Language of document : ECLI:EU:T:2024:71

Rechtssache T501/22

(auszugsweise Veröffentlichung)

Republik Österreich

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Zehnte Kammer) vom 7. Februar 2024

„EGFL und ELER – Von der Finanzierung ausgeschlossene Ausgaben – Von Österreich getätigte Ausgaben – Verringerungskoeffizient – Art. 24 Abs. 6 der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 – Art. 30 Abs. 7 Buchst. b der Verordnung Nr. 1307/2013 – Art. 52 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 – Begründungspflicht“

1.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Entscheidung über den Rechnungsabschluss für die vom EGFL und vom ELER finanzierten Ausgaben – Finanzkorrekturen – Staat, der am Verfahren zur Ausarbeitung der an ihn gerichteten Entscheidung eng beteiligt war – Verletzung der Begründungspflicht – Fehlen

(Art. 296 AEUV)

(vgl. Rn. 43-45)

2.      Landwirtschaft – Finanzierung durch den EGFL und den ELER – Rechnungsabschluss – Ablehnung der Übernahme von Ausgaben, die durch Unregelmäßigkeiten bei der Anwendung der Unionsregelung veranlasst worden sind – Beanstandung durch den betroffenen Mitgliedstaat – Beweislast – Verteilung zwischen der Kommission und dem Mitgliedstaat

(Verordnung Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates)

(vgl. Rn. 58)

3.      Landwirtschaft – Gemeinsame Agrarpolitik – Direktzahlungen – Gemeinsame Regeln – Basisprämienregelung – Anwendung eines Verringerungskoeffizienten nur auf Almen, nicht aber auf benachbarte Parzellen, die nicht als Almen eingestuft sind – Benachbarte Parzellen, die verschiedenen Gebieten zugeordnet werden – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 24 Abs. 6)

(vgl. Rn. 83, 84, 87)

4.      Landwirtschaft – Gemeinsame Agrarpolitik – Direktzahlungen – Gemeinsame Regeln – Zuweisung zusätzlicher Zahlungsansprüche aus der nationalen Reserve – Ausgleich für von Betriebsinhabern erlittene spezifische Nachteile – Nachteil, der auf einen Fehler eines Mitgliedstaats bei der Anwendung des Unionsrechts zurückzuführen ist – Unzulässigkeit

(Verordnung Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, 24. Erwägungsgrund, Art. 24 Abs. 6, Art. 30 Abs. 6 und Abs. 7 Buchst. b; Verordnung Nr. 639/2014 der Kommission, Art. 31 Abs. 2)

(vgl. Rn. 99-105, 108, 111-114)

5.      Landwirtschaft – Finanzierung durch den EGFL und den ELER – Rechnungsabschluss – Begrenzung der Ablehnung der Finanzierung – Frist von 24 Monaten – Beginn – Mitteilung der Ergebnisse der Überprüfungen durch die Kommission – Voraussetzung

(Verordnung Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 52 Abs. 4 Buchst. a; Durchführungsverordnung Nr. 908/2014 der Kommission, Art. 34 Abs. 2)

(vgl. Rn. 139, 140)

Zusammenfassung

Das Gericht, das mit einer Nichtigkeitsklage der Republik Österreich befasst ist, erklärt den Beschluss 2022/908(1) der Europäischen Kommission teilweise für nichtig, soweit darin die von diesem Mitgliedstaat vor dem 27. November 2016 zulasten des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) getätigten Ausgaben von der Finanzierung durch die Europäische Union ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang äußert es sich erstmals zur Auslegung von Art. 24 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1307/2013(2) und zum Begriff der „spezifischen Nachteile“ im Sinne von Art. 30 Abs. 7 Buchst. b dieser Verordnung.

Im Rahmen der Basisprämienregelung beschloss die Republik Österreich, auf Parzellen, die nach österreichischem Recht als „Hutweiden“ und „Almen“ gelten, einen Verringerungskoeffizienten anzuwenden. Im Jahr 2016 leitete die Kommission eine Untersuchung gegen Österreich ein, um in Bezug auf die Jahre 2015 und 2016 zu prüfen, ob die Verwaltung und die Kontrolle der den Betriebsinhabern im Rahmen des EGFL gewährten flächenbezogenen Beihilferegelungen im Einklang mit dem Unionsrecht vorgenommen wurden. Da die Kommission am Ende dieser Untersuchung die Auffassung vertrat, dass die österreichischen Behörden Art. 24 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1307/2013 in Bezug auf „Hutweiden“ unrichtig angewandt hätten, nahm sie gegenüber der Republik Österreich eine Finanzkorrektur(3) vor. In weiterer Folge wies die Republik Österreich den betreffenden Betriebsinhabern als Abhilfemaßnahme für jeden beihilfefähigen Hektar „Hutweide“ zusätzliche Zahlungsansprüche aus der nationalen Reserve zu, die nach dieser Verordnung(4) von den Mitgliedstaaten einzurichten ist, und zwar mit Wirkung ab dem Jahr 2017.

2018 leitete die Kommission eine weitere Untersuchung gegen die Republik Österreich ein. Aus ihrem zusammenfassenden Bericht ergibt sich zum einen, dass die österreichischen Behörden Art. 24 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1307/2013 in Bezug auf „Almen“ unrichtig angewandt hätten, was insofern zu nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen geführt habe, als der Verringerungskoeffizient innerhalb desselben Gebiets nicht auf alle Parzellen angewandt worden sei, die denselben klimatischen Bedingungen ausgesetzt seien. Zum anderen wird in diesem Bericht festgestellt, dass die Republik Österreich die nationale Reserve rechtswidrig zur Finanzierung der Abhilfemaßnahme in Bezug auf „Hutweiden“ verwendet habe. Mit dem angefochtenen Beschluss schloss die Kommission daher wegen der beiden der Republik Österreich angelasteten Mängel die von diesem Mitgliedstaat zulasten des EGFL gemeldeten Ausgaben in Höhe von 68 146 449,98 Euro von der Finanzierung durch die Union aus.

Würdigung durch das Gericht

Als Erstes weist das Gericht den Klagegrund zurück, mit dem ein Verstoß gegen Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1306/2013(5) durch Vornahme einer Finanzkorrektur geltend gemacht wird, die auf eine fehlerhafte Auslegung von Art. 24 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1307/2013 gestützt worden sei.

In diesem Zusammenhang deutet der Umstand, dass der Verringerungskoeffizient auf „Almen“, aber nicht auf benachbarte Parzellen angewandt wurde, nicht zwangsläufig auf eine fehlerhafte Anwendung von Art. 24 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1307/2013 hin. Diese Bestimmung enthält nämlich keine näheren Angaben zur Größe der Gebiete, für die zu beurteilen ist, ob sie das Kriterium der schwierigen klimatischen Bedingungen erfüllen. Der Ansatz der österreichischen Behörden, den Verringerungskoeffizienten nur auf als „Almen“ eingestufte Parzellen anzuwenden, ohne dass im vorliegenden Fall nachgewiesen ist, dass die zuständigen Behörden eine solche Einstufung konkret und systematisch auf der Grundlage diesen Parzellen inhärenter besonderer klimatischer Bedingungen vorgenommen haben, kann jedoch weder gewährleisten, dass dieser Koeffizient auf alle Parzellen angewandt wurde, die sich in Gebieten mit schwierigen klimatischen Bedingungen befinden, noch sicherstellen, dass er nur auf Parzellen angewandt wurde, die dieses Kriterium tatsächlich erfüllen.

Als Zweites stellt das Gericht fest, dass die Kommission zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Zuweisung zusätzlicher Zahlungsansprüche an „Hutweiden“ bewirtschaftende Betriebsinhaber zum Ausgleich der unrichtigen Anwendung des Verringerungskoeffizienten nicht auf der Grundlage von Art. 30 Abs. 7 Buchst. b der Verordnung Nr. 1307/2013 aus der nationalen Reserve finanziert werden darf.

Dieses Ergebnis beruht auf der vom Gericht vorgenommenen Auslegung von Art. 30 Abs. 7 Buchst. b der Verordnung Nr. 1307/2013, den die Republik Österreich als Rechtsgrundlage für die Verwendung der nationalen Reserve anführt, wobei das Gericht bei der Auslegung dieser Bestimmung ihren Wortlaut, ihren Zusammenhang und die Ziele berücksichtigt, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.

Zum Wortlaut dieser Bestimmung stellt das Gericht fest, dass das Adjektiv „spezifisch“ für eine Auslegung spricht, wonach die in Rede stehenden Nachteile bestimmte Kategorien von Betriebsinhabern betreffen, die sich von den anderen durch Besonderheiten unterscheiden, die in ihrer Situation begründet liegen. Der Umstand, dass Betriebsinhaber unter den Folgen eines von einem Mitgliedstaat bei der Anwendung des Unionsrechts begangenen Fehlers leiden, genügt nicht für die Annahme, dass diese Betriebsinhaber zu einer bestimmten Kategorie gehören und dass der Nachteil, den sie aufgrund dieses Fehlers erleiden, aus diesem Grund als für sie spezifisch angesehen werden müsste. Diese Auslegung wird durch den Zusammenhang bestätigt, in den sich die in Rede stehende Vorschrift einfügt, insbesondere durch Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 639/2014(6).

Hinsichtlich der mit der in Rede stehenden Regelung verfolgten Ziele soll die Einrichtung der Reserve es den Mitgliedstaaten ermöglichen, Betriebsinhaber zu unterstützen, die sich in besonderen Situationen befinden – in erster Linie Junglandwirte und solche, die eine landwirtschaftliche Tätigkeit aufnehmen.

Im vorliegenden Fall war der Nachteil für „Hutweiden“ bewirtschaftende Betriebsinhaber nicht in ihrer Situation begründet und auch nicht auf eine ihnen eigene Eigenschaft zurückzuführen; er entstand vielmehr daraus, dass die österreichischen Behörden diese Betriebsinhaber durch eine fehlerhafte Anwendung von Art. 24 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1307/2013 um Zahlungsansprüche brachten, die ihnen von Beginn an zugestanden hätten.

Das Vorbringen der Republik Österreich, dass sich die unrichtige Anwendung des Unionsrechts nur auf Inhaber von „Hutweiden“ ausgewirkt habe – was unter Berücksichtigung der Auswirkungen dieses Fehlers auf den Wert der Zahlungsansprüche aller österreichischen Betriebsinhaber im Übrigen bestritten werden kann – kann folglich nicht zu der Annahme führen, dass sich die Inhaber von „Hutweiden“ in einer Situation befunden hätten, die einen spezifischen Nachteil darstellte, wodurch die Republik Österreich ihnen gemäß Art. 30 Abs. 7 Buchst. b der Verordnung Nr. 1307/2013 zusätzliche Zahlungsansprüche aus der nationalen Reserve hätte zuweisen dürfen.

Schließlich befasst sich das Gericht mit dem dritten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 52 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 1306/2013 geltend gemacht wird.

Die Mitteilung nach Art. 34 Abs. 2 Satz 1 der Durchführungsverordnung Nr. 908/2014(7) bildet den Bezugspunkt für die Berechnung der in Art. 52 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 1306/2013 vorgesehenen Frist von 24 Monaten, sofern der Gegenstand der von der Kommission durchgeführten Überprüfungen und die dabei festgestellten Mängel darin hinreichend genau angegeben werden. Die Beschränkung des Zeitraums, für den die Kommission bestimmte Ausgaben von der Finanzierung durch die Union ausschließen kann, soll die Mitgliedstaaten gegen die Rechtsunsicherheit schützen, die sich ergäbe, wenn die Kommission noch Ausgaben beanstanden könnte, die bereits mehrere Jahre vor dem Erlass eines Konformitätsbeschlusses getätigt wurden.

Da erstmals in der Mitteilung vom 27. November 2018 der von der Kommission festgestellte Mangel der unrichtigen Anwendung des Verringerungskoeffizienten auf „Almen“ hinreichend genau benannt wurde, begann im vorliegenden Fall die in Art. 52 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 1306/2013 genannte Frist von 24 Monaten mit dieser Mitteilung zu laufen. Folglich konnte die Kommission Ausgaben, die vor dem 27. November 2016 getätigt wurden, nicht von der Finanzierung durch die Union ausschließen.

Nach alledem gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären ist, soweit darin im Zusammenhang mit der ersten in Rede stehenden Finanzkorrektur vor dem 27. November 2016 getätigte Ausgaben von der Finanzierung durch die Union ausgeschlossen wurden.


1      Durchführungsbeschluss (EU) 2022/908 der Kommission vom 8. Juni 2022 über den Ausschluss bestimmter von den Mitgliedstaaten zulasten des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) getätigter Ausgaben von der Finanzierung durch die Europäische Union (ABl. 2022, L 157, S. 15).


2      Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 637/2008 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 608).


3      Durchführungsbeschluss (EU) 2019/265 der Kommission vom 12. Februar 2019 über den Ausschluss bestimmter von den Mitgliedstaaten zulasten des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) getätigter Ausgaben von der Finanzierung durch die Europäische Union (ABl. 2019, L 44, S. 14).


4      Art. 30 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1307/2013.


5      Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 352/78, (EG) Nr. 165/94, (EG) Nr. 2799/98, (EG) Nr. 814/2000, (EG) Nr. 1290/2005 und (EG) Nr. 485/2008 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 549).


6      Delegierte Verordnung (EU) Nr. 639/2014 der Kommission vom 11. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Änderung des Anhangs X der genannten Verordnung (ABl. 2014, L 181, S. 1).


7      Durchführungsverordnung (EU) Nr. 908/2014 der Kommission vom 6. August 2014 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Zahlstellen und anderen Einrichtungen, der Mittelverwaltung, des Rechnungsabschlusses und der Bestimmungen für Kontrollen, Sicherheiten und Transparenz (ABl. 2014, L 255, S. 59)