarstellung widerspreche denErklärungen der deutschen Behörden im Verwaltungsverfahren. Sie habe dieBeurteilung des streitigen Beitrags gemäß Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertragbestimmt. Da die Grundlage der Bewertung in diesem für die Entscheidungerheblichen Punkt nicht zutreffe, sei die Entscheidung entgegen Artikel 15EGKS-Vertrag fehlerhaft begründet.

164.
    Die Beklagte habe in den Entscheidungen 96/178 und 96/484 zu Unrecht dieAnsicht vertreten, daß die vom Freistaat Bayern gewährten Darlehen eine im Falldes Konkurses von NMH nicht zurückforderbare Kapitalzufuhr darstellten. Selbst

wenn nach deutschem Recht die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens alsZuführung von Eigenkapital betrachtet werde, habe die Beklagte ihr Ergebnis, daßein Gesellschafterdarlehen als solches einer Zuführung von Eigenkapitalgleichzusetzen sei, nicht hinreichend begründet.

165.
    Die Bundesrepublik Deutschland ist der Ansicht, daß die Beklagte, indem sie dieZahlungen von vornherein als verlorene Zuschüsse betrachtet habe, versäumt habe,die — für die Qualifizierung der streitigen Zahlungen als Beihilfen im Sinne vonArtikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag entscheidende — Frage zu untersuchen, ob derFreistaat Bayern wie ein privater Investor in vergleichbarer Lage gehandelt habe.

166.
    Die Beklagte weist darauf hin, daß sie ihre Entscheidung 95/422 auf der Grundlageder von der deutschen Regierung am 16. Mai und 15. Juli 1994 mitgeteiltenAngaben begründet habe, und bestreitet, ihre Entscheidungen 96/178 und 96/484nicht ausreichend begründet zu haben. Die Rüge ist daher ihrer Ansicht nachzurückzuweisen.

Würdigung durch das Gericht

— Rechtssache T-129/95

167.
    In der Sachverhaltsdarstellung der Entscheidung 95/422 sind die verschiedenenSchreiben der deutschen Regierung zutreffend wiedergegeben. Aus dem Schreibenvom 16. Mai 1994 ergibt sich nämlich, daß ein „anteiliger Ausgleich der NMH-Verluste“ und eine pauschale Leistung, „um die ... Minderung desUnternehmenswertes von LSW auszugleichen“, vorgesehen sind (Punkt 2). ImSchreiben vom 15. Juli 1994 hat die deutsche Regierung ausgeführt, daß „derVerlustausgleich ... durch Zuführung liquider Mittel ... erfolgen [soll]“. In derMitteilung der deutschen Regierung vom 24. Februar 1995 werden die Zahlungendes Freistaates Bayerns an NMH als außerordentliche Unternehmenserträge, dieunmittelbar einen Verlustausgleich bewirkten, nicht aber als Kapitalzuführungendargestellt.

168.
    In Teil IV der Entscheidung 95/422 werden klar und ausführlich die Gründedargelegt, aus denen die Beklagte der Ansicht war, daß die fraglichenKapitalzuführungen staatliche Beihilfen darstellten, insbesondere die Gründe, ausdenen sie davon ausging, daß ein normaler privater, marktwirtschaftlich handelnderInvestor diese Kapitalzuführungen unter vergleichbaren Umständen nichtvorgenommen hätte.

— Rechtssachen T-2/96 und T-97/96

169.
    Erstens enthalten die Entscheidungen 96/178 und 96/484 eingehende Erläuterungenzur Qualifizierung der gewährten Darlehen als Kapitalzuführungen. Insbesonderewird darin dargelegt, daß ein privater Gesellschafter nicht bereit sein dürfte, einem

in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen finanzielle Mittel zuüberlassen, wenn die übrigen Gesellschafter nicht ebenfalls zu einem ihremGesellschaftsanteil entsprechenden Beitrag bereit seien (Teil IV, vierter Absatz, derEntscheidung 96/178 und Teil IV, fünfter Absatz, der Entscheidung 96/484). In TeilIV, fünfter Absatz, dieser Entscheidungen hat die Beklagte ausgeführt: „Nachdeutschem Recht sind Gesellschafterdarlehen, die unter Umständen gewährt odernicht eingezogen wurden, in denen die finanzielle Lage eines Unternehmensentweder den Konkurs oder die Bereitstellung zusätzlichen haftenden Kapitalsdurch seine Gesellschafter erfordert, im Fall des Konkurses wie die Zuführung vonEigenkapital zu behandeln“ („eigenkapitalersetzende Darlehen“ gemäß §§ 32a und32b GmbHG). Angesichts dieser Rechtslage seien Gesellschafterdarlehen, diegewährt würden, um die Zahlungsunfähigkeit und den anschließenden Konkurseines Unternehmens abzuwenden, grundsätzlich mit der Zuführung vonEigenkapital gleichzusetzen.

170.
    Zweitens hat die Beklagte bei der Anwendung des Kriteriums des normalumsichtigen privaten Investors in den angefochtenen Entscheidungen dieBedingungen untersucht, unter denen die Darlehen gewährt wurden, und auf denUmstand verwiesen, daß sich die anderen privaten Gesellschafter von NMH nichtan den Darlehen beteiligt hätten. Insbesondere hat die Beklagte ihreSchlußfolgerung, daß der Freistaat Bayern nicht mit einer Rückzahlung haberechnen können, eingehend begründet. In Teil IV, vierzehnter Absatz, derEntscheidung 96/178 (Teil IV, neunter Absatz, der Entscheidung 96/484) hat sieausgeführt, daß „der Freistaat Bayern zu keinem Zeitpunkt Rückzahlungen aus denDarlehen von insgesamt 49,895 Mio. DM ... erwarten konnte. Hätte die NMHKonkurs angemeldet, wären die Darlehen wie Eigenkapital behandelt worden, sodaß der Freistaat erst dann eine Rückzahlung bekommen hätte, wenn alle übrigenGläubiger befriedigt wurden, was höchst unwahrscheinlich war. Davon abgesehenwar der Freistaat Bayern auch immer willens, auf die Forderungen aus diesenDarlehen zu verzichten, um den Verkauf seiner Anteile an der NMH zuermöglichen und in der strukturschwachen Region Oberpfalz Arbeitsplätze zuerhalten.“

— Ergebnis

171.
    Die angefochtenen Entscheidungen berücksichtigen daher zutreffend die von derdeutschen Regierung vorgelegten Informationen und enthalten eine Begründung,der die Klägerinnen die Gründe entnehmen können, aus denen die Beklagte diestreitigen Darlehen als staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 4 Buchstabe cEGKS-Vertrag qualifiziert hat, und aufgrund deren der Gemeinschaftsrichter seineRechtmäßigkeitskontrolle ausüben kann. Die erste Rüge ist daher als unbegründetzurückzuweisen.

3. Zur Rüge der falschen Darstellung der von der deutschen Regierung angeführtenBeispiele unternehmerischen Handelns in der Entscheidung 95/422 und zum Antragauf vertrauliche Behandlung der damit zusammenhängenden Angaben

Zum Antrag auf vertrauliche Behandlung

— Vorbringen der Parteien

172.
    In der Rechtssache T-129/95 beantragen die Klägerinnen, die bei den Beispielenfür unternehmerisches Verhalten und bei den Angaben über interne Vorgänge derbeteiligten Unternehmen erwähnten Namen vertraulich zu behandeln und wederim Sitzungsbericht noch in den anderen für die Öffentlichkeit vorgesehenenDokumenten zu erwähnen.

173.
    Die Beklagte entgegnet, es bestehe kein Anlaß, dem Antrag der Klägerinnenstattzugeben.

— Würdigung durch das Gericht

174.
    Da sich die Angaben zu den genannten Beispielen insbesondere auf deutschePresseberichte stützen und in der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaftenvom 21. Oktober 1995 veröffentlichten Entscheidung 95/422 enthalten sind, bestehtkein Anlaß, dem Antrag der Klägerinnen stattzugeben.

Zur Begründetheit der Rüge

— Vorbringen der Parteien

175.
    Die Klägerinnen, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland, machen in derRechtssache T-129/95 geltend, daß die Darstellung und die rechtliche Würdigungder Beispiele unternehmerischen Handelns in der Entscheidung 95/422 (Teil IV,Nr. 4) fehlerhaft seien. Die deutsche Regierung habe diese Beispiele angeführt, umzu belegen, daß sich der Freistaat Bayern wie ein privater Investor verhalte. Selbstwenn sich diese Beispiele nicht auf NMH und LSW bezögen, belegten sie doch,daß ein privater Investor in vergleichbarer Lage die gleiche Entscheidung wie derFreistaat Bayern getroffen hätte.

176.
    Im Fall Metallgesellschaft AG hätten die Gläubigerbanken und die Gesellschafternicht, wie in der Entscheidung 95/422 angegeben, Maßnahmen anhand reinwirtschaftlicher Kriterien ergriffen, sondern vielmehr in dem Bestreben, ihrAnsehen aufrechtzuerhalten. Ihr Verhalten sei mit demjenigen des FreistaatesBayern im vorliegenden Fall vergleichbar.

177.
    Im Fall Weiherhammer habe die Beklagte die Darlegungen der deutschenRegierung durch eigene Erwägungen ersetzt. Nach der Entscheidung 95/422 erfolgedie Kapitalspritze aufgrund einer „Gegenüberstellung der Liquidations- bzw.Konkurskosten und der erforderlichen abschließenden Kapitalzufuhr“. DieseDarstellung sei nicht richtig, da der Mutterkonzern versichert habe, daß dieKapitalzuführung teurer gewesen sei als der Konkurs.

178.
    Zu den Fällen Digital Equipment und Graetz Holztechnik GmbH heiße es in derEntscheidung 95/422: „Die Kosten für die Auslagerung (.outsourcing') bestimmterUnternehmensteile ... werden übernommen, um die künftige Belieferung mitbestimmten Teilen eigener Produkte sicherzustellen und gleichzeitig deren Kostenzu senken, so daß ein wirtschaftlicher Vorteil erzielt wird.“

179.
    Digital Equipment habe der Firma DITEC eine Anschubfinanzierung zur Deckungvon Sozialplankosten und zur Bildung von Eigenkapital gewährt. Es gebe aberkeine eigenen Produkte, die von DITEC für Digital Equipment hergestellt würdenund diese Beihilfe als in der Zukunft gewinnbringend erscheinen ließen.

180.
    Bezüglich Graetz Holztechnik habe die Beklagte fälschlicherweise ausgeführt, daßsich das Unternehmen Nokia „bei der Trennung von der Graetz Holztechnik dieeigene Belieferung [habe] sichern wollen“. Ferner habe die Beklagte ausgeführt,die Bundesregierung habe die finanzielle Unterstützung „einseitig“ als„Umsatzgarantie“ für die Firma Graetz Holztechnik dargestellt. Im Gegensatz dazuhabe die Firma Graetz Holztechnik selbst die Unterstützung als Umsatzgarantiebezeichnet, wie sich im übrigen aus dem Schreiben der Bundesregierung vom 24.Februar 1995 ergebe.

181.
    Die Bundesrepublik Deutschland führt aus, sie habe auf die Anfragen derKommission zum Verhalten der genannten Unternehmer so vollständiggeantwortet, wie dies angesichts dessen, daß Privatunternehmen dem FreistaatBayern oder der Bundesregierung gegenüber nicht zur Auskunft über ihreInvestitionen verpflichtet seien, möglich sei.

182.
    Im übrigen bedürfe es zur Verneinung einer Beihilfegewährung lediglich derFeststellung, daß sich die unternehmerische Situation und die Motivation desprivaten Investors einerseits und der öffentlichen Hand andererseits ähnelten (vgl.Urteil vom 10. Juli 1986, Belgien/Kommission, zitiert oben in Randnr. 76, Randnr.13). Eine identische Situation würde sich im übrigen kaum finden lassen, gerade imHinblick auf den erheblichen Umfang und die Vielfältigkeit staatlicherBeteiligungen.

183.
    Die Beklagte beantragt, diese Rüge zurückzuweisen; die Entscheidung 95/422 seinicht auf die streitigen Beispiele, sondern auf die von der deutschen Regierungübermittelten Informationen gegründet.

— Würdigung durch das Gericht

184.
    Die Beklagte hat in der Entscheidung 95/422 eingehend die Gründe dargelegt, ausdenen das Verhalten des Freistaates Bayern nicht mit dem der von denKlägerinnen genannten Unternehmer vergleichbar sei. Insbesondere hat sie in TeilIV ausgeführt, daß — anders als der Freistaat Bayern im vorliegenden Fall — inkeinem der von der deutschen Regierung angeführten Beispiele ein privaterKapitalgeber seine Anteile übertragen habe, ohne dabei einen wirtschaftlichen

Vorteil zu erlangen. Durch Hinweis auf diesen Unterschied hat die Beklagtegezeigt, daß das Verhalten des Freistaates Bayern mit dem der genanntenUnternehmer nicht vergleichbar war. Selbst wenn die Beklagte auf der Grundlageder von der deutschen Regierung übermittelten summarischen Informationen dasVerhalten dieser Unternehmer unvollkommen dargestellt hätte, so haben dochweder die Klägerinnen noch die Bundesrepublik Deutschland dargetan, daß dieseUnvollkommenheit entscheidende Auswirkungen auf die Qualifizierung derDarlehen als Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag hatte.

185.
    Folglich ist diese zweite Rüge zurückzuweisen.

4. Zur Rüge der falschen Darstellung der Entscheidung von 1988 in derEntscheidung 95/422

Vorbringen der Parteien

— Zur Begründetheit der Rüge

186.
    Die Klägerinnen und die Bundesrepublik Deutschland, Streithelferin, machengeltend, in der Entscheidung 95/422 sei die Entscheidung von 1988 entstelltwiedergegeben. In der letztgenannten Entscheidung habe die Kommissionfestgestellt, daß das Vorhaben der Beteiligung des Freistaates Bayern an denNachfolgeunternehmen der Maxhütte, wie sie in der Rahmenvereinbarung über denSanierungsplan von 1987 vorgesehen gewesen sei, kein Element einer staatlichenBeihilfe enthalte.

187.
    Diese Rahmenvereinbarung von 1987 habe aber Subventionen des FreistaatesBayern zum Ausgleich der Altlasten vorgesehen. Die streitige Subvention von 56Mio. DM habe gerade die Deckung dieser Altlasten zum Gegenstand gehabt. Siesei von der Entscheidung von 1988 erfaßt und damit von der Beklagten genehmigtworden.

188.
    Die Beklagte beantragt, diese Rüge zurückzuweisen; die Entscheidung von 1988erfasse nicht Subventionen zum Ausgleich von Altlasten.

— Zum Antrag auf Vorlage von Dokumenten

189.
    Da die Beklagte bestreite, daß die Altlasten der Entscheidung von 1988 zugrundegelegen hätten, halten die Klägerinnen die Vorlage dieser Vorgänge fürerforderlich. Die Klägerinnen beantragen daher, der Beklagten gemäß den Artikeln64 und 65 der Verfahrensordnung aufzugeben, ihre Vorgänge zur Entscheidung von1988 zu übersenden.

190.
    Die Beklagte erwidert, daß kein Anlaß bestehe, dem Antrag der Klägerinnenstattzugeben.

Würdigung durch das Gericht

— Zur Begründetheit der Rüge

191.
    Die Entscheidung von 1988 nimmt auf die Frage der Altlasten nicht ausdrücklichBezug. In der Rahmenvereinbarung von 1987, die Gegenstand dieser Entscheidungwar, war jedoch in Nummer 5.5 vorgesehen:

„Die Anlagen werden altlastenfrei übernommen. Soweit eine altlastenfreieÜbertragung nicht möglich ist, wird der Freistaat sicherstellen, daß NMH von densich daraus ergebenden Verpflichtungen wirtschaftlich nicht betroffen wird.“

192.
    Da die gesamte Rahmenvereinbarung von 1987, einschließlich der Nummer 5.5, indem Verfahren geprüft wurde, das zu der Entscheidung von 1988 geführt hat, unddie Beklagte selbst eingeräumt hat, daß sie die Altlastenfrage geprüft habe, kannihrem Vorbringen, daß die Entscheidung von 1988 die Altlasten nicht erfasse, nichtgefolgt werden.

193.
    Da sich die Rahmenvereinbarung jedoch auf die Verpflichtungen bezieht, die derFreistaat Bayern in den Jahren 1987 und 1988 eingegangen ist, galt dieEntscheidung von 1988 nicht für die Finanzierung, die der Freistaat Bayern NMHnach diesem Zeitraum gewährt hat, insbesondere für die im Rahmen derVereinbarung vom 27. Januar 1995 gezahlte Subvention in Höhe von 56 Mio. DM(siehe oben, Randnr. 15).

194.
    Außerdem ergibt sich aus der Mitteilung der deutschen Regierung vom 16. Mai1994, Nummer 2, und aus dem Protokoll der Ministerratssitzung der bayerischenStaatsregierung vom 4. November 1987 zur Situation der Maxhütte (Nr. 11), daßes sich bei den Altlasten um Umweltauflagen und Sanierungsmaßnahmen zurLuftreinhaltung, zum Lärmschutz und zum Grundwasserschutz handelte.

195.
    Daher ist die von der Klägerin vertretene Auffassung, daß die streitige Subventionin Höhe von 56 Mio. DM durch die Entscheidung von 1988 genehmigt worden sei,zurückzuweisen.

196.
    Auch wenn die Rüge, mit der Klägerin die falsche Darstellung dieser Entscheidunggeltend macht, begründet wäre, hätte dieser Fehler jedenfalls keine Auswirkung aufdie Entscheidung 95/422 und könnte daher nicht zu deren Nichtigerklärung führen.Folglich ist diese Rüge zurückzuweisen.

— Zum Antrag auf Vorlage von Dokumenten

197.
    Da das Gericht die in den Akten enthaltenen Angaben für ausreichend hält, ist esunter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen (Randnrn. 191 bis 195) derAuffassung, daß kein Anlaß besteht, die Vorlage der Vorgänge zur Entscheidungvon 1988 anzuordnen.

5. Zur Rüge der falschen Darstellung der Umstände des Ausscheidens der früherenprivaten Gesellschafter von NMH in der Entscheidung 95/422

Vorbringen der Parteien

198.
    Nach Ansicht der Klägerinnen, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland,beruht die Entscheidung 95/422 auf einer unzutreffenden Sachdarstellung, da darinfestgestellt werde, daß die früheren privaten Gesellschafter (Krupp Stahl, ThyssenStahl und Klöckner Stahl) bei ihrem Ausscheiden nichts gezahlt hätten. Nichterwähnt werde, daß diese einen negativen Kaufpreis entrichtet hätten, indem sieNMH später Darlehen gewährt hätten (Mitteilungen der Bundesregierung vom 16.Mai und 15. Juli 1994). Für ihr Ausscheiden hätten sie nämlich die Forderungenaus diesen Darlehen gegen das Versprechen von NMH, bei einer Besserung derFinanzlage den Gesamtbetrag zurückzuzahlen, zu einem Drittel ihres Wertes„verkauft“.

199.
    Die Bundesrepublik Deutschland führt aus, der Freistaat Bayern alsHauptgesellschafter von NMH habe sich in einer anderen Lage befunden als dieMinderheitsgesellschafter bei der Abtretung ihrer Anteile. Wegen ihrer geringenBeteiligung am Stammkapital von NMH und des Umstands, daß diese mit ihremKerngeschäft konkurriert habe, hätten sie sich nicht an der Suche nach einemKäufer und der Erstellung eines unternehmerischen Gesamtkonzepts für NMHbeteiligt. Trotz dieser Unterschiede habe die Beklagte zu Unrecht die streitigenZahlungen anhand des Kriteriums des vernünftigen Investors unter Bezugnahmeauf das Verhalten der betreffenden Minderheitsgesellschafter beurteilt.

200.
    Die Beklagte wendet ein, die Sachverhaltsdarstellung in der Entscheidung 95/422in bezug auf das Ausscheiden der früheren privaten Gesellschafter (Teil IV Nr. 5)entspreche der Darstellung in der Mitteilung der deutschen Regierung vom 16. Mai1994. Über etwaige weitere Beiträge durch die früheren Gesellschafter sei ihr nichtsmitgeteilt worden. Das nachträgliche Vorbringen der Klägerinnen und derdeutschen Regierung sei deshalb unbeachtlich.

Würdigung durch das Gericht

201.
    Die Schreiben der deutschen Regierung vom 16. Mai und 15. Juli 1994 zeigen, daßdie früheren privaten Gesellschafter von NMH vom Freistaat Bayern am 30. Juni1993 (Klöckner) und 21. März 1994 (Thyssen und Krupp) die Zustimmung zumVerkauf ihrer Anteile erhalten hatten. In der Folge verkauften sie tatsächlich ihreAnteile zum symbolischen Preis von 1 DM. Gleichzeitig wurden die Forderungenaus den von den früheren Gesellschaftern im Juni/Juli 1992 gewährten Darlehengegen ein geringes Entgelt an die Aicher-Gruppe übertragen.

202.
    Somit ergibt sich, daß zwischen der Darlehensgewährung durch die früherenprivaten Gesellschafter im Jahr 1992 und dem Verkauf ihrer Anteile im Jahr 1993

ein Jahr liegt. Die Klägerinnen haben aber nicht dargetan, daß zwischen diesenbeiden Ereignissen ein Zusammenhang besteht, der beweist, daß diese früherenprivaten Gesellschafter gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgeschieden sind.

203.
    Der Argumentation der Bundesrepublik Deutschland kann nicht gefolgt werden.Es wurde bereits festgestellt (siehe Randnr. 114), daß selbst dann, wenn derFreistaat Bayern die Mehrheit der Kapitalanteile von NMH gehalten haben sollte,die Beklagte nicht die Bestimmungen des Vertrages oder irgendeiner bei seinerDurchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt hätte, indem siedavon ausging, daß der Freistaat Bayern als Investor in gleicher Weise wie jedermarktwirtschaftlich handelnde private Investor und insbesondere wie die anderenGesellschafter ein Interesse daran gehabt habe, ein gewinnbringendes Geschäftdurchzuführen, wenn nicht zu versuchen, die Rendite des investierten Kapitals zumaximieren. Hinzu kommt, daß ein normal umsichtiger Privatinvestor um so mehrdarauf achten wird, daß die Aussichten bei der Gewährung eines Darlehens an eineGesellschaft, an deren Kapital er beteiligt ist, gewinnbringend sind, je höher seinAnteil am Kapital dieser Gesellschaft ist. Außerdem haben die Klägerinnen nichtdargetan, weshalb ihr Vorbringen, daß NMH mit den Minderheitsinvestoren inihrem Kerngeschäft im Wettbewerb gestanden habe, nicht für ihre Beteiligung ander 1990 erfolgten Übernahme von NMH und im Rahmen der 1992 bis Anfang1994 gewährten Darlehen gegolten haben soll. Auch wenn ein solcher Grundbestanden hätte, geht jedenfalls aus den Akten nicht hervor, daß die Beklagtedarüber unterrichtet gewesen wäre.

204.
    Daher kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, sie habe bezüglich derVorgänge um das Ausscheiden der früheren privaten Gesellschafter dieBestimmungen des Vertrages oder irgendeiner bei seiner Durchführunganzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt. Auch wenn die Darstellungder Umstände dieser Vorgänge unvollkommen sein sollte, so haben dieKlägerinnen jedenfalls nicht dargetan, daß diese Unvollkommenheit dieEntscheidung 95/422 im Ergebnis bestimmt hat.

205.
    Folglich ist die vierte Rüge zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes: Verweigerung der Aussetzung derEntscheidungen 96/178 und 96/484 oder der darin auferlegten Verpflichtung zurRückzahlung der Darlehen sowie Verstoß gegen den Rechtsschutzgrundsatz und dieBegründungspflicht (nur in den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 erhobene Rügen)

Vorbringen der Parteien

206.
    Die Klägerin NMH rügt, daß die Beklagte den Erlaß der Entscheidung über dieDarlehen (Artikel 1 der Entscheidung 96/178 und der Entscheidung 96/484) unddie Anordnung der Rückforderung der Beihilfen (Artikel 2 dieser Entscheidungen)nicht ausgesetzt habe, bis das Gericht und der Gerichtshof über die Klagen gegendie Entscheidung 95/422 entschieden hätten. Unter Berücksichtigung des sachlichen

Zusammenhangs zwischen dem ersten Verfahren, das die finanziellen Beiträgebetreffe, und den beiden anderen Verfahren, die die Darlehen beträfen, würde einegerichtliche Entscheidung zugunsten von NMH im ersten Verfahren die beidenanderen Verfahren gegenstandslos machen.

207.
    Zudem würde die sofortige Rückzahlung der angeblich gewährten Beihilfen gemäßArtikel 2 der Entscheidungen 96/178 und 96/484 zu einer Überschuldung von NMHund daher zu deren Konkurs führen. Die allzu pauschale und unzureichendeBegründung dieser Entscheidungen versage der Klägerin einen effektivenRechtsschutz.

208.
    Die Beklagte und das Vereinigte Königreich beantragen, diesen Teil desKlagegrundes zurückzuweisen. Die Beklagte trägt vor, sie habe in Teil V derEntscheidungen 96/178 und 96/484 eingehend begründet, warum sie eineAussetzung der Rückforderungsentscheidung nicht für gerechtfertigt halte.

209.
    Das Vereinigte Königreich weist darauf hin, daß eine Beihilfe erst dann gewährtwerden dürfe, wenn sie notifiziert und gemäß den Artikeln 2 bis 5 des FünftenStahlbeihilfenkodex genehmigt worden sei. Selbst wenn die Klägerin in derRechtssache T-129/95 obsiegen würde, sei die Beklagte nicht verpflichtet, dieanderen Entscheidungen über die Darlehen auszusetzen. Im übrigen habe derPräsident des Gerichtshofes im Beschluß Deutschland/Kommission (zitiert oben inRandnr. 50, Randnr. 79) den Aussetzungsantrag der Klägerinnen zurückgewiesen.

Würdigung durch das Gericht

210.
    Im Rahmen dieses Teils des dritten Klagegrundes erhebt die Klägerin NMH imKern zwei verschiedene Rügen, die sich auf die Nichtaussetzung derRückforderungsanordnung der Entscheidungen 96/178 und 96/484 sowie auf einenBegründungsmangel beziehen.

211.
    Bezüglich der ersten Rüge ist darauf hinzuweisen, daß der Empfänger einer mitdem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfe diese grundsätzlichzurückzuzahlen hat. Er darf keinen Vorteil daraus ziehen, daß ein Mitgliedstaatihm unter Verstoß gegen den EGKS-Vertrag und den Fünften Stahlbeihilfenkodexöffentliche Mittel gewährt hat. Die Anordnung der sofortigen Rückforderung, auchwenn sie zum Konkurs des begünstigten Unternehmens führt, ist somit eine in derNatur der strengen Beihilfenregelung im Stahlsektor liegende Folge.

212.
    Die Kommission ist nach keiner Vorschrift des EGKS-Vertrags oder des FünftenStahlbeihilfenkodex befugt, eine Rückforderungsanordnung auszusetzen. AusArtikel 39 Absatz 1 EGKS-Vertrag ergibt sich, daß auch die beim Gerichtshofeingereichten Klagen keine aufschiebende Wirkung haben.

213.
    Überdies hat der Gerichtshof im Beschluß Deutschland/Kommission (zitiert obenin Randnr. 50) entschieden, daß dem Antrag auf einstweilige Anordnung derAussetzung nicht stattgegeben werden kann, um einen Schaden zu verhindern, der,selbst wenn er gewiß wäre, als unvermeidbare Folge der Anwendung der strengenBeihilfenregelung im Stahlsektor erscheint, die insbesondere bezweckt, diebesonders schädlichen Auswirkungen der künstlichen Erhaltung von Unternehmen,die unter normalen Marktbedingungen nicht fortbestehen könnten, auf denWettbewerb — und damit auf das Überleben leistungsstarker Unternehmen — zuverhindern.

214.
    Daher ist die erste Rüge der Klägerin nicht begründet.

215.
    Was den angeblichen Begründungsmangel angeht, so ist festzustellen, daß dieGründe für die Anordnung der Rückforderung in Teil V der Entscheidungen96/178 und 96/484 dargelegt sind. Dieser ausreichenden Begründung konnte dieKlägerin entnehmen, aus welchen Gründen die Rückforderungsanordnung nichtausgesetzt wurde.

216.
    Folglich ist der zweite Teil des dritten Klagegrundes insgesamt zurückzuweisen.

Zum dritten Teil des dritten Klagegrundes: rechtswidrige Trennung der Verfahren (nurin den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 erhobene Rügen)

Vorbringen der Parteien

217.
    Die Klägerin NMH trägt vor, daß die drei Verfahren über die Privatisierung vonNMH und die Gewährung der Darlehen sachlich zusammengehörten. Indem dieBeklagte drei Verfahren eröffnet habe, habe sie künstlich einenzusammenhängenden Lebenssachverhalt gespalten und somit einenVerfahrensfehler begangen.

218.
    Die Beklagte und das Vereinigte Königreich treten dieser Rüge entgegen undbeantragen ihre Zurückweisung.

Würdigung durch das Gericht

219.
    Die Beklagte ist nach keiner Vorschrift des EGKS-Vertrags oder des FünftenStahlbeihilfenkodex verpflichtet, die vorliegenden Rechtssachen in einem einzigenVerfahren zu behandeln.

220.
    Im vorliegenden Fall ging es zum einen um Finanzhilfen im Rahmen desPrivatisierungsprogramms von NMH, das der Kommission am 16. Mai 1994 von derdeutschen Regierung gemeldet worden war, und zum anderen um Darlehen, dieder Freistaat Bayern NMH zwischen 1993 und 1995 gewährt hatte und die derKommission erst nachträglich gemeldet worden waren. Der Kommission wurdendie Zahlungen der ersten Teilbeträge dieser Darlehen erst am 15. Juli 1994 und am

28. September 1994, also nach Einleitung des Verfahrens, das zur Entscheidung95/422 führte, und die Zahlungen der letzten vier Teilbeträge erst nach Einleitungdes Verfahrens mitgeteilt, das zur Entscheidung 96/178 führte.

221.
    Daraus ergibt sich, daß ihrer Natur und ihren Modalitäten nach unterschiedlicheMaßnahmen ergriffen wurden, die ebenso unterschiedliche Zeiträume betreffen.Außerdem war die Beklagte bei Einleitung des Verfahrens, das zur Entscheidung95/422 führte, nicht über die finanziellen Maßnahmen, die den Gegenstand derbeiden späteren Entscheidungen bildeten, unterrichtet. Folglich hätte die Beklagtesie nicht in ein und demselben Verfahren prüfen können.

222.
    Demzufolge ist der dritte Teil des dritten Klagegrundes als unbegründetzurückzuweisen.

D — Vierter Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte

Vorbringen der Parteien

223.
    In der Rechtssache T-129/95 rügen die Klägerinnen, daß die Beklagte ihreVerteidigungsmöglichkeiten und diejenigen der Bundesregierung dadurchbeschnitten habe, daß sie ihnen das Recht auf Anhörung zu der Feststellungverweigert habe, daß die Kapitalzufuhr durch den Freistaat Bayern einenverlorenen Zuschuß darstelle. Diese Feststellung hätten sie nicht erwarten können,denn erstens sei in der Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens von einerZuzahlung zum Eigenkapital von NMH ausgegangen worden, und zweitens hättendie Kommissionsdienststellen in einer Unterredung zwischen dem zuständigenKommissionsmitglied und dem bayerischen Wirtschaftsminister erklärt, daß dieForm der Kapitalzufuhr unerheblich sei. Die Klägerinnen berufen sich insoweit aufdie Urteile des Gerichtshofes vom 29. Juni 1994 in der Rechtssache C-135/92(Fiskano/Kommission, Slg. 1994, I-2885, Randnr. 39) und des Gerichts vom 23.Februar 1994 in den Rechtssachen T-39/92 und T-40/92 (CB undEuropay/Kommission, Slg. 1994, II-49, Randnr. 48).

224.
    In den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 führt die Klägerin NMH aus, daß dieBeklagte ein Unternehmen in einem Verfahren, das zu dessen Konkurs führenkönne, anhören müsse. Besondere Bedeutung komme diesem Grundsatz dann zu,wenn wie nach Artikel 33 Absatz 1 Satz 2 EGKS-Vertrag die gerichtlicheNachprüfung beschränkt sei.

225.
    Die Beklagte habe im übrigen nur eine Mitteilung über das Verfahren im Amtsblattder Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht, ohne die Klägerinnen über denvollständigen Inhalt der erhobenen Vorwürfe zu unterrichten.

226.
    Die Beklagte beantragt, den Klagegrund zurückzuweisen. Sie sei Artikel 6 Absatz1 des Fünften Stahlbeihilfenkodex nachgekommen und habe der deutschen

Regierung Gelegenheit gegeben, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Fragenzu äußern, die im Rahmen der von ihr und vom Freistaat Bayern übermitteltenInformationen berücksichtigt worden seien.

227.
    Die Unternehmen, die von einem nach dieser Vorschrift eingeleiteten Verfahrenbetroffen würden, hätten nur das Recht, zur Entscheidung über die Einleitung desVerfahrens Stellung zu nehmen. Nur dem betroffenen Mitgliedstaat, an den alleindie Entscheidung gerichtet sei, stehe ein rechtliches Gehör zu.

Würdigung durch das Gericht

228.
    Nach ständiger Rechtsprechung ist die Beachtung der Verteidigungsrechte in allenVerfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führenkönnen, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und muß auch dannsichergestellt werden, wenn eine besondere Regelung fehlt (vgl. Urteile desGerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87,Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, Randnrn. 29 bis 31, vom 10. Juli 1986,Belgien/Kommission, zitiert oben in Randnr. 76, Randnr. 28, und vom 21. März1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959,Randnr. 46).

229.
    Artikel 6 Absatz 4 des Fünften Stahlbeihilfenkodex sieht vor: „Stellt dieKommission, nachdem sie die Beteiligten zur Stellungnahme aufgefordert hat, fest,daß eine Beihilfe nicht mit den Bestimmungen der vorliegenden Entscheidungvereinbar ist, so unterrichtet sie den betreffenden Mitgliedstaat von ihrerEntscheidung.“

230.
    Weder aus dem Wortlaut dieses Artikels oder einer anderen Vorschrift überstaatliche Beihilfen noch aus der Gemeinschaftsrechtsprechung ergibt sich, daß dieKommission verpflichtet wäre, den Empfänger öffentlicher Mittel zur rechtlichenBeurteilung der Bereitstellung dieser Mittel anzuhören.

231.
    Ebensowenig ergibt sich daraus, daß die Kommission, nachdem sie denbetreffenden Mitgliedstaat zur Stellungnahme aufgefordert hat, verpflichtet wäre,ihm vor Erlaß ihrer Entscheidung ihren Standpunkt mitzuteilen. Im übrigenkönnten die betroffenen Unternehmen, auch wenn eine solche Verpflichtungbestünde, daraus keinen Anspruch auf rechtliches Gehör herleiten. Die oben inRandnummer 223 zitierten Urteile Fiskano/Kommission sowie CB undEuropay/Kommission, die die Klägerinnen für ihren Klagegrund anführen,beschränken sich auf die Anerkennung des Rechts der Unternehmen oderUnternehmensverbände, Gelegenheit zu erhalten, in jedem Verfahren, das zurVerhängung von Sanktionen führen kann, in zweckdienlicher Weise ihre Auffassungzur Richtigkeit und Erheblichkeit der von der Kommission behaupteten Tatsachenund der von ihr erhobenen Vorwürfe darzulegen.

232.
    Die Klägerinnen können der Beklagten nicht vorwerfen, sie habe sie nur durch dieVeröffentlichung der Mitteilung über die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel6 Absatz 4 des Fünften Stahlbeihilfenkodex im Amtsblatt informiert. Aus derRechtsprechung zu Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag ergibt sich, daß dieseVorschrift keine individuelle Aufforderung verlangt und die Kommission lediglichdazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß alle potentiell Betroffenen über dieEinleitung eines Verfahrens unterrichtet werden und Gelegenheit erhalten, dazuStellung zu nehmen. Die Veröffentlichung einer Mitteilung im Amtsblatt istdemnach ein angemessenes und ausreichendes Mittel zur Unterrichtung allerBeteiligten über die Einleitung eines Verfahrens (vgl. Urteil Intermills/Kommission,zitiert oben in Randnr. 131, Randnr. 17). Artikel 6 Absatz 4 des FünftenStahlbeihilfenkodex ist, da sein Regelungszweck mit dem des Artikels 93 Absatz 2EG-Vertrag vergleichbar ist und er dem einzelnen keinen Anspruch auf eineindividuelle Aufforderung verleiht, dahin auszulegen, daß die Veröffentlichung derMitteilung über die Einleitung eines Verfahrens ausreichend ist.

233.
    Im vorliegenden Fall wurde den Klägerinnen Gelegenheit gegeben, zu denTatsachen und Beurteilungen, die die Beklagte in der Mitteilung über dieEinleitung des betreffenden Verfahrens festgestellt und getroffen hatte, Stellung zunehmen, auch wenn sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben.

234.
    Außerdem ergibt sich aus den Akten (siehe oben, Randnrn. 29 bis 32, 35 bis 37und 40 bis 42), daß die deutsche Regierung ordnungsgemäß angehört wurde, so daßihre Verteidigungsrechte ebenfalls gewahrt wurden.

235.
    Daraus folgt, daß die Entscheidungen 95/422, 96/178 und 96/484 nicht wegenVerletzung der Verteidigungsrechte rechtswidrig sind.

236.
    Der vierte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

E — Ergebnis

237.
    Aus alledem folgt, daß die Klagegründe insgesamt zurückzuweisen sind. Da dieKlägerinnen nicht dargetan haben, daß die angefochtenen Entscheidungenrechtswidrig sind, sind die vorliegenden Nichtigkeitsklagen in vollem Umfangabzuweisen.

Kosten

238.
    Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antragzur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringenunterlegen sind, haben sie, dem Antrag der Beklagten gemäß, neben ihren eigenenKosten die Kosten der Beklagten zu tragen.

239.
    Gemäß Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaatenund die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenenKosten. Folglich haben die Bundesrepublik Deutschland und das VereinigteKönigreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer ihre eigenen Kosten zutragen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Der Antrag auf vertrauliche Behandlung wird zurückgewiesen.

2.    Der Antrag auf Einsicht in die Akten zur Entscheidung der Kommissionvom 1. August 1988 wird zurückgewiesen.

3.    Die Klagen in den verbundenen Rechtssachen T-129/95, T-2/96 und T-97/96werden abgewiesen.

4.    Die Klägerinnen tragen ihre eigenen Kosten und die Kosten der Beklagten.

5.    Die Bundesrepublik Deutschland sowie das Vereinigte KönigreichGroßbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

Azizi
García-Valdecasas
Moura Ramos

Jaeger Mengozzi

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Januar 1999.

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

J. Azizi

Inhaltsverzeichnis

    Sachverhalt

II - 5

        Vorgeschichte

II - 5

            1. Gründung der Klägerin Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH

II - 5

            2. Die Beteiligung des Freistaates Bayern an den Unternehmen NMH und Lech-Stahlwerke GmbH

II - 5

            3. Geplante Privatisierung von NMH

II - 6

            4. Die NMH gewährten Darlehen

II - 7

        Verwaltungsverfahren

II - 9

            1. Verfahren in bezug auf die im Rahmen der Privatisierung von NMHvorgesehenen Finanzierungsmaßnahmen (Rechtssache T-129/95)

II - 9

            2. Verfahren in bezug auf die von März 1993 bis August 1994 gewährtenDarlehen (Rechtssache T-2/96)

II - 10

            3. Verfahren in bezug auf die von Juli 1994 bis März 1995 gewährten Darlehen(Rechtssache T-97/96)

II - 11

    Verfahren

II - 11

        Rechtssache T-129/95

II - 11

        Rechtssache T-2/96

II - 12

        Rechtssache T-97/96

II - 12

        Verbundene Rechtssachen T-129/95, T-2/96 und T-97/96

II - 13

    Anträge der Parteien

II - 13

    Begründetheit

II - 14

        A — Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag

II - 15

            Vorbringen der Klägerinnen

II - 15

                1. Einleitende Bemerkungen

II - 15

                    a) Kriterium des privaten Investors

II - 15

                    b) Argumente bezüglich des Kriteriums des privaten Investors

II - 15

                    — Privater Investor von vergleichbarer Größe

II - 16

                    — Vergleichbare Lage

II - 16

                    — Wirtschaftliche Rechtfertigung und Rentabilitätsaussichten

II - 16

                2. Kapitalzufuhr des Freistaates Bayern an NMH und LSW

II - 17

                3. Zuschuß des Freistaates Bayern von 56 Mio. DM für Investitionen anNMH (Rechtssache T-129/95)

II - 18

                4. Darlehen des Freistaates Bayern an NMH (Rechtssachen T-2/96 undT-97/96)

II - 18

            Vorbringen der Beklagten sowie des Vereinigten Königreichs Großbritannienund Nordirland

II - 19

            Würdigung durch das Gericht

II - 19

                1. Vorbemerkungen

II - 19

                    a) Zu Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag

II - 19

                    b) Zur gerichtlichen Kontrolle der von der Kommission im Rahmen derAnwendung des Fünften Stahlbeihilfenkodex vorgenommenenBeurteilungen

II - 20

                    c) Zum Kriterium des privaten Investors

II - 21

                2. Anwendung des Kriteriums des privaten Investors auf die Kapitalzufuhran NMH und LSW

II - 22

                    a) Privater Investor von vergleichbarer Größe in vergleichbarer Lage

II - 22

                    b) Rentabilitätsaussicht

II - 23

                    c) Etwaige Beeinträchtigung des Image des Freistaates Bayern

II - 24

                3. Zuschuß von 56 Mio. DM an NMH für Investitionen (RechtssacheT-129/95)

II - 25

                4. Anwendung des Kriteriums des privaten Investors auf die Darlehen desFreistaates Bayern (Rechtssachen T-2/96 und T-97/96)

II - 26

                    a) Qualifizierung der Darlehen als staatliche Beihilfen

II - 26

                    b) Zum Hinweis auf das deutsche GmbH-Gesetz

II - 27

                    c) Zur eventuellen Rückzahlung der Darlehen

II - 27

                5. Ergebnis

II - 28

        B — Zweiter Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

II - 28

            Vorbringen der Klägerinnen

II - 28

            Vorbringen der Beklagten sowie des Vereinigten Königreichs Großbritannienund Nordirland

II - 29

            Würdigung durch das Gericht

II - 29

                1. Zur Anwendung eines Spürbarkeitskriteriums auf staatliche Beihilfen

II - 29

                2. Zur behaupteten Verpflichtung der Kommission, die Änderung derVoraussetzungen für die Gewährung der Beihilfen anstatt derenRückforderung anzuordnen

II - 30

                3. Zu Artikel 5 dritter Gedankenstrich EGKS-Vertrag

II - 31

                4. Ergebnis

II - 31

        C — Dritter Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften

II - 31

            Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes: falsche Darstellung verschiedenerTatsachenfeststellungen in den angefochtenen Entscheidungen mit darausfolgendem Begründungsmangel

II - 31

                1. Vorbemerkungen

II - 31

                2. Zur Rüge der falschen Darstellung der beabsichtigten Finanzhilfen

II - 32

                    Vorbringen der Parteien

II - 32

                    Würdigung durch das Gericht

II - 33

                    — Rechtssache T-129/95

II - 33

                    — Rechtssachen T-2/96 und T-97/96

II - 34

                    — Ergebnis

II - 35

                3. Zur Rüge der falschen Darstellung der von der deutschen Regierungangeführten Beispiele unternehmerischen Handelns in der Entscheidung95/422 und zum Antrag auf vertrauliche Behandlung der damitzusammenhängenden Angaben

II - 35

                    Zum Antrag auf vertrauliche Behandlung

II - 35

                    — Vorbringen der Parteien

II - 35

                    — Würdigung durch das Gericht

II - 35

                    Zur Begründetheit der Rüge

II - 35

                    — Vorbringen der Parteien

II - 35

                    — Würdigung durch das Gericht

II - 37

                4. Zur Rüge der falschen Darstellung der Entscheidung von 1988 in derEntscheidung 95/422

II - 37

                    Vorbringen der Parteien

II - 37

                    — Zur Begründetheit der Rüge

II - 37

                    — Zum Antrag auf Vorlage von Dokumenten

II - 38

                    Würdigung durch das Gericht

II - 38

                    — Zur Begründetheit der Rüge

II - 38

                    — Zum Antrag auf Vorlage von Dokumenten

II - 39

                5. Zur Rüge der falschen Darstellung der Umstände des Ausscheidens derfrüheren privaten Gesellschafter von NMH in der Entscheidung95/422

II - 39

                    Vorbringen der Parteien

II - 39

                    Würdigung durch das Gericht

II - 40

                Zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes: Verweigerung der Aussetzungder Entscheidungen 96/178 und 96/484 oder der darin auferlegtenVerpflichtung zur Rückzahlung der Darlehen sowie Verstoß gegen denRechtsschutzgrundsatz und die Begründungspflicht (nur in denRechtssachen T-2/96 und T-97/96 erhobene Rügen)

II - 41

                    Vorbringen der Parteien

II - 41

                    Würdigung durch das Gericht

II - 42

                Zum dritten Teil des dritten Klagegrundes: rechtswidrige Trennung derVerfahren (nur in den Rechtssachen T-2/96 und T-97/96 erhobeneRügen)

II - 42

                    Vorbringen der Parteien

II - 42

                    Würdigung durch das Gericht

II - 43

        D — Vierter Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte

II - 43

            Vorbringen der Parteien

II - 43

            Würdigung durch das Gericht

II - 44

        E — Ergebnis

II - 46

    Kosten

II - 46


1: Verfahrenssprache: Deutsch.