URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
16. Juli 1998 (1)
„Freiberuflich tätige Konferenzdolmetscher Zulässigkeit ihrer Veranlagung zur
Gemeinschaftssteuer“
In den verbundenen Rechtssachen T-202/96 und T-204/96
Andrea von Löwis und Marta Alvarez-Cotera, Konferenzdolmetscherinnen, Genf
(Schweiz), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Gerard van der Wal, Brüssel,
zugelassen beim Hoge Raad der Nederlanden, Zustellungsanschrift: Kanzlei des
Rechtsanwalts Aloyse May, 31, Grand-rue, Luxemburg,
die zweite Klägerin unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder,
Bundesministerium für Wirtschaft, Bonn (Deutschland), als Bevollmächtigten,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Peter Oliver,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos
Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Rückzahlung der Gemeinschaftssteuer, die vom 1. Januar 1989 an von der
Vergütung der Klägerinnen einbehalten worden ist,
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN
(Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter C. P. Briët,
K. Lenaerts, A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5.
Mai 1998,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen der Rechtsstreitigkeiten
- 1.
- Artikel 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen
Gemeinschaften vom 8. April 1965 (nachstehend: Protokoll) lautet:
„Von den Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die Gemeinschaften
ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlen, wird zugunsten der
Gemeinschaften eine Steuer gemäß den Bestimmungen und dem Verfahren
erhoben, die vom Rat auf Vorschlag der Kommission festgelegt werden.
Die Beamten und sonstigen Bediensteten sind von innerstaatlichen Steuern auf die
von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge befreit.“
- 2.
- Seit 1970 schließt die Kommission mit der Association international des interprètes
de conférence (Internationaler Verband der Konferenzdolmetscher; nachstehend:
AIIC) fünfjährige Rahmenvereinbarungen (nachstehend: Rahmenvereinbarungen)
über die Arbeitsbedingungen und die Regelung der Vergütung der von den
Gemeinschaftsorganen bei Bedarf beschäftigten freiberuflich tätigen
Konferenzdolmetscher.
- 3.
- Nach Artikel 1 Absatz 1 der Rahmenvereinbarungen gelten diese „unabhängig vom
Ort des Einsatzes für die freiberuflich tätigen Konferenzdolmetscher, die von der
Kommission zu den Bedingungen beschäftigt werden, die in der für das Organ, für
das diese Dolmetscher tätig sind, geltenden Regelung über die
Konferenzdolmetscher niedergelegt sind“.
- 4.
- In der Präambel der am 9. Dezember 1988 geschlossenen Rahmenvereinbarung
(nachstehend: Rahmenvereinbarung 1988) weisen die Vertragsparteien darauf hin,
daß das Europäische Parlament von den freiberuflich tätigen Dolmetschern, die es
beschäftige, aufgrund von Artikel 78 der Beschäftigungsbedingungen für die
sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: BSB) die
Gemeinschaftssteuer erhebe. Die Unterzeichner der Rahmenvereinbarung 1988
hielten es daher für wünschenswert, „durch Bezugnahme allein auf die
Steuervorschriften, die sich aus der Anwendung des Artikels 78 BSB ergeben, die
steuerliche Gleichbehandlung aller freiberuflich tätigen Dolmetscher
sicherzustellen“.
- 5.
- So wurde in Artikel 8 der Rahmenvereinbarung 1988, die am 1. Januar 1989 in
Kraft trat, folgendes festgelegt:
„Die freiberuflich tätigen Dolmetscher, die von der Kommission für Rechnung aller
Organe der Gemeinschaft beschäftigt werden, unterliegen der durch Artikel 13 des
[Protokolls] eingeführten Steuer zugunsten der Gemeinschaften.
Wer nicht Angehöriger eines Mitgliedstaats der Gemeinschaften ist, unterliegt
vorbehaltlich einer von dem Organ gewährten Ausnahme nicht dem
vorhergehenden Absatz.“
- 6.
- Um dem besonderen Fall der freiberuflich tätigen Dolmetscher, die in einem
Drittstaat ansässig sind, Rechnung zu tragen, wurde in Artikel 8 der am 15.
September 1994 für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1998
geschlossenen Rahmenvereinbarung (nachstehend: Rahmenvereinbarung 1994)
folgender dritter Absatz eingefügt:
„Wird die von der Kommission gezahlte Vergütung in einem Drittland besteuert,
wird die einbehaltene Gemeinschaftssteuer in Abweichung von Absatz 1 dem
freiberuflich tätigen Dolmetscher auf Vorlage von Belegen hin und bis zu dem
Betrag, der der nationalen Steuer entspricht, erstattet.“
- 7.
- Zur Regelung individueller Streitigkeiten sieht Artikel 23 dieser
Rahmenvereinbarungen vor, daß der freiberuflich tätige Dolmetscher, wenn eine
Streitigkeit nicht im Rahmen des in Artikel 22 festgelegten vorgerichtlichen
Verfahrens beigelegt werden kann, den Gerichtshof anrufen kann, dem in den
Beschäftigungsverträgen nach den Artikeln 42 EGKS-Vertrag, 181 EG-Vertrag und
153 EAG-Vertrag die Zuständigkeit hierfür übertragen ist.
- 8.
- Nach Artikel 23 Absatz 2 ist auf die vertraglichen Beziehungen zwischen dem
freiberuflich tätigen Dolmetscher und den Organen vorbehaltlich der
Bestimmungen der Rahmenvereinbarung und ihrer Anhänge sowie derjenigen der
individuellen Beschäftigungsverträge belgisches Recht anwendbar.
- 9.
- In der Praxis werden die freiberuflich tätigen Konferenzdolmetscher kurzfristig
telefonisch oder durch Fernschreiben für gewöhnlich nur wenige Tage einberufen.
Der förmliche Vertragsschluß erfolgt dann durch eine von den beiden Parteien
unterzeichnete schriftliche Bestätigung.
- 10.
- Diese Bestätigung enthält die Bestimmung, daß das Beschäftigungsverhältnis der
Regelung über die freiberuflich tätigen Konferenzdolmetscher, die das Organ, für
das der Betreffende tätig ist, erlassen hat, sowie der geltenden
Rahmenvereinbarung unterliegt. In der Bestätigung wird auch auf die
Gerichtsstandsklausel des Artikels 23 der Rahmenvereinbarung verwiesen.
Sachverhalt
- 11.
- Frau von Löwis besitzt die deutsche, Frau Alvarez-Cotera die spanische und die
Schweizer Staatsangehörigkeit. Sie wohnen seit 1964 bzw. 1970 in der Schweiz.
Beide sind freiberuflich als Dolmetscherinnen für die Organe der Gemeinschaft
tätig, Frau von Löwis seit 1973 etwa 125 bis 135 Tage jährlich, Frau Alvarez-Cotera
seit März 1986 etwa 40 bis 50 Tage jährlich.
- 12.
- Da die Kommission seit dem 1. Januar 1989 von den Vergütungen der freiberuflich
tätigen Dolmetscher die Gemeinschaftssteuer einbehält, unterliegen die
Klägerinnen insoweit aufgrund ihrer möglichen Einkommenssteuerpflicht in der
Schweiz potentiell einer doppelten Besteuerung.
- 13.
- Frau Alvarez-Cotera und Frau von Löwis beantragten am 23. April 1996 bzw. am
8. Juli 1996 bei der Kommission gemäß Artikel 22 der Rahmenvereinbarung 1994
die Rückzahlung der von ihnen seit 1989 entrichteten Gemeinschaftssteuer.
- 14.
- Nach der Ablehnung ihrer Anträge durch den Direktor der Direktion
„Konferenzdienst“ des gemeinsamen Dolmetscher-Konferenzdienstes stellten die
Klägerinnen bei den zuständigen Generaldirektoren die gleichen Anträge.
- 15.
- Diese Anträge wurden mit Entscheidungen vom 25. September bzw. 21. Oktober
1996 ebenfalls mit der Begründung abgelehnt, die Klägerinnen hätten bis 1994 ihre
Dolmetscherdienste in voller Kenntnis der Rahmenvereinbarungen erbracht, die mit
der AIIC geschlossen worden seien; Artikel 8 Absatz 3 der Rahmenvereinbarung
1994 könne sich nur auf die seit 1994 erbrachten Leistungen auswirken. Für die
Erstattung der Gemeinschaftssteuer nach der letztgenannten Bestimmung verlangte
die Kommission die Vorlage eines Beleges über die Zahlungen an die Schweizer
Steuerverwaltung.
Verfahren
- 16.
- Die Klägerinnen haben mit Klageschriften, die am 9. Dezember 1996 bei der
Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, die vorliegenden Klagen auf Rückzahlung
der Gemeinschaftssteuer erhoben.
- 17.
- Am 22. Mai 1997 hat die Bundesrepublik Deutschland beantragt, als Streithelferin
in der Rechtssache T-204/96 zur Unterstützung der Anträge der Klägerin
zugelassen zu werden. Diesem Antrag ist mit Beschluß vom 11. Juli 1997
stattgegeben worden.
- 18.
- Mit Beschluß vom 18. November 1997 sind die Rechtssachen T-202/96 und T-204/96 gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamem mündlichen
Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
- 19.
- Die ursprünglich der dritten Kammer zugewiesenen Rechtssachen wurden mit
Beschluß des Gerichts vom 4. Februar 1998 gemäß den Artikeln 14 und 51 der
Verfahrensordnung an die Dritte erweiterte Kammer verwiesen.
- 20.
- Das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters
beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Es hat im Rahmen
prozeßleitender Maßnahmen die Kommission um bestimmte Angaben gebeten.
- 21.
- Die Parteien haben in der Sitzung vom 5. Mai 1998 mündlich verhandelt und
mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
- 22.
- Die Klägerinnen beantragen,
die Klagen für zulässig zu erklären,
die Entscheidungen vom 25. September bzw. 21. Oktober 1996 aufzuheben,
die Anwendung der Gemeinschaftssteuer auf die Klägerinnen für
rechtswidrig und/oder Artikel 8 der Rahmenvereinbarung für nichtig zu
erklären,
der Kommission aufzugeben, die von ihr einbehaltene und/oder von den
Klägerinnen seit dem 1. Januar 1989 bis zum Erlaß des Urteils gezahlte
Gemeinschaftssteuer zurückzuzahlen sowie Zinsen von 8 % oder die
gesetzlichen Zinsen hieraus zu zahlen,
der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
- 23.
- Die Kommission beantragt,
die Klagen abzuweisen,
den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.
- 24.
- Die Streithelferin in der Rechtssache T-204/96 beantragt, dem Antrag auf
Rückzahlung der Gemeinschaftssteuer stattzugeben.
Zur Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses der Klägerinnen
- 25.
- Es steht fest und wird von den Parteien auch nicht bestritten, daß die Klägerinnen
als Aushilfsdolmetscherinnen, die aufgrund kurzfristiger, in jedem Jahr oft
erneuerter Verträge beschäftigt werden, nicht als Beamte oder sonstige Bedienstete
der Gemeinschaften im Sinne der BSB angesehen werden können (Urteile des
Gerichtshofes vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 43/84, Maag/Kommission, Slg
1985, 2581, Randnr. 23, und in der Rechtssache 111/84, Cantisani, Slg. 1985, 2671,
Randnr. 13), sondern Vertragsparteien sind, die an die Kommission durch
privatrechtliche Vertragsbedingungen gebunden sind, die hinsichtlich aller Fragen,
die durch die individuellen Beschäftigungsverträge und die Rahmenvereinbarungen
nicht geregelt sind, nach Artikel 23 der Rahmenvereinbarungen dem belgischen
Recht unterliegen.
- 26.
- Infolgedessen beruhen die vorliegenden Klagen auf einer vertraglichen Grundlage.
Zur Zulässigkeit
Zur Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts
Vorbringen der Parteien
- 27.
- Die Kommission macht geltend, das Gericht sei für die Entscheidung über die
beiden Klagen unzuständig, soweit diese Verträge beträfen, die vor dem 1. August
1993 geschlossen worden seien und über die gesondert Klage beim Gerichtshof
hätte erhoben werden müssen. Der Beschluß 93/350/Euratom, EGKS, EWG des
Rates vom 8. Juni 1993 zur Änderung des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG,
Euratom zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen
Gemeinschaften (ABl. L 144, S. 21; nachstehend: Beschluß des Rates) habe
nämlich nach seinem Artikel 3 Absatz 2 die Zuständigkeit des Gerichts, über
Klagen zu entscheiden, die wie im vorliegenden Fall von natürlichen Personen
aufgrund einer Vereinbarung über die gerichtliche Zuständigkeit erhoben worden
seien, auf Rechtsstreitigkeiten begrenzt, die die Erfüllung von Verträgen beträfen,
die nach dem Inkrafttreten des Beschlusses am 1. August 1993 geschlossen worden
seien.
- 28.
- Die Klägerinnen, die insoweit von der Streithelferin im wesentlichen unterstützt
werden, halten dem entgegen, das Gericht sei für die Entscheidung über ihre
Klagen zuständig, da diese nach dem Inkrafttreten der Rahmenvereinbarung 1994
erhoben worden seien und ein Dauerrechtsverhältnis mit der Kommission beträfen,
das aus einer Vielzahl kurzfristiger Verträge bestehe, über die getrennt zu
entscheiden unzweckmäßig sei.
Beurteilung durch das Gericht
- 29.
- Mit den vorliegenden Klagen wird die Rechtwidrigkeit der Einbehaltung der
Gemeinschaftssteuer gerügt, die aufgrund gleichlautender Bestimmungen der
beiden von 1989 bis 1994 bzw. 1994 bis 1998 geltenden Rahmenvereinbarungen auf
die Vergütungen erhoben worden ist, die die Kommission den Klägerinnen in
Erfüllung einer Folge im wesentlichen gleichlautender, nach dem 1. Januar 1989
geschlossener individueller Verträge gezahlt hatte.
- 30.
- Unter diesen Umständen entspricht es einer geordneten Rechtspflege und dem
Gebot des Rechtsschutzes der Klägerinnen, daß das Gericht über sämtliche
Streitigkeiten entscheidet, unabhängig davon, ob die individuellen
Beschäftigungsverträge vor oder nach dem Inkrafttreten des Beschlusses des Rates
geschlossen worden sind (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 1. Juli 1982 in der
Rechtssache 109/81, Porta/Kommission, Slg. 1982, 2469, Randnr. 10).
- 31.
- Somit ist der von der Kommission erhobene Einwand der Unzuständigkeit
zurückzuweisen.
Zum Einwand der Unzulässigkeit wegen Vermengung der Klagetypen
- 32.
- Die Kommission wirft den Klägerinnen im wesentlichen vor, den grundlegenden
Unterschied zwischen einer auf einen Vertrag gestützten Klage und einer
Nichtigkeitsklage verwischen zu wollen. Insbesondere könnten die Klägerinnen die
Handlungen der Kommission zur Beendigung des vertraglich vorgeschrieben
vorgerichtlichen Verfahrens nicht als Entscheidungen einstufen und nicht deren
Aufhebung verlangen.
- 33.
- Die Klägerinnen halten dem entgegen, ihr Rechtsstreit könne nicht auf einen
zivilrechtlichen Rechtsstreit begrenzt werden, da die Kommission durch die
rechtswidrige Erhebung der Gemeinschaftssteuer nicht als Vertragspartei, sondern
hoheitlich aufgetreten sei.
- 34.
- Das Gericht kann sich mit der Feststellung begnügen, daß die Klägerinnen laut
ihren Anträgen entsprechend der vertraglichen Grundlage der vorliegenden
Streitigkeiten begehren, die Kommission zur Zurückzahlung der
Gemeinschaftssteuer zu verurteilen, da den Bestimmungen der
Rahmenvereinbarungen, auf die sich die Einbehaltung der Steuer gründe, die
gesetzliche Grundlage fehle.
- 35.
- Infolgedessen ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit
zurückzuweisen.
Zur Einrede der Unzulässigkeit wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften
- 36.
- Die Kommission rügt erstens, daß die Klägerinnen unter Verstoß gegen Artikel 44
§ 5 a der Verfahrensordnung mit der Klageschrift keine Ausfertigung aller ihrer
Beschäftigungsverträge eingereicht hätten, die die Gerichtsstandsklausel enthielten.
- 37.
- Die Klägerinnen machen demgegenüber geltend, daß sie mit ihrer Klageschrift
sowohl die geltenden Rahmenvereinbarungen als auch eine Ausfertigung ihrer
Beschäftigungsverträge gemäß der genannten Bestimmung ordnungsgemäß
eingereicht hätten.
- 38.
- Das Gericht stellt fest, daß die Klägerinnen ihrer Klageschrift ordnungsgemäß eine
Abschrift des die Schiedsklausel enthaltenden Beschäftigungsvertrages gemäß
Artikel 44 § 5 a der Verfahrensordnung beigefügt haben; aufgrund des Gleichlauts
der Bestimmungen waren die Klägerinnen nicht verpflichtet, sämtliche in der Folge
geschlossen Beschäftigungsverträge vorzulegen.
- 39.
- Zweitens wirft die Kommission den Klägerinnen vor, den Betrag der von ihren
Vergütungen einbehaltenen Gemeinschaftssteuer nicht im einzelnen beziffert zu
haben.
- 40.
- Die Klägerinnen machen geltend, daß sie sich gerade gegen den Grundsatz der
Anwendung der Gemeinschaftssteuer auf ihre Vergütungen wendeten und die
fehlende Angabe eines genauen Betrages daher nicht zur Unzulässigkeit ihrer
Klagen führen könne.
- 41.
- Das Gericht ist in zulässiger Weise angerufen worden, um sowohl über die
grundsätzliche Rechtmäßigkeit der Erhebung der Gemeinschaftssteuer durch die
Kommission als auch über die Rückzahlungsanträge zu entscheiden. Es steht
nämlich außer Frage, daß diese Anträge sich auf Beträge beziehen, die die
Kommission selbst einbehalten hat und deren Höhe sie zwangsläufig bestimmen
kann.
- 42.
- Drittens macht die Kommission geltend, die Klägerinnen hätten nicht einmal den
Versuch unternommen, die Rechtsvorschrift anzugeben, aufgrund deren sie Artikel
8 der beiden einschlägigen Rahmenvereinbarungen anfechten könnten, was ein
offenkundiger Verstoß gegen ihre Verpflichtung zu „einer kurzen Darstellung der
Klagegründe“ im Sinne des Artikels 44 Absatz 1 Buchstabe c der
Verfahrensordnung sei.
- 43.
- Die Klägerinnen sind dagegen der Meinung, die Gründe, weshalb die Kommission
Artikel 8 der Rahmenvereinbarungen zu Unrecht angewandt habe, ordnungsgemäß
dargestellt zu haben.
- 44.
- Die Klägerinnen haben unter Berufung auf die einschlägigen Bestimmungen des
Gemeinschaftsrechts klar dargelegt, daß die Kommission für die Einbehaltung der
streitigen Steuern nicht zuständig gewesen sei.
- 45.
- Somit sind die Einreden der Unzulässigkeit wegen Verstoßes gegen
Verfahrensvorschriften zurückzuweisen.
Zur Einrede der Unzulässigkeit aufgrund der angeblichen Zustimmung der Klägerinnen
zur Einbehaltung der Gemeinschaftssteuer
- 46.
- Die Kommission macht geltend, die Klägerinnen seien einverstanden gewesen, daß
sie von 1989 an zur Gemeinschaftssteuer herangezogen würden, und versuchten
nun, nachdem sie mehrere Jahre mit der Erhebung ihrer Klage gewartet hätten, die
Zurückzahlung der Steuer zu erreichen.
- 47.
- Diese Einrede ist als wesentlicher Bestandteil der Begründetheit im Rahmen der
Prüfung der Begründetheit zu untersuchen.
Zur Begründetheit
Vorbringen der Parteien
- 48.
- Die Klägerinnen, die insoweit von der Streithelferin in der Rechtssache T-204/96
im wesentlichen unterstützt werden, weisen darauf hin, daß der Rat auf der
Grundlage des Artikels 13 des Protokolls in seiner Verordnung (EWG, Euratom,
EGKS) Nr. 260/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung der
Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der
Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 56, S. 8) die Bedingungen und die
Modalitäten für die Erhebung der Gemeinschaftssteuer auf die von den
Gemeinschaften ihren Beamten und sonstigen Bediensteten gezahlten Bezüge
festgelegt habe.
- 49.
- Da die freiberuflich tätigen Dolmetscher weder Beamte noch andere Bedienstete
der Gemeinschaften im Sinne der BSB seien, habe die Kommission offenkundig
rechtsfehlerhaft gehandelt, als sie die Gemeinschaftssteuer von der Vergütung der
Klägerinnen einbehalten und sich hierfür auf Artikel 8 der Rahmenvereinbarungen
berufen habe, obwohl diese mit einem internationalen Verband des Privatrechts
geschlossen worden seien und dem Privatrecht unterlägen.
- 50.
- Die Kommission ist dagegen der Ansicht, daß die Gemeinschaftssteuerpflicht der
freiberuflich tätigen Dolmetscher auf Vertrag beruhe, so daß die Klägerinnen nach
dem Grundsatz pacta sunt servanda die Zulässigkeit ihrer Verträge nicht in Frage
stellen könnten, denn arglistige Täuschung, Irrtum, Zwang oder andere ähnliche
Umstände lägen nicht vor. Im übrigen könne Artikel 8 der Rahmenvereinbarung
von den anderen Bestimmungen der Vereinbarung nicht getrennt werden.
Beurteilung durch das Gericht
- 51.
- Artikel 13 Absatz 1 des Protokolls hat eine Steuer zugunsten der Gemeinschaften
auf die Bezüge eingeführt, die den Beamten und sonstigen Bediensteten der
Gemeinschaften gezahlt werden.
- 52.
- Auf der Grundlage dieser Bestimmung unterliegen dieser Gemeinschaftssteuer nach
Artikel 2 der Verordnung Nr. 260/68 die Personen, auf die das Statut oder die BSB
Anwendung finden, jedoch mit Ausnahme der örtlichen Bediensteten.
- 53.
- Da die Klägerinnen als freiberuflich tätige Dolmetscherinnen nicht als Beamte oder
sonstige Bedienstete im Sinne der BSB angesehen werden können, konnte die
Kommission die Gemeinschaftssteuer von den Vergütungen, die sie den
Betroffenen vom 1. Januar 1989 an gezahlt hat, nicht rechtmäßig einbehalten.
- 54.
- Wie sich im übrigen aus der Systematik des Artikels 13 des Protokolls ergibt, ist die
logische Folge der nach dieser Bestimmung bestehenden Gemeinschaftssteuerpflicht
der Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften hinsichtlich der ihnen
von den Gemeinschaften gezahlten Bezüge zwangsläufig die Befreiung dieser
Personen gemäß Absatz 2 dieser Bestimmung von den innerstaatlichen Steuern für
eben diese Bezüge.
- 55.
- Dieser Grundsatz ist in Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung (Euratom, EGKS,
EWG) Nr. 549/69 des Rates vom 25. März 1969 zur Bestimmung der Gruppen von
Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, auf welche
die Artikel 12, 13 Absatz 2 und Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte und
Befreiungen der Gemeinschaften Anwendung finden (ABl. L 74, S. 1), in seiner
später geänderten Fassung präzisiert worden, wonach nur die Personen, die unter
das Statut oder unter die BSB fallen mit Ausnahme der örtlichen Bediensteten
Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls in Anspruch nehmen können.
- 56.
- Infolgedessen fallen die Vergütungen, die die Kommission den Klägerinnen gezahlt
hat, unter die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten.
- 57.
- Insoweit hat die Kommission mit der Einbehaltung der streitigen
Gemeinschaftssteuer ebenfalls gegen die den Mitgliedstaaten vorbehaltene
Steuerkompetenz verstoßen.
- 58.
- Somit ist den Rückzahlungsanträgen der Klägerinnen stattzugeben, und die
Einwände, die die Kommission aus der angeblichen Zustimmung der Klägerinnen
zu der Einbehaltung der Gemeinschaftssteuer und der Untrennbarkeit der
Bestimmungen der Rahmenvereinbarungen herleitet (vgl. vorstehend, Randnr. 50),
sind nicht weiter zu berücksichtigen. Weder der Wille der Parteien einer
Vereinbarung noch das Gleichgewicht einer Vereinbarung können zulässigerweise
mit dem Ziel geltend gemacht werden, die Erfüllung oder Aufrechterhaltung
rechtswidriger Verpflichtungen zu erreichen.
- 59.
- Nach alledem ist die Kommission zu verurteilen, an die Klägerinnen die als
Gemeinschaftssteuer bezeichneten Beträge, die sie rechtswidrig von den seit dem
1. Januar 1989 gezahlten Vergütungen einbehalten hat, zurückzuzahlen sowie
Verzugszinsen hieraus zu dem gesetzlichen Zinssatz des belgischen Rechts vom
Zeitpunkt des jeweils ersten Rückzahlungsantrags der Klägerinnen (vgl. vorstehend,
Randnr. 13) bis zur endgültigen Zahlung zu zahlen.
Kosten
- 60.
- Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung der Kosten des Verfahrens zu verurteilen. Da die Kommission
mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Klägerinnen
die Kosten aufzuerlegen.
- 61.
- Die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin in der Rechtssache T-204/96
trägt nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Kommission wird verurteilt, an die Klägerinnen die als
Gemeinschaftssteuer bezeichneten Beträge, die sie von den von ihr den
Klägerinnen seit dem 1. Januar 1989 gezahlten Vergütungen einbehalten
hat, zurückzuzahlen sowie Verzugszinsen hieraus zu dem gesetzlichen
Zinssatz des belgischen Rechts vom Zeitpunkt des jeweiligen ersten
Rückzahlungsantrags der Klägerinnen bis zur tatsächlichen Zahlung zu
zahlen.
2. Im übrigen werden die Anträge der Klägerinnen zurückgewiesen.
3. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.
TiiliBriët
Lenaerts
Potocki Cooke
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juli 1998.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
V. Tiili