URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
16. Juli 1998 (1)
„Entscheidung der Kommission, mit der festgestellt wird, daß die Erstattung von
Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt ist Nichtigkeitsklage Artikel 239 des
Zollkodex Begründungspflicht“
In der Rechtssache T-195/97
Kia Motors Nederland BV, Gesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in Vianen
(Niederlande),
und
Broekman Motorships BV, Gesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in
Rotterdam (Niederlande),
vertreten durch Rechtsanwältin Annetje-Theckla Ottow, Amsterdam,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Claude Medernach, 810, rue
Mathias Hardt, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater
Hendrik van Lier als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt Marc van der
Woude, Brüssel, und Rechtsanwältin Rita Wezenbeek-Geuke, Rotterdam,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der an die Niederlande gerichteten Entscheidung der
Kommission vom 8. April 1997 betreffend einen Antrag auf Erstattung von
Einfuhrabgaben
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter C. P. Briët und
A. Potocki,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12.
Mai 1998,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
- 1.
- Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.
Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1;
im folgenden: Zollkodex) bestimmt: „Die bei Entstehen einer Zollschuld gesetzlich
geschuldeten Abgaben stützen sich auf den Zolltarif der Europäischen
Gemeinschaften.“ In Artikel 20 Absatz 3 heißt es weiter: „Der Zolltarif der
Europäischen Gemeinschaften umfaßt: ... d) die Zollpräferenzmaßnahmen aufgrund
von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und bestimmten Ländern oder
Ländergruppen, in denen eine Zollpräferenzbehandlung vorgesehen ist.“
- 2.
- Artikel 66 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993
mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates
zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1; im folgenden:
Durchführungsverordnung) bestimmt: „Bei der Durchführung der Bestimmungen
über die von der Gemeinschaft für bestimmte Erzeugnisse mit Ursprung in
Entwicklungsländern gewährten allgemeinen Zollpräferenzen gelten als
Ursprungserzeugnisse eines präferenzbegünstigten Landes, im folgenden
.begünstigtes Land' genannt, sofern sie im Sinne von Artikel 75 unmittelbar in die
Gemeinschaft befördert worden sind: a) Erzeugnisse, die vollständig in diesem
Land gewonnen oder hergestellt worden sind ...“
- 3.
- In Artikel 75 der Durchführungsverordnung heißt es weiter: „Als unmittelbar aus
dem begünstigten Ausfuhrland in die Gemeinschaft befördert gelten:
a) Erzeugnisse, die befördert werden, ohne dabei das Gebiet eines anderen Landes
zu berühren oder, wenn Artikel 70 Anwendung findet, ohne dabei das Gebiet eines
anderen Landes des gleichen Regionalzusammenschlusses zu berühren;
b) Erzeugnisse, die über das Gebiet anderer Länder als des begünstigten
Ausfuhrlandes befördert werden, oder, wenn Artikel 70 Anwendung findet, über
andere Gebiete als das Gebiet anderer Länder des gleichen
Regionalzusammenschlusses, gegebenenfalls auch mit Umladung oder
vorübergehender Einlagerung in diesen Ländern, sofern die Beförderung durch
diese Länder aus geographischen oder ausschließlich beförderungstechnischen
Gründen gerechtfertigt ist und die Erzeugnisse ... im Durchfuhr- oder
Einlagerungsland unter Zollüberwachung geblieben sind, ... dort nicht in den
Handel oder freien Verkehr gelangt sind und ... dort gegebenenfalls nur ent- oder
verladen worden sind oder eine auf die Erhaltung ihres Zustands gerichtete
Behandlung erfahren haben.“
- 4.
- Nach Artikel 76 Absatz 2 der Durchführungsverordnung „[gelten]
Ursprungserzeugnisse, die aus einem begünstigten Land in ein anderes Land
ausgeführt werden, ... bei ihrer Wiedereinfuhr als Erzeugnisse ohne
Ursprungseigenschaft, es sei denn, es kann den zuständigen Behörden glaubhaft
dargelegt werden, ... daß die wiedereingeführten Waren dieselben wie die
ausgeführten Waren sind und ... daß sie dort nur eine auf die Erhaltung ihres
Zustands gerichtete Behandlung erfahren haben“.
- 5.
- Artikel 77 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom 19.
Dezember 1994 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit
Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur
Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 346, S. 1) bestimmt:
„Ursprungserzeugnisse im Sinne dieses Abschnitts erhalten, sofern sie im Sinne des
Artikels 78 unmittelbar in die Gemeinschaft befördert worden sind, bei der Einfuhr
in die Gemeinschaft die Zollpräferenzbehandlung ...“
- 6.
- In Artikel 78 Absatz 1 dieser Verordnung heißt es weiter: „Als unmittelbar aus
dem begünstigten Ausfuhrland in die Gemeinschaft ... befördert gelten: ...
b) Waren, die eine einzige Sendung bilden und über das Gebiet anderer Länder
als des begünstigten Ausfuhrlandes oder der Gemeinschaft befördert werden,
gegebenenfalls auch mit einer Umladung oder vorübergehenden Einlagerung in
diesen Ländern, sofern sie im Durchfuhr- oder Einlagerungsland unter zollamtlicher
Überwachung geblieben und dort nur ent- und verladen worden sind oder eine auf
die Erhaltung ihres Zustands gerichtete Behandlung erfahren haben ...“
- 7.
- Die Artikel 235 bis 242 des Zollkodex legen die Bedingungen fest, unter denen eine
Erstattung oder ein Erlaß von Einfuhrabgaben erfolgen kann.
- 8.
- Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex bestimmt: „Einfuhr[abgaben] ... werden
insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, daß der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung
nicht gesetzlich geschuldet war ...“ Nach Absatz 2 dieses Artikels „[erfolgt] die
Erstattung ... auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach
Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen
Zollstelle zu stellen.“ Artikel 235 Buchstabe a des Zollkodex zufolge gilt als
„Erstattung: die Rückzahlung der Gesamtheit oder eines Teils der entrichteten
Einfuhr[abgaben] ...“
- 9.
- Nach Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex kann die Erstattung „in anderen als den
in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen ... [erfolgen]; diese Fälle ...
werden nach dem Ausschußverfahren festgelegt ...; [sie] ergeben sich aus
Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit
des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschußverfahren wird festgelegt,
in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche
Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlaß kann
von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.“ Nach Artikel 239
Absatz 2 ist der Erstattungsantrag in diesen Fällen innerhalb von zwölf Monaten
nach der Mitteilung dieser Abgaben an den Zollschuldner zu stellen.
- 10.
- Artikel 899 der Durchführungsverordnung erlaubt der nationalen Zollbehörde, bei
der ein Erstattungsantrag gestellt worden ist, die Erstattung zu gewähren, wenn sie
feststellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Im übrigen
bestimmt Artikel 905 der Durchführungsverordnung: „Ist die
Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlaß nach
Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, nicht in der Lage, nach
Artikel 899 zu entscheiden, und läßt die Begründung des Antrags auf einen
besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine
betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten
vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der
Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel 906 bis 909 vor.“
- 11.
- Nach Artikel 906 der Durchführungsverordnung muß die Kommission die Prüfung
des Falles so bald wie möglich auf die Tagesordnung des Zollkodex-Ausschusses
setzen. Artikel 907 dieser Verordnung bestimmt: „Nach Anhörung einer
Sachverständigengruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht und im
Rahmen des Ausschusses zur Prüfung des Falles zusammentritt, entscheidet die
Kommission, ob die besonderen Umstände die Erstattung ... rechtfertigen oder
nicht. Diese Entscheidung ist innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der
Vorlage nach Artikel 905 Absatz 2 bei der Kommission zu treffen. Sieht sich die
Kommission veranlaßt, bei dem Mitgliedstaat zusätzliche Auskünfte anzufordern,
um eine Entscheidung fällen zu können, so wird die Frist von sechs Monaten um
die Zeit verlängert, die zwischen dem Zeitpunkt der Absendung des
Auskunftsersuchens der Kommission und dem Zeitpunkt des Eingangs der
Auskünfte verstrichen ist.“
- 12.
- Artikel 908 Absatz 2 der Durchführungsverordnung bestimmt: „Anhand der ...
bekanntgegebenen Entscheidung der Kommission trifft die
Entscheidungszollbehörde ihre Entscheidung über den Antrag des Beteiligten.“
- 13.
- Nach Artikel 243 des Zollkodex kann jede Person gegen Entscheidungen der
Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts, die sie unmittelbar und persönlich
betreffen, einen Rechtsbehelf in dem Mitgliedstaat einlegen, in dem die
Entscheidung getroffen wurde.
Sachverhalt
- 14.
- Die Klägerin Kia Motors Nederland vertreibt aus Korea stammende Fahrzeuge der
Marke Kia in den Niederlanden. Die Klägerin Broekman Motorships ist
Zollspediteur; als solcher gibt sie für ihre Kunden Erklärungen ab, die sich
vertraglich verpflichten, die von ihr im Namen der Kunden entrichteten Zölle an
sie zu zahlen.
- 15.
- Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß im streiterheblichen Zeitraum für die
Einfuhr von Fahrzeugen aus Südkorea in die Gemeinschaft
Zollpräferenzmaßnahmen im Sinne von Artikel 20 des Zollkodex galten.
- 16.
- Im Frühjahr 1994 bestellte ein Einführer mit in der Türkei, die IHLAS Industry
and Foreign Trade (im folgenden: IHLAS), bei der Kia Motors Corporation (im
folgenden: Kia Motors), einem Automobilhersteller mit Sitz in Südkorea, eine
Partie von dreihundert gewerblichen Fahrzeugen. Vor Eintreffen der Fahrzeuge
stellte IHLAS jedoch fest, daß diese aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in der
Türkei unverkäuflich waren. Beim Eintreffen der Fahrzeuge stellte IHLAS sie unter
Zollüberwachung und nahm Kontakt mit Kia Motors auf, um eine Lösung zu
finden. Die Fahrzeuge verblieben unter Zollüberwachung und sind somit in der
Türkei nicht verzollt worden.
- 17.
- Als Kia Motors Nederland hiervon erfuhr, zeigte sie Interesse daran, die fraglichen
Fahrzeuge in den Niederlanden zu vertreiben, und kaufte sie. Aus
Vereinfachungsgründen wurden die Fahrzeuge von Kia Motors nicht physisch
zurückgenommen, bevor sie an Kia Motors Nederland geliefert wurden, sondern
sie wurden am 1. Juli 1994 unmittelbar aus der Türkei nach den Niederlanden
verschifft. Broekman Motorships übernahm die Abgabe der Einfuhrerklärung für
Kia Motors Nederland. In der Erklärung vom 18. Juli 1994 verlangte sie die
Anwendung des für Fahrzeuge mit Ursprung in Südkorea geltenden Präferenzzolls.
Zu diesem Zweck legte sie ein von den südkoreanischen Behörden ausgestelltes
Ursprungszeugnis vor.
- 18.
- Am 5. Oktober 1994 erhoben die niederländischen Zollbehörden von Broekman
Motorships nichtpräferentielle Einfuhrzölle in Höhe von insgesamt 474 584,30 HFL.
Sie lehnten die Gewährung des Präferenzzolls mit der Begründung ab, die
fraglichen Fahrzeuge seien nicht im Sinne von Artikel 75 Absatz 1 der
Durchführungsverordnung „unmittelbar befördert“ worden. Kia Motors Nederland
überwies den geforderten Betrag an Broekman Motorships, die ihn an die
Zollbehörden entrichtete.
- 19.
- Am 10. Juli 1995 stellte Kia Motors Nederland beim Inspecteur van de
Belastingdienst/Douane Rotterdam (im folgenden: Zollamt) einen
Erstattungsantrag nach Artikel 239 des Zollkodex und den Artikeln 899 ff. der
Durchführungsverordnung. In ihrem Antrag trug sie vor, die Fahrzeuge seien in der
Türkei weder verzollt noch irgendeiner Verarbeitung unterzogen worden. Der
südkoreanische Ursprung der Fahrzeuge sei unstreitig, und die Fahrzeuge seien
unmittelbar aus der Türkei nach den Niederlanden befördert worden, um unnötige
Transportkosten zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund und im Licht des Zweckes
der Präferenzmaßnahmen sei das Erfordernis der „unmittelbaren Beförderung“
durchaus erfüllt, auch wenn die Fahrzeuge formal betrachtet nicht unmittelbar aus
Südkorea nach den Niederlanden befördert worden seien; somit liege ein
besonderer Fall vor, der die Erstattung der erhobenen Abgaben rechtfertige.
- 20.
- Mit Schreiben vom 30. November 1995 bat das Zollamt um zusätzliche Auskünfte
zwecks Stellung eines Antrags an die Kommission nach Artikel 239 des Zollkodex
und Artikel 905 der Durchführungsverordnung. Es bat insbesondere um Vorlage
einer Bescheinigung der türkischen Behörden darüber, daß an den Fahrzeugen
keine Änderungen vorgenommen worden seien, während sie sich in der Türkei
befunden hätten. Es äußerte ferner Vorbehalte hinsichtlich des dem
Erstattungsantrag beigefügten Ursprungszeugnisses, da der auf diesem Zeugnis
angegebene Gesamtwert der Fahrzeuge sich von dem auf den Rechnungen der
IHLAS angegebenen Wert unterschied. Für die Beantwortung seines Schreibens
setzte es eine Frist von drei Monaten.
- 21.
- Mit Schreiben vom 28. März 1996 wurden dem Zollamt zusätzliche Unterlagen
vorgelegt, darunter insbesondere Bescheinigungen der Zollbehörden, denen zufolge
die Fahrzeuge in der Türkei nicht verzollt worden waren, und eine Bescheinigung
von Kia Motors, aus der hervorging, daß das Ursprungszeugnis tatsächlich die
dreihundert über die Türkei nach Rotterdam beförderten Fahrzeuge betraf. Die
Echtheit und Richtigkeit des Ursprungszeugnisses wurde danach vom Seoul
Metropolitan Government bestätigt. IHLAS gab eine schriftliche Erklärung ab, der
zufolge an den Fahrzeugen in der Türkei keine Änderung vorgenommen worden
war.
- 22.
- Mit Schreiben vom 1. Oktober 1996 machte der Direktor der Zolldirektion
Rotterdam der Kommission nach Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 905 der
Durchführungsverordnung Mitteilung vom Erstattungsantrag der Klägerinnen.
- 23.
- Mit an die Niederlande gerichteter Entscheidung vom 8. April 1997 (im folgenden:
streitige Entscheidung) erklärte die Kommission die beantragte Erstattung der
Einfuhrabgaben für nicht gerechtfertigt. Die streitige Entscheidung erging nach
Anhörung „einer aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden
Sachverständigengruppe“. In ihrer Entscheidung führt die Kommission zunächst
aus, die Niederlande hätten sie um Entscheidung über den streitigen
Erstattungsantrag ersucht, und sie habe diesen Antrag am 14. Oktober 1996
erhalten. Der Präferenzzoll habe auf die streitige Einfuhr nicht angewandt werden
können, da „die fraglichen Erzeugnisse über die Türkei befördert“ worden seien
und da „die Präferenzregelung in Anbetracht dessen, daß die Beförderung durch
dieses Land nicht aus geographischen oder ausschließlich beförderungstechnischen
Gründen im Sinne von Artikel 75 Absatz 1 der [Durchführung-]Verordnung
gerechtfertigt“ gewesen sei, nicht habe gewährt werden können. Diesem Ergebnis
stehe nicht entgegen, daß kurz nach der Einfuhr der fraglichen Fahrzeuge in die
Niederlande die Verordnung Nr. 3254/94 in Kraft getreten sei, da diese keine
Rückwirkung habe.
- 24.
- Mit Schreiben vom 9. April 1997 hat die Kommission die streitige Entscheidung der
Ständigen Vertretung der Niederlande bei der Europäischen Union mitgeteilt. Auf
der Grundlage der Entscheidung der Kommission hat das Zollamt den Antrag von
Kia Motors Nederland am 28. April 1997 zurückgewiesen. Dieser Entscheidung war
eine Abschrift der Entscheidung der Kommission beigefügt.
Verfahren und Anträge der Parteien
- 25.
- Aufgrund dessen haben die Klägerinnen mit Klageschrift, die am 27. Juni 1997 bei
der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
- 26.
- Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche
Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Die Parteien haben in
der Sitzung vom 12. Mai 1998 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des
Gerichts beantwortet.
- 27.
- Die Klägerinnen beantragen,
die streitige Entscheidung aufzuheben;
der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 28.
- Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Gründe
- 29.
- Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf vier Klagegründe. Mit dem ersten
Klagegrund wird ein Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages geltend gemacht. Der
zweite Klagegrund ist auf einen Verstoß gegen Artikel 75 der
Durchführungsverordnung gestützt. Mit dem dritten Klagegrund wird ein Verstoß
gegen Artikel 76 der Durchführungsverordnung geltend gemacht. Der vierte
Klagegrund stützt sich auf einen Verstoß gegen Artikel 239 des Zollkodex.
Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages
Vorbringen der Parteien
- 30.
- Die Klägerinnen tragen vor, die streitige Entscheidung sei auf die bloße
Behauptung gestützt, die Anforderungen des Artikels 75 der
Durchführungsverordnung seien nicht erfüllt. Die Kommission habe nicht
nachgeprüft, u. a. anhand der dem Erstattungsantrag beigefügten Nachweise, ob
besondere Umstände vorgelegen hätten, die eine Erstattung rechtfertigen könnten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes obliege es der Kommission, in
jedem Einzelfall anzuzeigen, ob solche Umstände vorlägen, und ihre Entscheidung
insoweit zu begründen (Urteil des Gerichtshofes vom 13. November 1984 in den
verbundenen Rechtssachen 98/83 und 230/83, Van Gend & Loos u. a./Kommission,
Slg. 1984, 3763).
- 31.
- Nach Auffassung der Beklagten entspricht die streitige Entscheidung den in der
Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Begründung. Insbesondere
habe die Kommission alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte angegeben,
auf die sie ihre Beurteilung gestützt habe. In der Entscheidung werde insbesondere
erklärt, daß die fraglichen Waren nicht im Sinne von Artikel 75 der
Durchführungsverordnung „unmittelbar befördert“ worden seien, da sie durch die
Türkei befördert worden seien, ohne daß dies aus geographischen oder
beförderungstechnischen Gründen gerechtfertigt gewesen sei. Angesichts dessen
hätten die Klägerinnen von den Gründen der Entscheidung Kenntnis nehmen und
ihre Rechte verteidigen können.
- 32.
- Die Entscheidung entspreche im übrigen genau dem Erstattungsantrag, wie dieser
vom Direktor der Zolldirektion Rotterdam formuliert worden sei. So hätten sich
die in diesem Antrag vorgetragenen Argumente auf die Anwendung des Artikels
75 der Durchführungsverordnung durch die niederländischen Zollbehörden
bezogen.
Würdigung durch das Gericht
- 33.
- Zunächst ist festzustellen, daß Artikel 239 des Zollkodex eine „auf
Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel“ im Sinne der Rechtsprechung zu
der früher geltenden, entsprechenden Bestimmung des Artikels 13 Absatz 1 der
Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung
oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175, S. 1), geändert
durch Artikel 1 Absatz 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7.
Oktober 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 über die
Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 286, S. 1),
ist, in dem es hieß: „Die Eingangsabgaben können außer in den in den Abschnitten
A bis D genannten Fällen bei Vorliegen besonderer Umstände erstattet oder
erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder
offensichtlich fahrlässig gehandelt hat“ (vgl. zu dieser Rechtsprechung Urteil des
Gerichtshofes vom 26. März 1987 in der Rechtssache 58/86, Coopérative agricole
d'approvisionnement des Avirons, Slg. 1987, 1525, Randnr. 22, und zuletzt Urteil
des Gerichts vom 19. Februar 1998 in der Rechtssache T-42/96, Eyckeler und
Malt/Kommission, Slg. 1998, II-0000, Randnr. 132). Die Ähnlichkeit zwischen
Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 ergibt sich
insbesondere daraus, daß diese Vorschrift „in anderen als den in den Artikeln 236,
237 und 238 [des Zollkodex] genannten Fällen“ Anwendung findet, bei denen es
sich nach Artikel 905 der Durchführungsverordnung um „besondere Fälle“ handeln
muß. Auch die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits gehen davon aus, daß
Artikel 239 des Zollkodex in der gleichen Weise auszulegen ist wie Artikel 13 der
Verordnung Nr. 1430/79.
- 34.
- Nach ständiger Rechtsprechung muß die nach Artikel 190 des Vertrages
vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepaßt sein
und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat,
so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr die Gründe
für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine
Kontrolle ausüben kann. Ferner brauchen nach dieser Rechtsprechung in der
Begründung eines Rechtsakts nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen
Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines
Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 190 des Vertrages genügt, nicht nur im
Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes
sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. z. B. Urteil
des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93,
Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723, Randnr. 86, und Urteil des Gerichts vom 30.
April 1998 in der Rechtssache T-214/95, Vlaams Gewest/Kommission, Slg. 1998,
II-0000, Randnrn. 62 f.).
- 35.
- Aus der Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die die Erstattung von Einfuhrzöllen
regeln (siehe oben, Randnrn. 1 bis 13), verleiht allein Artikel 905 der Kommission
eine Entscheidungsbefugnis. Er ermächtigt sie, zu den aufgrund von Artikel 239 des
Zollkodex gestellten Erstattungsanträgen, die ihr von den nationalen Zollbehörden
vorgelegt werden, Stellung zu nehmen. Wie der Gerichtshof im Zusammenhang mit
Verfahren festgestellt hat, die auf der Grundlage des Artikels 13 der Verordnung
Nr. 1430/79 geführt wurden, obliegt es jedoch der Kommission nach dieser
Bestimmung, in jedem Einzelfall anzuzeigen, ob besondere Umstände vorliegen,
und ihre Entscheidung insoweit zu begründen (zitiertes Urteil Van Gend & Loos
u. a./Kommission, Randnr. 18)
- 36.
- Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß die Kommission zu der Auffassung
gelangt ist, hier lägen keine besonderen Umstände vor, jedoch nicht die Gründe
angegeben hat, die sie zu dieser Annahme führten. In ihrer Entscheidung stellte die
Kommission nämlich fest, die fragliche Einfuhr erfülle nicht die in Artikel 75 der
Durchführungsverordnung aufgestellte Voraussetzung der unmittelbaren
Beförderung, so daß der Erstattungsantrag nicht begründet sei. Wie die Beklagte
jedoch selbst in ihren Schriftsätzen ausgeführt hat, geht es bei den aufgrund von
Artikel 239 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 der
Durchführungsverordnung an die Kommission gerichteten Anträgen nicht um die
Frage, ob Vorschriften des materiellen Zollrechts, wie Artikel 75 der
Durchführungsverordnung, von den nationalen Zollbehörden richtig angewandt
worden sind. Eine solche Frage gehört nämlich nach Artikel 236 des Zollkodex in
die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Zollbehörden, deren
Entscheidungen nach Artikel 243 des Zollkodex vor den nationalen Gerichten
angefochten werden können, die ihrerseits den Gerichtshof aufgrund von Artikel
177 des Vertrages anrufen können.
- 37.
- Auf die in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage, ob unabhängig davon,
daß die Klägerinnen die in Artikel 75 der Durchführungsverordnung aufgestellten
spezifischen Voraussetzungen nicht erfüllt haben besondere Umstände vorlagen,
die unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Erstattung hätten rechtfertigen können,
und insbesondere zu der in der streitigen Entscheidung von ihr auf diese Frage
gegebenen Antwort hat die Beklagte auf die in dieser Entscheidung enthaltene
Begründungserwägung verwiesen, in der es heißt: „Das wenige Monate nach der
fraglichen Einfuhr vom 18. Juli 1994 erfolgte Inkrafttreten der flexibleren
Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 3254/94 zur Änderung der Verordnung
(EWG) Nr. 2454/93 ist nicht von der Art, daß es zu einer Situation im Sinne des
Artikels 239 der Verordnung (EWG)) Nr. 2913/92 führen würde, da diese
Vorschriften nur der Ausdruck einer neuen Handelspolitik der Gemeinschaft
gegenüber den Ländern ist, für die das allgemeine Präferenzsystem gilt. Da diese
neue Handelspolitik keine Rückwirkung hat, ist die von den
Gemeinschaftsbehörden bis zu ihrem Inkrafttreten verfolgte Politik hiervon nicht
betroffen.“ Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission mit dieser
Begründungserwägung lediglich klarstellen wollen, daß die spezifischen
Voraussetzungen des Artikels 75 der Durchführungsverordnung auf die fragliche
Einfuhr angewandt werden müßten, ungeachtet des späteren Inkrafttretens
flexiblerer Kriterien (zu diesen Kriterien siehe oben, Randnr. 6). In diesem Teil der
Begründung der streitigen Entscheidung geht es somit, wie in allen anderen Teilen
dieser Entscheidung, um die Frage, ob die Einfuhr der fraglichen Fahrzeuge in die
Niederlande das Erfordernis der „unmittelbaren Beförderung“ erfüllte. Diese Frage
steht jedoch nicht im Zusammenhang mit Artikel 239 des Zollkodex.
- 38.
- Daraus folgt, daß die Kommission tatsächlich in den Gründen der streitigen
Entscheidung dargelegt hat, warum sie der Auffassung war, daß die Zölle, die die
niederländische Zollbehörde von den Klägerinnen verlangte, rechtmäßig waren,
während der verfügende Teil dieser Entscheidung, durch den der aufgrund von
Artikel 239 des Zollkodex gestellte Antrag zurückgewiesen wurde, die Frage
beantwortet, ob der Umstand, daß die Fahrzeuge in der Türkei unter
Zollüberwachung gestellt worden waren und somit bei ihrer Einfuhr in dieNiederlande weiterhin koreanischen Ursprungs waren, es aufgrund der allgemeinen
Billigkeitsklausel erlaubte, die Klägerinnen von der Zahlung der Abgaben, die nach
den zolltechnischen Vorschriften gesetzlich geschuldet waren, zu befreien (vgl.
hierzu Urteil des Gerichtshofes vom 12. März 1987 in den verbundenen
Rechtssachen 244/85 und 245/85, Cerealmangimi und Italgrani/Kommission, Slg.
1987, 1303, Randnr. 11). Somit ist festzustellen, daß die Kommission unter
Berücksichtigung sämtlicher einschlägiger Rechtsvorschriften ihre Entscheidung
nicht begründet hat.
- 39.
- Das Vorbringen der Beklagten, die streitige Entscheidung sei hinreichend
begründet, da die Ausführungen im Erstattungsantrag sich ebenfalls auf Artikel 75
der Durchführungsverordnung bezogen hätten, steht dieser Feststellung nicht
entgegen. Insoweit ist daran zu erinnern, daß eine Entscheidung stets so begründet
werden muß, daß der Gemeinschaftsrichter seine Rechtmäßigkeitskontrolle ausüben
kann. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Kommission
hat die Zurückweisung des Erstattungsantrags nämlich auf Erwägungen gestützt,
die das Gericht nicht überprüfen kann. Die Beklagte hat im schriftlichen Verfahren
selbst darauf hingewiesen, daß es nicht Sache des Gerichts ist, sich zu den das
Erfordernis der „unmittelbaren Beförderung“ betreffenden Fragen zu äußern, da
gegen Entscheidungen betreffend die Auslegung und Anwendung von Artikel 75
der Durchführungsverordnung nationale Rechtsbehelfe gegeben sind.
- 40.
- Aus alledem ergibt sich, daß der Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 190 des
Vertrages begründet ist. Folglich ist die streitige Entscheidung für nichtig zu
erklären, ohne daß zu den übrigen Klagegründen Stellung bezogen werden muß.
Kosten
- 41.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei die
Kosten, wenn dies beantragt ist. Da die Kommission unterlegen ist, ist sie
entsprechend dem Antrag der Klägerinnen in die Kosten zu verurteilen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
- 1.
- Die an das Königreich der Niederlande gerichtete Entscheidung der
Kommission vom 8. April 1997 betreffend den Erlaß von Einfuhrabgaben
wird für nichtig erklärt.
- 2.
- Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juli 1998.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
V. Tiili