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Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy (Polen), eingereicht am 31. Juli 2023 – S. sp. z o.o./V. sp. z o.o.

(Rechtssache C-486/23, S.)

Verfahrenssprache: Polnisch

Vorlegendes Gericht

Sąd Najwyższy

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: S. sp. z o.o.

Beklagte: V. sp. z o.o.

Vorlagefragen

Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV im Licht der vom Gerichtshof im Urteil W.Ż. (C-487/19) vorgenommenen Auslegung dahin auszulegen, dass eine zeitlich befristete Abordnung eines Richters am Obersten Gericht ohne seine Zustimmung an eine andere Kammer des Obersten Gerichts den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter und der richterlichen Unabhängigkeit in ähnlicher Weise verletzt wie die Versetzung eines Richters der ordentlichen Gerichtsbarkeit zwischen zwei Abteilungen desselben Gerichts, wenn

–    der Richter zur Entscheidungsfindung in Rechtssachen abgeordnet wird, deren Gegenstand nicht mit der sachlichen Zuständigkeit der Kammer übereinstimmt, der der Richter am Obersten Gericht zugeteilt wurde;

–    dem Richter gegen die Entscheidung über eine solche Abordnung kein gerichtlicher Rechtsbehelf zusteht, der den Anforderungen genügt, die in Rn. 118 des Urteils W.Ż. (C-487/[19]) aufgestellt wurden;

–    die Verfügung des Pierwszy Prezes Sądu Najwyższego (Erster Präsident des Obersten Gerichts) über die Abordnung an eine andere Kammer und die Verfügung des Präsidenten, der die Zivilkammer des Obersten Gerichts leitet, über die Zuweisung konkreter Verfahren von Personen erlassen wurden, die unter denselben Umständen wie in der Rechtssache W.Ż. (C-487/[19]) zu Richtern am Obersten Gericht ernannt wurden, wobei im Licht der bisherigen Rechtsprechung Gerichtsverfahren unter Beteiligung solcher Personen nichtig sind oder das Recht einer Partei auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verletzen;

–    die zeitlich befristete Abordnung eines Richters ohne seine Zustimmung an eine andere Kammer des Obersten Gerichts als die, in der er seinen Dienst versieht, bei gleichzeitiger Beibehaltung seiner richterlichen Pflichten in der Stammkammer keine Grundlage im nationalen Recht hat;

–    die zeitlich befristete Abordnung eines Richters ohne seine Zustimmung an eine andere Kammer des Obersten Gerichts als die, in der er seinen Dienst versieht, eine Verletzung von Art. 6 [Buchst.] b der Richtlinie 2003/88/EG1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) darstellt?

2.    Unabhängig von der Antwort auf die erste Frage: Ist Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen, dass ein Gericht, das aufgrund einer Verfügung des Ersten Präsidenten des Obersten Gerichts über die Abordnung an eine andere Kammer des Obersten Gerichts und durch eine Verfügung des Präsidenten, der die Zivilkammer des Obersten Gerichts leitet, über die Zuweisung konkreter Verfahren mit Personen besetzt ist, die unter den gleichen Umständen wie in der Rechtssache W.Ż. (C-487/[19]) zu Richtern am Obersten Gericht ernannt wurden, kein „durch Gesetz“ errichtetes Gericht ist, wenn im Licht der bisherigen Rechtsprechung Gerichtsverfahren unter Beteiligung solcher Personen nichtig sind oder das Recht einer Partei auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verletzen?

3.    Falls die erste Frage bejaht oder die zweite Frage dahin beantwortet wird, dass das so errichtete Gericht kein „durch Gesetz“ errichtetes Gericht ist: Sind Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass Richter, die einem Spruchkörper eines Gerichts zugeteilt wurden, der in der in den Fragen 1 und 2 beschriebenen Weise errichtet wurde, die Vornahme von Prozesshandlungen in der ihnen zugewiesenen Rechtssache, insbesondere den Erlass von Entscheidungen, ablehnen können, weil sie die Verfügungen über die Abordnung an eine andere Kammer des Obersten Gerichts und über die Zuweisung konkreter Verfahren für nichtexistent erachten, oder dahin, dass sie eine Entscheidung erlassen müssen und deren etwaige Anfechtung wegen Verletzung des Rechts einer Partei, den Rechtsstreit durch ein Gericht entscheiden zu lassen, das den Anforderungen in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Grundrechtecharta genügt, den Parteien überlassen müssen?

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1 ABl. 2003, L 299, S. 9.