Language of document : ECLI:EU:C:2022:163

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

3. März 2022(*)

„Streithilfe – Art. 40 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union – Antrag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik – Berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits – Zulassung“

In der Rechtssache C‑551/21

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung gemäß Art. 263 AEUV, eingereicht am 7. September 2021,

Europäische Kommission, vertreten durch A. Bouquet, B. Hofstötter, T. Ramopoulos und A. Stobiecka-Kuik als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Antoniadis, F. Naert und B. Driessen als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch:

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, O. Šváb, J. Vláčil und K. Najmanová als Bevollmächtigte,

Französische Republik, vertreten durch A.‑L. Desjonquères und J.‑L. Carré als Bevollmächtigte,

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

Portugiesische Republik, vertreten durch M. Pimenta, P. Barros da Costa und J. Ramos als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

auf Vorschlag des Berichterstatters C. Lycourgos,

nach Anhörung der Generalanwältin J. Kokott

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Nichtigerklärung von Art. 2 des Beschlusses (EU) 2021/1117 des Rates vom 28. Juni 2021 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – und die vorläufige Anwendung des Protokolls zur Durchführung des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Gabunischen Republik und der Europäischen Gemeinschaft (2021-2026) (ABl. 2021, L 242, S. 3) und der Benennung des portugiesischen Botschafters durch den Präsidenten des Rates der Europäischen Union auf der Grundlage dieser Bestimmung als die Person, die befugt ist, dieses Protokoll zu unterzeichnen.

2        Zur Begründung ihrer Nichtigkeitsklage macht die Kommission u. a. geltend, dass die Praxis des Rates, die Person, die zur Unterzeichnung eines internationalen Abkommens im Namen der Europäischen Union befugt sei, durch seinen Präsidenten benennen zu lassen, das der Kommission in Art. 17 Abs. 1 EUV eingeräumte Vorrecht verletze, in Bereichen, die nicht unter die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: GASP) fielen, die Vertretung der Union nach außen wahrzunehmen.

3        Mit Schriftsatz, der am 6. Januar 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (im Folgenden: Hoher Vertreter) auf der Grundlage von Art. 40 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 130 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt, dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge der Kommission als Streithelfer beizutreten.

4        Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung zur Streithilfe macht der Hohe Vertreter in erster Linie geltend, dass er zu den „Unionsorganen“ im Sinne von Art. 40 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gehöre, und hilfsweise, dass er als „Einrichtung“ oder „sonstige Stelle“ der Union im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung anzusehen sei und ein „berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“ im Sinne dieser Bestimmung habe. In diesem Zusammenhang weist der Hohe Vertreter darauf hin, dass die Feststellungen, die der Gerichtshof im zu erlassenden Urteil zum von der Kommission geltend gemachten Vorrecht treffen wird, für das ihm im Bereich der GASP zustehende entsprechende Vorrecht nach Art. 27 Abs. 2 EUV analog gälten.

5        Mit Schriftsatz, der am 13. Januar 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Kommission beantragt, diesen Streithilfeantrag zuzulassen.

6        Mit Schriftsatz, der am 21. Januar 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat der Rat beantragt, den Streithilfeantrag zurückzuweisen.

7        Der Rat ist der Ansicht, dass der Hohe Vertreter kein „Unionsorgan“ im Sinne von Art. 40 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei und dass er zwar unter den Begriff „Einrichtung oder sonstige Stelle der Union“ im Sinne von Art. 40 Abs. 2 der Satzung falle, aber kein „berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“ im Sinne dieser Bestimmung glaubhaft mache.

8        Insbesondere betreffe der Rechtsstreit im vorliegenden Fall nicht die GASP. Daher könne die vom Gerichtshof über den Rechtsstreit zu treffende Entscheidung die Rechtsstellung des Hohen Vertreters nicht berühren. Seine Stellung im Verhältnis zum Rat unterscheide sich im Übrigen von jener der Kommission. Der Hohe Vertreter führe gemäß Art. 27 Abs. 1 EUV im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ den Vorsitz und könne somit die Person, die zum Abschluss eines internationalen Abkommens im Bereich der GASP befugt sei, selbst benennen. Die Rechtsstellung des Hohen Vertreters unterscheide sich somit von derjenigen, in der sich die Kommission befinde, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein internationales Abkommen in einem Bereich geschlossen werde, der nicht unter die GASP falle.

 Zum Antrag auf Zulassung zur Streithilfe

9        Nach Art. 40 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union können die Mitgliedstaaten und die Unionsorgane einem bei dem Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit beitreten.

10      Unionsorgane im Sinne dieser Bestimmung sind nur die in Art. 13 Abs. 1 EUV abschließend aufgezählten (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. Juli 2019, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a., C‑119/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:658, Rn. 6 und die dort angeführte Rechtsprechung).

11      Da der Hohe Vertreter nicht in der Liste in Art. 13 Abs. 1 EUV aufgeführt ist, kann er folglich nicht als „Unionsorgan“ eingestuft werden. Er kann sich daher nicht auf eine solche Eigenschaft berufen, um das Recht auf Streitbeitritt in der vorliegenden Rechtssache geltend zu machen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. Juli 2019, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a., C‑119/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:658, Rn. 7 und die dort angeführte Rechtsprechung).

12      Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob der Hohe Vertreter, wie er hilfsweise geltend macht, im vorliegenden Fall nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen werden kann.

13      Nach Art. 40 Abs. 2 Satz 1 der Satzung steht das Recht, einem beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit beizutreten, den „Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie allen anderen Personen“ zu, sofern sie ein „berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“ glaubhaft machen können. Art. 40 Abs. 2 Satz 2 der Satzung schließt den Streitbeitritt von „natürlichen oder juristischen Personen“ in Rechtssachen zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen der Union oder zwischen Mitgliedstaaten und Organen der Union aus. Auf der Grundlage des Wortlauts und der Systematik der letztgenannten Bestimmung ist davon auszugehen, dass ein solcher Ausschluss nicht für die „Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“ gilt (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. September 2021, Parlament/Kommission, C‑144/21, EU:C:2021:757, Rn. 6 bis 8).

14      In Anbetracht des untrennbar mit dem Funktionieren der Union verbundenen Auftrags, der dem Hohen Vertreter in Art. 27 EUV übertragen wurde, und insbesondere der Tatsache, dass er sich zwar gemäß Art. 27 Abs. 3 EUV auf den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) stützt, aber rechtlich von diesem getrennt ist, ist der Hohe Vertreter für die Zwecke der Anwendung von Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union den „Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“ gleichzustellen. Folglich kann der Hohe Vertreter unter Berücksichtigung der in der vorherigen Randnummer angeführten Rechtsprechung dem Rechtsstreit zwischen der Kommission und dem Rat als Streithelfer beitreten, sofern er ein „berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“ glaubhaft macht.

15      Zum Vorliegen eines solchen Interesses ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits“ im Sinne von Art. 40 Abs. 2 als ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran zu verstehen ist, wie die gestellten Klageanträge beschieden werden, und nicht als ein Interesse an den geltend gemachten Gründen oder Argumenten. Denn unter dem „Ausgang des Rechtsstreits“ ist die beantragte Endentscheidung zu verstehen, wie sie sich im Tenor des Urteils niederschlagen würde (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. September 2021, Parlament/Kommission, C‑144/21, EU:C:2021:757, Rn. 10).

16      Bei Anträgen von Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union auf Zulassung zur Streithilfe muss dieses Erfordernis eines unmittelbaren und gegenwärtigen Interesses in einer Weise angewandt werden, die die Besonderheit des Auftrags widerspiegelt, den ein solcher Antragsteller nach dem Unionsrecht zu erfüllen hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. September 2021, Parlament/Kommission, C‑144/21, EU:C:2021:757, Rn. 11 und 12).

17      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass Art. 27 Abs. 2 EUV dem Hohen Vertreter den Auftrag erteilt, die Union in den Bereichen der GASP zu vertreten.

18      Die Kommission ihrerseits nimmt nach Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV außerhalb der GASP und der übrigen in den Verträgen vorgesehenen Fälle die Vertretung der Union nach außen wahr.

19      Im vorliegenden Fall betrifft der Rechtsstreit insbesondere die Frage, ob die in Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV genannte Aufgabe, die Vertretung der Union nach außen wahrzunehmen, bedeutet, dass es Sache der Kommission und nicht des Präsidenten des Rates ist, die Person zu benennen, die im Hinblick auf den Abschluss eines internationalen Abkommens im Namen der Union zur Unterzeichnung dieses Abkommens befugt ist.

20      Die Beurteilung dieser Frage des institutionellen Rechts durch den Gerichtshof wird nicht nur für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits ausschlaggebend sein, sondern auch die Wahl des Verfahrens und die Befugnisse des Hohen Vertreters entsprechend beeinflussen, wenn ein internationales Abkommen im Bereich der GASP zu unterzeichnen ist. Denn wie die Kommission in Bereichen außerhalb der GASP hat der Hohe Vertreter in den Bereichen der GASP den Auftrag, die Vertretung der Union wahrzunehmen.

21      Zwar stützt der Hohe Vertreter im vorliegenden Fall sein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits auf das ihm in den Bereichen der GASP zukommende Vorrecht zur Vertretung der Union nach Art. 27 Abs. 2 EUV, das dem der Kommission für die Zwecke der Vertretung der Union in den Bereichen, die nicht in die GASP fallen, nach Art. 17 Abs. 1 EUV zukommenden Vorrecht entspricht, obwohl vorliegend nur das letztgenannte Vorrecht in Frage steht. Dieses Interesse des Hohen Vertreters am Ausgang des Rechtsstreits beruht jedoch nicht darauf, dass er sich in der gleichen Situation wie die Kommission in einem oder mehreren vergleichbaren Fällen befände, sondern, wie in der vorstehenden Randnummer festgestellt worden ist, darauf, dass der Ausgang des Rechtsstreits im vorliegenden Fall den Umfang seiner Rolle und Befugnisse, die er aus dem Primärrecht ableitet, in Bezug auf die Unterzeichnung jedes von der Union im Bereich der GASP geschlossenen internationalen Abkommens bestimmt.

22      Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Tragweite des vom Hohen Vertreter geltend gemachten Interesses sowie der Tatsache, dass er grundsätzlich die einzige Person oder Einrichtung ist, die es geltend machen kann, ist dieses Interesse als „unmittelbar“ und „gegenwärtig“ einzustufen.

23      Das unmittelbare und gegenwärtige Interesse, das der Hohe Vertreter somit am Ausgang des Rechtsstreits im vorliegenden Fall haben kann, wird nicht durch den vom Rat angeführten Umstand entkräftet, dass der Hohe Vertreter nach Art. 27 Abs. 1 EUV im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ den Vorsitz führt. Insoweit genügt der Hinweis, dass zum einen, wie der Rat ausgeführt hat, Beschlüsse, mit denen die Unterzeichnung eines internationalen Abkommens im Bereich der GASP genehmigt wird, nicht immer vom Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ gefasst werden. Zum anderen können die vom Gerichtshof vorgenommenen rechtlichen Klarstellungen in Bezug auf den Umfang der Aufgabe der Vertretung nach Art. 17 Abs. 1 EUV, unabhängig von der genauen Rolle des Hohen Vertreters im Rahmen des Abschlusses eines solchen internationalen Abkommens, den Umfang des Vertretungsauftrags nach Art. 27 Abs. 2 EUV präzisieren.

24      Nach alledem ist dem Antrag des Hohen Vertreters auf Zulassung zur Streithilfe zur Unterstützung der Anträge der Kommission gemäß Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 131 Abs. 3 der Verfahrensordnung stattzugeben.

 Zu den Verfahrensrechten des Streithelfers

25      Da dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe stattgegeben wird, werden dem Hohen Vertreter gemäß Art. 131 Abs. 3 der Verfahrensordnung alle den Parteien zugestellten Verfahrensschriftstücke übermittelt.

26      Da dieser Antrag innerhalb der in Art. 130 der Verfahrensordnung vorgesehenen Frist von sechs Wochen gestellt worden ist, kann der Hohe Vertreter gemäß Art. 132 Abs. 1 der Verfahrensordnung innerhalb eines Monats nach der in der vorstehenden Randnummer genannten Übermittlung einen Streithilfeschriftsatz einreichen.

27      Schließlich kann der Hohe Vertreter im Fall einer mündlichen Verhandlung mündlich Stellung nehmen.

 Kosten

28      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung wird über die Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden.

29      Da im vorliegenden Fall dem Antrag des Hohen Vertreters auf Zulassung zur Streithilfe stattgegeben wird, ist die Entscheidung über die mit seiner Streithilfe verbundenen Kosten vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

1.      Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik wird in der Rechtssache C551/21 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Europäischen Kommission zugelassen.

2.      Der Kanzler veranlasst, dass dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik alle Verfahrensschriftstücke in Kopie zugestellt werden.

3.      Dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik wird eine Frist zur Einreichung eines Streithilfeschriftsatzes gesetzt.

4.      Die Entscheidung über die mit der Streithilfe des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik verbundenen Kosten bleibt vorbehalten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.